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Die Sache mit den Legenden ...

von Gabi

Kapitel 1

TABKAN-GEBIRGE, 2370 n. Chr. (Erdstandard)

 

Sie sprang aus dem Gleiter und landete in knöcheltiefem Schnee. Die bergige Landschaft um sie herum war in herrliches Weiß gekleidet, nahezu unberührt von bajoranischen Füßen. Lediglich die Stelle, an welcher der Gleiter aufgesetzt hatte, zeigte Verwehungen im Pulverschnee durch den Ausstoß der Bremsdüsen. Kira schloss die Augen und atmete tief ein. Die Luft roch ganz anders hier oben, klarer, intensiver, freier.

Der Pilot hatte sie auf einem kleinen Plateau abgesetzt, das den Vorhof des Bergklosters bildete. Hier oben im Gebirge hatten sich vor tausenden von Jahren gläubige Frauen und Männer die Mühe gemacht, mehrere Gebäude dem Stein abzutrotzen. Der Großteil der Klosteranlage war direkt in den Fels gehauen, nur etwa ein Viertel der Bausubstanz war von außen errichtet worden. Linker Hand erhob sich der majestätische Fels in den klarblauen Himmel hinauf. Jeder Vorsprung, jede kleinste Unebenheit im Stein war von einer frischen weißen Haube überzogen. Eiszapfen prangten an denjenigen Stellen, an denen bis letzten Monat noch Wasser in kleinen Rinnsalen über den Gneis gelaufen war. Die Morgensonne traf sie genau im richtigen Winkel, um sie wie aufgereihte Diamanten funkeln zu lassen.

Rechter Hand breitete sich der fantastische Blick in die Ebene aus. Von hier aus konnte man die gesamte Provinz Musilla überblicken. An einem so klaren Tag wie heute konnte man sich sogar einbilden, mit bloßem Auge die Dächer der berühmten Kunstakademie von Musilla ausmachen zu können, die weit entfernt an den Ufern der See von Musir thronte.

Das kleine Beli Pondis Kloster wurde auch als Kloster auf dem Dach der Welt bezeichnet. Kira verstand nur zu gut, wie es zu diesem Namen gekommen war. Vor nahezu sechstausend Jahren war hier eine der ersten Bastionen des heute immer noch bestehenden Glaubens auf Bajor entstanden, als der Legende nach eine junge Gläubige durch die Hand der Propheten vor dem sicheren Tod durch wilde Tiere gerettet worden war.

 

TABKAN-GEBIRGE, 3576 v. Chr. (Erdstandard)

 

 

Die junge Frau kletterte behände die Felsen hinauf. Ihre Verfolger waren ihr dicht auf den Fersen, doch hier in der unwegsamen Gegend des Tabkan-Gebirges hoffte sie darauf, diese abschütteln zu können. Es war aber auch zu dumm, dass ihr Opfer zu früh aufgewacht war. Sie hatte ja keine andere Wahl gehabt, als ihm den schweren Leuchter über den Kopf zu ziehen, wenn sie mit ihrer Beute entkommen wollte. Jetzt waren die Leute des Großgrundbesitzers hinter ihr her und die würden kurzen Prozess mit ihr machen, wenn sie sie in die Finger bekämen. Unten auf der Ebene hätte sie keine Chance gehabt, aber sie war flinker als die grobschlächtigen Kerle und das konnte ihr hier in den Felsen einen Vorteil verschaffen. Ihre Hoffnung war es, sich irgendwo verbergen zu  können, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen war. Danach würde sie über eine andere Flanke absteigen und in der nächsten Stadt ihr Diebesglück versuchen.

 

Es war diese verdammte Prozession gewesen, die mit ihrem blöden Glockengebimmel durch die Straße gezogen war, als ob es das normales auf Bajor war, in unirdischer Frühe schon munter zu sein. In den letzten drei Städten war ihr dieser neue Kult bereits begegnet. Sie hatte keine Ahnung, um was genau es da ging. Es interessierte sie auch nicht. Aber es war schwerer geworden in dieser Umgebung zu stehlen, weil immer irgendwo jemand von den Kuttentypen rumhing und auf das Wohl der Stadtbewohner achtete. Und wer dachte an ihr Wohl?

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 2370 n. Chr. (Erdstandard)

 

Eine Bewegung am Steintor, das vom Vorhof zum Innenhof führte, ließ Kira ihren Blick von der Betrachtung der Landschaft fortreißen. Die karmesinrote Robe der dort stehenden Gestalt bildete einen intensiven Kontrast gegen das allgegenwärtige Weiß des Schnees über dem Silbergrau des Gesteins. Die Gesichtszüge der Offizierin weiteten sich zu einem erfreuten Lachen, das in den Mundwinkeln begann und sich über die Augen und Nasenrippen fortsetzte. Noch idealer als ein paar freie Tage, war die Person, mit der sie diese freien Tage verbringen konnte!

Sie ließ ihr Gepäck fallen, wo sie stand, versicherte sich, dass sie alleine waren, und sprintete los. Einen Meter vor dem Vedek sprang sie ab, fiel ihm um den Hals und schlang ihre Beine um seine Hüften. Er stimmte in ihr Gelächter ein. Dass er sie einmal um die Achse wirbelte, war sowohl Willkommensgruß als auch notwendige Impulsweiterleitung, um das Gleichgewicht unter ihrem Ansturm nicht zu verlieren.

"Nerys! Ich freue mich so, dass du dir frei nehmen konntest..." Was immer er auch weiterhin sagen wollte, wurde in einem tiefen Kuss erstickt, den Kira erst wieder löste, als Bareil sie absetzte.

 

"Dieses Jahr fällt die irdische Weihnachtsfeier ziemlich genau auf Modranhit, da sind die Menschen auf der Station so sehr mit sich beschäftigt, dass es gar kein Problem war meine freien Tage auszudehnen." Sie blickte über die Schulter zu ihrem Gepäck zurück, das immer noch einsam im Schnee stand, und überlegte sich, wie sie dorthin gelangen konnte, ohne den warmen, lang ersehnten Körper des Vedeks loszulassen. Bareil erahnte ihr Dilemma. Er legte ihr den Arm um die Hüfte und ging gemeinsam mit ihr zu der Tasche hinüber. Sie warf sich das Gepäckstück über die Schulter, die nicht an Bareil lehnte, und kehrte dann mit ihm gemeinsam zum Eingang des Innenhofs zurück.

 

"Ich kann es noch gar nicht glauben, dass Kai Winn dich über die Feiertage freigestellt hat. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie darauf erpicht ist uns überall Steine in den Weg zu legen, wo es nur geht."

 

Er lächelte. Dieses verstehende Lächeln, das er für Freund wie Feind gleichermaßen zustande brachte, was Kira immer wieder aufs Neue faszinierte. Wenn Bareil hassen konnte, dann war er imstande, diese Eigenschaft so tief in sich zu verbergen, dass niemand sie je zu sehen bekam.

 

"Du darfst nicht immer so streng mit Winn sein. Sie tut nur, was sie für richtig für Bajor hält. Nun ja, und ..." nun schlich sich doch eine kleine spitzbübische Note in seine Mimik, "... alles, um mich daran zu erinnern, dass sie Kai ist und nicht ich."

 

"Aber sie kann dich nicht aus deinem Kurzurlaub rausreißen, oder?"

 

"Sie könnte schon", gestand er, "aber ich hoffe, sie tut es nicht."

 

Kira seufzte tief. Sie drückte ihn fester an sich, als sie beide gemeinsam durch das Steintor schritten. "Dann lass uns die Zeit nutzen, nur wir beide und ..." Sie stockte.

 

Im Innenhof erwarteten sie etliche Prylaren, die den Kopf nun vor dem Vedek neigten.

 

"... achtundvierzig Bewohner dieses Klosters", vervollständigte Bareil ihren Satz.

 

Natürlich! Wieso war sie auf die Idee verfallen, dass sie mit Bareil zusammen einen intimen Kurzurlaub hier oben verbringen konnte? Wieso hatte sie in ihrer Vorstellung nicht miteingerechnet, dass Beli Pondis ein aktives Kloster war, das natürlich bewohnt war? Automatisch ließ sie Bareils Taille los. Er allerdings nicht die ihre.

 

Er neigte ebenfalls den Kopf vor den Prylaren, wie Kira das auch tat. "Es ist in Ordnung, Nerys. Sie wissen, dass du meine Lebensgefährtin bist, und dass ich dich nicht zu philosophischen Diskussionen hierher eingeladen habe."

 

Sie blickte ihn mit leicht geröteten Wangen an. "Du meinst, wir können hier trotzdem ...?"

 

"Natürlich können wir das." Einmal, nur einmal würde sie gerne eine Reaktion der Verlegenheit oder Unsicherheit an ihm wahrnehmen. Dann wiederum ..., hätte sie sich überhaupt in ihn verliebt, wenn er nicht mit dieser stoischen Unbeirrbarkeit in ihr Leben getreten wäre?

 

"Ich danke euch, dass Ihr meine geliebte Partnerin begrüßt", wandte der Vedek sich dann an die wartenden Geistlichen. "Dies ist Major Kira Nerys, sie arbeitet als Liaison-Offizier auf der Raumstation am Rand des Himmelstempels. Nerys, das sind ..." Daraufhin stellte er jeden einzelnen der Geistlichen vor, von denen Kira sich sicher war, dass sie sich nicht einen Namen würde merken können.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 3576 v. Chr. (Erdstandard)

 

Als sie die Felsspalte fand, war es allerhöchste Zeit. Ihre Häscher erwiesen sich als wesentlich ausdauernder als sie das gehofft hatte. Selbst in dem unwegsamen Gelände der Felsen waren sie ihr immer näher gekommen. Ihre letzte ordentliche Mahlzeit lag einen guten Tag zurück. Ihr Magen knurrte und ihre Kräfte ließen allmählich nach. Lange würde sie das Tempo nicht durchhalten können. Sie musste sich unbedingt irgendwo verbergen.

 

Vielleicht hatten die Götter, die unten in der Stadt angebetet wurden, Mitleid mit ihr. Ihre Hand griff nach der nächsten Felskante und sie spürte, dass sie einen Rand erreicht hatte. Die Finger der zweiten Hand griffen nach, so dass sie den Oberkörper hinaufziehen konnte. Als ihr Kinn auf Höhe der Handballen angelangt war, konnte sie sehen, dass sich hinter der Kante eine schmale Spalte auftat. Wie tief diese hinunter ging, konnte sie nicht erkennen, da das Sonnenlicht lediglich die ersten paar Zentimeter beschien. Mit einer weiteren Kraftanstrengung gelang es ihr, sich hoch zu stemmen. Sie schwang ein Bein über die Kante, so dass sie nun rittlings darauf saß. Ihr rechter Fuß streifte das Gestein des Berges, ihr linker hing in der Luft. Die Spalte war so breit, dass ihr schlanker Körper hindurch passte, doch die breiteren Männergestalten ihrer Verfolger würden wahrscheinlich darin stecken bleiben.

 

„Auf das Diebesglück“, flüsterte sie, dann schwang sie auch das rechte Bein über die Kante. Nun hing sie nur noch mit den Händen am Fels. Sie brachte den Körper in leichte Schwingung und streckte die Beine zu den Seiten aus in der Hoffnung irgendwo Halt zu finden. Als sie keine fand, zog sie sich wieder hinauf. Keuchend legte sie den Unterarm über die Felskante, um für einen Moment so zu verharren und zu Luft zu kommen. Wenn sie nicht Hunger litt, war sie flink wie ein Wiigdarong und ebenso agil, doch nicht im Augenblick.

 

Sie hörte die Stimmen und wusste, dass sie gefasst werden würde, wenn sie sich jetzt wieder auf den Fels zurückkämpfte. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was sich unter ihren Füßen befand, hatte sie das Gefühl, dass ihre Chance dort unten größer war.

 

Es war nicht oft, dass ihr Instinkt sie trügte. Leider tat er das heute.

 

Der Sturz war nicht sehr tief, doch der Aufprall so unglücklich, dass ein stechender Schmerz durch ihren rechten Knöchel schoss. Sie musste nicht einmal danach tasten um zu wissen, dass sie ihn gebrochen hatte.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 2370 n. Chr. (Erdstandard)

 

Kira spürte, wie es wärmer wurde, je tiefer sie die in den Fels gehauene Treppe hinunter stiegen. Bareil hatte ihr gerade einmal die Zeit gelassen, dass sie ihre Reisetasche in seinem Zimmer abstellen konnte und sich rasch etwas Bequemeres anziehen konnte, dann hatte er bereits ihre Hand genommen und sie durch die Gänge des Klosters zum Zentrum geführt, um welches herum die Gebäude errichtet worden waren. Ein Gittertor, das aussah, als stünde es bereits seit Anbeginn der Zeit hier, zeigte den Abstieg in den Keller an. Jedoch lediglich visuell, denn es fehlte ein Schloss daran, um einer tatsächlichen abtrennenden Aufgabe gerecht zu werden.

 

Im ersten Moment hatte sie nichts erkennen können, als sie von den beleuchteten Klostergängen in die Dunkelheit des Kellergewölbes hinunter traten. Doch dann hatten sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse angepasst und sie verstand, warum es hier unten kein künstliches Licht gab.

 

„Es ist wunderschön“, hauchte sie, während sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen auf der langen Treppe setzte. Überall in die Wände waren fluoreszierende Kristalle eingelassen, die schwach leuchteten und das Gewölbe in ein kleines Universum für sich verwandelten. Ein Universum mit grünen und blauen Sternen.

 

„Nicht wahr?“ Es war Bareils Stimme anzuhören, dass er sich darüber freute, Kira diese Überraschung zu bereiten. „Wann immer ich die Zeit finde, ziehe ich mich nach hier unten zurück und erfreue mich daran.“

 

Eine Hand fest in derjenigen Bareils hob sie die andere an, um über die spiegelglatte Oberfläche eines der Kristalle zu fahren. Sie hatte in ihrer unbehüteten Jugend nicht besonders viel Schulbildung genossen, doch der Kommandant ihrer Widerstandszelle hatte immerhin darauf bestanden, dass sie sich mit der Natur um sich herum auskannten. So wusste sie, dass diese Kleinode nicht geschliffen waren, sondern dass die Kristallgitter ihrer Moleküle ihnen diese Perfektion nach außen aufzwangen. „Woher nehmen sie das Licht?“

 

„Diese Kristalle halten das Licht bis zu sieben Tagen. Einmal in der Woche kommt einer der Prylaren mit einem Industriescheinwerfer hier herunter um sie wieder aufzuladen.“ Er blieb am untersten Treppenabsatz stehen und wandte sich um. Mit beiden Händen fasste er Kiras Taille und schwang sie um seine Achse herum auf den ebenen Boden. Sie lachte leise über diese gänzlich überflüssige Geste und hielt sich länger an seinen Schultern fest als es notwendig gewesen wäre, um die Balance zu finden. Es tat so gut, einfach nur bei ihm zu sein.

 

„Wie unromantisch.“

 

„Ich vermeide es auch, hier zu sein, wenn dies geschieht“, gestand Bareil. Er löste den Griff von ihrer Taille und fasste wieder ihre Hand. „In den alten Tagen sind Fackelprozessionen hier hindurch gezogen, um die Kristalle aufzuladen, das war sicherlich ein schönerer Anblick.“

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 3576 v. Chr. (Erdstandard)

 

Als sie endlich damit fertig war, jeden zu verfluchen, der ihr einfiel, hatten sich ihre Augen an die Dämmerung in der Felshöhlung gewöhnt. Kristalle in den Wänden gaben ein schwaches Licht ab. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Sie hatte nicht gewusst, dass Steine leuchten konnten. Wenn ihr Knöchel nicht so schmerzen würde, wäre sie noch faszinierter gewesen. Vielleicht konnte man diese Edelsteine irgendwie aus den Wänden brechen. Damit müsste man ein Vermögen machen können. Im Kopf überschlug sie bereits alles, was dafür nötig war. Sie brauchte einen robusten Sack und einen guten Meisel und … Der Schmerz ließ sie zusammenzucken … und erst einmal eine Möglichkeit, hier wieder rauszukommen und den Fuß richten zu lassen.

 

Erfrieren würde sie hier nicht. Die Höhle war überraschend warm, obgleich sie über die Spalte in der Decke einen direkten Zugang zur kalten Außenluft besaß. Was die Wärme hier ausmachte, konnte sie von ihrer Position aus nicht erkennen. Der schwache Schein der Steine erlaubte ihr nur ein paar Meter Sicht.

 

Und dann sah sie noch etwas anderes leuchten: blassgrün und lauernd.

 

„Verdammtes Biest!“, zischte sie durch die Zähne, als die Silhouette des kleinen Räubers sichtbar wurde. Wäre sie gesund und in ihrer vollen Größe aufgerichtet, würde er wahrscheinlich einen Bogen um sie machen, doch so zusammengekauert und verletzt wie sie war, war es lediglich eine Frage der Zeit, bis er angriff.

 

Ihre Hände begannen hektisch den Boden nach möglichen Wurfgeschossen abzusuchen.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 2370 n. Chr. (Erdstandard)

 

 

Kira blickte sich in der Felskammer um. Außer dem Treppenaufgang wirkte hier unten nichts wie von Bajoranerhand gemacht. Es war eine natürliche Höhlung, über der das Kloster erbaut worden war. Die Kristalle fanden sich überall in Wand und Decke wieder und verliehen der Kammer einen warmen, leicht mystischen Glanz. Der Boden wies die typischen Unebenheiten von unbehauenem Fels auf. Er erstreckte sich ein paar Meter in die Kammer hinein, dann wurde er von einem Teich mit leicht milchigem Wasser abgelöst. Die Oberfläche lag nicht ruhig, sondern verwirbelte an etlichen Stellen. Jetzt war Kira auch klar, warum es hier unten so warm war. „Eine thermische Quelle?“, mutmaßte sie.

 

Bareil nickte. „Sie umgibt die Reliquie des Klosters.“ Er deutete mit dem Arm in die Mitte des Sees, wo sich ein Teil des Felsens wie eine kleine Insel erhob. Darauf stand ein künstlicher Sockel, auf dessen oberer Fläche durch die Ritzen eines kleinen Kastens etwas schimmerte.

 

Kiras Augen verfolgten verwundert die zusammenhängende Wasserfläche. „Wie kommt man dorthin? Oder soll die Reliquie nicht erreicht werden?“

 

Bareil deutete auf ein kleines Floß, das am Ufer kaum auffiel. „Ich bevorzuge jedoch, dorthin zu schwimmen. Das Wasser ist eine Wohltat für Körper und Pagh.“ Er führte sie zum Ufer hinüber. „Komm.“

 

Kiras Augen wurden noch größer als gewöhnlich, als Bareil sich daran machte, den Verschluss seiner Robe zu lösen. „Was? Hier und jetzt?“

 

Er hob die Augenbrauen, sichtlich unbeeindruckt von irgendwelchen Darstellungen falscher Scham. „Wann und wo sonst?“

 

Kira trat an seine Seite. Ihre Stiefelspitzen wollten kleine Steinchen in den See kicken, um ihre Verlegenheit zu kanalisieren, doch auch das kam ihr nicht richtig vor. „Ist das nicht … blasphemisch?“ Die unorthodoxe Art des Vedeks machte ihr manches Mal immer noch zu schaffen.

 

„Warum sollte es?“ Er hatte seine Kleidung abgelegt und stieg in das Wasser. Er schloss genießerisch die Augen, als das warme Wasser ihn umfing.

 

Kira seufzte. Dieser Mann würde ihr ein ewiges Rätsel bleiben. Und vielleicht war das auch gut so, es würde den Alltag aus ihrer Beziehung ausschließen. Ein Rest von ungutem Gefühl blieb, als sie sich bückte, um sich ebenfalls ihrer Sachen zu entledigen. Doch der verflüchtigte sich rasch, als auch sie sich dem warmen Wasser übergab. Der wohltuende Effekt auf ihre Muskeln war augenblicklich zu spüren. Der Mineral- und Feinpartikelgehalt musste sehr hoch sein. Sie hatte das Gefühl, in ein sanftes Körperpeeling einzutauchen. „Oh, sehr angenehm.“ Sie schloss ebenfalls die Augen.

 

„Ich freue mich, dass es dir gefällt.“ Seine Stimme erklang direkt an ihrem Ohr, sanft und tief. Ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper, als er sie in seine Arme nahm. Die Gedanken, die sich ihr unweigerlich aufdrängten, waren völlig unpassend für eine Reliquienkammer.

 

„Das ist es also, was ihr macht, wenn ihr sagt, ihr zieht euch zur Kontemplation zurück“, grinste sie. „Wellness-Wochenende.“

 

„Erwischt“, lachte er sie an. „Aber sag es bloß nicht weiter.“ Er nahm abermals ihre Hand und zog sie in Richtung der kleinen Insel. Die meiste Zeit über konnten ihre Füße den Boden berühren, lediglich der Bereich  direkt um die Insel herum fiel tiefer ab, so dass sie ein paar Züge schwimmen mussten, um dorthin zu gelangen.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 3576 v. Chr. (Erdstandard)

 

Sie hatte einen kleinen Haufen Steine neben sich aufgehäuft, von denen sie immer mal wieder einen nach den Augen warf, wenn sie ihr zu nah kamen. Sie wünschte sich fast, die Häscher würden sie doch hier finden, bevor der Vorrat zu Neige ging. Was immer ihr als Strafe bevorstand, konnte nicht so unangenehm sein wie von einem Raubtier angegriffen zu werden. Sie hatte es bereits mit Rufen versucht, doch anscheinend waren die Männer bereits weiter gezogen, denn es hatte sich niemand an der Spalte sehen lassen. Diese befand sich genau über ihr und aus ihrer Position konnte sie leider zu gut erkennen, dass es sich um einen Deckenriss handelte, der an keiner Seite mit einer Wand verbunden war, die man eventuell hätte erklimmen können, wenn man denn nicht einen gebrochenen Knöchel gehabt hätte.

 

Es musste noch einen weiteren Ausgang hier geben, und den musste sie finden. Das blöde Vieh, das sie die ganze Zeit umkreiste, musste ja auch irgendwie in diese Höhle gelangt sein. Sie stockte in ihren Überlegungen. Ihr Blick glitt abermals zur Decke hinauf. Wenn sie großes Pech hatte, dann war das Raubtier ebenfalls durch den Spalt gestürzt. Das würde nicht nur bedeuten, dass sie hier in der Falle saß, sondern auch, dass es wahrscheinlich ziemlich hungrig war und daher weniger furchtsam als ein gut genährtes Exemplar.

 

„Verdammtes Paktan-Loch!“ Sie warf den nächsten Stein. Ein Aufjaulen zeigte ihr, dass sie getroffen hatte. Für ein paar Minuten würde sie Ruhe haben.

 

Sie konnte hier nicht sitzen bleiben, sie musste etwas tun, um ihre Situation zu verbessern. Die Steine sammelte sie in ihre Rocktaschen, dann robbte sie rückwärts auf dem Hintern los. Da sie nicht wusste, wie es hier aussah, war die Richtung erst einmal gleichgültig. Ihr Ziel war es, eine Wand zu erreichen und sich dann daran entlang zu ziehen. Auf der einen Seite hätte sie dann wenigstens im Rücken Deckung vor dem Raubtier, auf der anderen Seite musste sich ein möglicher Ausgang an einer der Wände befinden.

 

Sie war gerade erst ein paar Meter weit gekommen, als sie sich auf etwas Spitzes setzte. Mit erneutem Fluchen rutschte sie beiseite und betastete den Boden. Einer der schimmernden Edelsteine war dort so vergraben, dass nur die bläuliche Spitze heraus schaute. Obwohl es in ihrer Situation von letzter Priorität hätte sein sollen, übernahm automatisch ihre Diebesseele. Sie vergaß für einen Moment, dass ihr Knöchel gebrochen war, dass sie von einem hungrigen Raubtier bedroht wurde und dass ihr erster Gedanke ihrer Rettung gelten sollte. Gierig begannen ihre Finger zu graben, während sie sich ausmalte, was sie sich für den Verkauf dieses Steins Gutes zum Essen erstehen konnte. Sie wettete, dass dafür mehrere üppige Malzeiten mit Bier und Nachtisch raussprangen.

 

Verwundert stellte sie fest, dass das Leuchten zunahm, je weiter sie den Stein ausgrub. Er wirkte nun heller als diejenigen an den Wänden. Als sie ihn mit beiden Händen umfasste, um ihn das restliche Stück herauszuziehen, hörte sie das Fauchen. In ihrer Gier hatte sie vollkommen vergessen, in welcher Gefahr sie sich eigentlich befand.

 

Das Tier setzte zum Sprung an und sie riss den Stein nach vorne. Das gleißende Licht, das sich nun in die Höhle ergoss, erschreckte beide gleichermaßen. Sie ließ den Stein fallen und das Tier zog sich winselnd an die hintere Wand zurück. Jetzt konnte sie auch erkennen, dass sich dort tatsächlich knapp über dem Boden ein kleiner Durchgang befand, jedoch viel zu schmal für einen bajoranischen Körper, selbst wenn er so zierlich und ausgemergelt wie der Ihre war. Das Raubtier quetschte sich jedoch hindurch und suchte sein Heil in der Flucht.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 2370 n. Chr. (Erdstandard)

 

Bareil zog sich auf die kleine Felsinsel hinauf und beugte sich zu Kira hinunter, um ihr aus dem Wasser zu helfen. Als sie neben ihm stand, hob er die Hand, um den kleinen Kasten auf dem Sockel zu öffnen.

 

Das sanfte Licht der Propheten erstrahlte über der trübschäumenden Oberfläche des Sees.

 

„Ihr habt hier eine Träne?“, hauchte Kira ehrfurchtsvoll. „Ich wusste gar nicht …“

 

„Nur einen Splitter. Die namenlose Gläubige, der dieses Kloster gewidmet ist, hat ihn in der Höhle gefunden, als sie auf ihrem Pilgerweg durch das Gebirge hier Schutz vor wilden Tieren gesucht hat. Ihr war sofort klar, welchen geistigen Schatz sie in Händen hielt. Er datiert mit ziemlicher Sicherheit vor die Entdeckung der ersten Träne und dürfte höchstwahrscheinlich der erste direkte Kontakt mit den Propheten gewesen sein.“ Bareil betrachtete den leuchtenden Splitter ebenfalls mit großem Respekt. „Unser Glauben hatte damals erst begonnen. Es gab noch nicht viele Bajoraner, welche die Zeichen der Propheten verstanden und weitergeben konnten. Dieses Kloster war ein erster Schritt aus der Dunkelheit unserer Vorfahren mit ihren ständigen Grenzkriegen, dank der Hingabe einer jungen Frau.“ Er lächelte gedankenverloren. „Manches Mal wünschte ich mir, ich hätte in dieser Zeit des Aufbruchs leben können.“

 

Kira wandte sich ihm zu und streichelte ihm über seinen prägnanten Kieferknochen. „Dann hätten wir uns um sechstausend Jahre verpasst.“

 

Er nahm den Blick von dem Splitter, um sie liebevoll zu betrachten. Er legte ihr ebenfalls die Hand an die Wange. „Wenn ich damals gelebt hätte, hättest du das auch, denn die Propheten haben uns füreinander vorgesehen.“

 

Einmal mehr war Kira davon fasziniert, wie sicher er in ihrer Beziehung war. Er nahm mit Leichtigkeit all ihre Zweifel auf und ließ sie durch seine Gewissheit einfach verpuffen.

 

„Möchtest du gerne meditieren?“

 

Kira nickte, dann blickte sie jedoch an sich hinab. Nackt und nass stand sie vor der Verbindung der Propheten mit ihrem Volk. Es erschien ihr unpassend. „Aber ich …“ Sie gestikulierte an sich hinunter.

 

Bareil lachte leise. „Nerys, die Propheten achten nicht auf unser Äußeres. Nichts könnte ihnen gleichgültiger sein. Sie sehen nur unser Pagh.“ Er streichelte sie noch einmal aufmunternd. „Soll ich beiseitetreten, damit du deine Privatsphäre hast?“ Er deutete auf den See.

 

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich fände es schön, wenn du bei mir bist.“

 

Er trat hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schultern. Kira hob den Blick, bis sie direkt in den Splitter blickte, und öffnete ihren Geist.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 3576 v. Chr. (Erdstandard)

 

Sie wusste nicht, wie lange sie bereits her gelegen hatte. Der Schmerz in ihrem Knöchel war schlimmer geworden und der Durst stärker. Sie war zu der thermischen Quelle hinüber gerobbt, die nun im Licht des seltsamen Kristalls deutlich sichtbar war. Doch den ersten Schluck hatte sie bereits wieder ausgespuckt. Das mineralische Wasser war ungenießbar.

 

Die Begeisterung, die sie im ersten Moment beim Anblick des leuchtenden Kristalls empfunden hatte, war verflogen. Was nützte ihr ein Reichtum versprechender Fund, wenn sie hier unten elend verreckte?

 

In ihrer Wut über das Schicksal hatte sie damit begonnen, Steine in das Wasser zu werfen. Es half nicht gegen ihren Durst, aber ein wenig gegen den Zorn. Sie hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, den leuchtenden Kristall in den unterirdischen See zu werfen. Irgendwie gab sie ihm die Schuld an ihrer Lage. Doch noch war der Impuls ihres Herzens zu stark, noch hatte sie die Hoffnung, das Teil irgendwie zu Geld machen zu können. So lag der Kristall immer noch dort, wo sie ihn vorher hatte fallen lassen, und strahlte sein Licht aus. Sie konnte sich nicht vorstellen, wo es herkam, natürlich erschien es ihr nicht.

 

Und dann hörte sie die Stimmen. Erschrocken rappelte sie sich auf und kroch vom Seeufer zum Kristall zurück. Sie legte den Kopf, um nach oben zur Spalte zu sehen. Doch das Licht neben ihr war zu hell, um gegen den Himmel, auf dem mittlerweile die Nacht Einzug gehalten hatte, etwas zu erkennen.

 

„Es kommt von da unten!“, hörte sie nun deutlich eine männliche Stimme.

 

Im ersten Moment war sie verwundert, da sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr um Hilfe gerufen hatte, dann jedoch ging ihr auf, dass das Licht des Kristalls wahrscheinlich über die Spalte hinaus strahlte. Die Männer waren nicht wegen ihr hier, sondern wegen dem Edelstein. Sie griff nach dem Kristall und verbarg ihn in den Falten ihres Rocks. Augenblicklich wurde es wieder dämmrig in der Höhle.

 

„Es ist weg …!“

 

„Helft mir raus!“, rief sie mit kratziger Stimme.

 

„Da ist jemand!“

 

„Holt ein Seil!“

 

Das Geräusch des aufklatschenden Seilendes klang wie Musik in ihren Ohren. Den Kristall an sich gedrückt, schob sie sich hinüber, bis sie das Seilende packen konnte. Hinaufklettern konnte sie mit ihrem kaputten Bein nicht, so knotete sie es sich um die Taille und hielt sich fest. „Zieht mich rauf!“

 

Es ruckte, dann wurde sie in die Höhe gehoben und näherte sich der Felsspalte. Oben griffen starke Arme nach ihr und hoben sie über die Kante auf den festen Untergrund.

 

Eine Gruppe von Männern starrte sie an. Sie verzog das Gesicht, als sie darunter auch zwei von denjenigen erkannte, die sie früher am Tag verfolgt hatten.

 

„Du bist doch die Diebin! Packt sie!“

 

Wegrennen konnte sie nicht, und so zog sie den Kristall aus ihrer Rocktasche und hielt ihn demonstrativ über die Felsspalte. Augenblicklich strahlte das blaue Licht wieder auf. Die Männer schlugen im ersten Moment die Hände vor die geblendeten Augen.

 

„Ihr krümmt mir ein Haar und ich schmeiß das Ding wieder runter.“ Sie musterte die Gruppe von gestandenen Männern, die nicht durch die schmale Spalte passen würden. „Da unten ist ein See, dadrin versinkt es dann.“

 

„Nicht!“, rief eine zitternde Stimme. Einer der Männer trat vor. An dem komischen Zeug, das er anhatte, erkannte sie ihn als einen der Gefolgsleute des neuen Kults, der in den größeren Städten in Mode kam. „Tut ihr nichts! Das ist ein Zeichen der Propheten. Sie haben sich dieser sündigen Hülle bedient, um mit uns in Kontakt zu treten.“

 

Sie warf ihm einen giftigen Blick ob dieser Bezeichnung zu, doch sie hätte sich nicht so lange durchgeschlagen, wenn sie nicht eine Chance erkannte, wenn sich diese ihr bot.

 

„Ganz genau!“, ereiferte sie sich sofort. „Das da ist ein … Dings … ein … Zeugs von diesen Propheten.“ Sie betrachtete den Kristall und fragte sich, wie jemand, der bei rechtem Verstand war, einen Edelstein anbeten würde, aber es sollte ihr gleichgültig sein, wenn es sie hier heil herausbringen konnte. „Die wollten mir helfen, weil ich mir das Bein gebrochen habe.“ Sie zog den Kristall wieder an sich heran, das Leuchten wurde schwächer und sämtliche Augen folgten ihrer Bewegung. „Wenn mir ein Heiler den Fuß wieder richtet und ich was Anständiges für ne Woche zu essen bekomme – ohne Bezahlung natürlich – kriegt ihr das Teil.“

 

„Das ist …“

 

Der Kultist unterbrach den Mann, der sich über die Frechheit der Diebin aufregen wollte. „Das geht in Ordnung. Du bist von den Propheten berührt worden, das werden wir natürlich akzeptieren. Wir werden dich versorgen und dann bist du frei zu gehen.“ Er wies die Männer an, die Verletzte aufzunehmen und einigermaßen bequem den Berg hinab zu tragen.

 

Sie drückte den Kristall, der ihr unverhofft das Leben gerettet hatte, an sich und konnte es sich nicht verkneifen, demjenigen, der sie bestrafen wollte, die Zunge rauszustrecken.

 

 

 

TABKAN-GEBIRGE, 2370 n. Chr. (Erdstandard)

 

Kira senkte langsam den Kopf. Wider erwarten hatte sie keine persönliche Vision gehabt, sondern einen überraschenden Blick in die Vergangenheit. Immer noch spürte sie Bareils Hände auf ihren Schultern. Sie wandte sich in ihrem Griff um. Sein Blick ruhte auf ihr. Er würde sie nie nach einer Vision fragen, doch er würde da sein, wenn sie darüber sprechen wollte. Sie hob ihre Arme, um nun ihrerseits seine Schultern zu berühren.

 

„Antos“, begann sie ein wenig gedehnt. Ihr Mundwinkel zuckte, als sie an die Geschichten über die fromme Frau dachte, die dieses Kloster als Dank an die Propheten gegründet haben sollte. „Was diese fromme Pilgerin angeht … Ich glaube, wir müssen reden …“

 

 

 

Ende

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