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Vinculum

von Syrinx

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*Einsam gefesselt

... und inmitten der Dunkelheit unseres Lebens kreuzen sich unsere Wege...*

Kathryn betrat die Krankenstation.

„Wie geht es ihr, Doktor?“

Der Doktor wandte sich von der Konsole ab, an der er gerade gearbeitet hatte, und sah sie besorgt an.

„Ich habe leider keine guten Neuigkeiten, Captain. Der ständige Wechsel der Persönlichkeiten zehrt sehr an Seven, sie wird immer schwächer. Ich weiß nicht, wie lange sie das noch durchhalten kann, ohne das ihr Körper Schaden nimmt. Von den psychologischen Folgen will ich gar nicht erst reden.“

Kathryn schluckte und blickte hinüber zu Seven, die still auf dem Diagnosebett lag.

„Kann ich mit ihr sprechen?“

Der Doktor nickte und folgte dem Blick des Captains.

„Im Moment habe ich sie ruhig gestellt. Sie müsste aber jeden Moment wieder zu sich kommen. Wie kommen sie mit dem Vinculum voran?“

Kathryn zwang sich, ihren Blick von Sevens reglosen Körper loszureißen. Es schmerzte sie, die junge Drohne so zu sehen. Sie hatte Mühe, sich auf den Doktor und seine Fragen zu konzentrieren.

„B’Elanna arbeitet noch daran. Es passt sich immer wieder an unsere Dämpfungsfelder an, sodass wir nicht in der Lage sind, es abzuschalten. Wir suchen noch nach den Parametern für das Feld, welche das Vinculum nicht mehr einfach umgehen kann.“

Der Doktor nickte. Dann sah er wieder auf seine Konsole und tippte ein paar Kommandos ein. Kathryn ging hinüber zu Seven und blieb einige Zentimeter vor dem Kraftfeld stehen, welches den Bereich um das Diagnosebett von dem Rest der Krankenstation abschirmte. Sie hätte nie gedacht, dass der Anblick der jungen Ex-Borg in diesem Zustand sie so mitnehmen würde. Der Klumpen in ihrem Magen zog sich stärker zusammen und Kathryn wunderte sich wieder einmal darüber, dass sie so starke Gefühle für sie empfand. Sie hatte es sich schon vor längerer Zeit mit einigem Widerwillen eingestehen müssen, das sie Seven nicht wie jedes andere Crewmitglied behandelte. Seven war etwas Besonderes. Einzigartig. Durch sie, Kathryn, wurde sie zu einem Individuum. Sie persönlich war für Sevens Entwicklung verantwortlich, für ihre Fortschritte auf ihrem langen Weg zur Menschlichkeit. Sie war ihre Schülerin. Und sie würde verdammt noch mal dafür sorgen, dass dies auch so blieb.

Plötzlich bewegte sich Seven auf dem Diagnosebett und riss Kathryn aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf und blickte sich desorientiert um.

Dann wandte die Drohne den Kopf und blickte ihr in die Augen. Überraschung und Freude standen ihr auf einmal ins Gesicht geschrieben, aber auch die Spur eines Zweifels.

„Kath?“

Sevens Stimme klang rauh. Kathryn hob die Augenbrauen. Seit wann nannte Seven sie „Kath“?

„Seven?“

„Kath, du bist es wirklich! Ich dachte, du wärest tot! Das ist ja eine Überraschung! Komm her, lass dich umarmen!“

Kathryn war instinktiv einige Schritte von dem Kraftfeld zurückgetreten. Sie blickte Seven verwirrt an. War das eine der Persönlichkeiten des HIV-Bewusstseins? Aber das machte keinen Sinn, Kathryn kannte niemanden, der von den Borg assimiliert wurde.

„Wer sind Sie?“

„Sag mal, kennst du mich nicht mehr? So lange waren wir nun auch nicht getrennt!“

Kathryn signalisierte dem Doktor, der die Szene gebannt verfolgt hatte, dass er das Kraftfeld entfernen sollte. Dann ging sie zögernd auf Seven zu.

„Wer sind Sie?“

Seven legte ihre Arme um Kathryn, zog sie fest an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.

Kathryn war so verdattert, dass sie keine Gegenwehr leistete. Als sie sich wieder gefangen hatte, versuchte sie, sich von Seven zu lösen, doch diese hielt sie unbarmherzig fest. Schließlich unterbrach die Borg den Kuss und blickte sie, nach Atem ringend, an.

„Na, ist der Groschen gefallen? Ich bin es, Mark!“

Kathryn glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Mark? Sie griff Halt suchend hinter sich, während ihr der letzte Satz dröhnend durch den Kopf schoß. Mark? Doch ihre Hände fanden keinen Halt. Sie glaubte schon, zu fallen, als sie von Seven aufgefangen wurde.

„Kath, was ist nur los mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?“

Kathryn betrachtete das Gesicht der jungen Frau, welches nur wenige Zentimeter über ihrem eigenen hing.

„Mir geht es gut“, flüsterte sie kaum hörbar.

Seven strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange.

„Du bist noch genauso schön wie vor drei Jahren.“

Vor drei Jahren? In Kathryns Kopf begann es zu arbeiten. Sie waren bereits seit etwas mehr als vier Jahren im Delta Quadrant verschollen.

Sie blickte auf zu Seven, welche ihr mit dem Handrücken über die Schläfe fuhr. Kathryn befreite sich aus ihrem Griff und richtete sich wieder auf. Mark betrachtete sie verwirrt und verletzt.

„Wie bist du hierher gekommen?“

„Ich war unterwegs zu einer Tagung auf Vulkan, „Die Vereinbarkeit der vulkanischen und der irdischen Philosophie am Beispiel von Sartre und Sarek und die daraus resultierenden Konsequenzen“. Wir mussten aufgrund eines Ionensturms einen Umweg durch eine kaum kartographierte Region des Alls fliegen, wo wir auf einen einzelnen Borg-Kubus trafen. Unser kleines Shuttle hatte keine Chance. Und dann war ich plötzlich hier.“

Mark blickte sich zum ersten Mal richtig um.

„Wo sind wir eigentlich?“

Kathryn hatte ihm wachsendem Entsetzen zugehört. Normalerweise hätte sie einen spöttischen Kommentar über das wie immer abstruse Thema seiner Tagung abgegeben, doch sie fühlte sich wie gelähmt. Mark war assimiliert worden! Würde dieser Alptraum nie enden? Sie hatte geglaubt, den Borg entgangen zu sein, sie befanden sich weit außerhalb ihres Territoriums. Und nun das. Kathryn begann sich zu fragen, ob die Borg sie bis an ihr Lebensende verfolgen würden. Bis jetzt sah es ganz danach aus.

„Wir befinden uns auf der Krankenstation der Voyager. Mein Schiff, du erinnerst dich?“

„Wie könnte ich das je vergessen! So besessen wie du davon warst! Du hast in den letzten Wochen vor deinem Abflug von nichts anderem mehr gesprochen!“

Mark trat wieder auf Kathryn zu und legte seine Arme um sie.

„Ich habe dich so vermisst.“

Kathryn befreite sich wieder aus der Umarmung und entfernte sich einige Schritte von ihm. Wieder warf er ihr einen zutiefst verletzten Blick zu.

„Kathryn, was...“

In diesem Moment öffneten sich zischend die Türen der Krankenstation, und Commander Chakotay trat ein. Er ging hinüber zum Doktor, der die Geschehnisse mit wachsendem Interesse beobachtet hatte.

„Wie geht es Seven?“

„Das ist wirklich interessant, Commander. Es scheint, als wäre der Verlobte des Captains ebenfalls von den Borg assimiliert worden. Seine Persönlichkeit hat im Moment ihren Körper übernommen.“

Chakotay runzelte bei den Worten des Doktors die Stirn, doch dieser fuhr unbeeindruckt fort.

„Was mir Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass sich die Persönlichkeit Mr. Johnsons zu festigen beginnt. Sevens neurales Muster wird immer schwächer, während seines an Stärke gewinnt.“

„Können Sie das nicht verhindern?“

„Der Kortikalinhibitor unterdrückt normalerweise die anderen Persönlichkeiten, doch seine Wirkung scheint nachzulassen. Es tut mir leid, aber ich denke, ich bin mit meinem Latein am Ende. Wenn es B’Elanna nicht bald gelingt, das Vinculum abzuschalten, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.“

Der Doktor blickte den Commander scharf an.

„Sie haben ja gesehen, was mit dem Kubus da draußen passiert ist.“

Chakotay nickte, er würde B’Elanna noch einmal Dampf machen. Er ging zu Kathryn und Seven hinüber.

„Alles klar, Captain?“

„Chakotay! Wie kommt B’Elanna mit dem Vinculum voran?“

„Sie arbeitet daran, kann aber nicht sagen, wie lange sie noch braucht. Es ist ziemlich widerspenstig.“

Er blickte zu Seven.

„Und wie geht es ihr?“

„Es kommen ständig neue Persönlichkeiten zum Vorschein. Im Moment...“

Chakotay nickte und blickte Kathryn an.

„Der Doktor hat es mich bereits informiert.“

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Wenn Sie jemanden brauchen... Ich bin im Maschinenraum.“

Kathryn nickte. Chakotay warf Seven noch einen letzten verwirrten Blick zu, dann verließ er die Krankenstation. Mark griff Kathryn am Arm.

„Wer war das denn?“

Kathryn blickte in das nun bestürzt und, es war kaum zu glauben, verletzt blickende Gesicht der blonden Frau.

„Chakotay, mein erster Offizier.“

Mark nickte.

„Verstehe. Drei Jahre sind eine lange Zeit.“

Kathryn betrachtete ihren Gegenüber ungläubig.

„Das hast du falsch verstanden, wir sind bloß Freunde. Ich darf keine Liaison mit einem Untergebenen eingehen, das weißt du doch. Hör zu, ich muss auf die Brücke. Ich schaue in einer Stunde wieder vorbei.“

Sie musste diesen Raum verlassen und ihre Achterbahn fahrenden Gedanken sortieren, bevor sie sich weiter mit Mark auseinandersetzen konnte.

Als sie in ihrem Stuhl Platz genommen und sich über die aktuelle Situation berichten lassen hatte, lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. ‚Marks Geist in Sevens Körper, Halleluja. Hoffentlich findet der Doktor schnell einen Weg, Sevens Persönlichkeit wieder ans Licht zu bringen. Ansonsten würde der Rest unserer Reise, ach, was sage ich, der Rest meines Lebens doch recht... interessant werden. Immerhin wollten wir heiraten. Oh Gott, wir wollten heiraten!‘

Sie strich sich mit einer Hand entnervt über die Stirn und öffnete ihre Augen wieder. Sie blickte hoch, direkt in Tuvoks dunkle Augen, welche sie eindringlich musterten.

„Fühlen Sie sich nicht wohl, Captain?“

Kathryn zögerte. Für einen kurzen Moment überlegte sie, Tuvok in ihre verworrenen Gefühle einzuweihen. Ein bisschen vulkanische Logik würde ihr sicher nicht schaden, und Tuvoks Ratschläge halfen ihr normalerweise immer, Schwierigkeiten objektiv und mit der nötigen Distanz zu betrachten. Diese Sache war jedoch anders. Hier ging es nicht um einen klugen Schachzug in einem Kampf oder um ein Kommandoproblem. Sie hatte das Gefühl, dass sie allein mit damit fertig werden musste.

„Doch, mir geht es gut, Tuvok. Ich denke, ich gehe B’Elanna und Chakotay unten im Maschinenraum etwas zur Hand.“

Kathryn lag schon seit zwei Stunden schlaflos in ihrem Bett und starrte die Sterne über sich an, als die Türglocke ertönte. Sie erhob sich, zog sich einen Morgenmantel über und signalisierte dem Computer, die Tür zu öffnen. Seven –‚nein, Mark‘- stand in der Türöffnung und blickte sich neugierig und unsicher um, ehe er den Raum betrat. Sein Blick fiel auf Kathryn und er lächelte.

„Immer noch Probleme, einzuschlafen?“

Kathryn lächelte zurück und nickte.

„Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Nimm Platz. Willst du etwas trinken?“

„Tee wäre schön.“

Kathryn nickte und ging hinüber zum Replikator, während sich Mark auf der Couch niederließ. Sie stellte die Getränke auf den Tisch und nahm auf dem Sessel ihm gegenüber Platz. Er hatte damit begonnen, Tee für sie beide einzuschenken. Sie betrachtete ihn. Der enge Catsuit war einer weiten, bequemen Hose und einem T-Shirt gewichen. Dies erschreckte Kathryn, es wirkte so endgültig. Sie folgte seinen Bewegungen, wie er die Teekanne hob und sie mit ruhigen, sicheren Händen, von welchen eine mit einem Borg-Implantat überzogen war, wieder abstellte. Dann lehnte er sich zurück und verschränkte seine Arme vor der Brust. Kathryn schüttelte den Kopf und blickte hinunter auf ihre Hände. Es war verrückt zu sehen, wie Sevens Körper Bewegungen ausführte, die so typisch für Mark waren. Selbst ihre -seine- Augen waren verändert. Sie blickten nicht mehr kühl und emotionslos, auch die Spur Arroganz, die so typisch für Seven war, war verschwunden. Dafür glaubte sie etwas von Marks Nachdenklichkeit und Sanftheit in ihnen zu entdecken.

„Du hast dich verändert.“

Seine Worte rissen Kathryn aus ihrer Versunkenheit. Selbst Sevens Stimme war anders. Sie klang weich und mitfühlend, ohne den Anflug ihrer gewohnten Überheblichkeit. Sie schluckte den Kloß, der ihr die Kehle zuschnürte, hinunter, stand auf und ging hinüber zum Fenster. Draußen zogen die Sterne in Streifen vorbei.

„Vier Jahre sind eine lange Zeit.“

Er hatte jede ihrer Bewegungen verfolgt.

„Ich hätte dich beinahe nicht wiedererkannt. Du hattest noch nie kurze Haare.“

Kathryn zuckte mit den Schultern.

„Es ist praktischer so.“

Stille senkte sich über den Raum, als beide nach Worten suchten. Kathryn starrte hinaus in die endlose Dunkelheit des Alls. Früher hatten sie beide so viel zu besprechen gehabt, Momente der Stille waren selten und kostbar gewesen. Und es war immer eine angenehme Stille gewesen. Jetzt lastete sie auf ihnen, stand zwischen ihnen wie eine dicke Mauer.

Mark hatte seine Augen nicht von Kathryn abgewandt. Es stimmte, er hätte sie wirklich beinahe nicht wiedererkannt. Sie wirkte knochig, sie musste eine ganze Menge Gewicht verloren haben. Die Wärme in ihren Augen war einer kühlen Härte gewichen. Auch der Funken Enthusiasmus, den er immer in ihren Augen entdeckt hatte, wenn sie zusammen waren, war verschwunden. Und seit wann schminkte sie sich so stark? Um den Lippenstift, den sie jetzt trug, hätte die Kathryn, die er kannte, einen großen Bogen gemacht.

Er räusperte sich und durchbrach die Stille.

„Erzählst du mir ein bisschen von deinen Erlebnissen im Delta Quadrant?“

Kathryn schloss kurz die Augen. Was sollte sie ihm erzählen? Bilder von New Earth, von ihrer Zeit auf dem namenlosen Planeten im Hanon-System, von Kashyk zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Ransom, Noah Lessing, die Equinox kamen ihr in den Sinn. Nein, Mark würde ihren Part in dieser Sache nicht verstehen. Was blieb noch? Viele kleine, unbedeutende Begegnungen mit verschiedensten Lebewesen, unwichtig und uninteressant. Spezies 8472. Wie könnte sie ihm erzählen, dass sie halb gehofft, halb gefürchtet hatte, ihm in der Nachbildung des Sternenflottenhauptquartiers zu begegnen? Und natürlich die Borg. Seven.

Als hätte Mark ihre Gedanken gelesen, fragte er sie nach Seven.

„Wie kommt es, dass eine ehemalige Borg auf deinem Schiff ist?“

Kathryn wandte sich ihm zu.

„Das ist eine lange Geschichte.“

Kathryn wusste selbst nicht genau, warum ihr der Gedanke, ihm Sevens Geschichte zu erzählen, solches Unbehagen bereitete. Seven gehörte zu einem Teil ihres Lebens, welcher mit Mark nichts zu tun hatte. Genauso wie Chakotay, wie die gesamten vergangenen vier Jahre.

Doch Mark ließ nicht locker.

„Wir haben noch die ganze Nacht Zeit.“

Kathryn seufzte, ging hinüber zu ihrem Sessel und ließ sich hineinfallen.

„Sternzeit 50984.3. Wir hatten die Grenze zum Territorium der Borg überflogen und fünfzehn Kuben schienen uns bereits auf den Fersen zu sein.“

Sie lehnte sich nach vorn und entspannte sich etwas, während sie sprach. Sie erzählte von ihrer ersten Begegnung mit Spezies 8472, von Kes‘ Fähigkeit, mit ihnen zu kommunizieren, von Harrys Infektion und von der Allianz mit den Borg, zu welcher sie sich gezwungen gesehen hatte. Von ihren Differenzen mit Chakotay berichtete sie nicht. Das war eine Sache zwischen ihrem Ersten Offizier und ihr, welche niemanden sonst etwas anging. Schließlich erzählte sie Mark von Sevens Trennung vom Kollektiv und ihren anfänglichen Schwierigkeiten, sich an das Leben auf der Voyager zu gewöhnen.

Als sie geendet hatte, griff sie nach ihrer Teetasse und nahm einen tiefen Schluck, um ihre vom Reden trockene Kehle zu befeuchten.

Mark hatte sie, während sie gesprochen hatte, nicht aus den Augen gelassen.

„Du hast sie sehr gern.“

Kathryn stellte ihre Tasse auf den Tisch, sah ihn fragend an und wandte dann den Blick ab.

„Wie könnte ich sie nicht gern haben? Ich bin für das größte Trauma ihres Lebens verantwortlich und doch bringt sie mir soviel Vertrauen und Achtung entgegen. Sie verlässt sich auf mich.“

Kathryn erhob sich abrupt aus dem Sessel und trat wieder vor das Fenster. Genau das war das Problem. Seven verließ sich auf sie und was tat sie? Nichts. Sie tauschte Anekdoten mit ihrem vor einem Jahr verstorbenen Verlobten aus, während Sevens Bewusstsein im Chaos des Vinculums unterging.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Mark aufstand und zu ihr hinüberging. Er legte ihr Sevens schlanke Hände auf die Schultern und drückte sie mitfühlend. Dann drehte er Kathryn zu sich um und blickte sie ernst an.

„Es tut mir leid, Kath. Ich dachte immer, dass alles wieder so werden würde wie früher, wenn du zurückkämst. Für kurze Zeit glaubte ich sogar, dass hier alles wieder so werden würde wie früher. Dass wir vielleicht auf der Voyager eine Zukunft hätten. Doch du bist nicht mehr die Kathryn, die ich kenne. Die ich liebe. Dieser Körper gehört nicht mir. Ich gehöre nicht hierher. Ich bin damals gestorben.“

Kathryn spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Sie wollte etwas sagen, doch Mark legte ihr einen Finger auf die Lippen.

„Ich möchte dir nur noch eines sagen, Kath. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass wir uns verabschieden können. In all diesen drei Jahren verging kein Tag, keine Stunde, in der ich nicht an dich gedacht habe.“

Eine einzelne Träne rollte Kathryn die Wange hinunter.

„Ich habe dich vermisst. Ich bin so allein.“

Kathryns Stimme zitterte. Mark strich ihr die Träne von der Wange.

„Du bist nicht allein, Kath. Du hast eine wundervolle Crew und ein tolles Schiff. Du bist stark. Du schaffst das. Du bist meine Kath.“

Er zog sie näher an Sevens schlanken Körper.

„Ich werde auf dich warten.“

Kahtryn blickte hoch in Sevens Augen und fand Mark darin. Seine Persönlichkeit, seine Liebe für sie, seine Trauer waren deutlich zu sehen. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Wenn sie ihn nur ein letztes Mal noch hätte sehen können...

In der Sekunde, bevor sich ihre Münder trafen, schien die Welt stehen zu bleiben. Sie sah Marks Augen, sie spürte Sevens Hände auf ihrem Gesicht, wie ihre Daumen ihre Wangen streichelten. Dann schloss sie ihre Augen und verlor sich in dem Gefühl, von Mark mit Sevens Lippen geküsst zu werden.

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Kathryn betrat schnellen Schrittes die Krankenstation und sah sich entnervt nach dem Doktor um. Mark hatte sie gestern Abend abrupt verlassen, und sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. B’Elanna war einer Deaktivierung des Viculums nicht näher gekommen, und die Zeit lief ihnen langsam, aber sicher davon. Am liebsten würde sie das blöde Ding einfach ins Weltall beamen und mit Photonentorpedos beschießen, bis nichts größeres als ein paar Atome übrig bliebe. Aber natürlich würde es sich vorher anpassen.

„Computer, Medizinisch-holografisches Notfallprogramm initiieren.“

„Ah, guten Morgen, Captain.“

Der Doktor materialisierte vor ihr.

„Wie geht es Seven?“

Der Doktor seufzte, griff nach seinem Tricorder und ging hinüber zu Seven, die auf dem Diagnosebett lag.

„Als ich mich vor zwei Stunden deaktivert habe, schlief sie noch.“

Er scannte ihren Körper, der immer noch in tiefem Schlaf lag.

„Ihr Zustand ist unverändert, soweit ich das erkennen kann.“

Er klappte den Tricorder zu und warf Kathryn einen bedauernden Blick zu, ehe er in sein Büro zurückkehrte.

„Kath?“

Kathryn wandte sich Mark zu, welcher sie aus Sevens verschlafenen Augen anblinzelte. Sie starrte ihn an, unschlüssig, was sie sagen sollte. Mark seufzte, richtete sich auf und schwang die Beine aus dem Bett.

„Kath, es tut mir leid. Ich verstehe, dass die Situation schwierig für dich ist. Sie ist auch schwierig für mich. Aber du musst zugeben, dass ich Sevens Persönlichkeit nicht absichtlich unterdrücke. Also behandle mich bitte nicht, als wäre ich schuld an diesem Schlamassel. Wir können das sicher auch wie erwachsene Menschen hinter uns bringen.“

Kathryn starrte ihn wütend an.

„Deine Annäherungsversuche sind aber nicht sehr erwachsen, im Gegenteil. Sie verkomplizieren die ganze Sache nicht unerheblich.“

„Annäherungsversuche? Kathryn, wir sind verlobt! Es tut mir leid, dass ich das nicht einfach so vergessen kann, nur weil ich zufällig in einem Körper gefangen bin, der nicht mein eigener ist!“

„Genau das ist das Problem! Wir sind verlobt! Kannst du dir die Dimensionen der Entscheidung überhaupt vorstellen, die ich zu treffen habe? Entweder ich töte meinen Verlobten, oder ich überlasse Sevens Bewusstsein dem Chaos des Vinculums! Wie kann ich hier eine Entscheidung treffen?“

Kathryn vergrub ihr Gesicht in den Händen. Mark runzelte die Stirn.

„Mir war nicht bewusst, dass hier überhaupt eine Entscheidung zu treffen ist. Ich dachte, es wäre selbstverständlich, dass du Seven zurück holen würdest.“

„Verdammt, Mark! Ich will dich nicht verlieren.“ Sie flüsterte. „Nicht noch einmal.“

Mark war von der Liege gerutscht und legte seine Arme um sie.

„Ich weiß. Aber das hast du schon.“

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Kathryn saß auf der Brücke in ihrem Kommandosessel und tappte ungeduldig mit den Fingern auf die Armlehne. Diese verdammte Warterei machte sie noch wahnsinnig!

„Janeway an Maschinenraum. Status.“

„Torres hier. Wir haben inzwischen einen Großteil der Parameter isoliert, Captain. Nun fehlt nur noch die genaue Ausrichtung des Feldes und die Frequenz, und wir können das Vinculum abschalten. Ich schätze, dass wir in etwa einer halben Stunde soweit sind.“

„Gute Arbeit, Lieutenant. Janeway Ende.“

Sie erhob sich und übergab die Brücke an Tuvok, ehe sie den Turbolift betrat und sich auf den Weg zur Krankenstation machte.

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Mark lag immer noch auf dem Diagnosebett, als Kathryn den Raum betrat. Er blickte auf und legte das PADD beiseite, in welchem er gelesen hatte.

„Was liest du da?“

Mark lächelte ihr vielsagend zu.

„Dantes ‚Inferno‘.“

„‚In der Mitte der Reise unseres Lebens fand ich mich verirrt in einem dunklen Wald, wo der direkte Weg verloren gegangen war.'“

Marks Augen wirkten plötzlich traurig.

„Eine ziemlich genaue Beschreibung meiner derzeitigen Gefühlslage.“

Kathryn ging zu ihm hinüber und legte ihre Hand auf Sevens schmale Schulter.

„Was ist los?“

Er lächelte sie an.

„Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken in den letzten Tagen. Der Tod ist, trotz all unserer Technologie, immer noch ein großes Mysterium. Was passiert, wenn wir sterben? Gibt es ein Nirvana, gibt es ein Sto’Vo’Kor? Oder hören wir einfach auf zu existieren? Nimm die Borg. Wenn jemand assimiliert wurde, wird er als tot betrachtet. Aber dennoch existiert das, was wir wohl Seele nennen, im Vinculum des Kubus weiter. Die Seele existiert, getrennt von Körper und Bewusstsein, etwas, das eigentlich für unmöglich gehalten wurde.“

Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Ich weiß langsam einfach nicht mehr, was ich glauben soll. Ich hielt den Zustand im Vinculum für den Tod. Aber jetzt...“

Kathryn hatte ihm gebannt zugehört, doch jetzt überkam sie die Neugier.

„Was ist das für ein Zustand?“

Mark runzelte die Stirn.

„Es ist schwer zu beschreiben, ich habe nur bruchstückhafte Erinnerungen daran. Es ist einfach Existenz, die Essenz des Seins. Keine Gedanken, keine Gefühle. Es gibt keinen Anfang, kein Ende, nichts, was wir unter Ziel verstehen. Es ist eine Art Schwebezustand.“

Kathryn blickte ihn verwirrt an.

„Keine Gedanken? Das bedeutet, man ist sich nicht bewusst, das man dort ist?“

„Doch, in gewissem Sinne schon. Aber es spielt keine Rolle. Raum, Zeit, all diese Dinge sind... irrelevant.“

Kathryn nickte. Plötzlich verdunkelte sich ihr Blick, und eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen.

„Und wenn wir das Vinculum abschalten, töten wir all diese Seelen. Das können wir nicht tun!“

Mark strich ihr beruhigend über den Arm.

„Sie sind schon tot, Kath. Ihr habt das Trümmerfeld gescannt, keine Überlebenden.“

„Dennoch ist ihr Bewusstsein noch im Vinculum. Wenn wir ihnen Körper geben könnten, wären sie wieder so lebendig wie du es jetzt bist!“

„Kath! Woher willst du diese Körper nehmen?“

Kathryn begann, nervös auf und ab zu laufen.

„Wir könnten Hologramme erstellen... Aber so viele Hologramme, das würde unseren Datenspeicher völlig überlasten, von den Holoemittern ganz zu schweigen...“

Mark war von der Liege aufgestanden und hatte sie an den Schultern gepackt.

„Kathryn! Du verrennst dich da in eine utopische Idee! Das ist niemals durchführbar. Sie sind tot, du kannst nichts mehr für sie tun.“

Er flüsterte ihr ins Ohr.

„Du kannst nicht jeden retten. Du hast alles getan, was du konntest, mehr sogar. Akzeptiere es als das Menschenmögliche und sei stolz darauf.“

Sie trat einen Schritt zurück, um ihm in die Augen sehen zu können. In diesem Moment erklang Tuvoks Stimme über die Comm.

„Tuvok an Captain Janeway. In ein paar Minuten wird Lieutenant Torres das Vinculum abschalten.“

Kathryn sah zweifelnd zu Mark, der ihr zunickte.

„Fahren Sie fort, Lieutenant. Gute Arbeit. Janeway Ende.“

„Dann heißt es also, Abschied nehmen.“

Sie nickte und eine einzelne Träne rollte ihr die Wange herunter. Er nahm sie in den Arm und raunte ihr ins Ohr.

„Erinnerst du dich an unseren ersten gemeinsamen Urlaub an der spanischen Küste? Nur Molly, du und ich. Und die Mücken natürlich. Gott, wie waren wir zerstochen! Du hattest einen Stich auf der Wange und sahst aus, als hättest du eine Kartoffel im Mund. Und Molly hat den ganzen Tag nach Mücken gejagt und versucht, sie aus der Luft zu fangen.“

Kathryn musste gegen ihren Willen lächeln. Allein bei der bloßen Erinnerung an diese Zeit konnte sie die Wärme der Sonne und das Prickeln des Salzwassers auf der Haut spüren. Sie schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an Sevens Schulter.

„Das waren wunderschöne Tage...“

„Behalte sie in deinem Herzen, Kath.“

In diesem Moment betrat Tuvok die Krankenstation. Kathryn nickte ihm zu und wandte sich wieder an Mark.

„Tuvok wird eine Gedankenverschmelzung durchführen müssen, um Sevens Persönlichkeit finden und wieder an die Oberfläche bringen zu können, während wir das Vinculum abschalten.“

Mark nickte und nahm wieder auf der Liege Platz.

„‘Torres an Janeway. Wir wären hier unten soweit.‘“

„Fangen Sie an, Lieutenant.“

Mark nahm ihr Gesicht in Sevens schlanke Hände.

„Mach’s gut, Kath.“

Dann ließ er sich auf der Liege nieder, schloss die Augen, und Tuvok legte seine gespreizten Hände auf Sevens Gesicht.

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Die Türglocke durchschnitt die Stille des Bereitschaftsraums. Kathryn wandte sich von dem Fenster und den dahinter leuchtenden Sternen ab und richtete sich auf.

„Ja?“

Die Türen öffneten sich, und Seven of Nine trat ein. Kathryn winkte sie zu sich hinüber auf die Couch. Seven war wieder sie selbst, die intelligente, arrogante und sie immer wieder überraschende Ex-Borg. Immer noch erschöpft von den vielen Persönlichkeiten, welche ihren Körper bevölkert hatten, befand sie sich doch schon wieder auf dem Weg der Besserung.

„Wie geht es Ihnen, Seven? Hat der Doktor Sie aus der Krankenstation entlassen?“

„Ja, ich bin seiner direkten Gegenwart nicht länger ausgesetzt. Er erklärte mir, dass ich vollkommen genesen sei. Ich melde mich hiermit zum Dienst zurück.“

„Nun mal langsam, Seven. Sie haben sehr viel durchgemacht in der letzten Woche. Überstürzen Sie nichts. Nehmen Sie sich noch ein paar Tage frei, und erholen Sie sich. Es ist wichtig, dass Sie sich mit dem Erlebten auseinandersetzen, nachdem, was Ihnen widerfahren ist. Ich will Sie vor übermorgen nicht wieder bei der Arbeit sehen!“

„Ja, Captain.“

Seven wollte sich schon erheben, als sie es sich anders überlegte und Kathryn fragend, beinahe unsicher anblickte.

„Captain... darf ich Sie etwas fragen?“

Kathryn lächelte sie aufmunternd an.

„Aber natürlich!“

„Der Doktor erzählte mir, dass Ihr Verlobter für eine gewisse Zeit meinen Körper dominiert hat. Ich empfinde es als... beunruhigend zu wissen, dass es Zeitspannen gibt, von denen ich nicht weiß, was ich tat.“

Kathryn unterbrach sie.

„Seven, das waren nicht Sie in Ihrem Körper. Sie sind für nichts verantwortlich, was in dieser Zeit geschehen ist.“

Seven sah ihr offen ins Gesicht.

„Und was genau ist geschehen?“

Kathryn betrachtete sie einen Moment lang, und plötzlich dämmerte ihr, worauf Seven hinaus wollte.

„Wir haben uns ausgetauscht über die alten Zeiten, über den Delta Quadrant, über unsere Beziehung. Es ist nichts geschehen, worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Ich meine, es war Mark in Ihrem Körper! Das wäre falsch gewesen, ich meine, das hätte ich nicht machen können...“

Kathryn starrte wieder hinaus aus dem Fenster. Seven betrachtete sie mit einer amüsiert hochgezogenen Augenbraue und erhob sich.

„Danke, Captain.“

Kathryn wandte ihr nachdenklich den Blick zu und nickte. Dann war sie wieder allein. Sie griff nach dem Bild von Mark und ihrem Hund Molly und strich wehmütig mit dem Zeigefinger darüber. Während all dieser Jahre hatte sie kaum daran gezweifelt, die Voyager nach Hause zurückzubringen; das Wissen, das Mark da sein würde, dass er auf sie wartete, hatte sie weiter kämpfen lassen. Selbst als sie seinen Brief erhielt mit der Nachricht, dass er heiraten würde, hatte allein Tatsache, dass sie ihn wenigstens noch einmal sehen würde, ihr Kraft gegeben. Doch nun war ihr auch diese Quelle der Hoffnung geraubt worden. Wofür sollte sie jetzt noch weitermachen? Wer sehnte sie in diesem Moment herbei, wer wünschte sich, sie hätte niemals dieses Kommando angenommen? Das Gefühl der Einsamkeit überkam sie mit einer Wucht, dass ihr das Bild aus den zitternden Fingern rutschte und zu Boden fiel. Erschrocken hob Kathryn es auf. Das Glas war in der Mitte zerbrochen, ein gezackter Riss zog sich über Marks Gesicht und Mollys Schnauze. Mit bebenden Händen versuchte Kathryn, die Splitter wieder zusammenzusetzen, doch ihre zerschnittenen Finger versagten ihr den Dienst. Blut begann sich mit Tränen zu mischen und durch den Spalt im Glas auf das Foto zu sickern. Sie holte einmal tief Luft und legte das fleckige Bild vor sich auf die Couch. Sie musste sich zusammenreißen. Sie durfte nicht die Kontrolle verlieren, das Schiff brauchte immer noch einen Captain. Hilfe suchend blickte sie hinaus zu den Sternen, ihre ewigen, stummen Begleiter. Sie würde neue Quellen der Kraft finden. Sie würde weitermachen, irgendwie. Und wenn sie schließlich die Erde erreicht hatten, dann würde sie sich den Luxus des endgültigen, absoluten Wahnsinns erlauben. Bis dahin jedoch...

„Janeway an Brücke. Status.“

Ende
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