TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Secubitus

von Jimaine

Kapitel 1

Still. Alles war so verdammt still...und da sie mit Impulskraft flogen, um die Reparatur der Warptriebwerke besser durchführen zu können, fehlte sogar das leise, rhythmische Summen, das für gewöhnlich das Schiff zur Nachtzeit durchdrang.

Eine weitere Sache, die fehlte. Schmerzlich vermisst wurde.

Die Stille ließ ihn hören, wie sich draußen auf dem Gang Schritte näherten...wie sie stoppten. Die Tür öffnete sich...schloss sich... Er brauchte nicht erst den Kopf heben, er wusste auch so, wer soeben das dunkle Refugium des Waffendecks betreten hatte.

"Ist es vorbei?" Bitte, lass es endlich vorbei sein!

"Es ist vorbei."

"Schätze du bist gekommen, um mir zu sagen, dass ich gebührlich vermisst wurde." War das seine Stimme, die er da hörte, dieses schwache, heisere Kratzen? Man könnte denken, er hätte das Sprechen verlernt. In dem Fall hätte er zumindest eine Entschuldigung, die Gesellschaft seiner Kameraden zu meiden.

"Von einigen Leuten, ja", bestätigte der andere. Er kam näher, wahrte aber seine Distanz, denn er wollte seinem Freund seinen Freiraum lassen. Und die Einsamkeit, die der Mann so verzweifelt gesucht und auch gefunden hatte, hier im tiefsten Inneren des stillen Schiffes.

Des trauernden Schiffes.

"Dich eingeschlossen? Bist du hier, weil du mir einen Vortrag über Verhaltensrichtlinien halten willst?"

Ein Kopfschütteln, dann lockerten Finger den Knoten der schwarzen Krawatte, die zu der Galauniform gehörte. "Nein. Ich verstehe, dass du nicht dabei sein wolltest." Kein Wort darüber, wie er gewusst hatte, wo er ihn finden konnte, oder weshalb er nicht in Uniform war, obwohl seine Schicht erst in vier Stunden enden würde. Eigentlich. Dieser Tage wurden solche Nichtigkeiten gerne übersehen.

"Danke. Ich...ich hasse bloß die Musik, weißt du. Die Reden. Die Anspannung im Raum, die einen kaum atmen lässt... Ich bin mir sicher, du hast dein Bestes getan mit der Feier, und was immer du über ihn gesagt hast, war vermutlich das Richtige...trotzdem bin ich froh, es verpasst zu haben."

"Ein paar Leute hatten dennoch gehofft, du würdest teilnehmen und etwas sagen...immerhin wart ihr Freunde..."

Freunde? Die meiste Zeit war ich mir nicht sicher, ob er mich überhaupt mag...oder wie er meine Gesellschaft ertragen konnte. Oder warum er Zeit mit mir verbrachte, wenn wir dienstfrei hatten. Wir waren komplett unterschiedlich, ein Lehrbuchfall von Anziehung der Gegensätze. Verdammt, ich habe versucht, ihn fortzustoßen, wann immer er nahe genug kam, so dass ich nur den Arm hätte ausstrecken müssen, um... Der Tag wäre gekommen, an dem ich es tatsächlich getan hätte. Getan hätte... Jetzt würde er es niemals mehr tun können. Leise sagte er, "Ich frage mich, ob er das wusste..."

"Was?"

"Dass ich in ihm einen Freund sah... Gesagt hab' ich's ihm nie..."

Hände legten sich ihm auf die Schultern, griffen sie mit sanftem Druck. "Ich bin sicher, dass er noch in der Nähe ist und zuhört. Darauf wartet, dass du die Worte findest."

Das Problem sind nicht die Worte...sondern der Mut, sie auszusprechen. "Jesus, Jon...wie konnte das passieren?" Nein, er würde nicht zusammenbrechen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht nachdem er die letzten zwei Tage überstanden hatte, jede einzelne elend langsam dahinkriechende Minute! Glücklicherweise hatte niemand versucht, ihn in eine Unterhaltung zu verwickeln, die nicht arbeitsbezogen war, oder ihm - noch viel schlimmer - sein Beileid auszusprechen. Sie alle standen zu sehr unter Schock, trauerten jeder auf seine eigene Art.

Starke Hände fuhren fort, Muskeln durchzukneten, die entsetzlich verspannt waren nach diesen schlaflosen Nächten. Genaugenommen schmerzte sein ganzer Körper, jeder Muskel, von Kopf bis Fuß. Diese Anspannung war nicht durch bloße Berührung zu lösen. Aber diese Berührung, das Angebot eines Freundes, ihm zu helfen, war alles, was er bekommen würde. "Ich weiß nicht, Trip. Ich weiß nicht wie."

"Es ging so schnell..."

"In der Tat. Und du musst es rauslassen. Es ist in Ordnung, Trauer offen zu zeigen."

Trauer.

Trauer?

Das Wort beschrieb noch nicht einmal ansatzweise das Ausmaß seiner inneren Qualen. "Trauer, Johnny? Oder nur ein Haufen Schuldgefühle? Schuldgefühle, die sich so hoch auftürmen, dass sie drohen, dich zu zerquetschen, zu ersticken...und alles, woran du denken kannst, ist warum du ein paar Dinge nicht getan hast, als noch Zeit dafür war. Warum...? Das ist die einzige Frage, die ich mir stelle: Warum?"

Wie man ihnen hinterher erklärt hatte, hätte schon ein einzelner Giftpfeil ausgereicht. Für die S'lasi war Töten eine Kunst, sie waren stolz auf ihre Effizienz und tauchten ihre Projektile in ein Toxin, das stark genug war, binnen Sekunden den Tod herbeizuführen. Kein Leid, kein Gegenmittel. Ihre Art, ihren Opfern Gnade zu zeigen.

"Ich weiß nicht, Trip."

Was für eine Antwort hatte er denn bitte erwartet? Dass Jon eine Erklärung hatte oder ihn von dieser erdrückenden Schuld freisprechen würde? Es war so schnell gegangen. Viel zu schnell. Schneller als ein Gedanke, schneller als ein Mensch mit exzellenten Reflexen reagieren konnte, schneller als das Sicherheitsteam der 'Enterprise'. Als die Situation von brisant zu chaotisch wechselte, das Ergebnis von nichts weiter als unzureichenden Informationen seitens ihrer Gastgeber, hatten sie sich umgehend zurückgezogen und waren so schnell wie möglich zum Shuttle gerannt. Phaserpistolen hatten ihnen keinen Schutz geboten. Bei dem Versuch, an Bord zu kommen und den Planeten zu verlassen, war allein Tempo von Bedeutung gewesen, Tempo und die Fähigkeit, die spärliche Deckung optimal zu nutzen.

Nicht gut genug, eine Tatsache, die durch diesen einen Verlust unterstrichen wurde. Den Verlust dieses einen Mannes, der mit seiner Waffe in der Hand Haken schlug, sich duckte, auswich, und dabei ununterbrochen feuerte, um seinem Captain und seinen Kameraden Deckung zu geben und ihnen die Flucht zu ermöglichen. Er hatte seine Arbeit getan. Andere Mitglieder des Sicherheitsteams berichteten später, er habe nicht einmal bemerkt, wie die Pfeile ihn trafen; er habe nur auf die drei kleinen Metallnadeln in seinem Bein geblickt und dabei regelrecht überrascht ausgesehen. Der letzte Gesichtsausdruck, den sie je an ihm sehen sollten. Auch keine berühmten letzten Worte.

Das Glück war gegen sie gewesen...gegen *ihn*. Und doch hatte er seine Pflicht getan. Seine verfluchte Pflicht getan, in Erfüllung seiner Pflicht gestorben...und ich war nicht einmal da... Nicht, dass er irgendetwas hätte tun können, aber zumindest wäre er dagewesen, als es passierte, anstatt Däumchen drehend im Maschinenraum zu sitzen und es seitdem umso mehr zu bedauern. Sich Vorwürfe zu machen. Vielleicht wäre etwas anders gelaufen, wenn er bei der Mission dabei gewesen wäre.

Irgendetwas.

*Dies* wäre vielleicht nicht passiert...*er* wäre nicht gestorben...und er würde nicht hier sitzen, im Dunklen, zwischen Waffen und Torpedos, und verzehrt werden von Schuld, Wut und einer Mischung aus Gefühlen, die er noch nicht auseinanderpflücken wollte. Er wagte es nicht. Sie reichten zu tief, waren zu verwirrend. Um komplett ehrlich zu sein, jagten sie ihm Angst ein. Sie sagen, er war tot, bevor sie abhoben...er hätte mich sicher nicht einmal gehört, wenn ich es ihm gesagt hätte. *Wenn* ich dagewesen wäre... Ja, er hätte es ihm gesagt, hätte gestanden, ganz gleich wer ihm sonst noch zuhörte. Er hätte sein Zögern überwunden und es ihm *gesagt*.

Sicher, der Mann war ein Profi gewesen, aber weder Beweglichkeit noch Können hatten ihn an jenem Tag retten können. Er war zuletzt ins Shuttle gestiegen, einen Sekundenbruchteil von völliger Sicherheit entfernt, als er die dreifache Dosis des tödlichen Gifts abbekam. Bei Ankunft auf der 'Enterprise' hatte Dr. Phlox ihn nur für tot erklären können. DOA.

"Da ist einfach zu viel...und es zerreißt mich, dass ich niemals... Dass ich einfach...sozusagen...vergessen habe, ihm zu sagen... Und jetzt..." Und jetzt war er fort. Was übrigblieb, war dieser Ort, dieser Raum, der ohne ihn niemals wieder der gleiche sein würde.

"Du kannst es immer noch. Was würdest du zu ihm sagen? Trip...erzähl' es mir so, wie du es ihm erzählen würdest."

Ah, was würde er nur ohne einen Freund wie Jon tun? Er schüttelte den Kopf, weigerte sich, dieses letzte bisschen Kontrolle aufzugeben, dass er noch über sich hatte. Wenn er jetzt anfing zu reden, würde es einfach verpuffen. Er würde auseinanderfallen. Alles, was er war, all das würde sich auflösen...

"Dass er ein verflucht guter Offizier war. Der beste auf seinem Gebiet, und er zeigte dabei solch ein Talent, dass ich schon etwas mehr als nur neidisch war. Ich mag der süßholzraspelnde Südstaatler mit der Silberzunge sein, aber er...nun, all das schüchterne Getue mal beiseite, er war in einer Klasse für sich. Er schien immer so viel mehr zu wissen als er uns Glauben machte, von Literatur, Wissenschaft, Technik...manchmal fühlte ich mich wie ein Zehntklässler neben einem Doktoranden. Und diese coole, britische Reserviertheit, seine Selbstkontrolle, die Kontrolle über alles, was er tat...ich hab' ihn nicht wirklich so sehr dafür gehasst, wie ich immer behauptet habe. Nein, ich hab' ihn bewundert. Ich wünschte mir, auch nur einen kleinen Teil von seiner Kontrolle zu haben. Du weißt ja, wie mein loses Mundwerk und meine zwei linken Füße mich in Schwierigkeiten bringen. Die Wahrheit ist, ich habe Malcolm niemals gesagt, dass ich mich in seiner Gegenwart wohlfühlte. Dass er witzig war, intelligent...und dass er viel zu selten lächelte, obwohl er dieses Killerlächeln hatte..."

Die Mundwinkel seines Freundes zuckten, der Schatten eines Lächelns. "Ich weiß, was du meinst."

Ja, allem Anschein nach konnte Jon wirklich verstehen. Wie immer, er teilte seine Höhenflüge wie auch die Tiefpunkte und beschwerte sich nie. Das war Jon. Einmal mehr war er dankbar und fragte sich, wie zwei Personen einander in Freundschaft so nahekommen konnten, näher als Brüder, so nahe, dass es schien, sie könnten die Gedanken des anderen lesen. Wenn er dies überstehen wollte, würde er Jons Hilfe brauchen. "Ich frage mich...ob er wusste...war er sich eigentlich bewusst, wie umwerfend er aussah? Diese Augen, dieser Körper...nimm' die Manieren und das gewisse mysteriöse Etwas dazu... Malcolm hätte dieses Schiff um den kleinen Finger wickeln können, freie Auswahl unter der gesamten Crew. Sie standen immerhin schon mehr oder minder Schlange für ihn.... Stimmt doch, oder, Jon?"

"Ja. Sie haben ihn praktisch mit den Augen ausgezogen."

"Weiß nicht, ob es ihm je aufgefallen ist..."

Wie er sich neben ihm auf die leere Torpedorampe setzte, beeilte sich der andere Mann, ihm das Gegenteil zu versichern. "Oh, das ist es. Davon bin ich überzeugt. Er war...ein gutaussehender Mann."

"Er war perfekt." Er seufzte und ballte seine Hände noch fester zusammen, bis sie schmerzten. "All die Male, Jon...all die Male, wo ich ihn zusammengestaucht habe, ihm meinen höheren Rang unter die Nase gerieben habe, nur weil er Recht hatte und mich das einfach ankotzte... Gott, er muss gedacht haben, ich könnte ihn nicht ausstehen...und trotzdem blieb er immer ruhig und höflich und hat geduldig mein Gezicke ertragen, bis sich meine Laune besserte. Ganz ähnlich wie du...nur ohne die Keilereien, die wir ausgetragen haben."

Die Erinnerung beschwor ein echtes Lächeln herauf. "Und jedes Mal, wenn mein linker oberer Backenzahn einem harten Stück Brot begegnet, erinnere ich mich, weshalb wir damit aufgehört und uns für Freundschaft entschieden haben." Seine Stimme wurde noch eine Stufe weicher, senkte sich zu einem beruhigenden Flüstern. "Malcolm hat gewusst, dass du es nicht so meintest. Da bin ich mir absolut sicher. Immerhin habe ich fast zwölf Jahre Erfahrung im Umgang mit dir und jeder andere hier nur drei."

"Ich hoffe es..."

Für eine Weile schwiegen sie beide, dann, "Noch etwas, Trip?"

Sollte er es tun? Warum nicht? Wem sonst sollte er sich anvertrauen, wenn nicht seinem besten Freund? Jonathan Archer wusste alles, was es über ihn zu wissen gab, er würde vor ihm keine Geheimnisse haben. Jon würde ihm ebenso wenig etwas verheimlichen. Das war es, was wahre Freundschaft ausmachte. Abermals brannten seine Augen vor frischen Tränen und seine Stimme war brüchig, versagte sogar fast. Dennoch konnte er die Worte hervorbringen.

"Nicht mehr viel. Kleinigkeiten...ein paar Kleinigkeiten..." Sein Akzent verstärkte sich, als Gefühle an die Oberfläche quollen, ihm die Kehle zuschnürte. "Jon..." Und mit dieser einen Silbe verließ ihn die Kraft zum Sprechen, und im Echo war die Wahrheit klar zu hören.

*******

Seine Hände fielen von Trips Schultern als hätte er sich verbrannt. Mein Gott, wie hatte er so blind sein können? "Kleinigkeiten, hm?"

"Yeah..."

In einem Tonfall, der überraschend ruhig war, beendete er den Gedanken, "Zum Beispiel Malcolm zu sagen, dass du ihn liebtest? Dass du in ihn verliebt warst?" Jesus... Niemals zuvor hatte ihm das Schicksal einen derart fiesen Ball zugespielt. Welch Ironie... Wäre die Lage nicht so kompliziert und tragisch, hätte er über ihre verdrehte Eleganz gelacht. Er fühlte sich wie ein Verräter der schlimmsten Art.

Tucker ließ den Kopf hängen und sah ihn nicht an, als er bestätigte, "Zum Beispiel das."

Seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Würde man ein Streichholz anzünden, würde sein Inneres zu Asche verbrennen, seine Stimmbänder würden versengt und er wäre auf ewig stumm. Einen Moment lang wünschte er sich, dass genau das passieren möge. "Was noch? Was hättest du gesagt, Trip? Sag' es mir. Was hättest du gesagt? Oder getan?" Wollte er es wirklich hören? Wollte er? *Konnte* er? Der Schmerz, den er erfolgreich gedämpft geglaubt hatte - erst auf Dr. Phlox' Anraten mit einem Hypospray und dann mit drei selbstverabreichten Gläsern Bourbon vor der Gedenkfeier - flammte in voller Stärke auf und raubte ihm den Atem.

"Ich...ich hätte ihm gesagt, dass ich schon am ersten Tag ein Auge auf ihn geworfen hatte. Dass es mich hundertprozentig erwischt hat...wegen seinem Lächeln, seinen Augen, seiner Stimme...seinen Händen. Dass ich mir wünschte, von diesen Händen berührt zu werden...mir wünschte, ihn zu berühren, zu küssen...mit den Fingern durch dieses dunkle Haar zu fahren und", er holte zitternd Atem, bevor er fortfuhr, "herauszufinden, ob es wirklich so weich war, wie es aussah. Wenn ich doch nur mit euch auf dem Planeten gewesen wäre..."

Ah, der "Wenn ich doch"-Gedanke, ja, der war ihm auch schon mehrfach gekommen. Nur war er tatsächlich zugegen gewesen und hatte trotzdem das Unvermeidliche nicht verhindern können. Hatte Fortunas Arm nicht verdrehen und verlangen können, dass die Karten neu gemischt wurden, weil ihm sein Blatt nicht gefiel. Völlig hilflos hatte er dagesessen und zusehen müssen. "Es hätte keinen Unterschied gemacht, Trip..." Die Schuld lag bei ihm. Bei ihm alleine. Und jetzt bezahlte er den Preis dafür. Er hatte die S'lasi besuchen wollen, hatte den wenigen Informationen in der vulkanischen Datenbank vertraut und nur sehr oberflächliche Scans vornehmen lassen, die kaum brauchbare Ergebnisse lieferten. Die Kontaktaufnahme war gut verlaufen, die Bewohner des Dschungelplaneten hatten einen friedlichen Eindruck gemacht und die Besucher willkommen geheißen. Eine Bedrohung hatte niemand gesehen. Niemand hatte sie über die gewalttätige Killersekte informiert, die seit Jahren versuchte, die Regierung des Planeten zu unterwandern.

Der Angriff war ein jähes Erwachen gewesen.

Trip hustete zweimal und räusperte sich. Er sah aus als würde er jeden Moment seinen Kampf gegen die Tränen verlieren. "Es ist nur...dann hätte ich ihm alles sagen können. Wenn ich dagewesen wäre. Die letzte Gelegenheit. Ich hätte ihn wissen lassen können, dass ich von ihm träumte. Die Träume waren so real...fast als wäre er tatsächlich da, weißt du. Als könnte ich mich umdrehen und ihn in meinen Armen halten. Und ich war nicht mehr alleine. Meine Koje ist nicht gerade geräumig, aber es machte mir nichts aus, sie mit einem Traum zu teilen. Ich wollte so sehr diesen Mantel aus kühler Nonchalance durchdringen und den wunderbaren Mann ausgraben, der nur manchmal flüchtig zu sehen war. Wollte ihn ausgraben und ganz für mich alleine haben. Ihn niemals wieder loslassen. Ich hätte ihm so deutlich gezeigt, wie sehr ich ihn liebe, dass eine solche Sache niemals hätte geschehen können...meine Liebe hätte ihn unverwundbar gemacht, Jon..."

Eine beachtliche Rede für Trip Tucker, der noch nie zuvor seine Seele auf eine vergleichbare Art offenbart hatte, nicht einmal ihm gegenüber. Er kannte Trip als einen Mann, der selten seine Gefühle in Worte fasste; angeblich war ihm das zu kompliziert. Abermals wurde er sich der Ironie bewusst. Er fragte sich, ob Trip sie wertschätzen könnte...,wenn er ihm alles sagen würde. Höchst unwahrscheinlich. Während er sich auf seine nächsten Worte vorbereitete, hoffte er, dass seine Stimme ihn nicht verraten würde. "Das möchten wir nur zu gerne von der Liebe glauben, nicht wahr? Wir glauben an ihre Macht...und am Anfang lieben wir nicht genug...nur um am Ende zu sehr zu lieben. Ich vermisse ihn ebenfalls. Wir alle vermissen ihn. Und das Gefühl wird auch noch lange anhalten. Aber es wird einfacher werden." Jemand anderem die Lüge zu erzählen ließ sie in seinen eigenen Ohren kein bisschen überzeugender klingen, egal wie oft er sie wiederholte.

"Solange ich zumindest träumen konnte, war alles in Ordnung. War natürlich nicht die Realität, aber ich hatte immer meinen Traum. Und jetzt habe ich diesen ebenfalls verloren...und ich weiß einfach nicht, wie ich wieder dazu übergehen soll, alleine zu schlafen..." Die Tränen flossen nun ungehindert über sein Gesicht. "Verdammt...ich will nicht weinen, Jon..."

Hatte er auch nicht gewollt...aber irgendwann hatten sich die Tränen nicht mehr zurückhalten lassen, und er hatte geweint, so sehr, dass ihn sein Schluchzen förmlich zerriss. Hatte geweint, bis er zu erschöpft für weitere Tränen gewesen war, und der Schmerz der Tränen selbst war kein Vergleich zu dem Schmerz, den sie ausdrücken sollten. Unmöglich zu sagen wie er sich durch die letzten 48 Stunden geschleppt hatte. Es schien alles irgendwie...nicht real.

Noch immer.

So als würde er durch einen langen Tunnel schweben, in dem ihn weder Geräusche noch Gefühle erreichen konnten. Und obwohl er geglaubt hatte, keine Tränen mehr vergießen zu können, hätten sie ihn eben während der Zeremonie beinahe überrascht. Beinahe wäre er an den Worten erstickt, die die Pflicht von ihm verlangte,...

Und die Worte, die er sagen wollte, mehr als alle anderen, blieben ungesagt, blieben ein Echo in seinem Herzen und drangen nie nach außen. Es war pure Willenskraft, die ihn zusammenhielt; eine beiläufige Bemerkung, ein Blick oder eine Berührung könnte ihn in eine Million Scherben zerspringen lassen. Jeder Faser seines Ich schmerzte vor Leere, und er sehnte sich nach Trost, nach jemandem, der den lähmenden Schmerz lindern konnte. Nach einem Freund.

Allerdings hatte er Trip nie die Wahrheit gesagt, hatte sich entschieden, dieses eine Geheimnis zu wahren, nicht einmal seinen besten Freund einzuweihen (warum? Herrgott, er konnte sich nicht mal an den Grund erinnern!) - also wie könnte er es ihm jetzt sagen?

*Und ich weiß einfach nicht, wie ich wieder dazu übergehen soll, alleine zu schlafen*.

Trip trauerte um das, was hätte sein können.

Nun, er tat es ihm gleich...und trauerte um das, was er gehabt hatte.


Ende
Rezensionen