Irdische Zeitrechnung: Herbst 2371
Martok hatte der Enge der Ersten Stadt entkommen müssen. Manchmal verlangte es ihn einfach danach. Es geschah vorzugsweise, wenn er lange Zeit von politischen und militärischen Pflichten vereinnahmt und von Bürokraten umringt war. Dann dachte er sehnsüchtig an seinen Dienst unter General ShiVang als junger Mann zurück und entschied, dass er einen kleinen Ausbruch bitternötig hatte. Einen ähnlichen Ausbruch hatte er im Übrigen auch gelegentlich von Lady Sirella nötig, die er zwar abgöttisch verehrte, aber alles andere als eine einfache Gattin war. Und wo konnte man besser auf andere Gedanken kommen, als in einem wilden, urtümlichen Winkel von Qo’noS wie Kang’s Summit?
Er hatte sich vorgenommen, einen Sabre-Bären zu erlegen, eine säbelbewehrte Bestie, die am gefährlichsten war, wenn sie sich gejagt und in die Enge getrieben fühlte. Sabre-Bären fand man nur äußerst selten, und Begegnungen mit ihnen verliefen garantiert tödlich. Immer wieder stellte Martok sich vor, wie Sirella reagieren würde, wenn er mit der Trophäe eines mit bloßen Händen erlegten Säbelbären nachhause kam. Er sah es deutlich vor sich: ihr Gesicht, wenn er ihr das tote Tier zu Füßen legte. Ihr eisiger Blick würde Betörung weichen. Der abgekämpfte Sohn von Urthog, mochte er auch nicht mehr der Jüngste sein, hätte unter Beweis gestellt, zu welch beeindruckenden Leistungen er nach wie vor in der Lage war. Was gab es Schöneres, um das Herz einer stolzen klingonischen Frau für sich zu gewinnen und eine leicht eingerostete Liebe wieder in Schwung zu bringen?
Bereits seit zwei Tagen durchstreifte Martok die Wälder, die um diese Jahreszeit voll von Glob-Fliegen waren, kleinen Moskitos, die mit ihrem hohen summenden Ton ein beständiges Hintergrundgeräusch schufen. Doch ein Sabre-Bär war nach wie vor nicht in Sicht. Er hatte nicht erwartet, dass sein Enthusiasmus so schnell belohnt würde, aber früher oder später – davon war er überzeugt – würde er die Fährte eines dieser Monstren aufnehmen.
Abgesehen davon war es ja nicht so, dass er sich nicht beschäftigen konnte, während er auf seine große Gelegenheit wartete. Kang’s Summit war voll von anderen blutrünstigen Kreaturen – wie dem Krencha. Martok war auf ein ausgewachsenes Exemplar gestoßen, und er hatte keine Sekunde gezögert, die Herausforderung anzunehmen.
Nun ächzte er vor Vergnügen, als die Reißzähne des Krencha in seine Schulter pieksten. Martok schob seine Masse beiseite und ließ sich mit der gefräßigen Bestie fallen, statt sich ihrer zu erwehren. Er schlug auf den harten, festen Boden des Waldwegs und spürte das grobe Stechen gezackter Steine in seinem Fleisch, als der Krencha völlig unerwartet nach vorn kippte und den Halt verlor, den die Reißzähne ihm gegeben hatten.
Martok führte die Seitwärtsrolle weiter aus, stieß die Beine in die Luft, um Schwungkraft zu gewinnen, und erhob sich dann auf die Beine. Der Krencha wartete schon auf ihn. Seine vier Läufe warfen den weichen Waldboden auf. Die beiden Töterbeine schossen vor. Seine Zunge glitt zwischen die Reptilienlippen; er witterte, um die Furcht der Beute zu spüren.
Aber Martok fürchtete sich nicht. Für ihn war es Erholungsurlaub. Langsam fletschte Martok seine Schorfzähne in Richtung des vor ihm stehenden zwei Meter langen Lebewesens, verzog das Gesicht zu einer siegessicheren Grimasse und schüttelte den Kopf. Sein fester zusammengebundener Kriegerzopf fegte über seine Schultern und wurde feucht von dem Blut, das aus seinen Wunden strömte. Es tropfte über seinen nackten Oberkörper auf den einfachen Gürtel und den Lendenschurz hinab, den er trug.
Im Angesicht des Todes war Martok sich jeder kleinen Bewegung von Leben in der Umgebung bewusst: eine Brise in den Blättern, der Vorbeiflug eines Insekts. Er hörte das Knacken jedes Zweiges, das Knirschen jedes Astes. Er sah jedes silberviolette Blatt aus den Augenwinkeln. Auch der Körpergeruch des Raubtiers schnitt in seine Nasenlöcher.
Martok war lebendig. So lebendig wie er es schon lange nicht mehr gewesen war, seit Gowron ihn zu seinem engsten Berater ernannt hatte. Wo er sich im Alltag mehr und mehr wie ein Politiker und Bürokrat fühlte, spürte er hier deutlich, dass an diesem Ort ein Klingone noch ein Klingone sein konnte, in diesem Raum zwischen Tod und Leben, Niederlage und Sieg. Alles Komplizierte fiel von ihm ab, und übrig blieb das Ursprüngliche. So konnte es einem Mann aus dem Ketha-Flachland, in dessen Adern kein Tropfen adeligen Bluts floss, nur recht sein.
Es war soweit – der Krencha sprang. Martok stieß die unverletzte Schulter vor, auch diesmal wieder, um die Kraft des Angriffs zu absorbieren und gegen das Tier zu wenden. Doch das Ungeheuer ließ sich nicht noch einmal narren. Sein dicker Stummelschwanz peitschte nach rechts und änderte die Flugbahn.
Als Martok taumelte, schlug der Krencha mit den Töterbeinen zu. Seine rasiermesserscharfen Krallen fetzten über Martoks ungeschützten Rücken. Der plötzliche Schock des Schmerzes hielt ihn davon ab, die Arme zu Boden klatschen zu lassen, um den Sturz zu bremsen. Er hatte die Kontrolle verloren. Knallte auf alle viere. Schmeckte den üppigen Boden von Qo’noS, der in seinen offenen, keuchenden Mund drang.
Hinter ihm schrie der Krencha in freudiger Erregung auf. Er war sich seines bevorstehenden Sieges scheinbar gewiss. Martok wusste allzu gut, wie dieses Wesen sich verhielt, nachdem es seine Beute in Besitz gebracht hatte. Bei einem Krencha konnte man sich darauf verlassen, dass er sie nicht gleich tötete. Er ließ sich Zeit damit, und vorzugsweise riss er einem Opfer zuerst die Gliedmaßen aus. Doch noch war es nicht soweit – noch hatte Martok nicht verloren.
Der Krencha beugte sich vor, damit seine sechs Beine den Waldweg berührten. Damit er schneller wurde. Er stieß vor, schrie auf, wogte seiner gestürzten Beute entgegen. Martok war noch immer am Boden. Aber es war ihm recht so. Denn nur in diesem Moment, in diesem heiligen, stillen Augenblick zwischen zwei Herzschlägen, konnte er in die Perfektion des K’ajii eintreten. Er hörte den Schrei des Kriegers, der ihn in die Schlacht rief, zu Ruhm und Ehre.
Martok machte den ersten Schritt, und die Zeit schien sich zu verlangsamen. Er sah, dass die quadratischen Pupillen der gelben Augen ihn wie Sensoren anpeilten. Er sah bei jedem erschütternden Sprung der Vorderbeine den Geifer von den rasiermesserscharfen Fängen spritzen. Das dichte Fell wogte im Wind der Bewegung. Der kräftige, dicke Schwanz der Bestie ragte hinter ihr auf, bereit, in jeder Sekunde die Richtung zu ändern.
Doch auf dem Weg des K’ajii, der sich still vor ihm auftat, wählte Martok den Moment mit erlesener Präzision. Die gebogenen Zehen seiner nackten Füße fegten unter die Primärluftröhren des Krencha, als seine Fänge nur noch einen Meter von seiner Kehle entfernt waren. Die Explosion des ätzenden Atems der Kreatur hüllte Martok mit dem Gestank von verfaultem Fleisch ein, als der Krencha an ihm vorbeiflog und sein Ziel verfehlte.
Dann, noch bevor sein animalischer Gegner am Boden aufgekommen war, wirbelte Martok herum und sprang vor. Er landete mühelos mitten auf der Kreatur, bevor sie sich wieder aufrichten konnte. Der aufgebrachte Schrei des Tiers ließ seine Ohren erbeben. Die Töterbeine zuckten vor, um Martok zu umfangen. Ein letzter Versuch, die Lebenskraft aus ihm herauszupressen. Aber dies war kein bloßer Kampf bis zum Tod. Für einen aufrechten Klingonen war es vor allem ein Kampf um die Ehre.
Martok ging das Risiko ein, den Arm vom rechten Töterlauf des Krencha zu lösen. Er ließ die Hand nach vorn schnellen, um den Rüssel des Tiers zu packen. Dieses ließ den Hals sofort erschlaffen und versuchte seinerseits, den Griff seines Kontrahenten zu lösen, um dessen Finger zu schnappen. Dann, sehr bald, hielt der Krencha inne. Er ermüdete. Wie die meisten Raubtiere war er für plötzliche Sprints und schnelle Angriffe gebaut. Lange Kämpfe waren nicht seine Sache.
Martok schwang die andere Hand herum und packte den Unterkiefer des Geschöpfs. Der Krencha heulte ein letztes Mal, als wisse er, dass er verloren hatte. Martok schlang die Beine um den langen Oberkörper des Tiers, drückte die Fersen in seinen Spann und fing an zu drücken. Die Gegenwehr des Krencha nahm beständig ab.
Dann zog er den Kiefer der Bestie auseinander. Er glitt an dem Tier entlang, brachte sein Gesicht gefährlich nahe an die blitzenden Reißzähne. Seine Finger drückten auf beide Seiten des dunklen Zahnfleisches. Der klebrige Speichel drohte, seinen Griff zu lösen, doch das Wissen, dass er dann auch die Finger verlor, erhöhte Martoks Konzentration.
Seine Arme zitterten vor Erschöpfung, als er den Kopf des Geschöpfs herumdrehte, damit es ihn anschaute. Sein Blick bohrte sich in die Augen seines Gegners. Er konnte seine Seele sehen. Und mit letzter Kraft, die ihm verblieben war, zog Martok die Kiefer des Tiers auseinander, ließ eine Hand nach vorn und eine nach hinten schnappten, und drehte den Hals, bis er das verräterische Knacken vernahm. Der Krencha erschlaffte auf der Stelle unter ihm.
Martok zitterte, als er die Kiefer des Tiers aufzog und seinen Todesatem inhalierte. Er nahm seinen Geist und seine Stärke in den eigenen Körper auf, ehrte das Tier, wie es klingonische Jäger seit den Zeiten von Kahless, dem Unvergesslichen, taten. In seinem Innern stieß der Krieger einen Siegesschrei aus.
So., dachte Martok und legte beide Hände in die Hüfte. Die Aufwärmphase ist vorbei. Jetzt bin ich bereit für den Sabre-Bär.
Respektvoll stand er neben dem gefallenen Gegner auf und sprach die Worte der Abmachung des Jägers. Hätte er den Kampf verloren, hätte er dem Geschöpf als Nahrung gedient. Doch er hatte gesiegt, also akzeptierte er gnädig das Opfer des Tiers, ihn zu nähren. Er zog das D’k tagh-Messer aus dem Gürtel und hielt es über das erste der beiden Krencha-Herzen. Doch er kam nicht mehr dazu, zum Stich anzusetzen.
„Beeindruckend. Überaus beeindruckend.“
Eine Stimme. Eine Stimme, die irgendwie vertraut klang. Und sie kam aus den Schatten, dort wo die dichten Bäume und Büsche jegliches Licht verschluckten. Ganz in seiner Nähe.
„Wer ist da?“, wollte Martok wissen und wappnete sich sogleich für einen neuen Kampf.
„Keine Sorge, General. Ich habe nicht vor, gegen Sie zu kämpfen.“, sagte die Stimme sonor. „Ich bin nur ein Beobachter. Und obwohl ich Sie schon so intensiv studiert habe, lerne ich immer noch dazu.“
Martoks Blick suchte die Dunkelheit vor ihm ab, und da glaubte er, die schwachen Umrisse einer Silhouette auszumachen. Ein Beobachter. Jetzt fiel es ihm wieder ein. In den vergangenen zwei Tagen, seit er Kang’s Summit durchstreifte, hatte er ein paar Mal den Eindruck gehabt, als folge ihm jemand unauffällig. Er hatte es jedoch als Rascheln im Unterholz abgetan und sich wieder auf sein Ziel konzentriert: einen Sabre-Bären zu finden. Nun realisierte Martok, dass sein anfänglicher Verdacht zutreffend gewesen war. Seit wann verließ er sich nicht mehr auf seine Instinkte?
„Gib Dich zu erkennen, Fremder!“, fauchte er drohend und bedeutete den toten, in sich zusammengesunkenen Krencha zu seinen Füßen. „Oder Du teilst das Schicksal dieser Kreatur!“ Wer immer dieser Klingone war – Martok würde ihm eine Lektion erteilen, die er nicht so schnell vergaß. Ihm einfach so nachzustellen wie ein Romulaner, das war eine Dreistigkeit.
„Ich versichere Ihnen, General: Es gibt keinen Grund, alarmiert zu sein. Es war lediglich meine Absicht, Sie noch etwas besser kennenzulernen.“
„Was soll das heißen?!“, rief Martok erzürnt. „Raus mit der Sprache!“
„Nun, es heißt, dass ich ein besonderes Interesse an Ihnen habe. So wie der Rest von uns.“
Die Nuance, die die Stimme annahm, gefiel Martok nicht. In diesem Moment glaubte er zu erkennen, an wen ihn ihr Klang so stark erinnerte. An sich selbst.
Doch Martok kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Im nächsten Moment traf ihn etwas am Nacken, bohrte sich einen Zentimeter in die Haut. Es musste eine Art Projektil sein, und der narkotisierende Wirkstoff, den es verteilte, setzte ohne Verzögerung ein. Martok verlor die Kontrolle über seinen Körper.
Nur Sekunden später stürzte er dem Waldboden entgegen. Einen Augenblick fragte er sich, ob es nur sein Kopf war, der nach vorn flog. Er dachte an die stolze Sirella, die er nun nicht mehr mit einer Trophäe würde beglücken können. Und dann, auf einmal, stürzte Martok, Sohn von Urthog, in tiefe, endlose Finsternis.
- - -
Sirellas Miene war wie versteinert, als ihr Martok den erlegten Sabre-Bären zu Füßen legte. Ihr Blick war zuerst nur zum toten Tier gesenkt, und sie schwieg. Dann, mit dem ihr üblichen Gespür für Dramaturgie, hob sie den Kopf und musterte Martok aus ihren dunklen, unendlich tiefen Augen. Es waren die Augen einer wahren Gebieterin.
„Ihr Männer werdet Euch wohl nie ändern. Da verschwindet Ihr für viele Tage und lebt im Wald unter wilden Tieren, und wer darf zusehen, wie Haus und Hof am Laufen gehalten werden? Ich bin kein bisschen beeindruckt – außer von dem Gestank, den Du verbreitest. Dein alter Targ hat besser gerochen. Und nun geh Dich waschen und rasieren. Morgen erwartet uns wieder einmal viel Arbeit.“ Sie rümpfte die Nase, als sie ein letztes Mal zum Säbelbären hinunterschaute. „Ich lasse das hier…wegräumen.“
Martok hielt inne und betrachtete sie. Dieser Blick. Für einen kurzen Augenblick beschlich sie der Eindruck, etwas anderes würde sie durch seine Augen hindurch ansehen. Doch es war das vertraute Gesicht ihres Gatten.
„Sirella.“, sagte er. „Habe ich Dir in letzter Zeit gesagt, wie begehrenswert ich Dich finde? Ich verehre Dich zutiefst.“
Für eine Sekunde fehlten ihr die Worte. So etwas auszusprechen, geschweige denn überhaupt zu denken, war nicht die Art ihres Mannes. Er war kein Poet, er war kein Romantiker, dafür fehlte ihm der Sinn. Doch wie er diese zwei kurzen Sätze ausgesprochen hatte, war seine Stimme voller Leidenschaft gewesen. Nach zwei Jahrzehnten der Ehe, da sie Martok zu kennen glaubte wie ein ausgelesenes Buch, reichten diese wenigen Worte, um Sirella die Sprache zu verschlagen.
Sie fand sie jedoch rasch wieder. Keine Hausherrin sollte sich länger als für einen Herzschlag aus dem Konzept bringen lassen. „Das will ich auch für Dich hoffen.“, entgegnete Sirella mit fester Stimme und schickte ihn ins Badezimmer. Anschließend rief sie einen der Hausdiener, um den Kadaver aus ihrem Wohnzimmer zu entfernen. „Männer…“, murmelte sie ein letztes Mal, schüttelte den Kopf und ging zu Bett.
Martok hatte der Enge der Ersten Stadt entkommen müssen. Manchmal verlangte es ihn einfach danach. Es geschah vorzugsweise, wenn er lange Zeit von politischen und militärischen Pflichten vereinnahmt und von Bürokraten umringt war. Dann dachte er sehnsüchtig an seinen Dienst unter General ShiVang als junger Mann zurück und entschied, dass er einen kleinen Ausbruch bitternötig hatte. Einen ähnlichen Ausbruch hatte er im Übrigen auch gelegentlich von Lady Sirella nötig, die er zwar abgöttisch verehrte, aber alles andere als eine einfache Gattin war. Und wo konnte man besser auf andere Gedanken kommen, als in einem wilden, urtümlichen Winkel von Qo’noS wie Kang’s Summit?
Er hatte sich vorgenommen, einen Sabre-Bären zu erlegen, eine säbelbewehrte Bestie, die am gefährlichsten war, wenn sie sich gejagt und in die Enge getrieben fühlte. Sabre-Bären fand man nur äußerst selten, und Begegnungen mit ihnen verliefen garantiert tödlich. Immer wieder stellte Martok sich vor, wie Sirella reagieren würde, wenn er mit der Trophäe eines mit bloßen Händen erlegten Säbelbären nachhause kam. Er sah es deutlich vor sich: ihr Gesicht, wenn er ihr das tote Tier zu Füßen legte. Ihr eisiger Blick würde Betörung weichen. Der abgekämpfte Sohn von Urthog, mochte er auch nicht mehr der Jüngste sein, hätte unter Beweis gestellt, zu welch beeindruckenden Leistungen er nach wie vor in der Lage war. Was gab es Schöneres, um das Herz einer stolzen klingonischen Frau für sich zu gewinnen und eine leicht eingerostete Liebe wieder in Schwung zu bringen?
Bereits seit zwei Tagen durchstreifte Martok die Wälder, die um diese Jahreszeit voll von Glob-Fliegen waren, kleinen Moskitos, die mit ihrem hohen summenden Ton ein beständiges Hintergrundgeräusch schufen. Doch ein Sabre-Bär war nach wie vor nicht in Sicht. Er hatte nicht erwartet, dass sein Enthusiasmus so schnell belohnt würde, aber früher oder später – davon war er überzeugt – würde er die Fährte eines dieser Monstren aufnehmen.
Abgesehen davon war es ja nicht so, dass er sich nicht beschäftigen konnte, während er auf seine große Gelegenheit wartete. Kang’s Summit war voll von anderen blutrünstigen Kreaturen – wie dem Krencha. Martok war auf ein ausgewachsenes Exemplar gestoßen, und er hatte keine Sekunde gezögert, die Herausforderung anzunehmen.
Nun ächzte er vor Vergnügen, als die Reißzähne des Krencha in seine Schulter pieksten. Martok schob seine Masse beiseite und ließ sich mit der gefräßigen Bestie fallen, statt sich ihrer zu erwehren. Er schlug auf den harten, festen Boden des Waldwegs und spürte das grobe Stechen gezackter Steine in seinem Fleisch, als der Krencha völlig unerwartet nach vorn kippte und den Halt verlor, den die Reißzähne ihm gegeben hatten.
Martok führte die Seitwärtsrolle weiter aus, stieß die Beine in die Luft, um Schwungkraft zu gewinnen, und erhob sich dann auf die Beine. Der Krencha wartete schon auf ihn. Seine vier Läufe warfen den weichen Waldboden auf. Die beiden Töterbeine schossen vor. Seine Zunge glitt zwischen die Reptilienlippen; er witterte, um die Furcht der Beute zu spüren.
Aber Martok fürchtete sich nicht. Für ihn war es Erholungsurlaub. Langsam fletschte Martok seine Schorfzähne in Richtung des vor ihm stehenden zwei Meter langen Lebewesens, verzog das Gesicht zu einer siegessicheren Grimasse und schüttelte den Kopf. Sein fester zusammengebundener Kriegerzopf fegte über seine Schultern und wurde feucht von dem Blut, das aus seinen Wunden strömte. Es tropfte über seinen nackten Oberkörper auf den einfachen Gürtel und den Lendenschurz hinab, den er trug.
Im Angesicht des Todes war Martok sich jeder kleinen Bewegung von Leben in der Umgebung bewusst: eine Brise in den Blättern, der Vorbeiflug eines Insekts. Er hörte das Knacken jedes Zweiges, das Knirschen jedes Astes. Er sah jedes silberviolette Blatt aus den Augenwinkeln. Auch der Körpergeruch des Raubtiers schnitt in seine Nasenlöcher.
Martok war lebendig. So lebendig wie er es schon lange nicht mehr gewesen war, seit Gowron ihn zu seinem engsten Berater ernannt hatte. Wo er sich im Alltag mehr und mehr wie ein Politiker und Bürokrat fühlte, spürte er hier deutlich, dass an diesem Ort ein Klingone noch ein Klingone sein konnte, in diesem Raum zwischen Tod und Leben, Niederlage und Sieg. Alles Komplizierte fiel von ihm ab, und übrig blieb das Ursprüngliche. So konnte es einem Mann aus dem Ketha-Flachland, in dessen Adern kein Tropfen adeligen Bluts floss, nur recht sein.
Es war soweit – der Krencha sprang. Martok stieß die unverletzte Schulter vor, auch diesmal wieder, um die Kraft des Angriffs zu absorbieren und gegen das Tier zu wenden. Doch das Ungeheuer ließ sich nicht noch einmal narren. Sein dicker Stummelschwanz peitschte nach rechts und änderte die Flugbahn.
Als Martok taumelte, schlug der Krencha mit den Töterbeinen zu. Seine rasiermesserscharfen Krallen fetzten über Martoks ungeschützten Rücken. Der plötzliche Schock des Schmerzes hielt ihn davon ab, die Arme zu Boden klatschen zu lassen, um den Sturz zu bremsen. Er hatte die Kontrolle verloren. Knallte auf alle viere. Schmeckte den üppigen Boden von Qo’noS, der in seinen offenen, keuchenden Mund drang.
Hinter ihm schrie der Krencha in freudiger Erregung auf. Er war sich seines bevorstehenden Sieges scheinbar gewiss. Martok wusste allzu gut, wie dieses Wesen sich verhielt, nachdem es seine Beute in Besitz gebracht hatte. Bei einem Krencha konnte man sich darauf verlassen, dass er sie nicht gleich tötete. Er ließ sich Zeit damit, und vorzugsweise riss er einem Opfer zuerst die Gliedmaßen aus. Doch noch war es nicht soweit – noch hatte Martok nicht verloren.
Der Krencha beugte sich vor, damit seine sechs Beine den Waldweg berührten. Damit er schneller wurde. Er stieß vor, schrie auf, wogte seiner gestürzten Beute entgegen. Martok war noch immer am Boden. Aber es war ihm recht so. Denn nur in diesem Moment, in diesem heiligen, stillen Augenblick zwischen zwei Herzschlägen, konnte er in die Perfektion des K’ajii eintreten. Er hörte den Schrei des Kriegers, der ihn in die Schlacht rief, zu Ruhm und Ehre.
Martok machte den ersten Schritt, und die Zeit schien sich zu verlangsamen. Er sah, dass die quadratischen Pupillen der gelben Augen ihn wie Sensoren anpeilten. Er sah bei jedem erschütternden Sprung der Vorderbeine den Geifer von den rasiermesserscharfen Fängen spritzen. Das dichte Fell wogte im Wind der Bewegung. Der kräftige, dicke Schwanz der Bestie ragte hinter ihr auf, bereit, in jeder Sekunde die Richtung zu ändern.
Doch auf dem Weg des K’ajii, der sich still vor ihm auftat, wählte Martok den Moment mit erlesener Präzision. Die gebogenen Zehen seiner nackten Füße fegten unter die Primärluftröhren des Krencha, als seine Fänge nur noch einen Meter von seiner Kehle entfernt waren. Die Explosion des ätzenden Atems der Kreatur hüllte Martok mit dem Gestank von verfaultem Fleisch ein, als der Krencha an ihm vorbeiflog und sein Ziel verfehlte.
Dann, noch bevor sein animalischer Gegner am Boden aufgekommen war, wirbelte Martok herum und sprang vor. Er landete mühelos mitten auf der Kreatur, bevor sie sich wieder aufrichten konnte. Der aufgebrachte Schrei des Tiers ließ seine Ohren erbeben. Die Töterbeine zuckten vor, um Martok zu umfangen. Ein letzter Versuch, die Lebenskraft aus ihm herauszupressen. Aber dies war kein bloßer Kampf bis zum Tod. Für einen aufrechten Klingonen war es vor allem ein Kampf um die Ehre.
Martok ging das Risiko ein, den Arm vom rechten Töterlauf des Krencha zu lösen. Er ließ die Hand nach vorn schnellen, um den Rüssel des Tiers zu packen. Dieses ließ den Hals sofort erschlaffen und versuchte seinerseits, den Griff seines Kontrahenten zu lösen, um dessen Finger zu schnappen. Dann, sehr bald, hielt der Krencha inne. Er ermüdete. Wie die meisten Raubtiere war er für plötzliche Sprints und schnelle Angriffe gebaut. Lange Kämpfe waren nicht seine Sache.
Martok schwang die andere Hand herum und packte den Unterkiefer des Geschöpfs. Der Krencha heulte ein letztes Mal, als wisse er, dass er verloren hatte. Martok schlang die Beine um den langen Oberkörper des Tiers, drückte die Fersen in seinen Spann und fing an zu drücken. Die Gegenwehr des Krencha nahm beständig ab.
Dann zog er den Kiefer der Bestie auseinander. Er glitt an dem Tier entlang, brachte sein Gesicht gefährlich nahe an die blitzenden Reißzähne. Seine Finger drückten auf beide Seiten des dunklen Zahnfleisches. Der klebrige Speichel drohte, seinen Griff zu lösen, doch das Wissen, dass er dann auch die Finger verlor, erhöhte Martoks Konzentration.
Seine Arme zitterten vor Erschöpfung, als er den Kopf des Geschöpfs herumdrehte, damit es ihn anschaute. Sein Blick bohrte sich in die Augen seines Gegners. Er konnte seine Seele sehen. Und mit letzter Kraft, die ihm verblieben war, zog Martok die Kiefer des Tiers auseinander, ließ eine Hand nach vorn und eine nach hinten schnappten, und drehte den Hals, bis er das verräterische Knacken vernahm. Der Krencha erschlaffte auf der Stelle unter ihm.
Martok zitterte, als er die Kiefer des Tiers aufzog und seinen Todesatem inhalierte. Er nahm seinen Geist und seine Stärke in den eigenen Körper auf, ehrte das Tier, wie es klingonische Jäger seit den Zeiten von Kahless, dem Unvergesslichen, taten. In seinem Innern stieß der Krieger einen Siegesschrei aus.
So., dachte Martok und legte beide Hände in die Hüfte. Die Aufwärmphase ist vorbei. Jetzt bin ich bereit für den Sabre-Bär.
Respektvoll stand er neben dem gefallenen Gegner auf und sprach die Worte der Abmachung des Jägers. Hätte er den Kampf verloren, hätte er dem Geschöpf als Nahrung gedient. Doch er hatte gesiegt, also akzeptierte er gnädig das Opfer des Tiers, ihn zu nähren. Er zog das D’k tagh-Messer aus dem Gürtel und hielt es über das erste der beiden Krencha-Herzen. Doch er kam nicht mehr dazu, zum Stich anzusetzen.
„Beeindruckend. Überaus beeindruckend.“
Eine Stimme. Eine Stimme, die irgendwie vertraut klang. Und sie kam aus den Schatten, dort wo die dichten Bäume und Büsche jegliches Licht verschluckten. Ganz in seiner Nähe.
„Wer ist da?“, wollte Martok wissen und wappnete sich sogleich für einen neuen Kampf.
„Keine Sorge, General. Ich habe nicht vor, gegen Sie zu kämpfen.“, sagte die Stimme sonor. „Ich bin nur ein Beobachter. Und obwohl ich Sie schon so intensiv studiert habe, lerne ich immer noch dazu.“
Martoks Blick suchte die Dunkelheit vor ihm ab, und da glaubte er, die schwachen Umrisse einer Silhouette auszumachen. Ein Beobachter. Jetzt fiel es ihm wieder ein. In den vergangenen zwei Tagen, seit er Kang’s Summit durchstreifte, hatte er ein paar Mal den Eindruck gehabt, als folge ihm jemand unauffällig. Er hatte es jedoch als Rascheln im Unterholz abgetan und sich wieder auf sein Ziel konzentriert: einen Sabre-Bären zu finden. Nun realisierte Martok, dass sein anfänglicher Verdacht zutreffend gewesen war. Seit wann verließ er sich nicht mehr auf seine Instinkte?
„Gib Dich zu erkennen, Fremder!“, fauchte er drohend und bedeutete den toten, in sich zusammengesunkenen Krencha zu seinen Füßen. „Oder Du teilst das Schicksal dieser Kreatur!“ Wer immer dieser Klingone war – Martok würde ihm eine Lektion erteilen, die er nicht so schnell vergaß. Ihm einfach so nachzustellen wie ein Romulaner, das war eine Dreistigkeit.
„Ich versichere Ihnen, General: Es gibt keinen Grund, alarmiert zu sein. Es war lediglich meine Absicht, Sie noch etwas besser kennenzulernen.“
„Was soll das heißen?!“, rief Martok erzürnt. „Raus mit der Sprache!“
„Nun, es heißt, dass ich ein besonderes Interesse an Ihnen habe. So wie der Rest von uns.“
Die Nuance, die die Stimme annahm, gefiel Martok nicht. In diesem Moment glaubte er zu erkennen, an wen ihn ihr Klang so stark erinnerte. An sich selbst.
Doch Martok kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Im nächsten Moment traf ihn etwas am Nacken, bohrte sich einen Zentimeter in die Haut. Es musste eine Art Projektil sein, und der narkotisierende Wirkstoff, den es verteilte, setzte ohne Verzögerung ein. Martok verlor die Kontrolle über seinen Körper.
Nur Sekunden später stürzte er dem Waldboden entgegen. Einen Augenblick fragte er sich, ob es nur sein Kopf war, der nach vorn flog. Er dachte an die stolze Sirella, die er nun nicht mehr mit einer Trophäe würde beglücken können. Und dann, auf einmal, stürzte Martok, Sohn von Urthog, in tiefe, endlose Finsternis.
- - -
Sirellas Miene war wie versteinert, als ihr Martok den erlegten Sabre-Bären zu Füßen legte. Ihr Blick war zuerst nur zum toten Tier gesenkt, und sie schwieg. Dann, mit dem ihr üblichen Gespür für Dramaturgie, hob sie den Kopf und musterte Martok aus ihren dunklen, unendlich tiefen Augen. Es waren die Augen einer wahren Gebieterin.
„Ihr Männer werdet Euch wohl nie ändern. Da verschwindet Ihr für viele Tage und lebt im Wald unter wilden Tieren, und wer darf zusehen, wie Haus und Hof am Laufen gehalten werden? Ich bin kein bisschen beeindruckt – außer von dem Gestank, den Du verbreitest. Dein alter Targ hat besser gerochen. Und nun geh Dich waschen und rasieren. Morgen erwartet uns wieder einmal viel Arbeit.“ Sie rümpfte die Nase, als sie ein letztes Mal zum Säbelbären hinunterschaute. „Ich lasse das hier…wegräumen.“
Martok hielt inne und betrachtete sie. Dieser Blick. Für einen kurzen Augenblick beschlich sie der Eindruck, etwas anderes würde sie durch seine Augen hindurch ansehen. Doch es war das vertraute Gesicht ihres Gatten.
„Sirella.“, sagte er. „Habe ich Dir in letzter Zeit gesagt, wie begehrenswert ich Dich finde? Ich verehre Dich zutiefst.“
Für eine Sekunde fehlten ihr die Worte. So etwas auszusprechen, geschweige denn überhaupt zu denken, war nicht die Art ihres Mannes. Er war kein Poet, er war kein Romantiker, dafür fehlte ihm der Sinn. Doch wie er diese zwei kurzen Sätze ausgesprochen hatte, war seine Stimme voller Leidenschaft gewesen. Nach zwei Jahrzehnten der Ehe, da sie Martok zu kennen glaubte wie ein ausgelesenes Buch, reichten diese wenigen Worte, um Sirella die Sprache zu verschlagen.
Sie fand sie jedoch rasch wieder. Keine Hausherrin sollte sich länger als für einen Herzschlag aus dem Konzept bringen lassen. „Das will ich auch für Dich hoffen.“, entgegnete Sirella mit fester Stimme und schickte ihn ins Badezimmer. Anschließend rief sie einen der Hausdiener, um den Kadaver aus ihrem Wohnzimmer zu entfernen. „Männer…“, murmelte sie ein letztes Mal, schüttelte den Kopf und ging zu Bett.
Rezensionen