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Sturm 9.13 - Unter fremden Sternen

von Gabi

II - Über steilen Fels und strömende Wasser

Dax blieb einen sicheren Abstand von eineinhalb Metern vom Absturz entfernt stehen. Sie beugte den Oberkörper vor, um die Beschaffenheit der Schluchtwand einsehen zu können. Aber solange sie ihre Füße nicht weiter nach vorne bewegte, wollte ihr das nicht gelingen. „Sag, dass wir nicht dort hinüber müssen“, verlangte sie von Bashir, auch wenn sie die Antwort bereits kannte.

 

Der Mediziner blickte den Schluchtverlauf entlang. Von ihrem Standort aus wirkte es nicht so, als ob in unmittelbarer Nähe eine Änderung dieses geologischen Bruchs zu erwarten war. Zu mächtig war die Spalte, die sich hier im Gestein gebildet hatte. „Unser Ziel liegt definitiv auf der anderen Seite.“

 

„Meinst du, es hat einen Sinn, eine Zeitlang an dem Canyon entlang zu gehen?“, fragte Gaheris, der seinen Blick bereits wieder auf die Tricorderanzeige geheftet hatte. Er versuchte, durch Extrapolation eine möglichst authentische Darstellung der Geologie zu erhalten. „Auf eine Brücke können wir sicherlich nicht hoffen.“

 

„Der Planet ist unbewohnt“, erklärte Dax, die dennoch hoffnungsvoll den Hals abwechselnd in beide Richtungen reckte.

 

„Genau.“

 

„Wir können ein wenig zu beiden Seiten entlang gehen“, gestand Bashir zu. „Aber lediglich, um die beste Stelle für einen Abstieg zu finden. Wenn wir die drei Tage einhalten wollen, dann können wir uns keine kilometerlangen Umwege leisten.“

 

„Vor allem nicht, wenn sie im zweistelligen Bereich liegen“, bemerkte Gaheris. „Die Extrapolation zeigt, dass die Schlucht höchstwahrscheinlich das gesamte Plateau durchzieht.“

 

„Aber wenn wir da runter und wieder rauf klettern müssen, kostet uns das vielleicht noch mehr Zeit?“, gab Dax mit schwacher Hoffnung zu bedenken.

 

„Ach, runter geht recht rasch.“ Gaheris warf ihr einen neckischen Blick zu.

 

Das brachte ihm einen sanften Stoß mit Dax‘ Stiefelspitze ein.

 

„Verdammt!“, fluchte die Trill. „Jadzia ist nicht schwindelfrei.“

 

Bashir blickte sie irritiert an. „Du bist Ezri.“

 

„Sag das mal meinem Magen.“ Die Trill versuchte immer noch, den Absturz zu erkennen, ohne ihn dabei wirklich anzusehen.

 

„War unter deinen Wirten kein Extremsportler oder Bergsteiger?“ Gaheris war in die Hocke gegangen und schob sich vorsichtig an die Abbruchkante vor, um hinab zu spähen.

 

„Da kann ich leider nur eine gänzlich bodengebundene Gymnastiktänzerin bieten.“ Dax tat einen mutigen Schritt vor.

 

Bashir seinerseits hatte sich auf den Bauch gelegt. Sein Kopf ragte in die Schlucht hinaus, wo er sich die Beschaffenheit der diesseitigen Wand genauer ansehen konnte. Der Fels besaß die dunkle, kantige Beschaffenheit von Eruptivgestein, war dadurch an manchen Stellen sehr glatt, an anderen mit einer Vielzahl von Vorsprüngen durchsetzt.

 

„Und?“, hakte Dax nach, nachdem die beiden Männer sich ein paar Minuten schweigend umgesehen hatten. „Gibt es eine bequeme Treppe nach unten?“

 

„Unten, ja; Treppe, nein; bequem, nein“, informierte Gaheris sie.

 

„Von deinem Optimismus können ganze Völkerscharen profitieren“, maulte Dax.

 

Bashir erhob sich wieder auf die Knie. „Lasst uns hundert Meter da entlang gehen.“ Er zeigte auf den linksseitigen Verlauf der Schlucht. „Ich glaube, da sieht es etwas besser aus.“

 

Sie schulterten wieder ihre Rucksäcke und marschierten im Gänsemarsch vorsichtig in die angegebene Richtung, sorgfältig darauf achtend, wohin sie ihre Füße setzten. Das Gras wuchs bis fast an die Abbruchkante heran und machte den Bereich für Wanderer in seiner Unübersichtlichkeit tückisch.

 

Zwar wurde nach der angedachten Entfernung der Wandverlauf für Dax‘ Empfinden kein bisschen sympathischer, doch  Bashir nickte zufrieden. „Wenn wir uns hier circa zehn Meter abseilen, hat es da unten eine Formation, der wir einen Teil des Abstiegs folgen können. Das sieht machbar aus.“

 

Dax hielt sich mit beiden Händen an Bashirs Oberarm fest und beugte sich so mutig wie möglich nach vorne. Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Wenn du das meinst …?“ Sie wirkte hin und her gerissen zwischen dem Vertrauen in ihren Freund und ihrer Höhenangst, oder besser gesagt Jadzias Höhenangst.

 

Gaheris hatte seinen Rucksack bereits abgenommen und kramte Seile und Haken hervor. „Geheuer ist mir das auch nicht, aber ich fürchte, eine große Wahl haben wir nicht, wenn wir nicht nach einem halben Tag bereits aufgeben wollen.“

 

„Auf keinen Fall“, versicherte Bashir. Er legte seinerseits alles auf der Erde ab, was ihnen beim Abstieg behilflich sein könnte. „Wir haben die Klettereinheiten im Training gehabt. Wir können das in der Theorie, wir müssen es nur in die Praxis umsetzen. Ezri, das schaffst du!“

 

Die Unterlippe wanderte unter den Zähnen von links nach rechts und wieder zurück. „Augen zu und durch?“

 

„Offene Augen wären für den Abstieg vorzuziehen“, bemerkteBashir, „aber wir kriegen das auch mit geschlossenen hin.“ Er begann, den Klettergurt anzulegen, und die Bremsleine zu befestigen. „Ich geh vor, dann kommst du, und Peter sichert nach oben, okay?“

 

Dax kramte nun ebenfalls ihre Kletterausrüstung hervor. „Normalerweise bin ich ja strikt gegen dieses weibliches-Teammitglied-bekommt-Sonderbehandlung-Zeugs“, erklärte sie seufzend. „Aber dieses Mal werdet ihr von mir keine Beschwerde zu hören bekommen.“ Sie stieg in den Gurt und ließ sich von Bashir die Sicherungsleine anlegen. „Hältst du mich auf, wenn ich stürze?“

 

Die Frage war ihr Versuch eines galgenhumorigen Scherzes, doch Bashirs felsenfeste Versicherung, dass dem so sei, ließ sie in ihrem Tun innehalten. Der dunkelhaarige Mediziner hatte in seinem jungen Leben bereits zu viel erlebt, um sich zu nichtigen Versprechen hinreißen zu lassen. Für einen Moment hielten sie ihre Blicke gefangen. Bashir würde sie festhalten, wenn sie ins Straucheln geraten sollte. Seine Hand-Augen-Koordination war weitaus besser als bei jedem anderen Menschen, seine Reflexe schneller.

 

„Danke“, hauchte sie. Sie brach den Blickkontakt und wandte sich ein wenig verlegen an den neben ihnen stehenden Gaheris. „Es tut mir leid, dass ich so einen Wirbel verursache. Ich wusste bis vorhin nicht einmal, dass ich Höhenangst habe …“

 

„Mach dir keinen Kopf“, versicherte der Wissenschaftler grinsend. Auch er war abstiegsbereit und hatte den Rucksack bereits wieder aufgeschnallt. Er wedelte mit der Linken in Richtung seiner beiden Kollegen, die immer noch nah beieinander standen. „Und jetzt küsst euch endlich, ich schau auch weg. Das hält ja keiner aus, ihr Unromantiker!“

 

Bashir bedachte ihn mit einem Blick unter hochgezogenen Brauen, Dax ihrerseits wirkte fast ein wenig mädchenhaft, als sie sich wieder zu ihrem Partner umdrehte. Mit einem Kopfschütteln, das jedoch gänzlich Gaheris galt, beugte der Arzt sich vor, um die Trill zu küssen. „Hals- und Beinbruch, Ezri. Wir sind unten, ehe du es dich versiehst.“

 

„Krieg ich auch noch einen Kuss zur Aufmunterung, Julian?“ Gaheris grinste, als die beiden sich wieder voneinander lösten.

 

„Ich werde es niemals begreifen, wie ein solch seriöser Mann wie Sarius Haznar sich mit einem solchen Spinner einlassen konnte!“, erklärte Bashir seufzend.

 

„Das heißt wohl, kein Kuss.“ Gaheris zuckte mit den Achseln und zwinkerte Dax zu.

 

Sie wusste genau, warum er das tat, und sie war ihm dankbar dafür. Mit seiner jungenhaft anmutenden Verrücktheit hatte er es bereits des Öfteren geschafft, sie aus dunklen Gedanken herauszureißen. Ihrerseits begriff Dax sehr gut, warum ein seriöser Mann ihn gerne an seiner Seite hatte.

 

„Los geht’s!“ Bashir warf den anderen beiden das Sicherungsseil zu. „Festhalten, bis ich den Fels erreiche.“

 

Gaheris und Dax nickten sich zu, schlangen sich das Ende jeweils um die Hüfte und zweimal um die Handrücken. Dann packten sie mit allen vier Händen das Seil und traten etwa zehn Schritte vom Abgrund auf den sicheren Grund des Graslands zurück.

 

„Okay!“, rief Dax dem Arzt zu.

 

Bashir lehnte sich versuchsweise mit dem gesamten Gewicht gegen das Seil. Dax und Gaheris wurden eineinhalb Schritte nach vorne gezogen, bis sie den Zug mit ihrer Körperhaltung ausbalanciert hatten.

 

„Höchstens eine Minute!“, rief Gaheris, dem die Oberarme bereits von der Anstrengung zu brennen begannen.

 

Bashir lachte. „So lang brauch ich nicht.“ Damit ließ er sich über den Rand hinab. Die hohen Grashalme verbargen seine Gestalt rasch vor der Sicht der anderen.

 

Die beiden Offiziere stemmten die Stiefelabsätze in den Erdboden, wo sie bereits eine beachtliche Pflugspur hinterlassen hatten, und spannten die Oberarme noch stärker an. Gaheris schenkte Dax ein angestrengtes Lächeln zur Aufmunterung, was die Trill in der gleichen Art erwiderte. Sie konnten von Glück sagen, dass mit Julian Bashir ein Mann am anderen Ende des Seils hing, der beim besten Willen kein Gramm zu viel auf den Rippen hatte.

 

In der Tat dauerte es nicht lange, bis der Zug merklich nachließ.

 

„Ihr könnt loslassen!“, hörten sie seine Stimme durch Gras und Schluchtkante gedämpft herauf klingen.

 

„Sicher?“, hakte Dax sicherheitshalber nach, noch unwillig, das Seil loszulassen.

 

„Sicher!“ Ein leises Lachen war zu vernehmen.

 

Nahezu simultan schüttelten Dax und Gaheris ihre Beine aus, um die Anspannung daraus zu vertreiben. Dann liefen sie zur Kante zurück. Bashir winkte ihnen von einem halben Meter weiter unten zu. Der Haltebolzen war sicher im Gestein verankert. Der Arzt hatte die Füße an der Wand aufgesetzt, hielt sich mit einer Hand am Seil und winkte mit der anderen hinauf. „Wirf mir deine Bremsleine runter, Ezri. Ich verhak sie im Seil. Dann kann Peter dir nachher beim Runterlassen helfen. Du musst dann nur die Leine verkürzen, wenn du am Seil bist.“

 

Dax nickte ergeben, nestelte das eine Ende besagter Leine von ihrem Gurt los und warf es Bashir zu. Der hakte den Mechanismus ein, der im Fall eines plötzlichen Abrutschens die Bremsleine arretieren würde, so dass der Abseilende zwar einen schmerzhaften Ruck verspürte, jedoch keinen bodenlosen Sturz mit fatalen Folgen zu erwarten hatte.

 

Als die Öse zu seiner Zufriedenheit saß, reckte er den Daumen und begann mit dem eigenen Abstieg. Gaheris und Dax knieten am Rand und sahen ihm nach, wie er sich leicht federnd nach unten bewegte.

 

„Das sieht bei ihm ziemlich einfach aus“, bemerkte Gaheris mit einer gewissen Bewunderung in der Stimme. „Ich wette, ich krach gleich wie ein nasser Sack runter.“

 

Trotz ihrer Aufregung musste Dax lachen. In den Kletterübungen, die sie unter der Aufsicht von Commander Benteen in der Holosuite durchgeführt hatten, war es in der Tat so gewesen, dass Bashir sich immer recht geschickt angestellt hatte, Gaheris hingegen mehr durch Enthusiasmus denn durch Können geglänzt hatte.

 

„Okay, ich bin dran“, erklärte sie schließlich gottergeben, als Bashir auf der Felsformation angekommen war und sich ausgehakt hatte. Sie kniete sich nieder, wandte Gaheris das Gesicht zu, und rutschte dann vorsichtig nach hinten, bis ihre Füße keinen festen Grund mehr unter sich spürten. „Halt mich bloß fest, Peter. Halt mich bloß fest!“ Sie streckte ihre Hände nach ihrem Kollegen aus, damit dieser ihr über den halben Meter bis zum Abseilpunkt helfen konnte.

 

„Dich halt ich mit links. Du wiegst ja schier nichts“, entgegnete der Angesprochene im Versuch einer Aufmunterung.

 

Dax zog lediglich die Stirn in kleine Furchen. „Mit rechts und links wäre mir entschieden lieber.“

 

Es dauerte lange, bis Dax endlich wagte, eine von Gaheris‘ Händen loszulassen, und nach dem Seil zu greifen, das sie bereits mit beiden Stiefeln eingeklemmt hatte, um einen Halt zu bekommen. Die zweite Hand umfasste noch ein wenig länger diejenige des Wissenschaftlers, unwillig, sich alleine ihrer eigenen Fertigkeit anzuvertrauen. Doch schließlich ließ sie los, nur um ruckartig das Seil zu umklammern. Eine Zeit lang hing sie wie ein Affe am oberen Ende des Seils, ihre Muskeln zu verkrampft, um Finger oder Füße von ihren derzeitigen Positionen zu lösen.

 

„Falls du die Nacht nicht in der Wand verbringen möchtest, solltest du mit dem Abstieg beginnen“, klang Gaheris‘ Stimme sanft an ihr Ohr. „Vorher würde ich dich jedoch noch bitten, meine Bremsleine einzuhaken.“

 

Das brachte die Trill in das Hier und Jetzt zurück. „Natürlich, … tut mir leid …“ Sie blickte auf, wo die besagte Leine bereits neben ihrer Hand baumelte. Ohne die gesamte Hand vom Seil zu lösen, angelte sie mit Zeige- und Mittelfinger danach, und brachte es irgendwie fertig, den Mechanismus mit verkrampften Händen einzuhaken.

 

Gaheris zog mit heftigem Ruck an der Bremsleine, um sicherzugehen, dass die Trill nicht vor lauter Nervosität seine eigene Sicherheit gefährdete. Doch der Mechanismus zog sich zu und das Seil saß straff.

 

Dax zögerte noch einen Moment und hob dann noch einmal den Kopf. „Wie kommst du denn gleich ohne Hilfe ans Seil?“

 

Wenn Gaheris da seine Zweifel hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Sein zuversichtliches Lächeln riss nicht ab, als er erwiderte: „Ausgesprochen unelegant und laut fluchend.“

 

„Du hast was gut bei mir“, erklärte Dax.

 

„Du beschützt mich dafür dann, wenn wir bösartigen Pilzen begegnen, die meine Fungiphobie in ungeahnte Höhen treiben.“

 

„Deine was?“

 

„Alles klar?!“, rief Bashir von unten und lenkte Dax‘ verdutzte Gedanken für einen Moment ab. „Füße an die Wand und los!“

 

Sie kniff die Augen zusammen und wagte es endlich, die Verklammerung der Füße zu lösen. Prompt rutschte sie ein paar Zentimeter am Seil ab, doch sie widerstand dem Drang, mit den Beinen zu strampeln. Sie versuchte sich vorzustellen, dass sie sich in der Holosuite befand. In den Trainingseinheiten dort hatte sie nie Probleme gehabt. Wahrscheinlich lag das daran, dass ihr Magen dort wusste, wie hoch der Raum in Wirklichkeit lediglich war, und dass Sicherheitsprotokolle existierten. Also hielt sie die Augen weiterhin geschlossen, visualisierte sich in die Holosuite, und winkelte die Beine an. Sie bekam den Fels unter den Sohlen zu spüren und drückte sie dagegen. Vorsichtig setzte sie immer wieder einen Fuß unter den anderen, während ihre Hände am Seil nachfassten.

 

Das ging ein paar Meter gut, bis ihr nachsetzender Fuß ins Leere trat. Verwirrt öffnete sie nun doch die Augen, erkannte, dass sie mittlerweile beinahe seitlich zur Felswand hing, und wollte sich mit einem Lufttreten des freien Fußes wieder in ihre ursprüngliche Position bringen. Leider erzielte das die gegenteilige Wirkung. Sie geriet nun vollends ins Trudeln und begann sich am Seil um ihre Längsachse zu drehen. Zwar war der Schwung nur langsam, der Aufprall ihrer Rückseite auf der Felswand dennoch mit einiger Wucht unterlegt.

 

Der Rucksack fing den Großteil ab, jedoch pflanzte sich die Vibration über den gesamten Körper bis in die Hände fort. Sie verkrampfte diese um das Seil, um ja nicht loszulassen.

 

Erst allmählich kamen ihr Körper und ihre Nerven wieder zur Ruhe. Nun endlich realisierte sie auch Bashirs Rufe, die bislang wie durch Watte an ihr Ohr gedrungen waren. Sie klangen tröstlich nahe.

 

„Lass dich einfach rutschen, Ezri!“

 

Die Trill wagte nun endlich den Blick nach unten, den sie aufgrund ihrer eingebildeten Höhenangst bislang vermieden hatte.

 

Überraschenderweise hing sie gerade einmal zweieinhalb Meter über dem schmalen Plateau, auf dem Bashir stand.

 

Der Arzt hatte seine Arme nach oben gestreckt und konnte beinahe ihre Fußspitzen berühren.

 

Mit einem erfreuten Glucksen lockerte Dax den Griff der Hände und ließ sich den Rest am Seil nach unten gleiten, wo Bashir sie auffing.

 

„Na, war doch gar nicht so schlimm“, begrüßte ihr Freund sie und strich ihr das Haar aus der Stirn.

 

Dax drückte ihn erleichtert an sich. „Wird aber ganz bestimmt nicht zu meinem neuen Hobby.“

 

Dann blickten beide nach oben. „Okay, Peter, du kannst kommen!“

 

Sie beobachteten, wie sich die Beine des Wissenschaftlers rückwärts über den Rand schoben. Die Füße tasteten hin und her, um das Seil zu finden, während sich die Hände wahrscheinlich nur noch an den wenig Sicherheit versprechenden Grashalmen hielten.

 

Dax hielt den Atem an, als ihr Kollege für einen Moment zu stürzen drohte, doch dann hatte auch er das Seil gepackt und rutschte langsam daran herab. Gaheris hatte recht, er hatte von hier unten tatsächlich frappierende Ähnlichkeit mit einem nassen Sack. Doch Dax war sich sicher, dass sie kein bisschen eleganter gewirkt hatte.

 

Als auch der Wissenschaftsoffizier wohlbehalten neben ihnen stand, betätigte die Fernbedienung, welche den Haken wieder aus der Wand löste. Nach einem kurzen Ruck am Seil, stürzte die Vorrichtung ihnen entgegen und wurde aufgefangen und aufgerollt.

 

„Benteen hat sich den Weg vorher angesehen“, entschied Bashir, „sonst hätte sie uns nicht diese Ausrüstung mitgegeben.“ Er reichte das Seil an seine Klettergefährten weiter, von denen es jeder in seinem Gurt einhängte, so dass sie beim weiteren Abstieg miteinander verbunden waren. „Und das heißt, dass wir auf unserer Tour nicht auf unlösbare Aufgaben treffen werden“, folgerte er weiter. „Also, Kopf hoch! Hier begegnet uns nichts, das wir nicht bewältigen können.“

 

„Falsch“, erklärte Gaheris mit einem Grinsen. „Hier begegnet uns nichts, von dem Benteen nicht der Meinung ist, dass wir es bewältigen können sollten. Kleiner Unterschied.“

 

Dax, deren gute Laune nach der Luftakrobatik wieder zurückgekehrt war, boxte ihm spielerisch in den Oberarm. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ihre Ansicht zu deinen Durchhaltefähigkeiten besser ist als deine eigene?“

 

„Auch wieder wahr“, gestand der Wissenschaftler ein. Er presste sich gegen die Felswand, um Dax den Vortritt zu lassen.

 

Bashir hatte sich bereits daran gemacht, die säulenartigen Formationen hinunter zu klettern. Die Trill folgte ihm, und wie zuvor bildete Gaheris den Schluss. Es war in der Tat nun um einiges einfacher weiterzukommen. Sie bewegten sich in sanft abfallenden Diagonalen in der Wand vorwärts, wobei sie die Säulenformationen wie eine sehr unregelmäßige Treppe verwenden konnten.

 

„Sag mal.“ Dax ließ sich vorsichtig einen zwei-Meter-Abstand hinunter. „War das vorhin dein Ernst mit der Fungiphobie?“

 

Gaheris lachte leise. Er sprang den Absatz hinunter, sobald Dax ihn freigegeben hatte. Im Gegensatz zur Trill litt er nicht unter Höhenangst, so dass er den Abstieg mit Blick nach vorne angehen konnte. „Nein, natürlich nicht“, erklärte er. „Ich hatte gehofft, dich so ein wenig von deinen Sorgen über den Abstieg ablenken zu können.“

 

„Du hast mich verwirrt!“, stellte die Trill richtig. Sie nahm Bashirs dargereichte Hand, um sich über eine weite Lücke hinweghelfen zu lassen.

 

„Ist doch auch eine Art Ablenkung.“ Gaheris wartete, bis die Trill sicher auf der anderen Seite aufgekommen war, dann nahm auch er Bashirs Hilfestellung an.

 

Gemeinsam kletterten sie auf diese Weise langsam, doch mit zunehmender Trittsicherheit, in der Wand weitere fünfzig Meter nach unten.

 

Oben auf der Ebene wurde der Sonnenstand flacher. Die Tiefen des Canyons erreichten die Strahlen bereits nicht mehr.

 

„Ich schätze, unsere angepeilte Strecke für heute müssen wir nach unten korrigieren“, stellte Bashir fest, als sie schließlich wieder an eine Stelle kamen, an der sie abseilen mussten.

 

„Es wird ja hoffentlich nicht jeden Tag so eine Schlucht zu durchqueren sein.“ Dax schwang sich todesmutig in den nächsten Abstieg. Dieses Mal ging sie als erste, während die Männer sie von oben mit einem zusätzlichen Seil sicherten.

 

„Ach, bei der Dritten dürfte sich ein wenig Routine einschleichen“, erklärte Gaheris. Obwohl es beileibe nicht sein Metier war, empfand er einen gewissen Spaß an der Kletterpartie. Es war angenehm mit den anderen beiden zusammen zu arbeiten.

 

„Spar dir deine Scherze dafür, wenn wir auf der anderen Seite wieder oben sind.“ Dax‘ verschwand über der kleinen Kante. Mit der Absicherung durch das zusätzliche Seil, gelang ihr das Abseilen dieses Mal rascher und unfallfrei.

 

Bashir bot Gaheris an, dasselbe für ihn zu tun. Dann schwang sich der Arzt als letzter ans Seil.

 

Als sie auf diese Weise endlich am Grund der Schlucht angekommen waren, waren eineinhalb Stunden vergangen.

 

Bashir blickte zum Himmel hinauf. "Wir überqueren den Fluss und schlagen auf der anderen Seite unser Nachtlager auf. In der Dunkelheit möchte ich nicht in die Wand."

 

Gaheris hatte sich mit in die Hüften gestemmten Händen neben ihm aufgebaut. Sein Blick wanderte über den zügig fließenden Fluss, der gut zwei Drittel der Breite des Canyons ausmachte. „Und wie?“ Die Augen verfolgten ein Stück Treibgut, das an ihnen vorbei gespült wurde. „Schwimmen können wir nicht, die Strömung ist viel zu stark. Das gleiche dürfte für jeden Versuch mit einem Floß gelten.“

 

„Für das wir ohnehin kein Material finden würden“, wies Dax auf den kargen, felsigen Untergrund hin, der das diesseitige  Flussufer bildete.

 

Bashir nahm das zusammengerollte Seil von seiner Schulter und machte sich daran, den Knoten vom Abseilhaken zu lösen. „Wir hangeln uns rüber.“ Er hielt das nun freie Metallteil triumphierend in die Höhe.

 

Dax und Gaheris blickten ihn fragend an. „Und wie?“

 

Der Mediziner vollführte mit dem Haken in der Hand eine pantomimische Bewegung, als ob er sich in Quark’s vor der Dartscheibe befände, dabei grinste er seine Kollegen siegessicher an.

 

„Du willst das Ding da rüber werfen und darauf hoffen, dass du die gegenüberliegende Wand so triffst, dass es sich verankert?“, hakte Gaheris ungläubig nach.

 

„Das sind höchstens vierzig bis zweiundvierzig Meter“, erklärte Bashir gutgelaunt. „Das ist machbar.“

 

„Mit dem dicken Seil?“ Gaheris‘ Miene wurde immer zweifelnder.

 

„Es sind genau einundvierzig Meter und siebzehn Zentimeter“, verkündigte Dax, als sie die Entfernung von ihrem Tricorder abgelesen hatte und Bashir einen bewundernden Blick schenkte. „Aber ich fürchte, Peter hat recht. Der Widerstand durch das Gewicht des Seils ist zu hoch.“

 

Bashir nestelte an seinem Klettergurt herum, bis er die Bremsleine abgeknotet hatte. „Deswegen nehmen wir die Bremsleinen. Die sind um einiges leichter.“

 

„Und auch um einiges kürzer.“ Gaheris betrachtete sein eigenes Exemplar. „Voll ausgerollt sind das doch höchstens sechs Meter.“

 

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du einen Hang zum Pessimisums hast?“ Dax nahm ihren Rucksack ab, stellte ihn auf den Boden und ging daneben in die Hocke. Sie öffnete den Verschluss und begann damit, den Inhalt zu durchwühlen. „Ha!“ hielt sie eine zweite Rolle Bremsleine hoch. „Mir war doch so, als ob ich vorhin bei der Rucksackinspektion mehrere Seile gesehen hätte.“

 

Die beiden Männer untersuchten nun ihrerseits ihre jeweilige Ausrüstung. Schließlich hatten sie alle Leinenrollen nebeneinander ausgelegt. Bashir nahm zwei Rollen und legte jeweils ein Ende nebeneinander. „Wir verknüpfen sie mit Achterknoten, die sollten die Belastung aushalten.“

 

„Irgendwas an dem Wort sollten mag ich nicht“, murmelte Gaheris, während er sich ebenfalls zwei Enden vornahm. Nach zwei Versuchen, bei denen sich die Seile nach Zug wieder voneinander lösten, schielte er zu der neben ihm sitzenden Dax hinüber. „Okay, und wie genau geht ein Achterknoten nochmal?“

 

Die Trill grinste, legte ihren perfekt angezogenen Knoten beiseite und nahm das eine Ende ihres Seils und dasjenige von Gaheris‘ Seil. „So hinlegen“, erklärte sie, während sie dem Wissenschaftler den Achter-Verlauf demonstrierte.

 

Beim nächsten Anlauf saß dann auch Gaheris‘ Seilverbindung.

 

„Okay!“ Bashir verknotete das eine Ende der nun langen, dünnen Leine mit dem Haken, das andere mit dem dickeren Seil. „Ezri, halt das Seil fest, damit unsere Rettungsleine nicht verloren geht.“

 

„Wahrscheinlich ist es immer noch zu kurz, oder zu schwer“, unkte Gaheris, der immer noch neben seinem Rucksack hockte, und beobachtete, wie Bashir drei Schritte Anlauf nahm, kurz vor der Wasserlinie stoppte und den Haken in einem perfekten Bogen nach vorne schleuderte. Das Seil war nicht zu schwer. Bashirs Kraft trieb es mit Leichtigkeit auf die andere Uferseite. Jedoch war es tatsächlich zu knapp. Im Abstand von etwa zehn Zentimetern vor der gegenüberliegenden Wand, ging ein Ruck durch das Geschoss und es fiel klappernd auf der anderen Seite auf den Felsen. Die verknoteten Leinen folgten einen Moment später der Schwerkraft und wurden bei Berührung der Wasseroberfläche sogleich von der Strömung mitgerissen. Mit einem metallischen Geräusch wurde der Haken ins Wasser gezogen.

 

„Hab es!“ Dax packt das Seil mit beiden Händen und begann, es gegen die Strömung wieder einzuholen. Gaheris half aus seiner immer noch hockenden Position dabei. „Zu kurz.“

 

„Lediglich um ein paar Zentimeter, du Unke!“, tadelte Dax den Pessimismus ihres Kollegen.

 

Bashir hatte sich bereits auf einen größeren Stein am Ufer gesetzt und zog seine Stiefel aus. Während Dax und Gaheris die verknoteten Leinen an ihren Uniformen trockenrieben, löste der Arzt den verdeckten Verschluss, der aus dem praktischen Sternenflottenoverall eine Kombination aus Jacke und Hose werden ließ. Aus Letzterem stieg er und legte sie ordentlich zusammengefaltet neben den Stiefeln ab.

 

„Wow, sexy!“, grinste Gaheris, als Bashir nur noch in blauen Boxershorts da stand.

 

Dax blickte nun ebenfalls auf. „Hey, Finger weg, er gehört zu mir!“

 

„Julian wollte ich auch gar nicht. Er ist mir zu dünn.“

 

Bashir stemmte die Fäuste in die Hüfte und funkelte den Wissenschaftsoffizier an. „Für dein Gemaule und Gelästere sollten wir eigentlich dich ins Wasser schicken. Aber ich traue meiner Treffsicherheit beim Werfen mehr als deiner, Peter.“

 

Während Dax auflachte, zog der so Gescholtene die Unterlippe zwischen die Zähne. „Ich sag ja nichts mehr.“

 

Bashir legte den Klettergurt wieder an, befestigte eines der übriggebliebenen Seile daran und warf es dann Gaheris zu. „Du sicherst mich, Ezri, unser Geschoss. Auf zum nächsten Versuch.“ Er trat ein paar Mal auf der Stelle, um seine nackten Fußsohlen an das unebene Gefühl des steinigen Untergrunds zu gewöhnen. „Auf die Plätze, fertig, los“, zählte er sich selbst an, und nahm dann erneut Anlauf. Die ersten beiden Sprünge ließen kleine Steine aufspritzen, der dritte einen großen Schwall Wassers.

 

Gaheris packte das Seil mit beiden Händen, als Bashir nach dem Wurf auf dem glitschigen Flussgrund zu straucheln begann.

 

Auf einem Bein balancierend fand der Arzt sein Gleichgewicht wieder, bevor mehr als seine Unterschenkel mit dem kalten Nass Bekanntschaft machten.

 

Auf der anderen Seite der Schlucht, prallte der Haken in flachem Winkel gegen die Wand und rutschte klappernd ab. Dax holte das Seil erneut ein.

 

„Okay, die Entfernung passt so. Ich muss jetzt nur zusehen, dass ich beim Wurf nicht ausrutsche“, resümierte Bashir mit ungebremstem Enthusiasmus.

 

„Vielleicht solltest du doch die Stiefel anbehalten?“, schlug Gaheris vor.

 

Bashir schüttelte den Kopf. „Ich möchte ungern gezwungen sein, in nassen Stiefeln weiter zu wandern.“ Er schenkte den anderen beiden einen aufmunternden Blick. „Das bekomme ich hin. Ich muss mich nur ein wenig an den Untergrund gewöhnen. Hauptsache, du hältst mich, wenn ich stürze, Peter.“

 

Gaheris nickte ernst. „Keine Frage. Bei mir bist du in sicheren Händen.“ Er hob zur Demonstration ebenjene in die Höhe, um deren Ballen und Handrücken er das  Seil mehrfach gewickelt hatte.

 

Beim vierten Versuch klappte es. Der Haken traf die gegenüberliegende Wand im richtigen Winkel, um den Verankerungsmechanismus auszulösen und in den Felsen einzudringen. Triumphierend zerrte Dax mehrfach am Seil. Die Konstruktion hielt.

 

Bashir, der mittlerweile bis zum petrolfarbenen Unterziehshirt hinauf nass war, lachte zufrieden. „Problem Nummer zwei gelöst. Ich finde, wir sind ziemlich gut.“

 

„Ehre, wem Ehre gebührt“, grinste Gaheris. Er nahm einen zweiten Verankerungshaken und trieb ihn in die Felswand hinter ihnen, damit Dax ihr Ende des Seils daran knoten und damit die Leine über dem Fluss straff spannen konnte. „Bislang bist eigentlich nur du ziemlich gut, Julian. Wir beide stolpern so mit.“

 

Bashir stapfte ans Ufer zurück. Er schlug dem Wissenschaftler auf die Schulter. „Dein Auftritt kommt sicherlich auch noch.“

 

„Meiner kommt jetzt“, verkündete Dax. Sie hatte ihren Rucksack geschultert, Stiefel und Tricorder an den Außentaschen befestigt, um in ihrer Bewegung nicht behindert zu werden, und sich eines der freien Seile um die Hüfte gebunden. Lediglich ein Allround-Tuch aus dem Erste-Hilfe-Set hielt sie in den Händen. Sie zeigte auf die gespannte Leine. „Ich hangel mich rüber, zieh das Seil mit, und befestige es. Dann habt ihr es bequemer.“

 

„Die Idee gefällt mir“, erklärte Gaheris, dem der Gedanke, sich irgendwie kopfüber an einer dünnen Leine mit viel zu vielen Knoten entlang zu schieben, nicht sehr behagte. Vom Gewicht her war er der schwerste der drei. Bremsleine hin oder her, er traute der Konstruktion nicht wirklich.

 

„Dachte ich mir“, zwinkerte Dax. Sie trat an den Rand des Flusses heran, duckte sich unter die gespannte Leine und wickelte sich das Tuch um die Hände, bevor sie zupackte. Mit zufriedenem Nicken prüfte sie die Straffheit der Konstruktion und das Gefühl in den Fingern, wenn sie diese mit ihrem gesamten Gewicht belastete.

 

„Das wird gehen“, erklärte sie. Dann schwang sie mit einem geseufzten „Danke, Emony!“ die Beine nach oben, verschränkte Unterschenkel und Knöchel und begann damit, sich langsam vorwärts zu robben.

 

Gaheris musste gestehen, dass sie dabei eine wesentlich elegantere Figur abgab, als ihm das jemals vergönnt gewesen wäre. „Wer ist Emony?“ fragte er verwundert, während er das andere Ende des Seils um Dax‘ Hüften aufnahm.

 

Bashir schüttelte die Beine aus, um wenigstens ein wenig der Nässe loszuwerden. „Die Bodenturnerin. Eine von Dax‘ frühesten Wirten.“

 

Der Wissenschaftsoffizier schüttelte fasziniert den Kopf, während er beobachtete, wie Dax scheinbar mühelos den Fluss überwand. Sie hatte bereits ein Drittel der Wegstrecke geschafft. „Das Konzept der Trill ist umwerfend. Da wird einem immer wieder bewusst, wie beschränkt die menschliche Rasse eigentlich ist … Oh, verdammt!“

 

Bashirs Kopf fuhr hoch. Er hatte sich daran gemacht, seine Uniformhose wieder anzuziehen, um die kühle Luft am Canyon-Grund von seinen Beinen abzuhalten. „Was?“

 

„Ezri! Warte!“, rief Gaheris über den Fluss hinaus.

 

Die Trill hob den Kopf und blickte überrascht zwischen ihren Armen hindurch. „Was ist?“

 

„Der Tricorder!“

 

Jetzt sahen es auch die anderen beiden Offiziere. Die Außentasche, in welcher Dax das Instrument verstaut hatte, hatte begonnen, an der Naht aufzureißen. Der Tricorder hing bereits gefährlich schräg, und würde mit den nächsten paar Bewegungen höchstwahrscheinlich in den Fluss stürzen.

 

„Wir hätten nach Ezris Kollision mit der Wand den Rucksack überprüfen müssen“, fluchte Bashir leise. „Kommst du dran?“, wollte er lauter von seiner Freundin wissen.

 

Die Trill hatte bereits eine Hand losgelassen, was ihre Position am Seil ins Schwanken brachte, und den Tricorder noch ein paar Zentimeter weiter in Richtung Absturz manövrierte. „Keine Chance!“ Sie packte rasch wieder die Bremsleine, um sich auszubalancieren.

 

„Der hält bis drüben nicht“, bemerkte Gaheris. „Sollen wir ihn abschreiben?“

 

Bashir schüttelte den Kopf. „Nicht beim Tricorder. Wir haben keine Ahnung, was noch auf uns wartet. Da möchte ich so früh nicht auf einen von denen verzichten.“ Er blickte seinen Kollegen an. „Einer von uns muss rauswaten und ihn holen.“

 

Gaheris starrte den Fluss an. „Ezri ist bereits über dem Rand des Strömungskanals.“

 

Bashir hob die Schultern. „Es muss also rasch gehen.“

 

Die beiden Männer sahen sich einen Augenblick an, dann bemerkte Gaheris, wenn auch mit offen beschämtem Tonfall: „Du bist schon nass …“

 

Bashir seufzte. Er legte die aufgenommene Hose wieder ab, ließ die Uniformjacke daneben fallen und streifte sich das Unterziehshirt über den Kopf. Einen Moment fröstelte er in der kühlen Luft, dann nahm er sich zusammen und watete in den Fluss hinaus. „Du hältst mich fest, Peter!“

 

„Keine Frage.“ Gaheris packte sowohl Bashirs Seil als auch dasjenige von Dax, während er seine Fersen so setzte, dass er auch bei einem plötzlichen Ruck von einer der beiden Seiten nicht sofort den Halt verlor. Es war ihm unangenehm, dass er die offensichtlich einfachste Aufgabe übernahm, doch es war eine Tatsache, dass Bashir bereits entkleidet und nass war, und dass der Arzt mit seiner verbesserten Hand-Augen-Koordination im Ernstfall viel rascher reagieren konnte als er. Er nahm sich vor, es später wieder gut zu machen. Irgendwie.

 

„Ezri! Kannst du ein wenig zurück robben?“

 

Die Trill nickte und schob sich vorsichtig  wieder in Richtung des diesseitigen Ufers, darauf bedacht, ihren Körper dabei so ruhig wie möglich zu halten.

 

Bashir ignorierte das Wasser, das an den Unterschenkeln noch erträglich gewesen war, sich an den Oberschenkeln jedoch lausig kalt anfühlte. Drei Meter vom Ufer entfernt setzte die Strömung ein. Bashir musste das Gewicht verlagern, um sich weiter vorwärts zu bewegen. In schrägem Winkel kämpfte er gegen die Gewalt des Wassers an.

 

„Ezri! Noch ein Stück, es wird hier zu gefährlich.“

 

Die Trill setzte sich abermals in Bewegung.

 

Der Tricorder verlor den Kampf gegen die Schwerkraft.

 

„Verdammt!“

 

Bashir hechtete vorwärts, als das Instrument zu fallen begann.

 

„Julian!“

 

„Peter!“

 

„Hab dich!“

 

Mit einem lauten Platschen stürzte der Arzt ins Wasser.

 

Das Seil in Gaheris‘ Händen spannte sich und riss den Mann ein paar Schritte nach vorne, bis er seine Balance wieder fand.

 

„Peter!“, kreischte Dax‘ Stimme panisch durch die Schlucht.

 

Gaheris biss die Zähne zusammen und brachte alle Kraft auf, um den Arzt gegen dessen Gewicht und die Strömung des Flusses in Richtung Ufer zu ziehen. Ein kurzer Ruck riss ihn beinahe von den Füßen. Doch er hielt fest und bewegte sich Zentimeter um Zentimeter nach hinten, während er verzweifelt nach dem Kopf des Mediziners im Fluss Ausschau hielt.

 

Endlich war das dunkle, nasse Haar zu erkennen und kurz darauf warf Bashir den Kopf in den Nacken, um nach Luft zu schnappen.

 

Gaheris ließ sich nach hinten fallen. Wahrscheinlich fügte er dem Arzt auf diese Weise etliche Schürfwunden bei, doch er brachte ihn damit aus dem Strömungskanal ins ruhig fließende ufernahe Wasser. Als klar war, dass Bashir nicht mehr abgetrieben wurde, rappelte Gaheris sich auf und rannte zum Fluss.

 

Auch von Dax an ihrem Seil waren Laute der Erleichterung zu vernehmen.

 

Bashir hatte sich bereits auf Hände und Knie erhoben, als Gaheris ihn erreichte. Er ließ sich von dem Wissenschaftler auf die Beine und aufs Trockene helfen.

 

„Danke fürs Halten.“ Bashir blieb einen Moment in gebeugter Haltung stehen, bis sich sein Atem beruhigt hatte. Dann richtete er sich auf, den Tricorder in der Hand.

 

„Du hast das Ding erwischt?“, stammelte Gaheris gleichermaßen ungläubig wie bewundernd.

 

„Sonst hätte der Stunt ja keinen Sinn gehabt, oder?“ Bashir deutete auf seinen Rucksack. „Gib mir den Hautgenerator.“

 

Während Gaheris das gewünschte Instrument hervorkramte, wandte sich der Arzt mit erhobenem Daumen zu Dax um. „Alles in Ordnung, Ezri. Wir sehen uns gleich auf der anderen Seite.“

 

„Ich dachte, mein Herz bleibt stehen!“, rief die Trill zurück. Erst nachdem sie sich mehrfach durch Blicke versichert hatte, dass Bashir hier keine Nahetod-Erfahrung überspielte, begann sie wieder damit, sich auf das jenseitige Ufer zuzubewegen.

 

Der restliche Teil der Flussüberquerung verlief glücklicherweise ohne weitere Zwischenfälle. Nachdem Dax das andere Ufer erreicht hatte, befestigte sie das Seil mit einem weiteren Haken etwa einen Meter unterhalb der Bremsleinen, so dass die beiden Männer mit der Leine als Halt darauf hinüber balancieren konnten.

 

Gaheris holte die Haken von der anderen Seite ein.

 

Dax wartete bereits mit einer ausgebreiteten Decke auf Bashir. Sie hüllte ihn ein, rubbelte Haar und Körper trocken und warm, während sie leise vor sich hin schimpfte. „Das war eine saublöde Idee, Julian! Auf diesen dämlichen Tricorder hätten wir gut verzichten können. Was musst du unbedingt den Helden spielen?“

 

Gaheris grinste vor sich hin, als er sich ein paar Schritte zurückzog, um aus den Notrationen und einer kleinen Heizeinheit ein passables Abendessen für sie vorzubereiten. Liebe war schon etwas Herrliches!

 

„Es ist doch gut gegangen…“

 

„Es hätte aber genauso gut schief gehen können. Tu mir das nie wieder an!“

 

„Peter hatte alles im Griff …“

 

„Peter hätte auch eine Wasserleiche mit Kopfwunde ans Ufer ziehen können!“

 

„Ezri, es ist alles okay …“

 

„Oh, verdammt!“

 

Gaheris hörte das Rascheln der Decke und als er sich umdrehte, da er nun einmal ein neugieriger Mensch war, hatte sich Dax bereits an Bashirs Hals geworfen und küsste ihn innig. Er ließ ihnen eine Minute, dann kam er mit den vorbereiteten Campingschalen hinüber.

 

„Da wir hier sicherlich kein Feuer machen können, hab ich uns was aus der Konserve gemacht.“

 

Dax löste sich, ein wenig unwillig, von Bashir und sah sich ihrem grinsenden Kollegen gegenüber. „Ich bin einfach so froh, dass Julian nichts Schlimmes passiert ist“, brachte sie entschuldigend hervor.

 

„Das verstehe ich doch total.“ Er reichte jedem eine Schale. „Wenn Haz in dieser Situation gewesen wäre, würde ich noch ganz andere Dinge machen.“

 

Bashir nahm sein Mahl dankend an, die Decke immer noch um die bloßen Schultern. „Ich glaube, wir wollen gar nicht wissen, was du mit Seiner Eminenz machen würdest.“

 

„Sprich für dich selbst.“ Dax setzte sich dicht neben ihn und tunkte den Löffel in die dicke Masse. „Mich würde es schon interessieren.“

 

Gaheris lächelte geheimnisvoll und setzte sich zu den beiden. „Mehr krieg ich aus dem Zeug nicht hin.“

 

„Schmeckt aber gar nicht schlecht“, erklärte Bashir mit vollem Mund.

 

„Kaffee habe ich uns auch gemacht.“ Der Wissenschaftsoffizier stellte drei Becher zwischen sie und goss dunkle Flüssigkeit aus der schlanken Heizkanne. „Ich bin froh, dass Benteen wenigstens das Zeug hier in der Überlebensausrüstung zugelassen hat. Ich brauch jetzt was Warmes.“

 

„Ich denke, für heute ist hier Schluss.“ Bashir nahm den dampfenden Becher entgegen. Er blickte sich um. Sie hatten sich auf einen größeren Felsblock zurückgezogen, der vor etlicher Zeit von der Schluchtwand abgebrochen sein musste. Seine Oberfläche war von Regen und Wind glatt geschliffen worden, so dass er sich als ideales Nachtlager eignete. Er lag etwa fünfzig Zentimeter oberhalb der Uferkante, so dass er sie vor nassen Füßen während der Nacht bewahren würde. Soweit sie in die Schlucht blicken konnten und es die Lichtverhältnisse erkennen ließen, sah es nirgends anders aus. Der gesamte Uferbereich zwischen Fluss und Felswand war mit angeschwemmtem oder abgebröckeltem Gestein überzogen. Organische Materie war Mangelware. Sie würden nicht einmal den Grundstock eines Feuers zusammen bekommen.

 

Dax nickte. „Lasst uns die Decken und Jacken zu einem Lager legen. Wir haben uns eine kuschelige Nacht verdient.“

 

„Kuschelt ihr euch zusammen. Ich werde die erste Wache halten.“

 

Bashir kratzte den Rest der Schüssel leer. „Ich denke nicht, dass wir eine Wache benötigen, Peter. Lass uns alle schlafen.“

 

Der Wissenschaftler deutete nach oben zum Schluchtrand. Auch dort war die Sonne untergegangen und das atmosphärische Violett wich der dunkleren Tönung der Nacht. Die farbigen Entladungen des Nebels reichten über die Schlucht hinaus. Je weiter sich die Planetenseite von der Sonne fort drehte, desto klarer und fantastischer wurde der Anblick. „Ich möchte dieses Schauspiel so lange wie möglich auskosten“, erklärte Gaheris. „Vielleicht kann ich von hier unten ein paar Daten aufzeichnen.“

 

Dax nahm Bashir die leere Schüssel ab und stapelte sie über ihre eigene. „Die Strahlung beeinflusst uns hier auf der Planetenoberfläche aber nicht, oder?“, wollte sie einer plötzlichen Überlegung folgend wissen. „Nicht, dass wir uns unwissentlich irgendwelchen schädlichen Einwirkungen aussetzen.“

 

Gaheris schüttelte den Kopf. „Nein, die Intensität ist hier unten zu schwach. Oben im Nebel würden wir ohne unsere Schilde Schwierigkeiten bekommen, aber nicht hier.“ Ein abwesendes Lächeln huschte über seine Züge. „Hier unten ist er einfach nur wunderschön.“

 

„Dann lassen wir Peter seinen Nebel anbeten“, bemerkte Bashir schmunzelnd. „Wir kuscheln uns ein und zählen Schafe.“

 

Gaheris nahm den beiden das leere Geschirr ab und ging damit zum Flussufer, um es auszuwaschen. Danach füllte er ihre drei Feldflaschen mit frischem Wasser für die morgige Tour. Als er zu dem Ruhefelsen zurückkehrte, hatten die beiden sich bereits eng beieinander in die Decken gewickelt, die eingerollten Jacken als Kopfkissen, und blinzelten unter kaum geöffneten Lidern zum Nebel empor. Es würde keine fünf Minuten dauern, bis die beiden eingeschlafen wären.

 

Lächelnd verstaute Gaheris Schalen, Becher und Feldflaschen in den jeweiligen Rucksäcken, holte seine eigene Thermojacke hervor und nutzte diese am vorderen Rand des Felsens als Sitzkissen. Ein Bein untergeschlagen, das andere vom Felsen baumelnd, legte er den Tricorder in seinem Schoß bereit, reckte das Kinn nach oben und begann, träumend den Nebel zu bewundern.

 

Er konnte nicht sagen, ob er in dieser unbequemen Stellung tatsächlich eingedöst war, oder ob er lediglich in meditativer Betrachtung verharrt hatte. Er schreckte auf, als ihn ein Gefühl von Kälte in das bewusste Hier und Jetzt zurückbrachte. Die Luft war nicht merklich abgekühlt, seit sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Es gab keinen sofort verständlichen Grund für das Zittern, das seinen Körper von den Beinen aufwärts durchlief.

 

Alarmiert bewegte er den Oberkörper, wobei er beinahe den Tricorder von seinem Schoß gestoßen hätte. Als er seine Sitzposition änderte, verriet ihm das leise Plätschern, worin das Problem lag.

 

Ruckartig zog er die Beine auf den Felsen zurück. Sein Stiefel hinterließ einen feuchten Abdruck auf dem Fels, als Gaheris die glitzernde Reflexion des farbenfrohen Nebels auf der trägen Wasseroberfläche anstarrte.

 

Nah. Viel zu nah.

 

„Verdammt!“ Er sprang auf. „Wir müssen hier weg! Das Wasser steigt!“

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