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Jenseits der Zeit - Teil 2

von Sylvia Voss

Kentanna und Asteroid

Es war schon später Nachmittag, als Haneek ihren schmerzenden Rücken aufrichtete. Unzufrieden blickte sie sich in ihrem Garten um. Noch soviel Arbeit wartete, sie hatte bei weitem nicht ihr Pensum für heute geschafft. Sie schirmte ihre Augen gegen das gelbe Licht der Draylon- Sonne ab und schaute über die Ebene zu Füßen der kleinen Siedlung, in der sie mit ihren beiden Ehemännern Gai und Cowl lebte. Ein Schleier aus Staub über einem Acker in der Nähe zeigten ihr, wo die beiden Männer mit der einzigen Erntemaschine des Dorfes gerade arbeiteten. In zwei Tagen mussten sie die Maschine an den nächsten Nachbarn abgeben und es war noch viel zu tun. Vielleicht hätten sie doch weiter westlich in feuchterem Gebiet siedeln sollen. Aber Haneeks Charakter lag Trockenheit mehr als mögliche Überschwemmungen und gegen das Getier der Feuchtgebiete hatte sie eine entschiedene Abneigung.

Wenn nur nicht gerade gestern der Gartenkultivator mit einem Achsenbruch liegen geblieben wäre! Es war so schwer, Ersatzteile zu bekommen. Haneek seufzte. Aber in den alten Schriften stand nur, dass die Skrreeaner einen „Planeten der Trauer in ein Paradies verwandeln würden.“ Über die Mühsal dieser Arbeit war nichts überliefert.

Haneek stützte sich auf den Gartenzaun und sah sich im Dorf um. Geräusche emsiger Arbeit waren zu hören, ab und zu meldete sich ein Haustier und im Nachbarhaus hörte sie die junge Frau singen. Sie hatte sich gerade ihren ersten Ehemann gewählt und Haneek dachte daran, unter welch schweren Bedingungen sie ihre erste Ehe mit Gai geschlossen hatte. Es war gut zu wissen, dass die jungen Frauen nun in Freiheit lebten.

Haneek steckte eine vorwitzige rote Strähne wieder im festen Haarkranz über ihrer Stirn fest und wandte sich dem Haus zu. Hinter ihrem Garten stieg die Straße zu den Hügeln empor und die Berge am Horizont lagen im blauen Dunst. Da entdeckte sie eine Bewegung auf der Hügelkuppe. Zwei Gestalten überquerten die letzte Höhe und erreichten die Straße.

Haneek wartete ab. Als Verwalterin der Siedlung trug sie die Verantwortung und musste wissen, wer da kam.

Als die beiden sich näherten, erkannte sie eine Frau und einen Mann, beide trugen Rucksäcke und stützten sich auf Wanderstöcke. Haneek wunderte sich, warum die Frau ihre Last selbst trug. Hatte sie dafür nicht den Mann? Jetzt erkannte sie schon die Gesichter, es war ein junges Paar. In Höhe ihres Gartenzaunes hielt es an.

„Gesegnet sei der Tag“, grüßten sie und lächelten. „Er sei gesegnet“, antwortete Haneek. „Wo wollt ihr hin?“ Dabei schaute sie die junge Frau an, den Mann beachtete sie nicht.

„Eigentlich suchen wir ein Quartier für heute Nacht. Wo könnten wir unterkommen?“

Ehe Haneek antworten konnte, gab es ein durchdringendes Kreischen, das von den Hügeln mehrfach wieder schallte und das Geräusch der Erntemaschine erstarb.

Alarmiert versuchte Haneek zu erkennen, was passiert war. In der Ferne legte sich der Staub, zwei Gestalten sprangen von der Maschine und standen unschlüssig neben dem Gerät.

„Oh, nein“, dachte Haneek. „Nicht noch die große Maschine. Wie sollen wir die Ernte einbringen?“

Ohne die Wanderer weiter zu beachten, lief sie schon die abschüssige Straße hinunter. Das junge Paar warf sich einen Blick zu und ging schnell hinter ihr her.

Gai und Cowl standen hilflos neben der Erntemaschine und kratzten sich am Kopf.

„Was habt ihr wieder angestellt?“ rief Haneek ihnen aufgebracht entgegen. „Gar nichts, gar nichts“, beeilten sie sich zu sagen, brachten sich aber vorsichtshalber hinter den großen Rädern in Sicherheit.

„Ihr seid doch zu nichts zu gebrauchen“, schrie sie ihre Männer an, die sich vor ihrer erhobenen Hand duckten. Der Wanderer ging inzwischen um die Maschine herum und spähte in ihr Inneres.

„Ich glaube, ich kann das reparieren“, hörte Haneek hinter sich seine Stimme. „Du?“ fragte Haneek fassungslos. Seit wann konnten Männer so komplizierte Arbeiten ausführen?

“Wir sollten uns erst einmal vorstellen“, ergriff die junge Frau das Wort. „Ich bin Mateen, Geologin des Kentanna-Institutes und dies ist mein Ehemann Garron, ein sehr erfolgreicher Erzsucher.“

Haneek musterte schweigend die beiden jungen Leute. Der Mann blickte sie ruhig und selbstbewusst an. Er war so ganz anders als die Männer, die Haneek bisher kennengelernt hatte. Nicht so kindisch. Er hatte seine Emotionen bemerkenswert unter Kontrolle, ja, er sah fast so vernünftig aus wie eine Frau aus.

„Nun, gut“, stimmte sie zu. „Versuch es. Lass dir von den beiden helfen. Anschließend kommt ins Haus. Ihr beiden könnt heute Nacht bei mir unterkommen.“

Brüsk drehte sich Haneek um und winkte Mateen, sie zu begleiten.

„Dein Mann ist anders, wieso“? fragte sie die junge Frau. Die lächelte. „Wir werden dir gern erzählen, was wir erlebt haben, aber das ist eine lange Geschichte.“

Haneek warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. Sie bemerkte die Müdigkeit in ihrem Gesicht und Haneeks strenge Züge milderten sich. „Wir werden nach dem Essen zusammensitzen und über alles reden“, bestimmte sie und eilte ihrem Haus zu. Mateen folgte ihr, dankbar, einen Schlafplatz für die Nacht gefunden zu haben.

Nach dem Abendessen saßen sie um den großen runden Tisch in der Küche zusammen, Haneek mit ihrer Nichte Leerra, Mateen und Garron, der sich ganz selbstverständlich dazu gesetzt hatte. Leerra sah ihn fasziniert an. Sie hatte erst vor kurzem ihr Haar in die strenge Form der erwachsenen Frau gesteckt. Mit dem hohen dunklen Haarkranz zeigte sie an, dass sie nun in dem Alter war, sich einen Ehemann wählen zu können.

Gai und Cowl wollten nicht mit am Tisch sitzen. Sie hatten es sich auf einer Couch im Hintergrund bequem gemacht und betrachteten aufmerksam das Geschehen.

Garron hatte tatsächlich die Erntemaschine repariert und unter seiner sachlichen ruhigen Anleitung konnten sie ihm tatkräftig dabei helfen. So einen Schaden würden sie in Zukunft allein beheben können. Zufrieden sahen sich die beiden Männer an. Morgen Abend würden sie die Ernte eingefahren haben. Schweigend hatte Haneek ihren begeisterten Berichten über ihre neuen Fähigkeiten zugehört, ab und zu warf sie Garron einen prüfenden Blick zu. Anschließend hatten alle gemeinsam die vielen verlorenen Fetzchen, die die skrreeanische Haut über den Tag hin verliert, aufgefegt und auf den Kompost gebracht. Das Volk der Skrreeaner war stolz darauf, auf diese Weise den Boden ihrer neuen Heimat zu düngen. Es verband sie für alle Zeiten mit diesem Planeten, den sie unter so viel Leiden endlich gefunden hatten.

Frisch gewaschen, die Frauen in langen farbigen Kleidern mit ärmellosen passenden Westen, die Männer in Hosen, Hemden und Westen in gedeckten Farben, aber ohne ihr obligatorisches Stirnband, war die Runde bereit, Mateens Erzählung zu lauschen.

„Ja, wie ich Haneek schon sagte“, begann Mateen, „ich bin Geologin und habe den Auftrag, die Berge auf nutzbare Metalle und Gesteine zu untersuchen. Garron hat die unvergleichliche Gabe, Erze aufzuspüren. Wir waren sehr erfolgreich und haben ergiebige Lagerstätten gefunden.“ Zärtlich sah sie ihren Mann an.

„Gefunden, ja“, bestätigte Garron. „Das ist aber erst ein Teil der Geschichte. Man müsste die Erze aber auch schonend und umweltverträglich abbauen und weiterverarbeiten können. In dieser Hinsicht bin ich weniger hoffnungsvoll als Mateen. Wir haben nicht genug Kenntnisse und Mittel, wir sind ein Volk von Farmern.“

Haneek seufzte und nickte. „Wir spüren es jeden Tag. Es müssten Maschinen gebaut werden, um den Ertrag von Nahrungsmitteln zu verbessern. In zwei Tagen reise ich in die Zentralstadt zur Führungsversammlung. Das wird ein großes Thema in diesem Jahr werden. Nach acht Jahren macht sich der Verschleiß an allen Ecken und Enden bemerkbar.“

Leerra konnte ihre Verwunderung nun nicht länger verbergen.

„Wieso bist du so anders als andere Männer?“ fragte sie Garron. „Gibt es noch mehr von deiner Art?“

Garron lächelte. „Erinnerst du dich an die Raumstation `Deep Space Nine`?“ fragte er sie.

„Natürlich! Ich war noch ein Kind, aber wer könnte dieses Erlebnis vergessen?“ rief Leerra.

Über Haneeks raues Gesicht lief ein Schatten. Sie wurde ungern an die Zurückweisung der Bajoraner erinnert, als die drei Millionen Skrreeaner auf Bajor siedeln wollten. Nachdem Haneek das `Auge des Universums` und die Raumstation Deep Space Nine entdeckt hatte, glaubten sie, Bajor sei ihre neue ersehnte Heimat Kentanna. Sie fühlten sich nach den Jahrzehnten der Unterdrückung durch die T-Rogaraner dem Volk der Bajoraner verwandt, das auch erst einige Jahre zuvor die Besatzung der Cardassianer abgeschüttelt hatte. Aber die Regierung von Bajor hatte ihr Ersuchen abgelehnt. Danach waren sie mit Hilfe von Captain Sisko und Colonel Kira in das Draylon-System gekommen.

„Also, auf DS9 habe ich Dr. Bashir kennengelernt“, fuhr Garron fort. „Mich hatte die Gleichstellung von Männern und Frauen, die ich dort erlebte, fasziniert. Ich fragte ihn, wie ich auch solch ein Leben führen könnte.“

„Männer sind viel zu emotional und unzuverlässig, um Führungsaufgaben übernehmen zu können. Wir lieben unsere Männer, aber sie sind doch nichts weiter als große Kinder“! rief Haneek empört.

„Aber Tante, schau doch Garron an. Er passt nicht in das Schema“, widersprach Leerra.

„Ja, er ist verantwortungsbewusst, zuverlässig und intelligent“, sagte Mateen, ergriff seine Hand und drückte sie. „Genau deshalb wollte ich ihn zum einzigen Ehemann haben.“

„Du willst nur den einen Mann“? fragte Haneek erstaunt. „Wer wird dann für dich arbeiten?“

„Ich sorge selbst für mich, das gebietet mir meine Selbstachtung“, erwiderte Mateen stolz.

Leerra sah die beiden nachdenklich an. „Das würde mir auch gefallen. Wie hast du dich verändert“? wandte sie sich wieder an Garron.

„Dr. Bashir gab mir viele Texte aus verschiedenen Kulturen, die sich mit der Schulung des Charakters befassen. Dort las ich von Möglichkeiten, sich selbst zu entwickeln. Ich habe aus den Schriften das entnommen, was unserem Charakter entspricht. Einiges von dem Volk der Vulkanier, einiges von den Trill und auch einiges von den Bajoranern.“

Garron übersah die Missbilligung in Haneeks Gesicht und erzählte weiter. „Aus den verschiedenen Lehren schrieb ich eine Anleitung für junge Skrreeaner.“ Aus dem Hintergrund des Raumes kam ein überraschter Ausruf. Gai hatte sich aufgerichtet und sah Garron mit großen Augen an. „Kann ich das auch lesen? Darüber möchte ich mehr wissen!“

Leerra grinste. „Jetzt gibt es eine Revolution“, flüsterte sie Mateen zu. Haneek schwieg. Nun sprach Mateen weiter: „Wir haben eine Vereinigung gegründet, wir nennen sie `Neuer Morgen`. Jetzt, wo wir einen eigenen Planeten haben, jetzt, wo wir endlich frei sind, wollen wir kein gespaltenes Volk mehr sein. Durch konsequente fachkundige Schulung werden wir die Jungen zu gleichberechtigten Mitbürgern erziehen. Wir sind nur drei Millionen Skrreeaner, wir können es uns nicht leisten, das Potential der Hälfte der Bevölkerung brach liegen zu lassen!“

Haneek stand ruckartig auf, trat ans Fenster und wandte den Anderen ihren Rücken zu. Die Dämmerung legte sich über die Ebene, nur die Kuppen der Hügel leuchteten im Abendlicht.

„Vielleicht ist das ein bisschen viel auf einmal für sie“, dachte Leerra. Ihr gefielen die Ideen, von denen sie hier hörte. Mateen hatte Recht. Sie würde sich mal näher mit dem `Neuen Morgen` befassen.

Plötzlich erhob sich Cowl vom Sofa, ging in sein Zimmer, kam mit einem schweren Beutel zurück und leerte ihn auf dem Tisch. Bunte Steine und Metalle rutschten über die Tischplatte. „Die habe ich gesammelt. Kannst du mir sagen, wie sie heißen“? fragte er Garron.

Haneek drehte sich um. „Ich wusste gar nicht, dass du dich dafür interessierst“, sagte sie erstaunt. „Du weißt vieles nicht“, murmelte Gai aus dem Hintergrund. „Was denn noch nicht? Was kommt hier noch alles zu Tage“? schnappte Haneek.

„Ich will Technik lernen! Ich will Maschinen reparieren und eines Tages will ich wieder in einem Raumschiff fliegen“! schrie Gai los und rannte aus dem Zimmer.

Fassungslos sah Haneek ihm nach. „Unsere Raumschiffe sind zu alt und verbraucht, sie werden nicht mehr lange fliegen“, rief sie ihm nach.

„Dann wird es Zeit, dass wir neue bauen“, warf Garron ein. Ein böser Blick aus Haneeks Augen ließ ihn verstummen.

„Aber woher sollen wir die Kenntnisse und die Materialien bekommen“? fragte Leerra traurig. Mateen lächelte zuversichtlich. „Steht nicht in unseren Schriften, dass, wenn wir Kentanna besiedelt haben und nach alter Weissagung in ein Paradies verwandeln werden, uns der Himmel Hilfe schicken wird“? fragte sie leise. „Die alten Schriften haben uns hierher geführt. Der Himmel wird uns jemanden senden, der die Weissagung erfüllt. Ich bin ganz sicher.“

Garron und Cowl sprachen über die verschiedenen Gesteine und hatten nicht zugehört. Sie steckten die Köpfe zusammen und drehten die Steine hin und her, bis sie im Licht der Lampe farbig aufleuchteten.

Haneek fühlte sich bis ins Innerste erschöpft. „Geht zur Ruhe und lasst mich allein“, befahl sie. Gehorsam standen die jungen Leute auf, gingen in die hinteren Räume und ließen Haneek in der plötzlichen Stille zurück.

„Ich brauche Luft“, sagte sie sich und trat aus der Tür in den Garten. Späte Blumen dufteten in den Beeten und von den Hügeln strich eine würzige Brise über ihre Wangen. Es war inzwischen ganz dunkel geworden. Haneek blickte zum Himmel empor. Die hellsten Sterne kannte sie schon mit Namen: Jota Persei, Kressari, Caldik der Weiße, Galador der Rote und dort hinten noch Trill. Im Frühling sah man auch eine kleine gelbe Sonne, das war Sol, zweiunddreißig Lichtjahre entfernt, der Ursprungsort der Föderation, zu deren Gebiet die Draylon-Sonne gehörte. Die Herbstluft war sehr klar heute Nacht. Ganz nahe bei Trill konnte man sogar die roten Nebelfetzen der Badlands erkennen, die noch viel weiter entfernt waren.

Sollte man die Föderation um Hilfe bitten? Was hätte Tumak wohl dazu gesagt?

Sie vermisste ihren verunglückten Sohn so sehr. Es stimmte, er war widerspenstig und trotzig gewesen, aber er war ihr Sohn und stolz darauf, Skrreeaner zu sein. Nein, sie wollte die Föderation nicht bitten, sie würden es allein schaffen.

Langsam ging Haneek die weichen Gartenwege auf und ab. Widerstrebend musste sie Mateen und Garron Recht geben. Ihr Volk musste sich den neuen Bedingungen anpassen, die Herausforderungen der Besiedlung waren groß. Jeder Einwohner musste sein Bestes geben. Bei ihr selbst musste die Veränderung beginnen. Hatte sie nicht das `Auge des Universums` gefunden? Sie schämte sich, Gai und Cowl so wenig zu kennen, dass sie nicht einmal ihre Wünsche und Träume wusste. War es der Planet, der sie herausforderte, das neue freie Leben? So musste es sein. Freiheit verändert den Charakter, macht stark und selbstbewusst.

Noch lange saß Haneek im Sternenlicht vor ihrer Haustür und rang mit sich. Aber als sie endlich ins Haus ging, hatte sie einen festen Entschluss gefasst. Bei der Versammlung in zwei Tagen würde sie sich für die Ziele des `Neuen Morgen` einsetzen. Das würde ein harter Kampf werden. Grimmig lächelnd schloss sie die Tür hinter sich.

Neelix wusste sofort, dass etwas schief gelaufen war.

Den Bruchteil einer Sekunde lang schienen sich die Anzeigen auf den Bildschirmen zu verlangsamen und das Licht verdämmerte im Dunkelrot. Aber so schnell wie die Erscheinung gekommen war, verschwand sie wieder und Neelix fragte sich, ob ihm seine Augen einen Streich gespielt hatten.

Neben ihm schälte sich Dexa aus ihrem Schutzpolster, aber Tarax war schneller und stürzte zu den Instrumenten.

„Die Daten, die Daten sind ganz anders als vorherberechnet!“ rief er bestürzt.

„Oh nein“, Rixa versuchte an ihm vorbeizusehen.

„Was ist los? Was ist passiert?“ fragte Oxilon und öffnete die Sicherheitsgurte.

„Wir wissen es noch nicht“, antwortete Neelix und gab verschiedene Daten in den Computer ein. „Jedenfalls sind wir nicht dort, wo wir sein sollten.“

„Brax, räum die Polster weg“, wandte sich Dexa an ihren Sohn und drückte ihn kurz und heftig an sich. „Und dann geh bitte wieder in die Schule und kümmere dich um die Kleinen.“

Brax nickte, stolz auf die ihm übertragene Verantwortung und machte sich an die Arbeit.

Neelix, Dexa, Tarax und Rixa arbeiteten hektisch an ihren Stationen. Oxilon stand hinter ihnen, blickte über ihre Schultern und versuchte, den Daten einen Sinn abzugewinnen. Nach einiger Zeit baute sich auf dem Bildschirm der Außenkameras eine Struktur auf.

„Was ist denn das? Kann mir jemand sagen, was wir da sehen?“ beugte sich Oxilon über das Bild.

Dexa regelte die Schärfeneinstellung der Kameras. Sie sahen die Oberfläche des Asteroiden. Dunkle Flecken zeigten das Schmelzen des Eises unter der Staubschicht an.

„Temperatur?“ fragte Neelix Rixa.

„380 K auf der Oberfläche und 420 K außerhalb des Schutzschildes.“ „Schutzschild intakt“, meldete Tarax.

„Sind wir unmittelbar bedroht?“ Oxilon konnte seine Besorgnis nicht verbergen. Tarax überflog die Anzeigen. „Nein, alle Systeme arbeiten einwandfrei. Aber Wasser sammelt sich in den unteren Höhlen.“ „Das haben wir ja auch erwartet“, atmete Rixa auf.

„Irgend eine Spur der Sonde?“ fragte Oxilon weiter. „Nein, die Sensoren registrieren gar keinen festen Körper in unserer Nähe, auch keine anderen Asteroiden. Aber schaut euch mal den Raum an, in den es uns verschlagen hat.“ Neelix führte die Optik über den Weltraum. Rote wabernde Lichtvorhänge und leuchtende Schleier verdeckten den Blick. Sie sahen weder Sterne noch den freien Weltraum, sie saßen im Innern von Energiefluktuationen.

„Ich habe eine Idee, lass mich mal“, schob Dexa Neelix beiseite. Mit flinken Fingern ließ sie die Außensonden ein kugelförmiges Abbild um den Asteroiden erstellen.

„Da, seht ihr? Die Energiestrukturen sind nicht in alle Richtungen gleich. Hier, in unserer Ost-West Richtung sind sie dichter als in unserer Nord-Süd Richtung. – Ich lasse den Computer jetzt die Energiedichte im Umfeld von einem Lichtjahr berechnen.“

Angespannt wartete die kleine Gruppe auf das Ergebnis.

„Ja, da haben wir das Problem“, rief Tarax, als das Bild erschien. Sie sahen ihren kleinen Himmelskörper inmitten einer langen Struktur aus flackernden Energiebändern.

„Ich lasse die Raumzeitspezifikationen berechnen“, überlegte Neelix. Dexa sah ihn an. „Denkst du dasselbe wie ich?“ „Vermutlich.“

Lange Reihen von Zahlen und Grafiken erschienen auf seinem Bildschirm. Dexa beugte sich über die Daten. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, als sie die Daten verglich. Dann richtete sie sich auf. „Ich glaube, wir sitzen in einem Spalt zu einem anderen Universum fest.“

„Und was tun wir jetzt?“ fragte Rixa und ergriff trostsuchend Tarax Hand. „Wir werden noch einige Zeit brauchen, um alle Ergebnisse richtig einzuordnen und ein genaues Bild von unserer Situation geben zu können“, sagte Dexa zu Oxilon gewandt.

„Dann werde ich mich in der Zwischenzeit davon überzeugen, dass es allen gut geht und verkünden, dass keine unmittelbare Gefahr droht“, entschied Oxilon und ging mit langen Schritten hinaus.

Die Vier in der Wissenschaftsstation sahen sich ernst an.

„Nun denn, da wollen wir doch mal sehen, was hier genau los ist“, wandte sich Dexa ihrer Station zu. Die anderen folgten ihrem Beispiel.

Zwei Tage später hatten sich die Verantwortlichen um den großen Tisch im Konferenzraum versammelt. Die Ergebnisse der Messungen sollten diskutiert werden.

Dexa hatte eine holografische Matrix eingerichtet, um die Daten anschaulich zeigen zu können.

Oxilon saß mit den Vertretern der Wohngruppen zusammen, auf der anderen Seite des Tisches hatten die Ingenieure und Wissenschaftler Platz genommen.

Dexa stand auf. „Danke, dass Sie sich hier eingefunden haben.“

„Es geht schließlich um unsere Haut“, rief ein Gruppenvertreter dazwischen. „Ja, aber wir können Sie beruhigen, innerhalb der nächsten Zeit sind wir nicht in Gefahr.“

„Was heißt `innerhalb der nächsten Zeit`?“ Der Zwischenrufer ließ sich nicht so schnell beruhigen.

„Wenn Sie mich ausreden ließen, könnte ich es Ihnen erklären“, schnappte Dexa ärgerlich. „Auch wenn nicht jeder von Ihnen die gemessenen Daten interpretieren kann, hören Sie mir bitte erst einmal zu. Wir werden Sie über die Auswirkungen genau informieren. – Wir haben folgendes herausgefunden: Als wir unser Programm für die Gamma-Laser einschalteten, war die Sonde der Minengesellschaft noch inaktiv. Aber während des Countdowns änderte sich das. Ob die Sonde auf unsere Aktionen gewartet hatte, wissen wir nicht. Aber unglücklicherweise gab sie zu exakt derselben Zeit wie unsere Laser einen Energiestrahl ab, der sich mit unserer Energie in demselben Punkt traf. Wir hatten die notwendige Energiemenge für diesen Punkt genau berechnet und die unerwartete zusätzliche Energie hat dazu geführt, dass die Raumzeit in einem langen Riss aufgebrochen ist.“

Dexa sah in erschrockene Gesichter und beeilte sich, die Leute zu beruhigen. „Im Moment besteht keinerlei Gefahr. Die Temperatur von 420 K hält unser Schutzschild leicht ab. Auf unserer Oberfläche unter dem Schild ist die Temperatur auf etwa 300 K gesunken, dass heißt, das Eis ist geschmolzen und das Wasser füllt nun die unteren Höhlen. Unsere Technik der Wiederverwertung ist auf hohem Niveau und wir haben vorerst keine Wasserknappheit zu befürchten.“

Die Ingenieure nickten zustimmend.

„Dieses `Vorerst` gefällt mir nicht.“

Dexa reagierte nicht auf den Zwischenruf und fuhr fort: „Unsere Sensoren haben schon nach kurzer Zeit unsere Position im Riss vermessen können.“ Sie nickte Neelix zu und der aktivierte das Hologramm. Ein farbiges flackerndes Band schwebte über dem Tisch und in seiner Mitte hing die schwarze Kugel des Asteroiden.

„Wir wollten natürlich wissen, wie der Raum auf der jeweils anderen Seite beschaffen ist und haben Messsonden ausgesandt.“

Im Hologramm sah man zwei kleine Objekte, die einen Kreisbogen flogen und dabei den Raum jenseits des Bandes durchquerten.

„Wegen der starken Interferenzen konnten die Daten nicht gesendet werden, wir mussten die Rückkehr der Sonden abwarten. Wir konnten feststellen, dass sich hier“, Dexa zeigte auf die eine Seite des Bandes, „unser gewohntes bisheriges Universum befindet und hier“, sie zeigte auf die andere Seite, „haben wir ein anderes Universum aufgerissen.“

Ausrufe des Erstaunens schwirrten durch den Konferenzraum. Einige Talaxianer waren aufgesprungen und beugten sich über das Hologramm, als hofften sie, in das fremde Universum hineinschauen zu können.

„Wie ist es beschaffen?“, fragte einer der Ingenieure interessiert.

„Die Hintergrundstrahlung der Photonen ist blau verschoben, das heißt, die Energie nimmt zu, die Hubble-Konstante ist stark negativ und der Raum weist eine erhebliche positive Krümmung auf.“

„Es kollabiert!“, rief der Ingenieur erschrocken.

„Und was bedeutet das für uns?“, fragte Oxilon und strich sich über den Backenbart.

„Unsere Messungen besagen, dass wir uns langsam auf das fremde Universum zubewegen. In etwa sechs Wochen werden wir hineingezogen“, antwortete Neelix. „Wie lange es noch dauert, bis das andere Universum in eine Singularität kollabiert, können wir nicht sagen, der Prozess wird beschleunigt ablaufen. Aber schon lange vorher wird die Energie auf enorme Werte ansteigen, so dass kein Leben mehr möglich ist.

„Wir wissen ja auch gar nicht, ob die Naturkonstanten dort überhaupt Leben ermöglicht haben“, warf Tarax ein.

Betroffenes Schweigen.

„Also nichts wie weg hier!“ rief jemand vom anderen Ende des Tisches.

„Wir arbeiten daran“, erklärte Dexa. „Um uns aus dem Riss zu befreien, müssen wir einen enormen Rückstoß aufbauen und wir untersuchen gerade, ob und wie wir die Umgebungsenergie anzapfen können.“

„Wie können wir helfen?“ fragte einer der Ingenieure.

„Wir bilden ein Team, das alle möglichen Ideen diskutiert“, bestimmte Oxilon. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und die Anwesenden standen auf, um ihre Wohngruppen zu informieren.

„Ich bin noch gar nicht ganz zu Ende mit meinen Ausführungen“, versuchte Dexa sie vergebens aufzuhalten.

„Was willst du noch vortragen?“ fragte Oxilon und wandte sich ihr zu. „Die Zeit, wir haben noch gar nicht über die Zeit gesprochen!“ „Doch, haben wir“, widersprach Rixa.

„Nein, nicht über das seltsame Wesen der Zeit“, sagte Dexa leise. Oxilon hob die Augenbrauen. „Das seltsame Wesen der Zeit?“ wiederholte er. „Ja, wir wissen gar nicht, ob der Zeitablauf hier im Riss derselbe ist, wie in unserem Universum, ganz zu schweigen von dem fremden.“

„Heißt das, es könnten Jahrhunderte vergangen sein, wenn wir in unseren Raum zurückgekehrt sind?“ fragte Rixa ängstlich.

„Ja, möglich wäre das“, nickte Neelix. „Da wir in dieser Zeit feststecken, können wir selbst nicht feststellen, ob ein anderer Zeitverlauf als der vorherige vorliegt, und wir können nichts tun, um das zu ändern.“

„Wir sollten also keine Zeit verschwenden und uns sofort an die Arbeit machen.

Je länger wir warten, desto mehr Schub brauchen wir. Ich stelle das Team zusammen.“ Tarax strebte eilig zum Ausgang und Rixa folgte ihm.

„Ich bin dankbar, dass wir wenigstens eine Weile nicht in akuter Gefahr sind, es hätte viel übler ausgehen können“, versuchte Oxilon Zuversicht zu verbreiten. Neelix und Dexa stimmten ihm seufzend zu und machten sich auf den Weg zur Wissenschaftsstation.

„Warum hast du deine andere Vermutung nicht angesprochen?“ fragte Neelix, als sie nebeneinander durch den Korridor gingen.

„Ich wollte sie nicht noch mehr ängstigen.“

„Aber du bist dir sicher?“

„Ja, an den Randbereichen der Energiefluktuationen habe ich auf der einen Seite von uns eine Blauverschiebung gemessen, auf der anderen eine Rotverschiebung, das sind eindeutige Zeichen für eine Relativbewegung des Bandes im Raum.“

„Wir können also im Falle des Entkommens nicht vorher sagen, wo wir uns in Zeit und Raum befinden werden“, stellte Neelix fest. „Du hast Recht, da wir es nicht ändern können, schweigen wir vorerst besser.“

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