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Mütze und Bart

von Oriane

Mütze und Bart

 

Es war ein ganz normaler Morgen im Dezember, als Lynna zh'Thels nichts ahnend in einen Turbolift der Föderationssicherheit stieg, um zu ihrem Arbeisplatz zu gelangen. Doch bereits im Lift beschlich sie ein unangenehmes Gefühl, als sei etwas über Nacht geschehen, das sie aus der Bahn werfen würde. Etwas stimmte nicht. Ihre Agentennase roch Ärger und schlug Alarm. Mit einer gehörigen Portion Misstrauen verließ sie also den Lift einige Etagen höher wieder, kam allerdings nicht weit. Die Wände auf dieser Etage bestanden zum größten Teil aus Glas, sodass sie das gesamte Ausmaß des Schadens auf einmal überblicken konnte. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Überall leuchtete und blinkte es, der Geruch von Tannen- und Mistelzweigen stieg ihr in die Nase und mischte sich mit dem würzigen Duft von Spekulatius, dessen Ursprung sie aber nicht ausmachen konnte. Irgendjemand musste für die gesamte Belegschaft Plätzchen gebacken haben. In der Ecke neben dem Turbolift stand eine mannsgroße Tanne, behängt mit allerlei bunten Kugel und keinen Figürchen aus Holz. Darunter lagen ein paar in weihnachtliches Papier eingewickelte Pakete. Direkt vor ihr an der Tür zum ersten Büro hing der Kopf eines Rentiers, dessen Nase in regelmäßigen Abständen rot blinkte. Sie starrte ihn an und er starrte zurück. Das Rentier schielte sogar ein wenig.

 

Lynna musste gegen den heftigen Impuls ankämpfen, nicht sofort auf dem Absatz kehrt zu machen. Leichte Übelkeit stieg in ihr auf, dann erst kam die Erkenntnis und mit ihr die Resignation. Bald war Weihnachten. Dieses Fest, das die christliche Fraktion der Menschheit jedes Jahr mit großem Enthusiasmus veranstaltete, war ihr schon suspekt gewesen, seit sie das erste Mal Leute auf einem Weihnachtsmarkt in Köln beklaut hatte. Sie verstand Weihnachten nicht, weder die religiöse Komponente, noch die kitschige Deko, die sie jedes Jahr einen ganzen Monat lang ertragen musste.

Während sie sich auf den Weg zum Büro ihres Teams machte, beschlich sie eine weitere dunkle Vorahnung dessen, was sie gleich dort erwarten würde. Den Impuls, dem Rentier auf die rote Nase zu drücken, konnte sie leider nicht unterdrücken und wurde prompt bestraft, als es quäkend anfing, zu singen. Seufzend, und bemüht, der weiteren Dekoration keine übermäßige Beachtung zu schenken, setzte sie schließlich ihren Weg fort.

 

Alle Befürchtungen bestätigten sich, als ihr bereits in der Tür zum Büro ein Wesen mit Weihnachtsmütze und falschem Bart entgegensprang. Maurizio hatte offenbar sein Outfit im Gegensatz zum letzten Jahr erweitert, denn diesmal prangten auf dem unteren Rand der roten Mütze blinkende Sternchen und von irgendwo her aus dem Stoff schallte in furchtbarer Qualität ein Weihnachtslied. Lynna schauderte.

»Guten Morgen!«, rief der teameigene Weihnachtsmann fröhlich und grinste sie hinter dem falschen Bart an. Angewidert starrte sie zurück und schob sich schließlich kommentarlos a ihm vorbei, um zu ihrem Schreibtisch zu gelangen. Sie fing Baqhs Blick auf, der sich ein Grinsen verkniff. Der Bolianer teilte Lynnas Abneigung gegen Weihnachten, aber er hatte sich deutlich besser mit dem Umstand arrangiert, dass einer seiner Kollegen jeden Dezember verrückt spielte.

»Es wird jedes Jahr schlimmer«, murrte sie.

Maurizio seufzte und legte Bart und Mütze ab. »Du wirst auch jedes Jahr unerträglicher.«

»Ich verstehe es numal nicht. Wir haben gerade mal Anfang Dezember und alles ertrinkt im Kitsch. Dabei feiert ihr den Geburtstag dieses Irren doch erst in einem Monat, oder so.«

»In neunzehn Tagen«, verbesserte Maurizio sie mit merkwürdigem Tonfall in der Stimme, und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht.

»Dann eben neunzehn Tage. Wieso macht ihr jetzt schon so ein Theater darum?«

Er gab keine Antwort. Seine gute Laune schien dahin zu sein, was komisch war. Normalerweise ließ er sich nicht von ihren spitzen Bemerkungen aus der Ruhe bringen. Prüfend beobachtete Lynna ihn, wie der das Chaos auf seinem Schreibtisch etwas zusammenschob, um Platz auf den Kontrollfeldern des Computerterminals zu schaffen. Bart und Mütze landeten auf einem großen Haufen PADDs. Aber sie bekam vorerst keine Gelegenheit, ihren Freund zu fragen, was los war, denn wenige Minuten später betraten Mikael und Samak das Büro und ohne weitere Diskussionen über die Weihnachtsdeko, machte sich das gesamte Team daran, einen neuen Fall zu lösen.

 

Am Abend war sie zwar noch nicht viel weiter gekommen, schlimmer noch, sie steckten schon seit einigen Stunden in einer Sackgasse fest und fanden keinen Ausweg, weswegen Mikael seinem Team befohlen hatte, nach Hause zu gehen und ein wenig zu schlafen. Er selbst würde wahrscheinlich bleiben und die ganze Nacht irgendwo sitzen und grübeln, das wusste Lynna, aber es gab keinen Grund, warum sie sich ihm anschließen sollte. Samak und Baqh hatten das Büro bereits verlassen und Mikael war vor ein paar Minuten hinunter ins Labor gegangen. Nur Maurizio arbeitete noch und da er nach der Diskussion am Morgen den ganzen Tag kaum ein Wort mit Lynna gewechselt hatte, war sie ebenfalls geblieben, um die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen. Sie hatte ihn schließlich nicht verletzen, sondern nur ihren Unmut ausdrücken wollen.

Nachdem sie ihren Terminal ausgeschaltet hatte, stand sie also auf und schlenderte um den Schreibtisch ihres Kollegen herum, bis sie direkt hinter ihm stand. Er hatte sie dabei zwar aus dem Augenwinkel beobachtet, ihr aber nicht aktiv Beachtung geschenkt. Jetzt schlang sie langsam von hinten die Arme um ihn und legte das Kinn auf seiner Schulter ab. Sie spürte, wie er sich unter ihrer Berührung anspannte, ließ aber nicht los.

»Erklär es mir«, forderte sie leise.

»Lynna, was soll das?«, murrte er und lehnte den Kopf von ihr weg.

»Du kennst mich, ich mache Scherze über Dinge, die ich nicht verstehe und für unsinnig halte. Ich ziehe auch darüber her. Bisher hat es dich nie besonders gestört.«

Der Mann in ihrer Umarmung seufzte und ließ von seiner Arbeit ab. Seine blonden Locken kitzelten Lynnas Ohr, als er den Kopf wieder zu ihr neigte und seine Wange an ihre legte. Dass sie so miteinander umgingen, war neu. Seit einen Undercover-Einsatz vor ein paar Wochen, bei dem sie nicht nur sehr viel Zeit miteinander verbracht hatten, sondern auch noch aufgeflogen und gefangen genommen worden waren, war ihr Umgang miteinander vertrauter geworden. Berührungen an sich waren nichts neues. Schon vorher hatten sie mal aneinandergelehnt auf dem Sofa gesessen, oder sich nach einem schwierigen Einsatz in den Armen gelegen, aber in letzter Zeit hatte sich etwas verändert. Ihr beider Verhalten wurde rücksichtsvoller, die Berührungen zärtlicher, aber keiner von beiden hatte sich bisher getraut auch nur darüber nachzudenken, was das bedeuten mochte.

»Du versucht nicht einmal es zu verstehen«, begann er zögerlich. »Der ganze Weihnachtsschmuck, der falsche Bart, die Mütze, das sind nunmal alles Dinge die zur Tradition dazugehören, auch wenn sie schrecklich kitschig sind.«

»Aber was hat das mit Weihnachten zu tun? Wer käme zum Beispiel im Juni auf die Idee, sich einen Nadelbaum ins Wohnzimmer zu stellen? Geht den Menschen im Dezember jeglicher Sinn für Geschmack verloren?«

Sie spürte, wie sein Gesicht sich zu einem Lächeln verzog.

»Es geht nicht um den Kitsch. Natürlich ist das meiste eine Dekorationskatastrophe. Ich würde mir auch nie das ganze Jahr über Rudolf eingerahmt übers Bett hängen!«

»Rudolf?«

»Vergiss es. Der Punkt ist, es geht nicht um die Deko, sondern um das Gefühl.«

»Gefühl? Aber wozu dann die Deko?«

»Ich weiß es doch auch nicht. Ich kann dir nur erklären, was Weihnachten für mich bedeutet. Es gibt sicher auch Leute, die nur scharf auf Plätzchen und Geschenke sind. Für mich, wenn ich die ersten Lichterketten und Tannenzweige sehe, ist es wie eine Aufforderung, über die Leute in meinem Umfeld nachzudenken. Freunde, Familie, Bekannte. Und dann fällt mir wieder ein, wie viele von ihnen ich lang nicht mehr gesehen habe und was die Gründe dafür sind. Bei einigen fällt mir auch auf, dass sie mir weniger bedeuten, als ich dachte. Meistens bin ich im Advent ziemlich schlecht drauf.«

Er schnaubte und schüttelte leicht den Kopf. »Und dann habe ich das dringende Bedürfnis, die ganzen negativen Gedanken zu verdrängen, zu vergessen, dass die Beziehung zu meiner Familie im Eimer ist und dass ich mich aktiv dazu entschieden habe, das alles zu zerstören. Dann versuche ich das Gefühl wiederzufinden, das ich damals als Kind jedes Weihnachten hatte. Und da gehört die ganze Dekoration nunmal dazu.«

»Aber du sagtest doch, dass eure Familientreffen immer furchtbar gewesen sind, wegen deinem Vater und der Sternenflotte.«

Maurizios Vater hatte es überhaupt nicht gut gefunden, dass sein Sohn die Föderationssicherheit einer Sternenflottenkarriere vorgezogen hatte und machte sich auch keine Mühe damit, es für sich zu halten. Schlussendlich hatte es dazu geführt, dass Maurizio seiner Familie den Rücken gekehrt und sie seit acht Jahren nicht mehr gesehen hatte.

»Es war auch furchtbar. Teilweise jedenfalls, wenn mein Vater den großen Admiral raushängen ließ und es nicht schaffte, einfach unser Papa zu sein. Aber es gab andere, die das für ihn übernommen haben. Die Weihnachtsfeier mit der ganzen Verwandtschaft, das war immer etwas schönes. Und wir Kinder wurden behandelt, als wären wir die Stars der Show. Es gab Geschenke, wir duften so viel Schokolade essen, wie wir wollten...solche Dinge.« Er lachte leise. »Mein Vater war furchtbar, aber er gehörte eben auch zur Familie. Meistens vermisse ich sie nicht, ich habe dich und Baqh und Mikael. Sogar Samak gehört mittlerweile irgendwie zur Familie.«

Schmunzelnd stimmte Lynna ihm zu. »Samak ist der Onkel mit den schrägen Angewohnheiten.«

»Definitiv!« Er grinste wieder, fand aber schnell zum ernst zurück. »Zu Weihnachten vermisse ich manchmal meine alte Familie und dann denke ich unweigerlich darüber nach, was mit uns schief gelaufen ist. Deswegen die Mütze und der falsche Bart, die Deko hier und in meiner Wohnung, weil ich dieses Gefühl von früher einfangen will. Und wer weiß, vielleicht ermuntert es die Leute dazu, sich ebenfalls Gedanken darüber zu machen, wen sie vermissen und wen sie sich nicht mehr aus ihrem Leben wegdenken können.«

Lynna verstand, was er meinte, was sie dazu veranlasste, ihre Arme noch ein wenig fester um ihn zu schließen. Er erwiderte die Geste, indem er sanft über ihre Arme strich. Er wusste genau, dass er mit seinen Worten auch bei Lynna einen wunden Punkt traf, die ihre Familie nicht mehr kontaktiert hatte, seit sie als Jugendliche von Andoria geflüchtet war.

»Ich vermisse sie auch manchmal«, gab sie flüsternd zu. Stille breitete sich aus, in der beide über die zerstörten Beziehungen zu ihren Familien nachdachten. Im Prinzip war es nicht unmöglich, sie zu reparieren, aber es würde so viel Schmerz und Arbeit bedeuten.

»Hier«, sagte Maurizio plötzlich, brach das Schweigen und griff nach der Weihnachtsmütze. »Sie hilft gegen trübe Gedanken.« Der Versuch, Lynna die Mütze ohne Sicht über den Kopf zu ziehen endete in einer kleinen Kabbelei, an dessen Ende die Andorianerin einlenkte und sich grinsend die Kopfbedeckung über die Antennen streifte.

»Ja«, gestand sie nach einer Weile und spielte mit dem Bommel der Mütze. »Ja, du hast recht, man fühlt sich direkt besser.«

»Siehst du?«

»Ja, ich komme mir direkt so lächerlich vor, dass sich die bösen Gedanken viel zu sehr schämen, ein Teil von mir zu sein.«

Sie brach in Gelächter aus und Maurizio verzog gespielt schmollend das Gesicht, das er aber nicht lange halten konnte.

»Los, lass uns nach Hause gehen«, schlug er vor, schaltete auch seinen Computerterminal ab und zog sich den falschen Bart übers Gesicht. Dann bot er Lynna den Arm, den sie immer noch lachend ergriff und zusammen bildeten sie ein Gespann, das von der gerade eintreffenden Nachtschicht höchst irritiert beäugt wurde.

 

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