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A Decade of Storm: Kapitel 2 - Kreuzwege

von Markus Brunner

Kapitel 2

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„Heute war es endlich soweit: Das Sternenflottenkommando hat – für meinen Geschmack ein paar Monate zu spät – den Schlussbericht über die Ereignisse auf Tagus III freigegeben“, verkündete Robau an seinem üblichen Platz am Konferenztisch stehend. Nachdem er zusammen mit Commander April in der letzten Stunde den Schlussbericht durchgelesen hatte, war seine Enttäuschung darüber aus seiner Stimme nicht zu verdrängen. In Anbetracht dessen, dass sich die Analyse der im vergangenen Jahr gesammelten Daten so lange hingezogen hatte, war das Endergebnis, zu dem das Sternenflottenkommando gekommen war, doch ernüchternd.
Robau deutete nach vorne zum Rednerpult. Angesichts des wissenschaftlichen Inhalts des Berichts und weil der Erste Offizier ihm bereits recht verständlich die Erkenntnisse der Sternenflotte erklären konnte, überließ er Robert April das Wort.
„Erwarten Sie nicht zu viel von dem Bericht.“, schloss der Captain schließlich und nahm Platz.
„Das sagen Sie immer, wenn ich hier vorne stehe, Captain“, merkte April an.
Robau deutete ein Schulterzucken an und erwiderte entschuldigend: „Wissenschaft halt. Beginnen Sie, Commander.“
April räusperte sich kurz, als sich alle Augen auf ihn richteten. Er deutete zum großen Bildschirm neben sich, der eine vereinfachte Skizze der Anlage zeigte, die sie im vergangenen Jahr auf Tagus III entdeckt hatten.
„Nun, wie wir bereits angenommen haben, besteht die Anlage aus zwei Teilen, einem auf dem Planeten und einem darüber in einer stationären Umlaufbahn. Die sogenannte Arena in der Ahnenstadt auf Tagus III diente zur Energiegewinnung. Mikrowellengeneratoren, angeordnet in einer parabolischen Form, versorgten eine dreieckige Vorrichtung mit ausreichend Energie. Über den Mechanismus dieser Vorrichtung ist leider immer noch nichts bekannt, aber es kann als sichergestellt angenommen werden, dass sie die Mikrowellenenergie nicht gebündelt hat.“
„Aber von der Vorrichtung ist in der Folge doch ein starker Energiestrahl ausgegangen?“, fragte Lieutenant Caraatic, der damals in der Arena anwesend gewesen war.
„Das stimmt“, bestätigte April. „Aber die Vorrichtung gab viel mehr Energie ab, als sie von den Mikrowellengeneratoren erhalten hatte.“
„Aber ist das nicht völlig unmöglich?“, fragte nun Lieutenant Lin. Sie hatte keine spezialisierte wissenschaftliche Ausbildung, aber auch sie kannte die Grundlagen der Energieerhaltung: „Von nichts kommt nichts.“
„Du hast natürlich recht, Tianyu. Deshalb gehen unsere Sternenflottenwissenschaftler auch davon aus, dass dieses Dreieck nicht zur Energiebündelung diente. Die abgegebene Energie der Mikrowellengeneratoren muss wohl direkt von der Vorrichtung verwendet worden sein. Aber über diesen Mechanismus gibt es derzeit auch noch keine brauchbaren Spekulationen.“
Ratloses Schweigen folgte dieser Erklärung. Die Stille endete erst, als Captain Robau wieder das Wort ergriff: „Und? Hatte ich diesmal nicht recht damit, nicht zu viel zu erwarten?“
Verhaltenes Kichern folgte.
„Nun, ich bin ja noch nicht ganz fertig“, erklärte April und per Knopfdruck wechselte die Bildschirmanzeige von der technischen Skizze zu einem Bild des dritten tagusianischen Mondes – entblößt in seiner rein metallischen Erscheinung aber noch intakt. Das Bild war wohl wenige Minuten bevor die Kelvin und die klingonische Flotte ins Innere vorgestoßen waren aufgenommen worden.
„Was den zweiten Teil der Anlage angeht, gibt es zumindest eine ganz interessante Theorie. Gewissheit haben wir hier leider auch nicht, weil es um eine echte Grenzwissenschaft geht. Der Mond nahm seine Funktion auf jeden Fall erst auf, nachdem ihn der Energiestrahl von der Planetenoberfläche traf. Es ist also naheliegend, dass er von dieser Energiequelle abhängig war. Weiters muss es im Mond selbst Speichervorrichtungen gegeben haben, da er seine Funktion auch nicht eingestellt hat, als der Energiestrahl wieder abgestellt worden war.“
„Wie kann so ein Ding aber Lebewesen in der gesamten bekannten Galaxis beeinflussen?“, fragte Doktor Tuvana. Sie war immer noch ein seltener Anblick im Konferenzraum.
„Also das … wissen wir ehrlich gesagt auch nicht. Laut der medizinischen Abteilung der Sternenflotte wurde das humanoide Gehirn und Nervensystem direkt beeinflusst. Je nach Spezies waren die Auswirkungen etwas unterschiedlich, aber Messungen von Patienten, die während dem Ausbruch der Schmerzepidemie an medizinischen Sensoren angeschlossen waren, zeigten Veränderungen in den Gehirnwellen.“
„Gehirnwellen?“, fragte Caraatic.
„Die Gehirnaktivität“, erklärte Tuvana.
„Richtig“, bestätigte April. „Es gab Abweichungen auf sämtlichen Frequenzbändern. Es wäre möglich, dass vom tagusianischen Mond Wellen ausgesendet wurden, die Ähnlichkeit mit einer Art telepathischen Kontaktaufnahme hatten. Zumindest sind sich die gemessenen Veränderungen der Gehirnwellen in beiden Fällen sehr ähnlich.“
„Eine künstliche Variante der Telepathie also“, fasst Robau zusammen. Die neben ihm sitzende Chefingenieurin wirkte aber skeptisch:
„Also ich habe schon einige telepathisch begabte Personen getroffen. Menschen, Betazoiden, Deltaner. Aber ihre Fähigkeiten – egal ob Gedankenlesen, Löffelverbiegen oder ein Streichholz mit Gedanken entzünden – waren immer räumlich begrenzt. Wie kann eine künstliche Telepathie so viel stärker sein? Und wie soll es möglich sein, dass sie gleichzeitig Lichtjahre entfernte Lebewesen beeinflusst?“, gab Lori O’Shannon zu bedenken.
Als Ingenieurin und Spezialistin für Warp-Antriebe wusste sie natürlich genauso gut wie April, dass man nicht von einem Moment auf den anderen von einem Ort zum anderen wechseln konnte. Im Normalraum, dem Raum-Zeit-Gefüge, in dem sie sich befanden, war die höchstmöglich erreichbare Geschwindigkeit die des Lichts – Warp 1. Und damit ein Raumschiff schneller als Warp 1 fliegen konnte, musste man sich schon des Subraums bedienen, einem untergeordneten Raum-Zeit-Gefüge, in dem die physikalischen Gesetze des Normalraums keine Gültigkeit hatten. Aber um den Subraum so stark zu krümmen, damit ein Raumschiff ohne merkbaren Zeitverlust zum Beispiel von einem Ende der Föderation zum anderen Ende fliegen könnte, waren enorme Energiemengen nötig. Noch viel mehr, als von Tagus III hinauf zum Mond geschickt worden war.
Die – angenommenen – telepathischen Wellen konnten also weder über den Normalraum noch über den Subraum verbreitet worden sein. Was blieb noch übrig? Die Antwort auf diese Frage fand April faszinierend:
„Eine derartige zeitgleiche Fernbeeinflussung über tausende Lichtjahre hinweg ist nur möglich, wenn sie über ein uns bisher unbekanntes Trägermedium erfolgt. Wobei … so ganz unbekannt ist dieses Medium doch nicht. Ich rede vom Nullpunktfeld. “
Schon in der Besprechung mit dem Captain zuvor war es April schwergefallen, das Konzept in verständliche Worte zu fassen und auch die anderen Offiziere sahen nun ziemlich ratlos aus.
„Bitte nicht so viele Fragen auf einmal“, scherzte April, doch diesmal lächelte niemand. Er seufzte laut, trat vor das Rednerpult näher an seine Offizierskollegen heran.
„Also, ich spreche hier von nichts anderem als dem Heiligen Gral der Physik. Dem Beweis, dass in unserem Raum-Zeit-Gefüge, in dem wir leben, alles irgendwie miteinander verbunden ist. Im Lauf der Jahrhunderte hat es schon Dutzende Bezeichnungen dafür gegeben. Ich nenne es einfach Nullpunktfeld, früher nannte man es den Äther, Dirac-Ozean, …“
„Die Macht“, unterbrach Waffenoffizier Colombo lächelnd.
„Du siehst eindeutig zu viele antiquarische Science-Fiction-Filme“, kommentierte April seinen Freund tadelnd und tat sich schwer damit, ernst zu bleiben. „Trotzdem stimmt das im Prinzip. All diese Namen sind Bezeichnungen für etwas, das heutzutage die meisten Physiker einfach als gegeben annehmen, ohne es nachweisen zu können.“
Er griff nach hinten und tastete nach dem passenden Knopf auf dem Pult und die Abbildung des tagusianischen Mondes auf dem Bildschirm veränderte sich ein wenig. Stärker veränderte sich das All im Hintergrund.
„Dieses Raumphänomen konnten wir letztes Jahr beobachten. Eine Art … Gewitterwolke die das gesamte All zu durchziehen schien. Je länger der tagusianische Mond aktiv war, desto deutlicher wurde sie auch mit bloßem Auge sichtbar. Ich kann es nicht beweisen, aber ich tippe darauf, dass dies das Nullpunktfeld ist. Oder zumindest eine sichtbare Reaktion des Feldes auf seine Manipulation durch den tagusianischen Mond. Dafür spricht, dass dieses Phänomen ausschließlich im Vakuum festgestellt wurde aber nicht in mit Materie gefülltem Raum, also zum Beispiel hier im Inneren dieses Schiffes.“
„Also ist das Vakuum, das Nichts dort draußen, dasselbe wie das Nullpunktfeld?“, fragte Giles verwirrt, die sich erstmals zu Wort meldete.
„Nicht ganz, das Nullpunktfeld existiert ausschließlich im Vakuum. Und das Vakuum ist gar nicht so leer, wie man meinen möchte. Das Nullpunktfeld ist sozusagen eine unsichtbare Schicht, die üblicherweise nicht mit der Materie im Normaluniversum interagiert. Trotzdem scheint sie dazu gedient zu haben, die humanoiden Lebewesen dieser Galaxie gleichzeitig zu beeinflussen.“
„Ist das Nullpunktfeld dann nicht so etwas wie der Subraum?“, fragte O’Shannon interessiert. Die Warp-Spezialistin sprach wieder aus ihr.
„Man kann es sich ungefähr so vorstellen: Befindet man sich in einem Haus in einem Zimmer, dann ist jeder zugängliche Bereich dort der Normalraum. Jenes Gebiet der Raum-Zeit in dem wir existieren. Im Vergleich dazu wäre der Subraum der Teppich in diesem Zimmer. Und wie du weißt, kann man auf diesem Teppich verdammt schnell gehen.“
O’Shannon nickte wissend: „Ja, okay. Aber was ist dann das Nullpunktfeld?“
„Das Fundament. Die Wände. Das Dach.“
Schweigen. Niemand schien sich wirklich vorstellen zu können, was April meinte. Der Wissenschaftsoffizier seufzte abermals demonstrativ und sagte dann: „Jetzt solltet ihr eigentlich alle erstaunt „Ah“ oder verblüfft „Oh“ rufen.“
„Oh!“, kam es Colombo etwas halbherzig über die Lippen und O’Shannon stimmte mit einem gehauchten „Ah“ ein.
„Geben Sie’s auf, Robert“, schlug Robau vor. „Aus uns werden keine Genies mehr.“

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Die Tür schloss sich hinter ihrem Rücken und als Winona Giles den Regler der Beleuchtung bis fast nach oben schob und sie ihre Kabine vor sich sah, stöhnte sie erleichtert auf. In diesem Licht sah der Raum schon ganz anders aus, wieder mehr wie ein Raum, in dem man leben konnte und nicht wie ein schummriges Liebesnest für gewisse Stunden. Lediglich die leicht zerwühlte Bettdecke zeugte noch davon, was sie und Kaito Nakamura hier getan oder nicht getan hatten. Ein paar Handgriffe genügten um auch diese letzte Spur einer Begegnung zu beseitigen, die sie besser nie gehabt hätte.
„Ich werde mir wohl Kaitos Dienstplan besorgen müssen, um ihm in nächster Zeit aus dem Weg gehen zu können“, murmelte sie zu sich selbst. Das wäre alles nicht notwendig gewesen, wenn sie sich zusammengerissen hätte und die Vernunft über den Körper gesiegt hätte.
So hast du es doch seit Jahren gehandhabt, erinnerte sie sich selbst. Reiß‘ dich zusammen, Mädel!
Sie war wirklich froh, dass Robert Aprils kleines Referat sie gerettet hatte, bevor mehr passiert war. Aber sie konnte ihr Sexualleben natürlich nicht von den Plänen des Ersten Offiziers abhängig machen. Sie schmunzelte bei diesem Gedanken. Aber so ganz abwegig war er nicht. In ihrem momentanen Zustand brauchte sie wohl wirklich jemanden, der darauf achtete, dass sie nicht irgendeine Dummheit beging. Sie brauchte jemanden zum Reden.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Bildschirm auf ihrem Schreibtisch an war. Der Rhythmus des Pulsierens am oberen Bildrand war ihr als Kommunikationsoffizierin bestens vertraut: Eine neue Nachricht war eingetroffen. Und wenn da eine rote, gelbe oder grüne Zeile geblinkt hätte, dann hätte sie diese Nachricht ignoriert, hätte sich geduscht, etwas legerere Kleidung angezogen, ein Buch aus dem Regal genommen und es sich in ihrem Lieblingssessel für ein paar Stunden bequem gemacht. Nach einigen Kapiteln hätte sie das Buch zur Seite gelegt, ihr Schlafgewand angezogen und hätte dienstliche Nachricht einfach dienstliche Nachricht sein lassen. Jede dienstliche Nachricht, die nicht über Intercom, sondern nur schriftlich auf ihrem Computerterminal einging, konnte auch bis zum nächsten Morgen warten.
Doch es handelte sich nicht um eine dienstliche Nachricht. Da blinkte keine grüne Zeile, ein Hinweis auf eine Nachricht niedriger Priorität, keine gelbe Zeile, was auf eine Nachricht normaler Priorität hinwies. Und es war schon gar nicht erst eine rote Zeile, was ein echtes Novum gewesen wäre, denn sie hatte über ihr Terminal in ihrer Kabine noch nie eine Nachricht hoher Priorität erhalten. Nein, stattdessen blinkte da unaufhörlich eine blaue Zeile. Eine private Nachricht.
Neugierig setzte sich Winona hinter ihren Schreibtisch und öffnete die Nachricht. Als erstes fiel ihr auf, dass die Betreffzeile der Nachricht leer war. Das war nicht besonders ungewöhnlich. Seitdem auf der Erde vor ungefähr 250 Jahren die ersten elektronischen Nachrichten verschickt worden waren, hatte sich die Unsitte eingebürgert, auf einen Betreff – eine kurze Überschrift des Nachrichtentextes – zu vergessen oder gar bewusst zu verzichten. In ihrer Funktion als Kommunikationsoffizierin hatte es sich Winona vorgenommen, gegen diese Unsitte anzukämpfen. Wer immer die Nachricht abgeschickt hatte, konnte sicher damit rechnen, von ihr eine Antwort zu erhalten. Selbst wenn sie nur lauten sollte: „Schon mal was von einer Betreffzeile gehört?“.
Überrascht bemerkte Winona nun, dass nirgendwo stand, von wem die Nachricht abgesendet wurde. Nicht die geringste Absenderinformation war vorhanden. Nun, es kam vor, dass solche Informationen bei der Übertragung irgendwo hängen blieben, hauptsächlich dann, wenn über private Kanäle gesendet wurde. Und selbst dann war eine verlorengegangene Absenderinformation etwas sehr Seltenes, aber zumindest war es eine Erklärung für die leere Zeile auf ihrem Bildschirm. Und als Kommunikationsoffizier hatte Winona zumindest das entsprechende Wissen, um diese Information aus dem Kommunikationssystem des Schiffes wieder hervorzuholen. Das sollte aber nicht notwendig sein – sofern der Absender nicht auch noch die zweiten großen Unsitte des elektronischen Nachrichtenversands beging: das Weglassen seines oder ihres Namens unterhalb des Nachrichtentextes.
Ein erster Blick auf diesen ließ Winona aber schon ahnen, dass es auch hier jemand nicht so genau mit den Formvorschriften genommen hatte: Nur eine einzige Zeile stand da. Winona las sie schnell.
Und ein zweites Mal.
Erst beim dritten Mal dämmerte ihr langsam, was all diese Unstimmigkeiten zu bedeuten hatten. Immer und immer wieder las Winona Giles die Zeile bis sie sicher war, dass sie in dieser Nacht kein Auge zumachen würde. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, der dabei leise quietschte. Minuten vergingen aber der Text änderte sich nicht – was auch nicht anzunehmen war. Noch immer stand dort:
„George Kirk lebt. Weitere Einzelheiten folgen. Seien Sie bereit.“

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„Einer meiner Ausbilder hat mir mal prophezeit, ich würde irgendwann noch in Leavenworth landen. Damit lag er gar nicht mal so falsch“, sagte Kirk. Er saß auf einem sehr dünn gepolstertem Metallgestellt, das zugleich als Sitz wie auch als Bett diente. Es passte sehr gut in den metallverkleideten Raum, in dem sich Kirk befand, denn es war genauso ungemütlich wie der Raum aussah.
„Leavenworth?“, fragte Nezuu verwirrt. Die Tagusianerin hatte dieses Wort natürlich noch nie gehört.
„Das ist ein Gefängnis auf der Erde“, erklärte Kirk, während er unwohl auf dem Gestell hin und her rutschte, vergeblich versuchte, eine bequeme Sitzposition einzunehmen. Sein ganzer Körper schmerzte auch so schon mehr als genug. „In Leavenworth sitzen Militärangehörige ihre Haftstrafen ab.“
„Wir bestrafen Sie doch nicht“, warf Nezuu ein. Es überraschte Kirk, dass sie tatsächlich zu glaubte schien, was sie da sagte. „Hätten wir Ihnen sonst das Leben gerettet?“
Eines musste Kirk den Tagusianern lassen: Sie haben ihn tatsächlich recht gut wieder hinbekommen. Nezuu hatte bei einem ihrer Besuche mal Fotos mitgebracht. Sie hatten gezeigt, wie Kirk unmittelbar nach seiner Bergung aus dem Tunnel unterhalb der Ahnenstadt ausgesehen hatte. Kirk konnte immer noch kaum fassen, dass er dieser Klumpen Fleisch gewesen war und vor allem dass er in diesem Zustand auch noch gelebt hatte.
„Ein Hoch auf die tagusianische Medizin“, höhnte Kirk. Rein äußerlich dürfte er wohl wieder ganz okay aussehen. Sicher wusste er es aber nicht, da es in dieser Zelle – und nichts anderes war dieser Raum – keinen Spiegel gab. Aber sein Körper sah okay aus und dem Tasten nach schien im Gesicht auch alles dort zu sein, wo es hingehörte, abgesehen von einigen Unebenheiten, wo Narben verliefen. Seine Haare waren ihm wohl vor den Operationen abrasiert worden, aber inzwischen war sein dunkelblonder Haarschopf fast wieder auf die ursprüngliche Länge angewachsen.
Die Länge seiner Haare war auch die einzige Möglichkeit für ihn, die vergehende Zeit abzuschätzen. Das einzige Fenster der Zelle befand sich an der Decke. Genaugenommen war die gesamte Decke der Zelle verglast und vergittert und ein paar Meter weiter oben waren noch eine verglaste Decke und abermals Gitter. Und darüber sah er tagein, tagaus denselben Himmel. Weiß, dann blau, dann rot dann schwarz und dann gelb. Selten zog mal einer der tagusianischen Monde – sicher nicht der künstliche, denn der befand sich ja stationär über der Hauptstadt – über das Firmament.
„Wenn Sie mich nicht bestrafen wollen – und ich bin mir sicher, dass ich keine Bestrafung verdient habe – dann weiß ich nicht, warum ich hier seit Wochen oder eher Monaten schon in dieser Zelle hocke. Lassen Sie mich gehen!“, forderte Kirk energisch. Er stand auf und trat näher an Nezuu heran, die an einem kleinen runden Tisch lehnte. Der Tisch war das einzige andere Möbelstück in diesem rechteckigen Raum, der keine 10 Quadratmeter groß war.
Die Klinke der stählernen Zellentür quietsche, nachdem Kirk den Schritt getan hatte. Der Wärter auf der anderen Seite der Tür hatte zweifellos seine Hand darauf gelegt, bereit in den Raum zu stürmen, falls Kirk seiner Besucherin noch näher kam. Das Gesicht des Wärters, das durch die kleine Sichtluke starrte, wirkte angespannt.
Um zu zeigen, dass er keinen Angriff plante, wich Kirk demonstrativ einen Schritt zurück und der Gesichtsausdruck des Wärters entspannte sich ein wenig.
„Es tut mir leid, Mister Kirk“, entschuldigte sich Nezuu. „Es ist einfach sehr viel geschehen. Die Umstände haben sich verändert, seitdem die Suchmannschaften unserer Heidenarmee Sie aus den Trümmern geholt haben.“
„Welche Umstände sollen das sein, die aus einem freien Mann einen Gefangenen machen?“
„Ich versichere Ihnen, dass wir vorhatten, die Sternenflotte zu informieren, dass wir Sie gefunden haben …“
„Was?“, fragte Kirk. Mit Entsetzen wurde ihm schlagartig klar, was Nezuu hier andeutete. „Soll das heißen, dass niemand weiß … dass niemand darüber informiert worden ist, dass ich noch lebe?“
Nezuu nickte verlegen als sie bestätigte: „Ja. Wissen Sie, die Sternenflotte hielt Sie bereits für tot. Als wir Sie fanden – halbtot, wohlgemerkt – hatte die Kelvin unser Sonnensystem bereits verlassen.“
„Sie verfügen doch über Subraum-Sender. Das weiß ich aus erster Hand.“ So leicht wollte Kirk Nezuu nicht vom Haken lassen. Egal welche Ausrede sie vorbringen mochte: Er war nicht bereit sie zu akzeptieren. Die Sternenflotte, seine Kollegen und – noch schlimmer – seine Familie hielten ihn schon seit geraumer Zeit für tot. Das konnte und wollte Kirk den Tagusianern nicht durchgehen lassen, egal ob er ihnen jetzt sein Leben verdankte oder nicht.
„Sie waren mehr tot als lebendig, als wir Sie aus den Trümmern zogen. Wir haben einfach nicht gewusst, ob wir der Kelvin melden sollten, dass wir Sie lebend gefunden oder Ihren Leichnam geborgen hatten. Also haben wir abgewartet. Unsere besten Ärzte haben Sie tagelang behandelt ehe feststand, dass Sie überleben werden.“
„Und warum haben Sie die Sternenflotte dann nicht informiert?“
„General Xizan hat es verboten.“
Diese Information überraschte Kirk. Er hatte nicht den Eindruck gewonnen, dass auf Tagus III das Militär etwas verbieten konnte. Soweit er wusste, war die tagusianische Regierung demokratisch gewählt worden.
„Ein General?“, fragte Kirk verwirrt. „Was ist mit dem Patriarchen?“
„Die Suche nach ihm ist erfolglos geblieben und weil sich die verbliebenen Minister innerhalb einer kurzen Zeitspanne nicht auf einen Nachfolger einigen konnten, hat kurzerhand General Xizan den Ausnahmezustand ausgerufen und sich selbst an die Spitze der Übergangsregierung gesetzt. Alles legitimiert durch das tagusianische Gesetz.“
„Ihr Gesetz ist Scheiße“, brach es aus Kirk heraus. „Ist Ihr General etwa auch so ein fremdenfeindlicher Arsch?“
„Auch?“, fragte Nezuu empört.
Was ihm da über die Lippen gekommen war tat ihm schon jetzt leid. Trotzdem hatte es wohl keinen Sinn, sich zu rechtfertigen, er entschuldigte sich einfach und hoffte, dass es aufrichtig klang. Doch er konnte Nezuu nicht wirklich beschwichtigen:
„Hören Sie, Kirk: Ich weiß, dass in unserer Gesellschaft Angst vor Fremden herrscht. Nach dem klingonischen Angriff hat sich das sogar noch verstärkt. Aber das bedeutet nicht, dass wir Fremden gegenüber feindlich eingestellt sind.“
„Das heißt im Klartext also, dass Sie uns lieber loswerden wollen? Na dann frage ich mich doch, warum ich noch hier bin. Sagen Sie der Sternenflotte, dass ich lebe und sie mich abholen können. In spätestens ein paar Tagen bin ich weg und Sie sehen mich nie wieder. Wie wäre das?“
„Das wäre General Xizan nicht so recht“, merkte Nezuu an und sie schien sich wieder etwas zu entspannen.
„Warum denn?“, fragte Kirk entnervt. Langsam bereitete ihm das Gespräch mit Nezuu Kopfschmerzen.
„Weil der General ein fremdenfeindlicher Arsch ist“, kommentierte sie trocken.
Stumm starrten sich Kirk und Nezuu einige Sekunden lang gegenseitig an, verarbeiteten das, was sie soeben gesagt beziehungsweise gehört hatten. Und dann brachen beide in lautstarkes Gelächter aus. Ein ehrliches und lautes Lachen erfüllte die triste Gefängniszelle. Erst nach einer Minute hatten sie sich wieder einigermaßen im Griff.
„Also gut, nachdem wir uns zumindest darin einig sind …“, Kirk unterbrach sich, kämpfte gegen einen weiteren Lachanfall. „Also was hat der General mit mir vor? Was bringt ihm ein eingesperrter Sternenflottenoffizier?“
„Er wird versuchen, Sie irgendwie als Pfand einzutauschen. Es sollen bald wieder neue Verhandlungen zwischen Tagus III und der Föderation beginnen.“
„Ah, okay. Dann sieht’s ja gar nicht so schlecht aus, dass ich bald wieder nach Hause komme, oder?“
„Ähm, nicht wirklich. Es ist kompliziert, aber der General wird wohl weniger anbieten, Sie frei zu lassen, als eher damit drohen, Sie an die Klingonen auszuliefern.“
„An die Klingonen?“
Kirks Entsetzen hätte nicht größer sein können. Es hatte ihn schon geschockt, als er darüber nachgedacht hatte, welche Behandlung dem tagusianischen Patriarchen in klingonischer Gefangenschaft blühen mochte. Er selbst konnte gut und gerne darauf verzichten.
„Es ist kompliziert“, begann Nezuu, blickte dann zum Wärter, der immer noch ziemlich verzwickt durch die Luke schielte. „Ich erkläre es Ihnen bei meinem nächsten Besuch. Ich habe die Besuchszeit wohl schon ein bisschen überzogen.“
Kirk hielt sie nicht zurück, als sie in Richtung Tür schritt. Er hatte jetzt zumindest eine vage Vorstellung davon, wie seine Zukunft aussehen könnte. Zumindest würde er wohl nicht in aller Ewigkeit in dieser Zelle versauern.
An der Türschwelle blieb Nezuu nochmals stehen und wandte sich – sehr zum Unmut des stummen Wärters – nochmals zum Gefangenen um: „Ich werde alles in meiner Macht tun, um das Schlimmste zu verhindern. Aber … ich habe leider nicht besonders viel Einfluss. Nicht mehr.“
Kirk wusste das Versprechen dennoch zu schätzen. Er nickte stumm, wobei sein Blick auf das merkwürdige Gebilde aus Pappkarton fiel, das auf dem kleinen runden Tisch in seiner Zelle stand. Ein Wärter – nicht der Stumme – war so nett gewesen ihm einen Kalender zu bringen. Leider war es ein tagusianischer Kalender, der das Datum durch – aus Kirks Sicht – willkürliches verdrehen verschiedener Kartonteile ausgab. Natürlich in tagusianischer Schrift und in tagusianischen Zeitmaßen.
„Eine Bitte hätte ich noch, Nezuu. Wissen sie, welches Datum wir haben? Welches irdische Datum, meine ich.“
Die Tagusianerin überlegte: „Ähm, ich weiß nicht so recht. Das genaue Zeitmaß kenne ich nicht. Aber seit Sie mit der Kelvin nach Tagus III gekommen sind, sind beinahe fünfzig Doppelmondzyklen vergangen. Das entspricht … ungefähr einem irdischen Jahr.“
Für Kirk fühlte es sich an, als ob seine Kinnlade bis zum Boden hinab fiel. Ein Jahr? Das konnte doch nicht sein. Er griff mit beiden Händen in seinen dichten aber immer noch kurzgeschnittenen Haarschopf, der einzige greifbare Beweis, dass nicht ein ganzes Jahr vergangen sein konnte. Oder doch? Wie lange war er im Krankenhaus gewesen? Er hatte überhaupt keine Erinnerungen mehr an die Behandlung mit Ausnahme des letzten Tages, als er abgeholt und in diese Zelle verfrachtet worden war. Hielten ihn seine Eltern, seine Freunde und Kollegen tatsächlich seit einem ganzen Jahr für tot?
Er eilte zur Tür, die jedoch schon scheppernd hinter Nezuu ins Schloss fiel. Die Sichtluke wurde zugezogen und der Raum begann zu schwanken. Der Blick durch das Glasdach bestätigte Kirk, dass es zu spät war. Seine Zelle wurde bereits wegbewegt von dem Steg, der Zugang zu den rund zwei Dutzend Zellen gewährte. Dieses tagusianische Gefängnis war einzigartig: Wie Gondeln einer Seilbahn hingen die Zellen über einem tiefen, dunklen Abgrund. Nur wenn Zugang zu einer bestimmten Zelle erforderlich war, wurde die entsprechende Gondel an den Steg herangefahren. Kirk hatte in seinem Leben kein Gefängnis gesehen, aus dem sich hätte schwerer ausbrechen lassen. Trotzdem drehten sich seine Gedanken nur um dieses eine Thema.
Ich muss hier raus. So schnell wie möglich.
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