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Die Rosenlichtung

von Syrinx

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~ 2349 ~

„Kathryn?“

„Ja, Mom?“

„Anne hat eben angerufen. Sie hat gefragt, ob du heute Abend auf Tom aufpassen könntest.“

Die dreizehnjährige Kathryn stöhnte. Nicht schon wieder. Es war Freitagabend und sie hatte sicherlich besseres zu tun als auf diesen verzogenen Fratz aufzupassen. Sie rannte die Treppe hinunter zu ihrer Mutter in die Küche.

„Muss das sein? Es ist Freitagabend, Mom!“

„Bitte, Kathryn. Du weißt, dass dein Vater und Owen...“

Kathryn unterbrach ihre Mutter ungeduldig.

„Ich weiß, das Dad und der Admiral befreundet sind. Aber das heißt nicht, dass ich automatisch auf seine verzogene Brut aufpassen muss!“

„Kathryn!“ Ihre Mutter betrachtete sie mit mildem Tadel. „Ich weiß, dass Tom schwierig sein kann. Aber im Grunde deines Herzens hast du ihn doch gern, oder?“

Kathryn seufzte tief und verabschiedete sich in Gedanken von einem gemütlichen Abend vor ihrem Holovid mit ihren Freundinnen.

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Toms Eltern hatten soeben das Haus verlassen und Kathryn blickte hinüber zu dem achtjährigen Tom, welcher auf dem Sofa saß und sie herausfordernd anblickte. Sie seufzte innerlich und überwand sich, die unumgängliche Frage zu stellen.

„Und, willst du was spielen?“

Tom schüttelte den Kopf. Kathryn rang sich zu einem schwachen Lächeln durch. Glück gehabt.

„Willst du ein Holovid schauen?“

Tom schüttelte wieder den Kopf, energischer diesmal. Kathryns gezwungenes Lächeln verschwand.

„Hast du Hunger? Willst du was essen?“

Wieder Kopfschütteln. Das erinnerte sie wieder einmal genau daran, warum sie dieses Kind nicht leiden konnte.

„Okay...“

Sie ließ sich neben Tom auf dem Sofa nieder und aktivierte den Holoschirm. Die Sendung, die gerade lief, war eine ihrer Lieblingsshows, doch bevor sie vollkommen in die Handlung eintauchen konnte, wurde sie hart in die Rippen gestoßen.

„Au! Spinnst du?“

„Mir ist langweilig!“ Runde, blaue Augen blickten sie anklagend an. Wie konnte ein Achtjähriger, der es faustdick hinter den Ohren hatte, bloß so unschuldig aussehen?

„Und was genau willst du machen?“

„Wir könnten mit Dads Shuttle fliegen!“

Kathryn lachte auf. „Ja, klar! Erstens bin ich erst dreizehn und du acht, keiner von uns beiden darf ein Shuttle fliegen. Zweitens hat uns dein Vater nicht erlaubt, das Shuttle zu fliegen, also würden wir Ärger bekommen, wenn wir es täten.“

Tom schob beleidigt seine Unterlippe vor.

„Warum gehst du nicht nach oben und spielst ein bisschen mit deinen Spielsachen?“

Er schien diesen Vorschlag kurz zu überdenken, dann nickte er schließlich und ging die Treppe hinauf. Kathryn lehnte sich erleichtert zurück und wandte sich wieder den Vorgängen auf dem Holoschirm zu.

Als die Show eine Stunde später zu Ende war, deaktivierte Kathryn den Schirm und streckte sich genüßlich. Es war inzwischen dunkel geworden, und sie beschloß, nach Tom zu sehen, der sie erstaunlicherweise nicht weiter belästigt hatte. Vielleicht war er ja doch noch vernünftig geworden.

Sie stieg die Treppe hinauf in das Obergeschoß und ging zu Toms Zimmer. Sie öffnete die Tür und aktivierte die Deckenbeleuchtung.

„Tom?“

Anscheinend hatte er sich wieder vor ihr versteckt. Er schien dieses kleine Spielchen, das an ihren Nerven zerrte, zu lieben. Wohl gerade deshalb.

„Tom, das ist wirklich nicht sehr witzig. Ich weiß, dass du hier drin bist.“

In diesem Moment fiel ihr Blick auf das sperrangelweit geöffnete Fenster. Scheiße.

Sie ging hinüber und lehnte sich hinaus. Vier Meter glatte Hauswand. Aber halt... links, direkt an der Wand, befand sich die Garage, ein mit Efeu überwucherter Betonklotz, in dem Admiral Paris sein Shuttle parkte.

„Scheiße!“

Kathryn rannte wie von der Tarantel gestochen hinunter, schlüpfte in ihre Schuhe und verließ das Haus. In der Eile stolperte sie über die Schnürsenkel und fing sich in letzter Minute, ehe sie eine Bauchlandung auf der Einfahrt hingelegt hätte. Als sie die Garage betrat, hörte sie Motorengeräusch. Entsetzt blickte sie auf und sah das Shuttle etwa einen halben Meter über dem Boden schweben, den engen Raum von dem typischen blauen Licht der Warpgondeln erhellt.

„Tom!“ Sie brüllte seinen Namen und hämmerte mit den Fäusten gegen die Hülle des Gefährts. Im nächsten Moment machte es einen Satz nach vorne und kollidierte laut krachend mit der gegenüberliegenden Wand.

Kathryn gefror das Blut in den Adern. Was würde der Admiral sagen, wenn er nach Hause kam?

Tom hatte den Antrieb ausgeschaltet und das Tor des kleinen Schiffs geöffnet. Seine Augen wirkten dunkel vor Wut und seine kleinen Hände waren zu Fäusten geballt.

„Du blöde Ziege! Wenn du mich nicht erschreckt hättest, hätte ich das Shuttle nie gegen die Wand gefahren! Ich hatte alles perfekt im Griff! Du bist doch dümmer, als die Polizei erlaubt! Mein Vater bringt mich um, nur wegen dir!“

Während dieser Schimpftirade war er um das ramponierte Gefährt herumgegangen und betrachtete den Schaden. Das Shuttle hatte eine große Delle in der Nase, die Lackierung war gesplittert und es lagen Teile der Hülle auf dem Boden.

„Du ungezogener Bengel!“ Kathryn hatte nun endgültig die Nase voll. „Niemand hat dir gesagt, dass du das Haus verlassen sollst oder das Shuttle betreten und die Motoren starten! Du bist selbst schuld an dem Unfall.“

Tom war vor sie getreten, die Arme verschränkt und einen triumphierenden Blick in seinen Kulleraugen.

„Aber hättest du nicht auf mich aufpassen sollen? Stattdessen bist du die ganze Zeit vor dem Holovid gesessen.“

Kathryns Inneres verkrampfte sich bei diesen Worten. Die Rotzgöre hatte Recht.

„Ehrlich, Tom, du bist das schlimmste Kind, dem ich je begegnet bin.“

Er warf ihr einen Blick zu, den sie nicht recht zu deuten wusste. „Ich weiß.“

~ 2359 ~

Die Standpauke von ihrem Vater, die diesem Abend gefolgt war sowie das Wissen, dafür verantwortlich zu sein, dass Owen Paris’ Shuttle beschädigt war, waren Kathryn selbst nach zehn Jahren noch deutlich in Erinnerung.

Gedankenverloren schlenderte sie durch das Wohnzimmer der Paris’. Außer den zahlreichen Fotografien in den Regalen hatte sich in dem Raum nicht viel verändert. Sie blieb vor einem Bild von Tom stehen, das wohl etwa zwei Jahre vor dem Unfall aufgenommen worden war. Der blonde Sechsjährige präsentierte stolz eine knapp zwei Zentimeter lange Zahnlücke, während er auf einem kleinen Plastik-Shuttle durch den Garten fuhr.

Vor sich hin lächelnd ging Kathryn langsam den Flur hinunter. An den Wänden hingen noch mehr Bilder, von Familienurlauben, Toms Schwestern bei ihren Schulabschlussfeiern, Tom bei seinem ersten Flugwettbewerb. Unschlüssig blieb Kathryn schließlich vor der Treppe in den oberen Stock stehen. Ob Toms Zimmer noch immer genauso aussah wie früher? Sicher nicht, er war ja inzwischen auch älter geworden.

Kathryn sah sich noch ein letztes Mal um, ehe sie die Treppe hinaufstieg. Sie war allein im Haus, sämtliche Partygäste und die Familie Paris hatten sich draußen im Garten um den Grill und die Bowle geschart und so würde es sicher niemand stören, dass sie sich ein bisschen umsah. Gespräche über die neuesten Shuttle-Antriebe und die Föderations-Präsidentenwahl interessierten sie sowieso nicht.

Eines wusste Kathryn mit Sicherheit in dem Moment, als sie Toms Zimmer betrat: Er hatte seine Leidenschaft für alles, was flog, nicht verloren, ganz im Gegenteil. Jeder Zentimeter der Wände des Raums war mit Postern und Bildern von Shuttles der Föderation, Raumschiffen verschiedenster Spezies und Flugzeugen des 20. Jahrhunderts tapeziert. Auf einem wackeligen Regal staubten zahlreiche Pokale und andere Auszeichnungen friedlich vor sich hin. Weiter hinten, halb verdeckt von einem riesigen Pokal mit dem Titel „1. Platz Flugwettbewerb Föderationsferienlager Sommer 2356“ entdeckte Kathryn ein Modell eines alten Dreimasters. Neugierig nahm sie das Segelschiff in die Hand und betrachtete es, als ein Geräusch sie plötzlich herumfahren ließ.

Tom stand in der Tür, ein Glas Bowle in der Hand und blickte sie ärgerlich an. Kathryn lächelte ihm entschuldigend zu.

„Hi. Tut mir leid, ich hätte fragen sollen.“

„Du hast schon immer einfach gemacht, was du wolltest.“

Kathryn stellte das Schiff zurück in das Regal und wandte sich wieder zu Tom.

„Woher willst du das denn wissen? Wenn ich mich recht erinnere, haben wir uns in den letzten Jahren nicht oft gesehen.“

Tom nickte. „Ich erinnere mich noch gut an den Abend, als du auf mich ‚aufgepasst’ hast...“

Er hatte das Zimmer betreten, sein Glas neben dem Computerterminal abgestellt und den Monitor aktiviert. Kathryn hatte ihn unbehaglich betrachtet, trat nun aber neugierig hinter ihn.

„Woran arbeitest du?“

„Flugmanöver. Ziemlich langweilig.“

„Warum arbeitest du dann daran?“

Tom antwortete nicht, wie Kathryn mit einer gewissen Genugtuung bemerkte. Owen Paris’ Sohn war bekannt dafür, dass sein Mundwerkfaktor Warp neun überschritt und somit war es ein seltenes Event, ihn sprachlos zu sehen.

„Und was genau ist das nun für ein langweiliges Flugmanöver?“

Tom seufzte, nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bowle-Glas und wandte sich zu Kathryn.

„Das ist ein Angriffsmanöver aus dem Tiefflug. Ich habe Vater vor ein paar Tagen davon sprechen hören. Allein der Tonfall, in dem er dieses Manöver geschildert hat, hat ausgereicht, mich neugierig zu machen.“

Kathryns Augen waren über die taktischen Darstellungen auf dem Bildschirm gewandert.

„Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass dein Vater nicht sehr positiv über diese Sache gesprochen hat? Soweit ich weiß, gilt dies als eines der gefährlichsten Flugkunststücke, die man mit einem Klasse-2-Shuttle fliegen kann.“

Tom gab einen schnaubenden Laut von sich.

„Blödsinn. Dieses Kunststück ist reine Physik. Augenmaß. Können. Fähigkeiten, die viele Sternenflottenpiloten nicht gerade im Überfluss besitzen.“

Er sprach das Wort „Sternenflottenpilot“ mit einem Gusto aus, wie ein Klingone einem unehrenhaften Krieger das Wort „P’Tagh’ ins Gesicht spucken würde.

„Es gibt durchaus fähige Piloten in der Sternenflotte. Und es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Könner und einem Draufgänger.“

„Du meinst einen Feigling?“

„Du hast dich in den letzten Jahren nicht sehr verändert, oder? Immer noch der Rebell.“

„Was sonst? Admiralssohn ist schließlich keine Lebensaufgabe. Und es kann auch nicht jeder in die Fußstapfen des Vaters treten.“

„Nein, aber man kann die Chancen, die man bekommt, nutzen.“

„Und wenn man diese Chancen gar nicht möchte?“

„Was willst du denn?“

„Fliegen. Möglichst schnell und möglichst viel. Ohne Regelungen und Protokolle. Nicht nur die Sternenflotte braucht Piloten. Es gibt allein in diesem Sektor eine Unmenge Testflugcenter, die dringend Piloten suchen.“

Kathryn betrachtete Tom nachdenklich. Es schien ihm tatsächlich ernst zu sein, nicht an der Sternenflottenakademie zu studieren.

„Und dein Vater?“

Tom zuckte die Schultern und wandte sich wieder seinen Schemata zu.

„Was soll schon sein mit ihm? Er kann auch nicht mein ganzes Leben kontrollieren.“

Kathryn legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Wenn du das wirklich willst, wird er es sicher akzeptieren.“

Tom seufzte.

„Ich dachte, du kennst den Admiral. Mein Großvater war bei der Sternenflotte, er war bei der Sternenflotte und Maria ebenfalls. Kannst du dir ernsthaft vorstellen, dass er nur nickt und lächelt, wenn er erfährt, das sein einziger Sohn mit der Familientradition bricht und nicht zur Flotte geht?“

Kathryn wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Beschwichtigende Floskeln waren hier jedenfalls fehl am Platz.

Tom betrachtete sie nachdenklich.

„War es deine eigene Entscheidung gewesen, zur Sternenflotte zu gehen?“

„Was glaubst du denn?“ Kathryn blickte ihn ungehalten an.

„Du bist ebenfalls eine Admiralsgöre und es wurden bestimmt auch an dich Erwartungen gestellt.“

Kathryn hatte sich von ihm abgewandt und starrte aus dem Fenster, ohne die Landschaft wirklich wahrzunehmen.

„Es war allein meine Entscheidung gewesen.“

Ärgerlich stellte sie fest, dass ihre Stimme gepresst klang. Der Tod ihres Vaters und ihres Verlobten lag nun schon fast zwei Jahre zurück, und trotzdem... Tom musste sie für eine Mimose halten. War es ihr überhaupt wichtig, was er von ihr dachte? Wenn sie ehrlich war...

Tom hatte ihr nicht geantwortet, er schien das Thema nicht weiter verfolgen zu wollen. Doch sie verspürte plötzlich das Bedürfnis, ihm von ihrem Vater zu erzählen.

„Eigentlich war er nicht glücklich über meine Entscheidung gewesen.“

„Was?“

Kathryn wandte den Kopf und blickte in Toms fragendes Gesicht. Er hatte sich schon wieder seinen Schemata zugewandt gehabt. Sie drehte sich wieder dem Fenster zu.

„Mein Vater. Insgeheim war er nicht glücklich mit meiner Entscheidung gewesen, zur Sternenflotte zu gehen. Die Situation mit den Cardassianern war schon so verfahren... Er hatte Angst. Um uns, meine Mutter und Phoebe...“

„Er war sehr stolz auf dich gewesen.“

Unsicherheit ließ Toms Stimme zittern, doch der anklagende Unterton war Kathryn trotzdem nicht entgangen.

„Woher weißt du das?“

„Er hat sich mit meinem Vater des Öfteren über dich und deine Fortschritte unterhalten.“

Kathryn antwortete nicht. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Vater es so empfunden hatte! Und es jetzt zu wissen ließ sie den Schmerz des Verlustes nicht leichter ertragen. Im Gegenteil.

„Mein Vater spricht immer noch oft von dir.“

„Tut er das?“

„Ja. Wie schwer du es nach Edwards Tod gehabt hast. Dass du dich, trotz deines Schocks, wieder gefangen hast und ein sehr talentierter Offizier bist. Er sagt, dass... dein Vater stolz auf dich gewesen wäre.“

Sie wagte es nicht, sich umzudrehen und Tom in die Augen zu schauen. Sie spürte seinen Blick, der sich durch ihren Rücken brannte. Vermutlich war das Einbildung.

Plötzlich sprach er mit rauer Stimme.

„Warum tust du das?“

„Was meinst du?“

„Ich meine deinen ‚Job’. Warum bist du zur Sternenflotte gegangen? Warum machst du alles genau so, wie jeder es von dir erwartet? Warum bist du so verdammt perfekt?“

Kathryn wandte sich endlich zu ihm um und blickte in zwei wütend blitzende Augen. Sie gab sich Mühe, Distanz in ihren Blick zu legen.

Tom seufzte tief.

„Es tut mir leid, ich hätte dich nicht so anfahren dürfen. Es ist nur... Jedes Mal, wenn Vater dich in höchsten Tönen lobt, frage ich mich, was aus dem kleinen Mädchen geworden ist, dass über seinem Lieblingsholovid das Kind vergaß, auf das sie aufpassen sollte?“

Er blickte Kathryn ernst an. Sie erwiderte seinen Blick standhaft, obwohl sie das Gefühl hatte, am ganzen Körper zu zittern. Einem plötzlichen Impuls folgend ging sie auf Tom zu und nahm in die Arme.

„Es tut mir so leid, Tom...“

Er war aufgestanden und sie lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. Im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen roch er nicht nach billigem Aftershave, sondern nach etwas Frischem, Sonnigen, das ihre Knie weich werden ließ.

Vorsichtig löste Kathryn sich aus der Umarmung und ließ ihren Blick bewusst über Toms Gesicht wandern. Er musste viel Zeit draußen verbracht haben, seine gebräunte Haut bildete einen reizvollen Kontrast zu seinen blonden Haaren und den unverschämt blauen Augen, die sie unsicher anblickten.

Kathryn lächelte, als er ihr Gesicht in beide Hände nahm, und seine unsichere Miene machte deutlicher Erregung Platz. Sie schloss die Augen und spürte im nächsten Moment seine Lippen auf ihren, schüchtern, fragend. Sie schmiegte sich eng an ihn und legte ihre Arme um seinen Nacken, woraufhin sein Kuss fordernder, intensiver wurde. Sie antwortete ihm mit dem gleichen Verlangen und fuhr ihm durch die Haare; eine Geste, die er sofort imitierte.

Sie unterbrachen den Kuss und starrten einander atemlos an, Lippen und Wangen gerötet und brennendes Verlangen in den Augen. Kathryn ließ sich langsam auf Toms Bett nieder und bedeutete ihm, ihr zu folgen.

Er ließ sich neben ihr nieder und seine Lippen fanden die ihrigen sofort. Sie lehnte sich in seine Umarmung und erwiderte seinen Kuss mit einer Leidenschaft, wie sie sie lange nicht mehr gespürt hatte. Sie verdrängte den unangenehmen Gedanken an ihre Mutter und Toms Eltern, die ein Stockwerk tiefer mit einem Haufen Admiräle gepflegte Konversation machten.

Tom drängte sich immer mehr gegen sie, während er ihren Kuss vertiefte. Seine anfangs noch etwas ungeschickten Zungenbewegungen hatten sich schnell den ihrigen angepasst, ebenso seine Zärtlichkeiten. Er drängte sich immer stärker an sie, sodass sie sich rücklings zurückfallen ließ. Tom folgte ihrer Bewegung und legte sich auf sie, ohne ihren Kuss zu unterbrechen.

Sie spürte seine Erektion an ihrem Oberschenkel und zog Tom, der sich aufgrund der Berührung erschrocken verspannt hatte, in eine feste Umarmung zu sich herunter. Für einen langen Moment blickten sie einander in die Augen, jeder die Gefühle des anderen erforschend.

Schließlich nickte Kathryn leicht, was Tom ein verlegenes Grinsen entlockte, das sie mit einem kleinen Kuss verschwinden ließ. Er senkte den Kopf und begann, ihren Hals und ihr Dekolleté mit federleichten Küssen zu bedecken, die ihr heiße Schauer über den Rücken jagten.

Während Tom den Träger ihres Oberteils von ihrer Schulter schob, sah Kathryn plötzlich das Bild eines kleinen blonden Jungen mit geballten Fäusten und einer großen Zahnlücke vor sich. Gab es so etwas wie Schicksal? Er begann, ihr Schlüsselbein zu küssen und sie verwarf den Gedanken. Wen kümmerte das? Und die Zahnlücke hatte sich ja ausgewachsen.

~ 2360 ~

„Ich dachte, du hast vielleicht Hunger.“

Kathryn hob den Blick von ihren Schuhspitzen und blickte direkt in Toms blaue Augen, die sie sorgenvoll betrachteten. Er hielt ihr einen Teller voller verschiedener Salatsorten, einem Schnitzel und einem großen Stück Weißbrot hin.

Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, doch er ließ sich nicht so schnell abwimmeln.

„Komm schon, ein paar der Salate sind wirklich gut. Die meisten Admiralsfrauen haben recht brauchbare Replikatorprogramme.“

Seine Augen blitzten für einen Augenblick humorvoll, Kathryn ging jedoch nicht darauf ein. Resigniert ließ sich Tom neben ihr auf der Gartenbank nieder.

„Heißt das, ich muss diese Riesenportion jetzt ganz allein vernichten? Das kannst du mir nicht antun. Außerdem hat Vater sich solche Mühe mit dem Fleisch gegeben.“

Kathryn betrachtete ihn für einen Moment prüfend, ehe sie nachgab und sich eines der Plastikbestecke nahm, die er mitgebracht hatte. Sie piekte ein paar Salatblätter auf und kaute prüfend darauf herum, unter den Argusaugen von Tom.

„Und?“

Sie schluckte und lächelte.

„Lecker.“

Schweigend verdrückten sie gemeinsam den Inhalt des Tellers, bis Tom ihn schließlich, zufrieden seufzend, im Gras abstellte.

„Das war gut! Was hältst du von einem kleinen Verdauungsspaziergang?“

„Haben sie dich abkommandiert, dass du mich unterhältst? Oder sollst du meine Laune aufbessern?“

Tom betrachtete sie verletzt.

„Niemand hat mich zu irgendetwas abkommandiert. Ich möchte einfach etwas Zeit mit dir verbringen.“

Kathryn wandte ihren Blick von ihm ab und wischte sich hastig über die Augen. Entnervt betrachtete sie die dicken schwarzen Streifen auf ihren Fingern und seufzte.

„Es tut mir leid, Tom. Es ist... Und jetzt ist auch noch mein Make-up verschmiert.“

Sie lächelte ihn hilflos an.

„Ach, das haben wir gleich.“

Er zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und hielt es Kathryn unter die Nase, die ihn fragend ankuckte.

„Du musst draufspucken.“

Sie blickte ihn verwirrt an.

„Hat deine Mutter dir nie mit einem eingespeichelten Taschentuch den Mund abgewischt?“

Zögernd spuckte Kathryn auf das Taschentuch und Tom fuhr ihr damit mehrere Male unter den Augen entlang. Dann betrachtete er seine Arbeit mit zusammengekniffenen Augen.

„Na also. So gut wie neu und definitiv präsentabel. Hast du jetzt Lust auf einen Spaziergang?“

Kathryn nickte und gemeinsam schlenderten sie entlang der Blumenrabatte zum Gartentor, hinter dem sich ein lichtes Laubwäldchen befand.

Lange gingen sie stumm nebeneinander her, die einzigen Geräusche waren das Singen der Vögel und ihre Schritte. Bis Tom die Stille brach.

„Ich habe ihn gehört. Vater. Jede Nacht. Meine Mutter kann nicht mehr im selben Zimmer schlafen wie er, weil sie von seinen Schreien Alpträume kriegt.“

Plötzlich hörte Kathryn das Zwitschern der Vögel nicht mehr, sondern nur noch das Rauschen ihres Blutes in den Ohren. Sie wusste genau, was Tom meinte. Sie hatte diese Schreie ebenfalls gehört, sie bevölkerten ihre Träume, ebenso wie der kalte Boden der Zelle und der harte Griff von Händen, die von rauer, reptilienartiger Haut überzogen waren.

„Niemand sollte seinen Vater so schreien hören. Niemand sollte irgendein Wesen so schreien hören!“

Er blickte Kathryn an, puren Hass in seinen Augen.

„Ich werde jeden von diesen... Metzgern, der mir über den Weg läuft, eigenhändig zur Strecke bringen!“

„Das ist auch keine Lösung.“

Tom hatte sie an den Oberarmen gepackt.

„Ach ja? Und was wäre deiner Meinung nach die Lösung? Nicht jeder kann sich hinter einer dicken Schicht Gleichgültigkeit und schwarzem Make-up verstecken!“

Nun brodelte auch in Kathryn die Wut.

„Du hast keine Ahnung, um was es hier geht, Tom. Glaubst du, für mich ist es einfach, mit diesem Erlebnis fertig zu werden? Du gibst dich deinen naiven Racheplänen hin, aber glaub mir, diesen Luxus kann sich nicht jeder erlauben. Und jetzt lass mich bitte los.“

„Ach plötzlich? Vor zwei Jahren schien dir meine Berührung noch mehr als willkommen. Nur auf den Anruf, den du mir versprochen hattest, warte ich noch heute.“

Er stieß sie von sich.

„Ich konnte damals schließlich auch nicht wissen, dass ich der Al’Batani und deinem Vater zugeteilt werden würde. Warum wärmst du dieses alte Thema jetzt wieder auf? Das ist nicht gerade das, worüber ich mir im Moment Gedanken mache.“

„Worüber machst du dir Gedanken?“

Sie warf ihm einen abfälligen Blick zu und stapfte weiter in den Wald hinein. Tom folgte ihr und hielt sie am Arm fest. Sie riss sich grob von ihm los.

„Fass mich nicht an!“

„Lass uns reden, Kathryn.“

„Worüber denn? Deine Akademie-Eroberungen interessieren mich nicht sonderlich. Überhaupt, woher kam denn der plötzliche Sinneswandel?“

„Ich habe Dad versprochen, dass ich es zumindest mit der Sternenflotte versuche. Und dann ist diese... Sache passiert. Und jetzt bringe ich es nicht über mich, ihm zu sagen, dass ich die Akademie abbrechen will.“

„Du bist also doch noch der Sohn geworden, den er sich so sehnlich gewünscht hat.“

Tom wich ihrem Blick aus und starrte in die Ferne.

„Nicht wirklich.“

„Wieso das denn? Du gehst zur Sternenflotte, wirst Pilot, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

Kathryn hatte sich gelangweilt abgewandt und wollte weitergehen, als Toms nächster Satz sie zurückhielt.

„In zwei Wochen muss ich mich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten für den Unfall beim Formationsflugtraining, wobei drei meiner Kommilitonen tödlich verunglückt sind.“

Er rasselte die Information monoton herunter wie jemand, der die Vorladung hunderte Male gelesen hatte. Kathryn antwortete ihm nicht.

„Sie geben mir die Schuld daran, dass sie tot sind. Pilotenfehler.“

„Bist du schuld?“

Toms Blick wanderte noch immer ziellos über die Bäume und Büsche, die ihren Pfad säumten.

„Wir übten das Tiefflugmanöver. Glaubst du wirklich, mir würde dabei ein Fehler passieren?“

Kathryn erinnerte sich. Das ‚langweilige’ Manöver, das ihn schon als Teenager fasziniert hatte. Wie weit entfernt ihr dieser Nachmittag in Toms Zimmer schien. Damals hatte sie geglaubt, zu wissen, was Schmerz war. Wie sie sich geirrt hatte...

„Die Sternenflotte glaubt es offensichtlich.“

„Die Sternenflotte! Die glauben alles, was sie von diesen glatzköpfigen Sesselfurzern zu hören kriegen, die die Untersuchungen durchführen. Als hätten diese Idioten irgendeine Ahnung!“

In Kathryn stieg ein Hauch von Mitgefühl auf. Sie wusste, wie es war, vor Leuten, die vorgaben oder vielleicht sogar tatsächlich glaubten, einen zu verstehen, etwas breitzutreten, das einem persönlich sehr nahe ging. Sie wusste es nur zu gut...

„Lieutenant Janeway, beschreiben Sie die genauen Umstände Ihrer Haft auf Urtea II.“

„Admiral Paris und ich waren getrennt worden, und ich sah ihn erst bei unserer Flucht wieder. Ich... ich hatte die Zelle neben ihm. Sie holten ihn täglich ab, um ihn zu befragen.“

„Woher wussten Sie, dass die Cardassianer ihn befragten?“

„Ich... ich konnte es hören.“

„Konnten Sie verstehen, was die Cardassianer ihn gefragt haben?“

„N... nein.“

„Was konnten Sie genau hören?“

„Nur... Stimmen.“

„Stimmen?“

„Admiral Paris. Und zwei Cardassianer.“

„Sie konnten kein Wort von dem verstehen, was gesprochen wurde, wussten aber dennoch, dass Admiral Paris befragt wurde.“

„Ja.“

„Was gab Ihnen Anlass zu dieser Annahme?“

„Er... ich...“

„Lieutenant?“

„Er hat die ganze Zeit geschrieen!“

„Kathryn?“

Tom hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt und sie aus ihren noch viel zu frischen Erinnerungen gerissen. Er hatte wieder diesen sorgenvollen Blick in seinen Augen.

„Ist alles in Ordnung?“

Sie antwortete nicht, sondern drehte sich zu ihm um und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. Als sie ihren Kopf gegen seine Brust lehnte, wie sie es vor so langer Zeit schon einmal getan hatte, spürte sie, wie sich der Knoten in ihrer Kehle löste und die Tränen zu fließen begannen.

Tom schloss seine Arme fester um sie. Sie schluchzte unwillkürlich auf, als Panik sie mit sich zu reißen drohte. Er wiegte sie sanft hin und her.

„Shhh. Es ist in Ordnung, Kathryn. Du bist in Sicherheit. Niemand wird dir je wieder wehtun. Shhhh.“

Er murmelte ihr weiter und weiter beruhigende, nichts sagende Floskeln ins Ohr, während sie sich an ihn klammerte wie ein Ertrinkender an das rettende Holzbrett, von ihren Schluchzern geschüttelt.

Keiner von beiden konnte später sagen, wie lange sie so auf dem Waldweg gestanden waren. Kathryn beruhigte sich schließlich und lag erschöpft in seinen Armen.

Tom hatte seinen Kopf an ihren gelehnt und sie spürte seinen Atem warm in ihrem Nacken. Sie war froh, dass er bei ihr war, dass er sie in seinen Armen hielt. Allein zu sein war schwierig und doch so lebensnotwendig geworden.

Schließlich löste Tom seinen Griff und blickte ihr offen in die Augen.

„Hast du Lust, noch ein bisschen weiterzugehen? Ich möchte dir was zeigen.“

„Gerne.“

Hand in Hand folgten sie dem Pfad durch den sonnendurchfluteten Wald, bis dieser schließlich einen scharfen Knick machte und in eine Lichtung mündete, durch die ein kleiner Bach floss. Und am gegenüberliegenden Ufer blühten in der prallen Sonne wilde Rosen, deren Ranken sich an Stämme klammerten und über Steine wucherten. Ihr Duft hing süß und schwer über der Szenerie.

Tom ließ Kathryns Hand los, näherte sich den Rosen und brach eine der dunkelroten, samtigen Blüten ab. Dann ging er zu Kathryn zurück.

„Für dich.“

Kathryn nahm ihm die dornige Blume aus der Hand und schnupperte daran. Der intensive Duft füllte ihre Nase und ließ sie beinahe schwindeln.

„Sie ist wunderschön. Es ist wunderschön hier.“

„Wir können für eine Weile bleiben, ehe sie Suchtrupps nach uns aussenden. Wenn du willst.“

Kathryn nickte.

Tom ging wieder hinüber zu dem Bach, zog sich Schuhe und Socken aus und ließ sich am Ufer nieder, die Füße in das klare Wasser baumelnd. Kathryn tat es ihm gleich und setzte sich neben ihn. Als ihre Füße das Wasser berührten, zuckte sie zurück.

„Huch, ist das kalt!“

„Ich würde es eher ‚erfrischend’ nennen.“

Tom grinste spitzbübisch, dann wandte er seinen Blick wieder den Rosen zu. Schweigend betrachteten sie die wilden Blumen, ehe Tom die Stille brach.

„Willst du darüber reden?“

Kathryn erstarrte. Das war genau die Frage, vor der sie sich gefürchtet hatte. Auf der einen Seite spürte sie ein dringendes Mitteilungsbedürfnis. Nicht um Mitleid zu erregen, davon hatte sie bereits mehr, als ihr lieb war. Vielmehr, um einen Teil der Dunkelheit, die sie auffraß, loszuwerden. Vielleicht würden die Leute sie dann endlich besser verstehen. Alle taten immer so, als hätten sie eine Vorstellung davon, wie es in ihr aussehen müsste. Wie naiv sie doch waren. Sie lebten in ihrer behüteten Welt und glaubten, nur weil sie die täglichen Horrormeldungen von den Krisenherden zwischen der Föderation und den Cardassianern verfolgten, in denen das Leid der Betroffenen zu Unterhaltungszwecken ausgeschlachtet wurde, dass sie sie verstünden. Lächerlich.

Auf der anderen Seite waren die Erfahrungen, die sie machen musste, so furchtbar gewesen, dass sie sich nicht sicher war, ob sie je darüber sprechen können oder wollen würde. Es ging nur sie etwas an, was man ihr angetan hatte. Schlimm genug, dass es passiert war, und noch schlimmer, wenn sich die Leute das Maul darüber zerreißen würden.

Doch war Tom so ein Mensch? Er war großspurig, und arrogant und hatte ein loses Mundwerk. Aber er war keine Plaudertasche. Nach ihrer letzten gemeinsamen Begegnung bei der Grillparty seiner Eltern war sie unbewusst davon ausgegangen, dass Tom und sie innerhalb einer Woche des neuen Schuljahrs das High School-Tagesgespräch sein würden. Natürlich hatte sie auch ihre Quellen, und wie es schien, hatte Tom nicht ein Wort über sie verloren. Zu niemandem. Das hatte sie ihm hoch angerechnet.

Er betrachtete sie prüfend von der Seite, während sie ihren Überlegungen nachhing. Weiter ihren Blick auf die Rosen gerichtet antwortete Kathryn ihm mit einer Gegenfrage.

„Was hat dein Vater dir erzählt?“

Tom blickte auf seine Fußspitzen in dem klaren Wasser des Bachs.

„Nichts. Er spricht mit uns nicht darüber, sondern tut so, als wäre nichts passiert. Als wären wir eine ganz normale, glückliche Familie.“

Er stockte kurz, ehe er mit leiser Stimme fortfuhr.

„Er hat mit Ma darüber gesprochen. Ich kam spät nach Hause von einem Treffen mit meinen Freunden, als ich seine Stimme gehört habe, im Wohnzimmer. Einerseits wollte ich unbedingt wissen, was er ihr erzählte. Ich meine, ich bin sein Sohn. Habe ich kein Recht darauf, zu wissen, was diese Bastarde mit meinem Vater gemacht haben? Andererseits wollte ich nicht lauschen. Es war nur für meine Mutter bestimmt gewesen, was er gesagt hat. Sie hat die ganze Zeit geweint. Ich bin hoch in mein Zimmer gegangen und habe meinen Kopf unter das Kissen gesteckt.“

Stille senkte sich über die Lichtung, selbst der Gesang der Vögel schien ihre Ohren nur noch gedämpft zu erreichen. Schließlich entschloss sich Kathryn, dem Hin und Her in ihrem Kopf ein Ende zu setzen.

„Bist du dir sicher, dass du das hören willst?“

Unsicherheit schlich sich für einen Moment in Toms Blick, doch dann nickte er bestimmt.

Stockend begann Kathryn zu sprechen. Von ihrer, wie sie geglaubt hatte, Aufklärungsmission. Von der Gefangennahme durch die Cardassianer. Mit zunehmender Leichtigkeit erzählte sie ihm, wie sie von den Cardassianern abgefangen und verhaftet worden waren und ihrem Aufenthalt im Gefängnis. Sie fühlte sich, als wäre in ihr ein Damm gebrochen, und all ihr Schmerz, ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung sprudelten nur so aus ihr heraus.

Als sie geendet hatte, standen auch Tom die Tränen in den Augen. Er nahm sie stumm in die Arme und drückte sie fest an sich. Die Geborgenheit in seinen Armen war genau das, was sie jetzt brauchte.

Tom begann, sanfte Küsse auf ihren Hals zu hauchen. Nach all den persönlichen Gedanken und Erlebnissen, die sie ausgetauscht hatten, schien es nur natürlich, dass sie diese Intimität auf ihre Körper ausdehnten. Genüsslich legte Kathryn den Kopf in den Nacken, Erinnerungen an einen sonnigen Nachmittag genießend, an dem die Welt noch halbwegs in Ordnung gewesen war.

Toms Küsse waren inzwischen ihren Hals heraufgewandert und er schien keinen Quadratmillimeter ihrer Haut zu vergessen. Das Rot seiner Lippen verschwand immer mehr unter dem Schwarz ihrer Schminke, die sich in langen, dunklen Rinnsalen über ihre Wangen wand. Sie versuchte vergeblich, die Flecken mit ihrem Daumen zu verwischen und gab erst auf, als Tom entschlossen seinen Mund auf den ihren presste.

Seine Lippen sandten eine Gänsehaut über ihren Körper. Sie fühlte sich frei in seiner Umarmung, frei von allen Sorgen und Schmerzen von dieser Welt. Sie wünschte sich, die Zeit möge stillstehen und sie könnte für immer in seiner Umarmung, in Freiheit, bleiben. War das Liebe?

„Tom...“

Seine blauen Augen richteten sich auf sie und sie spürte seinen fieberhaften Atem auf ihrem Mund.

„Ich liebe dich.“

Erstaunen breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, ob er genauso empfinden würde. Alles, was ihr bewusst war in diesem Moment, war, dass sie frei war. Nicht verletzlich durch diese drei kleinen, weltbewegenden Worte, sondern stark und frei.

Tom hatte sich nach unten gelehnt, sein Mund war auf gleicher Höhe mit ihrem Ohr.

„Kathryn, meine Kathryn. Ich lasse dich nie wieder los. Ich liebe dich.“

~ 2371 ~

Die idyllische Szenerie täuschte den Betrachter darüber hinweg, dass das gesamte Gelände eine Sternenflottenstrafanstalt war. Üppige Vegetation in gepflegten Parks, ein angenehm warmes Klima und nirgendwo eine Mauer oder ein Zaun...

Kathryn wischte sich etwas genervt den Schweiß von der Stirn. Vor einer Stunde erst war sie im kühlen San Francisco in das Shuttle gestiegen und der plötzliche Temperaturwechsel machte ihrem Körper zu schaffen. Sie wollte als kühler, durch nichts aus der Ruhe zu bringender Sternenflottencaptain auftreten, der schon allein durch seine Körperhaltung Respekt verlangte. Und das war schlecht möglich, wenn sie gleichzeitig keuchte und schwitzte wie ein Minenarbeiter.

Schließlich gab sie nach und lehnte sich im Schatten an einen Baum, um ihren Körper und ihren Geist zu beruhigen. Denn verdammt, sie musste zumindest vor sich selbst zugeben, dass sie nervös war.

Vor etwa sieben Jahren hatte sie Tom das letzte Mal gesehen. Sieben verdammt lange Jahre.

Die Untersuchung bezüglich des Flugunfalls hatte zu keinem Ergebnis geführt, von Toms Unschuld an dem tragischen Unglück war jeder überzeugt gewesen.

Nach dem Nachmittag auf der Rosenlichtung hatten sie sich regelmäßig getroffen, sofern es ihre Zeitpläne zuließen. Keine Beziehung, das war es nicht gewesen, vielmehr eine intime Freundschaft. Nicht zu verwechseln mit einer Fickbeziehung, wie Toms Mitbewohner sie einmal abfällig betitelt hatte.

Widerwillig musste Kathryn bei dieser Erinnerung grinsen. Selten hatte sie Tom so ärgerlich gesehen, und es wurde gemunkelt, dass sein Mitbewohner noch am selben Abend dem medizinischen Dienst auf dem Akademiecampus einen Besuch abstatten musste.

Sie dachte gern, aber immer mit ein bisschen Wehmut an ihre gemeinsame Zeit zurück. Die zu einem abrupten Ende gekommen war...

Und die sie dazu veranlasste, anstatt sich in diesem Moment in ihrem kühlen Büro mit einer Tasse duftenden Kaffee in der Hand in den Plänen ihres funkelnagelneuen Schiffes zu vergraben, sich am südlichen Ende der Welt die Seele aus dem Leib zu schwitzen.

Tom. Ausgerechnet wegen Tom, der eines Tages spurlos verschwunden war. Der sie ohne eine Nachricht einfach sitzen gelassen hatte. Admiral Paris hatte sich über das Verbleiben seines Sohnes ausgeschwiegen und täte es vermutlich noch bis zum heutigen Tag, wenn er könnte.

Doch nach fast fünfeinhalb Jahren schließlich stand es in allen Zeitungen: „Admiralssohn: Ex-Maquis und drei Kommilitonen auf dem Gewissen?“ Beides zusammen hatte ihm acht Jahre Neuseeland eingebracht, nachdem er im Nachhinein gestanden hatte, dass er tatsächlich dafür verantwortlich war, dass drei seiner Mitstudenten tödlich verunglückt waren.

Kathryn setzte seufzend ihren Weg durch das Gelände der Strafanstalt fort, bis sie zu einer Gruppe Häftlingen gelangte, die eine Sensorenphalanx reparierten. Eine Atmosphäre konzentrierter Beschäftigung lag über der Szenerie, vielmehr wie in einem Büro als in einem Gefängnis.

Sie hatte Tom entdeckt, der an dem Gehäuse der Phalanx herumschraubte. Sie beobachtete ihn für einige Sekunden. Die Arbeit an der frischen Luft und die Sonne Neuseelands hatten ihm einen frischen, gebräunten Teint verliehen, der einen faszinierenden Kontrast zu seinen blauen Augen bildete. Kathryn spürte, wie ihre Knie weich zu werden drohten und zwang sich, diesem Gefühl nicht nachzugeben.

„Tom Paris?“

Fragend hob er den Kopf und blinzelte gegen Sonne.

„Kath?“

„Captain Kathryn Janeway.“

Er hatte sich aufgerichtet und blickte sie abschätzend an.

„Natürlich.“

„Die Sternenflotte will Ihnen ein Angebot machen. Gehen wir ein paar Schritte, dann erkläre ich Ihnen die Details.“

Er nickte, legte sein Werkzeug beiseite und folgte ihr. Schweigend liefen sie an einer Baumgruppe vorbei, bis Kathryn die Stille brach.

„Wir sind nun bereits seit einiger Zeit auf der Suche nach einem der Maquis-Anführer. Wie ich gehört habe, haben Sie mit ihm zusammengearbeitet? Sein Name ist Chakotay.“

Tom blickte sie unsicher an.

„Das ist richtig.“

„Nun, er ist der Sternenflotte bis jetzt erfolgreich entkommen, weswegen wir Ihre Hilfe benötigen. Sie kennen doch die Koordinaten seines Verstecks?“

Zwischen Toms Augen hatte sich eine steile Falte gebildet.

„Ich soll Chakotay und die anderen an die Sternenflotte verraten?“

„Sie würden uns einen großen Dienst erweisen, und die Sternenflotte wird sich dessen erkenntlich zeigen.“

Kathryn hatte sich zu Tom umgewandt, der plötzlich stehen geblieben war und sie ärgerlich betrachtete.

„Was soll dieses Theater, Kathryn? Hat mein Vater das ausgeheckt und dich geschickt?“

Kathryn wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Sie wollte nicht, dass er wusste, dass es ihre Idee gewesen war und Owen Paris eher zurückhaltend darauf reagiert hatte. Verlegen presste sie die Lippen zusammen, was Tom natürlich vollkommen falsch interpretierte.

„Es ist sowieso vollkommen egal, denn ich werde niemanden verraten! Ich mache nicht mit bei diesem hübschen kleinen Plan, der mich aus dem Gefängnis holt und meinen Ruf wieder herstellt, nur damit mein Vater sein Gesicht wieder auf Admiral-Dinnerparties zeigen kann!“

Sie betrachtete ihn ungläubig. Würde er nie aufhören, in allem, was sein Vater tat, einen bösen Hintergedanken zu vermuten?

„Warum erkennst du nicht, dass es hier nicht um deinen Vater geht, sondern um dich und DEINE zweite Chance? Du kannst dein Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Ist das so egal?“

„Ach komm, Kathryn. Du weißt selbst sehr genau, dass ich groß „Verräter“ auf der Stirn stehen habe. Und man wird verdammt noch mal sichergehen, dass, wo immer ich auch stationiert werden würde, ich das nie vergessen werde.“

Er wandte sich ab von ihr und wollte schon zurück zu den anderen Sträflingen zurückgehen, doch ihre Stimme hielt ihn zurück.

„Warum bist du so plötzlich verschwunden?“

Sie klang einsam. Er wandte sich zu ihr um und gestikulierte etwas hilflos mit ausgebreiteten Armen.

„Ich... Es tut mir leid, okay?“

„Warum, Tom?“

Er war stehen geblieben, während sie auf ihn zuging. Sie blickte zu ihm auf und sah Resignation in seinen Augen.

„Ich musste weg von allem, ich musste herausfinden, wer ich war und was ich wollte im Leben...“

Er strich ihr mit seinem Handrücken sanft über die Wange.

„Oh Kathryn...“

Sie schloss die Augen und spürte seine Lippen im nächsten Moment schon auf ihren. Sie fühlten sich vertraut an, doch etwas war anders...

Sie unterbrach den Kuss und öffnete ihre Augen wieder.

„Ich musste weg von dir, Kathryn.“

Sie starrte ihn verständnislos an. Von ihr?

„Ich... Wir... Es hätte nicht funktioniert zwischen uns. Ich steckte zu tief drin. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll... Ich merkte, dass ich mehr an dieser Beziehung hing als du, verstehst du? Wir haben immer dann wieder zusammengefunden, wenn es dir schlecht ging oder du jemanden gebraucht hast. Versteh mich nicht falsch,“

Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht gewichen war. Er hatte beide Hände auf ihre Schultern gelegt, doch sie konnte nur auf seinen Mund starren.

„Ich will mich nicht beschweren, im Gegenteil. Durch dich habe ich gelernt, wie wichtig Nähe zu Menschen ist. Wie man mit ihnen umgeht. Dass es mehr gibt als nur Gewinner und Verlierer, Erwartungen und ob man sie erfüllt oder nicht. Du hast einen besseren Menschen aus mir gemacht, Kathryn. Ich habe dich geliebt.“

Er seufzte.

„Doch es hätte nicht funktioniert, stimmt’s? Du warst schon wieder fast auf dem Sprung, während ich das Gefühl hatte, dass dies ein Teufelskreis war, aus dem ich ausbrechen musste. Es tut mir leid.“

Sie wollte etwas sagen, doch ihr Mund war staubtrocken. Sie schluckte einige Male, ehe sie zu sprechen begann.

„Du hättest etwas sagen können.“

Sie ärgerte sich über ihren anklagenden Ton. Sie wollte Tom nicht die Schuld geben, sie konnte es nicht, nachdem, was er ihr soeben erzählt hatte. Denn, verdammt, er hatte Recht. Er hatte verdammt noch mal Recht damit, dass er ihr Sicherheitsnetz und Seelendoktor gewesen war. Doch er war auch mehr als das gewesen...

Tom blickte sie noch immer ernst an, unwillig oder unfähig, irgendetwas zu sagen.

„Ich habe dich geliebt.“

Tom nickte. „Ich weiß.“

„Und es ist schließlich nicht so, als ob...“

Sie biss sich auf die Zunge. Als ob ich dich gezwungen hätte, bei mir zu bleiben. Das hatte Tom nicht verdient. Sie räusperte sich und blickte in sein fragendes Gesicht.

„Ich wollte dich nie ausnutzen. Es tut mir leid.“

Langsam nickte er, ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen. Schließlich nahm er sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Dann hielt er sie auf Armeslänge von sich und sah ihr aufrichtig in die Augen.

„Mir tut es leid und dir auch. Fangen wir noch mal von vorne an?“

Sie nickte bestimmt und wischte sich dabei eine einzelne Träne aus dem Augenwinkel. Tom lächelte.

„Ich bin erleichtert. Komm, lass uns einen Kaffee für dich finden.“

Kathryn folgte ihm in Richtung der Baracken.

„Und was ist nun mit meinem Angebot?“

„Ich denke darüber nach, wenn du versprichst, mich nie wieder zu siezen.“

Epilog

„Das ist er.“

„Was meinst du?“

„Er. DER Moment meines Lebens.“

„Du wirst doch jetzt keine kalten Füße bekommen?“

Tom wischte sich nervös seine schweißnassen Hände an seiner Paradeuniform ab, während B’Elanna an Chakotays Arm langsam auf ihn zuschritt.

„Nein, überhaupt nicht.“

Kathryn nickte ihm aufmunternd zu.

Der Commander übergab Tom die strahlende B’Elanna, die sich bei ihm unterhakte. Dann wandten sich die beiden zu Kathryn um, die sie fröhlich anlächelte.

Tom spürte, wie Wärme durch seinen Körper strömte. Das musste Glück sein. Er heiratete die Frau, die er liebte. Und es war richtig, das Kathryn die Zeremonie vollziehen würde. Sie hatte B’Elanna und ihm, ihnen beiden eine zweite Chance und so viel mehr gegeben und sie würde immer einen besonderen Platz in seinem Herzen einnehmen.

„... und hiermit erkläre ich euch beide zu Mann und Frau. Jetzt darfst du die Braut küssen, Tom!“

Ende
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