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Eine Liebeserklärung

von Gabi

Schubladendenken

ab 12/ Romance


SCHUBLADENDENKEN

I don't know you, but I love you all the more for that

(“Falling Slowly” von Glen Hansard & Markéta Irglová)

Es kam für den Astromykologen Paul Stamets einem Anflug von Engelsgeduld gleich, dass er es sich geschlagene dreißig Sekunden lang angehört hatte, ohne etwas zu sagen. Aber jetzt reichte es.

Er setzte die Tasse ab, lehnte den Unterarm über den Stuhlrücken und versuchte, die Quelle der gehirnmarternden Dissonanz auszumachen. Die Bar in  Alpha Centauri City, wo er drei Tage für den Kongress der mykologischen Gesellschaft zubrachte, war zu dieser Abendzeit gut besucht. An den Tischen waren lebhafte Unterhaltungen im Gange. Er erkannte ein paar Teilnehmer des Kongresses, die er bei den heutigen Eröffnungsveranstaltungen kennengelernt hatte, und die wie er  offensichtlich das gesellige Abendprogramm mieden. Ein paar Sternenflottenangehörige der angegliederten Basis waren an ihren Uniformen zu erkennen, der Großteil der Gäste trug Zivil und war ihm unbekannt. Leise Tanzmusik erklang vom anderen Ende des Raumes her, wo sich einige Paare drehten.

Zwei Tische hinter ihm konnte Stamets den Übeltäter identifizieren. Ein menschlicher Mann mittleren Alters und Latino-Ursprungs saß dort vertieft in seine Lektüre. Von Zeit zu Zeit führte er die Tasse an die Lippen ohne den Blick von seinem Lesestoff abzuwenden. Er schien es nicht einmal mitzubekommen, dass er malträtierend disharmonisch vor sich hin summte.

Stamets setzte sein Gehör ein paar weitere Sekunden der Qual aus, um den Mann in einer der Schubladen abzulegen, mit denen er seine sozialen Interaktionen handlich zu sortieren pflegte.  Das schwarze Haar war raspelkurz geschoren, der penibel gestutzte Bart war mehr Dekoration als Gesichtsbehaarung und sprach von längeren morgendlichen Aufenthalten im Badezimmer. Das Hemd trug er weit offen, so dass ein problemloser Einblick auf die bronzefarbene Brustmuskulatur möglich war, die von ausgiebigen Stunden im Fitnessstudio zeugte. Stamets wettete, dass ein entsprechend in der Werbung als maskulin betörend bezeichneter Duft von dem Mann ausging, wenn man sich ihm näherte.

Er öffnete die Schublade "oberflächlicher Beau, einer intellektuellen Unterhaltung nicht wert" und legte den störenden Gast sorgfältig darin ab. Dann beschloss er, der Folter ein Ende zu bereiten.

"Stellen Sie dieses Gejaule ein oder verziehen Sie sich. Es nervt!"

Der Kopf des Fremden fuhr hoch. Verwirrt starrte er zu Stamets hinüber. Die Lippen halb geöffnet, die dunklen Augen erfüllt mit Unglauben über das eben Gehörte.

Immerhin war das Summen verstummt.

"Meinen Sie mich?"

Stamets empfand die Frage als intellektuell unwürdig in Anbetracht der Tatsache, dass er den Fremden direkt anblickte. Dementsprechend ungnädig fiel seine Reaktion aus. "Nein, natürlich nicht Sie, sondern all die anderen Gäste, die so erbärmlich vor sich hin brummen. Meine Ohren bluten."

Damit wandte er sich wieder von dem Störenfried ab und seinem Tee zu. Er legte es nicht bewusst darauf an, den Menschen in seiner Umgebung vor den Kopf zu stoßen, es geschah automatisch. Dennoch verspürte er jedes Mal eine gewisse Genugtuung dabei, wenn ein weiteres Exemplar einer humanoiden Spezies mit erschrockenem Blick einen weiten Bogen um ihn machte. Wer seine Laune nicht ertragen konnte, war seiner Gegenwart auch nicht würdig.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass der gescholtene Gast sich tatsächlich erhob und dabei Lesegerät und Tasse aufnahm. Wahrscheinlich verfluchte er Stamets innerlich aufs Unflätigste. Doch das war ihm gleichgültig, solange der Typ seinen teuren Luxuskörper außer Hörweite schob.

Als der Stuhl neben ihm zurecht gezogen wurde, war es an Stamets verblüfft aufzublicken. Tasse und Lesegerät wurden neben ihm auf dem Tisch abgelegt. "Sie sind der unhöflichste Mensch, der mir seit langem begegnet ist", erklärte der Latino, als er sich ungefragt setzte.

Stamets erwartete einen entrüsteten Blick, doch die Augen seines Gegenübers standen im Gegensatz zu dessen Worten. Es waren große, dunkle Augen, deren sanfter Eindruck von zahlreichen kleinen Lachfalten verstärkt wurde. Die gedankliche Schublade begann zu ruckeln und öffnete sich einen Spalt breit. Stamets gab ihr einen mentalen Stoß, um sie wieder zu verschließen. Immerhin hatte er mit dem Duft recht behalten. So nah war das herbe Parfüm deutlich wahrzunehmen.

Der Mykologe lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust, um dem Fremden klar zu machen, dass er dieses ungefragte Eindringen in seine Privatsphäre missbilligte. "Und Sie haben die miserabelste Tonführung, die mir je untergekommen ist, und dann auch noch ausgerechnet eine kasseelianische Oper. Jeder Mensch mit halbwegs passablem musikalischen Gehör würde vor Ihnen davonlaufen. Bedauerlicherweise ist meine Rhythmusgefühl recht gut."

Sein Gegenüber hob die Brauen, was den sanften Augen ein spöttisches Funkeln verlieh. "Und es hätte Sie umgebracht, mir das auf höfliche Art und Weise mitzuteilen?"

"Wozu?" Stamets versuchte seine aufkommende Irritation zu verbergen. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm auf seine unwirsche Art Widerworte gab. "Ich halte nichts von wischiwaschi Drumherumgerede."

"Ehrlich bis zur Schmerzgrenze." Der Latino zuckte mit den Schultern, sein Hemd spannte sich bei dieser Bewegung über den breiten Muskeln. "Sie müssen eine Menge Freunde haben."

Stamets zog die Augenbrauen über dem Nasenrücken zusammen und blickte sein Gegenüber von oben herab an. "Ich wüsste nicht, was Sie das angeht, Mr. ..."

"Lieutenant Hugh Culber, medizinisches Corps." Der andere streckte ihm die Hand entgegen, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet, um seine Aufdringlichkeit an den Mann zu bringen.

Stamets war gegen seinen Willen fasziniert davon, dass der Mann sich so offensichtlich weigerte, sich von seiner Unhöflichkeit vertreiben zu lassen. Doch das wollte er natürlich nicht eingestehen. Demonstrativ ignorierte er die dargebotene Hand und hielt die Arme weiterhin vor dem Körper verschränkt.

"Paul Stamets, führender Astromykologe", gewährte er.

Die Augenbraue des Sternenflottenoffiziers wanderte noch ein wenig weiter in die Höhe, während die Hand sich verlegen auf die Tischplatte absenkte und dort liegen blieb. "Führend? Mangelndes Selbstbewusstsein ist wohl keiner Ihrer Fehler."

"Warum auch?" Stamets gab seine abweisende Haltung auf. Offensichtlich führte sie bei seinem Gesprächspartner nicht zur angedachten Einsicht. Stattdessen lehnte er sich auf vor und erklärte mit leiser, eisiger Stimme: "Sie haben sicherlich noch anderes zu tun - ich habe das auf jeden Fall!"

Culber beugte sich seinerseits über den Tisch, das Hemd klaffte bei dieser Bewegung noch weiter auf. "Ich habe meinen dienstfreien Abend und freue mich immer darüber, neue interessante Bekanntschaften zu machen. Der Kongress hat viele unbekannte Gesichter hier her gebracht."

Stamets zwang sich dazu, nicht auf die Brust des Latinos zu starren. Leider waren die freundlichen Augen kein bisschen weniger verführerisch. "Dann machen Sie Ihre Bekanntschaften gefälligst woanders. So wie Sie angezogen sind, sind Sie doch drauf aus, ein paar Frauen hier aufzureißen."

Das Lächeln, das sich nun auf den dunklen Zügen Culbers zeigte, würde ihn wahrscheinlich heute Nacht im Traum noch heimsuchen. "Ich steh nicht auf Frauen …"

Verdammt! Stamets war gegen die Stuhllehne zurückgewichen, bevor er sich darüber klar wurde, dass er damit dem anderen einen Teilsieg einräumte. Falsche Reaktion! Ganz eindeutig auf dem falschen Fuß erwischt! Mit unerwünschter Klarheit wurde es Stamets bewusst, wie gutaussehend der Arzt war, wie charmant das Lächeln, wie sympathisch die Augen. Er musste ihn dringend loswerden. Abermals verschränkte er die Arme vor der Brust und bedachte ihn mit einem betont zynischen Blick. "Ich weiß gar nicht, warum ich mich mit Ihnen unterhalte", knurrte er.

"Oh, keine Sorge, das tun Sie überhaupt nicht." Wieder dieses sanfte Lächeln, so als ob alle Unfreundlichkeit des Wissenschaftlers von einem unsichtbaren Schutzschild aufgesaugt würde, und überhaupt nicht den Gesprächspartner erreichte. "Ich versuche, eine Unterhaltung mit Ihnen in Gang zu bringen, doch Sie bemühen sich redlich, alles mit Ihrer vorgeschobenen Grummeligkeit abzublocken."

"Vorgeschobene..." Weiter kam Stamets nicht. Culber hatte den Oberkörper gedreht und seine Aufmerksamkeit der anderen Seite der Bar gewidmet, wo sich die kleine Tanzfläche befand. Ein ruhiger Stanton wurde soeben angespielt.

"Tanzen Sie mit mir? So unterhält es sich angenehmer." Der Arzt wandte sich wieder an Stamets, so als ob das bisherige Gespräch gar nicht stattgefunden hätte. Eine Reihe gerader, blendend weißer Zähne blitzte auf, als er ihn offen anlächelte. Allmählich irritierte Stamets diese surreale Unterhaltung. Normalerweise ergriffen Gesprächspartner weit früher die Flucht, wenn sie sich am falschen Ende seiner Spitzen wiederfanden. Er fühlte sich auf eine irritierende Weise nicht ernst genommen. Ein Gefühl, dass er schon lange nicht mehr verspürt hatte.

"Sie können doch einen Wildfremden nicht so einfach zum Tanzen auffordern!"

Culber hob die Augenbrauen. Leichter Spott trat in die dunklen Augen. "Sie haben gerade gemerkt, dass ich das kann. Und so wildfremd kommen Sie mir nicht mehr vor. Ich glaube, ich kann bereits ein wenig hinter Ihre verschlossene Fassade sehen." Er beugte sich über den Tisch vor und zwinkerte unangebracht. "Wenn Ihr musikalisches Gespür so hoch entwickelt ist, dann werden Sie keine Probleme mit einem einfachen Stanton haben."

"Ich tanze nicht", erklärte Stamets kategorisch.

"Feigling." Culber lachte.

"Ich bin kein ..." Er starrte die ausgestreckte Hand an, die sich ihm erneut entgegenstreckte. Culber hatte sich bereits erhoben, so als ob er damit rechnete, dass Stamets seiner unsinnigen Bitte nachgeben würde. Für einen Moment überlegte er, die Hand wie beim ersten Mal auch zu ignorieren. Doch es war eine Tatsache, dass er gerne tanzte. Er kam jedoch viel zu selten in diesen Genuss, da er mögliche Tanzpartner in der Regel bereits im Vorfeld abschreckte. "...Feigling."

"Dann beweisen Sie es und tanzen mit mir. Ich bin ein guter Tänzer, ich werde Sie nicht blamieren." Culber beugte sich vor, griff nach einer der vor der Brust verschränkten Hände Stamets' und schloss seine Finger darum. "Ich verspreche auch, dass ich das Stück nicht mitsummen werde."

Stamets starrte auf die Hand hinab. Die dunklen Finger Culbers standen in krassem Kontrast zu seiner eigenen bleichen Haut. Der herbe Geruch des Eau de Toilette war aus dieser Nähe sehr angenehm. Er selbst hatte einen langen Tag auf dem Kongress hinter sich und der Gedanke an Tanzen barg eine fast rebellische Leichtigkeit in sich. Doch er konnte nicht einfach diesem Kerl nachgeben, den er eigentlich hatte vertreiben wollten. Sein Ruf würde darunter leiden ...

"Aber ich führe!", hörte er sich selbst sagen, als er sich von Culber vom Stuhl ziehen ließ.

"Gerne." Der erfreuten Miene des Arztes war anzusehen, dass er nicht wirklich mit einem Nachgeben Stamets' gerechnet hatte. Die Freude war ehrlich, fast wie die eines Kindes, und sie berührte Stamets in einem Bereich seines Herzens, von dem er fast vergessen hatte, dass er ihn besaß. "Ich liebe es, geführt zu werden."

Der Arzt hielt Wort. Kein unangebrachtes Summen kam über seine Lippen und er ließ sich anstandslos führen. Es brauchte keine fünf Schritte, bis sie beide in einen harmonischen Rhythmus fanden. Culber reagierte auf jede Haltungsveränderung, jeden leichten Druck der Finger in seinem Rücken. Selbst einer gewagteren Drehung, zu der Stamets sich gegen Ende des Stücks hinreißen ließ, folgte er mit fließender Bewegung.

Als das Lied verklang und Culber sich fortdrehte, um der Kapelle zu applaudieren, verspürte Stamets beinahe so etwas wie Bedauern über die Unterbrechung des Körperkontakts. Der andere Mann hatte so perfekt in seine Arme gepasst. Er besaß ein analytisches Gehirn und konnte daher die Anzeichen, die er an sich selbst entdeckte, zweifelsfrei zuordnen. Er wollte so nicht fühlen, nicht jetzt, nicht hier, und vor allem nicht wegen eines Mannes, der sich so standhaft weigerte, sich von ihm einschüchtern zu lassen. Doch natürlich wusste er zu gut, dass genau dieser letzte Punkt es war, der ihn so faszinierte. Stamets warf der Welt seine Arroganz entgegen und die Welt zog vor ihm das Genick ein. Das war ein recht komfortables Arrangement, das ihn davon abhielt, sich mit jeder Art von sozialen Feinheiten zu beschäftigen. Er war hier auf Alpha Centauri um zu arbeiten, nicht um sich ablenken zu lassen. Morgen lag ein langer Tag vor ihm, der seine gesamte Aufmerksamkeit forderte. Er betrachtete den Rücken des applaudierenden Culber und beschloss, die Gunst des Augenblicks zu nutzen, um sich aus dem Staub zu machen.

Feigling? Vielleicht. Doch es war der einfachere Weg.

Mit seiner Überlegung hatte er jedoch kostbare Sekunden verstreichen lassen. In dem Moment, in welchem er sich zum Gehen wenden wollte, drehte Culber sich bereits wieder um. Die Band hatte das nächste Stück begonnen, einen etwas rascheren Mixbo. Der Griff an Stamets' Oberarm war locker, jedoch bestimmend. Die stumme Anklage im Blick des Arztes teilte ihm mit, dass dieser genau wusste, was er soeben vorgehabt hatte.

"Muss ich Sie anbinden, damit Sie mir noch einen Tanz schenken, Paul?"

Außer seinem Forschungspartner Hendrik Straal sprach ihn allerhöchstens noch seine Mutter mit dem Vornamen an. Es klang ungewohnt, und auf eine gewisse sehnsuchtsvolle Art willkommen. Er nickte. Er wusste, dass er unhöflich war, und ihm war klar, dass Culber diese Behandlung nicht verdient hatte.

Der Arzt nahm das Nicken als Zugeständnis an einen weiteren Tanz hin. Er lächelte und glitt elegant in die Tanzhaltung, so als ob er schon immer dorthin gehört hätte, in Stamets' Arme.

Der Wissenschaftler schloss für einen Moment die Augen. Durch den Stoff des Hemdes hindurch, spürte er die warme Haut unter seiner Handfläche, die intime Nähe der Tanzhaltung hüllte seine olfaktorischen Sinne gänzlich in Culbers Duft ein. Der Körper, der sich von der Hüfte abwärts eng an seine Seite schmiegte, besaß bereits etwas Vertrautes. Nach diesem Tanz musste er gehen, oder er lief Gefahr, es nie mehr tun zu können.

Mit einem leisen Seufzen schob Stamets diese Gedanken beiseite, hob die Lider einen Spalt breit und ließ sich auf den rascheren Rhythmus des Mixbo ein. Als er seinen Tanzpartner in der ersten Konterbewegung herumwirbelte, lachte Culber leise auf. Es war ein ehrliches Lachen, das von Herzen kam und pure Freude ausstrahlte. Es war ansteckend.

Die letzten Takte des Stücks ließen ihn ein wenig außer Atem zurück, doch seltsam zufrieden mit der momentanen Situation. Ein Blick in die Augen seines Tanzpartners, der sich dieses Mal nicht der Kapelle sondern ganz ihm widmete, machte ihm klar, dass sich etwas verändert hatte. Er wusste nicht, ob er das wollte. Er wusste ebenfalls nicht, ob er noch die Macht hatte, es aufzuhalten.

"Du kannst lächeln", bemerkte Culber leise. Es klang beinahe ehrfürchtig.

Dass der andere wie selbstverständlich auf die persönliche Anrede gewechselt hatte, bekam Stamets nicht einmal mit. Zu fasziniert war er von der Veränderung in dem anderen Mann, die er offensichtlich mit der Zurschaustellung eigener Freude ausgelöst hatte.

"Ich lächle nicht", erwiderte er automatisch, doch es klang selbst in seinen eigenen Ohren nur halbherzig.

Culber fasste seine Hand und zog ihn von der Tanzfläche in Richtung der offenen Terrassentür. Draußen waren nur wenige Gäste, fast ausnahmslos Pärchen, die in verschiedenen Haltungen der Intimität den klaren Nachthimmel betrachteten. Die Musik war hier noch zu hören, doch es war leise genug, um eine Unterhaltung möglich zu machen.

"Du bist wunderschön, wenn du lächelst", erklärte Culber ernst. Der freundliche Spott, mit dem er bislang die Unterhaltung bestritten hatte, war wie weggewischt. Stamets wusste nicht, ob ihm diese neue Ernsthaftigkeit gefiel.

"Das ist kein Gespräch, das ich führen möchte", gab er leise zu bedenken.

Culber hob die Hand in Richtung von Stamets' Schläfe, der Wissenschaftler wich zurück. Das war zu rasch, zu unerwartet. Irgendwo auf der Tanzfläche hatte er die Kontrolle über die Situation verloren.  Der Arzt folgte seiner Bewegung, bis Stamets mit dem Rücken an der Terrasseneinfassung stand und nicht weiter ausweichen konnte.

"Du hast mir erklärt, dass dir Ehrlichkeit wichtig ist", bemerkte Culber. Seine Finger hatten nun den ersehnten Platz an Stamets' Schläfe gefunden. Sanft strichen sie durch die Strähnen. "Deswegen möchte ich nicht drumherum reden.  Du gefällst mir. Es kribbelt mir in den Fingern, durch deine Eisschicht zu brechen und die Emotionen freizulegen, die darunter brodeln."

"Das ist mir zu ehrlich", keuchte Stamets. Culbers Gesicht kam dem seinen immer näher, die Hand in seinen Haaren verhinderte, dass er den Kopf zurück beugte.

"Die Lawine, die du ausgelöst hast, kannst du nicht mehr stoppen." Culbers Stimme war nur noch ein Flüstern, der warme Atem tanzte über Stamets' Wangen. Er konnte nicht, er durfte nicht, wie hatte das ...?

"Ich wollte lediglich, dass dieses fürchterliche Gesumme aufhört", begehrte er in einem letzten Versuch zur Abstandswahrung auf.

"Pech."

Stamets glaubte noch einmal den liebevollen Spott in den dunklen Augen aufblitzen zu sehen, die den seinen jetzt so nah waren. Dann berührten Culbers Lippen seinen Mund. Sein Blick flackerte für einen Moment panisch auf, die Hände ruckten nach oben, um den Mann von sich zu stoßen, der so dreist jede Barriere eingerissen hatte. Doch wie sich die Hände unverrichteter Dinge an die Balustrade zurücklegten, senkten sich auch die Lider. Er ließ sich küssen. Weiche Lippen berührten die seinen,  spielten damit, saugten daran. Die Spitzen des gestutzten Bartes kribbelten auf Stamets' glatter Gesichtshaut und sorgten für einen prickelnden Kontrast zu den weichen Küssen. Als die Zungenspitze über seine Zähne fuhr, hatte Stamets bereits jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben. Willig öffnete er den Mund und ließ  Culber eindringen. Die Hände des Arztes waren überall in seinen Haaren und hielten den Kopf fest. Doch es war gar nicht mehr notwendig. Stamets hatte die Lanzen gestreckt und war bereit sich zu ergeben. Seine Arme lösten sich von der Balustrade. Erst zögerlich, dann mutiger legten sie sich um Culbers Rücken.

Der Teil seines analytischen Gehirns, der noch nicht von den niederen Emotionen beiseite geschubst worden war, realisierte mit einer gewissen Verblüffung, dass Culber den Rhythmus seiner Küsse dem Takt der Musik anpasste, die leise durch die Terrassentür herüberklang.

Als Culber mit dem Ende des Stücks die Berührung ihrer Lippen löste, verharrte Stamets noch einen Moment mit geschlossenen Lidern und geöffnetem Mund. Erst die zarte Berührung eines Fingers, brachte ihn dazu, die Augen zu öffnen.  Er konnte nicht verhindern, dass seine Züge das glückliche Lächeln spiegelten, das sich ihm offenbarte.

"Hast du einen festen Partner?" Culbers Finger hatte sich aus ihrem festen Griff in seinen Haaren gelöst und waren nun damit beschäftigt, die Strähnen wieder glatt zu streichen, die ihr leidenschaftliches Zusammentreffen durcheinander gebracht hatten.

Stamets lachte tonlos auf. "Die Frage kommt reichlich spät."

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern, etwas Jungenhaftes schien auf dessen Zügen durch. "Dein Lächeln vorhin hat meinen Ablaufplan geringfügig durcheinander gebracht." Die Finger lösten sich aus den Haaren und strichen über die Schläfe zu Stamets' Lippen hinab. "Dieser Punkt stand auf meiner Liste eigentlich vor dem ersten Kuss."

"Du hattest einen Plan, mich zu verführen?" Stamets neigte den Kopf ein wenig, um  einen der streichelnden Finger mit den Lippen zu erwischen und zu küssen.

Culber lachte hell auf. "Aufgrund meiner ausgesprochen charmanten Persönlichkeit bin ich es gewohnt, dass mir andere mit Höflichkeit begegnen", erklärte er augenzwinkernd. "Mich hat noch nie ein Fremder so unangemessen angeblafft wie du das vorhin getan hast. Der Sache musste ich auf den Grund gehen."

"Ich kann mich nur wiederholen: Meine einzige Absicht lag darin, meinen Ohren weitere Folter zu ersparen." Stamets hob seine Hände und ergriff diejenigen des anderen Mannes. Er führte sie mit leichtem Druck an seine Brust.

"Auch ich kann mich nur wiederholen: Pech. Das ging nach hinten los."

Stamets verschränkte seine Hände über denjenigen Culbers. Eine kleine, besitzergreifende Geste, derer er sich nur teilweise bewusst wurde. "Lass uns die Liste wieder in Ordnung bringen. Ich verabscheue Durcheinander." Er atmete einmal tief durch. "Nein, ich habe keinen festen Partner. Wie du so treffend festgestellt hast, beschränkt sich mein Freundeskreis auf eine sehr überschaubare Anzahl von einer Person, bei der es sich um meinen heterosexuellen Forschungskollegen handelt."

"Bei deinen höflichen Umgangsformen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, warum das so sein könnte", foppte Culber ihn. Er neigte sich ihm entgegen, verharrte jedoch in einem geringen Abstand. Dieses Mal war es Stamets' Zug.

"Ich kann es mir auch nicht erklären ...", flüsterte der Mykologe. Er neigte den Kopf und berührte die wartenden Lippen. Dieser Kuss fiel weitaus weniger leidenschaftlich aus als der erste. Stamets war kein emotionaler Typ, es fiel ihm schwer eine gefühlsbetonte Initiative zu ergreifen, seine Leidenschaft war für seine Forschung reserviert. Doch die Ernsthaftigkeit, die in dieser fast keuschen Berührung lag, wog umso stärker.

Für einen langen Moment verharrten sie im nahezu unschuldigen Erkunden ihrer Lippen. Dann löste sich Culber, und dieses Mal tat er es mit offen zur Schau getragenem Bedauern.

"Ich muss morgen früh raus", erklärte er leise. Die Hände presste er zur Versicherung, dass er momentan ganz andere Dinge liebe täte, fest auf Stamets' Brust. "Aber ..." Er legte den Kopf schräg, sein Blick wurde verlegen, was Stamets auf gewisse Weise irritierte. Verlegenheit war ein Aspekt, den er bislang nicht an dem forschen Latino erlebt hatte. "Ich würde dich morgen Abend gerne wieder sehen."

Der Wissenschaftler hob überrascht die Augenbrauen. „Ich weiß nicht, ob ich die Zeit finden kann“, erklärte er. Da war es wieder, das automatische Verletzen der Gefühle anderer, um seine eigenen zu schützen. Hier war die Chance, es zu beenden, bevor irgendetwas anfing.

Wenn ihn diese Antwort getroffen hatte, ließ Culber es sich nicht anmerken. "Ich kenne deinen Namen, ich kenne den Kongress - ich werde dich finden." Er ließ seine Hände langsam von Stamets‘ Brust gleiten, führte sie über die Hüfte des Wissenschaftlers und ließ sie einen flüchtigen Moment, den man fast noch als zufällig hätte empfinden können, auf dessen Hintern ruhen. „Ich tue dir gut, du wirst es sehen.“ Dann löste der Latino sich von ihm und machte sich mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Weg zu ihrem Tisch zurück, um das Lesegerät mitzunehmen.

Stamets blickte dem Arzt nach und versuchte sich klar zu werden, was in der letzten Stunde geschehen war.  Das hier war überhaupt nicht seine Art. Das war nicht er, der brillante Wissenschaftler, der jeden anderen Menschen auf Armeslänge von sich entfernt hielt. Wie hatte dieser Mann es geschafft, so mühelos durch seine Barriere zu brechen? Wie hatte er sich von dieser Sanftheit so überrumpeln lassen können? Und warum pochte sein Herz so heftig, wenn er der kleiner werden Silhouette nachblickte?

Es gab so viele Möglichkeiten, wie Stamets sich jetzt aus der Affaire ziehen konnte, wie er sich für den Offizier unauffindbar machen konnte. Alles vergessen, seine übliche Routine wieder aufnehmen, jeder Komplikation aus dem Weg gehen.

Doch zu seiner allergrößten Verblüffung war er sich im Klaren darüber, dass er morgen Abend wieder hier sein würde - und dass er sich bereits jetzt darauf freute.

Er öffnete die mentale Schublade, nahm den Arzt behutsam heraus und bettete ihn in eine neue um. Eine, die nur für den Mann mit den sympathischen Lachfalten reserviert war. Mit selbstvergessenem Lächeln bedachte er sie mit der geistigen Aufschrift „Zukunft?“.

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