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A Decade of Storm: Kapitel 9 - Duell auf Benecia

von Markus Brunner

Kapitel 2

Wie fremd ihm diese Welt namens Benecia war, erkannte Nosak einmal mehr sehr deutlich, als der Abend seines ersten Arbeitstages anbrach. Er erkannte erst jetzt, in welcher Harmonie die Suliban in ihrer Kommune auf Sarathong V lebten. Auf Benecia war das ganz anders. Nosak erkannte schon an den Blicken der abendlichen Kundschaft, wenn diese ausschließlich nach Ärger Ausschau hielten. Und da er offiziell als Kellner arbeitete, bekam er es auch mit, wenn jemand mehr Alkohol bestellte als gut für ihn war. So konnte Nosak einschätzen, wie groß das Risiko einer Schlägerei war.
Seine naturgegebene Beobachtungsgabe wurde zusätzlich von genetischen Verbesserungen unterstützt. Sie waren ihm gegeben worden, um im Dunkeln besser sehen zu können, doch sie gaben ihm auch Aufschluss über die Stimmungslage der Gäste. Spätestens als die erste Schlägerei losging, wusste Nosak genau, welches Wärmebild ein Tammeroner kurz davor abstrahlte.
Dabei hatte es ganz harmlos begonnen. Ein neu eingetroffener Gast war an einen Tisch getreten und sprach den dort sitzenden Tammeroner an. Was immer der Neuankömmling sagte, schien ihm nicht zu gefallen. Der schon leicht angetrunkene Mann sprang von seinem Stuhl hoch, warf den Tisch um und holte mit seiner Faust aus.
Nosak war sofort zur Stelle und schob sich zwischen die beiden Streithähne. Mit der einen Hand fing er den umkippenden Tisch auf, mit der anderen die Faust mitten in der Schlagbewegung ab.
Erstaunt sah der Betrunkene zu Nosak hinunter. Er konnte es wohl kaum glauben, dass jemand, der so klein war – der Tammeroner überragte Nosak um eineinhalb Köpfe – so kräftig war.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Nosak, dass der zweite Gast die Situation ausnützen wollte. Auch dieser holte zum Schlag aus. Nosak, dessen beide Hände beschäftigt waren, sah nur eine Möglichkeit: Er holte mit dem Bein aus und trat kräftig nach hinten. Dem Schmerzensschrei nach hatte er sein Ziel – die Kniekehle des Mannes – genau getroffen. Dieser hüpfte auf seinem gesunden Bein zum Ausgang, wohin Nosak auch den Betrunkenen zerrte. Aber nicht ohne ihm heimlich in die Manteltasche zu greifen und den Rechnungsbetrag samt sehr großzügigem Trinkgeld zu entnehmen.
Nosaks Auftritt hatte ihm Respekt verschafft. Es gab zwar noch zwei oder drei brenzlige Szenen an diesem Abend, aber die Gemüter beruhigten sich immer dann, wenn Nosak auch nur in die Nähe kam.
Nach der Sperrstunde zeigte sich Ikarass sehr zufrieden mit seinem neuen Angestellten.
Erst jetzt bemerkte Nosak seine Müdigkeit, verabschiedete sich und ging die Treppe hinauf. Im Stockwerk über der Bar befanden sich die Zimmer der anderen Bediensteten, die Ikarass angedeutet hatte. Es handelte sich dabei ausschließlich um Frauen. Insgesamt acht Konkubinen und zumindest von den fünf Nicht-Tammeronerinnen war eine schöner als die andere. Dass sie ihr Geld damit verdienten, dass sie mit jedem schliefen, der genug zahlen konnte, fand Nosak allerdings etwas befremdlich. So etwas gab es auf Sarathong V nicht. Er akzeptierte es schließlich als kulturelle Eigenheit der Tammeroner und ging an den verschlossenen Türen vorbei zu der Leiter am Ende des Korridors. Er kletterte durch die Öffnung an der Decke in die Dachwohnung.
Nosak konnte sich nicht darüber beschweren, dass sie zu klein war. Der spitz zulaufende Wellblechaufsatz der Bar verlief über die gesamte Länge des Gebäudes. Wegen der Schräge der Wände war allerdings nur ein schmaler Streifen in der Mitte begehbar. Für Nosak immer noch genug Platz für seine kaum vorhandenen Habseligkeiten und die Einrichtung, die aus einem einzelnen Sessel und einer – zugegebenermaßen bequemen – Matratze am Boden bestand.
Seine braune Stoffjacke – Ikarass hatte ihm auch Kleidung gegeben, die auf Benecia kein Aufsehen erregte – hängte Nosak über die Sessellehne, auf deren Sitzfläche fein säuberlich gefaltet die auf Caleb IV entwendete Laborkleidung lag.
Aus seiner Hosentasche holte Nosak einen kleinen Schlüssel und mehrere Münzen. Alles Viertel- und Halb-Isiks. Fünfeinhalb Isiks in Summe. Noch immer hatte er keine Ahnung, ob dieses Trinkgeld als spendabel oder knausrig galt.
Mit dem Schlüssel sperrte er eine kleine Metallbox auf, die Nosak mit einem zweiten Schloss und einer Kette zusätzlich an einem Haken an der Wand gesichert hatte. Er öffnete die Tür und helles Licht strahlte ihm aus dem Inneren der Kiste entgegen. Die Batterie. Nosak schüttelte den Kopf bei dem Gedanken, dass der sicherste Ort für die größte Energiequelle in der Galaxis eine einfache Kiste aus Metall war. In diese Kiste gab Nosak auch das Geld. Obwohl es wahrscheinlich nicht viel wert war, freute sich Nosak darüber. Es war sein erstes mit Arbeit verdientes Geld seit langer, langer Zeit. Und das erste überhaupt, dass er mit ehrlicher Arbeit verdient hatte.
Er musste noch über sich selbst lachen. Hier war es ein angesehener und akzeptierter Beruf, anderen Leuten Gewalt anzutun. Aber als er es früher als Söldner getan hatte, war er ein Verbrecher gewesen.
Mit dem Gedanken, auf welch seltsamen Planeten es ihn hier verschlagen hatte, verschloss Nosak die Kiste wieder und legte sich hin.
„Noch elf Wochen minus ein Tag.“

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Die Arbeit in Ikarass‘ Bar gab Nosak recht viel Freizeit und auch die Arbeitsstunden selbst verliefen nach der ersten Demonstration seiner Kraft und Wachsamkeit deutlich ruhiger. Gelegentlich benötigte Ikarass auch am frühen Morgen Nosaks Dienste. Und zwar dann, wenn sich herausstellte, dass in der vergangenen Nacht ein Kunde etwas zu grob mit einer der Frauen umgegangen war. Dann war es notwendig, einen Hausbesuch abzustatten, bei denen es aber selten zu Handgreiflichkeiten kam. So früh am Morgen beließ es Nosak meist bei einer gezielten Einschüchterung. Ikarass wollte immerhin keinen Kunden verlieren, weil dieser arbeitsunfähig wurde und kein Geld mehr verdiente.
Nach wenigen Tagen auf Benecia wusste Nosak bereits, wer wo in der Kolonie wohnte und wo er gut und günstig essen und andere Besorgungen erledigen konnte. Besonderes Interesse erweckt in ihm die Deponie des Altmetallhändlers, wo Nosak einige Bauteile aus Raumschiffen fand. Er kaufte sie nicht, aber es animierte ihn dazu, auf einem der sechsbeinigen Tiere gelegentlich zur Landestelle – oder Absturzstelle – des Shuttles zu reiten und eine Bestandsaufnahme zu machen. Unterm Strich, so stellte er fest, war wesentlich weniger beschädigt als intakt. Er konnte sicher einiges ausbauen und an den Altmetallhändler für einen guten Preis verkaufen. Anderseits stellte er fest, dass er viele der beschädigten Bauteile ersetzen konnte. Doch der Händler verlangte regelrecht unverschämte Preise für Teile, die vielleicht nicht einmal mehr funktionierten.
Diese Investition wollte Nosak nicht tätigen. Lieber wollte er sparen und das Geld den Orionern als Gegenleistung für die Mitreise anbieten. Anderseits wollte er auch das Shuttle nicht ausschlachten. Es sollte eine Hintertür darstellen, die er sich offen lassen wollte.
Um mehr Geld zur Verfügung zu haben suchte Nosak nach einer weiteren Beschäftigung, doch Arbeitsplätze waren rar. Die Dürre – laut Ikarass dauerte sie bereits drei Jahre an – ließ die Gesellschaft auf Benecia stagnieren. Die beiden größten Wirtschaftsfaktoren der Kolonie waren nunmehr die Wassergewinnungsanlage in den Bergen und die Lagerhallen – ebenfalls im Teilbesitz von Bürgermeister Whedoss.
In den Bergen zu arbeiten kam für ihn nicht infrage. Er hätte den – wesentlich besser bezahlten – Job bei Ikarass aufgeben müssen und wäre nur noch einmal im Monat zur Siedlung gekommen. Er riskierte damit auch, ein unerwartet eintreffendes Raumschiff zu verpassen.
Daher konnte er sich nur als Lagerarbeiter bewerben und dank seiner Kraft, die sich inzwischen herumgesprochen hatte, zweifelte er nicht daran, vom Fleck weg eingestellt zu werden. Der Vorarbeiter war auch sofort angetan von seiner Anfrage, im Lager arbeiten zu können. Aber recht schnell hatte Whedoss von Nosaks Anstellung erfahren und am nächsten Tag schon war dieses Arbeitsverhältnis beendet worden. Kein Zweifel: Der Bürgermeister erinnerte sich noch an Nosaks ungestümes Verhalten am Tag seiner Ankunft und vertraute ihm nicht.
Missmutig stapfte Nosak nach seiner Entlassung wieder zurück zur Bar. Es war noch Vormittag und nur wenige Gäste waren anwesend. Um diese Uhrzeit kam Ikarass auch ohne Nosak – egal ob in seiner Funktion als Kellner oder Rausschmeißer – zurecht. Gelegentlich übersah der Tammeroner einen Gast, aber das war man von ihm bereits gewöhnt.
An einem der größeren Tische wurde Chacca gespielt. Sechs Personen rund um den Tisch sitzend mit farbigen Karten in der Hand und Münzstapeln vor sich auf dem Tisch. Es sah genauso aus wie damals, als Whedoss im Hinterzimmer gespielt hatte. Der Bürgermeister und seine Trainingspartner für das anstehende Turnier am nächsten Wochenende kamen immer noch hin und wieder vorbei, wurden im Spielzimmer aber ausschließlich von Ikarass bedient. Deshalb hatte sich für Nosak noch nie die Gelegenheit ergeben, eine Chacca-Partie zu beobachten.
Die sechs Männer studierten ihre Karten. Dann griff einer an einen Lederbeutel an seinem Gürtel, holte eine Münze daraus hervor und legte sie auf den Stapel vor sich. Die anderen fünf folgten seinem Beispiel und dann wurden Karten getauscht. Ohne besondere Reihenfolge entfernten die Männer Karten aus ihrer Hand, legten sie verkehrt auf den Tisch und schoben sie dem nebenan sitzenden Spieler zu. Dafür bekamen sie vom Nebenmann eine neue Karte aus dessen Hand. Manche führten den Tausch – jeweils eine Karte – nur mit einem Sitznachbarn aus, manche mit beiden.
Als der Austausch durchgeführt war, sortierten und studierten die Männer wieder die neuen Karten. Einer von ihnen lächelte breit und legte seine sechs Karten verkehrt vor sich auf den Tisch und lehnte sich zurück. Er erntete von den anderen fünf Spielern – vor allem von seinem Gegenüber – sehr missmutige Blicke.
Dann begann wieder die Erhöhung des Einsatzes. Jeder holte einen weiteren Viertel-Isik hervor und legte ihn auf den Stapel. Mit Ausnahme des Mannes, der seine Karten hingelegt hatte. Sein Einsatz erhöhte sich nicht, wenn Nosak das Aufstapeln der Münzen richtig verstand, erhöhte sich aber sein potenzieller Gewinn, weil alle anderen weiteres Geld einsetzten.
Nosak lehnte sich über die Theke und fragte Ikarass: „Hat der Mann, der die Karten weggelegt hat, aufgegeben?“ Nosak bezweifelte es, denn während die anderen weiter Geld zückten und ihre Einsätze erhöhten, wurde das Grinsen des Mannes immer breiter.
„Nein, nein“, sagte Ikarass. „Wahrscheinlich hat er ein sehr gutes Blatt. Deshalb hat er die Karten weggelegt. Er nimmt an keinem Kartentausch mehr teil. Die neben ihm sitzenden Spieler können ihn durch das Zuschieben neuer Karten nicht mehr dazu zwingen, Karten von sich abzugeben. Er wartet nur darauf, bis zwei weitere Spieler ebenfalls signalisieren, zufrieden zu sein. Dann endet das Spiel und die Karten werden aufgedeckt.“
„Interessant“, murmelte Nosak und beobachtete, wie weitere Karten getauscht und die Einsätze auf fünf der sechs Stapeln erhöht wurde. Ein paar Minuten später legte schließlich ein zweiter Spieler seine Karten ab unmittelbar gefolgt von einem Dritten. Das Spiel endete und die Karten wurden aufgedeckt. Der Erste, der mit seinen Karten zufrieden gewesen war, jubelte. Und der andere Mann ebenfalls. Und auch der dritte.
„Warum jubeln alle drei?“, fragte Nosak verwirrt.
Ikarass lachte. „Ha, wird wohl Zeit, dass ich dir das Spiel beibringe. Dann pass‘ mal gut auf: An Chacca nehmen normalerweise sechs Spieler teil – zumindest aber immer eine gerade Anzahl an Spielern.“
„Warum?“
„Weil man in erster Linie nicht gegen sämtliche Spieler am Tisch spielt, sondern nur gegen sein Gegenüber. Und ein Gegenüber hat man nur, wenn die Anzahl der Spieler gerade ist.“
„Also finden an einem Tisch eigentlich drei voneinander unabhängige Spiele statt?“
„Keineswegs!“, widersprach Ikarass. „Im Spiel geht es darum, bestimmte Kartenkombinationen auf die Hand zu bekommen. Es gibt eine Reihenfolge der Wertigkeit der Kombinationen, weshalb es das Ziel des Spiels ist, eine möglichst hochwertige Kombination auf die Hand zu bekommen. Auf jeden Fall eine, die höher ist, als die des direkten Gegners.“
„Der Gegenübersitzende.“
„Genau. Um ein besseres Blatt auf die Hand zu bekommen gibt es die Tauschrunden. Man zahlt einen Viertel-Isik für die Teilnahme an der Runde und darf dafür maximal zwei Karten austauschen, indem man jeweils eine Karte dem linken und dem rechten Spieler gibt. Diese müssen dir dann jeweils eine ihrer Karten geben.“
„Nehme ich damit nicht Einfluss auf die beiden anderen Duelle, die am Tisch gespielt werden?“
„Du hast es erfasst!“, lachte Ikariss. „So ist es. Denn eine Chacca-Partie besteht normalerweise aus sechs Spielen. In den Spielen tritt man zwar nur gegen das direkte Gegenüber an, aber am Ende der Partie wird gezählt, wer die meisten Isiks besitzt und der gewinnt alles.“
Nosak sah auf die sechs Münzstapel und schätze, welche Reserven die Männer in ihren Ledersäckchen noch hatten. Er kam zu dem Schluss, dass am Tisch zumindest um drei seiner Wochengehälter gespielt wurde.
Und das alles gewinnt nur einer der sechs Spieler!
Dieses Spiel war eine potenzielle Goldgrube und Nosak beschloss, es zu erlernen.

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Das traditionell in seiner Bar stattfindende jährliche Chacca-Turnier war für Ikarass ein willkommener Anlass gewesen, die schmucklose Einrichtung seiner Bar etwas hübscher zu gestalten. Jetzt, wo er sich darauf verlassen konnte, dass Nosak für Ruhe und Ordnung sorgte, hatte er beim hiesigen Tischler fünf neue, kreisrunde Tische samt dazu passenden Stühlen bestellt. Sie waren genauso grün gestrichen wie die Fassade der Bar und gaben dem Lokal erstmals seit seinem Bestehen eine Art wiederkehrendes Markenzeichen.
Nosak hatte am Vormittag des ersten von zwei Turniertagen die alten Metalltische und Klappstühle weggeräumt, die neuen Möbel gleichmäßig im Raum verteilt und dabei gemerkt, dass die neuen Tische größer waren. Eine gute Idee, denn so saßen die Spieler weiter auseinander und niemand konnte schummeln, indem man in die Karten der Sitznachbarn schielte.
„Warum hast du eigentlich nur fünf Tische bestellt?“, fragte Nosak, als er den letzten um ein paar Zentimeter verschob. „Wenn die Sieger der Vorrundenpartien morgen die Finalpartiepartie bestreiten, müssten heute Abend doch sechs Partien stattfinden. Nicht fünf.
„Nein, es sind nur dreißig Teilnehmer zugelassen. Also genug für fünf Vorrundensieger. Der sechste Teilnehmer am Finale ist Whedoss. Er muss keine Vorrunde bestreiten.“
„Ein Privileg des Bürgermeisters?“
„Kann man so sagen. Immerhin hat er die offiziellen Turnierregeln verfasst.“
Nach Sonnenuntergang füllte sich die Bar langsam und mangels Sitzplätze, die durch die Spieltische verdrängt worden waren, belagerten rund fünfzig Tammeroner gleichzeitig den Bartresen. Kaum hatten sie ihre bestellten Getränke, gesellten sie sich zu den rund hundert anderen im Raum verteilten Gäste. Das Turnier zog nicht nur Spieler sondern auch Zuseher an. Nosak ging davon aus, dass beim morgigen Finale sogar noch mehr kommen würden.
Es ging entsprechend laut zu, aber Nosak stellte beruhigt fest, dass die Stimmung allgemein sehr fröhlich war. Abgesehen von einigen sehr nachdenklich wirkenden Personen. Zweifellos jene, die sich für das Turnier anmelden wollten.
Abrupte Stille trat ein, als Whedoss, flankiert von zwei grimmig dreinschauenden K’normianer, die Bar betrat. Nosak war lange genug Söldner gewesen und erkannte in den K’normianern Seinesgleichen. Sie fungierten zweifellos als Leibwächter des Bürgermeisters, der wiederum mit einem typischen Politikerlächeln auf den Lippen durch die Menge trat, den einen oder anderen Anwesenden mit Namen grüßte und schließlich auf die Theke stieg, so dass er auch im hintersten Winkel des Raumes gesehen und gehört werden konnte:
„Willkommen bei der fünfzehnten Auflage des jährlichen Chacca-Turniers auf Benecia!“
Jubel und Applaus schwappte dem Bürgermeister entgegen.
„Heute werden wir herausfinden, wer morgen gegen mich im Finale antreten wird. Ich bin schon sehr gespannt und wünsche allen Vorrundenteilnehmern viel Glück. Aber nur heute!“
Vereinzeltes Gelächter erklang.
„Dann wollen wir mal die 30 Spieler von heute bestimmen. Ihr wisst, wie es läuft: Zuerst bekommen all jene ihre Tische zugeteilt, die den vollen Einsatz von 100 Isiks erbringen können.“
Das war sehr viel Geld und es überraschte Nosak nicht, dass sich zuerst nur wenige Teilnehmer meldeten, die von Ikarass gleichmäßig auf die Tische verteilt wurden, bis ungefähr die Hälfte der Plätze besetzt waren.
„Sehr gut!“, sagte der Bürgermeister. „Ich glaube, wir haben diesmal mehr wohlhabende Spieler als im letzten Jahr. Dann kommen wir jetzt zu jenen Spielern, die weniger als 100 Isiks Einsatz mitbringen können.“
Spieler die einen geringeren Einsatz erbrachten waren schon grundsätzlich im Nachteil, hatte Ikarass Nosak erklärt. Sie konnte sich nicht so viele Tauschrunden leisten und mussten sich früher mit einem nicht so guten Blatt zufrieden geben.
„Ich melde mich an!“, verkündete Nosak lautstark. War es beim Eintreffen des Bürgermeisters schon ruhig gewesen, so wurde es nun mucksmäuschenstill. Nosak trat nahe an die Theke heran und musste seinen Kopf weit in den Nacken legen, um zu Whedoss aufzusehen.
„Welchen Einsatz bringen Sie mit, Mister …?“
„Nos Kulan. Und mein Einsatz beträgt 24 Isiks.“
Lautes Gelächter. Entweder hielten ihn die Gäste für einen Spaßvogel, oder einen Fremden, der die Regeln des Spiels nicht verstand. Mit nur 24 Isiks Einsatz war der Sieg bei einer Chacca-Partie beinahe unmöglich. Selbst wenn er seinem Gegenüber dessen gesamten Einsatz abnahm, konnte er in Summe nur auf 124 Isiks kommen, während bei einem Duell zweier Personen mit jeweils 100 Isiks Einsatz ein Gewinn von bis zu 200 Isiks möglich war.
Als das Lachen nachließ, sagte Nosak wieder mit lauter Stimme: „Ich setze 24 Isiks. Und den Wert von dem hier.“ Mit diesen Worten öffnete er die kleine Metallkiste, die er bisher unter seinem Arm geklemmt gehalten hatte. Ein Raunen ging durch die Menge, als sie die Batterie erblickten. Und auch Whedoss‘ Interesse war geweckt. Während die meisten Gäste nur von der Schönheit des Objekts im wahrsten Sinne des Wortes geblendet waren, erkannte Nosak, dass der Bürgermeister seinen Wert abschätzte. Ob es sich bei den herumwirbelnden bunten Kristallen wirklich um Smaragde, Rubine oder Saphire handelte, wusste Nosak selbst nicht, aber wenn Whedoss davon ausging, dann musste er dafür ein kleines Vermögen hinblättern.
Mir reichen 76 Isiks, dachte Nosak. Sollten er in Summe den vollen Einsatz von 100 Isiks zusammenbringen, war er sich des Sieges im Turnier sicher und er konnte von seinem Gewinn die Batterie zurückkaufen.
„Nicht schlecht. Ich gebe Ihnen, sagen wir, 70 Isiks dafür!“
70! Nosak empfand dieses Angebot als Frechheit. Mit 94 Isiks würde er immer noch im Nachteil gegenüber eines direkten Gegenspielers mit dem vollen Einsatz sein. Und der bisherigen Verteilung der Sitze nach zu urteilen, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er es mit einem solchen Gegner zu tun bekommen würde.
Anderseits wäre sein Nachteil von sechs Isiks nicht besonders groß. Und sein Vertrauen in seine verbesserten Gene war dafür umso größer. Normalerweise hätte er das Angebot sofort akzeptiert. Aber es ging auch um die Batterie. Wenn er sie verlor …
„Wenn ich dieses … Schmuckstück um den gleichen Preis zurückkaufen kann, dann will ich mit 70 Isiks einverstanden sein“, überwand sich Nosak. Whedoss stimmte der Bedingung ohne Widerrede zu. Er schien genauso siegessicher zu sein wie Nosak, wobei Nosak immer noch Bedenken hatte.
Ich darf mich nicht wegen sechs Münzen verrückt machen lassen. Konzentrier‘ dich!, forderte er von sich selbst, während Ikarass ihn zu seinem Platz begleitete.
Der Barbesitzer flüsterte ihm zu: „Das war dumm, Nos. Ich habe dir zwar die Regeln erklärt, aber du hast doch noch nie eine Chacca-Partie gespielt.“
„Ich bin vorbereitet“, versicherte Nosak ihm schlicht und setzte sich. Ihm gegenüber saß ein ihm unbekannter Tammeroner, dessen 100 Isiks bereits vor ihm ausgebreitet lagen. Das Setzen funktionierte im Turnier etwas anders als bei den freundschaftlichen Spielen am Vormittag. Eine Tauschrunde kostete einen ganzen Isik und keinen Viertel-Isik. Und das zur Verfügung stehende Geld musste bereits vor Beginn der Partie offen auf den Tisch gelegt werden, damit nicht jemand plötzlich ein paar Geldstücke mehr aus einer Tasche ziehen konnte, die er am Beginn des Spiels versehentlich „vergessen“ hatte.
Es dauerte einige Minuten, bis sämtliche Plätze an allen fünf Tischen belegt waren. Wie es das Schicksal wollte, hatten ausgerechnet Hoss und Stoiss neben Nosak ihren Platz gefunden. Nosak vermutete dahinter einen gezielten Versuch von Ikarass, ihm schwächere Spieler an den Tisch zu setzen. Das mochte gut gemeint gewesen sein, aber die beiden Brüder brachten wenig Einsatz mit. An diesem Tisch wurde um den niedrigsten Gesamtbetrag an Isiks gespielt. Gewann Nosak die Partie, würde ihm am nächsten Tag der geringste Betrag von allen Finalisten zur Verfügung stehen.
Während Whedoss seine letzte Ansprache vor dem Beginn der Vorrunde zum Besten gab, kam Ikarass wieder an Nosaks Tisch und übergab ihm die 70 Isik-Münzen von Whedoss, im Gegenzug übergab Nosak ihm die Metallbox. Diese letzte Gelegenheit mit dem Barbesitzer zu sprechen wollte Nosak nicht ungenützt lassen und er fragte ihn im Flüsterton: „Wer ist mein Gegenüber?“
„Sein Name ist Qalass. Er leitet einen der Arbeitstrupps in der Wassergewinnungsanlage.“ Das erklärte, wie er den vollen Einsatz erbringen konnte. „Er ist auch ein sehr gewiefter Spieler, der immer darauf achtet, wie die beiden anderen Duelle verlaufen. Er wird versuchen, dir wenn möglich dein ganzes Geld abzunehmen um sicher zu gehen, dass er die Partie gewinnt.“
Nosak nahm den Rat dankbar entgegen.
„Mögen die Spiele beginnen!“, schloss Whedoss seine Rede und während die Zuseher ihm noch applaudierten und zuprosteten, wurden an den Tischen bereits die Karten gemischt.

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Das erste von sechs Spielen begann und Qalass nahm gleich als erster die 36 Karten, mischte sie mit sehr viel Geschick und teilte sie dann aus. Erst als vor jedem sechs Karten lagen, nahmen die Spieler sie hoch und sahen sich an, was sie bekommen hatten.
Am liebsten hätte Nosak vor Ärger das Gesicht verzogen. Ein Impuls, den er gerade noch so unterdrücken konnte.
Die sechs Karten in seiner Hand waren schlecht. Sehr schlecht sogar, daran gab es keinen Zweifel.
Die Gestaltung der Karten war sehr einfach gehalten. Sie hatten eine neutrale Rückseite, die keinen Hinweis darauf gab, welcher Spieler welche Karten hielt. Auf der anderen Seite wiesen die Karten lediglich ein farbiges Feld auf. In Nosaks Hand ruhten nun zwei blaue Karten, eine rote Karte, eine gelbe Karte und zwei weiße Karten. Weiße Karten waren überhaupt nichts wert. Und ein Zweier-Paar – die zwei blauen Karten – waren auch nichts Besonderes.
Zumindest weiß ich genau, welche Karten ich abgeben werde, dachte Nosak, nahm eine Münze von seinen Stapel und legte sie etwas näher an der Tischmitte ab. Die anderen folgten seinem Beispiel.
Nosak legte die weißen Karten verkehrt auf den Tisch und schob eine zu Hoss und eine zu Stoiss und bekam dafür von beiden jeweils eine Karte zurück.
Stoiss seufzte laut und als Nosak die Karte aufhob, die er von seinem rechten Sitznachbar bekommen hatte, wusste er auch warum: wieder eine weiße Karte! Dieser Tausch hatte nichts gebracht. Jener mit Hoss jedoch schon. Dieser hatte ihm eine rote Karte zugeschoben. Jetzt hatte Nosak neben der einen weißen Karte noch eine grüne und jeweils zwei rote und zwei blaue. Zwei Zweier-Paare waren nicht schlecht, aber wertlos, sollte Qalass drei Karten einer Farbe haben. Theoretisch hätte Nosak sogar drei Zweier-Paare in der Hand halten können, sie wären immer einem einzigen Dreier-Paar unterlegen.
Nosak riskierte einen Blick über den oberen Rand seiner Karten und sah zu Qalass hinüber. Er nahm dessen Wärmebild deutlich wahr und durch das Studium der Spieler der Vormittagspartien konnte Nosak es auch schon recht gut interpretieren: Qalass war unschlüssig. Wahrscheinlich hatte er ein ähnliches Blatt auf der Hand wie Nosak. Nicht ganz schlecht aber auch nicht wirklich gut.
Die nächste Tauschrunde. Jeder warf einen weiteren Isik vor und wieder wurden Karten getauscht. Diesmal wartete Nosak ab, ob Hoss und Stoiss überhaupt tauschen wollten. Mit ein bisschen Glück schoben sie die weißen Karten, die sie von Nosak in der Runde davor erhalten hatten, an ihre anderen Sitznachbarn weiter. Im schlimmsten Fall konnte es passieren, dass Nosak die beiden wertlosen Karten wieder zurückbekam.
Stoiss wollte tauschen und Nosak schob ihm die weiße Karte, die er zuvor von ihm erhalten hatte, wieder zurück. Als Nosak seine neue Karte aufhob, stellte er wenig überrascht fest, dass er ebenfalls seine weiße Karte von vorhin zurückbekommen hatte. Wieder ein nutzloser Tausch Weiß gegen Weiß, doch im Gegensatz zu Nosak, der die Ruhe behielt, stieß Stoiss einen derben Fluch aus.
Auch Hoss schob Nosak wieder eine Karte zu und bekam vom Suliban im Gegenzug die grüne Karte. Hoss wirkte zufrieden, während Nosak versuchte, seine Euphorie zu unterdrücken. Er hatte von Hoss eine Karte erhalten, die zur Hälfte rot und zur anderen Hälfte blau war.
Die Mischkarten – für jede mögliche Kombination der vier Spielkartenfarben gab es jeweils eine – waren die Gegenstücke zu den wertlosen weißen Karten. Eine Mischkarte entsprach zwei Karten. Jene Karte, die Nosak bekommen hatte, entsprach einer roten und einer blauen, weshalb aus seinen beiden Zweier-Paaren nun zwei Dreier-Paare geworden waren.
Abermals richtete Nosak seinen genetisch verbesserten Blick auf Qalass. Sofort verblasste Nosaks gute Stimmung, denn der Tammeroner schien ebenfalls neue Karten erhalten zu haben, die ihn sehr erfreuten. Mit einem einzigen Vierer-Paar würde er Nosaks zwei Dreier-Paare schlagen können.
Das war das einfache Prinzip des Spiels: Je mehr Karten man von einer Farbe hatte, desto besser war es. Und Nosak hatte von den Farben Blau und Rot nur die Hälfte der möglichen Karten.
Wer weiß, vielleicht hat Qalass die andere Hälfte, überlegte Nosak. Mit seinem derzeitigen Blatt gab er sich noch nicht zufrieden, weshalb er auch an der nächsten Tauschrunde teilnahm. Mit drei Münzen auf seinem Setzstapel klimperte es schon ein wenig und Nosak wurde erstmals so richtig bewusst, dass er hier um wirklich wertvolles Geld spielte und er sich das Verlieren nicht leisten konnte.
Vielleicht habe ich dieses Spiel wirklich unterschätzt.

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Je länger die Partie dauerte, desto besser kam Nosak zurecht. Die ersten drei Spiele hatte er zwar verloren, aber mit Spiel vier wechselte das Glück auf seine Seite. Vier grüne Karten, eine blaue Karte, eine grün-blaue Mischkarte und ein dem Wärmebild nach ziemlich verzweifelter Qalass sorgten für Nosaks Sieg. Er hatte es im vierten Spiel erstmals gewagt, als erster der sechs Spieler am Tisch Zufriedenheit zu signalisieren. Nur zehn Isiks hatte er eingesetzt und war in den nächsten dreißig Runden, in denen Qalass eigene Zufriedenheit nicht gerade zugenommen hatte, nur noch Zuseher gewesen.
Nach dem vierten Spiel der Partie hatte Nosak beinahe alle Isiks zurückgewonnen, die er in den drei vorangegangenen Spielen verloren hatte. Und auch das fünfte Spiel lief zu Nosaks Gunsten. Schnell hatte er wieder ein grünes Vierer-Paar auf der Hand und nach ein paar weiteren Tauschrunden hatte er schließlich noch eine rote Karte und eine grün-rote Mischkarte erhalten. Nahezu perfekt! Ein Fünfer-Paar und bei eventuellem Gleichstand ein Zweier-Paar als Unterstützung.
Wieder gab sich Nosak früh zufrieden und beobachtete den weiteren Spielverlauf passiv. Qalass war nicht unzufrieden mit seinen Karten, aber er war auch nicht hellauf begeistert von seinem Blatt. Wieder fand eine Tauschrunde nach der anderen statt und Qalass ging jedes Mal mit, ohne dass seine Karten wesentlich besser wurden.
Nosak sah zur Seite und verschaffte sich auch einen Überblick über die Duelle, die Hoss und Stoiss ausfochten. Bisher hatte Nosak noch nicht wirklich darauf geachtet, wie sich die Brüder schlugen. Jetzt erkannte er aber, dass er den beiden keinen Gefallen damit getan hatte, gleich zwei Spiele hintereinander Zufriedenheit zu signalisieren. Nahm Nosak an keiner Tauschrunde mehr teil, konnten sie nur noch eine Karte pro Runde austauschen. Das brachte sie nicht voran.
Es verging wieder fast eine Viertelstunde, ehe das Spiel damit endete, dass Hoss‘ Gegenüber zur Einsicht gelangte, dass er in diesem Spiel kein besseres Blatt mehr auf die Hand bekommen würde. Er zeigte sich als zweiter Spieler zufrieden, worauf in der nächsten Runde sofort Stoiss Zufriedenheit signalisierte, obwohl es in seinem Fall eher Unzufriedenheit war. Er saß zwischen zwei Spielern, die nicht mehr mit ihm Karten tauschen wollten und er hatte wohl kein gutes Blatt auf der Hand.
Und tatsächlich hatte Stoiss das Kunststück zusammengebracht, auf vier weißen Karten sitzen zu bleiben und nur ein grünes Zweier-Paar zu haben. Sein Gegenüber siegte billig mit einem blauen Dreier-Paar und zog seinen Einsatz sowie jenen von Stoiss zu sich. Hoss‘ Bruder blieben für das sechste und letzte Spiel nur noch zwölf Isiks. Jedenfalls hatte Stoiss‘ Gegenüber nun einen großen Münzhaufen angesammelt, wenngleich Stoiss auch mit dem niedrigsten Einsatz eingestiegen war. Bestenfalls waren in diesem Duell 150 bis 160 Isiks zu gewinnen.
Hoss gewann wiederum sein Duell hauchdünn und ging auch in seinem Duell knapp in Führung.
Die beiden anderen Duelle liefen aus Nosaks Sicht also nicht gerade nach Wunsch. Hoss und sein Gegner würden angesichts der bisherigen Ausgeglichenheit mit Sicherheit hasardieren, um sich gegenseitig so viel Geld wie möglich abzunehmen.
Stoiss hingegen konnte nur hoffen, in den zwölf Tauschrunden, an denen er bestenfalls teilnehmen konnte, ein sagenhaftes Blatt auf die Hand zu bekommen. Sonst würde er zweifellos sein ganzes Geld an sein Gegenüber verlieren.
Nosak legte nun seine Kombination aus Fünfer- und Zweier-Paar offen auf den Tisch. Qalass zeigte seine Karten erst gar nicht, fluchte und schmiss seine Karten achtlos in die Mitte des Tisches. Nosak schnappte sich seinen Einsatz und jenen von Qalass. Von insgesamt 194 Isiks, die in ihrem Duell auf dem Spiel standen, besaß Nosak nun genau 120. Gewann Nosak auch das sechste Spiel und nahm Qalass an 74 Tauschrunden teil, bestand die Chance, dass Nosak alles gewann. Dann gab es keinen Zweifel mehr daran, dass er derjenige am Tisch war, der den höchsten Gewinn eingefahren hatte.
Ein verwegener Gedanken, erkannte Nosak. Die wenigsten Spiele dauerten länger als 50 Tauschrunden.

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Das Zuschauerinteresse hatte sich zu jenem Tisch verlagert, an dem Nosak spielte, denn an den anderen Spieltischen waren die Chacca-Partien bereits beendet. Unter den Zusehern war auch Bürgermeister Whedoss, der sich direkt hinter Qalass positioniert hatte und diesem etwas ins Ohr flüsterte. Nosak wusste nicht, ob das den Regeln entsprach, allerdings machte ja Whedoss selbst die Regeln, weshalb sich Nosak eine Nachfrage ersparte.
Das sechste Spiel begann keineswegs nach Nosaks Vorstellungen und zwar mit zwei weißen Karten. Diesmal war er etwas vorsichtiger als im ersten Spiel und schob zuerst nur eine an Hoss weiter. Nosak atmete innerlich auf, als er sie in der nächsten Runde nicht postwendend zurückbekam.
Mit der zweiten weißen Karte wartete er bis zur zwölften Tauschrunde und schob sie Stoiss zu. Der jüngere der beiden Brüder tat Nosak etwas leid. Nun ohne Geld dasitzend konnte Stoiss die weiße Karte nicht mehr loswerden und musste sich zweifellos mit einem sehr schwachen Blatt zufriedengeben.
Nosak hakte dieses Duell in Gedanken ab. Er konnte nur darauf hoffen, dass Stoiss Gegenüber noch ein paar Tauschrunden vergehen ließ, um Karten zu erhalten, mit denen er zweifellos gegen Stoiss gewinnen würde. Aber Nosak machte sich keine großen Hoffnungen, dass es noch lange dauern würde.
Tatsächlich war nach Runde 20 auch Stoiss‘ Gegenüber fertig. Der nächste Spieler, der sich zufrieden gab, würde die Partie beenden.
Runde um Runde verstrich, ständig baumelte das Damoklesschwert eines verführten Endes über dem Tisch. Nosak ertappte sich dabei, wie er nach jeder Runde abschätzte, wie viel Geld Stoiss‘ Gegenüber gewinnen würde und wie viele Isiks Qalass noch setzen musste, damit Nosak den höchsten Gewinn machte.
Nach Runde 45 war sich Nosak schließlich ganz sicher, dass sein Münzstapel plus seinen und Qalass‘ Einsätzen mehr wert sein musste, als das, was Stoiss‘ Gegner gewinnen konnte.
Der perfekte Zeitpunkt, sich als dritter Spieler zufrieden zu geben und über den Finaleinzug zu jubeln.
Einzig und allein die Karten wollten nicht mitspielen. Diesmal war er es selbst, der pro Runde nur noch eine Karte austauschen konnte und seit zwanzig Runden schon wanderten zwischen ihm und Hoss ständig zwei grüne Karten hin und her. Damit konnte Nosak nichts anfangen. Er hatte nur ein rotes Dreier-Paar auf der Hand, dazu eine blau-gelbe und eine blau-rote Mischkarte, die beide nichts wert waren, da er weder eine reine blaue oder gelbe Karte besaß.
Betrieb Nosak dieses sinnlose Austauschen noch weiter, bestand die Gefahr, dass schließlich der Sieger aus Hoss‘ Duell die Partie gewann. Aber bereite Nosak der Partie nun ein Ende, war die Gefahr groß, dass Qalass bessere Karten hatten.
Seitdem Whedoss mit seinem Gegenspieler gesprochen hatte, war dieser kaum noch lesbar. Das Wärmebild ähnelte dem Zustand der Unentschlossenheit, war aber viel ausgeprägter. Als ob sowohl Freude als auch Wut vorhanden waren und miteinander rangen. Sehr widersprüchlich und äußerst ärgerlich, dass seine Genmanipulation, die sein größter Trumpf in diesem Spiel hätte sein sollen, ihn im entscheidenden Moment im Stich ließ.
Machen wir dem Ganzen ein Ende, es ist schon spät.
Er legte seine sechs Karten verkehrt auf den Tisch.
Obwohl der Sieger noch nicht fest stand, applaudierten die Zuseher bereits. Wahrscheinlich hatte es in der Geschichte von Benecia noch nie eine so lange Chacca-Partie gegeben. Hoss und sein Gegenspieler stöhnten entnervt auf. Die beiden wie auch Stoiss konnten die Partie nicht mehr gewinnen. Hoss gewann zwar das letzte Duell, schloss aber nur mit 151 Isiks ab. Sein Bruder war ebenfalls draußen. Er beendete mit einem einzigen Zweier-Paar und sein Gegenüber schloss mit 163 Isiks ab.
Nosak atmete erleichtert durch. Auf seinem Münzstapel befanden sich noch 75 Isiks, sein Einsatz im sechsten Spiel betrug 45 – genauso wie jener von Qalass. Gewann Nosak, würde er 165 Isiks haben und die Partie gewinnen. Qalass hingegen hatte keine Chance mehr auf den Sieg. Da er vor dem sechsten Spiel schon zurückgelegen war, konnte er bei einem Sieg bestenfalls auf 119 Isiks kommen.
Qalass war aus dem Spiel und doch würden seine Karten entscheiden, ob Nosak oder Stoiss‘ Gegner ins Finale einzog.
Als derjenige, der sich zufrieden gegeben hatte, oblag es Nosak, seine Karten zuerst offenzulegen. Als die Zuseher das rote Dreier-Paar sahen, wurde im ganzen Raum miteinander getuschelt. Nosak glaubte Skepsis herauszuhören. Seiner ganzen Erfahrung nach – bestehend aus einer einzigen Partie Chacca – fand er die Skepsis berechtigt.
Qalass kostete den Moment aus, während sein Wärmebild undurchschaubar blieb. Solche Empfindungen hatte Nosak noch nie bei jemandem wahrgenommen.
Ganz langsam, regelrecht gemächlich und gelangweilt wirkend, drehte Qalass eine Karte nach der anderen um.
Gelb. Blau. Blau. Blau.
Damit haben wir schon mal gleich viel.
Qalass wendete die fünfte Karte. Mischkarte. Blau-Grün.
Ein ersticktes Lachen entkam Qalass Mund, als er die sechste Karte nahm und in die Mitte des Tisches warf. Sie überschlug sich und kam mit der Farbseite obenauf zum liegen.
Weiß.
Stille. Nosak musste zweimal hinsehen, um es zu glauben. Sowohl er als auch Qalass hatten ein Dreier-Paar. Seine Mischkarte war mangels einer grünen Karte nichts wert und die weiße Karte war nicht nur nichts wert, sie vereitelte auch Qalass‘ Sieg.
„Weiße Karte wertet ab. Nos Kulan ist der Sieger!“, verkündete der Bürgermeister und war als erster zur Stelle, um Nosak gratulierend die Hand auf die Schulter zu legen. „Glückwunsch. Wir sehen uns dann im Finale wieder“, sagte er, während Qalass durch die klatschende Menge stürmte und die Bar verließ.

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