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Schlafender Tiger

von Omikron

Kapitel 2

„Man könnte meinen, ein Flottenadmiral käme zum Essen“, nörgelte Doktor Warren. Syvok musste ihm insgeheim zustimmen. Die Tafel in der Offiziersmesse war feierlich gedeckt und der Küchenchef hatte ein wahrhaft festliches Abendmenü zubereitet. Die Offiziere trugen ihre grauen Galauniformen. Syvok hatte kein Problem damit, denn ihm war jeder Vorwand recht, die ungeliebte rote Uniform abzulegen. Sie wurde hauptsächlich von den kämpfenden Truppen der Sternenflotte getragen und stand dem Vulkanier in seinen Augen gar nicht. Commander Reynold kontrollierte noch einmal all seine Orden und gesellte sich dann zu der wartenden Menge der Führungsoffiziere. „Wessen blöde Idee war das eigentlich?“
„Meine“, antwortete ihm Captain Ryan. „Beim Essen unterhält man sich besser.
Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass er hungrig ist. Immerhin ist es seine erste
Nahrung seit zweihundertfünfzig Jahren, von Warrens Proteinkapseln mal abgesehen.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er hungriger ist als ich“, murrte Warren.
„Unglaublich. Wir organisieren hier ein Festmahl für ihn und er lässt uns warten.“
Wie auf Stichwort schoben sich die Türhälften der Messe auseinander. Herein trat, mit aufrechter Haltung und undurchschaubarem Gesichtsausdruck, der eingeladene Gast. Syvok bewunderte Ricardo Nehru für sein selbstsicheres Auftreten. „Ich bedauere meine Verspätung“, sagte er wohl darauf bedacht, keine Entschuldigung auszusprechen.
„Wir haben selten so besonderen Besuch auf unserem Schiff, Mister Nehru“, begrüßte ihn der Captain. „Sie sind zwar bereits unsere Datenbank durchgegangen, aber es kann nicht schaden, Ihnen meinen Führungsstab noch einmal persönlich vorzustellen. Mein erster Offizier, Commander Phillip Reynold. Er kommt von Erde, aus Idaho genauer gesagt.“
„Aus Illinois“, verbesserte Reynold und reicht dem Gast die Hand. „Sehr erfreut.“
Dieser entgegnete höflich „Commander“ und fügte hinzu: „Amerika, hm? Tapferes kleines Land.“
Ryan schaffte es, Reynold unauffällig zur Seite zu drängen, bevor es noch zu einer längeren Debatte kam. „Meinen Bordarzt, Doktor Frank Warren kennen Sie ja bereits. Er kommt von Alpha Centauri.“
„Doktor.“ Wiederum wurden Hände geschüttelt.
„Mein taktischer Offizier, Lieutenant Commander Syvok, kommt vom Vulkan. Das ist einer der wichtigsten Föderationsplaneten, abgesehen von der Erde.“
Syvok bereitete sich darauf vor, eine Hand schütteln zu müssen, wurde aber von Nehru überrascht, als dieser seine Finger auseinander spreizte und ihn mit den Worten „Langes Leben und Frieden“ grüßte. Syvok erwiderte dies und blickte dem Gast erstaunt hinterher. Wie viel Wissen über dieses Jahrhundert hat er sich in den letzten Stunden schon angeeignet?
Als nächstes stellte ihm Ryan Commander Fontana und Ensign Yogolelo vor. „Und hier haben wir meinen Navigator …“ Ryan blickte auf das humanoide, froschähnliche Wesen hinab und grinste verlegen. Kaum vernehmlich brummte er dann: „Das ist mir auch noch nicht passiert.“ Lauter sprach er weiter: „Nun denn, setzen wir uns. Ich sehe keinen Grund, den Küchenchef noch länger warten zu lassen.“ Ryan setzte sich an die Stirnseite der Tafel, sein Ehrengast saß zu seiner rechten. Syvok wählte den Platz neben diesem und saß damit Commander Fontana gegenüber.
„Nun, sollen wir beginnen?“, fragte der Gast und auf Ryans Zeichen hin wurden die Gläser mit Sekt gefüllt.
Ryan hob sein Glas und sagte: „Auf die Vergangenheit.“
„Im Gegenteil, Captain“, warf Ricardo Nehru ein. „Auf die Zukunft.“
„Hört, hört.“ Als der erste Gang aufgetragen wurde, sprach Ryan seinen Gast erneut an. „Wie Sie sich vorstellen können, haben wir unglaublich viele Fragen an Sie. Sie kommen aus einer Zeit, über die wir heute fast nichts mehr wissen. Die Siegermächte der eugenischen Kriege haben später den Großteil aller historischen Aufzeichnungen vernichtet oder gefälscht, die von dieser Zeit berichteten. Sie könnten so viel Licht in diese dunkle Zeit bringen.“
„Davon gehe ich aus“, entgegnete Nehru. „Wenn ich auf der Erde bin, werde ich Ihren Historikern all meine Kenntnisse zur Verfügung stellen“, versprach er.
„Sehr gut“, meinte Ryan und begann die Vorspeise zu essen. „War es denn wirklich eine
so dunkle Zeit, wie wir heute glauben?“
„Es war die Zeit großer Umbrüche und extremer Differenzen. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts entschied sich die Zukunft der Menschheit. Aber erlauben Sie mir, Captain, dass ich Ihnen einige Fragen stelle? Sie können sich vielleicht denken, dass es für mich noch viel mehr neues zu erfahren gibt als für Sie.“
„Selbstverständlich. Fragen Sie, was Sie wollen.“
„Schön. Wie sieht es zur Zeit auf der Erde aus? Von wem wird sie geführt? Wie ist das politische System?“
„Zum ersten kann ich Sie beruhigen. Die Erde ist heute ein Paradies. Es gibt dort keinen Krieg mehr, keine Seuchen und keinen Hunger. Diese Probleme haben wir längst hinter uns gelassen. Sie ist Teil eines interstellaren Völkerbunds, der Vereinigen Föderation der Planeten, die vor knapp hundert Jahren gegründet wurde und sich durchaus bewährt hat.
Ihr gewähltes Oberhaupt ist der Präsident der Föderation, derzeit Gnar von Tellar Prime.“
„Reizende Vorstellung“, brummte Nehru. „Außerirdische regieren die Erde.“
„Sie missverstehen da etwas“, stellte ihn Reynold richtig. „Jeder Planet hat seine eigene Regierung, die auch weitgehende Handlungsfreiheit in allen Belangen hat. Zur Erhaltung der gemeinsamen Stärke, für politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit existiert aber die Föderation.“
„Wo ich herkomme, wurde Massendemokratie als Schwäche angesehen. Wieso sollte jemand, der nicht an den Belangen des Staates interessiert ist und nicht bereit ist, sich selbst für den Staat aufzuopfern an dessen Führung teilhaben? Die Demokratie spannt Pferde aneinander, die in entgegengesetzte Richtungen ziehen. Wie soll sie da vom Fleck kommen?“
Ohne ihn anzusehen mischte sich Syvok in die Unterhaltung ein: „Es ist immer noch besser, als die Tiere in ein Gespann zu zwängen und mit der Peitsche in die selbe Richtung zu treiben. Diktaturen haben sich auf Dauer noch nie durchgesetzt. Sie sollten doch das am
Besten wissen.“
Syvok wurde unwohl zumute, als Nehru die Gabel zur Seite legte, sich langsam zu Syvok umdrehte und ihn mit seinem Blick zu töten wollen schien. Seine Stimme war so war so kalt und dunkel wie der Weltraum selbst. „Was meinen Sie damit?“
Syvok unterdrückte seine Nervosität und erwiderte nüchtern: „Ein Diktator, der gestürzt wurde, weiß sicherlich am Besten, dass sich die gewaltsame Unterdrückung eines ganzen Volks auf Dauer nicht möglich ist. Denn nach einer gewissen Zeit wird er gestürzt. Entweder durch Kräfte von außen, durch oppositionelle Kräfte in seiner eigenen ausführenden Instanz oder durch eine Revolution des eigenen Volks. Wie ich schon sagte, sollten Sie dies am Besten wissen, sind Sie doch an einer Kombination aus allen Dreien zugrunde gegangen, Khan Noonien Singh.“
„Mister Syvok, was soll das?“, fuhr in Ryan an.
„Schon gut, Captain“, sagte nun der Beschuldigte. „Ihr taktischer Offizier hat ein waches Köpfchen, aber wird sich irgendwann noch um Kopf und Kragen reden. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht ganz ehrlich zu Ihnen war, als Sie mich aus meinem langen Schlaf erweckt haben, aber ich hoffe nun eine Gelegenheit zu erhalten, dies wieder gut zu machen.“ Khan erhob sich und begann mit einer Rede. Sein ganzes Auftreten erweckte bei Syvok den Eindruck, dass tatsächlich der Herrscher der Welt vor ihm stand.
„Wie Sie alle wissen, wird die Geschichte von den Siegern geschrieben. Ich habe lange geschlafen und weiß nicht, was die Sieger über mich verbreitet haben. Ob sie mich Kriegsverbrecher genannt haben oder Massenmörder, Despot oder Schlächter. Ist dies nun der Fall, würden mich die Menschen, die mich erwecken, in eine Reihe stellen mit Kaiser Nero oder Adolf Hitler. Man würde Lügen glauben, deren Schöpfer schon längst in ihren Gräbern verrotten und mich würde man hängen. Ich kann von Glück reden, dass dem nicht so war und ich Ihnen nun die Wahrheit offenbaren kann. Ich bin nicht nur Teil der verbesserten Menschheit, Homo Superior Invictus, ich bin ihr Anführer. Mein Name ist Khan Noonien Singh.
Ich wurde in einer Zeit ins Leben gerufen, in der die Welt im Umbruch war. Große Reiche stürzten und einstmals große Herrscher verkauften am nächsten Tag Äpfel auf der Straße, denn ihre Macht war auf Säulen aus Sand gebaut. Es war eine Zeit des Wandels, in der sich ein Krieg anbahnte, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hatte. Und über allem schwebte der Schrecken der Atombombe, die die Fähigkeit hatte, alles Leben auf der Erde zu vernichten. Sie war lange Zeit der Höhepunkt der Technik menschlicher Kriegsführung. Man hatte die Technologie so weit entwickelt, dass man sich per Knopfdruck gegenseitig auslöschen konnte. Aber wer saß an diesen Knöpfen? Im Geiste waren sie immer noch die Affen, die sie vor ein paar tausend Jahren noch gewesen waren. Denn der Mensch selbst hatte sich weit weniger schnell entwickelt als seine Technik und – ich hoffe Sie alle verzeihen mir – daran hat sich bis ins 23. Jahrhundert nichts geändert.
Ein großer Mann, den ich meinen Vater nenne, hat es sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern. Er wollte die Führung der Menschheit in würdige Hände geben und den Menschen wieder an die Welt, die er selbst geschaffen hatte, anpassen. Deswegen hat er mich und meine Brüder genetisch verbessert, in Labors gezüchtet. Alles was schlecht und minderwertig war am Menschen hat er entfernt und was zurückgeblieben ist, war stärker, größer und besser. Ein gottgleiches Wesen. Ich.
Schließlich begann der Erste Eugenische Krieg. Es war ein Krieg ums Wasser nach einer langen Dürre. Aber damals waren es nicht wir, die den Krieg führten. Wir kämpften nur in der vordersten Linie und leisteten unmenschliches, um Feinde zu bezwingen, die genau so stark waren wie wir. Die Idee meines Vaters wurde gestohlen und bald kämpften Augments auf beiden Seiten gegeneinander. Was dann kam, war abzusehen. Während einer Schlacht an vorderster Front trafen wir aufeinander, unfähig den Gegner zu besiegen. Irgendwann wurde uns allen klar, dass unsere wahren Feinde nicht vor, sondern hinter uns standen. Wir Supersoldaten schlossen uns zusammen und stürzten die Regierungen beider Nationen. Gemeinsam lösten wir die Probleme, die unsere Länder in einen Krieg getrieben hatten und legten den Grundstock für das ostasische Reich. Die Machthaber in den anderen Ländern bekamen es nun mit der Angst zu tun, weil sie ihre Macht durch die Augments bedroht sahen. Also unterdrückten sie alle genetisch optimierten Menschen, die dort lebten. Das konnten wir nicht zulassen und führten weitere Kriege, durch die wir unsere Macht festigten, unser Reich vergrößerten und unsere Brüder befreiten. Bald regierte ich das größte Reich, das die Welt je gesehen hatte. Es erstreckte sich vom Pazifik bis zum Nahen Osten, von den weiten Wäldern Sibiriens bis an die Küsten des indischen Ozeans. Nun bekamen auch die westlichen Nationen Angst vor unserer Macht und überzogen unsere Länder mit Krieg. Amerika auf der einen Seite, Ostasien auf der anderen. Der Rest der Erde war ein einziges Schlachtfeld. Lange Zeit sah es aus, als könnten wir verbesserten Menschen trotz technologischer Überlegenheit des Feindes siegen, bis ich schließlich von einem meiner vertrautesten Generäle, Karan Krishan, verraten wurde, weil er auch die Macht wollte. Ich konnte ihn besiegen, aber bald entbrannten Kämpfe unter uns Augments, die der Feind nutzte, um zurückzuschlagen. Der Krieg wurde in unser Land getragen und schließlich erhob sich auch noch unser Volk gegen uns. Wir waren als Befreier zu ihnen gekommen, um die Menschheit in eine glorreiche Zukunft zu führen. Aber sie sahen uns nicht als die Halbgötter, die wir waren, sondern eher als Frankensteins Monster. Die Menschheit wehrte sich dagegen, sich selbst zu verbessern. Man kann sich kaum vorstellen, wie dumm sie waren. Ich schaffte es nach Krishans Verrat, die Front noch zwei Jahre zu halten und in dieser Zeit die Botany Bay zu bauen. Ich sammelte meine treuesten Anhänger und verließ die Erde. Unser Ziel war nicht ein anderes Sternensystem, dazu waren wir technisch nicht in der Lage. Unser Ziel war die
Reise in eine andere Zeit. Eine Reise in die Zukunft an einen Ort, zu dem uns unsere Feinde nicht folgen konnten. Nach dieser langen Zeit der Kriege sehnten wir uns nach Frieden.“
Captain Ryan ließ die Worte noch auf sich wirken, weswegen Syvok die Gelegenheit ergriff und einige Worte an Khan richtete: „Ich will nicht abstreiten, dass Sie zu den größten Feldherren der Geschichte zählen. Dennoch frage ich mich, ob es Ihnen bei Ihren überlegenen geistigen Fähigkeiten jemals in den Sinn gekommen ist, dass die Menschheit
Ihre Führung nicht wollte.“
„Natürlich“, entgegnete Khan. „Weil die Menschheit nicht verstand, was wir für sie taten.
Sie sah uns als ihre Feinde an, dabei waren wir das Gegenteil: Ihre Zukunft.“
„Menschen lassen sich nicht unterdrücken“, argumentierte Syvok weiter. „Ihre Freiheit bedeutet ihnen sehr viel.“
„Freiheit.“ Khan spuckte das Wort geradezu aus. „Was bedeutet Freiheit für Sie?“
„Es bedeutet, tun und lassen zu können was ich will, gehen wohin ich will, sagen-“
„Na schön, dann öffnen Sie eine Luftschleuse und gehen Sie ein paar Minuten im Weltraum spazieren! Oder betrachten Sie mit bloßen Augen das Licht der Gammastrahlen eines explodierenden Sterns! Das können Sie nicht? Ich schon, zumindest für kurze Zeit.
Wahre Freiheit kommt erst mit der Vollkommenheit des Menschen, die ich repräsentiere.“
„Glaubten Sie denn nicht, dass die natürliche Evolution den Menschen letztendlich von selbst zur Vollkommenheit führen würde?“
„Wieso warten, wenn wir es auch gleich tun konnten?“
„Ihr überlegener Intellekt machte Ihnen Glauben, keine Fehler begehen zu können, aber das war ein Irrtum. Sie haben millionenfache Verbrechen gegen die Menschheit begangen, als Sie mit radikalsten Maßnahmen Euthanasie betrieben und die Homosexualität unter den Menschen nahezu auslöschten.“
„Und? Hat es dem menschlichen Genpool etwa geschadet?“
„Allerdings. Die Erbanlagen und die Fruchtbarkeit der Menschen wurden durch Ihre
Fehler nachhaltig geschädigt.“
„Syvok, lassen Sie's wieder gut sein“, kam ein warnender Hinweis von Ryan.
„Es ist in Ordnung, Captain. Ich schätze, Ihr vulkanischer Offizier kann mich einfach nicht leiden, weil ich mit seiner Freundin im Bett war.“
Mehrere Sekunden lang herrschte absolute Stille an dem Tisch, bis Commander Reynold plötzlich laut losprustete. Alle menschlichen Männer, einschließlich Khan, stimmten in das Gelächter ein, während Syvok vor Scham im Boden versinken wollte. Nach vulkanischer
Manier bewahrte er aber die Fassung und wandte seinen Blick stur geradeaus. Schließlich sagte er: „Ich kann nicht verstehen, wie Sie alle mit einem Mörder-“
„Syvok, halten Sie den Mund!“, wies ihn Ryan scharf zurecht. Dann wandte er sich an Khan. „Sie müssen verstehen, dass große Kriegsherren in der vulkanischen Kultur keinen hohen Stellenwert haben. Man erinnert sich dort an Denker und Gelehrte, nicht an Generäle. Und ich sehe auch, dass wir noch vieles aus der Vergangenheit aufzuarbeiten haben.“
Khan setzte sich wieder, als der Hauptgang aufgetragen wurde und fragte den Captain dann: „Sagen Sie, was passiert nun eigentlich mit meiner Crew? Sie ist meine Familie und ich habe großes Verlangen, sie endlich wiederzusehen.“
Ryan entging der warnende Blick seines taktischen Offiziers nicht, weswegen er diplomatisch verkündete: „Wir bringen die Botany Bay nach Sternenbasis 12. Dort gibt es bessere Ausrüstung und mehrere Ärzte, die die Reanimation Ihrer Crew besser überwachen kann.“ Und mehr Sicherheitskräfte, fügte Syvok in Gedanken hinzu.
„Jeder meiner Männer kann das ohne gesundheitliche Bedenken überstehen“, entgegnete Khan. „Das haben Sie an mir gesehen.“
„Trotzdem. Sollte etwas schief gehen, möchte ich Spezialisten in der Nähe haben. Nichts für ungut, Frank.“
„Na schön“, sagte Khan. Syvok bemerkte sofort, dass er mit der Antwort nicht zufrieden war. Nach dem Hauptgang sagte der Ehrengast: „Ich denke, mein Hunger ist vorerst gestillt, aber mein Wissensdurst noch längst nicht. Ich habe Sie nicht belogen, als ich sagte, ich sei Ingenieur, Captain. Den Fusionsantrieb der Botany Bay habe ich beispielsweise persönlich entworfen. Ich würde mich gerne mit dem neuesten Stand der Technik vertraut machen.“
„Es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen alles zu erklären“, meldete sich Reynold freiwillig, bevor Ryan etwas sagen konnte. Dieser segnete es nur mit einem Nicken ab, woraufhin sich die beiden Männer erhoben und die Messe verließen.
„Gut gemacht, Syvok“, grunzte Ryan und begann im Dessert herumzustochern. Der
Vulkanier hob fragend eine Augenbraue. „Sie haben unseren Gast beleidigt und verjagt.“
„Sir, ich glaube nicht, dass ich Khan mit einer einzigen meiner Aussagen beleidigen konnte. Er wurde sich meiner Vorwürfe überhaupt nicht bewusst. Sie hingegen sollten einem verurteilten Kriegsverbrecher weniger Bewunderung, sondern mehr Vorsicht entgegenbringen.“
„Halten Sie mich etwa für leichtsinnig?“, fragte Ryan gereizt.
Vor nicht allzu langer Zeit hätte Syvok diese Frage mit einem glatten Ja beantwortet. Nun lebte er aber lange genug unter Menschen um zu wissen, dass Ryan dies als Beleidigung auffassen würde. Deswegen entschied sich Syvok für eine Ausflucht. „So würde ich es nicht bezeichnen.“
„Das bedeutet also Ja. Khan mag ein Kriegsverbrecher sein, aber die Zeit in der er gelebt hat, lässt sich nicht mit der heutigen vergleichen.“
„Dennoch halte ich es als Chef der Sicherheit für höchst bedenklich, ihm Einsicht in all unsere technischen Unterlagen zu geben.“
Ryan strich sich die Haare zurück und fragte ihn leise: „Und Sie sind sich sicher, dass Sie ihm die Einsicht nicht nur wegen Ihrer persönlichen Gefühle verweigern wollen?“
„Ich habe keine Gefühle. Weder persönliche noch andere.“
„Wie konnte ich das nur vergessen?“, seufzte Ryan. „Na schön. Wir bringen ihn zur Sternenbasis 12, dann ist er das Problem der Flotte.“
„Ich muss protestieren, Sir. Wir sollten ihn zur Sicherheit bis dahin in einer Arrestzelle festhalten?“
„Wieso denn?“
„Ich bin der Ansicht, dass Khan eine Gefahr für uns darstellt.“
„Eine Gefahr? Dieser Mann? Er lag zweihundertfünfzig Jahre tiefgekühlt in der Botany Bay. Stellen Sie sich einmal vor, Napoleon Bonaparte, einer der genialsten Feldherren seiner Zeit, hätte sich für diese Spanne eingefroren. Wenn er aufgewacht wäre, während des zweiten Weltkriegs, hätte er dort Kesselschlachten führen oder Luftangriffe abwehren können? Hätte er gewusst, wie man Panzer richtig einsetzt oder
Maschinengewehrstellungen ausschaltet? Nein. Und mit Khan ist es dasselbe. Dieser
Mann ist ein Fossil.“
Mit mehr Kühnheit als gesund war, bot Syvok seinem Captain die Stirn. „Ich denke, Sie irren sich.“ „Wieso?“
„Khan ist nicht Napoleon. Als er sich regenerierte, konnte er fünf Minuten lang seinen Tod vortäuschen und unser Gespräch belauschen. Sonst hätte er Ihren Namen nicht wissen können, Doktor Warren. In wenigen Stunden hat er vieles über meine Kultur gelernt und war in der Lage, mich korrekt auf die Weise meines Volkes zu grüßen. Etwas, was die wenigsten von Ihnen beherrschen“, führte er einen Seitenhieb auf seine Offizierskollegen aus. Khan beobachtet uns und lernt Stunde um Stunde. Er lotet unsere
Stärken und unsere Schwächen aus. Er ist kein Fossil, sondern ein erwecktes Raubtier, das seiner Beute auflauert.“

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„Bereitest du dich auf einen Krieg vor?“ Rosa hatte lange gebraucht, bis sie Syvok schließlich bei einem Waffenschrank gefunden hatte. Eigenhändig überprüfte er alle dort gelagerten Phasergewehre, änderte Codierungen und brachte seine Sicherheitsleute auf erhöhte Alarmbereitschaft.
„Ich bereite mich auf die Verteidigung meines Schiffes vor.“
„Also ist es jetzt dein Schiff?“
Syvok schwieg für eine Weile, bis es schließlich aus ihm heraus platzte. Dennoch schaffte er es, die in Rage gesprochenen Worte kühl und emotionslos klingen zu lassen. „Du kannst es einfach nicht lassen, nicht wahr? Khan ist seit einem einzigen Tag an Bord und du warst bereits mit ihm intim.“
Rosa schnappte empört nach Luft. „Woher weißt du denn davon?“
„Er hat es beim Dinner vor dem ganzen Offiziersstab erzählt.“
„Dieser Scheißkerl!“
„Was hältst du von ihm?“
Rosa brauchte eine Weile um sich wieder zu fangen. „Er ist ein Machtmensch, keine Frage. Er hat seine Ziele vor Augen und verwirklicht sie mit Gewalt. Ich glaube, wenn es die Umstände erfordern, hätte er keine Probleme damit, alles und jeden auszulöschen, der ihm im Weg steht. Aber er ist auch sehr intellektuell und gebildet. Und er glaubt jedes
Wort, das er sagt. Was für ein Verbündeter wäre dieser Mann!“
„Oder was für ein Feind“, meinte Syvok und nahm eine Phaserpistole aus dem Waffenschrank.
„Übertreibst du nicht ein bisschen?“
„Das werden wir sehen. Niemand hält Khan für gefährlich. Er wird uns eines besseren belehren.“
Rosa zuckte beiläufig mit der Schulter. Gemeinsam gingen sie in Richtung der Offiziersquartiere, wo sie sich vor der Tür von Rosas Kabine verabschiedeten. „Hast du morgen auch Alpha-Schicht?“, fragte sie ihn schließlich.
„Ja.“
„Dann sehen wir uns nachmittags auf dem Freizeitdeck?“
„Sofern du nicht anderweitig beschäftigt bist.“ Rosa lachte auf und schubste ihn kameradschaftlich beiseite, als sie die Tür öffnete. Khan stand vor ihr. Wenn Rosa etwas nicht erwartet hatte, dann jemanden innerhalb ihres Quartiers anzutreffen. „Wie sind Sie hier reingekommen?“
„Wir haben zu reden“, sagte Khan nur. „Warte drinnen auf mich.“ Rosa warf Syvok noch einen Blick zu und befolgte dann seinen Befehl. Die Tür schloss sich hinter Khan, als er zu Syvok auf den Korridor trat und sich die beiden Männer mit einem ernsten Blick musterten. „Ich warne Sie“, sagte der Augment. „Sie glauben, Ihre Kollegen unterschätzen mich. Aber tatsächlich unterschätzen Sie selbst mich auch. Versuchen Sie nicht, mich aufzuhalten oder Sie werden es bereuen. Ich rate Ihnen, kein Wort davon Ihrem Captain zu sagen, er wird Ihnen nicht glauben. Gute Nacht.“ Khan lies Syvok stehen und betrat Rosas Quartier. Die bildhübsche junge Frau hatte sich bereits gesetzt und wartete gespannt, was Khan ihr zu sagen hatte.
„Rosa, ich muss gestehen, dass die Zukunft anders aussieht, als ich erwartet hatte. Die
Erde wird von Außerirdischen regiert und der Mensch blieb die selbe minderwertige Kreatur, die er zu Beginn meiner Reise war. Daher habe ich beschlossen, meine Mission fortzusetzen und die Erde mit reinigendem Feuer zu überziehen. Als erstes werde ich meine Männer auf der Botany Bay erwecken und dann die Kontrolle über die Acheron übernehmen. Wirst du mir dabei helfen?“
Als Khan Rosas Antwort hörte, war er sicher, sich in ihr nicht getäuscht zu haben. Denn anstatt zu stammeln oder zu versuchen die Sicherheit zu rufen, fragte sie lediglich: „Was springt denn für mich dabei raus?“
„Eine Position großer Macht in der neuen Weltordnung“, versprach ihr Khan.
„Trotzdem werden wir beide es nicht allein schaffen, ein ganzes Schiff zu übernehmen.“
„Ich habe noch einen weiteren Verbündeten in der Crew gewonnen.“ „Wen denn?“, fragte Rosa erstaunt und erschrocken.
„Das sage ich dir, wenn du mir deine Treue unter Beweis gestellt hast. Hast du uneingeschränkten Zugang zur Wissenschaftsstation?“
„Ja.“
„Dann musst du dafür sorgen, dass die Sensoren der Acheron nicht aufzeichnen, wenn ich mich auf die Botany Bay beame. Captain Ryan darf erst davon erfahren, wenn es zu spät für ihn ist!“
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