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Öffnet den Himmel

von Gabi

Kapitel 1

Es fiel ihm zunehmend schwerer Schlaf zu finden.

Dr. Hugh Culber gelang es gerade noch rechtzeitig, den Kopf wegzudrehen, bevor der Unterarm das Kissen dort traf, wo er eben noch gelegen hatte.

Im Prinzip sollte er auf das Sofa umziehen, doch das war etwas, das der Mediziner nicht über sich brachte. Er hätte das Gefühl, seinen Partner im Stich zu lassen. So setzte er sich mit einem resignierten Seufzen im Bett auf und fing den Arm ab, als dieser ein weiteres Mal herum schwang. Er legte ihn vorsichtig zurück auf das Laken. Die ersten paar Tage hatte er den Fehler begangen, die Arme seines Partners festzuhalten, was diesen aufgeweckt hatte. Das jedoch wollte Culber vermeiden. Stamets‘ Schlaf war bereits unruhig genug, er musste nicht auch noch durch eine Aufwachphase unterbrochen werden. Dazu kam, dass Culber es ebenfalls nicht über sich brachte, seinem Mann zu sagen, dass dieser unter dem Einfluss der zunehmenden Sprünge selbst im Schlaf immer nervöser wurde. Das würde ihn nur zusätzlich beunruhigen. Alles, was er tun konnte, war zu versuchen, ihm die Einschlafphase so gut wie möglich zu erleichtern. Wenn er die Tiefschlafphase erreichte, schien alles in Ordnung zu sein.

Culber griff nach der Decke, die sich zwischen Stamets‘ strampelnden Beinen verknotet hatte, und richtete sie. Auf Höhe der Hüfte verharrte er kurzzeitig, um den freigelegten bleichen Bauch zu streicheln. Dann zog er Stamets‘ nach oben gerutschtes Pyjama-Oberteil wieder gerade und deckte ihn bis zur Brust zu, in der vagen Hoffnung, dass der Mann bald zur Ruhe kommen würde.

Er rutschte erneut in die Horizontale, schlang seine Arme um Stamets‘ Schultern und bettete dessen Kopf auf seine Brust. Er hoffte, seinen Partner mit dem Rhythmus seines Herzens beruhigen zu können. Für einen Augenblick schien es zu funktionieren. Der Atem des Mannes wurde ruhiger, der Arm des blonden Wissenschaftlers schob sich in einer langsamen, kontrollierten Bewegung über Culbers Brust und blieb dort liegen. Eine Welle von Dankbarkeit durchströmte den Mediziner. Er hatte sich und seinem Mann geschworen, immer für ihn da zu sein. Und das war etwas, das er sehr ernst nahm. Ihre Beziehung kam für ihn an erster Stelle, er wusste, dass er sogar seine Karriere dafür opfern würde, wenn es hart auf hart käme. Er war in den letzten Jahren immer derjenige gewesen, der Paul Stamets hatte erden können, wenn dieser wieder einmal auf seinen Höhenflügen unterwegs war. Er war da, wenn der Forscher sich wegen Rückschlägen austoben musste. Er war da, wenn Stamets in seiner Wut über Lorcas Verhalten unter Bluthochdruck litt. Er war da, wenn die Verzweiflung so tief war, dass der Sprung in den Abgrund verlockend schien. Er war immer für ihn da gewesen, hatte nie nach etwas für sich gefragt. Die Gewissheit, dass er die einzige Person war, welche die weiche Seite des harten Paul Stamets kannte, war für ihn Belohnung genug gewesen. Die Befürchtung, dass seine Gegenwart irgendwann einmal nicht mehr ausreichen mochte, um den Geliebten vor den Widrigkeiten des Lebens zu schützen, machte ihm mehr Angst, als er jemals für möglich gehalten hätte.

Der Arzt neigte den Kopf zu den verstrubbelten, kurzen Haaren. Liebevolle Küsse strichen über Stamets‘ Nacken. Fingerspitzen schoben sich unter den Halsausschnitt des Pyjamas und kraulten den verspannten Schulterbereich.

Stamets‘  Seufzen war mehr zu spüren, denn zu hören.

Culber wagte es, die Augen zu schließen und sich in eine trügerische Sicherheit begebend auf Schlaf zu hoffen. Daher reagierte er auf das nächste Zucken zu spät.

Ein heißer Schmerz fuhr durch seinen Nasenrücken, als der Schädel gegen ihn krachte. Culbers Hände flogen an Stirn und Nase. Er versuchte, die Tränen wegzublinzeln.

Stamets saß aufrecht im Bett und starrte ihn an. Er schien weder irgendeinen Schmerz zu empfinden, noch zu bemerken, dass er seinen Partner verletzt hatte. Die runden Augen des Wissenschaftlers strahlten den ruhigen Irrsinn aus, den Culber mittlerweile fürchten gelernt hatte. Er wusste nicht, ob  der Mann in diesen Augenblicken überhaupt wach war, ob sein Bewusstsein hier war oder in irgendwelchen Dimensionen, die er sich nicht einmal vorstellen konnte.

Eine vorsichtige Betastung der Nasenknorpel ergab keinen Bruch, ein verstohlenes Wischen unter der Nase blieb ebenfalls blutfrei. Also galt es lediglich, das Abklingen des Schmerzes abzuwarten.

„Hugh, es ist unglaublich!“ Stamets blickte sich einen Moment verwirrt um, so als befände er sich nicht dort, wo er geglaubt hatte, sich zu befinden. Er blinzelte kurzzeitig, wirkte, als ob er auf das Nasenrückenreiben seines Partners eingehen wollte, schien den Gedanken jedoch wieder zu verwerfen. „Habe ich geträumt?“

Ich hoffe es. Culber blinzelte die Tränen fort und ließ von seiner Nase ab. „Ja, du hast geträumt.“ Er berührte die Schläfe seines Partners. Seine Fingerspitzen tanzten kurzzeitig durch das vom unruhigen Schlaf gänzlich zerzauste Haar, dann fassten die Finger fester zu. Ein schwaches Lächeln huschte über Stamets‘ Züge, als er sich widerstandslos an Culbers Brust ziehen ließ. Der Arzt schloss die Augen. Er umfasste den blonden Mann einen Moment schweigend, bis er seine eigenen Gefühle wieder im Griff hatte. Dieses Lächeln zeigte Stamets niemandem außer ihm, und das auch nur in Momenten der Erschöpfung. Für Culber war es das Äquivalent eines Hilfeschreis, den der Wissenschaftler nie verbal äußern würde. Sein Gefährte brauchte ihn, und er wusste nicht, ob er dieses Mal genug für ihn war.

„Du musst schlafen“, ermahnte er ihn leise. Er spürte das Nicken an seiner Brust. Seine Hände schlossen sich fester um Kopf und Nacken. Im Zurücklegen zog er den anderen mit sich und hielt ihn eng an seinem Körper.

„Ich bin müde.“ Stamets rieb die Wange an dem weichen Pyjamamaterial.

Einen Moment lang glaubte Culber, dass sein Partner endlich einschlafen würde.

„Wenn ich versuche, es zu beschreiben, entgleitet es mir jedes Mal.“ Stamets legte den Kopf in den Nacken ohne den Kontakt mit der Brust seines Partners zu lösen. Er blickte ihn nun direkt an mit diesen großen runden Augen, die so verletzlich wirken konnten, wenn man sich nur die Mühe machte, näher hinzusehen. „Hugh, ich berühre den Himmel und ich kann es nicht in Worte fassen, weil unsere Sprache zu inadäquat dafür ist.“ Er seufzte. „Diese Unfähigkeit zerreißt mich manches Mal fast. Ich sehe alles, ich begreife alles. Da ist eine Klarheit, die so rein ist, dass sie weh tut. Und ich … ich …“ Er hob die Hand von Culbers Körper und ruckte sie in Richtung seines Gesichts. „Hugh, ich könnte so viel begreifen, wenn dieser begrenzte Geist nicht wäre.“ Der Handballen schlug gegen die Schläfe.

Der Arzt strich über Stamets‘ Schulter hinunter und hielt die Hand von erneutem Zuschlagen ab. „Es ist unser Geist, unser Menschsein“, bemerkte er leise.

Die multidimensionale Reise, auf die sein Mann sich begeben hatte, war für ein Bewusstsein, das an ein dreidimensionales Universum angepasst war, nicht zu bewerkstelligen. Das war der eine Punkt, über den sich Culber klar war. Die zugrundeliegende Biophysik war ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Er konnte nur mit ehrfürchtigem Staunen lauschen, wenn sein Partner ihm die Theorien darlegte. Wirklich folgen konnte er ihm nicht.

„Aber er ist so begrenzt! Ich kann es hier begreifen“, Stamets‘ Hand zuckte nun zu seiner eigenen Brust, nur um dann wieder an seine Stirn zurückzukehren, „aber nicht hier.“

Culber musste gegen den Kloß im Hals ankämpfen. Wie oft hatte er sich gewünscht, dass sein Partner weniger dem Verstand als dem Herzen folgte. Er bereute diesen Wunsch nun. Aus persönlicher und medizinischer Sicht müsste die Navigation sofort eingestellt werden. Man brauchte keine besondere Ausbildung, um zu erkennen, dass dieser Missbrauch von Stamets‘ Körper und Geist nicht gut für den Mann war. Es war wie eine Sucht: Nach einem anfänglichen Höhenflug kam unweigerlich der Zusammenbruch, doch Aufhören war nicht möglich. Stamets‘ Nutzen für Lorca, für die Discovery, ja für den gesamten Krieg überwog jeden Gedanken an die Sicherheit des Navigators. Seine Stellung war einzigartig und er war derzeit nicht ersetzbar.

Der Arzt wollte ihnen zuschreien, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten, dass Stamets‘ Gesundheit nicht einfach einem höheren Gut geopfert werden durfte, dass er als Mensch zählte, nicht als Navigator. Doch niemand würde auf ihn hören. Nicht einmal sein Partner selbst würde seine Bedenken teilen. Und so schwieg er, gegen besseres Wissen, gegen sein Herz. Schwieg, um seinen Partner nicht zu beunruhigen; schwieg, aus Angst von seiner Position als Stamets‘ Arzt abgezogen zu werden, der einzigen Position, in welcher er momentan zumindest noch minimal eingreifen konnte.

Die Tränen, die Culber nun zurückblinzeln musste, hatten nichts mehr mit dem Schmerz in seiner Nase zu tun. Dieser war durch einen tieferen ersetzt worden. „Ich will dich nicht verlieren“, flüsterte er im Affekt, während er beide Arme eng um Stamets‘ Rücken schlang.

„Warum solltest du?“ Die müden Augen blinzelten.

„Nein“, Culber quälte sich ein zuversichtlich wirkendes Lächeln ab, „warum sollte ich … versuch jetzt zu schlafen, Paul.“

„Ich würde dir so gerne zeigen, was ich erfahre.“ Stamets rieb seine Wange träge an Culbers Brust. Die farblosen Wimpern hatten die Augen jetzt nahezu völlig bedeckt. Er zog seine Rechte aus der Umarmung und streckte sie in die Höhe. Die Lider blieben weiterhin geschlossen. Was er nun sah bedurfte offensichtlich keiner visuellen Sinne.

Culber beobachtete im Dämmerlicht des Quartiers, wie sein Gefährte die Finger spreizte. Hinauf, wie Signalempfänger für eine andere Dimension.

„Ich kann mit den Fingerspitzen den Himmel berühren, wenn ich mich weit genug strecke. Ich fühle damit den Pulsschlag des Universums.“ Stamets‘ Stimme hatte den träumerischen Unterton angenommen, den Culber so zu fürchten gelernt hatte. „Da ist so viel Schönheit. Alles ergibt einen Sinn. Ich bin eins mit den Grundprinzipien der Biophysik.“ Das Lächeln, das sich nun über die müden Züge legte, galt nicht mehr ihm, seinem Partner. Sein Geist befand sich bereits wieder in höheren Sphären. „Davon habe ich immer geträumt.“ Die Müdigkeit ließ den Arm allmählich der Schwerkraft nachgeben. Die Finger blieben jedoch weiterhin fächerartig gespreizt.

„Ich weiß.“ Die Erwiderung es Arztes war nur ein trauriger Hauch. Er löste einen Arm vom Rücken des geliebten Mannes und nahm die sinkende Hand behutsam entgegen.

Als Stamets endlich in den Schlaf hinüberglitt, lagen ihrer beider Hände auf Culbers Brust – nur die Fingerspitzen berührten sich.

Der Arzt selbst würde noch einige Zeit keinen Schlaf finden. Besorgt betrachtete er das geliebte Gesicht, das nun endlich entspannt und unschuldig wirkte. Er hatte sich geschworen, diesem Mann in die Hölle zu folgen. Und nun realisierte er mit wachsender Panik, dass er keine Möglichkeit finden würde, ihn in den Himmel zu begleiten.

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