Chris betrachtete sein Spiegelbild, studierte es, prägte sich jede Einzelheit genau ein.
Vor einigen Tagen war der quälende Albtraum zu ihm zurückgekehrt. Der Albtraum, der ihn monatelang nach dem Blick in seine Zukunft immer wieder heimgesucht hatte. Irgendwann hatte er zwar damit gelernt zu leben, doch zu wissen, was auf einen zukommen wird … nun, manchmal war Unwissenheit ein Segen. Er hatte sich oft gefragt, ob er anders hätte, zu seinen Gunsten, handeln sollen. Denn heute würde er den Preis für die Entscheidung zahlen, die er vor gut acht Jahren getroffen hatte.
Chris rang sich ein nervöses Lächeln ab, während er mit zitternden, schweißnassen Händen seine Uniformjacke glatt strich. Nachdem er vor knapp einem Jahr die Beförderung zum Fleet Captain angenommen hatte, hatte er damit sein Schicksal endgültig akzeptiert.
Das schützte ihn dennoch nicht davor, dass er in diesem Moment die Vision seiner Zukunft wieder so klar vor sich sah, wie zu dem Zeitpunkt, als diese ihm vom Zeitkristall im klingonischen Kloster auf Boreth offenbart worden war: Eine Detonation lässt das Schiff erbeben. Aus den Relais sprühen Funken, dann fällt der Maschinenraum, des J-Klasse Ausbildungsschiffes, in völlige Dunkelheit. Die Notbeleuchtung aktiviert sich und der Sicherheitsalarm quäkt lautstark durch das Schiff. „Alle raus hier!“, brüllt Chris, während er sich hastig nach den Kadetten umsieht. Rohre zerbersten. Austretender Dampf erschwert die Sicht. Chris zieht eine Kadettin, die über ein loses Kabel gestolpert ist, auf die Füße. Dabei fällt sein Blick zu dem sich schließenden Sicherheitsschott. „Beeilung!“, schreit er erneut gegen die panische Atmosphäre an. „Und Sie, Sir?“ „Kümmern Sie sich nicht um mich! Gehen Sie!“ Chris versucht den ohrenbetäubenden Lärm zu übertönen und stößt die Kadettin vorwärts. Eine weitere Explosion erschüttert das Schiff. Chris verliert das Gleichgewicht und stürzt zu Boden. Als er aufblickt, muss er mit ansehen, wie sich das Sicherheitsschott endgültig schließt und sein Schicksal besiegelt.
Mit aller Macht verdrängte er die Bilder. Doch so gnadenlos wie die Zeit verrann, erwies sich auch die Vision, die ihn seit acht Jahren quälte und fest in seinem Gedächtnis eingebrannt war.
Noch heute würde er hochradioaktiver Deltastrahlung ausgesetzt werden. Sein Leben, wie er es bislang kannte, enden.
Er würde nicht nur furchtbar entstellt, sondern auch völlig gelähmt sein. Das schlimmste, er würde Herr seiner geistigen Fähigkeiten bleiben. Seine Zukunft endete in einem Rollstuhl. Einer Sonderanfertigung, die auf seinen Zustand angepasst sein würde. Mit Hilfe seiner Gedanken würde er in der Lage sein, dieses Gefährt zu steuern. Ein Lämpchen ermöglichte ihm ein Mindestmaß an Kommunikation. Chris schluckte schwer. Der Gedanke daran drehte ihm den Magen um. Für den Rest seines Lebens würde er ein Gefangener in einem toten Körper sein.
Chris hatte es in der Hand gehabt. Er hätte die Beförderung ablehnen, oder die heutige Inspektion absagen können. Doch es war niemals seine Art gewesen, den leichten Weg zu gehen. Hätte er sich sowohl damals als auch heute anders entschieden, hätte er damit andere zum Tode verurteilt.
Chris nahm Haltung an und atmete tief durch. Er würde lügen, wenn er behauptete, keine Angst zu verspüren. Doch war Chris fest entschlossen, seinem Schicksal hocherhobenen Hauptes entgegenzutreten. Solange man atmete, gab es Hoffnung.
Eine halbe Stunde später materialisierte er auf der Transporterplattform des Schulungsschiffes.
„Aaaachtung! Fleet Captain an Deck!“
Die Kadetten nahmen Haltung an.
Chris trat von der Transporterplattform.
„Es ist uns eine Ehre, sie an Bord begrüßen zu dürfen, Fleet Captain Pike.“
„Danke, Commander“, antwortete Chris und zwang sich dabei zu einem Lächeln. Dann wechselte er den Blick zu den Kadetten.
Chris musterte die jungen Männer und Frauen, die in einer Reihe vor ihm still standen, sah in ihre unschuldigen, aber dennoch erwartungsvollen Augen.
„Rühren.“
Sollte er jemals an seiner Entscheidung, die er auf Boreth getroffen hatte, gezweifelt haben, so erhielt er nun hier die Bestätigung, richtig gehandelt zu haben. Chris lächelte erneut, diesmal musste er sich nicht dazu zwingen.
„Wo möchten sie mit der Inspektion beginnen, Sir?“
Die Frage des Commanders riss ihn aus seinen Gedanken. Wenn er ehrlich zu sich war, dann musste er sich eingestehen, dass er lediglich versuchte, das Unvermeidbare noch etwas hinauszuzögern. Doch warum? Er würde nichts an dem, was geschehen würde, ändern können. Und wenn er es aus einem anderen Blickwinkel betrachtete, würde es ein guter Tag werden, denn niemand würde heute sterben.
Chris schloss für einen Moment die Augen. Dennoch war es immer etwas anderes ein Risiko mit noch unbekanntem Ausgang einzugehen, einem Ausgang den man sich noch positiv zurechtrücken konnte. Chris atmete tief durch und antwortete schließlich: „Lassen Sie uns im Maschinenraum beginnen, Commander.“
- Ende -