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5x04 - Mummy's Wedding

von Julian Wangler

Kapitel 1

Andoria, Hinosz–Ozean
[Wochen später]

In der Ecke des Gondelabteils saß Commander Keval, frisch befördert zum Kommandanten eines Kreuzers der Kumari–Klasse, und paffte eine klassische andorianische Schaumpfeife. Zufrieden mit sich selbst, drehte er den Kopf und sah aus dem Fenster.

Korallenriffe, Algenteppiche, exotische Fischschwärme, verfolgt von wesentlich größeren Fischen, gigantische Seesterne, in Regenbogenfarben schillernde Quallen, an Felsen heimische Muschelhorden… Nicht gerade der Anblick, den man täglich zu Gesicht bekam; schon gar nicht auf dem von Bergmassiv und Eiseinöde dominierten Andoria. Irgendjemand hatte einmal das Gerücht in die Welt gesetzt, Andorianer hassten Wasser. Zeit seines Lebens hatte Keval versucht, diesem Vorurteil entgegenzuwirken, doch jetzt, da er so lange in der ozeanischen Tiefe des Hinosz weilte, keimte seltsames Unbehagen in ihm.

Vielleicht war es auch nur die ungewohnte Aussicht. Es kam schließlich nicht alle Tage vor, dass man sich in Zeiten generationenbewährter, interstellarer Raumfahrt in eine wie mittelalterlich wirkende Transportkapsel setzte, um dann an einem fragilen Seil aus Nanopolymer Kilometer für Kilometer zum Meeresboden hinab zu sinken. An und für sich eine ziemlich verrückte Idee, und so kam es auch nicht anders, dass diese Konstruktion auf ganz Andoria – und vermutlich auch auf den anderen Allianzwelten – nicht ihresgleichen fand.

Keval blubberte mit seiner Pfeife. Shran muss Nerven haben…, dachte er und wusste ganz genau, dass sein ehemaliger Befehlshaber schon immer darüber verfügt hatte. Wie sonst hätte er Einsätze wie P’Jem, Coridan, Weytahn oder gar die Xindi-Krise bestehen können? Ja, selbst, als Shran nach zwölf Jahren des Kommandos die Kumari verlor, demonstrierte er, wie hart er im Nehmen war.

Apropos Kumari: Keval empfand es als nachgerade seltsam, dass er das einzige Mitglied von Shrans ehemaliger Crew war, das sich bereiterklärt hatte, die Einladung anzunehmen. Zugegeben, tragischerweise waren von der einstmals sechsundachtzigköpfigen Mannschaft nur mehr achtzehn Imperialgardisten am Leben, seit das stolze Schiff eines der ersten Opfer des romulanischen Marodeurs wurde. Nichtsdestoweniger hatte Shran beinahe jedem von ihnen sehr nahe gestanden, sogar Familien und Freunde gekannt. Keval ging davon aus, dass Shran Einladungen an alle seine ehemaligen Untergebenen abgeschickt hatte. Doch wieso hatte außer ihm niemand von der Kumari zugesagt? Wo waren insbesondere Tholos und Thon? Zwölf Jahre gemeinsamer Arbeit einfach in den Wind geblasen?

Keval dämmerte des Rätsels Lösung. Es lag nicht unbedingt an Shran, sondern vielmehr an ihr und an seiner Entscheidung für sie. Der Bund mit einer Aenar... Keine Frage, Shran hatte Nerven! Den meisten Andorianern stieß er vermutlich ganz schön vor den Kopf, indem er Jhamel ehelichte. Keval hatte selbst Probleme, es nachzuvollziehen, aber der alten Zeiten und der Verbundenheit zu Shran wegen hatte es für ihn völlig außer Frage gestanden, die Einladung auszuschlagen.

Wie konnte er sich nur in eine Aenar verlieben? Aenar galten schon seit langem als die Schreckgespenster des andorianischen Volkes; sie waren ein Mythos gewesen, der von Generation zu Generation weitergereicht worden war. Zurückgezogen, unnahbar und rätselhaft, pazifistisch, distanziert und unterkühlt – alles das, was Andorianer nicht sein wollten. Blinde Schneebewohner waren sie – gut genug, um als Fabelwesen für die Fantasie kleiner Kinder herzuhalten. Genau genommen war bis vor fünfzig Jahren nicht einmal klar gewesen, dass es sie wirklich gab. Erst eine Forschergruppe, die in die Nördlichen Eiswüsten aufbrach, verschaffte dahingehend Klarheit.

Und jetzt gedachte Shran, eine von ihnen zur Frau zu nehmen… Eindeutig: Das war starker Tobak, mehr als das! Dass er damit den Prozess beschleunigte, in absehbarer Zeit wieder zu einem eigenen Kommando zu gelangen, bezweifelte Keval. Andererseits war Shran noch nie die Art Mann gewesen, die ihre Entscheidungen so traf, damit am Ende am meisten an Status und Ruhm dabei herauskam. Er hatte sich nie in klassischen Mustern bewegt, und jetzt hatte er diese Eigenschaft endgültig auf die Spitze getrieben.

Obwohl Keval einen gar nicht zu verkennenden Widerwillen verspürte angesichts der Vorstellung, Shran neben einer Aenar zu sehen, wollte er ihm den Gefallen tun und der Zeremonie beiwohnen. Er war es ihm schuldig nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten…

– – –

Ein Abteil weiter stand die Verblüffung General Gravadu ins azurblaue Gesicht geschrieben, während er aus dem bullaugenförmigen Fenster starrte und die Wunderwelt des Meeres in Augenschein nahm.

Vor wenigen Wochen hatte er sich pensionieren lassen – und hätte nicht geglaubt, auf seine alten Tage noch einmal so etwas zu erleben. Zweifelsfrei, es war nicht das erste Mal, dass er etwas Besonderes erlebte. Gravadu konnte nicht klagen, war ihm doch als einer von zwei Dutzend Oberbefehlshabern der Imperialen Garde eine herausfordernde Zeit beschieden gewesen.

Der General war ein stolzer Mann. Er erinnerte sich, als ob es gestern war, da die hitzigen Grenzkonflikte mit den Vulkaniern tobten, die Auseinandersetzungen mit den Tellariten immer wieder aufflammten oder die Xindi–Krise vor der Haustür stand und das andorianische Imperium dazu zwang, Flagge zu bekennen. Gravadu empfand Dankbarkeit, in solch stürmischen Zeiten an den Schalthebeln der Imperialen Garde gesessen und seinen Teil für die Zukunftssicherung des andorianischen Volkes beigetragen zu haben.

Und genauso dankbar war er, über eine Handvoll besonderer Offiziere verfügt zu haben, ohne die so manch unwahrscheinliche Siegeschance nicht in einen Erfolg umgemünzt worden wäre. Einer dieser herausragenden Männer und Frauen war Thy’lek Shran – ein integerer Diener des Imperiums, mit Courage und Selbstdisziplin, einem verschlagenen Geist und jeder Menge Glück auf seinen Feldzügen für Andoria. Obwohl er und Gravadu beileibe nicht immer einer Meinung waren – man dachte nur an Shrans notorische Schwäche für die Menschen –, stellten seine Leistungen als Imperialgardist alles in den Schatten, brachten Kritiker zum Verstummen, so auch einen einstmals ob Shrans Ambitionen sehr skeptischen Vorgesetzten Gravadu.

Der General war immer für ein starkes, unabhängiges Andoria eingetreten – Aussichten auf eine Koalition der Planeten empfand er bis zum heutigen Tag bestenfalls als eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen, wenn nicht sogar als einen Angriff auf Andorias vitale Souveränität. Shran hingegen war da anderer Meinung – er achtete eine Allianz mit den Menschen, ja gar mit Tellariten und Vulkaniern, derweil als Quell der Stärke.

Trotz gar nicht zu verkennender Vorbehalte war Gravadu weise genug, um zu wissen, dass es für ihn an der Zeit war, sich aus dem politischen Geschäft zurückzuziehen – und der nachfolgenden Generation das Feld zu überlassen. Ein Mann wie Shran hatte bei vielen Gelegenheiten demonstriert, wie sehr ihm die Bewahrung und das Prosperieren Andorias am Herzen lagen.

Für Gravadu war dieser Ausflug in den Hinosz–Ozean ein letzter Dienst als Imperialgardist, verpflichtet nur der Ehre. Jawohl, die Ehre hatte ihn hergeführt, und ganz in ihrem Sinne würde er Shran bei seiner Eheschließung huldigen, die eigenen Zweifel ignorieren, welcher der Bund mit einer Aenar mit sich brachte, und den langjährigen Kommandanten der Kumari weiterhin als jenen Querkopf, der er immerzu gewesen war, schätzen.

Die Kumari… Gravadu hatte Shran vor einer Weile in Aussicht gestellt, ihm nach dem Verlust seines Schiffes durch den romulanischen Marodeur mithilfe von Kontakten in die hohen Etagen der Imperialen Garde einen neuen Kreuzer zu vermitteln. Jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob er dies noch würde einlösen können. Shrans Reputation in der Öffentlichkeit und sein Vertrauen bei der Imperialen Garde wurden durch die Vereinigung mit dieser kreidebleichen Fremden jedenfalls nicht gerade gemehrt.

Er wird schon seinen Weg finden, so wie immer., gab sich der pensionierte General zuversichtlich. Er ist ein Überlebenskünstler.

Die Transportgondel wackelte, und kurz darauf wurde ein Antriebsaggregat aktiviert. Gravadu sah aus dem Fenster und realisierte, dass sie sich vom Fahrtseil abgekoppelt hatte und nun eigenständig flog, gesteuert durch einen Autopiloten.

Immer noch Sinn für verdeckte Operationen, Thy’lek…, dachte der alte Andorianer und musste schmunzeln. Shrans Tagungsstätte lag weit abseits des öffentlichen Auges, soviel schien ausgemacht. Gravadu würde sich überraschen lassen.

Korrektur: Er würde sich überraschen lassen müssen, wie es aussah.

Denn plötzlich forderte der Bordcomputer alle Insassen der Kapsel auf, sich die Augen zu verbinden – mit Bändern, die in speziellen Ausgabefächern jedes Abteils erschienen. Anderenfalls würde die Weiterfahrt gestoppt.

Ein allgemeines Murren wehte durch die Gänge der Gondel, und auch Gravadu war nicht begeistert. „Immer noch Sinn für verdeckte Operationen, Thy’lek…“, sprach er diesmal seine Gedanken aus.

Schließlich aber tat er, was man von ihm verlangte und verband sich die Augen.

Trotzdem flackerten Widerwillen und Misstrauen in ihm.

Denn viel schlimmer als die Vorstellung, eine Aenar zu Gesicht zu bekommen und sie den Bund mit einem seiner besten Offiziere schließen zu sehen, fand ein konservativer Mann wie Gravadu die Vorstellung, mit einem Tellariten zu reisen – und das mit verschlossenen Augen.

Manchmal würde ich das diplomatische Protokoll am liebsten in der Luft zerreißen…

– – –

In der Luft zerreißen würde ich das diplomatische Protokoll!, grunzte Botschafter Graal in sich hinein. Ich wäre lieber zuhause geblieben und hätte ein Schlammbad genommen!

Der Tellarit fühlte sich nicht wohl mit all den ihn umgebenden Andorianern. Ein paar ausgewählte von ihnen auf neutralem Boden wie der Erde zu treffen, um mit ihnen zu verhandeln, das war das Eine – aber er alleine auf Andoria?… Eigentlich musste er ja schon froh sein, dass sein Weg ihn nicht in die Hauptstadt des Planeten geführt hatte, sondern unter den Meeresspiegel.

Der triftigste Grund, diesen Besuch wahrzunehmen, war aber ein anderer: Die Andorianer waren jetzt Verbündete der Tellariten, keine Gegner mehr. Und in Anbetracht dessen, was an Gefahren am galaktischen Horizont heraufzog, brauchten ihre Welten einander in Zukunft vielleicht noch mehr.

Entgegen seiner persönlichen Präferenzen, Shran lieber ein Glückwunschtelegramm via Subraum zu senden, hatte Graal die Einladung nicht ablehnen können. Er wusste ganz genau, dass an der seltsamen Freundschaft zu Shran, die sich seit der letzten Marodeur-Krise entwickelte, mehr hing als nur ein Haufen guter Partien 3D–Schach. Und trotz seines Verlustes der Kumari und der anstehenden Hochzeit mit einer Aenar – unter Andorianern nahezu ein Akt des Sittlichkeitsverbrechens – genoss Shran weiterhin in der andorianischen Öffentlichkeit großes Ansehen. Sein Wort hatte Bedeutung, auch und vor allem, was die Verhandlungen mit Vhendreni betraf. Shrans Einfluss war subtil, aber omnipräsent. Er war eine Integrationsfigur auf dem Weg zu einem dauerhaften Bündnis zwischen Tellar, Andoria, Erde und Vulkan – das nicht nur mit der Beilegung von Handels- und Grenzstreitigkeiten lockte, sondern auch mit gemeinsamem Schutz gegen Schwarzmarkt, Piraterie und vor allem Schergen wie die feindseligen Romulaner.

Anstatt zu griesgrämen, hatte Graal also lieber das Unbehagen ob des ersten Besuchs eines Tellariten auf Andoria heruntergeschluckt und begonnen, seinen Bart zu kämmen. Einen Tag in der vermaledeiten Brutstätte dieser blauen Teufel, und dann nie wieder., hatte er sich geschworen, halb ironisch, halb ernst.

Anfänglich hatte es gut ausgesehen – Graal hatte sich nach der Landung ein wenig beruhigt. Aber seit er in diese Gondel gestiegen war, stand er wieder unter Anspannung. In den anderen Abteilungen hockten andorianische Militärs – Leute, gegen die er einst als Befehlshaber der tellariten Flotte gekämpft hatte –, und die die Abteile separierenden Türen ließen sich nicht einmal von innen verriegeln. Obendrein hatte ihm dieser bescheuerte Computer soeben zur Bedingung gestellt, sich die Augen zu verbinden.

Ich muss verrückt sein! Völlig verrückt! Wie lautete das menschliche Sprichwort: Jung gewohnt, alt getan? Graals Verstand redete unablässig auf sein Herz ein. Doch das grunzte so leidenschaftlich streitlüstern, wie es dem Naturell eines Tellariten nun einmal entsprach. In diesem Fall hörte es wohl eher auf seine Instinkte. Der Botschafter verdrängte den Gedanken an den eigenen Kopf, wie er als eine von vielen Trophäen über dem Kamin eines andorianischen Generals baumelte. Einem General wie diesem Gravadu, der bloß ein paar Abteile weiter saß. Das ist keine Falle, nur eine Einladung… Eine Einladung von einem neu gewonnen Freund., sprach er sich selbst Mut zu – und legte sich den Stoff um die Augen…

– – –

„Wie aufregend…“, krächzte Selvas, eine greise Frau, die durch ihre gewöhnlich wirkende Erscheinung in auffälligem Widerspruch zu den übrigen Banner- und Würdenträgern in der Kapsel stand.

Tatsächlich hatte sie es gar nicht nötig, etwas Besonderes zu sein, hatte sie gewissermaßen das Besondere mitbedingt: Sie war die einstige Haushälterin in Shrans Familie. Die Eltern hatten für ihre beiden Söhne nie sonderlich viel Zeit erübrigen können, sodass Selvas nicht selten als Ersatzmutter und -vater in einem hatte herhalten müssen. Und dabei hatte sie erstaunliches Talent und Vielseitigkeit bewiesen; zum Beispiel, als sie zwei Burschen für den Ushaan–Kampf begeistern konnte, aber auch, als sie sie lehrte, eigenverantwortlich, geradlinig und konsequent zu handeln. Und dass man sich dabei stets selber treu bleiben musste. Das war ihr Vermächtnis, ihr Stolz.

Es freute sie, dass es Shran offenbar nicht unangenehm war, eine alte, zuweilen unbequeme Frau unter die Hochzeitsdelegation zu mischen, Gefahr laufend, dass sie das eine oder andere Wort zum kleinen Burschen verlor, mit dem sie so viele erfüllende Erinnerungen verband.

Nach dem Verlust seines Bruders im Kampf gegen die Vulkanier hatte sich Selvas’ Fürsorge ausschließlich auf Shran konzentriert. Sie war dankbar, dass es ihr nun vergönnt war, die Hochzeit zumindest eines Jungen mitzubekommen. Und völlig egal, ob er eine Aenar oder ein weibliches Geschöpf anderer Gattung zur Gemahlin nahm, ob sie blau, kreidebleich, pinkyhäutig oder regenbogenfarben war: Frau blieb Frau, und ihr Shran hatte eine gute Frau verdient. Andere Dinge spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Hätten das doch noch seine Eltern miterleben können…, seufzte Selvas in sich hinein. Hätten sie doch miterleben können, zu welcher Blüte ihr Sohn gereift ist. Mit etwas Unterstützung meiner Wenigkeit versteht sich…

Als sie eine recht scharfe Wende vollführte, wackelte die Gondel. Selvas wäre gestürzt, hätte der vor ihr sitzende Fremdweltler sie nicht rechtzeitig aufgefangen.

„Meinen Dank.“, sagte die Alte.

Nun nahm sie ihn genauer ins Visier. Er sah wirklich merkwürdig aus. Sie vermochte ihn nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Der lange Hals schloss über drei eigentümliche Falten an den länglich-elliptisch geformten Schädel an, der gänzlich unbehaart war und auch keine Ohren aufwies. Die Stirn war fliehend und die Gesichtsregion flach. Die beiden großen, gelben Augen kamen denen eines exotischen Vogels gleich.

Selvas wurde neugierig. „Sagen Sie, von welchem Planeten kommen Sie?“

„Bei Ihnen nennt man ihn Sauria, glaube ich.“, erwiderte der Alien mit leichtem Akzent.

„Aha.“

Nie davon gehört…

„Liegt nicht in dieser Gegend.“, ergänzte das Wesen knapp.

„Da könnten Sie Recht haben.“ Selvas verzog das runzelige Gesicht. „Früher, da war es leicht mit der Einordnung. Wir Andorianer waren die Stärksten, Klügsten und Besten. Andere Spezies haben uns nicht geschert. Gewissermaßen waren wir allein, auch wenn wir damals schon wussten, dass wir es nicht waren. Aber heute…? Heute ist das All irgendwie sehr viel größer geworden.“

Zu spät bemerkte die Greisin, wie der Alien vor ihr stutzte und die großen Augen wie ein Chamäleon verdrehte.

„Verzeihen Sie, junger Mann, ich meine… Sie wissen schon. Es lag mir fern, Sie zu verunsichern. Außerdem: Irgendwie ändern sich die Zeiten ja doch immer, ob man es will oder nicht.“

„Ähm, ja.“, sagte der Fremdweltler unentschieden.

Einige Sekunden verstrichen, da Selvas überlegte. „Gestatten Sie mir noch eine Frage?“

„Bitte sehr.“

„Sind Sie ein Gast? Der Gast meines Shran?“

„Ihres Shran?“

„Ich habe ihn großgezogen.“

Verblüfft klappte die Kinnlade des Echsenwesens herunter, und die Alte sah verwundert Dutzende kleiner, spitzer Zähne sowie eine lange, aufgerollte Zunge. Dann erwiderte der Alien: „Ich bin kein Gast.“

„Sondern?“

„Der Koch.“

„Der Koch?“

„Nahrung.“, gestikulierte das Wesen. „Der, der Sie mit gutem Essen versorgt.“

„Moment, junger Mann, mein Haltbarkeitsdatum mag zwar seit einer Weile überschritten sein, aber ein bisschen Verstand besitze ich noch.“, entgegnete Selvas leicht eingeschnappt, obwohl die seltsame Artikulation ihres Gegenübers wohl mit seinem Akzent in Verbindung stand. Ihr Blick wanderte zur Decke, und sie überlegte laut: „Warum hat Shran das nicht gesagt? Ich hätte ein paar Tangbrote geschmiert.“

„Das ist eine Hochzeitszeremonie.“, sagte der Alien.

„Ja und? Gegen meine Tangbrote hat bislang niemand etwas gesagt.“

In der Folge erklärte das Wesen ihr, es entstamme einer der großen interstellaren Starrestaurants und sei samt einer mobilen Küche mit frischen Zutaten (was im Frachtraum der Gondel mitbefördert wurde) von Shran gemietet worden. Der Chefkoch seines Etablissements auf Sauria sei ein Freund Shrans, jedoch verhindert, weshalb er ihn beauftragt habe, das Mahl für die Feierlichkeiten zu präparieren und bereitzustellen. Zuletzt stellte die Kreatur sich mit dem Namen Voxxo vor.

Beide kamen sie dann der Aufforderung nach und verbanden sich die Augen.

Eine Weile fuhren sie, ehe der Computer meldete, die Binden dürften nun abgenommen werden. Kaum hatte Selvas dies getan, fiel ihr Blick aus dem Fenster.

„Wie aufregend…“, wiederholte sie, die Shrans besondere Begabung für Nervenkitzel auch ihrem edukativen Einfluss zuschrieb. Wer hat ihm denn alle guten Kriminalgeschichten näher gebracht…?

– – –

Die Gondel bewegte sich auf eine große, wabernde, undurchsichtige Blase zwischen Felsmassiven zu. Es handelte sich nicht um ein Kraftfeld im klassischen Sinne, doch es hatte den gleichen Effekt: Während Schiffe hindurch treten konnten, wurde das Wasser von seinem Innenraum ferngehalten. Und so geschah es auch: Mit dem Bug voran durchstieß das kleine Gefährt die Blase, die ominöse Membran gab nach…

…und schlagartig wich der Eindruck, tief unterhalb des Meeresspiegels zu sein. Stattdessen setzte die Kapsel in der freien Luft und im glitzernden Sonnenschein eines Biotops sanft zur Landung an.

Ein gigantischer Wasserfall sprühte von einem nahe gelegenen Felsen hinab, und der Teich darunter schien durch die vielfarbigen Seerosen wie mit Diamanten bespickt zu funkeln. Vor der Gondel erstreckten sich bewachsene Hügel und vereinzelte grasbedeckte Flecken über etwa einen Kilometer hinweg bis zum graublauen Wasser eines Sees. Dahinter war ein Schloss – das einzige Gebäude im Biotop.

Das graue Gestein schimmerte im dumpfen Schein der künstlichen Morgendämmerung, die hohen, zweiteiligen Fenster spiegelten das Rasengrün und die Terrasse wider. Die Zeit konnte das schiere Ebenmaß jener Mauern nicht zerstören, ebenso wenig die auf sehr ungewöhnliche Weise harmonische Lage des alten Anwesens.

Damri Nazzur sah aus dem Fenster. Hm. Keine typisch andorianische Umgebung…

Gerade gab der Computer die Meldung durch, die Passagiere dürften in wenigen Minuten aussteigen.

Damri hatte immer viel übrig gehabt für die andorianische Lebensweise. Allerdings meinte sie sich nicht daran zu erinnern, dass das Leben unter Wasser dazu gehörte.

Wie auch immer. Für ein Abenteuer war sie sich nie zu schade. Das verhinderten alleine schon die Gene einer waschechten Eska.

Und die Einladung eines alten Freundes.

Auf den ersten Blick mochte der Umstand, dass sie eingeladen worden war, irritierend wirken – was hatten ein Andorianer und eine Eska schon gemein? Bei näherer Betrachtung hingegen stellte sich heraus, dass Shran und Damri mehr verband als der Schein suggerierte.

Ein Paar an der Hüfte. Vor mehreren Jahren war es passiert, dass sie auf Shran traf. Dass er sich schließlich diese Aenar und keine seines Volkes geschnappt hatte, verwunderte sie gar nicht. Er hatte es schon immer geliebt, die Fühler in Richtung exotischer Frauen zu schwenken. Das war es im Übrigen auch, was ihn so sehr von vielen seiner Spezies unterschied. Und das machte ihn verletzlich.

Wahrscheinlich war es eben jene Empfindsamkeit für das Fremde, die Damri seit ehedem an Shran fasziniert hatte. Ein Jäger brauchte Sensibilität – um seine Beute zu kennen, wohlgar seinen Feind, aber auch die eigenen Grenzen. Nur so funktionierte es; nur so hatte man Erfolg. Und Shran war ein sehr erfolgreicher Kommandant.

Kennen gelernt hatten beide sich während einer ziemlich unwahrscheinlichen Wette. Shran war mit seinem Schiff in ein entlegenes System eingeflogen, reich an Dilithium, Latinum, Verterium, Topalin und anderen heiß begehrten Mineralien, um die Flagge des andorianischen Imperiums auf dessen Planeten zu hissen. Was er erst später erfuhr: Bestimmte unabhängige Eska-Clane pflegten ein traditionelles Leben der Jagd auf einer dortigen Klasse-M-Welt. Entsprechend waren die Eska nicht bereit gewesen, ihren Platz zu räumen und das System einfach den Andorianern zu überlassen.

Anstatt mit militärischer Gewalt nach dem zu greifen, was seine Vorgesetzten begehrten, forderte Shran Damri, die sie zur Anführerin der größten Jägergruppe aufgestiegen war, heraus – und zwar nach dem Lebensstil der Eska: eine zweitägige Jagd auf eine exotische Kreatur zu veranstalten und nach exakt zwei Tagen das Erlegte zu zählen. Shran gewann, mit fairen Mitteln…und nahm Damris mentalen Kosmos in Beschlag.

Viel mehr, als sich mit ihrer Niederlage auseinanderzusetzen, wollte sie nun den Mann ergründen, der sie besiegt hatte. Doch Shran musste weiterziehen. So blieb ihnen nur eine Nacht, in der sie sich ihm voll und ganz hingab. Siegreich zog er schließlich mit der Kumari von dannen, die von einer festen Besatzungsflotte der Imperialen Garde abgelöst wurde und den Rückzug der Eska überwachte.

Und dann, nach vielen Jahren, meldete sich Shran plötzlich und lud sie auf seine Hochzeit ein.

Damris erste Reaktion hatte darin bestanden, lauthals in Gelächter auszubrechen. Er hatte sie also doch nicht ganz vergessen können. Welche Genugtuung! Sie hatte ihn nämlich auch nicht vergessen. Selbstverständlich war sie gekommen, alleine schon, um zu sehen, wie er sich so gehalten hatte.

Der Mann vor ihr störte sie indes. Ich hätte mich in ein anderes Abteil setzen sollen…, dachte sie grantig. Sicherlich rührte ihr Problem ursächlich daher, dass es sich um einen Menschen handelte. Menschen… Die einzige Begegnung der Eska mit ihnen endete in einem Eklat: Ein Sternenflotten-Captain hatte dafür gesorgt, dass die traditions- und prestigeträchtige Phantom-Jagd auf Dakala nicht mehr möglich war, indem er den formwandelnden Kreaturen half, sich gegen die Eska-Scanner zu schützen. Zu diesem Zeitpunkt war Buzzan, ihr Vater, auf dem Planeten gewesen. Auf der Heimatwelt stand er aufgrund eines unternehmerischen Risikos tief in der Kreide. Sein Kreditgeber willigte ein, ihm seine Schulden zu erlassen, brächte er ihm die extrem wertvolle Leiche eines Phantoms. Doch die Intervention der Menschen hatte dafür gesorgt, dass die Phantome sich perfekt abschirmen konnten. Kein noch so versierter Jäger hatte da noch Aussichten auf Erfolg.

Ihr Vater endete kläglich inmitten subversiver Elemente des Schwarzmarktes, der für einen sozial und ökonomisch Ertrinkenden wie ihn den letzten Ast repräsentierte – und der ihn letztlich tötete. Damris Familie geriet in Schande, und sie zog die Konsequenz und wurde eine vagabundierende Jägerin; eine Gestalt, die versuchte, sich dem Eska-Naturzustand vor einem Jahrtausend anzunähern. Sie war auf jene entlegene Welt gezogen, wo Shran schließlich in Erscheinung trat.

Das Triebwerk röhrte leise, die Bodenplatten vibrierten schwächer. Kurz darauf kam das Gefährt in Kontakt mit dem Boden, setzte auf.

Damris Blick kreuzte jenen des Mannes.

Die ganze Zeit über hatten sie nicht miteinander gesprochen. Jetzt brach sie ihr Schweigen: „Und wer sind Sie, Mensch? Sind Sie auch eingeladen?“

Er schmunzelte. „Ja. Shran ist ein…alter Freund von mir. Mein Name ist Jonathan Archer.“

In Ihrem Geist blitzte es auf. Sie behielt es für sich. „Damri Nazzur.“, sagte sie. „Sehr erfreut.“
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