Sein Name war McCready. Er war Ire. Sein Status: Ungewiss.
Irgendwie mochte der Wechselbalg die Geschichte des Iren McCready, der sich mit dem Ding aus einer anderen Welt angelegt hatte – in diesem abgelegenen Außenposten in der Antarktis. Er – der Formwandler – hatte die Kurzgeschichte Who goes there? gelesen, den Film aus den 1950ern Jahren gesehen, die Neufassung von John Carpenter, die Comics, die der Story folgten – und obwohl er eigentlich kein Solid war, sondern nur vorgab, einer zu sein, kam er nicht umhin, festzuhalten, dass die bloße Darstellung der Menschen in dieser Geschichte sogar ihm eine gewisse Sympathie abnötigten.
Es war ziemlich faszinierend und während er so darüber nachdachte, deckte sich diese Beschreibung mit den Erlebnissen der letzten Tage. Beispielsweise hatte er sich um Captain Sisko gekümmert, nachdem dieser mit Visionen zusammengebrochen war und eigentlich wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, die Sache irgendwie zu verkomplizieren, sodass die Person, für die die Bajoraner nur einen Namen hatten – Der Abgesandte – sterben würde.
Gab es etwas Einfacheres, als den Widerstand der Bajoraner zu brechen?
Wenn Sisko starb, konnte man das Ganze entweder als Zeichen der Propheten auslegen, dass Bajor nicht mehr geschützt war, oder die Sache so drehen, dass ein neuer, dem Dominion bequemerer Abgesandte auftauchte. Gul Dukat wäre beispielsweise ein gutes Subjekt. Selbst, wenn die Wurmlochwesen, deren Existenz der Agent immer noch bezweifelte, in Wirklichkeit ihre Sympathie dem bajoranischen Volk gegenüber nicht verloren hatten, würde das Auftauchen eines neuen Abgesandten die Situation auf Bajor verkomplizieren.
So etwas Ähnliches war schon einmal geschehen und der Bashir-Formwandler erinnerte sich daran, diesen Bericht gelesen zu haben. Vielleicht konnte er den Abgesandten auch irgendwie anders loswerden, seinen Platz einnehmen und dem bajoranischen Volk sagen, dass sie sich dem Dominion unterwerfen sollten?
Warum er an diese Variante nicht eher gedacht hatte, respektive: warum die Verbindung diese Möglichkeit nicht eher geprüft hatte, wusste er nicht. Es wäre eigentlich einfach gewesen. Nach aktuellen Informationen schlief Sisko alleine. Man musste nur einen Agenten in sein Zimmer schmuggeln, so wie man es mit Julian Bashir gemacht hatte. Es wäre so einfach gewesen. Jetzt würde die Sache ein wenig komplizierter.
Der Formwandler, der Julian Bashir ersetzte, hatte herausgefunden, dass er zwar die Gelegenheit gehabt hätte, Sisko zu töten, seine Rolle anzunehmen und die Identität des Bashir aufzugeben – wie, das würde sich im Zweifelsfall finden – aber er stellte fest, dass er es nicht übers Herz brachte.
Das nannten die Solids Ironie, glaubte er. Er – der er eigentlich kein Herz hatte, sondern einen festgelegten Glaubenskodex, der nur auf dem Gedanken Gründer verletzen keine Gründer fußte – gerade er brachte es nicht fertig, die letzte, die finale Herausforderung zu meistern und in Siskos Rolle zu schlüpfen.
Warum nicht?
Mochte es daran liegen, dass er sich langsam, aber sicher, irgendwie mit dem Gedanken abfinden konnte, die Rolle des Arztes zu haben? Immerhin hatte dieser einen ziemlich interessanten Stand in der Gesellschaft – als angesehener Mediziner und … wenn man überlegte, wie die Solids Intimität erlebten, war das zwar nichts im Vergleich zur Euphorie der großen Verbindung, aber interessanterweise machte es viel mehr Spaß, weil es so unterschiedliche Spielarten gab. Die Intimität der Verbindung war im Vergleich dazu geradezu erschreckend monoton und langweilig.
Ein anderes Gefühl, das der Bashir-Gründer so nicht kannte, war Freundschaft und Zusammenhalt – so paradox das auch nun wieder klingen mochte. In den ersten Wochen, die er als Doktor Bashir auf Deep Space Nine verbracht hatte, waren ihm diese Worte wie ein schwacher Abklatsch der Verbindung vorgekommen und er hatte Odo mental mehr als nur einmal einen Verräter geheißen.
Nun allerdings bemerkte er an sich, dass er mehr und mehr verstand, wieso Odo diesen Lebensstil gewählt hatte. So richtig bewusst wurde ihm das ganze vor ein paar Wochen im Quarks. Ein Föderationsraumschiff hatte an die Station angedockt und man hatte um Landurlaub gebeten, was dazu führte, dass einige Offiziere im Quarks waren und es sich gut gehen ließen. Als der Bashir-Formwandler einen Mann, offenbar einen Captain, passierte, griff dieser nach einem Glas und hielt es hoch, als wolle er einen Trinkspruch aufsagen.
"Auf Peppy", sagte er. "Einen der verdammt besten Offiziere, den die Flotte je gesehen hatte."
"Auf Peppy!", echote die Crew und leerte ihre Gläser in einem Zug.
Die folgende Konversation zwischen Crew und Captain war dem Wechselbalg eigentlich egal, doch dann hörte er, wie sich der Captain wieder bemerkbar machte. "Ladies und Gentlemen, ich möchte Sie alle kurz bitten, zuzuhören."
Das Quarks verstummte – mehr oder weniger. Nur der Inhaber rollte kurz mit den Augen, murmelte ein Männ-tschen, ehe er sich an das Polieren seiner Gläser machte.
Der Captain blickte in die Runde: "Ich möchte Ihnen nur eine kurze Geschichte erzählen, von einem Offizier, der heute in der Reaktorkammer meines Schiffes heldenhaft sein Leben gelassen hat, nachdem wir im Gamma-Quadranten von den Jem’Hadar den Arsch voll bekommen haben. Er ist der Grund, weswegen die Crew der USS Avenger heute noch unter den Lebenden weilt und er liegt gerade in der Krankenstation. Wenn wir laut genug sind, können wir ihn sicherlich noch erreichen. Sie sind ganz herzlich dazu eingeladen, mit einzustimmen, meine Crew und ich kennen die Texte und wir werden sie, als Ehre an Peppy, singen. Der Akzent mag für sie ein wenig krude klingen, aber – sie kommen schon schnell dahinter, dass es sich hierbei um Kölsch handelt."
Kurz holte er Luft und begann dann tatsächlich in einem Dialekt, ein Lied vorzutragen, das der Formwandler noch nie gehört hatte.
"Wie soll dat nur wigger jon", intonierte der Offizier und der Formwandler musste die Ohren nun sehr spitzen, um zu verstehen, was die Gesangsdarbietung sollte. Nach und nach fiel die gesamte Crew der Avenger ein und als sie beim Refrain ankamen, waren schon die ersten Offiziere der anderen Sternenflottenschiffe dabei, mitzusingen.
"Wat och passeet - dat Eine es doch klor", erklang es dann rund um den Formwandler, lediglich die Außerirdischen taten sich kurzzeitig noch schwer, das Gesungene zu verstehen. Die erste, die ihre klare Stimme erhob, war Leeta, die welche die Worte "unser Veedel" mit solcher Innbrunst sang, dass Quark die Augen rollte und dann doch mit einstimmte. Und als die letzten Worte des Refrains erklungen "denn he hält m'r zosamme - ejal, wat och passeet - en uns'rem Veedel.", stellte der Formwandler fest, dass er selbst mitgesungen hatte.
Er erinnerte sich an Peppy und wusste, dass der Mensch im Koma lag – aber er wusste, dass man Leuten im Koma nachsagte, dass sie ihre Umgebung wahrnehmen konnten. Vielleicht stimmte es ja – und wenn nicht, war es auch egal.
Julian – er dachte von sich tatsächlich als Julian Bashir, stellte er mit einem Schütteln fest - musste zugeben, dass dieses Gefühl, das gerade das komplette Quarks ans Singen gebracht hatte, genau das war, wonach er auch sehnte und eigentlich dachte, es nur in der Großen Verbindung zu finden.
Irrte er sich vielleicht? War das Dominion am Ende doch nicht das Nonplusultra? Er war nun seit fast drei Wochen auf Deep Space Nine und hatte sich in dieser Zeit einen sehr guten Einblick in die Lebens- und Denkweise der Humanoiden gehabt. Untereinander brachten sie sich viel Respekt und Mitgefühl entgegen und selbst Constable Odo behandelten sie wie einen von ihnen. Manche von ihnen waren etwas xenophob, exzentrisch oder gar ziemlich feindselig – aber im Prinzip waren sie das nur, wenn sie einen guten Grund dafür hatten.
Miles O'Brien zum Beispiel hatte eine sehr starke Abneigung gegen die Cardassianer, was nicht weiter verwunderlich war, wenn man bedachte, was er auf Setlik III erlebte hatte. Kira Nerys hatte ebenfalls einen großen Hass gegen die Cardassianer, was der mehrere Jahrzehnte andauernden Besatzung von Bajor durch die Cardassianer zu schulden war. Aber auch Benjamin Sisko – der ach so tolle Abgesandte – hatte sein Päckchen mit den Borg zu tragen, da der während der Schlacht von Wolf 359 durch einen übermächtigen Kubus erst seine Frau und dann sein Schiff – die USS Saratoga – verloren hatte.
Vielleicht waren die Ansichten der Gründer, was die Solids betraf, mittlerweile überholt und hinfällig. Vielleicht waren die Zeiten vorbei, in denen die Formwandler gnadenlos gejagt und getötet wurden. Nun, vielleicht nicht bei allen humanoiden Spezies, aber doch bei einigen, wie den Menschen und den Bajoranern. Bei von Natur aus misstrauischen und aggressiven Rassen wie den Klingonen, den Cardassianer und den Romulanern konnten die Gründer sicher nicht mit Akzeptanz rechnen – was vielleicht auch daran lag, dass der erste Kontakt des Alpha-Quadranten mit dem Dominion nicht unbedingt freundlich, höflich und zuvorkommend verlaufen war.
Vielleicht waren die Ansichten, die Odo vertrat, doch nicht ganz so falsch, wie er immer geglaubt hatte. Vielleicht gab es tatsächlich eine Möglichkeit, in friedlicher Co-Existenz mit den Humanoiden zu leben. Sich einfach gegenseitig in Ruhe lassen, die jeweiligen territorialen Grenzen respektieren und vielleicht ein paar Handelsbeziehungen aufbauen.
Doch wer war er, dass er sich der Großen Verbindung widersetzte? Er war schließlich nur einer von Vielen. Wahrscheinlich war er einfach nur zu lange mit den Humanoiden zusammen. Zumindest wurde das Einiges erklären. Er spielte mit dem Gedanken, sich Odo anzuvertrauen, doch dann sah er sich schon in einer dieser kraftfeldgeschützten Zellen sitzen, die hinter dem Sicherheitsbüro lagen. Odo würde mit Sicherheit nicht verstehen, dass es absolut notwendig gewesen war, den echten Julian Bashir zu entführen, ihn durch einen Formwandler auszutauschen und zu versuchen, an sein Wissen zu gelangen.
Der Arzt hatte sich mittlerweile einen Namen im Gamma-Quadranten gemacht, der bis zu den Gründern vorgedrungen war. Bashir war genial – und gefährlich. Er war so genial, dass er inzwischen zu einem Risiko für das Dominion geworden war. Innerhalb kürzester Zeit hatte er es geschafft, das für die Jem'Hadar lebensnotwendige Ketracel White synthetisch herzustellen. Zwar war das White der Föderation noch lange nicht gut genug, um die Jem'Hadar dauerhaft davon am Leben zu erhalten und sich deren Loyalität zu sichern, aber wenn Bashir weiter so machte, würde er das Geheimnis sicher bald entdecken. Auch war es ihm in genauso kurzer Zeit gelungen, für das Quickening – jene tödliche Krankheit, die das Dominion benutzte, um Völker, die Widerstand leisteten, zu bestrafen – einen Impfstoff zu entwickeln und damit den Ruf der Föderation im Gamma-Quadranten zu festigen.
Der Formwandler hatte keine Gewissensbisse wegen der Entführung. Es war einstimmig durch die Große Verbindung beschlossen worden und er wäre der Letzte, der sich einer Entscheidung der Gründer widersetzte. Zwar war er nicht erfreut, dass ausgerechnet er diesen Job machen musste, aber er hatte sich in sein Schicksal ergeben und Alles gelesen, was seine Mission betraf. Abgefangen vom Lebenslauf des echten Julian Bashir, über seine Zeit an der medizinischen Fakultät der Sternenflotten-Akademie bis hin zu seinen medizinischen Artikel in diversen Fachzeitschriften.
Zu seinem Erstaunen musste der Formwandler feststellen, dass ihm der Aufenthalt auf Deep Space Nine mehr und mehr zu gefallen schien. Es war zu einer mittlerweile lieb gewordenen Gewohnheit geworden, bei einem Raktajino mit Jadzia Dax über wissenschaftliche und zwischenmenschliche Dinge zu sprechen oder beim täglichen Mittagessen mit Garak über cardassianische Literatur und aktuelle politische Ereignissen zu diskutieren. Und auch mit Miles O'Brien kam er bemerkenswert gut zurecht, obwohl er am Anfang noch geglaubt hatte, dass er es irgendwie schaffen musste, den Ingenieur auf Abstand zu halten, da er eigentlich nicht vorhatte, dein Großteil seiner Freizeit in einer Holosuite, beim Racquetball oder mit dem Werfen von lächerlichen Pfeilen auf eine blinkende Scheibe zu verbringen. Und doch freute er sich auf eine gewisse Art und Weise darauf, direkt nach seiner Schicht ins Quarks zu gehen.
Zu seinem Glück – obwohl es mehr Können, als Glück war – bemerkte keiner der angeblichen Freunde von Bashir, dass er nicht Julian war. Äußerlich hatte er das Erscheinungsbild des Arztes perfektioniert. Und anscheinend reichte das schon aus, um die Personen, mit denen er häufig in Kontakt war, zu täuschen. Eigentlich war das ein Armutszeugnis für die Humanoiden. Sie betrachteten einen Körper nur oberflächlich und waren nicht in der Lage, hinter die Fassade aus Haut, Nervenbahnen und Muskeln zu blicken. Für einen Formwandler war es eine leichte Übung, einen Gegner zu durchschauen und seine Absichten zu erkennen.
Aber die Tatsache, dass die humanoiden Spezies sehr oberflächlich waren, machte ihm seine Aufgabe sehr einfach. Es gab einen sehr ausgeklügelten Plan, wie man das Wurmloch unter die Kontrolle des Dominion bekommen konnte, ohne dass auch nur ein Jem'Hadar dafür sein Leben lassen musste. Sobald er das entsprechende Signal – ein absolut unspektakuläres Zeichen, was nur er als Signal deuten konnte – bekam, würde er den Plan in die Tat umsetzen. Für den Fall, dass es die Umstände erforderten, vom Initialplan abzuweichen, gab es noch ein halbes Dutzend Ausweichmöglichkeiten, die im Endeffekt dasselbe Ziel erreichten: Die Übernahme des Alpha-Quadranten.
Und auch wenn ihm seine Rolle als Julian Bashir mehr und mehr gefiel und er Freude daran hatte, mit seinen Freunden und Kollegen zu interagieren, würde er diesen Plan umsetzen. Koste es, was es wolle.
© Choga Ramirez & Calvin Cat
Irgendwie mochte der Wechselbalg die Geschichte des Iren McCready, der sich mit dem Ding aus einer anderen Welt angelegt hatte – in diesem abgelegenen Außenposten in der Antarktis. Er – der Formwandler – hatte die Kurzgeschichte Who goes there? gelesen, den Film aus den 1950ern Jahren gesehen, die Neufassung von John Carpenter, die Comics, die der Story folgten – und obwohl er eigentlich kein Solid war, sondern nur vorgab, einer zu sein, kam er nicht umhin, festzuhalten, dass die bloße Darstellung der Menschen in dieser Geschichte sogar ihm eine gewisse Sympathie abnötigten.
Es war ziemlich faszinierend und während er so darüber nachdachte, deckte sich diese Beschreibung mit den Erlebnissen der letzten Tage. Beispielsweise hatte er sich um Captain Sisko gekümmert, nachdem dieser mit Visionen zusammengebrochen war und eigentlich wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, die Sache irgendwie zu verkomplizieren, sodass die Person, für die die Bajoraner nur einen Namen hatten – Der Abgesandte – sterben würde.
Gab es etwas Einfacheres, als den Widerstand der Bajoraner zu brechen?
Wenn Sisko starb, konnte man das Ganze entweder als Zeichen der Propheten auslegen, dass Bajor nicht mehr geschützt war, oder die Sache so drehen, dass ein neuer, dem Dominion bequemerer Abgesandte auftauchte. Gul Dukat wäre beispielsweise ein gutes Subjekt. Selbst, wenn die Wurmlochwesen, deren Existenz der Agent immer noch bezweifelte, in Wirklichkeit ihre Sympathie dem bajoranischen Volk gegenüber nicht verloren hatten, würde das Auftauchen eines neuen Abgesandten die Situation auf Bajor verkomplizieren.
So etwas Ähnliches war schon einmal geschehen und der Bashir-Formwandler erinnerte sich daran, diesen Bericht gelesen zu haben. Vielleicht konnte er den Abgesandten auch irgendwie anders loswerden, seinen Platz einnehmen und dem bajoranischen Volk sagen, dass sie sich dem Dominion unterwerfen sollten?
Warum er an diese Variante nicht eher gedacht hatte, respektive: warum die Verbindung diese Möglichkeit nicht eher geprüft hatte, wusste er nicht. Es wäre eigentlich einfach gewesen. Nach aktuellen Informationen schlief Sisko alleine. Man musste nur einen Agenten in sein Zimmer schmuggeln, so wie man es mit Julian Bashir gemacht hatte. Es wäre so einfach gewesen. Jetzt würde die Sache ein wenig komplizierter.
Der Formwandler, der Julian Bashir ersetzte, hatte herausgefunden, dass er zwar die Gelegenheit gehabt hätte, Sisko zu töten, seine Rolle anzunehmen und die Identität des Bashir aufzugeben – wie, das würde sich im Zweifelsfall finden – aber er stellte fest, dass er es nicht übers Herz brachte.
Das nannten die Solids Ironie, glaubte er. Er – der er eigentlich kein Herz hatte, sondern einen festgelegten Glaubenskodex, der nur auf dem Gedanken Gründer verletzen keine Gründer fußte – gerade er brachte es nicht fertig, die letzte, die finale Herausforderung zu meistern und in Siskos Rolle zu schlüpfen.
Warum nicht?
Mochte es daran liegen, dass er sich langsam, aber sicher, irgendwie mit dem Gedanken abfinden konnte, die Rolle des Arztes zu haben? Immerhin hatte dieser einen ziemlich interessanten Stand in der Gesellschaft – als angesehener Mediziner und … wenn man überlegte, wie die Solids Intimität erlebten, war das zwar nichts im Vergleich zur Euphorie der großen Verbindung, aber interessanterweise machte es viel mehr Spaß, weil es so unterschiedliche Spielarten gab. Die Intimität der Verbindung war im Vergleich dazu geradezu erschreckend monoton und langweilig.
Ein anderes Gefühl, das der Bashir-Gründer so nicht kannte, war Freundschaft und Zusammenhalt – so paradox das auch nun wieder klingen mochte. In den ersten Wochen, die er als Doktor Bashir auf Deep Space Nine verbracht hatte, waren ihm diese Worte wie ein schwacher Abklatsch der Verbindung vorgekommen und er hatte Odo mental mehr als nur einmal einen Verräter geheißen.
Nun allerdings bemerkte er an sich, dass er mehr und mehr verstand, wieso Odo diesen Lebensstil gewählt hatte. So richtig bewusst wurde ihm das ganze vor ein paar Wochen im Quarks. Ein Föderationsraumschiff hatte an die Station angedockt und man hatte um Landurlaub gebeten, was dazu führte, dass einige Offiziere im Quarks waren und es sich gut gehen ließen. Als der Bashir-Formwandler einen Mann, offenbar einen Captain, passierte, griff dieser nach einem Glas und hielt es hoch, als wolle er einen Trinkspruch aufsagen.
"Auf Peppy", sagte er. "Einen der verdammt besten Offiziere, den die Flotte je gesehen hatte."
"Auf Peppy!", echote die Crew und leerte ihre Gläser in einem Zug.
Die folgende Konversation zwischen Crew und Captain war dem Wechselbalg eigentlich egal, doch dann hörte er, wie sich der Captain wieder bemerkbar machte. "Ladies und Gentlemen, ich möchte Sie alle kurz bitten, zuzuhören."
Das Quarks verstummte – mehr oder weniger. Nur der Inhaber rollte kurz mit den Augen, murmelte ein Männ-tschen, ehe er sich an das Polieren seiner Gläser machte.
Der Captain blickte in die Runde: "Ich möchte Ihnen nur eine kurze Geschichte erzählen, von einem Offizier, der heute in der Reaktorkammer meines Schiffes heldenhaft sein Leben gelassen hat, nachdem wir im Gamma-Quadranten von den Jem’Hadar den Arsch voll bekommen haben. Er ist der Grund, weswegen die Crew der USS Avenger heute noch unter den Lebenden weilt und er liegt gerade in der Krankenstation. Wenn wir laut genug sind, können wir ihn sicherlich noch erreichen. Sie sind ganz herzlich dazu eingeladen, mit einzustimmen, meine Crew und ich kennen die Texte und wir werden sie, als Ehre an Peppy, singen. Der Akzent mag für sie ein wenig krude klingen, aber – sie kommen schon schnell dahinter, dass es sich hierbei um Kölsch handelt."
Kurz holte er Luft und begann dann tatsächlich in einem Dialekt, ein Lied vorzutragen, das der Formwandler noch nie gehört hatte.
"Wie soll dat nur wigger jon", intonierte der Offizier und der Formwandler musste die Ohren nun sehr spitzen, um zu verstehen, was die Gesangsdarbietung sollte. Nach und nach fiel die gesamte Crew der Avenger ein und als sie beim Refrain ankamen, waren schon die ersten Offiziere der anderen Sternenflottenschiffe dabei, mitzusingen.
"Wat och passeet - dat Eine es doch klor", erklang es dann rund um den Formwandler, lediglich die Außerirdischen taten sich kurzzeitig noch schwer, das Gesungene zu verstehen. Die erste, die ihre klare Stimme erhob, war Leeta, die welche die Worte "unser Veedel" mit solcher Innbrunst sang, dass Quark die Augen rollte und dann doch mit einstimmte. Und als die letzten Worte des Refrains erklungen "denn he hält m'r zosamme - ejal, wat och passeet - en uns'rem Veedel.", stellte der Formwandler fest, dass er selbst mitgesungen hatte.
Er erinnerte sich an Peppy und wusste, dass der Mensch im Koma lag – aber er wusste, dass man Leuten im Koma nachsagte, dass sie ihre Umgebung wahrnehmen konnten. Vielleicht stimmte es ja – und wenn nicht, war es auch egal.
Julian – er dachte von sich tatsächlich als Julian Bashir, stellte er mit einem Schütteln fest - musste zugeben, dass dieses Gefühl, das gerade das komplette Quarks ans Singen gebracht hatte, genau das war, wonach er auch sehnte und eigentlich dachte, es nur in der Großen Verbindung zu finden.
Irrte er sich vielleicht? War das Dominion am Ende doch nicht das Nonplusultra? Er war nun seit fast drei Wochen auf Deep Space Nine und hatte sich in dieser Zeit einen sehr guten Einblick in die Lebens- und Denkweise der Humanoiden gehabt. Untereinander brachten sie sich viel Respekt und Mitgefühl entgegen und selbst Constable Odo behandelten sie wie einen von ihnen. Manche von ihnen waren etwas xenophob, exzentrisch oder gar ziemlich feindselig – aber im Prinzip waren sie das nur, wenn sie einen guten Grund dafür hatten.
Miles O'Brien zum Beispiel hatte eine sehr starke Abneigung gegen die Cardassianer, was nicht weiter verwunderlich war, wenn man bedachte, was er auf Setlik III erlebte hatte. Kira Nerys hatte ebenfalls einen großen Hass gegen die Cardassianer, was der mehrere Jahrzehnte andauernden Besatzung von Bajor durch die Cardassianer zu schulden war. Aber auch Benjamin Sisko – der ach so tolle Abgesandte – hatte sein Päckchen mit den Borg zu tragen, da der während der Schlacht von Wolf 359 durch einen übermächtigen Kubus erst seine Frau und dann sein Schiff – die USS Saratoga – verloren hatte.
Vielleicht waren die Ansichten der Gründer, was die Solids betraf, mittlerweile überholt und hinfällig. Vielleicht waren die Zeiten vorbei, in denen die Formwandler gnadenlos gejagt und getötet wurden. Nun, vielleicht nicht bei allen humanoiden Spezies, aber doch bei einigen, wie den Menschen und den Bajoranern. Bei von Natur aus misstrauischen und aggressiven Rassen wie den Klingonen, den Cardassianer und den Romulanern konnten die Gründer sicher nicht mit Akzeptanz rechnen – was vielleicht auch daran lag, dass der erste Kontakt des Alpha-Quadranten mit dem Dominion nicht unbedingt freundlich, höflich und zuvorkommend verlaufen war.
Vielleicht waren die Ansichten, die Odo vertrat, doch nicht ganz so falsch, wie er immer geglaubt hatte. Vielleicht gab es tatsächlich eine Möglichkeit, in friedlicher Co-Existenz mit den Humanoiden zu leben. Sich einfach gegenseitig in Ruhe lassen, die jeweiligen territorialen Grenzen respektieren und vielleicht ein paar Handelsbeziehungen aufbauen.
Doch wer war er, dass er sich der Großen Verbindung widersetzte? Er war schließlich nur einer von Vielen. Wahrscheinlich war er einfach nur zu lange mit den Humanoiden zusammen. Zumindest wurde das Einiges erklären. Er spielte mit dem Gedanken, sich Odo anzuvertrauen, doch dann sah er sich schon in einer dieser kraftfeldgeschützten Zellen sitzen, die hinter dem Sicherheitsbüro lagen. Odo würde mit Sicherheit nicht verstehen, dass es absolut notwendig gewesen war, den echten Julian Bashir zu entführen, ihn durch einen Formwandler auszutauschen und zu versuchen, an sein Wissen zu gelangen.
Der Arzt hatte sich mittlerweile einen Namen im Gamma-Quadranten gemacht, der bis zu den Gründern vorgedrungen war. Bashir war genial – und gefährlich. Er war so genial, dass er inzwischen zu einem Risiko für das Dominion geworden war. Innerhalb kürzester Zeit hatte er es geschafft, das für die Jem'Hadar lebensnotwendige Ketracel White synthetisch herzustellen. Zwar war das White der Föderation noch lange nicht gut genug, um die Jem'Hadar dauerhaft davon am Leben zu erhalten und sich deren Loyalität zu sichern, aber wenn Bashir weiter so machte, würde er das Geheimnis sicher bald entdecken. Auch war es ihm in genauso kurzer Zeit gelungen, für das Quickening – jene tödliche Krankheit, die das Dominion benutzte, um Völker, die Widerstand leisteten, zu bestrafen – einen Impfstoff zu entwickeln und damit den Ruf der Föderation im Gamma-Quadranten zu festigen.
Der Formwandler hatte keine Gewissensbisse wegen der Entführung. Es war einstimmig durch die Große Verbindung beschlossen worden und er wäre der Letzte, der sich einer Entscheidung der Gründer widersetzte. Zwar war er nicht erfreut, dass ausgerechnet er diesen Job machen musste, aber er hatte sich in sein Schicksal ergeben und Alles gelesen, was seine Mission betraf. Abgefangen vom Lebenslauf des echten Julian Bashir, über seine Zeit an der medizinischen Fakultät der Sternenflotten-Akademie bis hin zu seinen medizinischen Artikel in diversen Fachzeitschriften.
Zu seinem Erstaunen musste der Formwandler feststellen, dass ihm der Aufenthalt auf Deep Space Nine mehr und mehr zu gefallen schien. Es war zu einer mittlerweile lieb gewordenen Gewohnheit geworden, bei einem Raktajino mit Jadzia Dax über wissenschaftliche und zwischenmenschliche Dinge zu sprechen oder beim täglichen Mittagessen mit Garak über cardassianische Literatur und aktuelle politische Ereignissen zu diskutieren. Und auch mit Miles O'Brien kam er bemerkenswert gut zurecht, obwohl er am Anfang noch geglaubt hatte, dass er es irgendwie schaffen musste, den Ingenieur auf Abstand zu halten, da er eigentlich nicht vorhatte, dein Großteil seiner Freizeit in einer Holosuite, beim Racquetball oder mit dem Werfen von lächerlichen Pfeilen auf eine blinkende Scheibe zu verbringen. Und doch freute er sich auf eine gewisse Art und Weise darauf, direkt nach seiner Schicht ins Quarks zu gehen.
Zu seinem Glück – obwohl es mehr Können, als Glück war – bemerkte keiner der angeblichen Freunde von Bashir, dass er nicht Julian war. Äußerlich hatte er das Erscheinungsbild des Arztes perfektioniert. Und anscheinend reichte das schon aus, um die Personen, mit denen er häufig in Kontakt war, zu täuschen. Eigentlich war das ein Armutszeugnis für die Humanoiden. Sie betrachteten einen Körper nur oberflächlich und waren nicht in der Lage, hinter die Fassade aus Haut, Nervenbahnen und Muskeln zu blicken. Für einen Formwandler war es eine leichte Übung, einen Gegner zu durchschauen und seine Absichten zu erkennen.
Aber die Tatsache, dass die humanoiden Spezies sehr oberflächlich waren, machte ihm seine Aufgabe sehr einfach. Es gab einen sehr ausgeklügelten Plan, wie man das Wurmloch unter die Kontrolle des Dominion bekommen konnte, ohne dass auch nur ein Jem'Hadar dafür sein Leben lassen musste. Sobald er das entsprechende Signal – ein absolut unspektakuläres Zeichen, was nur er als Signal deuten konnte – bekam, würde er den Plan in die Tat umsetzen. Für den Fall, dass es die Umstände erforderten, vom Initialplan abzuweichen, gab es noch ein halbes Dutzend Ausweichmöglichkeiten, die im Endeffekt dasselbe Ziel erreichten: Die Übernahme des Alpha-Quadranten.
Und auch wenn ihm seine Rolle als Julian Bashir mehr und mehr gefiel und er Freude daran hatte, mit seinen Freunden und Kollegen zu interagieren, würde er diesen Plan umsetzen. Koste es, was es wolle.
© Choga Ramirez & Calvin Cat
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