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Schuld

von Trini

Kapitel 1

Von meinem Heimatdorf ist nichts mehr übrig. Angeblich hatte man vor Tagen Trebus angegriffen, doch immer noch steigen Rauchschwaden aus den Trümmern. Es kommt mir vor, als wenn der Angriff gerade ein paar Stunden her sein mochte. Die Hitzeeinwirkung der Waffen war so groß, dass sie riesige Steine geschmolzen und in Glas verwandelt hat. Die Bewohner waren unter diesem grausamen Angriff jämmerlich zu Grunde gegangen. Niemand hatte überlebt, alle waren sie tot, nur noch Asche, welche durch den Wind über ganz Trebus vertragen wurde. Sie konnten nicht voneinander Abschied nehmen, wussten nicht, was sie erwarten würde in dem Moment, in dem fremde Schiffe im Orbit aufgetaucht waren.
Auch der Blick in die Zukunft bereitet mir Trauer. Es wird keine Gedenkzeremonien für mein Volk geben, keine Beerdigungen, kein „Auf Wiedersehen“. Die Bewohner von Trebus sind einfach verschwunden, verschluckt wie vom Erdboden. Der Geruch in der Luft, dieser bitter süßliche Duft, gemischt aus verbranntem Fleisch und Tod, brennt sich für immer in mein Gedächtnis. Aber das ist nicht das Schlimmste – es ist die Stille, diese unsagbar unheimliche Stille. Keine lachenden Kinder, keine arbeitenden Menschen, kein Rauschen von Bäumen im Wind, kein Vogelgezwitscher. Ich werde Ewigkeiten diese Stille hören. Tausende von Menschen haben hier den Tod gefunden – mein Vater, meine Mutter... In mir kommt Verzweiflung auf. Ich frage mich, was sie wohl dachten, als sie die cardassianischen Raumschiffe im Orbit sahen. Was empfanden sie wohl dabei? Haben sie befürchtet, in die Versklavung getrieben zu werden? Haben sie gehofft, dass sie es den Cardassianern nicht wert waren, die Zeit für ein paar tausend unschuldige Siedler zu verschwenden? Haben sie vorhergesehen, dass alles in einer solchen Katastrophe enden würde? Was waren ihre letzten Gedanken, als sich die Explosionswelle langsam aber unerbittlich auf sie zu bewegte? Hat mir mein Vater in diesem Moment vorgeworfen, dass ich mich der Sternenflotte anschlossen habe, dass ich nichts unternommen habe, um sie vor dieser Misere zu retten? Warum habe ich nichts unternommen? Warum habe ich mit dem Gewissen leben können, dass sich meine Familie in solcher Gefahr befand? Vater, bin ich es überhaupt wert, dein Sohn zu sein? Ich habe unseren Stamm verlassen, seine Traditionen verletzt und nicht zuletzt stillschweigend akzeptiert, dass mein Volk in der Neutralen Zone seinem Schicksal überlassen bleibt. Selbst wenn ich jetzt so gut ich es kann in deine Fußstapfen trete, ist damit nichts beiseite geräumt. Die Schuld lastet weiter auf mir wie ein schwerer Brocken.
Ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Unwillkürlich stiegen Tränen in meinen Augen auf. Um nicht zusammenzubrechen, sinke ich auf die Knie und beginne laut zu schluchzen, um den Schmerz heraus zu lassen. „Nein, ich bin es nicht wert dein Sohn zu sein“, schreit es aus meinem Innersten und mein Herz droht dabei zu zerspringen.


***


„Commander, geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Kathryn besorgt. Chakotay versuchte sich nichts anmerken zu lassen und lächelte gequält. „Nein, Captain. Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur ein wenig schlecht geschlafen diese Nacht.“ Janeway nickte. Sie beschloss, es fürs erste dabei zu belassen und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder den anwesenden Brückenoffizieren. „Also dann. Lassen Sie uns den Orbit von Kenara Prime verlassen.“ Kathryn warf noch einmal einen letzten Blick auf den wunderschönen Planeten, auf dem sie eine Woche lang ihre Nahrungsreserven aufgefrischt hatten. Jetzt würde die Voyager ihren weiten und beschwerlichen Weg in den Alphaquadranten fortsetzen. Kathryn hoffte nur, dass alles gut gehen würde, denn die Kenaraner befanden sich in einem kriegsähnlichen Zustand mit den Subaru. Der Voyager stand ein Flug durch den Raum dieser fremden Spezies bevor. Glücklicherweise hatten die Subaru ihnen zugesagt, dass man sie neutral behandeln würde, solange sie auf einem vorgeschriebenen Kurs ihren Raum durchquerten. Eine Zusicherung, für die Kathryn zwar dankbar war, trotz alledem wollte sie den Tag nicht vor dem Abend loben. Erst wenn die Voyager dieses Sternengebiet hinter sich gelassen hatte, würde Kathryn aufatmen können.

Die Zahlen auf seinem Padd verschwammen immer häufiger und es fiel Chakotay schwer, die Augen offen zu halten. Zur sehr war er von Müdigkeit geplagt. Die letzten Nächte hatten ihn immer und immer wieder den selben Alptraum beschert und es schien partout kein Ende zu nehmen. Er hatte die Schlange, seinen geistigen Führer, um Rat fragen wollen, was dies zu bedeuten hatte, doch immer wenn er sich auf die Suche nach Visionen begab, fand er sich in diesem schrecklichen Alptraum wieder – auf dem Planeten Trebus, die Heimat seines Volkes, zerstört durch einen Angriff der Cardassianer.
Chakotay legte das Padd beiseite. Es hatte alles keinen Sinn. Er konnte sich beim besten Willen nicht konzentrieren. Um ein wenig beschäftigt zu wirken, widmete er sich der Konsole neben ihm und begann noch einmal mit einem vollständigen Check-Up der Geräte. "Chakotay, ich merke es doch... Mit Ihnen ist irgend etwas...", flüsterte Kathryn besorgt. Sie hatte ihn schon die ganze Zeit beobachtet und festgestellt, dass er gedankenverloren wirkte und minutenlang ins Leere starrte. Auch äußerlich konnte man erkennen, dass ihr Erster Offizier in keiner guten Verfassung war. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet und er wirkte um Jahre gealtert. "Wollen Sie vielleicht in meinem Bereitschaftsraum darüber reden?", fragte Kathryn. Chakotay hätte am liebsten ihren Vorschlag abgelehnt. Kathryn hatte genug Probleme mit dem Schiff und der Crew - da wollte er seine Probleme ihr nicht auch noch aufbürden. Doch sie sah nicht so aus, als ob sie sich mit einer Ablehnung zufrieden geben würde. Gegen ihren Dickkopf kam er ohnehin nie an. Also nickte er kurz und folgte seinem Captain in den Bereitschaftsraum.

Nachdem sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, nahm er unaufgefordert Platz, legte seine Hände auf die Knie und starrte zu Boden. Kathryn setze sich neben ihn und flüsterte eindringlich: "Chakotay, was ist los?" Als er nicht sofort antwortete, sondern seine Worte hinunterschluckte, legte sie behutsam ihre Hand auf die Seine, in der Hoffnung ihn wenigstens so ein wenig Beistand leisten zu können. "Es ist der Stamm der Kenaraner, welcher auf dem Planeten direkt an der Grenze zum Subaru-Raum lebt, in dem Raum, den eigentlich keiner der beiden Spezies für sich beanspruchen sollte, eine zweite Neutrale Zone...", sprach Chakotay leise. Dann wandte er seinen Blick vom Fußboden ab und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, in der Hoffnung, er könne so ein wenig seine Gedanken sammeln. "All das erinnert mich an damals... Der Angriff der Cardassianer auf mein Volk, das die Neutrale Zone auch nicht verlassen wollte. Die Situation ist nahezu identisch." Kathryn fuhr mit ihren Fingern zwischen seine Hände und drückte sie fest zusammen. Sie würde für ihn da sein, das war das Mindeste, was sie für ihn tun konnte.
Chakotay unterbrach seinen Gedankengang, denn Kathryns Berührung hatte ihn abgelenkt. Auch wenn er sich damit abgefunden hatte, dass nie mehr zwischen ihnen existieren würde als Freundschaft, hatte sie immer noch diese Wirkung auf ihn, es war wie verhext.
Er fing noch einmal von vorne an: "Seitdem wir Kontakt mit den Kenaranern aufgebaut haben, plagt mich jede Nacht der selbe Alptraum. Ein Bild jagt immer und immer wieder durch meinen Kopf: Ich stehe auf Trebus, blicke mich um, und alles ist... weg, dem Erdboden gleich gemacht. Es ist das Bild, welches ich damals als ein Commander bei der Sternenflotte sah, als ich meinen Heimatplaneten kurz nach dem Angriff der Cardassianer aufsuchte." Chakotay wandte seinen Blick an Kathryn. Es fiel ihm schwer, zu beschreiben, welche Gefühle er mit dem Anblick Trebus‘ verband, welche Schuld auf ihm lastete. Ja, er fand sich schuldig für dieses Massaker. Er selbst hatte es damals zugelassen, dass sein Stamm, trotz der drohenden Gefahr durch die Cardassianer, an seinem Heimatplaneten festhielt. Zwar hatte er versucht, sie dazu zu bewegen, den Planeten zu verlassen, doch er wusste damals genauso wie heute, dass er das niemals geschafft hätte. Aber trotzdem - immer ging es ihm durch den Kopf, ob er vielleicht nicht genug getan hatte... "Chakotay?", drang Kathryns Stimme an sein Ohr. Wie lange hatte er nun schon so still gesessen und in sich gekehrt über die vergangenen Ereignisse nachgedacht?
Kathryn blickte besorgt in sein Gesicht. Sie kannte diese Geschichte, nicht nur das, was sie aus Berichten der Sternenflotte gelesen hatte, sondern auch von Chakotays Erzählungen. Sie hatte ihn vor Jahren gefragt, was ihn dazu bewegt hatte, die Sternenflotte zu verlassen und sich dem Maquis anzuschließen. Es war jenes Ereignis, das ihn, auch wenn es schon Jahre her war, immer noch heimsuchte. Nicht nur der Hass auf die Cardassianer hatte ihn zu einem leidenschaftlichen Kämpfer des Maquis gemacht, auch seine Enttäuschung in der Sternenflotte, welche die Massaker in der Neutralen Zone zur Wahrung des angeblichen Friedens duldete. Als Chakotay ihr damals diese Geschichte erzählte, hatte sie das Gefühl gehabt, dass er ziemlich gefasst mit der Vergangenheit umging, doch damit schien sie sich wohl geirrt zu haben.
"Ich werfe mir immer vor, dass ich doch hätte mehr tun können... Ich hätte mit mehr Engagement meinen Stamm dazu überreden können, den Planeten zu verlassen, um nach einer sichereren Heimat Ausschau zu halten. Ich hätte mehr Einsatz bei der Überredung der Sternenflotte zeigen können, sich für die eigenen Leute in der Neutralen Zone einzusetzen, aber ich bin an beidem gescheitert...", Chakotay schluckte kurz, bevor er seinen Satz beendete, "weil ich zu schnell aufgegeben habe." Kathryn wollte dem entgegensetzen, dass er bereits alles Menschenmögliche getan hatte, um das Geschehene zu verhindern und er sich nicht für die Ignoranz der Sternenflotte und der Starrköpfigkeit seines Stammes verantwortlich machen konnte, doch Chakotay redete ungeachtet dessen, dass sie bereits zum Sprechen angesetzt hatte, weiter. "Und jetzt, jetzt stehe ich wieder vor der Situation. Ich sehe in den Kenaranern meinen Stamm, der seine Heimat trotz aller Gefahr nicht verlassen will. Ironie des Schicksals - wieder kann ich nur zusehen, wie ein unschuldiges Volk vernichtet wird..." Unwillkürlich musste er feststellen, dass er zu weit gegangen war. Die Diskussion, dass sie die Bedrohung der Kenaraner in der Pufferzone durch die Subaru nicht zulassen konnten, hatte er schon einmal mit Kathryn und den Rest der Führungsoffiziere geführt. Jeder hatte gemeint, dass dies zwar moralisch schwer zu verantworten sei, trotz alledem wäre es besser, sich strikt an das Nichteinmischungsgebot zu halten. Sie waren schon genug in den Krieg zwischen beiden Spezies geraten, indem sie Handel mit den Kenaranern betrieben hatten. Es war schon Glück, dass die Subaru ihnen dahingehend Zugeständnisse machten, als dass die Voyager ihren Raum unter Einhaltung eines neutralen Kurses und des Nichteinmischungsgebotes durchfliegen durfte. Kathryn hatte das natürlich angenommen und Chakotay verstand es auch. Seine privaten Interessen sollten nicht die gesamte Crew in das Verderbnis stürzen. Er hatte dies schon einmal getan, als die Crew seinen Sohn vor Seska und den Kazon retten wollte. Damals war es ihm schon schwer gefallen mit dem Gedanken zu leben, dass die Kazon seinetwegen die Voyager entern konnten. Wie würde er sich fühlen, wenn die technisch hochentwickelten Subaru die Voyager in einzelne Stücke schossen, nur weil er eine starrköpfige Gruppe Kenaraner retten wollte? Dann wäre weder ihm, noch dem Volk der Kenaraner geholfen. Es war die richtige Entscheidung gewesen sich nicht einzumischen, aber er war sich nicht sicher, ob sein Gewissen damit leben konnte. Damit verspielte er eine Chance, seine Fehler aus der Vergangenheit wieder gut zu machen.
Als ob Kathryn seine Gedanken erraten hatte, flüsterte sie: "Und dann, wenn Sie Ihre Rache bekommen haben? Bringt das ihr Volk wieder zurück unter die Lebenden." Chakotay deutete ein Lächeln an. "Nein", sagte er, "Sie haben Recht." Kathryn drückte abermals Chakotays Hand kurz zusammen und tätschelte ihn an der Wange. Dann stand sie auf. "Ich gebe Ihnen für den Rest des Tages frei. Sehen Sie zu, dass Sie ins Bett kommen und ein bisschen Schlaf nachholen", neckte sie ihn und für einen kurzen Moment schien ihr, als ob sich ein ungezwungenes Lächeln auf Chakotays Lippen bildete. Mit einem "Aye aye, Captain" verließ ihr Erster Offizier den Bereitschaftsraum. Noch einige Sekunden blickte Kathryn in die Richtung der Tür, durch die Chakotay den Raum verlassen hatte. Dann begab sie sich zurück auf ihren Posten, der Ort, wo sie am meisten gebraucht wurde: die Brücke.

***

Schweißgebadet schreckte Chakotay auf. Es dauerte einen Moment, bis er registrierte, dass er sich in seinem Quartier befand. Es war schon wieder passiert, dieser Traum, welcher ihn schon die letzten Nächte den Schlaf geraubt hatte, welcher ihn selbst auf der Suche nach Visionen an Stelle seines geistigen Führers erschien.
"Computer, Licht, fünfzig prozentige Intensität", befahl er für's Erste. Als der Computer seinen Befehl ausführte und er einigermaßen die Konturen des Raumes erkennen konnte, stolperte der Erste Offizier der Voyager aus seinem Schlafzimmer in das Bad. Dort stütze er sich auf den Rändern des Waschbeckens ab, während er beobachtete, wie das Wasser im Abfluss versickerte. Erst nach einigen Sekunden spritzte er sich das kühle Nass in seine Augen und blickte dann in das Gesicht vor ihm im Spiegel. Mit 'fürchterlich' hätte er seinen Anblick wohl am besten umschrieben. "Du hast auch schon einmal besser ausgesehen", sprach er zu sich selbst, als er das Bad verließ und sich am Replikator einen Kaffee holte. Das hochgelobte Wundergebräu von Kathryn würde ihn hoffentlich wieder zu Kräften bringen. Der Commander setzte sich an seinen Schreibtisch und rief die Nachrichten ab, die während seines Mittagsschlafes eingegangen waren. Gleich als erstes fiel ihm der Bericht über die aktuellen Sensordaten auf: Subaru Schiffe näherten sich einen Planeten, auf dem unschuldige kenaranische Siedler lebten. Geschockt stellte Chakotay die Tasse mit dem Kaffee hart auf den Tisch, so dass ein wenig der braunen Flüssigkeit überschwappte und einen klebrigen Film auf der synthetischen Oberfläche hinterließ. Unwillkürlich kamen ihm beim Lesen der Mitteilung wieder Erinnerungen an die Vergangenheit auf: Cardassianische Schiffe, wie sie sich vor Trebus versammelten, Siedler, die voller Ehrfurcht sich der wachsenden Bedrohung entgegenstellten, und schließlich das Feuergefecht, welches jedes Haus in Schutt und Asche legte, jedes Lebewesen schreiend bis auf die Knochen verbrennen ließ. Konnte er zulassen, dass sich solch ein ähnliches Ereignis auch hier abspielte, im Delta Quadranten? Entschlossen stand Chakotay auf und begab sich zur Shuttlerampe. Inständig hoffte er, Kathryn würde ihm eines Tages verzeihen können, dass er sich ihren Befehlen widersetzte und die Kenaraner im Alleingang zu retten versuchte. Er musste dies allein tun, ohne ihre Hilfe, denn er war nicht gewillt, den Rest der Crew in Gefahr zu bringen, nur weil er sich verpflichtet fühlte, den Stamm einer Rasse, die er vor ein paar Tagen noch nicht einmal kannte, vor dem vermeintlichen Untergang zu bewahren. Warum er eine solche Verpflichtung empfand, war er sich selbst nicht sicher. Er fühlte es einfach im innersten seines Herzens und tat das aber nicht nur, weil er die Kenaraner als ein sehr sympathisches Volk schätzte, auf dessen Planeten er sich wohl und vor allem Willkommen gefühlt hatte. Es war viel mehr als nur diese Sympathie. Erst jetzt glaubte er, seine Suche nach Visionen, welche in den letzten Tagen immer zu dem Massaker auf Trebus führte, richtig deuten zu können. Wenn er an der Rettung der Kenaraner beitrug, konnte er wenigstens ein Teil wieder gut machen, was der damals glaubte falsch gemacht zu haben. Kathryn hatte zwar Recht, als sie meinte, sein Volk würde dadurch nicht zurückkehren, aber wenigstens wäre sein Gewissen um einiges erleichtert.

In der Shuttlerampe angekommen, überbrückte der Commander problemlos alle Sicherheitscodes und begab sich unbemerkt mit dem Delta Flyer von Bord. Als direkten Kurs hatte er den Planeten mit den kenaranischen Kolonien programmiert, in der Hoffnung, er würde die Bewohner warnen können. Gegen die Subaru selbst konnte er nicht vorgehen – das wäre auf Grund ihrer überlegenen Technologie ein sinnloses Unterfangen, zumal er damit auch die Voyager weiterer Gefahr aussetzte. Seine einzige Hoffnung bestand darin, die Kenaraner zum Verlassen ihres Planeten zu bewegen, bevor sich die Subaru ihrer annahmen. Chakotay konnte nicht sicher sein, was diese Spezies mit den Siedlern vorhatte, aber den Erzählungen der Kenaraner zufolge waren die Subaru sehr grausam, was die Behandlung ihrer Feinde anging. Wohl möglich würden sie die Siedler töten oder in ein Arbeitslager verschleppen – ein Gedanke, der Chakotay überhaupt nicht behagte.

***

Der Planet offenbarte sich vor Chakotays Bildschirm. Durch die dicken Wolken der Troposphäre war es ihm nur noch möglich, über seine Sensoren zu steuern. Erst als die Wolkendecke durchbrochen war, konnte er sich endlich ein Bild von der Heimat der Siedler machen: weite Wälder, dicht bewachsene Wiesen und Felder und ein kleines Dörfchen, in welchem die wohl fünfhundert Bewohner der Siedlung leben mussten. Alles war sehr idyllisch, fast naturbelassen - Chakotay konnte die Bindung der Kenaraner an diese wunderschöne Heimat sehr gut nachempfinden.
Der erste Offizier der Voyager setzte mit den Delta Flyer nahe der Siedlung zur Landung an und machte sich auf den Weg, um Kontakt mit den Einwohnern des Planeten aufzunehmen. Er hoffte inständig, dass sie auf ihn hören würden, wenn sie sich der im Moment drohenden Gefahr durch die Subaru bewusst wurden.
Als er das Dorf betrat, standen die Humanoiden vor ihrem Häusern, jeder beäugte den Fremden misstrauisch und Ehemänner legten beschützend ihre Arme um Kinder und Ehefrauen. Anscheinend hatten die Siedler sehr selten Kontakt zur Außenwelt. Chakotay wollte einen Schritt weiter auf eine größere Personengruppe zulaufen, da stellte sich ihm ein junger Kenaraner in den Weg. Seine himmelblauen Augen auf seiner fast weißen, glänzenden Haut – wie es typisch für diese Spezies war -  blickten ihn herausfordernd an. „Was wollen Sie hier?“, fragte er forsch. „Mein Name ist Chakotay. Ich bin hier, um Sie zu warnen“, sprach Chakotay so laut, dass ihn jeder Anwesende im Umkreis deutlich verstehen konnte. Seinen Rang sowie seine Herkunft verschwieg er bewusst. Personen wie diese verabscheuten Hierarchie und vermeintliche Organisationen der Sicherheit – alles was sie wollten, war ein Leben in Ruhe und Frieden, genau wie sein Stamm damals vor vielen Jahren. „In der unmittelbaren Umgebung befinden sich Subaru Schiffe, die direkten Kurs auf Ihren Planeten gesetzt haben. Ich bin gekommen, um Sie zu warnen. Sie müssen diese Siedlung so schnell wie möglich verlassen.“ Die Gesichtszüge des Kenaraners schienen durch diese Warnung nicht einmal zu zucken. Mit unveränderter Miene entgegnete er Chakotay: „Wir wissen, dass sich Schiffe der Subaru im unmittelbaren Orbit befinden, aber wir werden uns nicht ergeben. Sie müssen uns schon mit Gewalt von hier fortzerren.“ Diese Antwort kannte Chakotay schon, es war die selbe, die ihn damals sein Vater gegeben hatte, Wochen bevor letztendlich das Massaker auf Trebus seinen Lauf nahm. „Aber...“ Der Kenaraner wurde wütend. „Hören Sie zu, Mister Chakotay. Wir wissen ihre Fürsorge wirklich sehr zu schätzen, aber wir werden diesen Planeten NICHT verlassen. Hier ist unser gesamtes Hab und Gut, hier ist das, wofür wir unser ganzes Leben lang gearbeitet haben, worin der Sinn unseres Lebens überhaupt besteht. Wir werden dies nicht kampflos aufgeben, auch wenn Sie das sicherlich nicht nachvollziehen können. Sie sind keiner von uns, haben nicht Schweiß und Blut in den Aufbau dieser Welt gesteckt. Auch wenn es vielleicht sinnlos ist, sich zu widersetzen, wir haben keine andere Wahl und jetzt tun Sie uns bitte den Gefallen und verschwinden Sie von hier. Sie gehören nicht hierher und sollen auch nicht in die Auseinandersetzung mit den Subaru hineingezogen werden.“ Diese Worte waren deutlich. Chakotay wusste nicht, was er dem noch entgegenzusetzen hatte. Er konnte die Gedanken der Siedler nicht nachvollziehen. Er würde niemals das Leben seines eigenen Stammes aufs Spiel setzen, nur um die Heimat zu wahren. Und das hatte auch einen Grund: Er hatte diese Heimat nicht aufgebaut, alle Mühe und Hoffnung in sie gesteckt. Das war es auch, was ihn damals von seinem eigenen Volk unterschieden hatte. Er war derjenige gewesen, der eine sehr geringe Bindung an Trebus hatte, jede ach so kleine Möglichkeit genutzt hatte, um aus dieser Gemeinschaft und ihrer geliebten Heimat auszubrechen. Vielleicht hätte er sein Volk damals verstehen können, wenn er nicht ständig vor ihm geflohen wäre.
Es hatte alles keinen Sinn. Chakotay wusste, dass er nichts an der Meinung der Kenaraner ändern konnte. Es war ein unsinniges Unterfangen gewesen, von Anfang an. Und es war egoistisch von ihm, überhaupt hier zu sein, nur um sein eigenes Gewissen zu beruhigen wegen einer Schuld, die er nie wirklich würde begleichen können. Er gefährdete nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch eine sichere Passage der Voyager durch den Subaru Raum. Gegen das Nichteinmischungsgebot hatte er verstoßen und der er hoffte nur, dass dies nicht allzu große Folgen haben würde.
Der Erste Offizier der Voyager nickte eingestehend und wendete sich dann schnellen Schrittes zum Gehen. Er hoffte, er würde den Planeten unbemerkt verlassen können, bevor die Subaru hier eintrafen.

Chakotay hatte gerade zum Start angesetzt, als die Systeme des Shuttles aus einem ihm unersichtlichen Grund begannen zu versagen. Hastig versuchte er, die Kontrolle über den Delta Flyer zurück zu erlangen, vergebens. Ihm war plötzlich, als wenn sich sein Körper auflösen würde. Er verspürte ein eigenartiges Gefühl - wie bei einem Beamvorgang. Langsam verschwanden die Konturen des Shuttles und vor Chakotays geistigem Auge erschien plötzlich ein Bild von Kathryn, die ihn vorwurfsvoll anblickte.

***

„Captain?“, sprach Tuvok mit gewohnt ruhiger Stimme, als ob nichts geschehen wäre. „Ich habe soeben festgestellt, dass vor einer halben Stunde ein Crewmitglied die Voyager mit Hilfe des Delta Flyers verlassen hat.“ Captain Janeway schreckte aus ihrem Kommandosessel auf und drehte sich in Tuvoks Richtung. „Wer?“, entfuhr es ihr nur. Der Vulkanier fuhr mit seinen Fingern über die Konsole und betätigte mehrere Schaltelemente, bevor er seinem Captain die gewünschte Antwort geben konnte. „Commander Chakotay. Sein direkter Kurs war auf die Koordinaten 4645.51 gerichtet, die Siedlung der Kenaraner.“ Kathryn klappte die Kinnlade herunter. Chakotay wollte doch wohl nicht etwa die Kenaraner vor den Subaru retten? „Nehmen Sie diesen Kurs auf“, sprach Kathryn und hoffte inständig, dass sie nicht zu spät kommen würden. Laut ihrer Sensordaten hatte bereits seit heute Mittag ein Subaru Frachter Kurs auf die kenaranische Siedlung genommen. Was hatte Chakotay nur dazu veranlasst? Waren es seine Schuldgefühle wegen der Vernichtung seines Volkes? Kathryn hatte immer das Gefühl gehabt, dass er dieses Ereignis verarbeitet hatte. Erst in den letzten Tagen war sie eines anderen belehrt worden. Warum hatte sie alles, was Chakotay betraf, nur so schnell bei Seite geschoben? „Captain, wir nähern uns der Siedlung. Der Subaru Frachter befindet sich im Orbit“, durchbrach Tuvoks gleichmäßige Stimme ihre Gedanken. Gleich drauf meldete sich Fähnrich Kim: „Captain, Sie rufen uns.“ „Auf den Schirm“, sprach Kathryn mit leicht zittriger Stimme, in der Hoffnung, dass niemand auf der Brücke dieses Beben in ihrer Tonlage registriert hatte.
Als das Bild eines älteren Subaru auf der Leinwand erschien, stand der Captain der Voyager auf und straffte ihre Schultern. „Ich bin Menol Kalif, der Kommandant der Astra. Ich nehme an, Sie sind Kathryn Janeway, der Captain der Voyager, der wir die Durchquerung unseres Raumgebietes gestattet hatten.“ Kathryn nickte leicht. „Ganz Recht, Kommandant. Ich bin Captain Kathryn Janeway vom Föderationsraumschiff Voyager.“ „Wenn ich mich recht entsinne, hatten wir einen konkreten Kurs vorgeschrieben, den Sie folgen sollten. Von dem sind Sie offensichtlich abgewichen, Sie und eines ihrer Shuttles. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich an diesen Kurs gehalten.“ Kathryns Blick verdüsterte sich und mit kalter Stimme zischte sie: „Was soll das heißen?“ Menol Kalif deutete ein leichtes Lächeln an. „Es tut mir leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Shuttle zerstört wurde. Während wir uns im Orbit des Planeten befanden, wendeten wir eine Technik an, um die Planetenbewohner samt ihrer Siedlung auf einen freien Klasse M Planeten im Raum der Kenaraner zu beamen, da dieses Raumgebiet von niemanden beansprucht werden darf. Wir wussten nicht, dass sich noch ein Nicht - Kenaraner auf der Oberfläche befand. Unsere Technologie löste eine Fehlfunktion in dem Shuttle aus, welche den Verlust der Muster des Schiffes sowie seines Insassen zur Folge hatte.“ Als der Subaru diesen Satz beendete, stand Kathryn für mehrere Sekunden wie gelähmt da. Sie hatte die Worte wahrgenommen, hatte ihren Sinn verstanden, doch sie wollte dies nicht verarbeiten. Chakotay war... tot? Seine Muster hatten sich einfach aufgelöst, hatten waren im Nichts verschwunden? Vielleicht war er jetzt Bestandteil einer Felswand, oder einer Blume, die ein junger Kenaraner seiner Geliebten zum Geschenk machen würde. Kathryn fühlte sich plötzlich schwach und elend. Ein seltsames Schwindelgefühl breitete sich in ihrem Körper aus und ihr kam es vor, als würde sie sich selbst beobachten. Doch dann nahm sie wieder all ihre Kraft zusammen und starrte auf das Bild des Subaru ihr gegenüber. Hass stieg plötzlich in ihr auf. Er war ein Lügner. Die Kenaraner hatten stets behauptet, die Subaru wären ein sehr gewalttätiges Volk. Von wegen Chakotay sei durch die Fehlfunktion des Delta Flyers bei der Umsiedlung der Kenaraner auf einen anderen Planeten ums Leben gekommen. Die Subaru siedeln keine Kenaraner um, sie töten sie und Chakotay war nur in die Schusslinie geraten. Lügner!
Der Subaru bemerkte die Wut in Kathryns Augen und reagierte sofort. „Sie glauben mir nicht... Das ist auch kein Wunder, denn die Kenaraner versuchen uns immer so brutal und herzlos wie möglich gegenüber Fremden darzustellen. Eigenschaften, die wir eigentlich gar nicht besitzen, wenn wir das von uns behaupten dürfen. Wir haben Ihnen einen Kurs zur Durchquerung unseres Raumes vorgeschrieben, an den Sie sich nicht gehalten haben, aber haben wir Sie bisher dafür sanktioniert? Nein, und wir werden es auch nicht tun, wenn Sie ihren Kurs wieder aufnehmen. Damit Sie uns den Vorfall mit ihrem Shuttle glauben, können wir Ihnen gern unsere Logbucheinträge überlassen. Dann ist diese Sache ein für allemal aus der Welt geräumt.“ Kathryn überlegte. Waren die Erzählungen der Kenaraner nicht alle subjektiv gewesen? Waren die Subaru vielleicht gar nicht das brutale und herzlose Volk, wie sie immer dargestellt wurden. Was wussten sie schon von diesem Volk? Erst jetzt kam ihr alles so widersprüchlich vor. Die Subaru erlaubten die Durchquerung der Voyager  ihres Raumes, ohne dass es sie kümmerte, welche Beziehung die Crew zu dem kenaranischen Volk aufgebaut hatte. Genauso boten sie an, ihre Logbucheinträge zu durchsuchen, die womöglich ihre Unschuld im Hinblick auf Chakotays Tod bewiesen. Dabei waren die Subaru gar nicht in einer Position, sich rechtfertigen zu müssen. Sie waren der Voyager um vieles überlegen. Warum waren sie so erpicht darauf, ihre Unschuld zu beweisen? Vielleicht, um ihre Ehre zu retten? War alles, was die Kenaraner berichtet hatten, reine Propaganda oder zu subjektive Eindrücke gewesen?
„Schicken Sie mir bitte die Logbuchbucheinträge“, sprach Kathryn, entschlossen der Sache auf den Grund zu gehen. Der Subaru nickte und trennte den Kanal. Mit einem Male trat Stille auf der Brücke ein. Keiner wagte ein Wort zu sprechen, jeder war von Chakotays Tod betroffen. Kathryn merkte, wie  wieder dieses Schwindelgefühl in ihr aufzusteigen drohte, als sie zu dem leeren Sessel ihres Ersten Offiziers starrte. Er würde nie wieder da sitzen und ihr ein Lächeln zuwerfen. Es bildete sich ein Kloß in Kathryns Hals und sie merkte, dass sie nicht mehr länger ihre Tränen zurückhalten konnte. Sehnsüchtig blickte sie zu ihrem Bereitschaftsraum. Sollte sie dorthin flüchten, um in ihren Schmerz allein zu sein oder sollte sie lieber hier bleiben, um der Crew Beistand zu leisen? Sie entschied sich für den Bereitschaftsraum.

***

Das Rauschen des Meeres dröhnt an meine Ohren. Starke, kräftige Wellen brechen an den Klippen und setzen unglaubliche Kräfte frei. Durch die kalte Meeresluft erschaudere ich und eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Rücken. Ich war schon einmal an diesem Ort – auf meiner Suche nach Visionen - doch damals wirkte es hier viel heimischer. Jetzt ist es ungemütlich und ich sehne mich nach den vergangenen Tagen, Tagen, an denen er noch an meiner Seite war. Als ich mich zum Gehen wende, erblicke ich an der Feldwand ein zerschelltes Shuttle. An der Form der Trümmerteile erkenne ich, dass es der Delta Flyer sein musste. Bei diesem Anblick wird mir unwillkürlich schwindelig. Dort fand Chakotay seinen Tod und ich habe es nicht verhindern können. Wenn ich ihn Beistand geleistet hätte, dann wäre das alles nicht passiert. Ich habe gesehen, wie sehr er litt, doch ich habe ihn nicht den notwendigen Halt gegeben um alles durchzustehen, gemeinsam. Und warum? Ich hatte Angst, Angst davor, dass sich dadurch die Grundlage unserer Beziehung ändern konnte. Nur aus diesem Grund habe ich eine Barriere zwischen uns aufgebaut. Jetzt brauche ich diese Barriere nicht mehr, er ist tot. Eine schöne Freundin muss ich ihm gewesen sein.
Unter Tränen betaste ich die geschundene Oberfläche des Delta Flyers und sehe sein Gesicht vor mir, dass mich vorwurfsvoll anblickt. Ich war nicht für ihn da, als er meine Hilfe brauchte, um die schlimmen Ereignisse aus seiner Vergangenheit verarbeiten zu können. Bei diesem Gedanken sinke ich auf meine Knie. Mit allerletzter Kraft setze ich mich, lehne mich mit dem Rücken gegen die Felswand und starre in den regen-grauen Himmel. Ich habe versagt, als Freundin, als Captain und als Mensch und ich werde mein Leben lang unter dieser Schuld leiden.


Ende

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