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STD 05 - Ein neuer Anfang

von Adriana

Die Jagd

Jilano Madred musterte den Gefangenen, den zwei Sicherheitsleute gerade in den Verhörraum schleiften, mit gleichgültigem Interesse. Anders konnte man diesen kühlen, grünen Blick, der über den Körper des Mannes wanderte, als die Wachen seine Kleidung herunterrissen, nicht be-schreiben. Es war ein Mensch, Anfang Dreißig, gut durchtrainiert, mit schulterlangen dunkelblon-den Haaren, Dreitagebart und einem verzweifelt rebellischen Blick.
„Funktioniert sein Implantat?“ fragte sie emotionslos.
„Selbstverständlich, Ma’am.“
Sie nahm eine Art Fernbedienung von ihrem Schreibtisch, drückte eine beliebige Taste, und der Gefangene krümmte sich mit einem gequälten Aufschrei zusammen. Die Wachen zogen ihn gewaltsam auf die Beine. „Sollen wir ihn fesseln oder wollen Sie das übernehmen?“ fragte ein übereifriger junger Offiziersanwärter.
„Sie können doch von mir nicht erwarten, dass ich einen Menschen anfasse!“ entgegnete Jila-no angewidert. „Wer weiß, was der für Parasiten hat!“
Die Wachen fesselten den jungen Mann, der sich heftig wehrte, an einen Stuhl. Dann verließen sie den Raum. Jilano erhob sich und drehte die Fernbedienung zwischen ihren Fingern.
„Also, du weißt doch sicher, wo deine restlichen Maquis-Freunde sich verstecken ... Wenn du es mir verrätst, kannst du uns beiden eine Menge Stress und Zeitverschwendung ersparen.“
„Ich weiß rein gar nichts“, brummte der Gefangene.
„Pech für dich“, erwiderte sie kalt und aktivierte das schmerzstimulierende Implantat mit ihrer Fernbedienung. Seine Schreie hallten unnatürlich laut von den Wänden wieder.
„Leider klingt deine hübsche Lüge nicht sehr glaubwürdig aus dem Mund eines Mannes, der fast zehn Kilo Sprengstoff in seinem Keller eingelagert hat.“
„Selbst wenn ich etwas wüsste, würde ich es dir nicht sagen“, gab er trotzig zurück.
Madred lächelte dünn. „Das wollen wir doch erst mal sehen! Ich kann dieses nützliche kleine Gerät hier noch wesentlich höher einstellen – und das würde dir sicher nicht gefallen. Also, ich will Namen ... fangen wir doch mit deinem an.“
Er schwieg verbissen. Sein zitternder nackter Körper glänzte vor Schweiß.
Während Jilano genussvoll verschiedene Funktionen des Implantats ausprobierte sah sie mit einem Lächeln der Befriedigung zu, wie der Mann von schmerzhaften Krämpfen geschüttelt wurde. Bis jetzt weigerte er sich, Informationen zu liefern – aber früher oder später würde er ihr alles erzählen, was sie hören wollte. Jilano Madreds Selbstbewusstsein in diesem Punkt war un-gebrochen. Dieses Verhör versprach eine interessantere Herausforderung zu werden, als sie zu-nächst angenommen hatte.
Als die Comm-Anlage sich meldete, war Jilano für einen Moment schwer in Versuchung, das lästige Gerät mit der Faust zu zertrümmern. Äußerst widerwillig nahm sie das Gespräch entge-gen. Das Gesicht des Zweiten Offiziers, Glinn Harek, blickte ihr entgegen.
„Was gibt’s, Harek, ich führe gerade ein äußerst delikates Verhör“, fragte sie unwirsch. „Und Sie haben doch seit zehn Minuten Dienstschluss, oder?“
Harek holte tief Luft. „Als ich mit Glinn Karthal auf KALRAK NOR beamen wollte, hieß es, man hätte eine Transportersperre um die ganze Station errichtet. Es gab eine Bombenexplosion auf dem Promenadendeck, wahrscheinlich ein Terroranschlag des Maquis.“
KALRAK NOR lag auf cardassianischem Territorium jenseits der Entmilitarisierten Zone und wäre für den Maquis wahrscheinlich uninteressant gewesen – hätte nicht die Miliz aus der Zone ihre Gefangenen vorzugsweise auf den Planeten Minak Fünf geschickt, in dessen Orbit KALRAK NOR kreiste. So kam es dort immer wieder zu Befreiungsaktionen und Vergeltungsschlägen. Das Mili-tär, das in der DMZ nicht operieren durfte, ergriff Präventivmaßnahmen.
Jilano fluchte leise. „Dann ist es der Aasbande tatsächlich gelungen, die Sicherheit von KALRAK NOR hinters Licht zu führen! Wo soll das nur enden …“
Der Gefangene wand sich auf seinem Stuhl und stieß heisere Schreie aus.
„Es kommt noch schlimmer, Ma’am. Ich habe eben eine Nachricht vom Sicherheitschef der Station erhalten, er hat eine erste Liste der Opfer und …“
„Schrei nicht so laut – hier versteht man ja kein Wort!“ herrschte Jilano den Gefangenen an, bevor sie notgedrungen ihren Finger von der Fernbedienung nahm.
Dann wandte sie sich wieder an Harek. „Kommen Sie zum Punkt, Glinn.“
„Gul Lemak ist tot, Ma’am.”

***

Am anderen Ende des Comm-Kanals stand Glinn Karthal neben Harek und verfolgte die Unterhal-tung schweigend. Lemak tot. Diese Nachricht kam ihr so unwirklich vor … als sei sie eine Zu-schauerin bei einem Holofilm, der ihr eigenes Leben zeigte. Es berührte sie nicht wirklich. Aber dass Inaran und ihre Freunde in Gefahr schwebten – das war real!
Jilanos Augen weiteten sich, ihr Mund stand halb offen. „Wie?“ brachte sie nur hervor.
Karthal wusste nicht, wie nahe Glinn Madred und Gul Lemak sich wirklich gestanden hatten – aber das war mit Abstand die emotionalste Reaktion, die sie je bei der stellvertretenden Kom-mandantin beobachtet hatte.
„Sie fanden seine Leiche auf einer öffentlichen Toilette, total verkohlt. Es muss ihn erwischt ha-ben, während er gerade …“
„Das muss ich nicht wissen“, schnitt ihm Jilano das Wort ab.
Danach wurde der Comm-Bildschirm dunkel.
Eine kleine Gruppe von Gefangenen wurde an ihnen vorbei geführt. Hauptsächlich Menschen, Männer und Frauen. Einer beschimpfte pausenlos die Wachen, die allerdings keine Notiz von ihm nahmen. Die anderen blickten schweigend zu Boden oder starrten mit ausdruckslosen Ge-sichtern in die Ferne, teils aus Trotz, teils aus Angst. Karthal hatte eine Milchglasscheibe in ihrem Geist errichtet, eine Barriere zu ihrem eigenen Schutz. Diese Leute mit ihrem ungewissen Schicksal hatten keine Chance, zu ihr durchzudringen. Sie blieben draußen. Eine amorphe Mas-se. Bis sie plötzlich ein Gesicht entdeckte, das nicht dazu gehörte: ein cardassianisches Gesicht, ausgezehrt, von vielen harten Jahren im Gefängnis oder Arbeitslager gezeichnet. Eine der Wa-chen bohrte dem Mann einen Gewehrkolben in den Rücken und stieß ihn brutal vorwärts.
Zu Karthals Entsetzen war er nicht die einzige Cardassianer, der in Gefängniskleidung übers Deck geführt wurde, zusammen mit den gefangenen Maquis. Es folgten Dutzende – mehr Cardassianer als Föderationskolonisten. Wie konnte das sein?
Harek hatte sofort die Erklärung parat: „Nach dem Anschlag heute sind sie endlich zur Vernunft gekommen und haben beschlossen, das Gefängnis von Minak zu verlagern. Wäre ja noch schö-ner, wenn sich dieser Abschaum in Richtung Föderation davonmacht, weil der verdammte Maquis die Sicherheitsanlagen hochjagt!“
„Aber … das sind Cardassianer! Unsere eigenen Leute! Und man sperrt sie hier mit dreckigen Maquis zusammen?“ Beloras Empörung kannte keine Grenzen mehr.
Harek zuckte die Schultern. „Verräter und Deserteure. Meinetwegen kann man die auch mit klaestronischen Pestratten zusammen sperren.“
Karthal hatte keine Gelegenheit sich die cardassianischen Gefangenen genauer anzusehen, denn in diesem Moment später traf Glinn Madred auf der Brücke ein.
„Glinn Harek, in meinen Raum bitte“, forderte sie knapp. „Karthal, Sie kümmern sich derweil um meinen Gefangenen.“
Belora wusste zu gut, was Jilano unter „kümmern“ verstand. Ihr war überhaupt nicht wohl bei diesem Auftrag. „Ma’am, bei allem Respekt – aber ich bin nicht ausgebildet für Verhöre! Sollte nicht besser jemand vom Sicherheitsdienst …“
„Dank Lemaks Tod müssen einige Posten neu verteilt werden. Sie haben gute Chancen, Zwei-ter Offizier zu werden, Karthal. Aber dafür müssen Sie sich … weiterqualifizieren.“
„Verstanden“, erwiderte Karthal tonlos und nahm Jilanos Folter-Fernbedienung entgegen, die sich in ihrer Hand wie ein kalter Stein anfühlte.
„Wenn der Gefangene nicht kooperiert, stellen Sie das Implantat eine Stufe höher ein oder hef-ten Sie ihm die Elektroden an ein Körperteil Ihrer Wahl ... was auch immer ... nur bringen Sie ihn zum Reden. Ach, und holen Sie den Doktor dazu, damit uns der Kerl nicht aus Versehen krepiert, seine Rasse ist bekanntermaßen etwas schwächlich.“
Karthal schluckte. „Ich versuche mein Bestes.“
„Das erwarte ich auch!“
„Sie schaffen das schon. Das Ding zu bedienen, ist nicht schwer“, erklärte Harek brüderlich. Er nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand, um kurz deren Funktionen zu erläutern: „Sehen Sie den ovalen silbernen Schalter oben? Damit stellen Sie das Level ein. Im Moment steht es auf sechs, eine mittlere Stufe. Mit dem dunkelgrünen Knopf in der Mitte aktivieren Sie das Gerät. Die Tastenfelder um den Knopf herum stehen für verschiedene Körperregionen: Kopf, Hände, Füße, Brust, Magen, Weichteile. Viel Erfolg!“
Mit diesen Worten folgte er Jilano, die sich bereits ungeduldig umdrehte.
Karthal begab sich widerwillig in den Verhörraum und warf einen Blick in das Vernehmungspro-tokoll, welches Madred auf ihr Datenpad überspielt hatte.
Mitten in Raum saß ein junger Mann unbekleidet an einen Stuhl gefesselt, den Blick teilnahms-los geradeaus gerichtet. Erst als er Karthal bemerkte, flackerte trotzige Wut in seinen Augen auf. „Geht’s endlich weiter? Ich fing gerade an, mich zu langweilen.“
„Glinn Madred hat mich bereits vorgewarnt, dass Sie ein Großmaul sind. Fragt sich, wie lange noch“, stieß Karthal hervor. Sie ärgerte sich, weil die Frechheit dieses Kerls sie wieder Willen be-eindruckte. Sie bezweifelte nämlich sehr, dass sie in seiner Situation noch die Nerven für flapsige Sprüche hätte.
„Wie ich sehe, ist meine ... Vorgängerin noch nicht allzu weit gekommen.“ Karthal warf einen flüchtigen Blick auf ihr Datenpadd. „Also noch mal ein paar simple Fragen zur Einstimmung: Name? Wohnort? Wie viele Personen umfasst Ihre Terrorzelle?“
„Habt ihr Cardi-Frauen eure Männer an den Herd verbannt und übernehmt jetzt das Foltern?“
„Bilden Sie sich ja nicht ein, dass ich Sie verschone, weil Sie so ein schlagfertiger Zeitgenosse sind! Bei den Indianern am Marterpfahl gäbe das vielleicht Pluspunkte – aber ich bin nur an hand-festen Ergebnissen interessiert! Zum Beispiel an Ihrem Namen, den Namen Ihrer Mitverschwörer und dem Ort, wo Sie Ihren nächsten Anschlag planen.“
„Sieh einer an – sie kennt sich mit indigenen Völkern aus. Jetzt bin ich überrascht.“
Der Spott in seiner Stimme hatte tatsächlich an Schärfe verloren. Trotzdem wurde Belora das Gefühl nicht los, dass ihr Opfer sie nicht ernst nahm. Verdammter Mistkerl, sie würde ihm noch gehörig Respekt beibringen! Schließlich war sie diejenige mit der Fernbedienung in der Hand.
Ohne Vorwarnung betätigte sie den grünen Knopf in der Mitte und vernahm mit Genugtuung, wie der Mensch vor Schmerzen aufschrie.
„Langweilen Sie sich immer noch?“ fügte sie boshaft hinzu.
Er blickte sie nur verächtlich an.
„Kein dummer Spruch diesmal? Wie schade, ich habe gerade angefangen, unsere kleinen Ge-plänkel zu genießen.“
Bevor sie den grünen Knopf erneut drückte, betätigte sie das Touchpad für die Weichteil-Region. Der Gefangene bäumte sich auf und schrie aus Leibeskräften.
„Fein, Sie begreifen langsam, dass ich es ernst meine! Nun, da wir das geklärt hätten, sollten wir ein ernstes Gespräch über Ihre Zukunftspläne führen.“
Der Mann schüttelte heftig den Kopf. „Fahr zur Hölle, du Schlampe!“
„Wir sind längst in der Hölle, falls du das nicht bemerkt haben solltest!“ Karthal ging ebenfalls von der Höflichkeitsanrede ab. „Und du bist ohne Zweifel das, was man unter einem Sünder ver-steht. Zumindest werden Brandstiftung und Mord auch in deiner Gesellschaft nicht besonders gern gesehen – und wie du bereits festgestellt hast, kenne ich mich in der Kultur der Menschen ein wenig aus. Glaub mir …“ Nun lächelte sie diabolisch. „Dantes göttliche Komödie bringt mich auf hervorragende Ideen!“
Kaum hatte sie den Satz vollendet, erhöhte sie das Level auf sieben. Das Gefühl von Macht spaltet ihre Seele in zwei Teile: einen Teil, der dieses Gefühl genoss und einen anderen, der an-gewidert aus der Ferne zusah.
Karthal wandte sich dem Bildschirm ihrer Comm-Anlage zu, während der Gefangener wim-mernd an seinen Fesseln riss. Sie zappte sich durch die verschiedenen Datenkanäle, verharrte eine Weile bei einer Theateraufführung, verzog angesichts der sagenhaft schlechten Dialoge das Gesicht und schaltete weiter zu einer Nachrichtensendung.
„Sieh zu, dass du die Fernbedienungen nicht verwechselst“, keuchte der junge Mann, als der Schmerz endlich aufhörte. „Das hier macht dir wohl selber keinen Spaß – aber deine Männer sol-len dich selbstverständlich nicht für zimperlich halten.“
„Keine Sorge“, erwiderte Karthal schnippisch und setzte das Implantat erneut unter Strom, ihren Blick starr auf den Monitor gerichtet. Die Heftigkeit, mit der sie den Knopf drückte, ließ erkennen, dass ihr Opfer einen wunden Punkt getroffen hatte.
„Nun rede schon! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit für dein heroisches Getue“, knurrte sie.
Der Bildschirm zeigte die rauchenden Trümmer und grotesk verbogenen Gerippe eines Raum-hafens, wo bis vor Kurzem noch das Leben pulsiert hatte. Die Moderatorin hielt dem sichtlich mitgenommenen Stationskommandanten ein Aufzeichnungsgerät unter die Nase. KALRAK NOR ... im Orbit von Minak Fünf … bisher grausamster Terroranschlag des Maquis ... fünfunddreißig Todesopfer ... über hundert Verletzte ... hauptsächlich cardassianische Zivilisten.
Karthal verfolgte die Dokumentation mit angehaltenem Atem. Ihre Sorge um Inaran kehrte zu-rück. Um ihre Kameraden. Aber vor allem um Inaran.
Als die Moderatorin zu einer Schweigeminute aufforderte und die Kamera über die ernsten Ge-sichter cardassianischer Soldaten glitt, fiel Belora auf, dass ihr Gefangener nicht länger schrie. Seine Muskeln waren erschlafft, sein Kopf war nach vorn gekippt, so dass das Kinn die Brust be-rührte.
Karthal verspürte eine unerklärliche Panik. Sie atmete ein paar Mal heftig ein und aus, bevor sie den Doktor über die Comm-Anlage rief.
Als der Arzt eintraf und den leblosen Menschen untersuchte, ließ Karthal ihn keine Sekunde aus den Augen. Der Doktor erwiderte ihren scharfen Blick mit einem Stirnrunzeln.
„Ich weiß, das ist Ihr erstes Verhör und Sie stehen in dem Ruf, eine ziemlich ungeduldige Per-son zu sein – aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: steigern Sie das Niveau beim nächsten Mal nicht so plötzlich. Sie wollen den Delinquenten doch nicht umbringen!“
„Ich hoffe, dass es kein nächstes Mal gibt“, hätte Karthal am liebsten geantwortet. Statt essen sagte sie: „Natürlich nicht, ich möchte schließlich keinen Ärger mit Glinn Madred.“
Zumindest der letzte Teil ihrer Aussage entsprach der Wahrheit. Insgeheim hoffte sie, dieses widerliche Verhör möge schnell zu Ende gehen. Egal, ob durch den Tod des Gefangenen, sein Geständnis, oder indem ein anderer Offizier Karthal freiwillig ablöste.
Ihr Kommunikator piepte. Drei Mal. Karthal erkannte an der Frequenz, dass es Inanran war. In-aran, der irgendwie erfahren hatte, dass sie noch lebte. Inaran, der sie sehen wollte, in die Arme schließen wollte …
Sie wünschte sich nichts sehnlicher als das. Doch während sie beobachtete, wie der bewusst-lose Gefangene auf eine Trage gehoben und aus dem Raum geschafft wurde, verging ihr plötz-lich die Lust, mit Inaran zu reden … ihn zu berühren … mit jenen Fingern die eben noch die Tas-ten des Schmerzstimulators bedient hatten, durch seine Haare zu streichen.
Sie seufzte leise und schaltete den Kommunikator aus.

***

In der Nacht waren Karthals Träume beängstigend und wirr. Sie rannte nackt durch eine unwirkli-che, tote Landschaft. Der Himmel leuchtete violett in der Abenddämmerung. Drei Monde verbrei-ten ein fahles, milchiges Licht. Es war der Himmel ihrer Heimatkolonie auf Korva zwei. Aus dem schwarz asphaltierten Boden ragten allerlei bizarre Metallkonstruktionen, bestückt mit Tausenden blinkenden Lichtern, umrankt von hunderten endlosen Strom-, Gas-, und Plasmaleitungen ... ein vollkommen unübersichtliches Gewirr. Es sah aus, als hätte jemand den Maschinenraum eines großen Kriegsschiffes ausgeschlachtet, um damit seine reichlich abgehobenen Vorstellungen von Kunst umzusetzen. Flüchtig erinnerte sie sich, dass sie so etwas Ähnliches schon einmal ge-sehen hatte: Der Künstler war ein Kressari mit fanatisch glänzenden dunklen Augen, reich und verrückt genug, einen ganzen Mond für seine Ausstellung zu mieten.
Das leise Summen der Emitter ergab eine monotone, gleichförmige Sinfonie, die auf Karthal wahrscheinlich beruhigend gewirkt hätte, wäre ihre Sinneswahrnehmung nicht völlig von Angst überflutet gewesen. Ihre Lungen brannten höllisch, ihre Beine schmerzten und irgendetwas perfo-rierte ihre Leistengegend mit Hunderttausenden von spitzen Nadeln. Doch wenn sie stehenblieb, würde man sie fangen und die schmerzhaftesten, widerlichsten Dinge mit ihr anstellen.
Wer würde sie fangen?
Es spielte keine Rolle. Sie musste rennen, immer weiter laufen … Aber sie wurde mit jedem Schritt langsamer. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut und die Wege durch den seltsamen technischen Dschungel wurden zusehends enger und verschlungener. Karthal achtete sorgsam darauf, dass sie keine der Gerätschaften berührte. Vielleicht würde sie einen tödlichen Strom-schlag erhalten, wenn ihre nackte Haut irgendwelches Metall streifte. Vielleicht würde der ganze Planet explodieren, wenn sie gegen eine dieser Konsolen stieß. Notgedrungen verlangsamte sie ihr Tempo, bewegte sich in einem diffizilen Slalom zwischen den Konstruktionen hindurch ... es verlangte ihre gesamte Konzentration und Wendigkeit, obgleich ihre körperlichen Ressourcen im Grunde längst verbraucht waren. Als ihre langen Haare sich in einer rostigen Drahtantenne ver-fingen, kam sie für einen Augenblick zum Stehen. Unvermittelt schossen meterlange schwarze Tentakel aus dem Asphalt, schlangen sich um ihre Beine, ihre Taille, ihren gesamten Körper.
Etwas stimmte nicht. Diese Tentakel waren hier völlig fehl am Platz ... sie fühlten sich warm an ... und schleimig ... sie lebten ... und schnürten ihr fast die Luft ab. Sie wollte sich diese Dinger vom Körper reißen, doch sie fand ihre Hände nicht. Sie waren keineswegs unter Tentakeln be-graben, sondern schlicht und einfach nicht vorhanden! So als hätte sie nie Arme gehabt ... Kart-hal stieß einen schrillen, entsetzten Schrei aus. Aber das war noch lange nicht das Schlimmste ... All die monströsen Blechtürme um sie herum begannen auf einmal zu schmelzen. Ein giganti-scher Lavastrom aus geschmolzenem, glühend heißem Metall kam ihr entgegen gewalzt. Und sie konnte sich beim besten Willen nicht von der Stelle rühren!
„Jetzt ist es wohl schwierig, die Knöpfchen deiner Fernbedingung zu drücken – nicht wahr, Be-lora?“ fragte eine wohlbekannte Stimme.
Der menschliche Maquis, den Karthal gefoltert hatte, stand plötzlich vor ihr und grinste arro-gant. Im Gegensatz zu ihr trug er noch seine Kleidung und dass der Lavastrom hinter ihm näher rückte, schien ihn nicht zu stören. Karthal wand sie verzweifelt, aber die Tentakel gaben kein bisschen nach. Aus der Ferne erklang Jilano Madreds raues, triumphierendes Lachen …
Dann ertönte zum Glück das Wecksignal. Karthal rechnete damit, dass ihr Opfer sie nun re-gelmäßig in ihren Alpträumen aufsuchen würde. Das hatte sie wohl verdient und damit würde sie leben müssen.
Womit sie nicht leben konnte, war Inarans Reaktion, als sie ihm in der Kampffliegerbucht über den Weg lief. Er warf ihr aus der Ferne einen scheelen Blick zu und stieg unverzüglich in seinen Jagdflieger … verschwand in seinem Inneren wie im Bauch eines gefräßigen Raubfischs.
Sie lief ihm nach und ihre Lippen formten ein lautloses „Es tut mir Leid!“ … aber das Schott hat-te sich bereits geschlossen.
Sie blinzelte die Tränen weg, setzte sich hinter das Steuer ihres eigenen Jägers und gab den Befehl zum Start. „Die Dreckskerle werden sich wünschen, sie wären nie geboren worden!“ fügte sie grimmig hinzu.
Aus den Comm-Systemen erklang ein vielstimmiges, entschlossenes „Jawohl!“
Dieser verdammte Maquis zerstörte nach und nach alles, was ihr wichtig war. Wie sollte sie In-aran erklären, weshalb sie auf seine Anrufe nicht reagiert hatte? Dass sie, statt einen romanti-schen Abend mit ihm zu verbringen, gezwungen worden war, einen Gefangenen zu foltern? Sie hätte sich damit herausreden können, dass Glinn Madred ihr den Befehl erteilt hatte, aber das wollte sie nicht. Inaran hatte sich nie hinter seinen Befehlen versteckt. Rekelen erst recht nicht. Und Yanar offensichtlich auch nicht.
Zu Beloras Gefühlsbrei mischte sich nun eine irrationale Eifersucht auf Inarans tote Frau. Sie selbst würde nie den Mut und die Konsequenz einer Rekelen Matar aufbringen, die für ihre Über-zeugungen in den Tod gegangen war.
Das Schlimmste an Karthals völlig ungewohnter Attacke von Selbstzweifeln war die Tatsache, dass sie sie umsonst ertragen musste. Kein einziges relevantes Wort hatte sie aus dem Schnösel herausbekommen! Keine noch so unbedeutende Information!
Glinn Karthal konzentrierte sich auf ihren Wunsch nach Rache, während ihr Abfangjäger mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Badlands raste. Der militärische Geheimdienst war den Kal-rak-Nor-Attentätern auf der Spur und hatte einen von ihnen bereits identifiziert. Belora war der Pfeil, abgeschossen von Jilanos unerbittlicher Hand, in den Weltraum geschleudert von der Macht einer straffen, harten Sehne. Sie war stolz auf die Schärfe und Präzision, mit der sie ins Ziel vorstoßen konnte. Es hatte sie nie gestört, dass ein Pfeil nur ein Werkzeug war. Ihre Antipa-thie gegen Gul Lemak spielte keine Rolle. Schließlich jagte sie einen Mörder, der nicht nur Lemak, sondern dreiunddreißig weitere Cardassianer auf dem Gewissen hatte.
Das Schiff des flüchtigen Maquis-Terroristen war erstaunlich schnell. Karthal und fünf ihrer besten Piloten hefteten sich an seine bläulich leuchtenden Antriebsgondeln, bereit, es einzukes-seln und kampfunfähig zu schießen. Karthals Phaserstrahlen bohrten sich immer wieder in sei-nen Rumpf und die Schilde hielten sie mehr schlecht als recht ab. Das Phaserfeuer des Maquis kam schwach und sporadisch, keine ernst zu nehmende Gefahr für das cardassianische Jagd-geschwader. Dann hörte er gänzlich auf zu feuern und beschleunigte.
„Er buttert sämtliche Energie in die Schilde und den Antrieb“, stellte Karthal fest.
„Können wir ihn einholen?“
„Sicher“, meinte Karthal. Doch der Abstand zwischen ihnen verringerte sich nur unwesentlich.
„Mist, er verzieht sich in die Badlands!“ rief Borain über die Com-Anlage.
Karthal horchte auf, zumal die gefürchteten Plasmafelder bereits auf ihrem Sichtschirm ange-zeigt wurden. „Das kann er doch nicht machen! Ist der Kerl denn lebensmüde? Nach meinen Sensoren braut sich gerade ein besonders schwerer Plasmasturm zusammen!“
„Vielleicht hat er ja keine Sensoren – oder keine besonders guten.“
„Oder er lässt sich lieber umbringen als gefangen nehmen“, erwiderte Belora nachdenklich.
„Sieht so aus, als hätten Sie recht“, sagte Borain. „Er nimmt Kurs auf die Badlands.“
„Verdammt! Ich habe keine Lust, in diese Plasmasuppe zu fliegen!“
„Madreds Befehle waren eindeutig: Wir können ihn nicht einfach entwischen lassen!“
„Das hatte ich auch nicht vor“, entgegnete Karthal. „Aber Madred hat nicht gesagt, dass wir uns alle an diesem Wahnwitz beteiligen müssen.“
„Was wollen Sie damit andeuten?“ hakte Nerak, ein anderer von Karthals Piloten, nach.
„Ein Jagdflieger reicht, um das Maquis-Schiff fertig zu machen, zwei wären natürlich effizien-ter. Mehr als zwei in diese Hölle zu schicken, hieße, unnötig Leben aufs Spiel zu setzen. Borain und ich werden als erste in die Badlands vorstoßen. Wenn wir in einer halben Stunde nicht zu-rück sind, können Sie davon ausgehen, dass wir versagt haben. Dann werden Sie, Nerak, und Tolan Ihr Glück versuchen – vorausgesetzt, dass der Plasmasturm die Stärke fünf nicht über-schritten hat. Sonst könnten Sie nämlich gleich den Knopf für die Selbstzerstörung drücken.“
„Verstanden, Ma’am“, erwiderte Nerak.
„In einer halben Stunde wird der Maquis über alle Berge sein“, gab Borain zu bedenken.
„Das Maquis-Schiff kann in den Plasmastürmen noch schlechter manövrieren als wir. Es wird in einer halben Stunde nicht weit kommen – falls es dann überhaupt noch in einem Stück ist.“
Borain fand das Argument einleuchtend.
„Traktorstrahl bereit. Phaser bereit. Photonentorpedos bereit. Schilde auf Maximum.“
„Traktorstrahl bereit. Phaser bereit. Photonentorpedos bereit. Schilde auf Maximum“, wieder-holte Borain.
Der Nebel, der das Maquis-Schiff soeben verschluckt hatte, leuchtete unheilverkündend.
„Kurs auf die Badlands nehmen. Voller Impuls“, befahl Karthal, und die beiden Abfangjäger stürzten sich in die glühende Entropie.
Plasmaschlieren wirbelten wie Tornados durch den Raum, tauchten völlig unerwartet aus dem bräunlich-rosa Nebel auf ... es erforderte eine Art sechsten Sinn, ihnen auszuweichen. Karthal erkannte, wie irrsinnig es gewesen wäre, mit der RELITEK in dieses Inferno zu fliegen. Wenn selbst ein flexibler, kleiner Jagdflieger Probleme hatte, unbeschadet durch die Plasmastürme zu navigieren, war es für einen Kreuzer der Galor-Klasse nahezu unmöglich. Gul Evek vom Vierten Orden hatte bei einem solchen Wagnis eine gesamte Schiffssektion und über dreißig Crewmit-glieder verloren. Das Maquis-Schiff, das er damals verfolgt hatte, war seit fast einem Jahr ver-schollen. Im Grunde hätte Evek sich nur entspannt zurückzulehnen und die Plasmastürme für sich arbeiten lassen müssen. Genau wie wir, dachte Karthal. Sie wollte jedoch nicht herausfin-den, wozu Madred fähig war, wenn einer ihrer Offiziere seine Pflicht vernachlässigte.
„Ich erkenne Trümmer“, verkündete Borain.
„Stammen sie von einem Maquis-Schiff?“
„Das lässt sich nicht exakt feststellen. Moment ... es gibt eine Resonanzspur des Warpkerns. Föderations-Signatur.“
„Also hat es ihn erwischt“, stellte Karthal nüchtern fest.
„Madred wird ziemlich enttäusch sein, wenn wir ohne Gefangenen zurückkehren.“
„Wir haben getan, was wir konnten“, gab Karthal zurück. „Los, verschwinden wir, bevor es uns genauso ergeht wie dem Maquis.“
„Kurs programmiert.“ Borain wartete auf die Rückmeldung von Karthal – und hielt entsetzt den Atem an. Direkt unter Karthals Jagdflieger schoss eine Plasmasäule aus den Nichts empor, se-kundenschnell. Karthal vermochte nicht rechtzeitig zu reagieren. Ihr Kampfflieger wurde in ho-hem Bogen durch die Badlands geschleudert, überschlug sich, ein anderer „Tornado“ streifte sie und die linke Tragfläche ging in Flammen auf. Ein makaberes, tödliches Ballspiel.
„Karthal?“ Borains Stimme war voller Besorgnis. „Karthal, melden Sie sich!“
„... kann nicht manövrieren ...“
„Sind Sie wohlauf?“ Borain wagte nicht zu atmen, als er auf ihre Antwort wartete.
„Ja, ich bin nur ... habe ein Eindämmungsfeld ...“
Borain war unendlich erleichtert, allein wegen der Tatsache, dass Karthal noch lebte. Doch die knisternden, rauschenden Interferenzen würgten ihre Stimme ab und er fluchte leise.
„Halten Sie durch, Ma’am! Ich hole Sie da raus!“
Karthal trieb wehrlos zwischen den Plasmastrudeln. Sich zu ihr durchzuschlagen, erforderte höchste Konzentration und ein fast übernatürliches Geschick. Die Abstände zwischen den Wir-beln wurden immer kürzer, die Ausbrüche heftiger, heimtückischer ... Der Plasmasturm hatte in-zwischen Stärke sechs erreicht, wenn nicht sogar sieben. Er beeinträchtigte nun auch die Funkti-on der Sensoren und der Com-Anlage. Karthals Jagdflieger verschwand immer wieder von sei-ner Anzeige. Halten Sie durch, Belora! wiederholte der junge Pilot in Gedanken.
Er wollte gerade den Traktorstrahl aktivieren, doch auf einmal jagte eine Plasmasäule an sei-nem Fenster vorbei, weniger als einen Meter entfernt. Blitzschnell schlug er einen Haken und das Herz rutschte ihm in die Hose.
„Belora?“ rief er immer wieder. „Belora!“
Aus der Com-Anlage kam nichts als dieses penetrante Rauschen.
Dann lichtete sich das rötlich-braune Plasmafeld und gab den Blick auf einen Planeten frei, di-rekt unter ihm, groß genug, um eine Atmosphäre zu halten. Klasse L, dem Aussehen nach.
Vielleicht sollten sie einfach notlanden, bis der Sturm nachließ.
Doch da warf ihn eine Plasmaentladung aus der Bahn, und es kostete ihn seine gesamte Kraft, die Kontrolle über den Jagdflieger zu behalten.
Karthal war es unterdessen gelungen, die manuelle Steuerung zu aktivieren – aber das nützte ihr nicht viel. Der Planet unter ihr nahm ihren gesamten Sichtschirm ein. Sie sah ihn sogar noch, wenn sie die Augen schloss. Seine massive, bedrohliche Präsenz verdrängte ihre Gedanken, ihre letzten Gedanken ... Ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt.
Sollte das etwa ihr Ende sein? Auf dieser elenden Staubkugel zu zerschellen? Nein, das war einfach nicht fair, das war einfach nicht richtig! Sie war gerade dabei gewesen, ihr Leben aufzu-bauen, ihre Karriere ... Sie hatte eine Familie, einen zehnjährigen Sohn und einen Ehemann, der auf sie angewiesen war! Und Inaran ... wenn sie in den Badlands krepierte, hatte er niemanden mehr.
Nein, das konnte sie nicht zulassen! Sie würde ihre gesamten Fähigkeiten als Pilotin einsetzen, um den Aufprall abzumildern. Sie musste es einfach schaffen! Verfluchte Badlands, verfluchter Maquis, verfluchte Glinn Madred und ihr unersättlicher Ehrgeiz!
Das verhaltene Glühen der Wände jagte ihr Angst ein. Das Energiefeld, das sie errichtet hatte, als ihre Tragfläche in Flammen aufgegangen war, schützte sie. Aber sobald es versagte ... Nein, über bestimmte Dinge durfte man einfach nicht nachdenken!
Borains Traktorstrahl griff ins Leere. Fassungslos beobachtete der junge Pilot, wie Karthals Jagdflieger rötlich zu glühen begann und dann hinter dem Schleier der Atmosphäre verschwand. Hoffentlich war das Eindämmungsfeld, von dem sie gesprochen hatte, noch stabil! In den Atmo-sphäre zu verglühen, war ein grausamer Tod, den er Belora nicht wünschte.
Vom Mut der Verzweiflung gepackt, versuchte er, Karthal zu folgen, doch sein Computer sagte ihm, dass der Kampfflieger nicht mehr fähig war, in der Atmosphäre zu manövrieren. Offenbar hatte die Plasmaentladung sein Triebwerk beschädigt.
„Ach Scheiße!“ brüllte er frustriert. Wie sollte er nur heil durch den Plasmasturm fliegen, wenn er nicht einmal in dieser läppischen Atmosphäre ...
Hätte ich doch nur den Traktorstrahl ... wenn ich diesem verdammten Wirbel nicht ausgewi-chen wäre... Nein, er durfte sich keine Vorwürfe machen ... nicht jetzt! „Wenn du nicht ausgewi-chen wärst, dann wärst du jetzt tot“, sagte er laut und deutlich zu sich selbst.
Schuldgefühle konnten seinen Tod bedeuten – oder Gefühle überhaupt. Er musste zurück. Un-bedingt. Er vermochte Karthal nicht zu retten.
Aber vielleicht war jemand anderes dazu imstande.
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