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Strategic Decision

von Julian Wangler

Kapitel 1 - Die Einladung

Irdische Zeitrechnung: Herbst 2365

Als sie sie sahen, verrieten die Blicke der beiden Wächter, die am Eingang von Nerals Herrenhaus standen, potenzielles Chaos. Nur einen Augenblick war diese ungeordnete Mischung erkennbar, ehe sie verschwand. Vordergründig zeigten die Mienen der Männer tiefen Respekt vor ihr, denn ihr Rang und ihre Uniform (ein hellgraues Oberteil mit breiten Schultern, eine dunkelgraue Hose und Stiefel, ein gürtelähnliches Band, das von der Hüfte hochführte und sich in einem Y über die Schultern zog) ließen keinerlei Zweifel zu: Sie wiesen auf ihren Status in der Militärhierarchie sowie auf ihre Leistungen für ihr Vaterland hin, auf ihren unleugbaren Patriotismus. Und doch, dahinter, ganz schwach, flackerte anfänglich noch etwas anderes auf, ehe es in Sekundenschnelle professionell unterdrückt wurde. Befremden, Irritation, Widerwillen, Missgunst.

Seit Kindestagen kannte sie dieses Aufflackern in den Zügen ihrer Landsleute, wenn sie sie sahen. Bis heute: Egal wann, egal wo. Dieses Flackern begleitete sie. Es erinnerte sie daran, dass sie durch großartige Leistungen in dieser Welt respektiert wurde, und großartige, herausragende Leistungen, die ihren Patriotismus zum Ausdruck brachten, würden ihr gewiss einen Platz in den Annalen dieses jahrtausendealten Reichs sichern. Geliebt werden aber würde sie nie, so sehr sie sich auch anstrengte, denn sie war ein Halbblut.

Wenn man das einmal verstanden hatte, war man nicht mehr dieselbe Person. Man wusste unumstößlich, dass man sich nur durch Fleiß und harte Arbeit seine Sporen verdienen konnte; jeder Versuch, auf anderem Weg seine Ziele zu erreichen, wurde bedeutungslos. Und diese Härte richtete sich unweigerlich gegen einen selbst, denn es war klar: Wenn die Sympathien und die Herzen der Romulaner ihr nicht gehörten, nie gehören konnten, so würde sie sie mit Taten überzeugen müssen, mit kaltem, brillantem Intellekt und strategischem Genie, wenn sie das Schwert gegen die Feinde des Sternenimperiums führte. Das war die eine zentrale Lektion ihres Lebens: In dieser Welt – der einzigen Heimat, die sie je kennengelernt hatte – würde sie doppelt so gut wie die anderen, vollblütigen Romulaner sein müssen, um Erfolg zu haben und die ihr zustehende Anerkennung zu finden.

Natürlich hatte sie auf ihrem bisherigen Weg auch Rückschläge erlitten. Nicht alles war ihr gelungen; es hatte Phasen des Neustarts, des Suchens und Findens gegeben. Doch ihre Erfolge waren weit zahlreicher als ihre Niederlagen, ihre Methoden berechnend, gnadenlos und effizient. Sie hatte ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Niemand – davon war sie inzwischen überzeugt – konnte sie ersetzen. Das hatte auch Colonel Lovok, derzeitiger Vorsitzender des Tal’Shiar, erkannt und sie zu seinem Attaché gemacht. Sie war sicher, das war nur der erste Schritt ihres großen Aufstiegs in den Reihen des Geheimdienstes.

Lovok brauchte sie heute mehr denn je, um seinen internen Rivalen Colonel Koval daran zu hindern, ihm seine Position als erster Mann der Behörde streitig zu machen; er war von ihr abhängig. Trotzdem war sie nicht so vermessen, sich in Großmut zu sonnen. Sie war ihrem Entdecker und Förderer zutiefst dankbar. Er war ein Geist von ihrem Schlag. Lovok ließ sich nicht von Vorurteilen die Sicht vernebeln; er war ähnlich kühl und berechnend wie sie. Seine Logik war glasklar: Nur auf die Leistung kam es an; sie bewies, wer man war, wie sehr man sein Vaterland liebte – und wie sich dieses bei einem revanchieren würde.

Die alte Regierung hatte aus Lovoks Sicht ein tiefes Problem mit Effizienz gehabt* – und damit, ihn und seine Behörde effizient arbeiten zu lassen. Sie hatte sich ausgesprochen fahrlässig verhalten, als mehrere entlegene Grenzaußenposten im Tarod-Sektor aus unbekannten Gründen verloren gingen. Lovok war aus Angst, der Tal’Shiar könnte mit einem eigenmächtigen Vorgehen die Föderation gegen sich aufbringen, massiv behindert worden. Das war nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe von für den Tal’Shiar negativen Erfahrungen gewesen. Also hatte Lovok die Entscheidung gefällt, als diese anstand: Seine Institution würde sich den Putschisten anschließen. Das operative Geschäft hatte er ihr, seiner Sonderbeauftragten für diese Angelegenheit, überlassen. Lovok war von Anfang an von ihren Fähigkeiten überzeugt gewesen; er sah die eiserne Disziplin, die sie sich selbst auferlegte, Tag um Tag. Er wusste genau, wie wenig sie sich auf ihren Erfolgen ausruhte, sondern sie nur als Ansporn nahm, es noch besser zu machen.

In Lovoks Namen war sie heute hier. Sie vertrat den Tal’Shiar. Dass der Colonel, der derzeit eine dringliche Mission im Raum der Tzenkethi koordinierte, ihr die Vertretung seiner Interessen bei einer solch delikaten und zentralen Angelegenheit in die Hände legte, zeugte von denkbar größtem Vertrauen in ihre Kompetenz und ihre Talente. Sie hatte ihn während des Umsturzes nicht enttäuscht, und daran würde sich auch in der Zukunft nichts ändern. Jedes Mal, so hatte sie sich geschworen, würde sie die Erwartungen, die man in sie setzte, übertreffen. Das war Weg und Ziel zugleich.

Sela, frisch befördert in den Rang eines Commanders, nahm den charakteristischen Rihannsu-Gruß der Wächter entgegen: die rechte Faust über der linken Lunge, der Ellbogen direkt über dem Herzen. Anschließend erwiderte sie ihn und wies sich mittels eines digitalen Daumenabdrucks und einem darauf folgenden Retinascan aus. Überzeugt von der Bestätigung des Computers, wichen die Männer zur Seite.

Ein Moment verging, bis die Tür entriegelt wurde. In diesen Sekunden sah Sela ihr Spiegelbild in der Scheibe. Trotz ihrer spitzen Ohren wies die Frau, die ihr entgegenblickte, eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer Menschenfrau auf, genauer gesagt mit ihrer Mutter Natasha Yar. Das romulanisch geschnittene Haar war blond; auch die eher runden Brauen und mangelnden Stirnwülste zeugten von ihrem Mischlingsstatus. Scheinbar besaß sie kaum etwas von ihrem romulanischen Vater. Das war eine ironische Wendung, wenn man bedachte, dass sie unter ihrer humanoiden Oberfläche ganz seine Tochter war. Sie trug sein Erbe fort, sie stand für seine Prinzipien. Das Antlitz der verräterischen Menschenfrau erinnerte sie nur umso mehr daran, was sie in jener denkwürdigen Nacht, die das Ende ihrer Kindheit markierte, verloren hatte und wer ihr Feind war.

Die Tür öffnete sich, und ein blasser, hagerer Hausdiener erschien. Er forderte sie auf, ihm zu folgen. Sela tat, wie ihr geheißen. Sie gingen eine gewundene Treppe hinauf, die in ein kleines, stilvoll eingerichtetes Atrium mit Kuppeldach mündete. Mehrere Fresken, die einen Raubvogel darboten, und eine gut sortierte Büchersammlung waren hier zu bewundern. Im Hintergrund ertönte leise ein Oratorium Frenchottes. Sela war bislang nur zweimal hier gewesen, doch jedes Mal staunte sie, wie lichtdurchflutet und hell dieses Haus war. Es schien im Gegensatz zu den vielen düsteren und verschwörerischen Gedanken zu stehen, die hier ausgebrütet worden waren.

Diese Art von Maskerade, fand sie, passte zu Neral. Solange sie ihn kannte, hatte er stets Wert darauf gelegt, sein Innerstes von der Außenwelt abzuschotten, und zwar so, dass diese einen genau gegenteiligen Eindruck von ihm bekam. Nach außen spielte er allzu gerne die Rolle des kultivierten, bedächtigen, weltgewandten Mannes mit einem Faible für Oper, Theater, Archäologie und Soziologie, er kokettierte mit seinem Wissen über historische Zusammenhänge und künstlerische Ausdrucksformen, aber sie wusste inzwischen, dass dieser Anstrich nur wenig mit dem wahren Neral zu tun hatte. Tatsächlich hatte sie einmal gehört, wie er im Kreise seiner Vertrauten sagte, Kultur sei etwas für die Schwachen und Scheinheiligen. Nichtsdestotrotz glaube er, dass sie ihm sehr gut stehe. Er hatte genussvoll gelacht; ein tiefkehliges, gleichmäßiges Lachen, das ihr auch jetzt noch in den Ohren stand.

Der echte Neral war deutlich simpler gestrickt als das Haus, in dem sie zu Besuch war, suggerierte: Er interessierte sich nur für Macht und dafür, sie beständig zu mehren. Als perfekter Schauspieler schmückte er sich in der Öffentlichkeit mit Attitüden und Wesensmerkmalen, die ihn in den Augen seines nichts ahnenden Publikums veredeln sollten, für die er jedoch in Wahrheit nicht das Geringste übrighatte. Auch, wenn Sela ihn nicht mochte: Auf irgendeine Weise verdiente er mit seinem ausgeklügelten Illusionsspiel, das Ausdruck einer besonderen Gerissenheit und Durchtriebenheit war, ihren Respekt. Vermutlich würde er es damit sogar eines Tages zum Prokonsul schaffen, und wer konnte schon sagen, was dann folgte? Das Volk liebte ihn – oder jedenfalls das, was er zu sein schien.

Der Hausdiener schlurfte bis zur vom Wind ins Hausinnere geblähten, schneeweißen Gardine und schob sie rechterhand zur Seite. „Die anderen Gäste sind bereits eingetroffen.“, sprach er mit Ehrfurcht in der Stimme und deutete durch die freigelegte Öffnung nach draußen. „Genießen Sie Ihren Aufenthalt, Commander.“

Sela machte einen Satz nach vorn und trat hinaus auf die Veranda. Ein prächtiger Garten mit fleischiger, teils exotischer Flora gab sich ihr preis, und noch weit prächtiger war der Ausblick, den man von hier hatte. Das Herrenhaus stand auf der Kante eines Plateaus ganz in der Nähe des Kaledra-Walds. Von hier aus blickte man bis zur Apnex-See, die um diese Tageszeit – es war später Nachmittag – in Flammen zu stehen schien.

Auch Ki Baratan war in der Ferne auszumachen. Die imperiale Hauptstadt ragte mit ihren ebenso traditionellen wie postmodernen Kuppeln, Säulen und Türmen aus Stahl, Glas oder edlem Kalksandstein wie ein Monument auf. Da die Megametropole radial angelegt worden und dies im Charakter der sich aneinanderreihenden Bezirke bis heute geblieben war, erschien sie von hier aus wie ein abgeschlossener, wenn auch im Laufe von Jahrhunderten ausgeuferter Kreisel.

Neral und die anderen Gäste saßen an einem geschmackvoll gedeckten, runden Tisch und unterhielten sich. In ihrer Nähe spie ein kleiner Brunnen Fontänen. Sela setzte sich in Bewegung, als plötzlich aus einem anliegenden Busch ein animalisches Schnaufen ertönte. Kurz darauf galoppierte ein gehörnter, ausgewachsener Set’leth aus den Padraka-Stauden und begrüßte sie. Wie sie inzwischen wusste, ging von Pensho keine Gefahr aus. So diabolisch er auf jemanden wirken mochte, der noch nie einen Set’leth zu Gesicht bekommen hatte, so gutmütig und erzogen war er. Manchmal schien es Sela, die Liebe zu seinem Haustier war das Einzige in Nerals Leben, das nicht gespielt war – abgesehen von seinem glühenden Hass auf die Klingonen, die seine Frau und seine beiden Kinder vor anderthalb Jahrzehnten mit einem Überraschungsangriff auf die Cigonia-Kolonie ausgelöscht hatten. Sie streichelte das Tier am Kopf, ließ zu, dass es ihre Hand beschnupperte, woraufhin es sich wieder abkehrte und von dannen zog.

„Sela, wie schön, dass Sie da sind.“, begrüßte Neral sie und zauberte sich ein ausdrucksvolles Lächeln ins Gesicht, das seine makellos weißen Zähne entblößte. „Gesellen Sie sich zu uns.“

‚Uns‘, das waren außer Neral vier Männer, von denen sie keinem zum allerersten Mal begegnete. Genau wie sie, bekleidete jeder von ihnen eine Schlüsselposition in der politischen oder militärischen Hierarchie des Sternenimperiums. Genau genommen war dies der harte Kern jenes Kreises, auf den die gravierenden politischen Umwälzungen auf der romulanischen Zentralwelt zurückgingen, welche sich im auslaufenden Jahr ereignet hatten. Und genau wie heute hatten sie, ergänzt um zwei, drei weitere hohe Verschwörer, hier gesessen und Pläne für die Zukunft gemacht. Diese Zukunft war inzwischen angebrochen, aber da man stets in der Gegenwart lebte, gab es immer neue Anlässe, sich über das Morgen und Übermorgen zu unterhalten. Bislang waren im Wesentlichen Posten besetzt, Koalitionen geschmiedet und der Status quo konsolidiert worden. Sela wusste, dass die neue Administration ihre Bewährungsprobe noch vor sich hatte. Und deswegen hatte Neral erneut in seine Sommerresidenz geladen. Diesmal ging es nicht nur darum, den Wandel herbeizuführen, sondern ihn zu gestalten.

Sela nahm Platz und begrüßte mit einem knappen Nicken die Runde. Immer wieder staunte sie, wie aus dieser Schaar extrem unterschiedlicher Charaktere ein politisches Zweckbündnis hatte entstehen können. Zweifellos war es Nerals Geniestreich, der dieses Gespann zusammenbrachte und widerstreitende Interessen zu einem großen gemeinsamen Ziel versöhnte. Man konnte sogar soweit gehen und behaupten, dass alle Personen in der neuen Regierung – die Prokonsule, ja sogar der Prätor – im Grunde austauschbare Marionetten waren. Neral und die erlesene Runde in seinem Garten waren die eigentlichen Strippenzieher. Sie konzentrierten die Macht in ihren Händen, lenkten die Geschicke des Imperiums hinter den Kulissen und waren darüber hinaus mustergültige Einflüsterer, die sich darauf verstanden, jemandem eine unwiderstehliche Idee zuzuraunen, die diese Person dann als ihre eigene verstand und eifrig umzusetzen begann.

Vorerst war das Bündnis stabil, weil jeder wusste, dass die eigene Macht einstweilen vom Wohlergehen des anderen abhing. Man war miteinander verwoben, auf Gedeih und Verderb. Aber natürlich stellte sich die Frage, wie lange die Dinge so bleiben würden. Sicherlich würde Neral in Zukunft noch einiges zu tun haben, wenn es darum ging, alle seine Partner bei der Stange zu halten und zu verhindern, dass sie eigene Wege einschlugen.

An diesem Tisch saßen Vertreter der drei großen Kräftezentren im romulanischen Reich. Sela war für den Tal’Shiar hier, welcher sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten endgültig zu einer eigenständigen Macht entwickelt hatte.

Die beiden Commander Tomalak und Suran entstammten dem Militär, das im Wesentlichen auf der Gewalt zweier hoher Figuren fußte: Flotten-Admiral Mendak und Flotten-Admiral Korot. Mendak und Korot konnten einander nicht leiden, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass sie grundverschiedene Vorstellungen von der Weiterentwicklung der imperialen Navy hatten. Auch in ihrem Fall hatte erst Nerals Vermittlung bewirkt, dass sie ihren Kleinkrieg vorübergehend auf Eis legten und sich hinter ihm versammelten, um den Coup d‘État – der nur in ihrem Sinne sein konnte – herbeizuführen.

Tomalak, ein für einen imperialen Militärkommandanten erstaunlich zynischer Zeitgenosse, war hier als Gesandter Mendaks. Sela verglich seine Position als Günstling eines ranghohen Oberbefehlshabers am ehesten mit ihrer eigenen innerhalb des Tal’Shiar, was den griesgrämigen Tomalak jedoch keinen Deut sympathischer auf sie wirken ließ. Ganz im Gegenteil: Der Mann barg eine Wildheit und Impulsivität in sich, die beinahe klingonisch war.

Vor ein paar Wochen hatte Sela über Tal’Shiar-Quellen erfahren, dass Tomalak nach dem Sturz der alten Regierung eine gnandenlose Hetzjagd auf seine alten Intimfeinde Major Tebok und Commander Thei veranstaltet hatte, bis sie ihm schließlich ins Netz gingen. Wenn die Informationen stimmten, dann hatte Tomalak beiden eigenhändig einen Dolch in die Brust gerammt, ihn dort mehrfach umgedreht und sich an der Sudelei ergötzt. Es hatte schon zu früheren Zeitpunkten in Tomalaks Karriere Momente gegeben, in denen er seinen niederen Instinkten nachgegeben und vollkommen unnötige Blutbäder veranstaltet hatte. Offenbar hatte diese Wesensart Mendak nicht davon abgehalten, seinen Zögling zu Höherem zu berufen.

Er ist ein Beispiel für Rohheit und Unkultiviertheit., dachte Sela. Ein Romulaner alten Typs. Ohne ihn hätten wir diesen Staatsstreich zwar nicht auf die Beine stellen können. Aber wenn wir uns nicht vorsehen, wird genau das der Typ sein, der uns alle in den Abgrund reißt mit seiner impulsiven Unkontrolliertheit.

Sie war sich gewahr, dass Tomalak sie persönlich verachtete. Wie ein Insekt sah er sie an, wenn sie einander begegneten – so auch jetzt, mochte er sich noch so viel Mühe geben, diese Herabsetzung hinter einem Schleier aus Stolz und Professionalität zu verbergen. Für Tomalak war die Tatsache, dass ein Halbblut – jemand, der biologisch nicht durch und durch Romulaner war – in ein hohes Amt an der Spitze des Imperiums gelangte, kaum erträglich. Gut informiert, wie Sela war, besaß sie sogar geheimdienstliche Aufzeichnungen, die dies belegten. Einmal, vor ein paar Jahren, hatte er sich in vermeintlich vertraulicher Atmosphäre vor seinem Ersten Offizier Sirol auf der I.R.W. Terix über sie ausgelassen, unwissend, dass eine Wanze in seinem Quartier untergebracht worden war.

Das Halbblut hätte man gleich nach seiner Geburt liquideren müssen, genau wie seine Mutter., hatte er gegeifert. Stattdessen hat man zugelassen, dass es romulanisches Erbgut verunreinigt. Genauso gut könnten wir aufhören, Kinder mit Behinderung nach ihrer Niederkunft auf der Stelle zu eliminieren.

Sela hatte sich die Worte angehört, und sie hatte sie nie vergessen. Einstweilen war sie beide Verbündete. Aber wer konnte schon sagen, was die Zukunft brachte?

Unabhängig von Tomalaks ausgeprägter Antipathie ihr gegenüber, wusste sie, dass es mehr als einen Grund gab, skeptisch beäugt zu werden – und zwar potenziell von jedem in der Runde. Insbesondere beim Militär hatte der Tal’Shiar immer einen recht schweren Stand gehabt. Sela erinnerte sich. Schon Commander Konsab, Experte für Militärgeschichte an der imperialen Geheimdienstakademie, hatte immer wieder gepredigt, dass die Differenzen zwischen Tal’Shiar und Militär unüberbrückbar waren, und zwar weil beide Organisationen völlig unterschiedliche Kulturen und Kodexe repräsentierten. Sela fand, dass Konsab nicht Unrecht hatte.

Suran, der andere ranghohe Militär, war älter als Tomalak und hatte von seinem Vorgesetzten Korot bereits in Aussicht gestellt bekommen, dass er diesen in wenigen Jahren beerben würde, wenn der inzwischen hundertfünfzigjährige Korot altersbedingt aus dem aktiven Flottendienst ausschied. Bereits heute traf Suran viele Entscheidungen im Namen Korots selbstständig. Suran war weniger bösartig als Tomalak und sein Übervater Mendak und auch weniger erregbar. Zugleich war er aber weniger gut durchschaubar. Er hatte die von Neral geschmiedete Allianz zwar niemals enttäuscht und seinen Part bei der Durchsetzung des Staatsstreichs eingelöst, aber bis heute war für Sela offengeblieben, was genau er sich davon versprach.

Wie sie gehört hatte, war Suran lange Jahre Fürsprecher einer erneuten Bekräftigung des Friedens mit der Föderation gewesen. Ungewöhnlich für einen Militär, hatte er bereits vor zwei Dekaden dafür plädiert, diplomatische Kanäle zu etablieren und so frühzeitig potenzielle Konflikte mit der Planetenallianz aus dem Weg zu räumen. Es war ihm um einen friedlichen Ausgleich gegangen. Dass er sich am Ende doch einem Bündnis angeschlossen hatte, das wie kaum ein zweites mit Stoßrichtung gegen die Föderation gegründet worden war, kam einer Ironie gleich. Andererseits konnte es durchaus sein, dass Suran schlicht sein Fähnchen nach dem Wind gerichtet und zugegriffen hatte, als sich ihm die Chance bot, eine bedeutende Rolle in der Politik des Sternenimperiums einzunehmen. Oder war etwas in seinem Leben passiert, das ihn plötzlich aus voller Überzeugung hatte eine Kehrtwende vollziehen lassen? In Bezug auf diese Frage verfügte Sela über keinerlei Informationen. Da sie nicht hundertprozentig von der Aufrichtigkeit seiner Motive überzeugt war, würde sie den Mann, der sehr bald schon noch bedeutend mehr Einfluss bekommen würde, im Auge behalten.

Der dritte Machtfaktor am Tisch wurde durch die beiden Politiker Vreenak und Pardek verkörpert. Während Vreenak Vorsitzender der stärksten Fraktion im imperialen Senat war, stand Pardek der drittgrößten politischen Gruppierung vor. Indem sich die beiden Männer die Hand reichten, hatten sie den Coup d‘État – wenn auch erst nach Ende der gewaltsamen Übernahme – parlamentarisch abgesichert, um so den Anschein von normaler politischer Hygiene zu erzeugen. Wie auch Tomalak und Suran konnten sie kaum von unterschiedlicherem Charakter sein. Vreenak war ein hochintelligenter, verschlagener und im höchsten Maße eigennütziger Geist. Er war hager, asketisch und diszipliniert wie sonst nur ein Tal’Shiar und legte Wert auf eine unnahbare, undurchschaubare Erscheinung. Obwohl er – anders als Neral – nicht der Mann war, der sich selber gerne am laufenden Band reden hörte, konnte jedes seiner Worte schneiden wie eine scharfe Klinge. Vreenak fand Gefallen daran, seine intellektuelle Überlegenheit zu demonstrieren, aber er hatte es ganz und gar nicht nötig, seine politische Bedeutung unter Beweis zu stellen. Sela wusste, dass Neral ständig um seine Gunst als Berater buhlte. Je höher der Vize-Prokonsul politisch aufsteigen würde, so prophezeite sie, desto heller würde auch Vreenaks Stern erstrahlen.

Pardek war ganz anders als sein Gegenüber aus dem Senat. Er war der mit Abstand Älteste in der Runde, war gut genährt, liebte es, auf Tuchfühlung mit dem Volk zu gehen und war zeit seines langen politischen Wirkens – neunzig Jahre diente er bereits als Senator – immer ein bodenständiger Mann geblieben. Boshaft gesprochen, verlieh diese Bodenständigkeit Pardek unter den am Tisch Versammelten etwas Proletarisches. Trotzdem war er ein wichtiges Element im Schulterschluss der von Neral zusammengeführten Akteure im Reich. Dabei war es noch das Geringste, dass Pardek seine Fraktion fest im Griff hatte und jeden Gesetzentwurf der neuen Regierung eisern durchpeitschen würde.

Nein, anders als alle anderen hier am Tisch hatte Pardek des Öfteren mit der Föderation zu tun gehabt. Seine politische Karriere hatte bereits lange vor der Selbstisolation des Imperiums in Folge des Tomed-Zwischenfalls begonnen. Während der Khitomer-Konferenz hatte er mit niemand Geringerem als dem späteren Botschafter Spock zu tun gehabt und mit dem Trill-Diplomaten Curzon Dax verhandelt. In dieser Funktion hatte er dem Sternenimperium potenzielle Konflikte zur Unzeit vom Hals gehalten – ein anzuerkennender Dienst.

Trotz seines bemerkenswerten außenpolitischen Registers wäre der Eindruck, dass Pardek ein Liberaler war, vermessen gewesen. Tatsächlich war er ein strikter Befürworter des traditionellen romulanischen Wegs. Nicht umsonst repräsentierte er eine Bevölkerungsschicht kleinbürgerlicher und ausgesprochen konservativer Romulaner. Aber der Eindruck, dass er eigentlich in vielerlei Hinsicht das war, was man einen Hardliner nennen konnte, lag bei ihm nicht auf der Hand. Jahrzehnte im diplomatischen Dienst hatten ihn die Kunst gelehrt, seine wahren Ansichten zu verschleiern.

Neral hob eine wunderschöne, gewundene Karaffe, in der sich eine Flüssigkeit von charakteristischem Blau befand. „Möchten Sie ein Glas Kali-fal? Jetzt sagen Sie nicht nein. Es ist ein ausgezeichneter Jahrgang.“

Sela seufzte leise. Sie hasste es, während der Arbeit zu trinken oder zu essen. Und da sie im Grunde genommen rund um die Uhr im Dienst war, aß oder trank sie nur, wenn sie allein war, und auch das tat sie mit außerordentlicher Effizienz. Doch jeder der übrigen Anwesenden hatte auch ein Glas von dem traditionellen Trunk vor sich stehen, und da sie wusste, dass sie heute keinen schlechten Eindruck machen durfte und die Regeln der Höflichkeit beachten musste, erklärte sie sich bereit. „Wenn es sein muss.“, gab sie gepresst von sich.

„Nur nicht zu viel der Begeisterung.“ Neral lachte, griff nach einem leeren Glas und füllte es mit Kali-fal. Daraufhin überreichte er es Sela. „Auf Ihr Wohl.“ Sie bedankte sich obligatorisch und nahm einen symbolischen Schluck. Kurz darauf spürte sie, wie das Getränk ihr die Nebenhöhlen öffnete.

Ein weiterer Hausdiener erschien und setzte jedem der Gäste eine Schale mit einer sandfarbenen, zähflüssigen Masse vor, daneben den zugehörigen Löffel. „Und jetzt kommt das Beste.“, gab Neral schwärmerisch von sich. „Delvanischer Pudding. Ich sage Ihnen, meine Freunde: Er ist exquisit heute.“

Pensho und Delvanischer Pudding., dachte Sela. Diese beiden Leidenschaften Nerals waren garantiert nicht gespielt, denn noch jedes Mal, wenn sie seine Residenz besucht hatte, hatte er seine Gäste mit der Delikatesse verköstigen lassen. Der Vize-Prokonsul – auch das hatte er ein ums andere Mal betont – war der Meinung, dass es sich im Beisein von weltlichen Genüssen gleich sehr viel besser sprechen ließ. Gerade Delvanischer Pudding beflügele nicht nur die Sinne, sondern auch die Fantasie, und was brauche eine erlesene Runde aus Wagenlenkern des Imperiums bitteschön mehr als Fantasie.

Sela fügte sich und nahm einen Bissen des Puddings. Obwohl sie ein sehr zweckmäßiges Verhältnis zu Nahrung hatte, musste sie zugeben, dass er nicht schlecht schmeckte. Dieser Meinung schienen sich die übrigen Gäste anschließen zu können. Pardek schaufelte seine Schale gar im Rekordtempo leer.

„Übrigens…“, ließ sich Neral vernehmen, dessen Blick nach wie vor auf Sela haftete. „Meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung. Commander. Dieser Rang steht Ihnen gut.“

„Ich bedaure.“, erwiderte Sela nüchtern. „Für Eitelkeiten habe ich keine Zeit. Aber danke.“

Neral gluckste vergnüglich über die stoische Antwort, ehe sich wieder sein übliches, breites Lächeln in sein Antlitz stahl. „Ein unermüdliches Arbeitstier. Ja, so kennen wir unsere verehrte Sela.“ Er rieb beide Handflächen aneinander und wandte sich der gesamten Runde zu. „Nun gut. Wir sind vollzählig, wie es scheint. Ich bedaure, dass Admiral Mendak und Colonel Lovok nicht unter uns weilen können, aber so wie ich das sehe, haben sie das beste Aufgebot geschickt, das wir uns wünschen können.“ Neral verwies auf Tomalak und Sela. „Meine Freunde.“, sagte er inbrünstig. „Wir haben eine gewaltige Wegstrecke unserer gemeinsamen Reise hinter uns. Bis vor kurzem hatte unsere großartige Nation eine schwache Regierung von Bürokraten, und an ihrer Spitze stand ein Feigling von einem Prätor. Dieser Mann war ein zahnloser Tiger, der zwar allzu gerne mit Drohungen um sich warf, aber niemals gewagt hätte, dieses Imperium kühn zu neuen Ufern zu führen – geschweige denn unsere Feinde herauszufordern. Wir haben das geändert, in einer gemeinsamen und beispiellosen Kraftanstrengung. Jene Vision, die wir einst entwarfen, haben wir wahrgemacht und einen lange überfälligen Regierungswechsel ermöglicht.“

Regierungswechsel. Diese Wortwahl passte zu Neral, fand Sela. Es war ein Euphemismus, wenn man bedachte, wie viel Blut dabei geflossen war. In der jüngeren Historie des Sternenimperiums waren Staatsstreiche wohl selten so gewaltsam vonstattengegangen. Allein in der Hauptstadt Ki Baratan waren schwere Verwüstungen angerichtet worden. In den ersten Tagen hatten nahezu bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht. Hochrangige Verräter (und solche, die es potenziell sein konnten) waren zu Dutzenden verurteilt und exekutiert worden. Für die Zukunft blieb zu hoffen, dass sich eine solche Geschichte nicht so schnell wiederholte. Trotzdem war der Putsch und die radikalen Veränderungen, mit denen er einherging, uneingeschränkt richtig gewesen.

„Der Sieg im Innern ist der unsere.“, fuhr Neral fort und hob demonstrativ sein Glas, als wolle er einen Toast aussprechen. „Doch die wirkliche Arbeit beginnt erst jetzt. Jetzt gilt es, sich der Außenpolitik zuzuwenden. Der Kriegsadler wird wieder schreien. Und die Galaxis – das verspreche ich Ihnen – wird unter seinem Schrei erzittern.“
*Ein besonders prominentes Beispiel hierfür war der Umstand, dass in den vergangenen anderthalb Dekaden Prestige-Feldzüge im Beta-Quadranten geführt worden waren, die mehr Ressourcen und Personal verschlangen als sie einbrachten.
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