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Im Auge des Sturms

von Gabi , Persephone

Kapitel 1, in dem eine Demonstration des Sporenantriebs leider ein unerwünschtes Ergebnis bringt

Von Gabi und Persephone verfasst.

Persönliches Logbuch Gabriel Lorca, Sternzeit 2135.5

Nach dem tragischen Unfall der USS Glenn ist es uns gelungen, die notwendigen Teile für den Sporenantrieb zu bergen. Damit konnten wir den Sporenantrieb vollständig in Betrieb zu nehmen, eine großartige Leistung der Crew. Leider konnten wir die wichtigste Komponente nicht dauerhaft in unsere Systeme integrieren, wodurch Lieutenant Stamets gezwungen war, andere Wege zu beschreiten. Der Sporenantrieb kann weiterhin genutzt werden und soweit ich das beurteilen kann, ist Lieutenant Stamets wohlauf. Ich selbst bin mehr als zufrieden, dass wir den Antrieb endlich in vollem Umfang nutzen können und freue mich darauf, den Klingonen endlich die Stirn zu bieten. Leider hat die Sternenflotte eine andere Meinung. Lieutenant Stamets habe gegen geltendes Recht verstoßen, die Regeln der Eugenik greifen auch in diesem Fall. Wir müssen uns diesen also beugen. Ich denke, ich spreche auch für Lieutenant Stamets, wenn ich sage, dass uns dieses Vorgehen mehr als überflüssig erscheint. Meine Bemühungen, dies beim Sternenflottenkommando zu erklären, wurden abgewehrt. Deshalb wurde Admiral Cornwell beauftragt, den Antrieb und die Verfassung von Lieutenant Stamets zu beurteilen. Die Entscheidung, ob wir den Antrieb weiterhin nutzen dürfen, hängt nun von ihrer Einschätzung ab. Dass mir dieses Vorgehen mehr als missfällt und ich die Sache schnell hinter mich bringen möchte, muss ich nicht erwähnen. Meine Crew hat deshalb die Anweisung bekommen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Ich hoffe, dass Katrina verstehen wird, was dieser Antrieb für uns und vor allem für die Sternenflotte bedeutet. Je schneller wir den Antrieb nutzen können, umso schneller können wir den Krieg zu unseren Gunsten drehen, davon bin ich vollkommen überzeugt.

Admiral Katrina Cornwell stand im Bereitschaftsraum des Captains. Die Hände hatte sie vor der Brust verschränkt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, abwartend sah sie Gabriel Lorca an. Dieser stand seelenruhig hinter seinem Schreibtisch, die Hände hatte er darauf gestützt. Sein Tribble lag ebenfalls dort, er gab ein sanftes, schnurrendes Geräusch von sich. Für Katrina würde es ewig ein Rätsel bleiben, wieso er sich so ein Tier hielt. Auf der anderen Seite stand eine Schale mit Glückskeksen.

Sie kannte seine gesamte Vergangenheit, wahrscheinlich gab es keinen anderen Menschen, der ihn besser kannte, als sie es tat. Früher einmal hatte sie sich geehrt gefühlt, dass er ihr vertraute. Früher einmal war ihre Beziehung anders gewesen. Sie sah ihn auch heute noch als einen Freund an. Doch ob dies noch immer auf Gegenseitigkeit beruhte, das wusste sie nicht. Gabriel hatte in der Vergangenheit einige Entscheidungen getroffen, die sie nicht verstehen konnte. Er hatte sich von ihr abgewandt, hielt sie auf Abstand. Manchmal fühlte es sich an, als würde er mit seinem Schiff möglichst weit weg von ihr fliegen. Sie war nicht derartig egozentrisch, diesen Gedanken wirklich vollkommen zu glauben, allerdings spürte sie, dass ihre Beziehung eine andere war, als noch vor ein paar Jahren.

„Gabriel“, begann sie schließlich erneut. Sie redeten bereits seit einer halben Stunde, einen Erfolg hatte sie nicht erzielen können. Gabriel war stur. Sie war es ebenfalls. Sie war ranghöher als er, sie musste mit gutem Beispiel voran gehen. Ein Admiral war nicht stur. Ein Captain war es auch nicht. Doch Gabriel war so vieles, was ein Captain eigentlich nicht war. Und dennoch wusste sie, dass er ein sehr guter Offizier war. „Sieh‘ mich nicht an, als wäre ich der Feind.“

Er atmete resigniert aus. „Dann sag‘ mir, was das soll? Ich habe ihm nicht befohlen, den Platz des Tardigraden einzunehmen.“

„Ich muss jeden befragen, der damit zu tun hat. Du bist der Captain. Du kannst dir doch denken, dass deine Meinung sehr wichtig ist.“ Sie ließ die Arme sinken, ging ein paar Schritte, war an seinem Tisch. Sie legte die Hände ebenfalls darauf ab, sprach ruhig: „Ich brauche nur eine Einschätzung der Lage aus deiner Sicht. Ist es sicher, wenn Lieutenant Stamets als Navigator arbeitet? Welche Vorsichtsmaßnahmen werden getroffen? Wie stehst du als Captain zu dieser Entwicklung? Es ist wichtig, dass wir einen guten Eindruck bekommen, was hier passiert.“

Sein Blick ging zur Seite, er wirkte, als wäre es ihm zu langweilig, hier mit ihr zu reden. Sicher wusste sie, dass er nicht die geringste Lust hatte, mit ihr zu reden. „Bis wann willst du den Bericht haben?“

Immerhin. Auch wenn er ihr nicht sofort Rede und Antwort stehen würde, würde er wenigstens mitarbeiten. „Die Sternenflotte hat mir genug Zeit gegeben. Wenn du bis Ende der Woche damit fertig bist, reicht das.“

Er nickte. „Ist das alles?“

Sie schluckte. Wann war er so kalt und abweisend geworden? So kannte sie ihn nicht. „Ist alles in Ordnung, Gabriel?“, fragte sie mehr aus einem Reflex heraus. Sie war Ärztin, das Wohlbefinden anderer stand bei ihr an erster Stelle.

Und auch er schien bemerkt zu haben, dass ihr Beruf sie gerade einholte. „Alles bestens, Doc“, sagte er daher locker.

Eine weitere Antwort, die sie daran erinnerte, wie sehr er sich verändert hatte. Manchmal erkannte sie ihn gar nicht wieder. Was hatte der Krieg aus ihnen allen gemacht? Was würde er noch aus ihnen machen?

Sie sehnte sich nach einer Zeit, in der sie nicht an einem Krieg beteiligt waren. Als sie beide Sternenflottenoffiziere waren, die dem Erforschen und Entdecken fremder Welten verfallen waren. Als sie gemeinsam auf Schiffen gedient hatten. Sie vermisste diese Zeit. Keiner von ihnen hatte die Verantwortung gehabt, die sie heute hatten. Auch wenn sie ihre Aufgaben gern erledigte, so konnte sie nicht sagen, dass es ihr von Zeit zu Zeit nicht gefallen hätte, ihre alte Rolle einer Counselor einzunehmen.

„Ist noch etwas, Kat? Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen. Der Sprung ist in zwei Stunden“, holte Gabriel sie aus ihren Gedanken.

Es würde wohl nie wieder so sein wie früher. Gabriel war anders, er hielt sie auf Abstand. Er hatte so viel Leid erfahren, sie konnte es verstehen, wenngleich sie hoffte, dass sie eines Tages zu ihm durchdringen konnte. Dass sie wieder so miteinander reden und umgehen würden, wie sie es früher getan hatten. Aber sie wusste, dass der Krieg sie dauerhaft verändert hatte. Dahin zurück, wie es einmal war, ging es nicht mehr. Sie musste abwarten, sich gedulden. Eines Tages würde der Krieg beendet sein. Dann konnte sie die Scherben aufsammeln, die er hinterlassen hatte. Und mit etwas Glück könnte sie ein paar der Scherben wieder dahin zurücksetzen, wo sie hin gehörten. Vielleicht hätten sie beide dann auch eine Zukunft.

Sie nickte kurz, er beobachtete sie. Sie wusste, er würde sie beobachten, bis sie endgültig aus seinem Bereitschaftsraum gegangen war. Für den Fall, dass sie sich doch noch einmal umdrehen würde, um ihn mit irgendetwas zu konfrontieren, was ihn aus seiner Komfortzone holen würde. Sie würde es nicht machen. Nicht jetzt. Nicht in nächster Zeit. Der Gabriel Lorca, der vor ihr stand, war ihr unheimlich. Aber er war effektiv. Er konnte ein Schiff führen. Er hatte die Tests bestanden. Er war diensttauglich. Sie musste ihm vertrauen. Auch wenn es ihr schwer fiel.

Als sich die Türen hinter ihr schlossen, sanken ihre Schultern leicht nach unten. Auch wenn auf der Brücke der Discovery mehr Leute waren, gestattete sie sich hier, etwas entspannter auszusehen. Bei Gabriel hätte sie sich das nie getraut.

Lieutenant Paul Stamets strich sich noch einmal durch die Haare und zupfte den Uniformkragen zurecht. Er schenkte seinem Spiegelbild einen weiteren kritischen Blick. Im Prinzip war ihm sein Aussehen nicht besonders wichtig, Hugh war derjenige, der sich um die Außenwirkung kümmerte. Doch ihm war die Wichtigkeit des Moments bewusst und zu einem seriösen Auftreten gehörte nicht nur die einwandfreie Funktion des Sporenantriebs, sondern auch die Überzeugung des verantwortlichen Wissenschaftlers. Leider hatten die meisten Admirale des Oberkommandos nicht die geringste Ahnung von seiner Forschung, so dass die harten Fakten sie wahrscheinlich nur verwirren würden. Der blonde Mann seufzte theatralisch: Einmal mehr musste er sein helles Licht auf ein für Durchschnittsintelligenzen erträgliches Glimmen dämpfen.

„Hör mit dem Rumdoktorn auf!“, fuhr er den Mann neben sich an. Er schlug mit dem Arm gegen den medizinischen Scanner. Nicht kräftig, jedoch so, dass sein Unwille deutlich zum Ausdruck kam.

Hugh Culber brachte das medizinische Instrument mit einer eleganten Drehung seines Oberkörpers in Sicherheit. „Ich benötige möglichst zeitnahe Vitaldaten von dir“, erklärte er ohne sich von der Laune seines Partners beeindrucken zu lassen. Er verstaute Scanner und medizinischen Tricorder in dem ärztlichen Notfallkoffer, den er von der Kommode nahm. Mit erhobenen Augenbrauen schenkte er Stamets den Ärzte-wissen-alles-besser-Blick, den der Mykologe hasste. „Admiral Cornwell möchte deine medizinischen Daten vor, während und nach dem Sprung verglichen haben, was ich im Übrigen für sehr vernünftig halte.“

Stamets schnaubte lediglich. Er ging mit zügigen Schritten hinüber zur Quartiertür und trat auf den Korridor hinaus. Er fühlte sich gut, das hatte er schon so oft zu Protokoll gegeben. Warum mussten Ärzte immer der Meinung sein, alles besser zu wissen? Warum musste sein Lebensgefährte unbedingt Arzt sein? Unbewusst verfiel er in einen raumgreifenden Schritt, der ein paar Mannschaftsmitglieder einen überraschten Sprung zur Seite machen ließ. Doch Culber ließ sich nicht abschütteln. Leider war sein Partner der Sportlichere von ihnen beiden, was sein trotzig anmutendes Wettrennen zum Antriebsraum ohnehin von vorneherein zum Scheitern verurteilte. Wahrscheinlich würde der einzige Effekt sein, dass er selbst außer Atem bei der Sprungkammer ankam, während Culber neben ihm immer noch Leichtigkeit ausstrahlte. Diese Erkenntnis hob nicht gerade seine Laune, veranlasste ihn jedoch dazu, sein Tempo zu reduzieren. „Ich weiß überhaupt nicht, warum du unbedingt dabei sein musst“, bemerkte er mürrisch.

Selbst Culbers Stimme schien zu lächeln, gänzlich unbeeindruckt von Stamets Griesgrämigkeit. „Admiral Cornwell möchte eine medizinische Überwachung während des Sprungs, was ich im Übrigen für sehr vernünftig halte.“

„Das hast du schon einmal gesagt.“

„Da kannst du einmal sehen, für wie vernünftig ich das halte.“

Stamets hielt abrupt an - sie hatten den Zugang zum Antriebsraum erreicht - und schenkte dem Mediziner einen vernichtenden Blick. Der konterte mit einem Lächeln, vergewisserte sich rasch, dass der Korridor leer war, und hauchte ihm dann einen Kuss auf die Lippen.

„Erober sie im Sturm.“

„Du…“ Die Türen öffneten sich, Stamets wirbelte herum und zog seine Uniformjacke glatt.

Die beiden Männer traten in den Raum und blieben für einen Moment an der, ein Halbgeschoss nach unten führenden, Leitertreppe stehen. Das hellere Licht des Korridors wich der schwachen Beleuchtung des Steuerbord-Maschinenraums. Das leise summende Hintergrundgeräusch, der Herzschlag seiner Maschinen, empfing Stamets wie bei einem Übertritt in eine andere Welt. Augenblicklich justierten sich die Pupillen, um das vertraute Dämmerlicht am bestmöglichen auszunutzen. Sein Blick glitt hinüber zur Wand neben dem Durchgang zu den Klimaräumen. Zufrieden stellte er fest, dass die meisten Kammern durch neonblaues Leuchten gefüllte Sporenbehälter anzeigten. Dies hier war sein Reich, dies hier war die Erfüllung all seiner Träume…

Er wandte den Kopf minimal zur Seite, bis er aus den Augenwinkeln den dunkelhäutigen Mann in der reinweißen Uniform wahrnehmen konnte, der an seiner Seite stand – der bereits seit so vielen Jahren an seiner Seite stand. ‚Fast aller Träume…‘, fügte er in einem gedanklichen Anfall von Großzügigkeit hinzu.

Jetzt endlich erlaubte er sich ein kaum wahrnehmbares Lächeln. Er blickte hinab in den Raum mit der Sporenkammer. Sie leuchtete im vertrauten hellen Blau, bereit, ihn in eine völlig andere Realität zu versetzen und ihm die Möglichkeit zu geben, das Schiff zu navigieren.

Die beiden hochrangigen Sternenflottenoffiziere, die sich bereits vor der Sporenkammer eingefunden hatten, waren eher ein Störfaktor in seinem Reich. Er mochte es nicht, mit Personen konfrontiert zu werden, deren Anweisungen er aufgrund militärischer Vorschriften zu befolgen hatte. Allgemein mochte er Vorschriften nicht, wenn sie nicht von ihm selbst geäußert wurden. Er nickte Admiral Cornwell und Captain Lorca knapp zu und wappnete sich bereits für die verbale Spitze, die mit Sicherheit von seinem Kommandanten kommen würde, weil er ihn hatte warten lassen. Zu seiner gelinden Überraschung erfolgte keine. Zwar sprach Lorcas Blick Bände, doch er schwieg. Stamets schätzte, dass er diesen Umstand der Anwesenheit der dunkelhaarigen Admiralin zu verdanken hatte.

Er begann die Treppe hinabzusteigen, Culber dicht in seinem Rücken. Kurzzeitig wandte er seine Aufmerksamkeit der Kontrollstation zu. Dort stand Cadet Sylvia Tilly, bereit für ihren Einsatz. Die rothaarige junge Frau blickte nervös von Lorca zu ihrem direkten Vorgesetzten. Stamets mochte sie, was er ihr gegenüber niemals äußern würde. Unter der wilden Lockenpracht steckte ein fähiger Kopf, wenn man nur eine Möglichkeit finden würde, den dazugehörigen Mund von Zeit zu Zeit zu verschließen.

„Admiral, Captain.“ Mit stoischer Miene erreichte er die Wartenden.

Innerlich dankbar über das Erscheinen der Offiziere drehte sich Admiral Cornwell zu den Neuankömmlingen um. Captain Lorca und sie standen bereits seit einigen Minuten im Raum und hatten es bisher vermieden, neben einem knappen Gruß auch nur ein Wort miteinander zu wechseln. Ihr war durchaus bewusst, dass dieses Verhalten zu absolut nichts führte, andererseits war sie aber auch nicht dazu verpflichtet, den Captain mit Small Talk zu unterhalten. Dennoch war die Spannung, die zwischen ihnen lag, so deutlich spürbar, dass sogar Cadet Tilly sehr offensichtlich darauf bedacht war, ihre Kontrollen nicht aus den Augen zu lassen, um so keinen der beiden ansehen zu müssen. So weit Cornwell das einschätzen konnte, gab es im Moment allerdings reichlich wenig zu überprüfen.

Sie bedachte die beiden Herren mit einem freundlichen Lächeln. „Lieutenant Stamets, Doktor Culber”, sagte sie zum Gruß.

Neben ihr nickte Lorca kaum merklich mit dem Kopf. Er verzog keine Miene, sah aus, als ob er bei einer Beerdigung wäre und nicht an Bord seines Raumschiffes. Sie wusste, dass er diese Überprüfung nur unnötig fand, es war Zeit, die sie vergeudeten. Er wollte endlich an diesem Krieg teilnehmen. Dennoch sagte er nichts, was sie beachtlich fand, überließ ihr die Führung des Gesprächs.

Sie kannte die Akten der beiden Männer, aber sie kannte nicht die Personen dahinter. Und ihre Neugier war geweckt, als sie sie nun vor sich sah. Zwei Männer im besten Alter, durchaus attraktiv, während allerdings Doktor Culber wie ein Arzt wirkte, in dessen fähige Hände man sein Leben voller Vertrauen legen konnte, so sah Lieutenant Stamets eher aus, als wollte er sie alle so schnell wie möglich wieder aus seinem Hoheitsgebiet haben.

„Ich danke Ihnen, dass Sie sich alle die Zeit genommen haben, um mir stellvertretend für das Oberkommando den Antrieb zu demonstrieren”, setzte sie fort. Dann wandte sie sich direkt an Lieutenant Stamets: „Ich bin sehr gespannt, wie eine Reise im Myzelnetzwerk vonstattengehen wird.”

Stamets zog noch einmal seine Uniformjacke gerade, während Culber die Arzttasche auf einer Konsole neben der Sporenkammer abstellte und aufklappte. Er entnahm ihr den medizinischen Tricorder und eine Manschette, mit der er Stamets’ Werte während des Sprungs überwachen konnte. Während Stamets sich an den Captain und vor allem an Admiral Cornwell wandte, ruhte Culbers Aufmerksamkeit vollständig auf dem Lieutenant. Er fasste erst den einen Unterarm des blonden Mannes und krempelte den Jackenärmel bis zum Ellbogen hinauf, dann wiederholte er die Prozedur am anderen Arm. Stamets ließ es über sich ergehen. Er nickte mit dem Kopf in Richtung der Sporenkammer.

„Ich werde nun dort drin Platz nehmen. Cadet Tilly wird auf Anweisung des Captains die Kammer mit den Prototaxites stellaviatori-Sporen fluten, die uns die Möglichkeit geben, mit dem Myzelnetzwerk zu kommunizieren. Ich selbst werde über diese Apparatur mit dem Antrieb verbunden, und kann mich sodann im Netzwerk bewegen. Die Koordinaten, die Sie mir geben werden, visualisiere ich und kann das Schiff sozusagen mit mir auf die Reise nehmen.” Er seufzte. „So zumindest die laienhafte Erklärung, die für den Augenblick genügen muss. Ich gehe davon aus, dass Sie den ausführlichen Bericht gelesen haben?”

Während der Erklärungen des Lieutenant sah Lorca aus, als müsse er gerade eine Vorlesung zum Thema vulkanische Geschichte über sich ergehen lassen. Dass ihm die Theorie hinter dem Antrieb geläufig zu sein schien, überraschte Cornwell, immerhin hätte sie nicht erwartet, dass er sich damit befasste. Mit verschränkten Armen stand er bei der Gruppe und schien darauf zu warten, dass sie alle nötigen Informationen bekam. Die Admiral folgte aufmerksam den Ausführungen von Stamets und sah dabei gelegentlich zu Doktor Culber. Nach all den Jahren als Ärztin konnte sie Menschen mittlerweile gut einschätzen. Aber auch ohne eine entsprechende Ausbildung konnte man erkennen: dem Arzt stand die Sorge über den Blondhaarigen deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein Grund mehr für sie, ebenfalls Sorge aufkommen zu lassen.

„Danke, Lieutenant, den Bericht habe ich bereits gelesen”, sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln, wohlwissend, dass er zu der Sorte Mensch gehörte, dem so etwas nicht wirklich wichtig war.

Culber umfasste Stamets’ linken Unterarm und streifte ihm die Manschette über das Handgelenk. Er aktivierte die Sensoreinheit und überprüfte dann die Verbindung auf dem Display. Ohne Aufzublicken erklärte er: „Das wird jetzt etwas unangenehm aussehen, weil der Lieutenant zur Verbindung mit dem Antrieb in die Unterarme gestochen werden muss.” Er bestätigte die Daten und blickte dann auf. Sein Blick huschte kurzzeitig zu Lorca hinüber, kehrte aber sogleich zu Cornwell zurück. Er lächelte entschuldigend. „Ich bin derzeit dabei, einen Port zu entwickeln, damit diese Prozedur für Lieutenant Stamets angenehmer wird.”

Die Vorbereitungen wurde aufmerksam von den beiden Offizieren verfolgt. Nach seiner Erklärung wandte sich Cornwell direkt an Doktor Culber. „Wir werden Sie sicher nicht belangen, weil Sie nicht an alle unvorhersehbaren Ereignisse gedacht haben. Keiner von uns hätte sich vorstellen können, dass die Forschung diese Richtung einschlagen wird. Schreiben Sie in Ihren Bericht den aktuellen Entwicklungsstand des Ports, damit wird die Sternenflotte zufrieden sein. Gute Arbeit.” Sie sah für einen Augenblick zu Lorca, der noch immer mit versteinerter Miene das Geschehen vor sich beobachtete. Er erwiderte ihren Blick nur für einen kurzen Moment, dann drehte er sich weg, sah zur Sporenkammer, als ob er noch nie etwas Derartiges gesehen hätte.

Cornwell vermied es, die Augen zu verdrehen, sah stattdessen zu Doktor Culber. „Wie ist der aktuelle Zustand des Lieutenant, Doktor? Die Anzahl der Sprünge ist bisher noch überschaubar, konnten Sie Veränderungen der Vitalwerte ausmachen?”

Culber konnte nicht verhindern, dass sein Blick kurzzeitig zwischen Lorca und Stamets hin und her huschte, bevor er Cornwell antwortete. Sie hatte den Eindruck, dass er mit dem Status Quo nicht glücklich war, doch den Grund dafür schien er nicht verbalisieren zu wollen. Er atmete einmal durch und bewahrte seine professionelle Miene. „Die Werte des Lieutenant liegen alle im Normbereich.” Er wischte mit einer knappen Bewegung über das Display, woraufhin die vorher im Quartier erhobenen Daten tabellarisch dargestellt wurden. Er zeigte sie Cornwell. „Wir haben bisher…” Er blickte auf.

„Wir haben bislang fünf Sprünge durchgeführt”, erklärte Stamets kühl. „Jeder problemlos und ich fühle mich gut.”

Culber nickte lediglich. „Die medizinischen Daten sprechen dafür, dass keine körperliche Beeinträchtigung durch die Sprünge vorliegt.”

Der Lieutenant machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung der Kontrollkonsole. Cadet Tilly blickte erschrocken auf, als sich plötzlich die Aufmerksamkeit der leitenden Offiziere ihrer Station zuwandte.

„Wenn ich Sie hier herüber bitten dürfte, Admiral.” Stamets trat an die Konsole heran, über der sich ein dreidimensionales Bild eines Galaxie-Ausschnitts aufgebaut hatte. Tilly wich einen Schritt beiseite, um ihrem Vorgesetzten Platz zu machen. Der Lieutenant tippte mit dem Finger in die Abbildung. „Wählen Sie die Koordinaten und wir können beginnen.”

Auch wenn es ihr nicht passte, dass Lieutenant Stamets dem Arzt ins Wort gefallen war - man war sich selbst nie der richtige Arzt - folgte sie seiner Aufforderung und trat an die Konsole heran. Ihr Blick traf für einen kurzen Moment den von Cadet Tilly, der die Nervosität deutlich anzusehen war. Sie schenkte der jungen Frau ein beruhigendes Lächeln. Es war nicht leicht inmitten der Offiziere, doch sie würde nicht hier stehen, wenn es nicht einen guten Grund dafür gäbe. Und ihre Abschlüsse sprachen eindeutig für sie. Dennoch erwiderte sie das Lächeln nur zögerlich.

Cornwell wurde wieder ernst, als sie sich der Kontrolle zuwandte und die Koordinaten eingab, die das Sternenflottenoberkommando ausgewählt hatte. Es war ein Sonnensystem weitab vom Klingonischen Raum, weit entfernt vom Kriegsgebiet. Sie würden also einen Sprung zwischen sicheren Territorien absolvieren. Es konnte nichts schief gehen.

„Gut, Sie können beginnen”, sagte sie und sah Stamets mit festem Blick an.

Dieser nickte. Er betrachtete die Koordinatendarstellung und nickte noch einmal. Ein knapper Blick zu Tilly bedeutete der jungen Frau, dass sie mit den Vorbereitungen beginnen konnte, dann trat er selbst von der Konsole zurück und zur Sporenkammer.

Während Tilly einen der Sporenbehälter aus der Vorratswand zog und bereit hielt, öffnete Stamets die Tür und trat ein. Er lehnte sich im Gestell zurück, schloss die Augen und wartete darauf, dass die Prozedur begann.

Culber aktivierte den Scanner. Tillys Hand schwebte über den Kontrollen. Sie blickte zu dem immer noch stoisch wirkenden Lorca hinüber. „Captain, wir sind bereit für den schwarzen Alarm.”

Das war das Zeichen für Captain Lorca. Noch immer stand er mit verschränkten Armen vor der Sporenkammer, löste sie jetzt aber und trat zu Culber, um die Vitalwerte und gleichzeitig Stamets im Blick zu haben. Cornwell war ebenfalls zu ihnen getreten, zu dritt standen sie nun bei der Kammer, in der Stamets gleich den Sprung durchführen würde. Dann öffnete er einen Kanal zur Brücke.

„Lorca an Saru”, begann er. „Nummer Eins, wir sind bereit für den Sprung, gehen Sie auf Schwarzen Alarm.”

„Aye, Captain”, kam prompt die Antwort seines Ersten Offiziers von der Brücke. Kurz darauf änderte sich die Beleuchtung. Das visuelle Signal des Schwarzen Alarms. Gleichzeitig ertönte auch das akustische Signal. Ein kurzes Nicken in Richtung Stamets bedeutete ihm, dass er beginnen konnte.

„Cadet.”

Tilly führte den Sporenbehälter in die Kontrolleinheit ein. Augenblicklich wurde die Kammer mit glitzernden Partikeln gefüllt, welche die Sicht auf Stamets mit einem transparenten Schleier überzogen. Ein weiterer Befehl Tillys setzte die Maschine in Betrieb. Wie Folterwerkzeuge näherten sich die beiden spritzenartigen Verbindungsstücke den bleichen Unterarmen des Lieutenants. Stamets spannte kurzzeitig den Kiefer an, als sich die Metallteile durch seine Haut bohrten, dann entspannten sich seine Züge wieder.

Doktor Culber starrte das Display an, welches in regelmäßigen Abständen die Vitalwerte des Lieutenants darstellte, und vermied den direkten Blick auf den malträtierten Mann. Für einen aufmerksamen Beobachter war zu erkennen, dass dem Mediziner diese Prozedur selbst weh tat.

„Wir können springen!”, teilte Tilly dem Captain mit.

Während des Einstichs zuckte Cornwell neben Lorca deutlich zusammen. Ein solches Vorgehen war nichts, was das Oberkommando befürwortete. Mit einem Blick zu dem Captain neben ihr stellte sie fest, dass er ihre Reaktion nicht beobachtet hatte. Oder er ließ es sich nicht anmerken, stattdessen fokussierte er seinen Blick auf Stamets. Auch wenn es nicht nötig war, straffte Lorca nun seine Haltung, dann richtete er den Befehl an die Brücke. „Springen Sie.”

Der Befehl wurde im selben Moment durchgeführt. Cadet Tilly hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Wahrscheinlich redete sie sich ihr Empfinden auch nur ein, Lieutenant Stamets hatte ihr bereits ausführlich erklärt, dass man bei diesem Sprung absolut nichts spüren konnte. Dennoch bildete sie es sich ein. Allein der Gedanke, innerhalb eines Augenblicks von einem Punkt zum anderen zu springen, war unglaublich faszinierend und ließ Stolz in ihr aufkeimen, dass sie bei solch einem Meilenstein der Menschheitsgeschichte dabei war. Außerdem profitierte sie jedes Mal von dem atemberaubend schönen Anblick des Lieutenants. Es war weniger Paul Stamets an sich, der ihr den Atem raubte, sondern vielmehr die Sporen, die sich um ihn herum befanden. Ein blaues Schimmern, welches tanzte, sich in einem unbekannten Rhythmus zu bewegen schien. Es war der Rhythmus des Universums, der Muskeln und Sehnen des Selbigen. Das Myzelnetzwerk, welches noch immer so viele Geheimnisse für sie beinhaltete. In diesem Moment ließ sie sich von dem Schauspiel gefangen nehmen. Es hielt nur kurz an, aber reichte ihr, um für einen kleinen Moment mit ihren Gedanken dahin abzudriften, wo der Antrieb sie überall hinbringen konnte.

Sie wurde aus dieser Trance gerissen, als sie wieder in den Normalraum eintraten. Zumindest vermutete sie, dass sie die Schwelle überquerten. Die Sporen verwirbelten. Der Rhythmus endete abrupt, zu abrupt, als dass es normal war. Sofort war sie wieder im Hier und Jetzt, checkte die Kontrollen. Die Werte spielten komplett verrückt.

Als sie den Kopf hob, um dem Captain Bericht zu erstatten, sah sie, dass das nicht nötig war. Aus den Einstichstellen an Lieutenant Stamets’ Unterarm schossen Blitze. Sie schimmerten im selben Blauton wie die Sporen. Tilly konnte die elektrische Ladung, die plötzlich in der Luft lag, spüren. Gleichzeitig herrschte in ihr ebenfalls eine Spannung, während sie versuchte, den Sprung zu beenden, damit Stamets von der Einheit getrennt werden konnte. Doch was auch immer sie in die Kontrolle eingab, es hatte keine Wirkung. Sie sah noch einmal nach oben. Die Blitze zuckten wild durch den Raum, sie hatten kein Ziel, endeten an den Wandverkleidungen.

Sie bemerkte, wie Doktor Culber erschrocken nach seiner Arzttasche griff, im Begriff, die Sporenkammer zu öffnen, um Lieutenant Stamets zu Hilfe zu eilen. „Was…”

„Captain, ich kann es nicht aufhalten”, fasste sie ihre Angst nun doch in Worte.

Doch diese Worte fanden keinen Empfänger. Noch im selben Augenblick wurden die Umstehenden von einem der Blitze erfasst und verschwanden zusammen mit Stamets.

Sofort war es ruhig um sie herum, als ob nichts passiert war.

Cadet Tilly stand noch immer an der Kontrolle und traute ihren Augen nicht. Sie presste die Lippen aufeinander. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Schließlich setzte ihr Verstand wieder ein.

„Cadet Tilly an Brücke, können Sie mich hören?”, fragte sie vorsichtig.

„Cadet, hier ist Commander Saru. Was ist da unten los? Wir hatten einen unsanften Wiedereintritt.”

Sie stockte. Was sollte sie sagen? Sie wusste selber nicht, was gerade passiert war. „I-ich weiß nicht genau, C-commander”, stotterte sie. „Es gab offenbar eine Fehlfunktion mit dem Sporenantrieb.”

„Sind da unten alle wohlauf? Wo ist der Captain?”

Tilly schluckte. „Commander, Captain Lorca und die anderen sind verschwunden.”

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