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Ruhe und Besinnlichkeit

von Olli

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T’Pol stand allein in einer Ecke der Messe und hielt sich an einem Glas Fruchtpunsch fest. Sie beobachtete das Treiben in dem großen Raum mit einer Mischung aus Faszination und Verwirrung.

Hier fand gerade etwas statt, das der Captain eine Weihnachtsfeier genannt hatte. Der Raum war hauptsächlich mit roten Dekorationen in den unterschiedlichsten Formen versehen: Schleifen, Socken und Figuren, neben Bildern eines dicken alten Mannes mit einem weißen Bart in roter Kleidung mit einem breiten schwarzen Gürtel und schwarzen Stiefeln. Hinzu kamen Puppen oder Bilder, die kleine blonde Mädchen in langen weißen Kleidern und mit Flügeln auf dem Rücken zeigten. Gelegentlich fanden sich künstliche Zweige in der Dekoration, die T’Pol als ein Mistelgewächs identifiziert hatte. Sie hingen über den Türen zur Messe und die Vulkanierin hatte mehrfach bemerkt, dass sich viele Crewmitglieder küssten, wenn sie in den Türen aufeinander trafen.

Aus den Lautsprechern drang in einer durchaus erträglichen Lautstärke Musik. Der Takt der verschiedenen Stücke war in der Regel langsam, die Musik wurde hauptsächlich durch Blas- oder Streichinstrumente erzeugt, gelegentlich waren auch Glocken zu hören. Die Texte der Lieder handelten meist von Schnee, Nadelbäumen, Kaminfeuern, Frieden und Liebe. Die Vorstellung, dass man in einem Wintertag etwas anderes als eine Unannehmlichkeit sehen könnte, ließ T’Pol einmal mehr die Rationalität der Menschen anzweifeln. Die Menschen waren durch ihre Evolution nicht an kaltes Wetter angepasst, sie bevorzugten die Wärme, ebenso wie die Vulkanier.

Sie nahm gelegentlich einen Schluck von dem Fruchtpunsch aus ihrem Glas, um nicht ganz unbeteiligt zu erscheinen. Den hohen Zuckergehalt und den Alkohol nahm sie hin. Schon vor Wochen hatte Captain Archer begonnen, sie zur Teilnahme an der Feier zu überreden. Zu guter Letzt hatte sie wohl mit ihrer standhaften Weigerung teilzunehmen die Geduld des Captains überstrapaziert und Archer hatte ihr kurzerhand befohlen, anwesend zu sein.

T’Pol setzte ihre Beobachtungen der Crew bei deren sozialen Interaktionen fort. In mehreren Gruppen im Raum verteilt standen oder saßen die Crewmitglieder beisammen, nahmen alkoholische Getränke und so genannte ‚Häppchen’ von einem Buffet zu sich und unterhielten sich in zunehmend ausgelassener Art und Weise, woran nicht zuletzt der Alkohol schuld war. Zwischen den einzelnen Gruppen fand ein reger Personenaustausch statt, da viele Crewmitglieder hin und her wanderten und sich an den Gesprächen beteiligten. Die Vulkanierin hatte beobachtet, dass alle anwesenden Crewmitglieder Geschenke ausgetauscht hatten, meist Briefumschläge oder kleine, bunt verpackte Schachteln. Kurz nach ihrer Ankunft hatte sie sich überlegt, wie sie reagieren sollte, falls jemand ihr ein Geschenk machen wollte, doch bis jetzt war das nicht passiert und so hatten sich diese Überlegungen als überflüssig erwiesen.

Aufgrund ihres guten Gehöres und der zunehmenden Lautstärke hatte T’Pol festgestellt, dass sich die Gespräche in der Regel um persönliche Belange drehten. Die Crewmitglieder sprachen übereinander und ihre Familien.

Die Aufmerksamkeit der Vulkanierin richtete sich auf eine Gruppe, in der Commander Tucker den Mittelpunkt bildete. Er stand mit einem Glas Eierpunsch in der Hand inmitten von einem halben Dutzend weiblicher Crewmitglieder, die fasziniert jedem seiner Worte lauschten und gelegentlich in lautes Gelächter ausbrachen.

An einigen zusammen geschobenen Tischen saßen die Ensigns Sato und Mayweather zusammen mit mehreren anderen der jüngeren Crewmitglieder und diskutierten angeregt über Skifahren und Skigebiete. T’Pol war durch die eigenartigen Neigungen der Menschen einmal mehr verwirrt. Sie konnte nicht verstehen, wie man sich über Stürze, gebrochene oder verrenkte Gliedmaßen und Krankenhausaufenthalte derartig amüsieren konnte!

Wieder in einer anderen Gruppe fanden sich Dr. Phlox und Crewman Cutler. Auch sie schienen sich prächtig zu amüsieren.

T’Pol hatte mit dem Denobulaner als dem einzigen anderen Nichtmenschen an Bord über diese Weihnachtsfeier gesprochen, was ihr aber auch keine große Hilfe gewesen war. Phlox hatte erklärt, dass, wenn man die merkwürdigen religiösen Aspekte mal außer Acht ließ, das doch eine nette Gelegenheit für eine Party sei. Schließlich hatte er ihr empfohlen, nicht so viel nachzudenken und einfach mitzumachen, um der Crew etwas näher zu kommen. T’Pol hatte entschieden, dass es durchaus nützlich sein könnte, durch ihre Anwesenheit, das Vertrauensverhältnis zur Crew zu festigen.

Deshalb und wegen Archers Befehl war die Vulkanierin gekommen, allerdings hatte wohl kaum jemand ihre Anwesenheit zur Kenntnis genommen. Sie schielte unauffällig auf ein Chronometer, es dauerte nicht mehr lange und sie wäre eine Stunde hier, dann könnte sie sich hoffentlich entfernen, ohne Anstoß zu erregen.

T’Pols Blick wanderte weiter durch den Raum. Auf der gegenüberliegenden Seite standen Captain Archer und Lieutenant Reed für sich allein. Sie waren zu weit entfernt als dass T’Pol hätte verstehen können, was sie sagten aber sie schien sich gut zu unterhalten, lächelten einander unentwegt an und berührten sich sogar gelegentlich an den Armen oder der Hüfte. Der Captain hatte sie kurz nach der Beginn der Feier begrüßt und ihr das Glas Fruchtpunsch in die Hand gedrückt. Sie hatten sich kurz unterhalten, dann hatte sich Archer zur nächsten Gruppe aufgemacht, um nach und nach eine Runde durch die Messe zu drehen und kurz mit jedem Crewmitglied zu sprechen, schließlich hatte er sich zu Reed gesellt, der ebenfalls etwas abseits stand.

T’Pol warf einen weiteren unauffälligen Blick auf den Chronometer. Sie war nun seit einer Stunde und acht Minuten hier. Sie sollte jetzt gehen können, ohne dass es auffiel. Die Vulkanierin leerte ihr Glas und stellte es ab, dann machte sie sich auf den Weg zum Ausgang der Messe.

Gerade wollte sie den Knopf drücken, um die Tür zu öffnen als hinter ihr eine Stimme ertönte. „T’Pol! Sie wollen uns schon verlassen?“

Langsam drehte sie sich um und verschränkte die Hände auf dem Rücken. „Allerdings, Commander. Ich habe noch zu arbeiten.“

„Ahhh! Kommen Sie! Haben Sie etwas Spaß!“, sagte Commander Tucker, während er grinsend auf sie zu kam.

„Danke, aber ich hatte bereits… Spaß in ausreichender Menge.“

Tuckers Grinsen wurde breiter. „Sie wissen, wo Sie stehen?“, fragte er, während sein Blick kurz zum Schott über der Tür wanderte.

Die Vulkanierin wusste sehr genau, dass sie unter einem Mistelzweig stand und ihr wurde klar, was Tucker beabsichtigte.

Er trat mit ausgestreckten Armen auf sie zu, aber bevor er sie an sich ziehen konnte, zuckte ihre Hand hoch und legte sich auf seine Brust. Tucker blieb stehen und T’Pol roch in seinem Atem Alkohol und Schinken, es war ein unangenehmer Geruch. „Gute Nacht, Commander“, sagte sie.

Tucker blinzelte sie verblüfft an und T’Pol drehte sich um, öffnete die Tür und trat auf den Korridor hinaus.

Der Commander wandte sich wieder seinen Groupies zu. „Tsss! Keinen Sinn für Tradition“, erklärte er.

* * * * * *

Endlich hatte T’Pol die stille Sicherheit ihres Quartiers erreicht. Sie schaltete das Licht ein und trat auf ihren Schreibtisch zu, um am Computer noch einige Berichte durchzuarbeiten. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen, ihre Augenbraue wanderte nach oben. Auf ihrem Schreibtisch stand eine Schachtel! Sie wusste genau, dass sie nicht da gewesen war, als sie ihr Quartier verlassen hatte, um in die Messe zu gehen. T’Pol trat um ihren Schreibtisch herum und begutachtete die Schachtel skeptisch. Sie war von dunkelblauer Farbe und zeigte eine Vielzahl von goldenen Sternen, Halbmonden und Schneeflocken. Auf dem Deckel war eine kunstvolle Schleife aus mehrfach gefaltetem goldenem und rotem Band befestigt, das metallisch glänzte. An der Schachtel lehnte eine zusammengefaltete Karte aus Karton. Auf der Vorderseite war eine gezeichnete Winterlandschaft zu sehen mit einem Holzhaus in der Mitte, einem Schäfer und einigen seiner Tiere, sowie einem Kometen am Himmel.

Die Vulkanierin aktivierte ihren Computer und rief das Sicherheitslogbuch auf. Außer ihr verfügten nur noch Captain Archer, Commander Tucker und Lieutenant Reed über die entsprechenden Codes, um sich zu allen Quartieren Zugang verschaffen zu können. Im Sicherheitslogbuch würde der Code aufgeführt sein und sie wüsste, wer das Paket in ihr Quartier gebracht hatte. Zwei Minuten später wanderte in erneuter Verblüffung ihre Augenbraue nach oben. Es gab in der letzten Stunde keine Aufzeichnung im Logbuch!

Nachdenklich betrachtete sie die Schachtel. Sie konnte unmöglich herein gebeamt worden sein – jedenfalls nicht mit der an der Seite lehnenden Karte. Für eine solch diffizile Aufgabe ließen sich die Transporter der Enterprise nicht fein genug einstellen.

Vielleicht fand sie mehr heraus, wenn sie die Schachtel untersuchte.

T’Pol nahm die Karte und klappte sie auf. Dort stand ein offensichtlich von Hand geschriebener Text.

>Vielleicht hilft Ihnen diese kleine Aufmerksamkeit

>die wahre Bedeutung des Christfestes besser

>zu verstehen.

>

>Frohe Weihnachten

>X

Die Vulkanierin legte die Karte zur Seite und hob den Deckel von der Schachtel. Sofort stieg ihr ein angenehmer Duft in die Nase. Sie nahm zwei Kerzen heraus, die eine war länglich, schmal und gelb, die andere flach, breit und rot. Der Duft schien von den Kerzen auszugehen und T’Pol hob sie nacheinander an die Nase und schnupperte daran. Die Gelbe roch nach… Vanille schloss sie nach einem Moment des Überlegens, die andere nach Apfel und Zimt. Sie waren ganz offensichtlich dazu gedacht, diesen Duft zu verbreiten, während sie herunter brannten.

Sie legte die Kerzen zur Seite und griff nach einer kleineren Schachtel, die in dem Paket lag. T’Pol klappte den Deckel auf und erneut stieg ihr ein wohliges Aroma in die Nase. Sie fand in der Schachtel verschiedene Sorten von Konfekt. Hauptsächlich aus Schokolade, aber sie konnte nicht alles identifizieren.

Nun blieb nur noch ein Objekt in dem Paket. Sie griff danach und hielt ein Buch in den Händen, kein elektronisches auf einem Data-Padd gespeichertes Buch, sondern ein echtes, auf Papier gedrucktes Buch in einem festen Einband.

Der Einband war schwarz und mit dünnen, geschwungenen silbernen Linien verziert, die in das Material eingelegt waren. Die Linien bildeten einen kunstvollen Rahmen um den Titel des Buches. T’Pol hatte einige Mühe ihn zu entziffern, da er in altertümlichen Buchstaben verfasst war:

>Charles Dickens

>

>Eine Weihnachtsgeschichte

Sie öffnete das Buch und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass der Text in modernen Buchstaben gedruckt war. Sie legte es zurück auf den Schreibtisch und ließ ihren Blick über das Paket, die Karte, die Pralinen, die Kerzen und das Buch wandern.

Irgendjemand an Bord hatte ihr ein Weihnachtsgeschenk gemacht!

Aber wer? Und warum?

Gleichzeitig fühlte sie sich durch diese Geste berührt. Jemand hatte an sie gedacht und sich unglaublich viel Arbeit mit diesem Geschenk gemacht! Wer auch immer es gewesen sein mochte, hatte sich sehr bemüht, ihr eine Freude zu bereiten!

Ihr Blick wanderte zwischen dem Buch und dem Monitor hin und her. Vielleicht, dachte sie, konnte der Bericht noch etwas warten. Vielleicht konnte sie wenigstens das erste Kapitel der Weihnachtsgeschichte lesen. Nur für den Fall, dass morgen jemand danach fragte. Wenn sich schon jemand ihretwegen diese Mühe gemacht hatte, dann wollte sie ihn nicht enttäuschen, indem sie das Geschenk einfach ignorierte.

T’Pol schaltete den Computer wieder ab, nahm das Buch, die Schachtel mit dem Konfekt und nach einem Moment des Überlegens die Apfel-Zimt-Kerze und brachte sie zum Couchtisch hinüber. Sie stellte die Sachen ab und zog sich schnell bequeme Freizeitkleidung an, dann ließ sie sich auf dem Sofa nieder. Die Vulkanierin zündete die Kerze an und sofort verbreitete sich ein angenehmer Duft in ihrem Quartier, sie griff in die Pralinenschachtel und nahm aufs Geratewohl eine heraus. Sie steckte sie in den Mund und biss vorsichtig zu. Wieder zog sie überrascht die Augenbraue hoch, aus dem Inneren der Praline quoll eine halbflüssige Masse in ihren Mund und zu dem Schokoladengeschmack mischte sich eine fruchtige Orangennote.

Dann nahm T’Pol das Buch, lehnte sich auf dem Sofa zurück und schlug die Beine unter. Sie schlug die erste Seite auf.

Ende
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