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Schnee

von CAMIR

Schnee

 

„Ich hasse Schnee!“

Jean-Luc Picard ächzte auf, als er aus dem Cockpitfenster des Runabouts blickte. So weit das Auge blickte war alles blendend weiß.

Er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich am Pilotensessel aufzurichten. Die Bruchlandung war so hart gewesen, dass es ihn aus dem Sessel geschleudert hatte. Bis auf einige Schürfwunden und blaue Flecken schien aber alles in Ordnung zu sein. Langsam kehrte die Erinnerung zurück und er zuckte zusammen.

Beverly!

Sie lag neben ihm auf dem Boden, ihre Gliedmaßen in alle möglichen Richtungen verstreut.

„Merde!“ zischte Picard, wischte sich über die Stirn und fiel dann neben seiner Frau auf die Knie. In ihrem Zustand durften ihr solche Dinge eigentlich nicht passieren.

„Beverly,“ flüsterte er leise und schüttelte sie sanft an der Schulter. Als sie nicht reagierte, versuchte er es ein zweites Mal. Daraufhin schlug sie die Augen auf.

„Mein Kopf,“ stöhnte sie und rieb sich die Schläfen. Picard half ihr, sich aufzusetzen und sie lehnte sich an die Unterseite der Steuerkonsole.

„Langsam,“ mahnte er sie und sie nickte, sich immer noch ihren Kopf massierend. Dann schluckte sie und versuchte es erneut.

„Was ist passiert?“

„Wir sind abgestürzt. Ich versuche gerade selbst noch, die Situation einzuschätzen, aber ich fürchte, wir stecken hier bis auf Weiteres fest.“ Picard hasste es, keine besseren Nachrichten zu haben, aber Beverly erwartete von ihm gnadenlose Ehrlichkeit.

Sie dachte kurz über seine Worte nach, bevor sie wieder sprach.
„Wo ist ‚hier‘?“

„Irgendwo auf Jarda VI. Wo immer es ist, wir stecken ziemlich tief im Schnee!“

Sie ließ die Information einen Moment sacken. „Könnte das zu einem Problem werden?“

„Ich hatte noch keine Zeit für eine Diagnose. Es hängt davon ab, wie viele Systeme beim Absturz beschädigt werden.“

„Also entweder wir haben ein paar kuschlige Tage oder wir kämpfen gegen Hunger und Hypothermie?“

Picard zuckte die Schultern. „So ziemlich, ja.“

„Dann hoffen wir einfach das Beste!“ Beverly legte ihre Hände an die Konsole hinter sich und versuchte sich daran abzustützen, um auf diese Art auf die Füße zu kommen. Aber kurz darauf verzog sie das Gesicht und sank wieder auf den Boden. Ihre Hände wanderten zu ihrem von der Schwangerschaft angeschwollenen Bauch und sie atmete geräuschvoll aus.

Sofort war Picard an ihrer Seite.

„Ist alles in Ordnung?“ fragte er besorgt. Er ärgerte sich, nicht sofort nach ihr gefragt zu haben.

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte sie ehrlich. „Mir tut gerade alles weh. Kannst du mir einen medizinischen Tricorder holen?“

Er nickte knapp, verschwand im hinteren Teil des Schiffs und kehrte kurz darauf mit einem Notfallkoffer zurück, den er neben Beverly abstellte. Dann kniete er sich ihr gegenüber. Sie lächelte über seine Fürsorge und öffnete dann den Koffer, um das Gewünschte herauszuholen. Als sie den Tricorder in den Händen hielt, ließ sie ihn routiniert über ihren Körper gleiten bevor sie ihn schließlich zuklappte.

Sie presste die Lippen zusammen und atmete mehrfach ein und aus, bevor ihr ein leises „Verdammt!“ entfuhr. Auf Picards fragenden Blick hin seufzte sie leise. „Ich habe mehr abgekriegt, als ich dachte,“ beantwortete sie seine stumme Frage. „Die Fruchtblase hat einen Riss und durch das Schleudertrauma habe ich mir auch einige inneren Organe gequetscht.“ Mit einem schiefen Lächeln fügte sie hinzu: „Und den Knöchel verstaucht, aber das ist wohl nebensächlich.“ Ihr Versuch, die Stimmung aufzuheitern, scheiterte kläglich. Picards Gesichtsausdruck blieb finster. Sie war wirklich unglücklich gefallen.

„Und was ist mit dir?“ fragte sie und reichte ihm den Tricorder.

Er legte seine Hände auf die ihren und drückte sie zärtlich. So sehr er sich seine Sorge nicht anmerken lassen wollte, so sehr war ihm bewusst, dass es ihm nicht gelang.

„Mir geht es soweit gut. Einige kleinere Verletzungen, aber nichts ernsteres.“

„Brauchst du irgendwelche Medikamente?“

„Ich denke nicht.“

Beverly strich ihm vorsichtig mit der Hand über die Wange, und die Tatsache, dass sie nicht darauf insistierte ihn wenigstens zur Sicherheit zu untersuchen, sagte Picard alles was er wissen musste.

„Das Notfallkit enthält Schmerzmittel und einige andere Medikamente, die es mir erlauben, die Zeit bis zur Rückkehr auf die Enterprise zu überbrücken, aber ich sage dir nichts Neues damit, dass es mich nicht vollständig heilen kann. Wir müssen einfach abwarten.“

„Ich werde dich nach hinten bringen, damit du auf einer der Pritschen ausruhen kannst, während ich mich darum kümmere, mehr über unsere Lage herauszufinden,“ bot Picard an.

Beverly nickte ihm zu und kaute dann auf ihrer Lippe herum.

„Jean-Luc?“ brachte sie schließlich hervor. „Ich möchte dir nicht verheimlichen, dass eine sehr reale Möglichkeit besteht…“ Sie brach ab und sah auf den Boden. Er ließ sie sich geduldig sammeln und als sie wieder sprach, war ihre Stimme erstaunlich fest, genau wie der Blick, den sie auf ihn richtete.

„Möglicherweise kommt Madeleine bald zur Welt. Meine Verletzungen können das bewirken und es gibt hier nichts, um das zu verhindern.“

Picard erbleichte.

„Aber… das wäre ja viel zu früh!“ entfuhr es ihm.

„Nicht viel zu früh. Sie kann es schaffen,“ versuchte Beverly ihn zu beruhigen. „Ich verspreche dir, ich schone mich.“

Sie zog ein Hypospray und ein entsprechendes Serum aus dem Notfallkit heraus und injizierte es sich.

„Das ist gegen die Schmerzen,“ erklärte sie. „Und es beruhigt ein wenig.“

Sie legte das Spray wieder in die Tasche und holte dann den Regenerator heraus, um ihren Knöchel zu regenerieren. „Immerhin das kann ich hier behandeln.“ Als sie mit allem fertig war, verschloss sie das Kit und schlang sich dessen Gurt um ihren Oberkörper.

„Wenn du willst, lege ich mich jetzt hinten etwas hin.“

„Ich helfe dir!“ Vorsichtig ging Picard vor ihr in die Hocke, schob einen Arm unter ihre Kniekehle und legte einen einen weiteren an ihren Rücken. Beverly klammerte sich an ihm fest. Dann versuchte er, mit ihr in den Armen aufzustehen, ohne sich die Anstrengung anmerken zu lassen. Als es ihm gelungen war, gab ihm Beverly einen Kuss auf die Wange und lächelte.

„Danke Jean-Luc, aber ich hätte auch gehen können.“

„Ich möchte kein Risiko eingehen, du solltest dich unbedingt schonen.“

Im hinteren Teil des Runabouts gab es einen Schlafraum, dessen Betten nach Bedarf in Doppelstockbetten verwandelt werden konnten, indem man eine Matratze aus der Wand klappte. Picard war froh, bereits am Anfang der Reise die Betten entsprechend angepasst zu haben und so legte er seine Frau nun behutsam auf ihre Pritsche.

„Danke,“ flüsterte Beverly und rang sich ein Lächeln ab. Picard deckte sie zu, strich ihr über die Haare und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Ruh dich aus und rufe, wenn du etwas brauchst!“

„Natürlich!“

Sie verschränkte die Arme über ihrem geschwollenen Bauch, schloss die Augen und atmete kontrolliert aus und ein. Auch wenn Picard sich sorgte, beruhigte es ihn, die Gewissheit zu haben, dass sie genau wusste was sie tat.

Ein Teil von ihm verfluchte sich, nicht energischer darauf bestanden zu haben, sie auf der Enterprise zurückzulassen, während er den Antalianischen Archäologenkongress besuchte, aber dann rief er sich mental zur Ordnung. Beverly war in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und sie hatte bereits einmal ohne ihn ein Kind bekommen und großgezogen. Niemand hatte damit rechnen können, dass sie nun in dieser gefrorenen Einöde gestrandet waren und es war wenig sinnvoll, nun darüber nachzudenken, wie es hätte anders kommen sollen. Und so versuchte er wenigstens dankbar dafür zu sein, in dieser Situation bei ihr sein zu dürfen.

Entschlossen setzte er sich auf den Pilotensessel und versuchte, ein Bild von der technischen Seite ihrer Lage zu bekommen, indem er die Diagnose des Runabouts startete. Noch immer war es ihm vollkommen unerklärlich, wie es hatte geschehen können, dass das Schiffchen den Geist aufgegeben hatte und er versuchte, in Ruhe die Ereignisse zu rekonstruieren…

 

„Was wirst du in der Zeit machen, während ich mir die Vorträge anhöre?“ fragte Jean-Luc Picard seine Frau, die es sich im Sitz neben ihm gemütlich gemacht hatte und interessiert aus der Sichtscheibe auf die vorbeiziehenden Sterne vor sich blickte.

„Mir wird nicht langweilig,“ entgegnete Beverly gut gelaunt. „Vielleicht gehe ich mit dir zu einigen von ihnen, ansonsten ruhe ich mich aus oder genieße die Urwälder von Soma und lasse die Sonne auf mein Gesicht scheinen oder ich bade in der Lagune von Maeri, ganz in der Nähe von deinem Kongressort.“ Sie legte ihre Hand auf die seine und streichelte sie zärtlich. „Hauptsache wir verbringen noch ein wenig Zeit miteinander.“ Ihr Streicheln wurde neckischer und als Picard sich umdrehte, sah er ein spitzbübisches Blitzen in ihren Augen. Beverlys Libido hatte in der Schwangerschaft nicht gelitten. Picard legte seine Hand auf die ihre und erwiderte ihren Blick mit einem wissenden Lächeln.

„Dagegen habe ich überhaupt nichts. Lass mich gerade noch einmal die Flugroute überprüfen.“

Sie schmollte gespielt und machte es sich in ihrem Sessel gemütlich, indem sie Beine hochlegte.

Plötzlich ruckelte das Runabout und fiel aus dem Warp. Picard hielt sich an der Konsole fest und Beverly krallte sich in die Stuhllehne. Die romantische Stimmung war wie verflogen und beide waren sofort wieder professionelle Offiziere von Starfleet.

„Irgendetwas stimmt mit den Triebwerken nicht, ich habe das Schiff nicht mehr unter Kontrolle,“ murmelte Picard, während seine Hände über die Steuerkonsole rasten.

„Irgendeine Ahnung warum?“ fragte Beverly, beließ es aber dabei, als er nur den Kopf schüttelte.

„Wir sind in der Nähe des Jarda-Systems. Der 6. Planet ist ein Klasse M Planet. Ich würde versuchen, dort zu landen. Wenn noch mehr Systeme ausfallen möchte ich ungern steuerungslos im All treiben. Und damit ist zu rechnen, so wie sich das Ganze hier anlässt.“

„Vor allem die Lebenserhaltung,“ pflichtete Beverly bei. „Schaffst du es noch bis dahin?“

Konzentriert widmete sich Picard seiner Aufgabe, während Beverly auf ihrer Seite versuchte, auf den Computer zuzugreifen, um ihre Fragen beantwortet zu bekommen, ohne ihn zu stören. Irgendetwas hatte in den Antriebssystemen ein Kaskadenversagen ausgelöst und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der Impulsantrieb wegbrach. Jarda VI war zwar ein Planet mit atembarer Luft, darüber hinaus aber vollkommen unbewohnt. Eine bessere Alternative gab es jedoch im erreichbaren Umkreis nicht. Ein kontrollierter Stoß mit den Impulstriebwerken konnte das Runabout auf die richtige Flugroute setzen, selbst wenn der Antrieb dann nicht mehr benutzbar sein würde und so leitete Picard das Manöver ein…

Als sie in die Atmosphäre des Planeten eingetreten waren, hatten die Steuersysteme vollends versagt und so waren sie in diese unglückliche Lage geraten…

 

So sehr Picard darüber nachdachte, es gelang ihm nicht, eine sinnvolle Erklärung für das Versagen sämtlicher Systeme des kleinen Raumschiffs zu finden. Sein Ingenieur Geordi LaForge legte großen Wert darauf, die Shuttles und Runabouts der Enterprise in tadellosem Zustand zu halten. Was auch immer es war, Picard konnte sich später noch Gedanken darüber machen. Jetzt waren erst einmal andere Dinge wichtiger. Eine kurze Überprüfung der Systeme ergab, dass sie sich zumindest mittelfristig keine Gedanken um Lebenserhaltung und Nahrung zu machen brauchten, da jene Teilroutinen des Shuttles den Absturz und was immer ihn ausgelöst hatte, einigermaßen überstanden hatten. Allerdings befanden sie sich abseits der meisten Schiffsrouten und mussten im schlimmsten Fall warten bis die Enterprise ihre Kartographierungsmission des Sankara-Nebels beendet hatte. Das konnte bis zu einer Woche dauern. Das Runabout würde sie so lange am Leben halten, aber Beverlys Zustand war eine tickende Zeitbombe. Picard setzte einen Notruf auf mehreren Frequenzen ab, holte sich dann am Replikator zwei Tassen Tee und trat damit in den Schlafraum. Er stellte die Tassen behutsam auf einer Art metallenem Nachttisch ab und setzte sich dann auf seine Pritsche Beverly gegenüber. So sehr es ihn drängte sie zu fragen, wie es ihr ging, so sehr hielt er sich damit zurück. Er wusste, durch ständige Fragerei ginge es ihr auch nicht besser und er quälte sie damit nur unnötig. So zog er die Schuhe aus und setzte sich im Schneidersitz auf das Bett.

Beverly hatte ihn kommen hören und lächelte matt, als sie ihn sah.

„Hey,“ sagte sie schwach und er erwiderte den Gruß.

„Wir sind vorerst außer Lebensgefahr – Replikatoren und Heizung sind nicht beeinträchtigt,“ versuchte Picard ihr eine gute Nachricht zu geben.

„Dann lass uns doch unseren Urlaub hier verbringen,“ kam die sarkastische Antwort. „Ich liebe Schnee.“

„Ich hasse Schnee,“ bekräftigte Picard ein weiteres Mal seine zuvor getätigte Meinungsäußerung.

„Ist das so?“ Beverly blickte ihren Mann verwundert an. „Wie kann man Schnee hassen? Ich finde ihn wundervoll. Er symbolisiert mich eine solche Reinheit und Unberührtheit, wie ich sie als Kind nie gekannt habe. Den ersten wirklichen Schnee habe ich auf Caldos erlebt – unter Nanas wachsamen Augen.“

Die Vergangenheit lenkte sie von ihrem momentanen Zustand ab und so ließ Picard die Konversation zu.

„Für mich bedeutete Schnee zusätzliche Arbeit. Wir mussten im Weingut immer dafür sorgen, dass es den Trauben gut ging und wenn es zu früh schneite, musste er weggeräumt werden. Nachdem sich Papa gegen moderne Technologie sträubte, mussten Robert und ich ihm dabei helfen. Und natürlich ließ Robert keine Gelegenheit aus, mir den Schnee hinten ins Hemd zu schieben oder mein Gesicht darin einzutauchen. Für mich bedeutet deine ‚weiße Pracht‘ vor allem harte Arbeit und die Demütigungen meines älteren Bruders.“ Picard seufzte versonnen. Obwohl er als Heranwachsender eine Menge Konflikte mit Robert gehabt hatte, hatte er dessen Tod niemals vollständig verwunden.

Beverly streckte ihre Hand nach der seinen aus und er ergriff sie.

„Das tut mir leid,“ flüsterte sie.

„Das muss dir nicht leidtun,“ beruhigte er sie. „Es ist wie es ist. Aber diese Magie und diesen Zauber des Schnees – die habe ich nie gekannt.“

„Nana ist mit mir durch den verschneiten Wald gegangen und es war so schön, all die schlafenden Bäume unter der weißen Masse zu sehen. Die Beleuchtung war immer so hinreißend und mystisch. Ich habe mich jeden Winter darauf gefreut wieder im Schnee spielen zu dürfen.“

Picard drückte sanft die Frau seiner Frau und freute sich mit ihr an den schönen Erinnerungen. Irgendwann ließ sie los, weil sie eingeschlafen war und er legte sich ebenfalls zur Ruhe, auch wenn der Schlaf schwer kommen wollte…

 

Ein Schatten in der Dunkelheit schreckte Picard aus seinem unruhigen Schlaf auf und als er sich orientiert hatte, erkannte er Beverly, die beinahe schlafwandlerisch mit einer Decke um die Schultern aufgestanden war und in Richtung Cockpit ging. Von dort kam ein seltsames Licht, wie er es noch nie gesehen hatte. Leise stand er auf und folgte ihr.

Er fand Beverly im Pilotensessel wie sie gebannt nach draußen starrte. Dort tanzten Lichter in allen Farben über dem Schnee.

Picard trat an sie heran und legte eine Hand auf ihre rechte Schulter. Wortlos legte sie ihre linke Hand darauf und dann blickten sie beide versonnen nach draußen.

„Die Aurora,“ flüsterte Beverly nach einer Weile. „Ich habe mir immer so gewünscht sie zu sehen. Es ist schon ironisch. Wir sehen im Weltraum alle Arten von Wundern, aber das einfachste von allen habe ich bisher nicht zu Gesicht bekommen.“

„Ich auch nicht,“ erwiderte Picard.

„Wusstest du, dass man auf der Erde zwischen der Aurora borealis und der Aurora australis unterscheidet, je nachdem ob sie auf der Nord- oder der Südhalbkugel zu sehen ist? Aber die meisten nennen sie trotzdem Nordlicht.“

„Ich sehe, du hast dich damit befasst,“ bemerkte Picard zärtlich. „Ich meine, davon gehört zu haben, aber ich habe nie weitere Gedanken daran verschwendet.“

„Es ist wunderschön, egal ob auf der Erde oder sonstwo,“ sagte Beverly ehrfürchtig und Picard musste einräumen von dem magischen Zauber des Lichts genauso gefangen zu sein, wie seine Frau. „Es hat mich geweckt und ich musste es unbedingt sehen…“ fuhr sie fort und er verstand. So starrten sie eine Weile gebannt aus dem Fenster bis das Naturschauspiel abgeklungen war. Inzwischen hatte sich Picard neben Beverly gesetzt und sie genossen die vertraute Stille zwischen sich, die so lange anhielt, bis Beverly plötzlich scharf einatmete. Sofort war Picard alarmiert.

„Es geht los,…“ stieß sie hervor. Die Magie war verflogen.

In der ruhigsten Stimme, die Picard aufbringen konnte, fragte er: „Was wird jetzt geschehen?“

Aus seiner Ehefrau wurde im Bruchteil von Sekunden wieder die Schiffsärztin.

„Wehen können bis zu 24 Stunden dauern, wir haben also glücklicherweise noch etwas Zeit. Madeleine kommt nicht sofort, aber sie ist auf dem Weg. Wenn es soweit ist, werde ich dir genau sagen, was du zu tun hast. Du kannst aber schon einmal warme Decken und feuchte Tücher bereithalten.“

Bevor sie weitersprechen konnte, verzerrte sie kurz das Gesicht und hielt sich den Bauch, atmete dann mehrmals durch.

„Ja, kein Zweifel, das sind Wehen…“

Picard stand auf, um das Gewünschte zu richten und Beverly zurück auf die Pritsche zu geleiten, wo sie den Notfallkoffer hingestellt hatte. Sie zögerte jedoch noch etwas, aufzustehen.

„Ich habe nachgedacht,“ sagte sie leise. „Wenn unser Liebling auf der Welt ist und die Hilfe auf sich warten lässt, können wir sie in die Stasiseinheit legen bis wir wieder auf der Enterprise sind und sie angemessen behandeln können.“

Der Gedanke, ein Neugeborenes so einfach einzufrieren, gefiel Picard nicht, aber Beverlys Worte hatten eine nicht zu leugnende Logik. Jedes Runabout hatte eine Stasiskammer, um verletzte Offiziere vor Schlimmerem zu bewahren so lange sie keine angemessene Behandlung erfahren konnten.

„Was ist mir dir?“ fragte er deshalb. „Könntest nicht du in Stasis liegen, anstatt nun einer ungewissen Geburt entgegenzusehen?“

Sie schüttelte traurig den Kopf. „Wenn es ginge, hätte ich es längst gemacht. Die Kammern sind nicht für Schwangere ausgelegt, schon gar nicht im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Abgesehen davon, dass ich mit diesem Bauch nicht hinpassen würde, käme die Kammer mit zwei Organismen nicht zurecht. Es wäre eher schädlich.“ Sie verzog kurz das Gesicht und ließ die Wehe über sich ergehen bevor sie weitersprach. „Auf der Enterprise wäre es möglich, aber für den Alltagsbetrieb eines Runabouts macht man sich diesen Aufwand nicht.“

Picard nickte nachdenklich. „Ich verstehe. Aber das hier ist auch keine alltägliche Situation.“

„Niemand hat damit rechnen können, Jean-Luc. Wenn auch nur das geringste Risiko bestanden hätte, säßen wir beide jetzt nicht hier.“

„Wenn ich nur wüsste, was geschehen ist. Ich kann mir keinen Reim darauf machen…“

„Geordi wird die Antwort sicher im Handumdrehen haben sobald wir wieder daheim sein…“

„Und wie fühlst du dich?“

Sie lächelte schief. „Es ging mir schon einmal besser – aber wir bringen Madeleine auf jeden Fall durch.“

„Wir schaffen das,“ pflichtete Picard ihr ermutigend bei.

„Keine Borg, kein Dominion, keine Terroristen – ich bin zuversichtlich!“ Sie hielt ihren Daumen in einer ermutigenden Geste nach oben und Picard musste trotz allem schmunzeln. Beverlys beißender Humor war einer ihrer verborgenen Charakterzüge, den sie in ihrer Rolle als Ärztin fast immer herunterschluckte. Und doch konnte sie die meisten Situation trocken kommentieren wenn man ihr die Gelegenheit dazu gab.

„Ich liebe dich,“ sagte er ihr deswegen und küsste sie zärtlich auf den Mund.

„Ich dich auch – egal was ich dir in den kommenden Stunden an den Kopf werfe.“

„Ich versuche daran zu denken!“ Mit diesen Worten drehte Picard sich um und ging in Richtung Schlafbereich, um dort alles für das bevorstehende Ereignis vorzubereiten. Er legte alles, so gut es ging, mit Decken und Handtüchern aus, replizierte weiche Kissen und richtete die vorhandene medizinische Ausrüstung sofern sie ihm von Nutzen erschien.

„Möchtest du ein weiteres Schmerzmittel?“ rief er ins Cockpit hinüber. Nach einer kurzen Pause kam die Antwort: „Ich kümmere mich darum. Mach dir keine Sorgen, ich sage dir alles was du wissen musst.“ Er hörte sie aufstehen und langsam zu ihm kommen und als er sie so vor sich sah, stolz, unbeugsam, die Haare in ihrem Gesicht aber mit festem Blick hatte er keine Angst mehr. Alles würde gutgehen – dafür war sie eine viel zu gute Ärztin…

 

Picard hatte die Stunden nicht gezählt, die er mit Beverly gewartet hatte, während die Natur ihren Lauf nahm. Er war an ihrer Seite, als das Wasser brach, er war an ihrer Seite als sie sich vor Schmerzen wand um einen kleinen Menschen auf die Welt zu helfen. Beverly war in der Zwischenzeit um einiges zerzauster und verschwitzter und hatte sich nicht gescheut, ihn mit den angedrohten Flüchen zu bedenken, wenn sie sich wieder vor Krämpfen krümmte. Es tat ihm leid, sie so sehen zu müssen, ohne ihr helfen zu können und ganz direkt für ihre momentane Verfassung verantwortlich zu sein. Und so tat er das, was er gelernt hatte und was sie ihm angewiesen hatte zu tun… bis das Komm piepte.

„Runabout Galileo, hier ist Captain Yontax Taim von der USS Reykjavík, benötigen Sie Hilfe?“

Das Paar blickte sich an und Picard stürzte an die Konsole.

 

„Meine Liebe, da haben Sie sich aber ganz schön was vorgenommen!“

Katherine Pulaski, die Schiffsärztin der Reykjavík und ehemaliger Leitender Medizinischer Offizier der damaligen Enterprise-D hatte es sich nicht nehmen lassen, Beverly persönlich zu behandeln, als sie erfahren hatte, welch illustre Gäste ihr Captain an Bord genommen hatte. Den aufgeregten Jean-Luc Piccard hatte sie auf einen Sitzplatz neben Beverlys Krankenbett verwiesen, wo er ihre Hand hielt und ansonsten erfahrenerem Personal das Feld überließ. Fachmännisch überprüfte Pulaski ihre Patientin, schien aber soweit zufrieden zu sein.

„Ausgerechnet die Mutter von Captain Picards Kind zu werden – das ist eine Lebensaufgabe. Ich hoffe, er behandelt Sie gut.“

„Ich kann nicht… ngh klagen,“ brachte Beverly unter größter Anstrengung hervor.

„Etwas anderes möchte ich auch gar nicht gehört haben. Sie sind in erstaunlicher Verfassung für Ihr Alter und für die erlittenen Verletzungen. Die Kleine wird ein Frühchen, aber das ist nichts, was ihr später zum Nachteil gereichen muss. Immerhin wird sie hier angemessen versorgt.“

Beverly nickte nur und schrie dann vor Schmerzen und Picard drückte instinktiv ihre Hand.

Pulaski klappte ihren Tricorder zu und drückte Beverly dann vorsichtig auf den Bauch.

„Sie sind soweit. Jetzt heißt es nur noch pressen…“ Ihre weiteren Worte gingen unter Beverlys Schreien unter…

 

Als die erschöpfte Mutter das kleine Geschöpf kurz an ihre Brust nahm, bevor es intensivmedizinisch versorgt werden sollte, fand Pulaski endlich auch die Zeit, ihren ehemaligen Captain zu begrüßen. Sie zog sich die Handschuhe aus, während sie zu ihm hinüberging. Hinter ihr kümmerte sich das Personal um Mutter und Kind.

„Meinen Glückwunsch, Captain. Sie sind der Vater einer kleinen, noch etwas schwächlichen Tochter. Aber das kriegen wir schon hin.“

„Danke,“ erwiderte Picard matt. Er war zwar glücklich aber ebenfalls ziemlich erschöpft.

„Ich lasse Sie gleich mit Ihrer Frau alleine. Sprechen können wir später, wenn Sie beide sich von den Strapazen erholt haben. Lassen Sie mich nur sagen, dass es eine besondere Ehre war, Ihnen in dieser Ausnahmesituation beistehen zu dürfen.“

Picard nickte einfach nur und versuchte ein Lächeln. Pulaski lächelte ebenfalls und wies mit dem Kinn zur vollkommen ausgelaugten Beverly, die inzwischen die Augen geschlossen hatte. Madeleine hatte man weggebracht, um sie zu versorgen. Seltsamerweise strahlte die schlafende Mutter eine Schönheit aus, die Picard noch nie an ihrer gesehen hatte.

„Sie lieben sie sehr, nicht wahr?“

„Mit jedem Tag mehr seit ich begriffen habe, dass dieses Glück nicht mehr außerhalb meiner Reichweite liegt.“

Aufmunternd klopfte die Ärztin Picard auf die Schulter.

„Ich freue mich aufrichtig für Sie. Hoffentlich weist sie Sie hin und wieder in Ihre Schranken!“

„Seien Sie unbesorgt.“

Die beiden standen sich schweigend gegenüber, bis Picard ein letztes Mal das Schweigen brach.

„Danke, Doktor, für alles. Ich hätte mir niemand besseren wünschen können, der unsere Tochter auf die Welt bringen hilft.“

„Ich möchte sagen, ‚Keine Ursache‘, aber Ihre Frau hat die Hauptarbeit geleistet. Sie ist außerordentlich. Vergessen Sie das niemals.“

„Wie könnte ich?“ erwiderte er versonnen, während er die Schlafende betrachtete. Er nahm nur am Rande wahr, wie Pulaski den Raum verließ. Dankbarkeit durchflutete ihn: Dankbarkeit dafür, so glimpflich davongekommen zu sein, Dankbarkeit dafür, eine so großartige Frau wie Beverly zu haben und unendliche Dankbarkeit dafür, Vater einer wunderschönen Tochter zu sein.

Über all dem Glück vergaß Picard zumindest zeitweilig, dass die Ursache des Absturzes noch immer ungeklärt war. Erst Stunden später würde Estelle DeMarco, Chefingenieurin der Reykjavík, ihm sagen, dass es sich um Sabotage gehandelt hatte…

 

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