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Zwei Welten

von Lady Q

Kapitel 1

Sie brauchte ein wenig Abstand von Chakotay.

Nicht, dass etwas vorgefallen wäre.

Es war eben genau nichts vorgefallen, außer seiner höflichen Zuvorkommenheit, viel Lächeln, verlegenes Ohrzupfen, liebevolle Besorgnis um ihr Wohlergehen und ansonsten professionelle Zurückhaltung. Er ließ ihr wie immer bei sämtlichen Entscheidungen den Vortritt, und obwohl sie es sehr genoss, jemanden stets hinter sich zu wissen, wusste sie nur zu genau, dass das nicht seinem Wesen entsprach.

In letzter Zeit hatte sie ihn manchmal provoziert, hatte seine Einwände überhört und seine Vorschläge übergangen, um ihn dazu zu bringen, Kante zu zeigen. Warum wusste sie selbst nicht. Sie hatte das Bedürfnis, aus ihrem Ersten Offizier einen Gegenspieler herauszukitzeln. Aus dem Ersten Offizier hinter ihr einen… einen Was-auch-immer neben ihr zu machen.

Und dazwischen, wenn er einmal mehr bei ihr im Bereitschaftsraum seine ruhige Unterstützung präsentiert hatte, hatte sie das Bedürfnis nach Abstand. Da war eine nette, kleine, ungefährliche Außenmission wie die heutige die beste Gelegenheit. Sie musste sich im Vorfeld nicht mit nett vorgebrachten Einwänden herumschlagen und konnte sich ein paar Stunden lang auf Sensordaten konzentrieren. Eine Standardprozedur mit Standardprotokollen, einer Standardbesetzung in einem Standardshuttle. Langweilig, aber gut, um das Denken wieder in Sternenflottenbahnen zu lenken.

Dann allerdings stürzte das Shuttle über der Polkappe des unbewohnten Klasse-M-Planeten ab. Und das, obwohl Tom am Steuer saß und nicht Chakotay. Ihr Kopf schlug auf einer Konsole auf und ein Knacken zog durch den Kiefer, während sich ihr Mund mit Blut füllte, weil ihre Zähne ihre Zunge durchschlagen hatten. Nach der Bruchlandung breitete sich Stille aus. Erst nur im Shuttle, und sie hörte die Stille und fragte sich, was mit Tom und Sam passiert war.

Ganz langsam waberte die Stille dann auch in ihren Kopf. Das Denken wurde langsamer, die Sinneseindrücke weniger und innerlich hoffte sie, dieses Mal nicht auf den Delta-Quadranten-Teufel in Form ihres Vaters zu treffen. Ein ganz normales Jenseits würde ihr reichen. Wie auch immer das aussehen würde.

~~~

„Doktor! Kommen Sie! Sehen Sie nur!“

Ein Rascheln und Schritte bewegten sich in ihre Richtung. Entfernt fühlte sie eine Hand, die nach ihrer griff.

Dann: „Tatsächlich. Sie haben Recht.“

Auf einmal wurde es sehr hell, als ihre Lider nacheinander angehoben wurden und mit einer Lampe hineingeleuchtet wurde. „Ja, die Pupillen reagieren.“

Nun wurden ihre Arme angehoben, dann ihr Kopf am Kinn leicht nach rechts und links gedreht. Sie kniff die Augen zusammen.

„Kathryn? Können Sie mich hören?“

Sie kannte die Stimme nicht. Die erste Stimme schon, doch. Die war vertraut und warm. Sie klang nach gutem Essen und guten Erinnerungen.
Aber die zweite?
Wo war sie?
Ein wenig zuckte ihr Kopf.

„Kathryn? Drücken Sie meine Hand, wenn Sie mich hören!“

Okay, das war machbar. Sie konzentrierte sich, aber wusste nicht mehr, wie sie ihrer Hand befehlen sollte, zuzudrücken. Kurz verzweifelte sie, aber offenbar war ihr Körper zu mehr in der Lage als ihr Verstand.

„So ist es gut. Sie hören uns. Bitte versuchen Sie Ihre Augen zu öffnen.“

Ihre Lider flackerten nach dieser Anweisung, aber sie wollten nicht aufgehen.

„Sie machen das großartig, Kathryn. Probieren Sie es weiter. Es gibt hier Menschen, die Sie sehen wollen!“

Mit übermenschlicher Anstrengung öffnete sie ihre Augen einen winzigen Spalt, bevor sie sie sofort wieder schloss. Weißes Licht schien ihr in die Augen, blendete.

Die Stimme sprach nun in eine andere Richtung: „Dimmt das Licht ein wenig.“

Ein weiterer Versuch, die Augen zu öffnen. Langsam, sehr langsam blinzelte sie in die Welt hinein und fokussierte noch langsamer auf ihre Umgebung.

Ein Krankenzimmer. Nicht weiß, sondern in freundlichem hellgelb mit einer nichtssagenden Obstschale in Öl als Dekoration. Darunter standen Blumen in einer Vase. Auf dem Tisch Fotografien in Holobilderrahmen. Ein geöffnetes Fenster, weiß-rosa-gelb-gestreifte Vorhänge, die sich leicht im Luftzug blähten. Sonne, die herein schien. Blauer Himmel.

Ein freundlich aussehender Arzt in weißen Hosen und Kittel und einem dunkelblauen Shirt. Braune gelockte Haare und ein Drei-Tage-Bart. Der Arzt beugte sich über sie und musterte sie aufmerksam.
Als sich dann auch noch ihre strahlende Mutter in ihr Blickfeld schob, mit der Hand vor dem Mund und tränenfeuchten Augen, kapitulierte sie.

WIE verdammt nochmal war sie hier gelandet?

~~~

In der Mitte stand ein Schreibtisch, hinter diesem stand ein sehr bequem und edel aussehender Drehstuhl, der nun allerdings verwaist war. Der Besitzer des Drehstuhls saß halb auf der Tischkante, hatte ein Bein leicht auf den Tisch hochgezogen, seine Hände in seiner Mitte ineinander gelegt, und erklärte ihr momentan ihr Leben. Mit einem sympathischen Lächeln und intelligent aussehenden braunen Augen. Sie war gewillt ihm zuzuhören, weil er einfach nicht aussah wie ein Betrüger.

Die Frau, die aussah wie ihre Mutter, saß neben ihr in einem Sessel und warf nervöse Blicke auf den Doktor. Erst hatte die Frau nach ihrer Hand greifen wollen, aber sie hatte sie ihr entzogen. Sie wollte erst wissen, was es mit dieser Schmierenkomödie auf sich hatte, bevor sie mit irgendjemandem körperlichen Kontakt aufnahm. Momentan war die Frau neben ihr exakt das, was auch der Deltaquadrant-Teufel gewesen war: Eine Projektion ihres Hirns. Mehr nicht.

„Sie haben ein massives physisches und psychisches Trauma erlitten, Kathryn. Das hat ihren Geist dazu gebracht, sich vor der Realität zurückzuziehen, weil diese für Sie nicht aushaltbar war.“ Die Stimme des Arztes war beruhigend sanft und sehr verständnisvoll. Das war nicht unbedingt hilfreich beim weiter misstrauisch bleiben.

„Was für ein Trauma?“, fragte sie zurück.

Ein kurzer Blick zwischen Dr. Braunlocke und ihrer Mutter, dann erklärte er vorsichtig: „Ein Absturz.“

„Ein Absturz? Was für ein Absturz? Das Shuttle? Die Voyager? Wie kamen wir hierher?“

„Nein, nicht die Voyager. Versuchen Sie sich an ihre letzten wachen Momente zu erinnern. Was ist das letzte, was Sie klar vor sich sehen?“

Sie überlegte. „Das letzte woran ich mich erinnere ist, dass wir unsere Sensoren auf den nördlichen Kontinent des Planeten ausrichteten. Dann gab es Turbulenzen.“

Der Arzt und ihre Mutter wechselten einen besorgten Blick. Sie registrierte ihn und verstand ihn nicht. War etwas mit der Crew? Mit Chakotay? „Was ist mit Tom und Sam passiert? Hat Chakotay uns gefunden? Haben wir alle den Absturz überlebt? Wo sind sie? Wo ist er?“

Der Arzt rutschte von seinem Schreibtisch und ging vor ihr in die Hocke. Sprechen auf Augenhöhe, das kam bei Ärzten nicht häufig vor. Er griff nach ihren Händen und sagte vorsichtig: „Kathryn. Ich spreche vom Absturz der Terra Nova. Die Terra Nova ist über Tau Ceti Prime abgestürzt, zusammen mit Ihrem Vater und Ihrem Verlobten. Sie haben beide nicht überlebt. Es tut mir sehr, sehr leid.“

Konsterniert sah sie den Arzt an. Ihr Kopf zuckte ungläubig zurück. Sah dann zu ihrer Mutter und wieder zu dem Arzt. Die Terra Nova? Justin? Ihr Vater? Das alles war doch schon ewig her! War sie in einer Zeitanomalie? Aber wieso ein Krankenhaus? Sie schüttelte den Kopf, setzte ein belustigtes Lächeln auf und nickte. „Ja, die Terra Nova. 2358. Das weiß ich doch.“

Die braunen Augen unter den braunen Locken weiteten sich ein wenig. Er holte tief Luft: „Kathryn, wissen Sie noch, was im Anschluss passierte?“

„Natürlich. Mir ging es danach nicht gut, ich wurde depressiv und hatte große Schuldgefühle gegenüber meinem Vater und meinem Verlobten. Deshalb lag ich monatelang im Bett, bis mir Phoebe irgendwann den Kopf gewaschen hat. Wo ist Phoebe eigentlich?“

Noch ein besorgter Blick. Die vorsichtige Stimme des Arztes wurde nun übervorsichtig. „Kathryn, Phoebe hat Ihnen nicht den Kopf gewaschen. Sie sind seit dem Unfall hier in dieser Klinik. Seit 17 Jahren. Sie haben seitdem nicht einmal eine Gefühlsregung oder ein Erkennen gezeigt, sondern in einem Zustand der Apathie gelebt. Manchmal führten Sie Selbstgespräche. Das einzige, was Sie aus Ihrem apathischen Zustand herausreißen konnte, war Ihr Tagebuch.“

Sie sah ihn mit großen Augen an und es brach aus ihr heraus: „Sie sind ja völlig verrückt!“

Mitfühlend gab er zurück: „Nein, ich bin nicht verrückt. Sie sind hier, weil wir Ihnen helfen wollen.“

„Aber das ist verrückt! Ich bin Captain Kathryn Janeway des Föderationsraumschiffs U.S.S. Voyager, die im Jahr 23-“
“-71 den Auftrag hatte, ein verschollenes Maquis-Raumschiff in die Badlands zu verfolgen, Ihren Sicherheitsoffizier zurück zu bringen und die restliche Crew festzunehmen. Ich weiß. Sie sind im Delta-Quadranten verschollen, haben die Maquis-Crew in die Ihre integriert und kämpfen seitdem alleine gegen mehr oder weniger gruselige neue Kontrahenten. Ich weiß.“

„Ja, aber wenn Sie das wissen, was mache ich dann hier?“

„Kathryn. Sie haben vor 17 Jahren einen Absturz nur knapp überlebt. Ihr Vater und ihr Verlobter starben. Seitdem befinden Sie sich hier, in dieser Spezialklinik in Seattle. Das, was Sie da erzählen, existiert nur in Ihrem Kopf.“

„Das ist Unsinn!“ Was erzählte dieser Quacksalber! Ärzte! Wo war sie hier gelandet?

„Nein, ist es nicht. Ich weiß, dass Sie das glauben, Ihre Aufzeichnungen sind sehr aufschlussreich. Sie führen eine Art Logbuch. Und solange Sie sich sicher in Ihrer Welt glauben, lassen Sie uns durchaus lebendig daran teilhaben. Aber Sie befinden sich nicht in einem Raumschiff. Und Ihr Logbuch schreiben Sie mit der Hand.“

„DAS IST UNSINN! Wo ist meine Crew? Wo ist die Voyager! Wo ist Chakotay?“ Langsam wurde sie panisch.

Der Arzt seufzte und griff hinter sich. Während er mit einer Hand nach etwas tastete, versuchte er sie zu beruhigen. „Kathryn, wir haben ein neues Medikament zur Verfügung, dass wir Ihnen mit Erlaubnis Ihrer Mutter gestern Nachmittag verabreicht haben. Mit durchschlagender Wirkung, muss ich sagen. Ich habe in den vergangenen 17 Jahren kein einziges so klares Gespräch mit Ihnen geführt. Mir ist klar, dass das für Sie nicht einfach ist, aber ich kann Ihnen versichern: Ich sage die Wahrheit. Sie sind seit 17 Jahren Patientin dieser Einrichtung und ganz sicher kein Sternenflottencaptain. Es tut mir leid.“

Mit diesen Worten zog er ein Hypospray hervor und setzte es ihr mit einer schnellen Bewegung an den Hals.

~~~

Sie erwachte in absoluter Dunkelheit. Nach einer kurzen Phase der Orientierung stellte sie fest, dass sie sich weiter in diesem Krankenzimmer mit den gestreiften Vorhängen befand und das Fenster immer noch offen war. Sie wollte sich auf die Seite rollen und es schließen. Leider waren ihre Hände und Füße nicht in der Lage sich zu bewegen.

Ihre Hände und Füße waren fixiert. Sie hob mit Anstrengung ihren Kopf um an sich herunter zu sehen und konnte nicht fassen, was sie sah. Fixierungsschlaufen, alle vier Gliedmaßen von sich gestreckt. Sie konnte sich nicht rühren. Ihre Hände zu Fäusten geballt warf sie frustriert ihren Kopf wieder auf ihr Kissen.

Dann wandte sie den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen. Sie sah einen kleinen Ausschnitt der Sterne, aber nicht genug, um Sternbilder zu bestimmen. Und ein fast gefüllter Mond, es fehlte nicht mehr viel. Sie war definitiv auf der Erde, wenn sie sich diesen Mond ansah.

Es dauerte eine lange, dunkle Ewigkeit, bis irgendwann aus dem schwarzen Himmel ein dunkelgrauer wurde, bevor sich ein schmales Sonnenlichtband über den Horizont schob. In dieser ungemessen langen Zeit versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Fakten zu sortieren, ihre Anwesenheit in dieser Klinik in einen logischen Zusammenhang zu stellen.

Fakt war, sie war hier auf der Erde. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass es nicht so war. Zumindest träumte sie, auf der Erde zu sein. Wahrscheinlich.

Fakt war auch, da war ihre Mutter. Die sie weinend umarmt hatte und sie Goldvögelchen genannt hatte, als sie erwacht war. Die Frau sah aus wie ihre gealterte Mutter, sie roch wie ihre Mutter und sie hatte tiefe Gefühle gezeigt, die im Bereich zwischen Angst und Erleichterung changierten. Wenn auch nur ein Wort wahr war von dem, was dieser Arzt erzählte, wäre das allerdings logisch.

Fakt war auch, dass der Unfall damals über Tau Ceti Prime sie in eine tiefe Depression gestürzt hatte. Das stimmte. Der Unfall war ohne Frage ein massiv prägendes Ereignis gewesen.

Weil sie gerne alle möglichen Optionen durchdachte, versuchte sie sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass der Arzt möglicherweise die Wahrheit sagte.

Was natürlich absurd war. Absolut absurd.

Aber nur angenommen, es wäre wahr. Nur angenommen. Dann hätte sie ein Problem.

Dann wäre sie nämlich verrückt. Vollkommen durchgeknallt. Nicht nur depressiv, sondern… ein kompletter Realitätsverlust. Sie, Kathryn Elizabeth Janeway, würde sich dann mit dem Gedanken auseinander setzen müssen, ein Leben zu führen, dass sich in Psychiatrien und Counselorpraxen abspielte. Dann wäre sie kein Captain und müsste niemals Hoffnung haben, ihrem Vater nachzueifern. Was würde sie dann tun? Mit ihren Hunden spazieren gehen und Mark auf seinen beruflichen Reisen begleiten?

Nein, Mark wäre ja in diesem Szenario hier auch nicht existent. Also natürlich existent, aber nicht als der Mann an ihrer Seite. Weil sie ja wohl noch um Justin trauerte.

Das hier musste absurd sein. Etwas anderes war nicht möglich. Allein die Vorstellung, sie als gebrochenes, psychisch krankes, hilfebedürftiges Wrack in einer Spezialklinik für posttraumatische Belastungsstörungen….nein. Nein, das war absurd.

Aber nur mal angenommen, der Arzt hätte Recht.

Dann hätte sie eine blühende Phantasie und das konnte nicht sein. Phoebe war diejenige mit der blühenden Phantasie, nicht sie. Sie war Rationalistin. Schon immer gewesen, und der Tod ihres Vaters und ihres Verlobten hätte sie nicht so dermaßen aus der Bahn geworfen.

Oder doch?

Während die Sonne sich langsam wieder die Welt eroberte, versuchte sie sich, ihr Leben zurück zu erobern. Sie würde weiter vorsichtig sein. Sie musste wissen, was hier mit ihr gemacht wurde. So einfach gab sie ihr Leben nicht auf.

~~~

„Kind, bitte glaub uns. Bitte. Ich habe solange darauf gewartet...“, die Stimme von Gretchen Janeway brach und sie schlug schluchzend die Hand vor den Mund. Sie beobachtete dieses Verhalten leicht entrückt. Das war nicht echt.

Oder vielleicht doch. Wenn es echt war, weinte ihre Mutter um sie. Das schlechte Gewissen meldete sich und sie erhob sich und umarmte die ältere Frau.

„Mom, ich bin ja jetzt da. Schschsch…. Ich bin ja da. Beruhig dich.“ Sie strich ihrer Mutter über den Rücken, während diese in ihre Arme sank.

Dr. Braunlocke beobachtete diesen leisen Trost mit Befriedigung im Gesicht.

Nach einigen Minuten stillen Weinens setzte sie sich wieder zurück in ihren Sessel und legte ihre Hände auf dem Oberschenkel ab. „Gut. Also. Ich weiß, dass ich Captain der Voyager bin, aber ich wäre nicht Captain geworden, wenn ich nicht auch in der Lage wäre, zuzuhören und zu lernen. Sie wollen mir weismachen, dass ich mir das alles einbilde? Dann bitte. Überzeugen Sie mich. Ich will Ihnen glauben, aber ich brauche Beweise.“

Dr. heute-schon-vier-Tage-Bart strich sich über ebenjenen, um dann zu entgegnen: „Beweise für etwas nicht Existentes zu finden ist schwierig.“

„Dann müssen Sie mich anders überzeugen.“
„Zählt Logik?“
„Selbstverständlich.“

„Gut. Also Logik. Schauen wir uns doch mal Ihren angeblichen Werdegang an. Sie behaupten, als ausgesprochen junger Captain mit nur wenig Erfahrung auf diesem Posten das Kommando über ein nigelnagelneues Raumschiff einer nigelnagelneuen Raumschiffklasse übernommen zu haben. Die sogenannte Intrepid-Klasse. Weil uns all die anderen Raumschiffklassen auch nicht ausreichten und weil es natürlich auch ungemein praktisch ist, ein Raumschiff zu haben, das quasi alles kann.“

„Ich HATTE Kommandoerfahrung. Die Voyager war nicht mein erstes Kommando und davor war ich lange genug Commander. Und ja, natürlich ist das praktisch. Dafür wurde die Intrepid-Klasse ja entwickelt.“

„Gut, also. Lassen wir das gelten. Eine junge Frau übernimmt das Kommando über ein neues Schiff, für das es noch keine Erfahrungswerte gibt. Und wird dann ausgerechnet in die Badlands geschickt? Nahe der Cardassianischen Union, obwohl es doch mit ebendiesen Streitigkeiten gibt. Geben würde.“

„Jein. Ich habe darum gebeten. Schließlich war MEIN als Undercover-Agent tätiger Sicherheitsoffizier dort verschollen.“

„Natürlich. Der Vulkanier ist und der Ihnen vorher und nachher mit seiner unendlichen Weisheit immer treu zur Seite stand. Wollen Sie Kirk nacheifern?“

„Sie nehmen mich nicht ernst. Ich versuche Sie ernst zu nehmen, aber Sie nehmen mich nicht ernst.“

Der Arzt sah ehrlich geknickt aus. „Sie haben Recht. Ich versuche Ihnen gerade zu verdeutlichen, dass sich Ihre Geschichte im Licht der Realität allzu fantastisch anhört.“

Sie sah ihn herausfordernd ins Gesicht. „Fantastisch? Wissen Sie, wie oft ich dort draußen fast gestorben wäre?“

Er nahm die Herausforderung an und antwortete: „Unzählige Male. Das wäre dann noch so ein Punkt.“

„Wir haben da draußen gelitten! Wir haben Freunde verloren! Familienmitglieder!“

„Ja richtig. Ich weiß. Aber immer nur diejenigen, die verzichtbar waren. Warum starb denn nie ein Brückenoffizier? Und wenn, dann gab es eine Anomalie und er konnte ersetzt werden?“

Ruhig sagte sie: „Zufall. Und Brückenoffiziere sind besser ausgebildet.“

„Oder Einbildung. Sie haben angeblich eine neue Form des Raums entdeckt. Eine Form, die bisher niemand kannte. Der Flüssigraum. Ich bitte Sie, jetzt wirklich ganz ehrlich zu sein: Flüssigkeit im Weltraum? In einem parallelen Universum, und Sie, alleine, auf sich gestellt, haben ihn nicht nur entdeckt, sondern auch beflogen? Oder sollte ich eher beschwommen sagen?“

Sie blieb stumm und kroch ein wenig tiefer in ihren Sessel. Ja, der Flüssigraum war außergewöhnlich, das bestritt sie ja gar nicht.

„Ich vergaß zu erwähnen, dass sie für diese Entdeckung eine Allianz mit den Borg eingegangen sind. Eine Allianz mit einem Hive-Bewusstsein, das sich ausschließlich durch Assimilation weiterentwickelt. Kathryn! Das ist ein Affront gegen alle, die jemals unter den Borg gelitten haben!“

Leise sagte sie: „Es muss etwas geben, was den Borg überlegen ist, und das war eben Spezies 8472.“

„Gut. Lassen wir das gelten, dass wir davon ausgehen, dass die Borg ihre Meister gefunden hatten. Bleiben wir bei normalen Aliens. Sie haben eine frauenfeindliche und aggressive Spezies nach der anderen überlebt. Kazon, Hirogen. Dann Organjäger und Rassisten, die Telepathen jagten. Ach, und ich vergaß: Dazwischen haben Sie ein weiteres Mal die Borg geärgert. Und natürlich überlebt, denn Ihnen fallen immer und immer wieder Taktiken ein, mit denen unsere übermächtigen Gegner niemals rechnen. Kathryn. Hand aufs Herz. Wirklich?“

Eine Träne wollte sich aus ihren Augen lösen. Sie blinzelte heftig und schnell, um ein Herabrollen zu verhindern. Sie war Captain Kathryn Janeway vom Föderationsraumschiff U.S.S. Voyager und konnte nichts dafür, dass sie bisher neben unverschämt viel Glück eben auch fähige Leute gehabt hatte.

„Sie sind Realistin, sagen Sie. Versuchen Sie bitte all diese Fakten zusammen zu nehmen, und sagen Sie mir: Wie wahrscheinlich ist das, dass eine kleine, aus Sternenflotte und Maquis zusammengewürfelte Crew das nahezu unbeschadet überlebt?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Und dazwischen fanden Sie noch Zeit, mit einem ehemaligen Widerstandskämpfer anzubandeln. Dafür haben Sie sich die passende Gelegenheit einfallen lassen, aber als es dann ernst wurde, einmal mehr eine tolle Lösung gefunden, wie sie ein unlösbares Problem aus der Welt schaffen konnten. Diesen Widerstandskämpfer haben Sie in Ihrer Phantasie irgendwie zu Ihrem Haustier gemacht, denn er gehorcht Ihnen aufs Wort, während Sie ihn an der ausgestreckten Hand verhungern lassen. Ein Mann hat Bedürfnisse und dieser Kerl hatte laut Ihren Eintragungen immerhin genug Mumm in den Knochen, um Cardassianer zu jagen. Und jetzt ist er ihr grübchenlächelndes Schoßhündchen und bringt Ihnen Apfelwein. Ich bitte Sie. Nicht Whisky oder einen Merlot, sondern Apfelwein?“

Chakotay. Er sollte nicht so über Chakotay reden. Sie umarmte sich selbst.

„Ich verstehe es. Ich verstehe es wirklich. Sie haben einen unglaublichen Verlust erlitten und dass Sie sich in Ihrer Traumwelt schützen und eine solche Figur erschaffen, ist logisch. Ein Mann, der seine schützende Hand über sie hält wie ein Vater, der Ihnen Gefühle entgegen bringt wie ihr Verlobter, demgegenüber sie aber zu nichts verpflichtet sind. Sehen Sie, was ich meine?“

Ohja, und wie sie das sah. Nein, sie wollte das nicht sehen. Sie sah Chakotay vor sich, wie er ihre Hand ergriff und sie anlächelte. Dr. Braunlocke war schlau.

„Sie haben sich da eine Traumwelt gebaut, die genauer Betrachtung einfach nicht stand hält, Kathryn. Versuchen Sie die Fakten zu sehen. Versuchen Sie das, was Sie für die Wahrheit halten, einfach mal objektiv zu sehen. Durch meine Augen, nicht durch Ihre.“

In ihr Herz zog eine Kälte ein, die sie das letzte Mal vor sehr, sehr langer Zeit gefühlt hatte. Vor 17 Jahren, um genau zu sein, nachdem sie verstanden hatte, wie sehr sie Schuld hatte am Tod ihres Vaters.

„Sie wollten Beweise. Ich kann Ihnen Beweise liefern, dass Sie die letzten 17 Jahre in dieser Klinik waren, aber sie müssen sie auch ansehen und glauben wollen. Solange das nicht der Fall ist, kann ich Ihnen nicht helfen.“

Sie nickte stumm. Er hatte Recht. Er musste Recht haben. Das, was sie für ihr Leben gehalten hatte, klang wie die Ergüsse eines Teenagers mit zu viel Fantasie. Eine Mary Sue, wie sie in schlechten Büchern vorkam. Eine unschlagbare, hübsche Frau mit kreativen Ideen, die immer und immer wieder die Welt rettete.

Aber sie war Captain Kathryn Janeway. Sie war Captain Janeway. Sie war Captain. Sie MUSSTE Captain sein.

Sie lag seit 17 Jahren in dieser Klinik, mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, einem dadurch bedingten Realitätsverlust, und lebte in einer Traumwelt. Und musste nun mit dem Verlust ihres Vaters und ihres Verlobten zurecht kommen.

Letzteres war deutlich wahrscheinlicher.

Seltsam war nur, dass ihr das gar nicht weh tat.
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