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Lampenfieberschmetterlinge

von MariaMagdalena

Kapitel 2

Als Malcolm seine Jacke anzieht, fällt der Umschlag mit dem Logo der Actors’ Equity Association aus deren Tasche und flattert zwischen die hochgeklappte Sitzfläche und die Lehne eines der rotgeplüschten Sitze. Ach ja, endlich ist die Karte da, hat ja lange genug gedauert. Heute Morgen hat der chronisch erkältete Kerl hinter dem Tresen des Hostels, in dem Malcolm immer noch haust, ihm den Brief in die Hand gedrückt, als er auf dem Weg zur Tür dort vorbeigekommen ist. Er hat ihn in die Tasche gesteckt und dann vergessen, was doch verrückt ist, wo er so lange auf dieses Schreiben, diese kleine unscheinbare Plastikkarte gewartet hat.

Malcolm bückt sich und hebt den Umschlag auf. Er ist der Letzte, der jetzt noch im Saal ist. Draußen hört er, wie Travis ein paar verabschiedende Scherze mit der Reinigungskraft austauscht, die sich anschickt, die Räume für die Vorstellung eines anderen Ensembles am Abend aufzupolieren. Malcolm holt sein Taschenmesser raus und schneidet die Versandtasche ordentlich am oberen Rand auf. Die Karte, die er von dem Briefbogen löst, macht einen eher unscheinbaren Eindruck. Unter dem Logo der Gesellschaft mit den Masken, die ihn eher an mittelalterliche Wappen aus seinem Geschichtsstudium erinnern, steht in kleinen Druckbuchstaben sein Name: Malcolm Reed. Das also ist sein Schlüssel in die amerikanische Welt der professionellen Schauspielerei.

Das dumpfe Geräusch eines hochklappenden Sitzes lässt Malcolm aufsehen. Trip ist hereingekommen; offenbar hat er seine Jacke vergessen, und der Plüschteppich hat seine Schritte verschluckt.

Trip fängt Malcolms Blick auf. Malcolm räuspert sich, er weiß selbst nicht, ob aus Verlegenheit oder weil er wirklich einen Frosch im Hals hat. „Hi“, sagt er schnell, als ihm auffällt, dass alles andere unhöflich wäre, und dann fragt er sich, ob es nicht doch bescheuert ist, jemanden mit einer solchen Grußformel zu bedenken, nachdem man den ganzen Tag mit ihm zusammengearbeitet hat; und obwohl er zu der Entscheidung kommt, dass der Gruß durchaus im Bereich der akzeptablen Umgangsformen liegt, spürt er, wie ihm eine leichte Röte ins Gesicht krabbelt. Er schaut zu Boden und hört nicht, was Trip währenddessen in den Bart murmelt, der nur aus ein paar dreitägigen Stoppeln besteht; aber es ist etwas Einsilbiges, so viel ist klar.

Als Malcolm aufsieht, ist Trip schon wieder draußen. Er dreht die kleine Plastikkarte in den Händen, die ihn hierher geführt hat. Eigentlich sollte er feiern, aber nach Feiern ist ihm jetzt irgendwie nicht zumute.

~*~

Jon seufzt. Er sitzt in dem Sessel, wo er immer sitzt, dritte Reihe, zweiter Platz links vom Mittelgang. „Malcolm. Trip. Ihr habt ein Problem.“

So viel ist offensichtlich, denkt Malcolm. Das ist kein gutes Arbeiten, und die Arbeit, die sie liefern, ist nicht gut. Trip macht es ihm nicht leicht, und Malcolm fühlt, wie er immer in die Defensive geht, zu sehr auf eine fehlerfreie Technik achtet, kein Gefühl mit rüberbringen kann. Es ist nicht so, dass sein beleidigter Kollege – denn das nimmt Malcolm an, dass Trip noch immer sauer über die entzogene Hauptrolle ist – eine komplette Verweigerungshaltung an den Tag legen würde. Er spielt seine Szenen ordentlich, er befolgt die Anweisungen aus der Textvorlage und die des Regisseurs wortgetreu. Aber Malcolm meint seinen Widerspruch zu spüren, seine Ablehnung, die stark genug ist, dass Malcolm sich unwohl, unfähig und ungewollt fühlt.

So spielt man keine Liebenden, das ist Malcolm klar.

„Das Stück lebt davon, dass der Zuschauer euch die emotionale Unabwendbarkeit eurer Gefühle abnimmt“, erklärt Jon. „Da muss ein Funkenflug stattfinden, der sich zu einer Feuersbrunst auswächst, und am Ende müssen die Leute aufspringen, um ihre eigenen Schnürbänder zu löschen. Versteht ihr, was ich meine? Sind wir uns da einig?“

Malcolm nickt, Trip murmelt eine Zustimmung.

„Im Moment fliegt da gar nichts zwischen euch, höchstens Widerwillen“, sagt Jon und fasst zusammen, was Malcolm denkt. Aufrecht und steif steht er da und kommt sich vor wie beim Appell nach einem vergeigten Militäreinsatz. Dabei klingt Jons Stimme nicht anders als freundlich, vielleicht etwas spöttisch, fast gar nicht genervt.

„Es ist überhaupt kein Problem, wenn ihr euch privat nicht besonders mögt“, fährt der Regisseur fort. „Aber ihr dürft eure Antipathien nicht mit in die Rolle tragen. Ihr dürft nicht euren Schauspieler-Kollegen in dem anderen sehen. Dafür seid ihr Profis, das müsst ihr können. Und ich weiß, dass ihr das könnt. Malcolm, du bist Nick, und dieser Mann geht dir einfach total unter die Haut. Warum gefällt er dir so?“

Erwartungsvoll wenden sich alle Blicke auf Malcolm. Der spürt, wie schon wieder Farbe in sein Gesicht steigt. Himmel, liegt das an der Klimaveränderung? Er kann sich nicht erinnern, früher so leicht rot geworden zu sein. Ihm wird klar, dass Jon und alle anderen eine Antwort erwarten. Er holt tief Luft und sieht Trip ins Gesicht. In einer Stimmlage, die er für Nick-charakteristisch hält, beginnt er: „Wenn du mich das so fragst, kann ich es dir gar nicht sagen. Colin ist ein guter Kollege, der seine Arbeit ordentlich macht und mich ansonsten höchstens mit seiner jovialen Art irritiert. Aber irgendwas ist da in seinem Lächeln, das mir unter die Haut geht und die alten Schmetterlinge in meinem Bauch aufscheucht, die ich nicht mehr gespürt habe, seit ich damals die Präsentation vor dem Aufsichtsrat gehalten habe und vor Lampenfieber fast umkam.“

Trip lächelt, er lächelt tatsächlich, aber Malcolm weiß, dass er jetzt Colin ist. Trotzdem fühlt er, dass das Kompliment – auch wenn es streng genommen gar keins war – bei dem Richtigen angekommen ist. Hoffentlich können sie darauf bauen und zu einer echten, professionellen Arbeit gelangen.

„Okay“, sagt Jon, „Wunderbar. Colin, du stehst auf Nick. Wieso?“

Trips – Colins! – Lächeln wandelt sich zu einem frechen Grinsen, er mustert seinen Kollegen gründlich von oben bis unten. „Er ist eine Herausforderung“, sagt er dann langsam. „Er hat keine Ahnung, wie hinreißend er ist. Dieses bestimmte Auftreten, hinter dem er nur seine Unsicherheit verbirgt. Und dann dieser exzellente Hintern, Teufel aber auch, wie gern ich den einmal nackt über diesen Schreibtisch gebeugt sehen möchte!“

Malcolm spürt, wie die Röte einmal mehr über sein Gesicht kriecht, gründlich diesmal, und sich vortastet bis zu seinem Haaransatz. Himmel, wieso in aller Welt hat er sich eingebildet, er wäre professionell genug, um einen Schwulen spielen zu können? Normale Liebesszenen mit Frauen sind schon schwer genug. Et atmet tief durch und tröstet sich mit dem Gedanken, dass wenigstens die Szene mit dem nackten Hintern überm Schreibtisch nicht im Stück vorkommt. Argh, allein schon die Vorstellung ist beunruhigend, und er spürt ein übles Gefühl in der Magengegend.

Jon klopft Trip auf die Schulter und Hoshi hört endlich auf zu kichern. „Das ist der richtige Weg“, sagt der Regisseur. „Wir machen jetzt Pause. Und Nick und Colin gehen draußen bei Starbucks einen Kaffee trinken. In der Rolle, verstanden? Nick denkt an die Schmetterlinge und Colin an den Schreibtisch.“

Malcolm sieht seinen Kollegen nicht an, als er neben ihm gehorsam an den Stuhlreihen vorbei Richtung Ausgang trottet.

~*~

Trip – Colin! – sieht ihn an, senkt den Blick und lächelt auf die Tischplatte. Dann sieht er auf, fährt mit der Hand durch die Haare in seinem Nacken und sagt verlegen: „Vielleicht… können wir ja auch so mal was zusammen machen. Abends einen trinken gehen oder so.“

„Klar“, sagt Malcolm schnell, völlig in der Rolle. Er ist sich sehr sicher, dass sie in der Rolle sind. Es ist der dritte oder vierte Tag, an dem Trip und er die Mittagspause gemeinsam in dem Stehcafé verbringen, und wenn sein Kollege jetzt entspannter mit ihm umgeht und gelöster mit ihm zu flirten scheint, dann liegt das einzig und allein daran, dass sie beide ihre Rollenbeziehung weiterentwickelt haben.

Dann fragt er sich doch: Steht Trip vielleicht wirklich auf Männer? Er dreht den Pappbecher in den Händen, betrachtet das grüne Starbucks-Emblem darauf. Nicht, dass es einen Unterschied machen würde.

Er selbst ist ein bisschen verunsichert, aus dem schlichten Grund, dass seit Tagen ständig dieses Bild vor seinen Augen auftaucht, was völlig falsch ist, denn Trip soll an den Schreibtisch denken, nicht er, Nick hat keine Ahnung von solchen Vorstellungen, noch nicht. Malcolm versucht, sich stattdessen auf die Schmetterlinge zu konzentrieren, und entsetzt fällt ihm auf, dass die schon da sind.

Es ist das Lampenfieber, sagt er sich. Es ist die bange Erwartung der nächsten Probenszene, denn als nächstes kommt der Kuss, dieser erste Büro-Kuss, der Nick total überrumpelt und in Aufruhr bringt, und Malcolm weiß jetzt schon, dass es ihm leicht fallen wird, die Bestürzung und Verwirrung zu spielen. Er sieht auf von seinem Kaffee und in Trips Gesicht, denn er erhofft sich einen Hinweis darauf, wie sein Kollege sich fühlt angesichts der Erwartung dieser nächsten Szene. Trip – Colin? – sieht ihn an, sein Mundwinkel zuckt in Richtung eines Lächelns, und Malcolm spürt, wie sich ein heißer Knoten in seinem Bauch bildet, als alle Schmetterlinge sich auf diesen bestimmten Punkt stürzen. Er murmelt eine Entschuldigung und hastet zur Toilette.

~*~

„Die nächste Szene würde ich gerne ausnahmsweise etwas zurückstellen“, sagt Jon nach der Pause, und Malcolm spürt, wie der Knoten in seinem Bauch sich schlagartig auflöst und eine eigenartige Leere hinterlässt. „Ich glaube“, erklärt der Regisseur, „dass die Kaffee-Therapie gut angeschlagen hat. Dennoch halte ich es für besser, euch beiden die Kuss-Szene noch ein, zwei Tage zu ersparen.“

Trip zuckt mit den Schultern. „Och, wär’ schon in Ordnung“, sagt er, und Malcolm bemüht sich, intensiv auf die im Off lose herunterhängenden Kabelenden zu starren und sich konzentriert zu fragen, welches wohl das Längere ist, damit er diesen irrwitzigen Gedanken besser ignorieren kann, der ihm einzuflüstern versucht, dass er möglicherweise sogar ein ganz klein wenig enttäuscht ist.

Jon gibt Travis und Phlox ein Zeichen, die in der nächsten Szene einen kurzen Dialog auf der Vorbühne haben. Die beiden setzen sich kommentarlos in Bewegung. Jon schlendert währenddessen Malcolm und Trip entgegen, die ein wenig verspätet in den Theatersaal zurückgekehrt und noch nicht ganz an der Bühne angekommen sind. Malcolm registriert den prüfenden Blick, den der Regisseur ihm und seinem Kollegen zuwirft, und schnell bringt er einen halben Schritt mehr Abstand zwischen sich und Trip. Dann überlegt er, warum er sich dazu veranlasst gefühlt hat und findet sich albern.

„Wie läuft’s bei Starbucks?“ fragt Jon.

Trip antwortet, und das ist Malcolm sehr recht, denn Trip ist Jons alter Freund, und außerdem ist Malcolm sich alles andere als sicher, was er sagen sollte.

„Gut“, sagt der andere nur.

Jon hakt nach: „Kommt ihr voran?“ Jetzt sieht er Malcolm an, und er muss doch antworten.

„Ich denke, dass wir uns jetzt beide besser im Griff haben“, sagt er steif.

„Ich weiß, dass das schwierig ist für euch, Jungs“, sagt Jon. Malcolm will widersprechen, schließlich ist er Profi und hat Situationen wie diese meistern zu können, auch wenn es schwierig ist, aber Jon fährt fort: „Was haltet ihr davon, wenn wir die Kuss-Szene erstmal in einem kleineren Rahmen versuchen würden? So wie eure Kaffeepausen, nur dass wir diesmal den Kuss da unterbringen. Nick und Colin gehen heute Abend einen Trinken, dritter Akt, Szene elf. Ihr könnt ruhig improvisieren, solange der Ausgang derselbe ist.“

Malcolms Füße sind eiskalt. Dafür ist der heiße Knoten in seinem Magen wieder da, und das Flügelschlagen der Schmetterlinge bereitet ihm eine leichte Übelkeit. Er räuspert sich, um etwas zu sagen, weiß aber nicht recht, was. Trip kommt ihm zuvor, er fragt unsicher: „Du meinst, irgendwo draußen?“

„Im Soju?“ schlägt Jon vor.

„Was… ist das Soju?“ fragt Malcolm, nur, um irgendwas zu sagen.

„Das Soju Town, eine kleine koreanische Bar am Wilshire Boulevard, gleich um die Ecke“, erläutert Trip, und Malcolm hat den Verdacht, dass er hauptsächlich antwortet, um nicht ja oder nein sagen zu müssen. „Bisschen gammelig, sehr ruhig. Nie voll.“

Malcolm schluckt, nun ist es an ihm, ja oder nein zu sagen. Er hört, dass Travis mit seinem Text beginnt, und er wünscht sich inständig, sie möchten doch auf der Bühne, in der vertrauten Umgebung der Kulissen bleiben, wo es viel deutlicher erkennbar ist, dass hier Schauspieler ihren Beruf ausüben, wo es nach festen Texten geht und die Schritte abgezählt sind und sich eine scharfe Trennung zwischen Rolle und Darsteller zieht.

„Also dann, heute Abend, acht Uhr im Soju“, bestimmt Jon und wendet sich der Dialogszene auf der Vorbühne zu.

„Kommst du mit?“ hört Malcolm sich fragen, und er klingt wie ein ängstliches Schulmädchen, das eine Freundin um Begleitschutz zum ersten Date bittet.

„Sicher“, sagt Jon, über die Schulter gewandt. „Ich sitz am Nebentisch, ihr ignoriert mich. Nick und Colin, von vorne bis hinten. Punkt zehn verlasst ihr den Laden, mit der bekannten Folge.“ Er lässt sie stehen und geht nach vorne, dritte Reihe, zweiter Platz, wo er sich wie gewohnt in den Sessel fallen lässt und nach vorne blickt.

Malcolm hört ein Geräusch von Trip, das vielleicht ein Lachen, vielleicht ein abfälliges Schnauben sein soll. „Dann küssen wir uns also heute Abend mitten auf dem Wilshire Boulevard“, stellt er fest und klingt dabei verbittert, ungläubig, widerstrebend und resigniert zugleich. Die Schmetterlinge in Malcolms Bauch tanzen wild durcheinander, und nur zu gern würde er sich einen ordentlichen Schlag in die Magengrube verpassen, wenn die Biester dann nur endlich Ruhe gäben. Er folgt Trip nach vorn zu seinen anderen Kollegen und weigert sich zu bemerken, dass er auf wackeligen Knien läuft.

~*~

Er kann das nicht.

Er wird einfach nicht hingehen.

Er hat das Handy schon in der Hand, und damit wird er Jon eine kurze SMS schicken, und es wird keinen Kuss auf einem öffentlichen Boulevard in Korea Town geben.

Was ist das überhaupt für eine blödsinnige Herangehensweise von einem Regisseur? Unprofessionell.

Er hat die verdammte Equity Card. Was, wenn er jetzt einfach aussteigt? Wird ihm die Mitgliedschaft dann aberkennt? Das steht bestimmt irgendwo in den Geschäftsbedingungen, er könnte sich hinsetzen und nachlesen.

Aber er kann die anderen nicht hängen lassen. Er kann jetzt nicht einfach den Schwanz einziehen.

Malcolm wirft sich die Jeansjacke über die Schulter und verlässt das Hostel in Richtung Metro.

~*~

„Noch zwei Bier, bitte!“ Trip – Colin! – winkt der jungen Kellnerin, die von weitem fast ein bisschen aussieht wie Hoshi. Anfangs hat er darauf bestanden, Malcolm Soju zu bestellen – das koreanisches Reislikörgetränk, nach dem das Soju Town benannt ist und das seiner Aussage nach gerade sehr angesagt ist in L.A. Es hätte ihn gleich misstrauisch machen sollen, dass Trip – der Halunke – für sich selbst ein Bier bestellt hat. Nun, nach dem zweifelhaften Soju und zwei weiteren Bier fühlt Malcolm sich angenehm entspannt und in der Lage, Trips – Colins! – Blicke über sich gleiten zu lassen und nicht ständig ängstlich zu dem einzelnen Herrn am Nebentisch herüberzuschauen. Sie reden über Kunst und über Politik, über Amerika und Europa und Gott und die Welt, und Malcolm hat keine Ahnung, inwieweit Trip seine persönlichen Ansichten an seine Rolle anpasst, aber Nick und Colin haben bemerkenswerte Gemeinsamkeiten festgestellt.

„Du bist gar nicht so verkehrt“, eröffnet ihm der andere Mann nun mit einem offenen Lächeln. Er beugt sich vor, zerwuschelt Malcolms Haare und ergänzt: „Ich hätt’ ja meinen Hintern verwettet, dass du ein idiotischer Spinner bist, aber mittlerweile bin ich mir da gar nicht mehr sicher.“

„Tja…“, sagt Malcolm ausweichend, bringt abwesend seine Haare in Ordnung und überlegt zweifelnd, was Colin damit sagen will. Die elfte Szene, dritter Akt, dauert nur wenige Minuten, und sie sitzen hier jetzt seit fast zwei Stunden. Natürlich können sie sich da nicht ans Textbuch halten, sollen sie ja auch nicht. Aber was Trip sagt, macht keinen Sinn, denn Colin hatte niemals etwas gegen Nick. Unsicher schielt Malcolm zu Jon hinüber, aber der sitzt zu weit weg, um jedes Wort zu verstehen, und außerdem redet er gerade mit der Kellnerin.

Malcolm kommt widerstrebend zu dem Schluss, dass die Aussage ein Friedensangebot von Trip selbst sein muss. Er holt ein Lächeln hervor und will schon etwas Ähnliches zu erwidern. Doch als er aufsieht, hat das offene Lächeln des Blonden sich verwandelt, aus seinen Augen sprühen unsichtbare kleine Fünkchen, die die verfluchten Schmetterlinge in Malcolms Bauch in Aufruhr versetzen. Erschrocken zuckt Malcolm zusammen, als er eine Berührung an seiner Hand spürt, die plötzlich unerklärlich nahe bei Trips – Colins? – Hand liegt. Fassungslos starrt Malcolm auf den kleinen Finger, mit dem der Andere seicht über Malcolms Finger streicht. Als er zurück in sein Gesicht blickt, hat sich dieses schon wieder verändert. In sein Lächeln ist gutmütiger Spott getreten.

Bevor einer von beiden etwas sagen kann, kommt die Kellnerin, die nicht Hoshi ist, und stellt zwei Flaschen Bier vor ihnen ab.

„Wir… sollten dann auch langsam zahlen“, murmelt Malcolm und ist sich selbst nicht sicher, ob er mit der Bedienung oder mit seinem Kollegen spricht.

„Geht klar“, sagt Nicht-Hoshi. „Ich mach die Rechnung sofort fertig.“

„Hast es wohl eilig?“ fragt Colin – es ist Colin, redet Malcolm sich ein – mit einem eindeutig anzüglichen Grinsen.

Malcolms Hände beben, als er in der Innentasche seiner Jeansjacke nach seiner Brieftasche fingert. Zwei Mal flutscht ihm der Zehner durch die Finger, bevor er ihn der Bedienung auf den Tisch legen kann. „Schon gut“, sagt der andere Mann mit sanfter Stimme, legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm, und Malcolm zittert jetzt sichtbar, denn nichts ist schon gut. „Schon gut“, wiederholt Trip, flüsternd und definitiv aus-der-Rolle, „Ich führ dich doch nicht zur Schlachtbank!“ Die Hand streichelt den Arm und das Flüstern fährt fort: „Du wirst es überleben. Trink dein Bier!“

Trip steckt sein Wechselgeld ein – auch das von Malcolm, wie dieser bemerkt und dann ignoriert – und nimmt einen langen Hieb aus seiner Flasche. Malcolm ärgert sich, dass man ihm seine Unprofessionalität so deutlich ansieht, und dass Trip jetzt so tut, als sei er der Mann von Welt, den kein Wässerchen trüben könne, und er kommt sich vor wie ein Kind. Er sieht auf seine Armbanduhr, nicht zum ersten Mal heute Abend, und stellt fest, dass es wirklich fast Zeit ist, zu gehen. Er sieht zum Nebentisch, und sein Magen zieht sich zusammen, als er sieht, dass Jon bereits gegangen ist. Irgendwo auf dem Wilshire Boulevard lungert der Regisseur jetzt rum, die Kneipentür fest im Blick, um das Schauspiel, das sich ihm dort in zehn Minuten bieten wird, kritisch zu begutachten. Malcolm klammert sich an sein Bier wie an einen Rettungsanker. Dann führt er es doch zum Mund, trinkt, setzt die Flasche schließlich ab und sieht seinem Kollegen mit einiger Überwindung ins Gesicht. Er ist ein Schauspieler, sie sind beide Schauspieler, auch wenn die Umgebung alles andere als geeignet ist, sie daran zu erinnern. Malcolm wünscht sich eine Bühne, eine gute, hölzerne, solide, konservative Bühne; er wünscht sich, er wäre nie weggegangen aus England, wo die Regisseure ihre Schauspieler Theater spielen lassen, statt sie zum Knutschen in koreanische Pinten zu schicken.

Malcolm, der Schauspieler, der in Wirklichkeit gar nichts mit Nick zu tun hat, schiebt seine Nervosität mit einiger Anstrengung beiseite und betrachtet Trip, der ihn an seinem Flaschenhals entlang erwartungsvoll ansieht. Er sieht nicht aus, als wüsste er so ganz genau, was er tun soll, vermerkt Malcolm mit grimmiger Befriedigung. Trip zwinkert ihm zu, und Malcolm senkt den Blick, greift nach seinem Bier und kehrt die Scherben zusammen, in die sein kurzer Anflug von Rationalität zerfallen ist und aus dem sich Lampenfieberschmetterlinge wie Phönixe aus der Asche erheben.

Mit einem hörbaren Klong stellt Malcolm die leere Flasche ab. „Lass uns gehen!“ sagt er. Es ist ihm wichtig, dass er derjenige ist, der das Kommando zum Aufbruch gibt, obwohl es im Stück der andere tut. Er stolpert auf die Füße, spürt den zu schnell getrunkenen Alkohol in seinen Gliedern und dann eine Hand in seinem Rücken. Das ist nicht vorgesehen, aber sie ist da. Malcolms Atem gerät ins Stocken, sein Herz schlägt wild gegen seine Rippen. Im letzten Moment fällt ihm ein, nach seiner Jeansjacke zu greifen, die über der Stuhllehne hängt. Draußen ist es kalt und es regnet, also zieht er sie über, wozu Trip die Hand von seinem Rücken nehmen muss, was gut ist, wie Malcolm sich erinnert. Dann stürzen sie nach draußen, „Viel Spaß, Jungs!“ ruft die Kellnerin ihnen hinterher, und Trips Hand ist schon an Malcolms jeansbejackten Arm, schlüpft in seinen Ärmel, und auch die Hand in seinem Rücken ist schon wieder da und bugsiert ihn aus der Tür. Die Schmetterlinge in seinem Bauch brüllen auf, und kurz fragt Malcolm sich, ob er sie vielleicht mit Löwen verwechselt hat, aber er hat jetzt keine Zeit für derlei abstrakte Gedanken. Malcolm und Trip stürzen in einem beängstigenden Crescendo an die Luft, keine Sekunde zu früh durchbrechen sie die Wasseroberfläche, und während Trip ihn an den Kragenaufschlägen seiner Jacke packt und zu sich heranzieht, saugt Malcolm tief den Sauerstoff in seine Lungen, bevor er wieder hinabtaucht, in Trips feste Umarmung diesmal, und in einen stoppelbärtigen Kuss, der ihn entsetzt, erregt, befremdet, verwirrt und so vieles ist, was er niemals erwartet hätte.

„Scheiße“, sagt Trip irgendwann, aber er lächelt dabei. Zumindest vermutet Malcolm das. Er kann Trips Gesicht nicht sehen, es ist zu nah; sie stehen da, Stirn an Stirn, und aus dieser Perspektive hat Trip nur ein Auge und keinen Mund zum Lächeln.

„Scheiße“, wiederholt Malcolm und bringt ebenfalls ein Lächeln zustande. „Ich glaube, wir nehmen unsere Rollen ein bisschen zu ernst.“

Ein leises Lachen grummelt in Trips Kehle. „Scheiße, ja. Ich fürchte fast, Nick hat mich härter getroffen, als ich es für möglich gehalten hätte.“

„Nick?“ fragt Malcolm in einem amüsierten Tonfall, aber sein Herz klopft ihm bis in den Hals, „Oder ich?“

Trip hebt seinen Kopf einen Zentimeter, lässt ihn zurückfallen und gibt Malcolm eine Kopfnuss. „Sei nicht so ein arroganter Bastard!“ sagt er. Aber er sagt es immer noch mit einem Lächeln.

Malcolm steht da, ganz ruhig für ein paar Sekunden, und inhaliert den Duft von Regen und von Trips Körper. Er hat große Lust, ihn noch einmal zu küssen, die unerklärliche und umso vollständigere Abwesenheit jeglicher Vernunft noch ein wenig weiter auszunutzen, aber er weiß nicht recht, wie er das anstellen soll. Seine Arme sind um Trips Rücken geschlungen, und auch der andere Mann hält ihn immer noch fest an sich gedrückt.

Trip lacht, und Malcolm spürt, wie der Atem dabei über sein Kinn fliegt. „Wir geben Jon ganz schön was zum Gucken, hm? Ich bin gespannt, was er nachher sagt.“

Schlagartig wird Malcolm sich seines Publikums bewusst, und er will auffahren, doch Trip interpretiert die Bewegung falsch, und schon sind ihre Lippen wieder aufeinander. Unwillkürlich öffnet Malcolm den Mund, und noch während er sich fragt, ob er endgültig den Verstand verloren hat, zerfließt die Welt in tausend Farben, und übrig bleibt allein sein Herzklopfen.

~*~

„Nick Feldman hat alles, was ein solides, angenehmes Leben erfordert: eine schöne Frau, einen vielversprechenden Sohn, ein stattliches Haus. In jeder Hinsicht ein Vorzeige-Amerikaner, macht Nick Karriere – um am Ende die Trümmer der gutbürgerlichen Fassade seines Lebens zusammenzukehren, nachdem die Bekanntschaft mit seinem neuen Kollegen Colin seine Überzeugungen, Werte und seine Gefühle gehörig durcheinander gewirbelt hat.
„Feeling the same“, das Debüt-Stück des New Yorker Autors Anton Freebert, versetzte das Publikum bei seiner Premiere gestern im Crimson Theater in Wilshire in einen wahren Begeisterungsrausch. Verantwortlich dafür zeichnet Regisseur Jonathan Archer, dessen Name für intensives Gefühlstheater steht. Ihm ist es gelungen, die eher unscheinbare Vorlage mit großem Geschick bei der Besetzung auf brilliante Art und Weise auf die Bühne zu bringen. Malcolm Reed füllt die Rolle des von den eigenen Gefühlen vor den Kopf gestoßenen Nick Feldman bis aufs i-Tüpfelchen aus und transportiert bestürzte Verwirrung, panische Verleugnung und verzweifelte Leidenschaft direkt in die Herzen der Zuschauer. Besonders die sinnlicheren Szenen mit Reeds Bühnenpartner Charles „Trip“ Tucker in der Rolle des Colin Harper überzeugen durch ungewöhnliche Glaubhaftigkeit. Dabei kommt die knisternde Erotik, die das Zusammenspiel des Paares vom ersten Moment an ausstrahlt, völlig ohne platte Vulgarismen aus. Trotzdem – oder deswegen? – ist sofort klar, dass alle Konventionen – in Form von Nicks Frau Louise (ebenfalls hervorragend gespielt von Hoshi Sato) und den Kollegen (solide Leistungen von Doc Phlox und Travis Mayweather) – keine Chance gegen die Liebe der beiden Männer haben. So sind am Ende alle Ambitionen des Protagonisten gescheitert: seine Karriere ist beendet, die Ehe zerbrochen, als Vaterfigur hat er versagt. Dennoch verlässt der Zuschauer das Theater gestärkt in seiner Hoffnung, dass Liebe sich nicht unterdrücken lässt und stärker als alles andere immer einen Weg ins Leben findet.“

Malcolm verdreht die Augen über so viel Kitsch, aber er schneidet die Rezension doch aus der Western Weekly aus und heftet sie säuberlich in die Mappe, die seinen Aufstieg in den Staaten dokumentieren soll. Vielleicht ist es, alles in allem, doch nicht die schlechteste Idee gewesen, seine Karriere hier mit diesem Stück zu beginnen.

ENDE
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