TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Fremde Augen

von Gabi

Kapitel 2

„Sie beschützen ihn.“ Seven war selbst verwundert über ihre Worte, die weit mehr von Emotionen als von Fakten geprägt waren. Chakotay begann, auf sie abzufärben.

 

            Der verlagerte seinen Schwerpunkt noch ein wenig weiter nach vorne, was in einem augenblicklichen Engerziehen des tierischen Kreises resultierte.

 

            „Ich würde das nicht tun“, warnte Seven. Ihre Hand legte sich automatisch auf den Phaser an ihrer Seite.

 

            „Finger weg!“ Chakotays Befehl war knapp und schneidend. Die Augen zuckten zurück.

 

            Seven verharrte mitten in der Bewegung. Sie neigte den Kopf zur Seite und beobachtete den Commander nun mit ähnlichen Blicken wie es die Tiere am Lichtungsrand taten.

 

            „Du willst, dass ich uns nicht gegen einen möglichen Angriff verteidige?“, erkundigte sie sich.

 

            „Ganz genau.“ Chakotays Stimme hatte wieder seine gewohnte Ruhe angenommen. „Wir dringen in ihr Revier ein und ich möchte ihnen deutlich machen, dass wir in Frieden kommen.“

 

            „Es sind Tiere, wie viel Kommunikationsverständnis erwartest du da?“

 

            „Es sind empfindsame Wesen“, korrigierte Chakotay Sevens humanoidzentriertes Weltbild. „Sie verdienen den gleichen Respekt wie diejenigen Spezies, die wir als intelligent einstufen.“

 

            Seven schüttelte leicht den Kopf, entspannte ihre Muskeln jedoch, so dass ihr rechter Arm wieder locker an der Hüfte lag. Natürlich würde sie dem Befehl ihres Vorgesetzten nachkommen, doch für den Ernstfall beschloss sie für sich, von der Waffe Gebrauch zu machen. Menschliche Gefühlsduselei tolerierte sie nur bis zu einem gewissen Punkt.

 

            In dem Maß, in welchem sich die Haltung der Frau entspannte, schien sich auch die allgemeine Atmosphäre auf der Lichtung zu heben.

 

            Chakotay versuchte einen erneuten Vorstoß, indem er sich soweit vorbeugte, bis seine Fingerspitzen das fließende transparente Material berührten, welches das regungslose Wesen einhüllte.

 

            Für einen Augenblick schien der Wald den Atem anzuhalten. Selbst Seven stellten sich die feinen Härchen im Nacken auf. Wenn sie angestrengt lauschte, hatte sie erneut den Eindruck einen Stimmenteppich zu vernehmen, murmelnd wie aus allerweitester Ferne, fast wie das Basisrauschen der Natur.

 

            Ein Flügelflattern zerriss die Anspannung. Eine kleine dunkle Silhouette ließ sich auf demjenigen Ast nieder, der am weitesten zu der Gestalt auf dem Stein hin ragte. Die Farbe des Tiers war in der Dunkelheit nicht auszumachen, doch Seven wusste, dass das Gefieder ein sattes Orangerot besaß.

 

            Der bislang reglose Körper bewegte sich. Augenblicklich stoben die versammelten Tiere in den Wald zurück, das kleine vogelähnliche Tier flog mit einem empörten Zwitscherlaut auf und davon.

 

            Die Veränderung war so plötzlich gekommen, dass Chakotay vor Schreck die Hand zurückzog, und auch Seven konnte nicht verhindern, dass sie für einen Moment zusammenzuckte.

 

            In erwartungsvoller Anspannung verharrten die beiden Voyager-Crewmitglieder. Die Gestalt bewegte ihre Gliedmaße. Es war als ob eine sanfte Welle durch den Körper glitt, um jede Funktion zu prüfen. Dann schwang sich der untere Teil in einer fließenden Bewegung herum, bis das Wesen zum Sitzen kam. Es verharrte in dieser Haltung und blickte die beiden ihm Unbekannten an. Wobei Anblicken nicht die korrekte Bezeichnung war, denn am Kopf der Gestalt waren keinerlei Augen auszumachen.

 

            In diesem Moment begriff Seven, dass es nicht ihre Ohren waren, die den Klangteppich vernahmen. Ein fast vergessenes Gefühl nahm wieder von ihr Besitz. Im ersten Moment überwog Panik, dann jedoch setzte sich etwas wie eine unterdrückte Sehnsucht durch, Sehnsucht danach, Teil eines Ganzen zu sein. Sie gab die initiale Blockade auf und hieß die Eindrücke in ihrem Kopf willkommen. Ein Blick zu Chakotay teilte ihr mit, dass auch er etwas wahrnahm. Der Commander erhob sich langsam aus der Hocke, den Blick nicht von der blinden Gestalt abgewandt.

 

            „Wir sind in friedlicher Absicht hier.“ Der Laut seiner Stimme klang seltsam falsch in der äußeren Stille. „Wir waren bei den Generhanern und haben dort Lebensmittel erstanden.“ Er hob beide Arme an, die leeren Handflächen zur universellen Friedensgeste gedreht. „Wir haben Sie hier liegen sehen und wollten nachsehen, ob Sie unsere Hilfe benötigen.“

 

            Seven leitete die Bilderflut in ihrem Kopf in geregelte Bahnen. Da war nicht nur die eine Stimme, die sie als diejenige des Wesens vor ihnen identifizierte, sondern noch viele andere. Individuen, welche über ihre Gedanken zu einer größeren Einheit verbunden waren. Ihre Borgerfahrung prozessierte automatisch die vielfältigen Eingänge, machte sie erfahrbar, lesbar.

 

            „Sie wissen, wer wir sind“, teilte sie schließlich dem Commander mit. „Sie haben unseren Weg am Waldrand verfolgt, und sie billigen deine“, sie nickte Chakotay zu, „Verbundenheit mit der Natur.“

 

            Der Commander machte große Augen. „Du kannst diese Person verstehen?“ Er tippte sich mit dem Handballen gegen die Schläfe. „Mir brummt der Kopf von einer Kakophonie an Eindrücken.“

 

            „Nicht nur dieses Individuum, sondern alle.“ Eine merkwürdige Ruhe hatte Seven überkommen. Es war ein wenig, wie das Gefühl nach Hause zu kommen. Es war so lange her, dass sie sich fast an die lähmende Stille in ihrem Kopf gewöhnt hatte – fast.

 

            „Alle?“ Chakotay hielt sich immer noch die Schläfen, seine Miene zeigte Verwirrung.

 

            Bevor Seven etwas entgegnen konnte, raschelte es und zu allen Seiten teilten sich die Blätter der umsäumenden Büsche. Nach und nach traten acht weitere blicklose, transparent ätherische Wesen aus der Dunkelheit und umrundeten den flachen Stein und die beiden Leute von der Voyager.

 

            Seven blieb unbeweglich stehen, sie konzentrierte sich gänzlich auf die telepathische Kommunikation. Chakotay drehte sich langsam um seine Achse, überraschte Bewunderung im Blick. „Wie kommt es, dass wir Sie nicht orten konnten?“, sprach er die auf dem Stein sitzende Gestalt an, nachdem er die Umdrehung beendet hatte. „Wo kommen Sie her?“

 

            Das Wesen wandte seinen Kopf Seven zu, so wie es die anderen acht ebenfalls taten. Während Chakotay die Augen zusammenkniff, da die nächste telepathische Übertragung ihm offensichtlich Unannehmlichkeiten bereitete, gelang es der Ex-Borg immer einfacher, die vielen Eindrücke zu differenzieren.

 

            „Sie kommen aus der Erde“, erklärte sie nachdenklich. „Aus … Sie vertragen das Sonnenlicht nicht und kommen nur nachts an die Oberfläche.“ Sie hielt kurzzeitig inne, um den nächsten Schwall an Informationen zu verarbeiten. „Höhlensysteme unter Wäldern … sie leben unter den Wäldern dieses Planeten.“

 

            Sevens Blick veränderte sich, als sie sich nicht mehr auf die telepathische Information sondern auf ihre eigene Erfahrung bezog. „Ich denke, das erklärt auch die Rückbildung des optischen Apparates und die fehlende Pigmentierung ihrer Haut. Ausgesprochen interessant.“

 

            „Und auch, warum wir sie nicht geortet haben. Wahrscheinlich sind unsere Sensoren nicht tief genug gedrungen“, fügte Chakotay hinzu. Seven bemerkte, wie der Commander kurzzeitig stockte. Seine Miene erhellte sich, so als sei ihm eine neue Erkenntnis gekommen. Dann wandte er sich von Seven wieder an die sitzende Gestalt, die er offensichtlich für sich als Sprecher der Gruppe auserkoren hatte. Seven bewunderte diese augenscheinliche Leichtigkeit, mit welcher ihr Partner zwischen Gesprächspartner und Übersetzer trennen konnte. Viele Menschen, denen sie bisher begegnet war, hätten sich unwillkürlich mit einer Frage an die Ex-Borg gewandt, da diese momentan als Stimmbänder der Wesen agierte.

 

            „Sind Sie der Grund, warum die Generhaner sich nachts nicht aus ihren Stadtgrenzen wagen?“

 

            Die Antwort darauf ließ Chakotay unwillkürlich den Kopf zwischen die Hände pressen und auch Seven konnte nicht verhindern, dass sie ob des Schwalls an Emotionen und Informationen zusammenzuckte. In die sie umringenden Gestalten kam Bewegung. Auch das vor ihnen sitzende Wesen erhob sich, wobei die Bewegung so fließend gehalten war, dass der Übergang von der einen in die andere Haltung fast nicht zu erkennen war. Offensichtlich agitierte diese Frage die Höhlenbewohner nicht nur auf telepathischer Ebene.

 

            „Okay“, presste Chakotay zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Die Frage kann ich mir ja schon fast selbst beantworten.“

 

            Seven blieb längere Zeit stumm. Sie hatte die Augen geschlossen, um sich gänzlich auf die Eindrücke in ihrem Kopf konzentrieren zu können. Anders als das  Borg-Kollektiv, das zwar Hunderte und Hunderte von Informationen zeitgleich weiterleitete, diese jedoch gänzlich auf die Faktenebene reduzierte, schwangen hier vor allem Emotionen und Bilder mit, und Seven musste sich anstrengen, die puren Fakten heraus zu filtern. Die von ihr anfangs vermutete Ähnlichkeit mit den Borg verringerte sich bei diesen Wesen immer weiter. Sie erhielt nicht nur die Eindrücke der neun sie umgebenden Individuen, sondern etwas schwächer auch Einwürfe von weiter entfernt befindlichen Gruppen und Einzelwesen. Immer weiter schwächten sich die telepathischen Eindrücke ab, immer weiter … doch sie verstummten nie gänzlich.

 

            Seven sog scharf die Luft ein, als ihr bewusst wurde, dass die Kommunikation der Wesen untereinander den gesamten Planeten umschloss. Was eines von ihnen erlebte, wurde fast augenblicklich Allgemeingut. Eine tiefe Sehnsucht durchfuhr die Frau. Es tat so gut, mit vielen verbunden zu sein, ihre Gedanken zu teilen. Sie fühlte sich behütet und nicht alleine. Selbst das Borgkollektiv hatte nicht gewusst, dass es außer ihm noch einmal eine solche Gesellschaftsstruktur im Delta-Quadranten gab.

 

            Wie lange sie so da gestanden und sich dem neuen, alten vertrauten Gefühl hingegeben hatte, wurde ihr erst bewusst, als sie Chakotays Hand an ihrer Schulter spürte, die sie leicht schüttelte.

 

            „Seven? Seven, ist alles in Ordnung?“

 

            Sie öffnete die Augen und betrachtete das einzige Wesen in ihrer Umgebung, das nicht an der telepathischen Einheit teilnehmen konnte, weil es als Mensch begrenzt war und immer begrenzt sein würde. Kurzzeitig war er ihr fremd, doch dann fand sie wieder die Liebe, die sie für ihn empfand, und mit ihr zusammen schenkte jedes Individuum dieser planetenumspannenden Spezies Chakotay seine Zuneigung.

 

            Der Commander taumelte einen Schritt rückwärts, bis seine Kniekehlen den flachen Stein berührten und dem Impuls nachgaben, so dass er sich setzte. Sein Blick zeugte von Verwunderung und ein wenig Ehrfurcht. „Was war das, Seven?“

 

            Sie lächelte eines ihrer seltenen Lächeln. „Liebe und Vertrauen.“ Dann kniete sie sich zu ihm nieder.

 

            Er schüttelte den Kopf, behielt jedoch den ehrfürchtigen Ausdruck bei. „Es war überwältigend.“

 

            „Sie mögen dich.“

 

            „Ich …“, Chakotay hatte sich zuerst an Seven gewandt, deren Gesicht sich auf gleicher Augenhöhe mit ihm befand, doch sofort blickte er auf und maß die ihn umgebende Runde mit ernstem Blick. „Ich fühle mich geehrt.“

 

            Der telepathische Ansturm ebbte etwas ab. Seven konnte erkennen, dass auch der Commander das spürte. Seine Haltung wurde aufrechter, sein Blick ein wenig klarer. Mit diesem klaren  Blick bedachte er nun seine Partnerin.

 

            „Richtig.“ Seven schüttelte ein wenig das Einheitsgefühl ab, in das sie eingetaucht war, und erinnerte sich wieder der Frage, welche am Beginn ihrer Erfahrung gestanden hatte. „Ja, sie sind der Grund, warum sich die Generhaner nachts nicht mehr heraus wagen. Unter tags bleiben sie wegen der Sonnenstrahlen unter der Erde, doch nachts kommen sie überall in den Wäldern hervor und beobachten und missbilligen das Tun der Generhaner, die sich weiter in die Wälder ausbreiten, um durch Rodung Land für Siedlungen und Ackerbau zu erhalten.“

 

            „Wie können sie beobachten?“, fragte Chakotay interessiert.

 

            „Die Tiere …“ Seven hob eine Hand, bevor er nachhaken konnte. Sie schloss abermals die Augen, während ihr die Informationen von allen Seiten zugetragen wurden. Der Commander schwieg. Sie konnte seinen gleichmäßigen Atem vernehmen, abwartend, geduldig, bis sie wieder aufblickte. Ihr begegnete ein zuversichtliches Lächeln, das sie unwillkürlich erwiderte. „Sie besitzen die Fähigkeit, ihr Bewusstsein mit der Wesenheit eines Tiers zu verschmelzen. Sie erkunden und beobachten die oberirdische Welt mit den Augen dieser Tiere zu Luft, zu Land und im Wasser. Daher lag er vorhin auch wie schlafend hier. Er hat uns beobachtet.“

 

            „Der Vogel“, begriff Chakotay.

 

            „Der Vogel“, bestätigte Seven.

 

            Der Commander blickte sich abermals im Kreis der lichtlosen Wesen um. „Das ist beeindruckend.“ Dann lächelte er. „Jetzt ist mir auch klar, warum wir uns so verfolgt vorkamen … wir wurden verfolgt.“ Seine Miene wurde wieder etwas ernster, als er sich offensichtlich der anderen Information wieder bewusst wurde. „Das Zurückdrängen der Wälder greift in ihren Lebensraum ein?“

 

            Abermals ergriff eine gewisse Hektik die Gruppe der Höhlenbewohner. Seven nickte an ihrer statt. „Diese Bäume besitzen wohl ein Wurzelgeflecht, welches das Doppelte an Masse ihres oberirdischen Erscheinungsbilds ausmacht. Dieses Geflecht bildet die Höhlen, in denen sie leben.“ Sie verharrte abermals, um die Fakten aus den erneuten emotionalen Ausbrüchen zu filtern. „Wird ein Baum gefällt, stirbt sein Wurzelgeflecht und der davon betroffene Bereich ihrer Behausung bricht in sich zusammen.“ Der telepathische Ansturm nahm an Heftigkeit zu, als sie spürte, wie sich Gruppen aus weit entfernten Waldgebieten regten. Selbst Seven legte nun unwillkürlich die Hand an die Schläfe. „Mehrere Gemeinschaften wurden dadurch bereits ausgerottet und in anderen Gebieten sind viele gestorben.“ Sie öffnete wieder die Augen. Chakotay saß immer noch vor ihr auf dem Stein. Er hatte die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt und umfasste mit beiden Händen seinen Schädel. Tapfer versuchte er dem ungewohnten Ansturm stand zu halten. Seven wünschte sich, sie könne ihn irgendwie lehren mit dieser Art von Kommunikation zurecht zu kommen, doch sie wusste nicht, wie sie das bei einem Menschen bewerkstelligen sollte, der nicht in dem immerwährenden Geräuschteppich des Borgkollektivs aufgewachsen war.

 

            „Sie sind auf ihre Höhlen angewiesen, weil sie an der Sonne eingehen. Da die Waldgebiete zu weit voneinander entfernt sind, können sie auch nicht fliehen. Wenn einer der Wälder gerodet wird, geht die dortige Gemeinschaft zu Grunde. Daher fingen sie an, die Generhaner anzugreifen“, fasste Seven eine weitere Information in Worte, die ihr jedoch fragwürdig vorkam. Auch Chakotay hob den Kopf. Sein Blick war ein wenig trüb durch die Anstrengung, der Informationsflut Herr zu werden. „Sie greifen an?“

 

            Abermals verharrte Seven und bedauerte erneut den Umstand, dass Chakotay nicht direkt an der Kommunikation teilnehmen konnte. Die Art dieser Wesen hätte die geballte Emotionsfähigkeit eines reinrassigen Menschen bedurft und nicht die kühle Herangehensweise einer Ex-Borg. „Ja“, begann sie, nachdem sie die Fakten gefiltert hatte. „Der Tiere, die uns beobachtet haben, bedienen sie sich normalerweise. Es sind flinke kleine Tiere, die große Strecken zurücklegen können, und sich daher hervorragend als Beobachter eignen. Doch sie können ihr Selbst mit jeder Tierart dieses Planeten verbinden, und in letzter Zeit haben sie das vermehrt mit denjenigen Arten getan, die scharfe Klauen und Zähne besitzen. Sie lassen diese bis an die Stadtmauern gehen und packen diejenigen Generhaner, die sie dort vorfinden.“

 

            „Kein Wunder warnte mich der Ratsvorsitzende vor der Dunkelheit“, sinnierte Chakotay. Er stützte sich am Stein ab und erhob sich vorsichtig. Seven richtete sich ebenfalls auf, um ihn gegebenenfalls stützen zu können. Der Commander schritt den kleinen Kreis ab und blickte dabei jedem Individuum in dessen leeres Gesicht, eine Geste, die an Wesen, die zur Erfassung ihrer Umwelt keine eigenen visuellen Sinne einsetzten, verloren war. Doch Seven verstand, warum er es tat.

 

            „Sie können nicht  einfach hingehen und die Generhaner töten“, erklärte Chakotay mit einem Tonfall, der ihm jedes Recht auf diese Aussage zu geben schien.

 

            Sevens Okularimplantat zuckte in die Höhe. „Können sie nicht?“ Die Frage entstammte nicht dem kollektiven Bewusstsein. „Du darfst nicht die menschlichen Maßstäbe auf andere Kulturen anwenden. Ist das nicht eine Grundvoraussetzung, welche die Sternenflotte einhalten muss?“

 

            „Das …“ Chakotay wandte den Kopf und sah sie direkt an. Ein leichter Unmut schwang in seinen Zügen mit, weil sie seine Vorgehensweise unterminierte, „… ist im Grundsatz richtig, Seven. Doch wir sind immer angehalten, Konflikte auf friedliche Weise zu lösen.“

 

            „Und ich dachte, wir seien angehalten, uns aus Konflikten herauszuhalten.“

 

            „Seven!“ In Chakotays Miene kämpften deutlich die Gefühle miteinander. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, was in ihm vorging. Er wusste, dass sie auf einer gänzlich rationalen Ebene recht hatte, dennoch lag ihm viel daran, ihr seine Sichtweise verständlich zu machen, die viel mehr auf emotionales Handeln pochte, als es das Regelwerk vorsah.

 

            Sie wiederum war sich im Klaren darüber, dass sie im Endeffekt seiner Sicht der Dinge nachgeben würde. Nicht, weil er ihr kommandierender Offizier war, sondern weil da etwas in Chakotay war, das tiefer ging, ein universelles Verständnis, das auch die Höhlenwesen gespürt hatten, und dem sie den Umstand zu verdanken hatten, dass sie nicht ebenfalls als Feinde angegriffen worden waren.

 

            „Es muss uns immer darum gehen, einer diplomatischen Lösung den Vorrang zu geben. Wir dürfen keine Partei ergreifen, uns nicht einmischen, das ist vollkommen richtig. Aber wir können Anleitungen zu einem humanen Handeln vermitteln …“

 

            „Was kein Eingreifen darstellt?“, fragte sie pointiert. Für einen Moment hielten sich ihre Blicke gefangen. Ihrer kühl und analytisch, seiner warm und empfindsam. Er wusste, dass sie recht hatte, und sie wusste, dass sie ihm folgen würde.

 

            „Können sie nicht miteinander reden?“, versuchte es Chakotay. „Ich habe die Generhaner als recht verständig erlebt, sie würden nicht …“

 

            Seven blickte ihn an und er verstummte. Dann nickte er. „Sie können sich nicht verständigen, richtig? So wie ich das auch nicht kann?“

 

            „Ganz genau“, bestätigte Seven. Wieder kam eine gewisse Rastlosigkeit in die sie umgebenden Wesen. „Dazu kommt erschwerend, dass sie nur nachts unterwegs sein können. Sie haben die letzten Jahrhunderte die Generhaner gemieden, blieben für sich und waren zufrieden damit. Ein paar Mal sind sie im Wald einzelnen Personen begegnet, doch es waren flüchtige Begegnungen, fast wie …“ Sie lauschte den Bildern, runzelte die Stirn, da sie selbst nicht sehr viel von metaphorischen Bezeichnungen hielt. „… Nebel. Bei den Generhanern ist ihre Gegenwart daher eher in Form von mystisch angehauchten Erzählungen bekannt, in denen sie als Waldgeister bezeichnet werden.“

 

            Die Bewegungen wurden stärker, der Kreis begann sich wellenartig hin und her zu bewegen. Seven sah, wie Chakotay unwillkürlich wieder die Hand an die Schläfe presste, dabei jedoch tapfer lächelte, um ihr zu Verstehen zu geben, dass sie fortfahren solle.

 

            Seven nickte. „Sie haben einmal versucht, mit den Generhanern zu sprechen. Sie haben einen der Ihren des nachts in die Stadt geschickt. Ihre mystische Erscheinung sowie die Unmöglichkeit in irgendeiner Form eine für beide Seiten befriedigende Kommunikation zu etablieren haben dazu geführt, dass er in Haft genommen wurde, ohne eine Möglichkeit zu entkommen, als die Sonne aufging …“ Sie ließ den Rest der Information, die sich in schrecklicher Deutlichkeit in ihrem Kopf manifestierte, ungesagt. Ihr war klar, dass Chakotay auch so verstand.

 

            Die Wellenbewegung der sie umgebenden Wesen hatte sich nun in etwas Ähnliches wie einen Tanz aufgeschaukelt. Seven hielt die Augen auf ihren Commander gerichtet, um das aufkommende Schwindelgefühl über die optischen Nervenbahnen so gering wie möglich zu halten. Sie konnte sehen, dass auch Chakotay die Höhlenbewohner versuchsweise aus den Augenwinkeln beobachtete, jedoch sein Hauptaugenmerk auf seine Partnerin richtete.

 

            „Das war der Augenblick, in welchem sie beschlossen haben, den Generhanern den Krieg zu erklären, weil sie keine andere Chance für sich und ihren Lebensraum sehen.“ Seven seufzte. So lange diesen intensiven Emotionen ausgesetzt zu sein, forderte ihr einiges an Energie ab. „Das Abholzen geschieht unter tags, das können sie aufgrund ihrer Lichtempfindlichkeit nicht verhindern. Sie …“ Seven lauschte erneut. Es war sehr viel Information auf einmal, die auf sie einströmte. Es war, als ob die Wesen ob der Möglichkeit, endlich von einer anderen Spezies verstanden zu werden, in einen wahren Rausch der Mitteilsamkeit verfielen. „… sie haben versucht, aus dem Schutz ihrer Höhlensysteme heraus über Tiervermittler etwas zu erwirken. Doch eine Verständigung zwischen Generhanern und Tieren ist noch aussichtsloser als der Versuche einer telepathischen Kommunikation, und diejenigen Tierarten, die ihnen unter tags unter der Erde zur Aufnahme einer Beziehung zur Verfügung stehen, sind ohnehin stark limitiert und eher ungeeignet. Nein …“ Seven atmete einmal tief durch und richtete sich auf. „Sie sehen keine andere Möglichkeit, um die Generhaner ein für alle Mal an ihrem Zerstörungswerk zu hindern.“

 

            Chakotay schwieg für einen Moment, ließ sich offensichtlich das Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen. Dann richtete auch er seine Gestalt auf, mit ernster Miene blickte er sich im Kreis der farblosen Wesen um sie herum um. Die Höhlenbewohner hatten nun in der Tat mit nichts so sehr Ähnlichkeit wie mit den Beschreibungen von Geisterwesen aus der terranischen Literatur. „Ich kann das nicht zulassen.“

 

            Seven rechnete es dem Commander hoch an, dass dieser durch den folgenden Aufruhr sich nicht erneut in eine gekauerte Haltung zwingen ließ. Sie betrachtete den Mann durch die Augen der Fremden, mischte in ihren Gedanken das, was die Höhlenbewohner bereits von Chakotay wahrgenommen hatten, mit denjenigen Erfahrungen, welche sie selbst über die Jahre mit ihm gemacht hatte, malte ein Bild aus Respekt durchflochten mit Argwohn. Je länger sie sich der telepathischen Verbindung aussetzte, desto schwerer fiel es der Ex-Borg ihr eigenes Bewusstsein komplett von der kollektiven Gemeinschaft der Wesen abzugrenzen. „Wie willst du es verhindern?“, hörte sie sich schließlich kühl fragen und sie vermochte in diesem Moment nicht zu sagen, wer genau die Frage gestellt hatte. „Das hier ist nicht unsere Angelegenheit.“

 

            Chakotay sah sie nun direkt an. In seinen Augen konnte sie lesen, dass auch er sich die Frage stellte, mit wem er nun sprach. „Wir werden reden! Wir sind die Möglichkeit, die es bisher nicht gegeben hat.“

 

            „Sie werden nicht zuhören“, beharrte Seven. Sie verspürte eine leichte Irritation über ihre eigene Aussage, denn im Grunde stimmte sie Chakotays Einschätzung zu.

 

            „Was wir erst wissen werden, wenn wir es versucht haben.“ Sie spürte seine Augen auf sich brennen, in dem Versuch zu dem Individuum Seven durchzudringen. Es war schwer, die aufgebrachte Seele des Waldes zu besänftigen. Die Wesen wollten Rache für ihre bislang ermordeten Gefährten, glaubten nicht an die Möglichkeit einer Verständigung. Die Generhaner waren ihnen gleichgültig, sie erfassten sie lediglich als Eindringlinge. Empathie empfanden sie lediglich untereinander und mit ihrer natürlichen Umgebung. Es war eine Verhaltensweise, die Seven so geläufig war, dass es sie einiges an Anstrengung kostete, sich aus dem von ihr als logisch und natürlich empfundenen Gewirr von Empfindungen zu entheddern, und auf die eine Stimme zu hören, die ganz alleine ihre gehörte.

 

            „Das wissen wir erst, wenn wir es versucht haben“, formulierte sie laut, sowohl um Chakotay zu versichern, dass sie auf seiner Seite stand, als auch den Wesen deutlich zu machen, dass es nun an ihnen war, ihnen zu vertrauen.

 

            „Wenn wir uns in die Stadt beamen lassen, kannst du dann noch mit ihnen kommunizieren?“ Chakotays Finger befanden sich bereits auf dem Weg zu seinem Kommunikator.

 

            Seven hielt schweigend Rat mit den Stimmen des Waldes. Schließlich nickte sie. „Ich werde ihre Augen und Ohren sein.“

 

            Als alle Wesen dem knappen Austausch von Chakotay und der Voyager lauschten, legte sich endlich wieder dieselbe Ruhe in ihren Geist, wie sie die Ohren seit Anbruch der Nacht vernommen hatten. Captain Janeway klang nicht erfreut über den Alleingang ihres Ersten Offiziers und der abermaligen Verzögerung des Abflugs, doch sie ließ sich von Chakotays Stimme der Vernunft zu einigen weiteren Stunden überzeugen. Schließlich beendete er die Verbindung und nickte den Anwesenden zu. Ein inneres Lächeln erfüllte Seven bei diesem Anblick. Die menschliche Spezies war in der Mehrheit so abhängig von ihrem visuellen Sinn, dass das Konzept einer nichtvisuellen Kommunikation immer wieder gegen Gewohnheiten stieß.

 

            „Wir werden uns jetzt von unserem Raumschiff in die Stadt transportieren lassen …“

 

            Während Chakotay ihre Absicht in Worte fasste, übermittelte Seven das Prinzip des Transporters so gut es ging in die telepathische Verbindung, um zu verhindern, dass die Wesen erschraken, wenn die Präsenz der Voyager-Mitglieder von einer Sekunde auf die andere nicht mehr wahrnehmbar war.

 

            „… und dort dem Ratsvorsitzenden Ihr Anliegen vortragen.“ Chakotays Miene veränderte sich zu einem ermutigenden Lächeln, das ebenfalls an die Höhlenbewohner verschwendet war. Seven bekam jedoch mit, dass sie die unterliegende Absicht spürten und beschlossen, dem Commander ihr Vertrauen zu schenken.

 

            „Werden wir Sie wieder finden, wenn wir zurückkehren?“

 

            „Ich werde sie finden“, versicherte Seven.

 

            Chakotay nickte und erteilte dann der Voyager die Anweisung zum Beamen.

 

Rezensionen