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Familie

von Darchelle

Kapitel 1

Jim grinste vom einen Ohr zum anderen. “Wir können Weihnachten auf der Erde verbringen”, strahlte er.
“Wenn wir es nicht noch schaffen, unterwegs in einen Konflikt mit einer fremden Spezies oder dem Universum zu geraten”, brummte McCoy. Er war bei weitem nicht so optimistisch wie sein Freund.
“Ach komm schon, das schaffen wir. Sei nicht so pessimistisch.” Jim klopfte Leonard auf den Oberschenkel.
“Ich bin bloss realistisch”, brummte dieser zurück.
“Und ein Spielverderber.” Jim beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft auf den Mund. “Ich freu mich schon, deine Familie kennenzulernen.”
Ja, das. Leonard hatte Jim irgendwann mal versprochen, dass sie das erste Weihnachten als Paar bei seinen Eltern in Georgia feiern würden. Da sie aber bis zu diesem Jahr immer irgendwo im Weltraum hatten feiern müssen, war es nie dazu gekommen. Dieses Jahr schien es zu klappen. Jim hatte sich riesig gefreut, Leonard hingegen… nun, er war froh, wenn es nicht in einer Katastrophe enden würde.
“Joanna wird sich auch freuen”, erwiderte der Arzt und versuchte sich ein wenig aufzulockern. Würde schon schief gehen… “Besonders wenn du ihr wieder all die Dinge erlaubst, die ich ihr sonst verbiete.” Gespielt verärgert beugte er sich vor und verpasste Jim einen schnellen Kuss.
“Ich muss doch ein guter Onkel sein”, erwiderte der Captain frech.
Jim und Joanna hatten sich von Anfang an super verstanden, was Leonard nicht weiter verwunderte. Jim war genauso ein Kind wie die elfjährige McCoy.
“Das musst du wohl.”
Sie lächelten sich einen Moment an, dann nahm Leonard seinen Freund in die Arme. Irgendwie freute er sich schon auf Weihnachten mit Jim. Sofern sie morgen ohne Probleme durchs All fliegen konnten und pünktlich in 36 Stunden auf der Erde eintrafen.
“Wir sollten schlafen”, meinte Jim plötzlich und gähnte.
“Ja, sollten wir”, antwortete Leonard. Erst jetzt spürte er die Müdigkeit, die auf seinen Augenlidern lastete.
Also machten sie sich bettfertig und legten sich hin. So aneinander gekuschelt konnten sie ohne Probleme einschlafen.

Tatsächlich schafften sie es pünktlich zum Erdstützpunkt der Föderation und konnten dann mit einem Shuttle nach San Fran hinunter fliegen. Nachdem sie die kleinen Notwendigkeiten für einen Landurlaub erledigt hatten, sassen sie auch schon im nächsten Shuttle nach Georgia. Die beiden Männer waren aufgeregt, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Leonard sah immer wieder zu Jim hinüber, der vor sich hin lächelte und hin und wieder Leonards Blick erwiderte.
Der Arzt schluckte. Er musste es Jim sagen, bevor sie in Atlanta ankamen. Am besten jetzt gleich. Nur… wie sollte er das formulieren, damit er Jim nicht verletzte?
“Pille?”, brach der Captain in seine Gedanken ein.
“Hm?”
“Was ist los? Und sag nicht nichts.” Jim sah ihn ernst an.
Leonard seufzte. Na gut.
“Es gibt da etwas, dass ich dir noch sagen muss. Etwas, das meine Familie betrifft…”
Jim runzelte die Stirn, was Leonards Unbehagen nicht kleiner werden liess.
“Es sind alle sehr… altmodisch. Und sie legen viel Wert auf Familie. Also, Familie im Sinn von Mann, Frau und Kinder.” Er traute sich nicht, Jim in die Augen zu sehen.
“Du meinst, sie könnten ein Problem haben mit uns?”, schlussfolgerte der Captain.
“Vielleicht. Ich weiss es nicht so genau.”
“Wieso sagst du mir das erst jetzt?”, fragte Jim verwundert. Leonard glaubte, auch ein wenig Enttäuschung darin zu vernehmen, redete sich aber ein, dass das Einbildung war.
“Ich… wollte dir nicht die Laune vermiesen…” Und er hatte es immer vor sich hergeschoben, weil es ein unangenehmes Thema war. Grundsätzlich liebte Leonard seine Familie, aber seit er sich in Jim verliebt hatte, verfluchte er sie dafür, dass sie so altmodisch waren.
Er spürte eine Hand auf seinem Oberschenkel und sah Jim an. Der lächelte aufmunternd. “Wir schaffen das schon”, meinte er selbstsicher. Typisch Jim.
“Ich hoffe es. Ich weiss einfach nicht, wie ich es ihnen sagen soll…”
“Joanna weiss es doch”, bemerkte der Captain.
“Ja…”
“Vielleicht hat sie es schon erzählt.”
Leonard schüttelte den Kopf. “Ich glaube nicht. Ich habe ihr gesagt, sie soll es für sich behalten.” Er seufzte. “Wie auch immer. Mir fällt bestimmt etwas ein.”
Daraufhin schwieg Jim, was dem Schiffsarzt recht war. Zum Glück war Jim nicht ausgeflippt. Es erstaunte Leonard immer wieder, wie verständnisvoll sein Freund sein konnte.

Als sie in Atlanta ankamen, wurden sie von Leonards Vater mit dem Auto abgeholt. Joanna sass - wie Leonard nicht anders erwartet hatte - auf dem Rücksitz und erwartete ihren Vater voller Vorfreude.
Kaum hatten sich die beiden Männer ins Auto gesetzt - Leonard vorne und Jim hinten bei Joanna - fragte die Kleine die beiden auch schon nach ihren neusten Erlebnissen aus.
So verging die Fahrt bis zu dem alten McCoy-Haus ohne spezielle Vorkommnisse und zu Leonards Erleichtern ohne dass sein Vater etwas bemerkt hatte.
Im Haus wurden sie dann von Leonards Mutter herzlich Empfangen.
“Mom, das ist Jim Kirk”, stellte Leonard die beiden vor.
“Hallo Mister Kirk. Schön, Sie endlich kennen zu lernen. Wir haben so viel von Ihnen gehört.”
Eleanora McCoy war eine stattliche, ältere Dame, mit weissen, schulterlangen Haaren und braunen Augen, die denen von Leonard sehr ähnlich waren.
Jim schüttelte die Hand, die ihm gereicht wurde. “Gleichfalls. Nennen Sie mich Jim.”
Eleanora lächelte. “Ich bin Eleanora. Und das ist David, mein Mann. Ihr kennt euch sicher bereits.”
“Richtig.”
Leonard stand etwas daneben und beobachtete die Szene. Jim war so anständig und höflich. Es schien Leonard fast, als würde er die diplomatischen Manieren eines Raumschiffcaptains anwenden. Nun, wenn er den Rest seiner Familie kennenlernte, brauchte er die bestimmt.
“Grandma, Grandma, kann ich Onkel Jim sein Zimmer zeigen?”, fragte Joanna gerade aufgeregt.
“Natürlich, Liebling.”
Eleanora sah ihren Sohn fragen an, als Joanna und Jim die Treppe hoch verschwunden waren.
“Ich habe nie verstanden, weshalb sie ihn ‘Onkel Jim’ nennt”, murmelte sie.
Leonard zuckte nur mit den Schultern. Gerade jetzt war es noch zu früh, um ihr die ganze Wahrheit zu sagen.
“Ich geh dann auch mal rauf und richte mich ein”, entschuldigte er sich und schnappte sich seinen Koffer.
Für den Moment war er sicher.

“Ihr habt eine schöne- ein schönes Haus”, meinte Jim, während er sich von Leonard und Joanna alles zeigen liess.
“Danke.”
“Und das ist mein Lieblingsraum”, sagte Joanna, während sie eine Tür öffnete.
Was Jim zu sehen bekam, war eine Art Bibliothek. An zwei der vier Wände standen deckenhohe Regale, vollgestellt mit Büchern. In einer Ecke standen Sessel und Sitzkissen. Und in der Mitte des Raumes stand, schwarz und glänzend, ein grosser Flügel.
“Wow.” Begeistert betrat Jim den Raum, Leonard folgte ihm und beobachtete seine Reaktion.
“Sind das alles… Bücher?”
“Ja. Meine Eltern haben sie gesammelt”, erzählte Leonard.
“Wow”, machte Jim noch einmal. “Hast du welche gelesen?”
“Alle”, bestätigte der Arzt.
“Alle?” Jim war fassungslos. Das waren bestimmt mehr als tausend Bücher.
“Ich habe auch angefangen”, sagte Joanna. “Ich möchte auch alle lesen, genau wie Dad.”
“Da hast du aber noch einiges vor dir, Honey”, meinte Jim und strich ihr über den Kopf.
“Macht nichts.”
Mit springenden Schritten ging sie zum Flügel, setzte sich auf den Stuhl und hob den Deckel an. Vorsichtig berührte sie eine Taste und der helle Ton hallte durch den hohen Raum.
“Spielst du mir etwas vor, Dad?”, fragte sie und sah ihn aus grossen Augen an.
“Du spielst Klavier?”, fragte Jim überrascht.
Leonard zuckte mit den Schultern. “Manchmal.”
“Dad ist der beste darin. Er kann auch-”
“Sweetheart, ich glaube nicht, dass Onkel Jim das wissen möchte”, unterbrach Leonard seine Tochter.
“Doch, eigentlich schon. Wieso hast du mir nie gesagt, dass du das kannst?”
“Irgendwie hat es sich nie ergeben. Und ich wusste nicht, ob du das… naja, gut findest.” Leonard war ein wenig verlegen. Gleichzeitig formte sich in seinem Kopf eine Idee. Vielleicht war das gar nicht so schlecht…
“Doch, das ist doch cool.”
“Siehst du”, mischte sich Joanna wieder ein. “Spielst du jetzt was? Biitte!”
Leonard trat neben sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. “Ein andermal, Sweety. Vielleicht an Weihnachten.”
Joanna zog einen Schmollmund, schaffte es aber nicht, ihren Vater zu überzeugen.
“Leonard?”, erklang es aus dem Esszimmer. “Das Essen ist fertig!”, rief Eleanora.
“Wir kommen.”
Das Abendessen war eine gute Gelegenheit für Jim, Leonards Eltern besser kennenzulernen. Der Arzt hatte währenddessen Zeit, sich noch einmal darüber Gedanken zu machen, wie er seiner Familie offenbaren sollte, dass er mit Jim zusammen war. Er hatte da eine Idee, er wusste nur nicht, ob das so eine gute war… Andererseits wollte ihm nichts Besseres einfallen.
“Würdet ihr mir morgen helfen, einen Weihnachtsbaum zu kaufen?”, fragte David gerade.
Leonard nickte. “Klar.”
“Ou, ich auch, ich auch!”, rief Joanna sofort.
“Ich habe gedacht, du könntest mir mit den Keksen helfen”, wandte Eleanora ein. “Jemand muss sie doch dekorieren.”
Joanna nickte eifrig. “Du hast recht. Ich helf dir.”
“Danke, Liebling.”

Nach dem Essen sassen sie noch eine Weile im Wohnzimmer, schauten sich auf Joannas Wunsch hin einen Weihnachtsfilm an und zogen sich dann auf ihr Zimmer zurück. Wobei Jim sich zu Leonard ins Zimmer schlich. Dem Arzt war das ein wenig unwohl, aber er genoss Jims Nähe.
“Und?”, fragte Jim irgendwann, als sie so dalagen und an die Decke schauten.
“Was?”
“Weisst du schon, wie du es deinen Eltern sagst?”, flüsterte Jim. Er lag in den Armen seines Freundes, eine Hand auf dessen Bauch gelegt.
“Ich bin mir nicht sicher.”
“Sie scheinen gar nicht so übel zu sein”, bemerkte Jim unsicher.
“Sind sie auch nicht. Meine Tanten und Onkel machen mir mehr Sorgen…” Leonard begann, Jims Kopf zu kraulen.
“Wieso möchtest du es denn allen sagen? Es reicht doch, wenn deine Eltern es wissen.”
“Daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich kann doch nicht an Weihnachten so tun, als würde ich dich nicht lieben. Und das zwei Tage lang.”
Jim richtete sich auf und lächelte Leonard an. “Du bist so süss.” Er küsst ihn kurz und legte sich dann wieder hin.
“Ich halte mich einfach zurück, bis du etwas tust”, sagte er abschliessend.
“Danke.”
“Und jetzt sollten wir schlafen.” Jim gähnte. “Ich bin so müde.”
“Stimmt. Ich auch. Gute Nacht.”
“Nacht. Ich liebe dich.”
Sie gaben sich einen Gute-Nacht-Kuss, dann drifteten sie langsam ins Land der Träume ab.

~*~

David und Jim standen nun schon seit fünf Minuten vor den gleichen zwei Bäumen und diskutierten, welcher der bessere war. Leonard stand nur kopfschüttelnd daneben. Für ihn sahen sowieso alle gleich aus. Ginge es nach ihm, wären sie schon längst wieder Zuhause. Aber er liess den beiden diese Zeit. Denn er hatte zwei Dinge beobachtet, seit sie heute morgen losgefahren waren: Jim und sein Dad verstanden sich prima und ergänzten sich erschreckend gut. Und Jim war diese ganze Familienweihnachtsfeier-Sache extrem wichtig. Wahrscheinlich deshalb, weil er nie ein wirkliches Familienfest hatte.
Was Leonard auch schon aufgefallen war, war Jims Bemühung, anständig zu David und Eleanora zu sein. Er versuchte mit allen Mitteln, ihnen zu gefallen. Vielleicht hoffte er dadurch, dass sie ihre Liebe eher akzeptieren würden. Leonard hoffte, dass das klappte…
“Leonard, sag du auch mal was”, wandte David sich plötzlich an ihn.
“Ähm…” Etwas überfordert sah der Arzt sich die beiden Bäume an. Da immer noch beide gleich aussahen, wählte er einfach einen.
“Der da.” Er deutete auf den linken.
Jim begann zu grinsen, David verdrehte lächelnd die Augen.
“Das war klar”, murmelte er.
Leonard verstand überhaupt nicht, was da gerade passierte, aber wahrscheinlich wollte er es auch gar nicht wissen.
“Gut, dann nehmen wir den”, beschloss David, packte ihn und schleifte ihn zur Netzmaschine.
Jim trat neben Leonard und flüsterte: “Dein Dad ist cool.”
“Ja…” Er betrachtete seinen Vater, wie er den Tannenbaum ins Netz packte.
“Denkst du, er wäre wirklich so wütend, wenn er es wüsste?”
Der Arzt zuckte mit den Schultern. “Ich weiss nicht…”
“Helft mal einem alten Mann”, rief David, nachdem er den Baum eingepackt hatte.
Sofort traten die beiden zu ihm und trugen den Tannenbaum zum Auto, wo sie ihn aufs Dach schnallten.

Der Nachmittag war voll und ganz dem Schmücken des Weihnachtsbaumes gewidmet. Alle halfen. Es war immer wieder lustig, die Lichterketten aufzuhängen, die Kugel auszusortieren und das Lametta herumzuwerfen. Natürlich hatten Jim und Joanna damit begonnen. Zuerst hatten sie David in ihr Spiel reingezogen, dann Leonard. Innerhalb von wenigen Minuten lag das ganze Lametta im Raum verteilt. Überall, nur nicht auf dem Baum.
Während die vier sich lachend bewarfen, stand Eleanora abseits und beobachtete das ganze.
“Jetzt ist langsam genug”, mischte sie sich irgendwann ein. “Sonst fällt der schöne Baum noch um.”
Die Männer beruhigten sich langsam und Leonard begann, das Lametta aufzusammeln. Joanna hingegen wollte noch etwas weitertollen.
“So, jetzt ist aber Schluss. Sonst muss ich dir einen Klaps auf den Popo geben”, meinte David spielerisch streng - natürlich würde er seine Enkelin nie schlagen - und wollte sie packen und hochheben. Doch Joanna war schneller und floh. Dabei stiess sie gegen Leonard, der gerade das Lametta auf dem Baum aufhängen wollte. Der Arzt strauchelte nach vorne und landete direkt in Jims Armen.
“Joanna!”, rief Eleanora irgendwo dazwischen entsetzt. Doch Leonard nahm das kaum wahr.
Er war Jim gerade so nahe, spürte seine Wärme und konnte seinen Duft riechen. Den ganzen Tag so zu tun, als wäre dieser Mann nicht seine grosse Liebe, war anstrengend. Gerade wollte er sich nur vorlehnen und diese sanften Lippen küssen.
Jim hielt ihn jedoch davon ab, indem er Leonard sanft von sich wegdrückte und fragte: “Alles in Ordnung?”
Verwirrt nickte Leonard. “Ja klar, nichts passiert.”
Er wandte sich dem Tannenbaum zu, vermied es bewusst, seine Eltern anzusehen, die bestimmt etwas bemerkt hatten.
“Tschuldigung, Dad”, entschuldigte sich Joanna hinter ihm kleinlaut.
“Macht nichts, Sweetheart. Ist ja nichts passiert.” Nach einem kurzen Schweigen drehte er sich zu ihr um und fragte: “Möchtest du mir helfen, das Lametta aufzuhängen?” Am besten tat man so, als wäre nie etwas gewesen.
“Au ja!”
“Aber nicht wieder damit spielen”, warnte Eleanora und verliess den Raum.
Kurz vor dem Abendessen hatten sie es dann geschafft. Wie jedes Jahr hing neben den Kugeln und dem Lametta Schokolade am Baum, nebst der Lichterkette hatten sie noch Kerzen befestigt und zuoberst prangte ein goldener Stern.
“Das habt ihr wirklich toll gemacht”, lobte Eleanora während dem Essen.
“Danke.”
“Onkel Jim hat vorher noch nie einen Weihnachtsbaum geschmückt”, erzählte Joanna.
“Joanna!”, wies Leonard sie zurecht und warf Jim einen entschuldigenden Blick zu.
“Schon in Ordnung”, meinte der Captain.
“Wirklich, noch nie?”, fragte Eleanora bedrückt.
“Nein, leider nicht. Ich habe nie wirklich Weihnachten gefeiert, bis ich auf die Enterprise gekommen bin. Und dort können wir keinen Baum aufstellen.”
“Nun”, mischte sich David in das Gespräch ein, “ein Weihnachtsbaum ist eine alte Tradition bei uns in der McCoy-Familie. Nicht mehr viele Leute stellen einen auf.”
“Man gewöhnt sich daran”, lächelte Eleanora.
Leonard runzelte unwillkürlich die Stirn. Was wollte sie damit sagen? Dann verdrängte er den Gedanken wieder. Wahrscheinlich hatte diese Aussage keine tiefere Bedeutung.
Nach dem Essen meldete sich Leonard freiwillig, die Küche aufzuräumen.
“Hilfst du mir, Sweety?”, fragte er seine Tochter.
“Klar.”
Während sie das Geschirr in die Spüle räumten, entschuldigte sich Joanna erneut für den Vorfall am Nachmittag.
“Ist schon gut, Sweety. Es ist nichts passiert.”
“Haben Grandma und Grandpa gemerkt, dass du…” Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
“Ich weiss es nicht.” Er hoffte es nach wie vor nicht.
“Wann sagst du es ihnen?”
Leonard liess die Schultern hängen. “Ich weiss es noch nicht. Sweety, hör mal, ich weiss, dass es dir schwer fällt-”
“Aber Dad”, unterbrach Joanna ihn, “Grandma und Grandpa wären doch nicht sauer auf dich, nur weil du in Onkel Jim verliebt bist.” Sie klang ziemlich überzeugt.
“Vielleicht nicht…” Leonard konnte verstehen, dass Joanna endlich wollte, dass David und Eleanora es wussten. Für sie war es bestimmt auch nicht leicht, mit diesem Geheimnis zu leben. Besonders weil sie so gerne redete.
“Hast du Angst?”, fragte Joanna weiter.
“Ein bisschen.”
“Und wenn ich es sage? Dann sind sie vielleicht böse auf mich, nicht auf dich.” Sie sagte das voller unschuldigem Ernst.
“Erzähl keinen Schwachsinn, Sweetheart. Grandma und Grandpa würden nie wütend auf dich sein. Dafür haben sie dich viel zu lieb.”
“Gut, dann sag ich es ihnen!”, sagte Joanna begeistert und drückte schwungvoll die Tür der Spülmaschine zu.
Leonard kam nicht einmal dazu, etwas zu erwidern, denn genau in diesem Moment betrat Eleanora die Küche.
“Was sagen?”, fragte sie.
“Dass Dad in Onkel Jim verliebt ist”, plauderte Joanna sogleich aus.
Vom einen Moment auf den anderen war es erschreckend still in der Küche.
Leonard hatte das Gefühl, sein Herz wäre stehengeblieben. Er musste sich zwingen zu atmen. Schockiert beobachtete er die Reaktion seiner Mutter.
Eleanora schien ebenfalls ziemlich überrumpelt zu sein. Sie sah von ihrem Sohn zu dessen Tochter und wieder zurück.
Irgendwann fragte sie: “Stimmt das?” Ihr Tonfall liess sich nicht deuten.
“Ja”, gab Leonard mit Unbehagen zu.
Die Anspannung im Raum war beinahe greifbar.
Eleanora seufzte. “Dein Vater hatte also recht.”
Leonard runzelte die Stirn. “Dad hat es gewusst?”, fragte er. Die Anspannung fiel langsam von ihm ab.
“Er hatte eine Vermutung. Aber ich habe ihm nicht geglaubt. Nun, nach heute Nachmittag hätte ich es eigentlich wissen müssen.”
Erneut war Leonard sprachlos. Wie musste er das jetzt verstehen?
Bevor noch jemand etwas sagen konnte, platze Jim in die Szene hinein. Sofort spürte er die seltsame Stimmung.
“Ou, komme ich ungelegen?”, fragte er unsicher. “Ich wollte nur…” Er sah Leonard an und verstummte.
“Was ist los?”
“Joanna hat meiner Mom gerade gesagt, dass wir… naja”, erklärte Leonard halbbatzig.
“Ou.” Daraufhin schien er sich noch unwohler zu fühlen. “Ähm…”
“Sie müssen dazu nichts sagen”, wandte Eleanora ein. “Willkommen in der Familie.” Sie reichte ihm die Hand und lächelte ihn ehrlich an.
“Ou… ähm, danke.” Er schüttelte die Hand und brachte ebenfalls ein Lächeln zustande.
Leonard atmete erleichtert aus. Aus irgendeinem Grund war es nicht zu der erwarteten Katastrophe gekommen. Da hatten Jim und Joanna wohl recht gehabt: David und Eleanora waren nicht das Problem.
“Aber dann solltest du deinem Vater jetzt sagen, dass er recht hatte”, meinte Eleanora wieder an Leonard gewandt.
Jim räusperte sich. “Das ist nicht mehr nötig, denke ich”, sagte er verlegen.
Leonard sah ihn mit einer gehobenen Augenbraue an.
“Er hat mich gefragt, ich konnte ihn nicht anlügen…”, versuchte er sich zu verteidigen.
“Schon in Ordnung”, entgegnete Leonard. Wenn sein Vater sowieso eine Vorahnung hatte, spielte es auch keine Rolle mehr. Er war bloss froh, dass sie das Thema soweit geklärt hatten. Immerhin musste er sich vor seinen Eltern nicht mehr verstellen.
“Kommt, ich bereite Kaffee zu und dann machen wir es uns vor dem Weihnachtsbaum gemütlich”, sagte Eleanora in fröhlichem Ton und der Rest der angespannten Stimmung verflog.
“Ich mag aber keinen Kaffee, Grandma”, reklamierte Joanna.
“Dir mache ich eine heisse Schokolade, Liebling.”
“Danke!”
Joanna war die erste, die die Küche verliess und natürlich sofort zu ihrem Grossvater rannte, um ihm zu erzählen, was sie in der Küche besprochen hatten. David lächelte nur.
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