TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Nur eine Hand voll Staub

von Martina Strobelt

Kapitel 2


Der Jem‘Hadar wagte es nicht, Charis direkt anzusehen. Statt dessen wanderte sein Blick zur starren Miene Omet‘iklans und von dort zum Gesicht seines Vortas. Verwirrt. Hilfesuchend.
Mit der Begründung, die hier stationierten Truppen bräuchten mehr Training, hatte Charis eine von Quarks Holosuiten für diesen Zweck requiriert und dem verblüfften Weyoun eröffnet, dass sie persönlich gegen ausgesuchte Jem‘Hadar zu kämpfen gedachte. Der Vorta hatte das Ansinnen der Gründerin zunächst für eine Laune gehalten. Doch offenbar meinte Charis es bitter ernst. Sie hatte Weyoun, Omet‘iklan und den Zehnten seiner Einheit in die Holosuite befohlen. Hier hatte Charis den Zehnten zu einem Zweikampf aufgefordert.
Erschrocken hatte der Jem‘Hadar sich geweigert, seine Waffe gegen einen Gott zu erheben. Sein Blick bat den Vorta, ihn aus dieser heiklen Situation zu befreien.
Weyoun verstand die Bedrängnis des Soldaten. Doch als Vorta musste er sich dem Befehl der Gründerin beugen, so gerne er auch widersprochen hätte.
Weyoun fühlte Charis‘ Blick auf sich ruhen. Abschätzend, so als wartete die Gründerin auf eine bestimmte Reaktion.
"Gehorchen Sie, Zehnter!", befahl der Vorta, ohne den Jem‘Hadar anzusehen.
"Ich...", der Soldat ließ das Bat‘leth sinken, das Charis ihm gegeben hatte, "kann nicht!"
Die Gründerin senkte ihre Waffe ebenfalls und streckte ihre linke Hand aus. "Ihr White!"
Weyoun trat zwischen Charis und den Jem‘Hadar. "Warten Sie! Bitte! Das ist gefährlich! Bei Entzug von White ist ein Jem‘Hadar zu allem fähig! Sie könnten getötet werden!"
"Um so besser. Je höher das Risiko, desto höher der Reiz. Gehen Sie beiseite!"
"Gründerin, bitte! Sie könnten sterben!"
"Möglicherweise." Charis lächelte. "Sie jedoch werden mit Sicherheit sterben, wenn Sie nicht sofort den Weg freigeben!"
Der Vorta trat zur Seite.
Charis blickte den Soldaten auffordernd an. "Ihr White!", wiederholte sie.
Der Jem‘Hadar griff in den Kragen seiner Jacke. Er löste das schmale Fläschchen und reichte es der Gründerin.
Charis drehte das Fläschchen einige Sekunden in den Fingern, bevor sie Weyoun heranwinkte.
"Hier!" Die Gründerin gab dem Vorta das Fläschchen. "Verteilen Sie diese Ration anderweitig! Er", sie wies mit dem Kopf auf den Soldaten, "benötigt es nicht mehr."


***

Auf Befehl Weyouns hatte Omet‘iklan eine Mannschaft Jem‘Hadar vor der Holosuite postiert. Dies und die Geräusche, die nach außen drangen, hatten zu Quarks Leidwesen die meisten Gäste aus dem Kasino vertrieben. Der Ferengi wagte es nicht, sich bei Weyoun zu beschweren, der allein an einem Tisch auf der oberen Galerie saß. Die Miene des Vortas war genauso ruhig und beherrscht wie die Omet‘iklans, der hinter seinem Stuhl stand. Doch mit dem untrügerischen Instinkt eines Ferengis ahnte Quark, dass sein Leben in Gefahr war, sollte er Weyoun jetzt mit einer Beschwerde belästigen.
Hinter den ausdruckslosen Zügen des Vortas wirbelten seine Gedanken. Charis hatte Weyoun und seinen Ersten hinausgeschickt. Angeblich zu ihrer eigenen Sicherheit. Aber der Vorta vermutete, dass es der Gründerin in erster Linie darum ging zu verhindern, dass Weyoun und Omet‘iklan sich in den Kampf einmischten, sollte Charis in Bedrängnis geraten.
Der Vorta hatte sich gefügt. Indessen war Weyoun entschlossen, die Gründerin auch gegen ihren Willen und Befehl zu schützen, sollte es erforderlich werden. Auf Weisung des Vortas hatte Omet‘iklan eine direkte Verbindung zwischen der Holosuite und der optischen Überwachung der Bar hergestellt und die Daten auf einen Monitor auf der oberen Galerie umgeleitet.
Auf ein Zeichen Weyouns würden die Jem‘Hadar vor der Holosuite dieselbe stürmen und den Soldaten töten. Natürlich wussten sie nicht, dass Charis jegliches Eingreifen verboten hatte. Das hätte die Sache nur unnötig kompliziert. Am Ende würde Weyoun als der kommandierende Vorta ohnehin die Verantwortung für die Missachtung des Befehls der Gründerin tragen müssen.
"Sie ist gut!"
"Was wollen Sie, Dukat?", fragte Weyoun, ohne seinen Blick vom Monitor zu nehmen.
"Das, was man in einer Bar will. Einen Drink. Darf ich?" Der Cardassianer griff einen Stuhl.
Weyoun bedeutete Omet‘iklan mit einem leichten Heben seiner Hand, Dukat nicht daran zu hindern, sich zu ihm an den Tisch zu setzen.
"Sie wirken besorgt", bemerkte der Cardassianer beiläufig. "Erstaunlich. Man sollte meinen, dass es Ihnen durchaus gelegen käme, sollte Charis die Holosuite nicht mehr lebend verlassen."
Der Vorta hielt sich nicht mit der Frage auf, wie Dukat von dem Kampf erfahren hatte. Die offene Unterstellung des Cardassianers, Weyoun könnte einer Gründerin den Tod wünschen, war so ungeheuerlich, dass es dem Vorta im ersten Moment die Sprache verschlug. Aus den Augenwinkeln sah Weyoun, wie Omet‘iklans Hand sich zur Faust ballte. Der Vorta wusste, dass sein Erster nur auf ein Zeichen von ihm wartete, um diesem unverschämten Cardassianer das Genick zu brechen. Mit Freuden hätte Weyoun dem Jem‘Hadar einen entsprechenden Befehl erteilt. Leider war Dukat nicht irgendein Cardassianer, sondern der von den Gründern eingesetzte Führer Cardassias. Die Gründer hatten Dukat in diesen Rang erhoben. Ohne ihre Erlaubnis konnte Weyoun den Cardassianer nicht töten lassen. So gern er es auch getan hätte.
Daher beschränkte Weyoun sich auf einen kalten Blick.
Omet‘iklans Kehle entrang sich ein Laut der Erleichterung, der die Aufmerksamkeit seines Vortas wieder auf den Monitor lenkte.
Der Jem‘Hadar-Soldat lag zu Füßen der Gründerin tot in seinem Blut.
Weyoun deaktivierte die Verbindung.
Die Tür der Holosuite glitt auseinander und Charis trat hinaus auf die Galerie. Die Jem‘Hadar wichen respektvoll zur Seite. Die Gründerin ignorierte sie. Ihr Blick suchte Weyoun, der aufstand und in einer tiefen Verneigung verharrte.
Dukat erhob sich ebenfalls. Der Cardassianer ging Charis entgegen. "Ein bemerkenswerter Kampf! Ich bin beeindruckt!"
Bevor der Vorta und die Jem‘Hadar Dukats Absicht erkannten, ergriff der Gul die Hand der Gründerin und zog sie an seine Lippen.
Charis‘ perlendes Lachen hielt die Jem‘Hadar auf ihren Plätzen.
Die Gründerin gestattete dem Gul, sie an seinem Arm zu Weyouns Tisch zu geleiten.
Charis setzte sich.
Dukat wartete keine Aufforderung ab, sondern nahm direkt neben ihr Platz.
Erneut rettete das Lachen der Gründerin dem Cardassianer das Leben.
"Die Holosuite muss dringend gereinigt werden", sagte Charis zu Omet‘iklan. "Kümmern Sie sich darum! Und Sie", wandte die Gründerin sich an Weyoun, "setzen sich zu uns und erklären mir, wie es kommt, dass Gul Dukat meinen Kampf durch eine verschlossene Tür beobachten konnte!"
Bevor der Vorta antworten konnte, schoss Dukats Hand vor und aktivierte den Monitor.
Charis‘ Blick wanderte von Weyouns Gesicht zum Monitor und wieder zurück.
"Ts Ts, ein Vorta, der einer Gründerin nachspioniert", bemerkte Dukat süffisant. "Ich glaube, das entspricht nicht ganz der Ordnung der Dinge..."
"Nein", stimmte Charis zu.
Der Cardassianer beugte sich dicht zu ihr. "Wollen Sie sich das etwa gefallen lassen?", fragte er im vertraulichen Ton.
"Es wird Sie überraschen, Dukat", erwiderte Charis ebenso vertraulich, "aber das werde ich!"
Die Gründerin stand auf, ohne den verblüfften Gul weiter zu beachten. "Diese Station ist ein faszinierender Ort. Ich würde ihn gerne näher kennenlernen. Hätten Sie neben all Ihren Pflichten Zeit, mir alles zu zeigen, Weyoun?"
Es war kein Befehl, ja nicht einmal eine Aufforderung. Es war eine Frage. Beinahe eine Bitte, deren Formulierung dem Vorta die Möglichkeit einräumte, abzulehnen.
"Ich verdiene die Ehre nicht, die Sie mir erweisen, Gründerin", sagte Weyoun, von Charis’ unerwarteter Freundlichkeit überwältigt.
"Woher wissen Sie das?" Charis lächelte. "Haben Sie sich jemals Gedanken über Ihren Wert innerhalb des Dominions gemacht?"
"Das steht mir nicht zu."
"Heißt das ja oder nein?"
Genau wie in der Holosuite beschlich Weyoun wieder das seltsame Gefühl, dass die Gründerin auf eine bestimmte Reaktion wartete.
Einen Gott durfte man nicht belügen. Andererseits könnte die Wahrheit als Respektlosigkeit ausgelegt werden.
Der Vorta fühlte Charis‘ Blick auf sich ruhen. Und plötzlich war Weyoun sicher, welche Antwort die Gründerin von ihm hören wollte.
"Es heißt ja!"
Charis Lächeln vertiefte sich. "Das dachte ich mir!"


***

Weyoun musterte Charis, die an einem Panoramafenster des Promenadendecks stand und hinaus ins Weltall sah, verstohlen von der Seite und versuchte, das Verhalten der Gründerin mit dem der Angehörigen ihres Volkes, denen er bisher persönlich begegnet war, in Einklang zu bringen.
Charis war anders als die Gründer im Gamma-Quadranten. Aber auch anders als Odo. Viele Rassen schienen sich in Charis zu vereinen. Sie kleidete sich und kämpfte wie eine Klingonin. Doch im Stationstempel, den sie auf Wunsch der Gründerin besucht hatten, war Charis ergriffen gewesen, respektvoll, regelrecht ehrfürchtig. Vor dem Schrein hatte Charis eine Kerze angezündet und sich zur Verwunderung des Vortas sogar leicht verneigt, als ob sie eine Bajoranerin wäre.
Im Quark‘s hatte Charis sämtliche Spieltische ausprobiert und ihre Mitspieler dabei mit der Dreistigkeit und dem Geschick eines Ferengis betrogen.
Charis warf mit terranischen Redensarten um sich, zitierte vulkanische Weisheiten und fachsimpelte am Beispiel von Terok Nor über Feinheiten cardassianischer Architektur. Sie interessierte sich in gleichem Maße für die verschiedenen Verkaufsstände auf dem Promenadendeck wie für die Funktionen sämtlicher Kontrollen auf der OPS.
Charis schien alles zu sein.
Nur keine Gründerin. Jedenfalls keine in der Art, wie Weyoun sie kannte.
"Wie gefällt Ihnen der Alpha-Quadrant?", unterbrach Charis den Gedankengang des Vortas.
"Ich weiß es nicht genau. Er ist so unzivilisiert und..."
"Chaotisch? Sie meinen, dass es ihm an Ordnung fehlt?"
Weyoun zögerte. Charis hatte spöttisch geklungen. Beinahe so als wäre die Gründerin nicht dieser Auffassung.
"Das Dominion wird dem Alpha-Quadranten die nötige Ordnung bringen", sagte der Vorta mit aller Überzeugung, deren er fähig war.
"Tatsächlich?" Charis hob eine Braue. "Wie überaus erfreulich! Und dann? Werden wir auf all diesen Welten Tempel errichten und uns von den Völkern anbeten lassen? Werden sie uns freiwillig als ihre Herren und Götter anerkennen oder werden wir gentechnisch ein wenig nachhelfen müssen, was denken Sie, Weyoun? Und was wird aus den alten Göttern dieser Völker? Werden sie uns das Feld einfach kampflos überlassen?"
"Es existieren keine anderen Götter neben den Gründern!"
"Mag sein. Das hängt von der Definition ab. Wie definieren Sie den Begriff Gott?"
"Die Gründer sind Götter!"
"Das erwähnten Sie bereits. Aber warum? Was ist es, das einen Gründer göttlicher als einen Solid macht? Die Fähigkeit, seine Form zu wechseln? Sie eröffnet uns eine Fülle von Möglichkeiten, das ist richtig. Doch macht diese molekulare Besonderheit für sich allein Göttlichkeit aus? Ist es nicht vielmehr Unsterblichkeit, die einen Gott auszeichnet? Der Umstand, ewig zu sein, wie das Universum selbst. Nach dieser Definition, Weyoun, sind wir Gründer keine Götter. Denn wir sind sterblich!"
Charis‘ Hand umschloss ein schmales goldenes Stäbchen, das an einer Kette um ihren Hals hing. "Wissen Sie, was das ist?"
Weyoun schüttelte den Kopf, wie betäubt von den Worten der Gründerin.
"Dieses Röhrchen wird nicht von mir gebildet. Es ist genauso echt wie mein Bat‘leth." Charis drehte das Stäbchen in ihren Fingern. "Vor etwa einem Jahr stürzte eines unserer Schiffe auf einem Planeten ab. Die Föderation entdeckte das Wrack vor uns. Captain Sisko verweigerte dem Suchtrupp des Dominions die Herausgabe. Er wusste nicht, dass ein Gründer sich immer noch an Bord befand. Die kommandierende Vorta Kilana behielt diese Information aus Sorge um ihren Gott für sich. Der Gründer war verletzt. Doch weder er noch Kilana brachten es über sich, Captain Sisko zu vertrauen. Dabei herrschte damals noch Frieden zwischen der Föderation und dem Dominion. Wenn Kilana ein Narr war, war der Gründer ein viel größerer. Denn am Ende starb er. Für nichts und wieder nichts! Und eine Mannschaft Jem‘Hadar beging Selbstmord. Für nichts!"
Charis Hand verkrampfte sich um das Stäbchen. "Dieses Röhrchen enthält jenen winzigen Teil der Überreste des Gründers, den Kilana mit sich nahm. Ich bat darum, ihn zu erhalten. Seitdem trage ich die Asche stets bei mir. Der Inhalt dieses Röhrchens erinnert mich in jeder Sekunde meiner Existenz daran, dass ich sterblich bin!"
Gegen seinen Willen vermochte Weyoun seinen Blick nicht von dem goldenem Stäbchen zu lösen. Natürlich kannte er den Vorfall, von dem Charis erzählt hatte. Doch niemals zuvor hatte der Vorta das, was damals geschehen war, aus der Sicht dieser Gründerin betrachtet. Es war Frevel, die Handlungen eines Gottes in Frage zu stellen. Captain Sisko und die Föderation hatten Schuld am Tod des Gründers. Zumindest war dies Weyouns feste Überzeugung gewesen. Nie wäre dem Vorta der Gedanke gekommen, anderer Meinung zu sein. Charis‘ Überlegungen liefen allem zuwider, was im Dominion Gültigkeit besaß, allem, woran Weyoun glaubte.
"Warum sind Sie hier?" Die Frage entschlüpfte den Lippen des Vortas, bevor er es verhindern konnte. Erschrocken wurde Weyoun sich bewusst, dass er der Gründerin zudem auch noch ganz offen ins Gesicht starrte. Der Vorta wollte den Blick senken. Aber da war ein Ausdruck in Charis‘ Augen, der Weyouns Blick wie magisch anzog und festhielt.
"Wir haben Krieg", sagte die Gründerin. "Ich bin hier um zu kämpfen."
"Gegen Jem‘Hadar?"
"Dieser junge Soldat vorhin in der Holosuite war kein würdiger Gegner!" Charis machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das Dominion braucht bessere Krieger, wenn es die Föderation und ihre Verbündeten besiegen will! Ihr Erster vernachlässigt seine Pflichten, indem er zulässt, dass seine Männer verweichlichen!"
"Von allen Ersten, die ich je hatte, ist Omet‘iklan mit Abstand der fähigste!" nahm Weyoun den Jem‘Hadar instinktiv in Schutz, ohne darüber nachzudenken, dass sein spontaner Widerspruch einem Gott galt. Als der Vorta das erkannte, war es bereits zu spät, um seine vorschnellen Worte zurückzunehmen. Aber wenn er ganz ehrlich war, dann wollte er das eigentlich gar nicht. Mochte die Gründerin ihm wegen seiner Respektlosigkeit auch zürnen. Weyoun hatte die Wahrheit gesagt. Omet‘iklan war der beste Erste, der ihm jemals gedient hatte.
"Nun, da Sie Ihren Ersten so glühend verteidigen, ist es nur gerecht, wenn ich ihm die Chance gebe, sich zu bewähren. Er soll sich in einer Stunde in Quark‘s Holosuite melden. Dann werde ich mich davon überzeugen, ob er wirklich so fähig ist, wie Sie behaupten!"


***


Omet‘iklan wartete schweigend, den Blick starr auf einen imaginären Punkt an der Wand gerichtet. Der Befehl der Gründerin kam einem Todesurteil gleich. Der Jem‘Hadar wusste dies ebenso gut wie Weyoun. Der Vorta würde nicht zulassen, dass Charis ein Leid geschah. Entweder würde der Erste von der Gründerin oder von seinen eigenen Männern getötet werden, bevor er zur Gefahr für Charis wurde.
Weyouns Gedanken kreisten unaufhörlich um die Frage, wie er das Unvermeidliche doch noch abwenden konnte. Der Vorta war sich nur zu klar darüber, dass alle seine Überlegungen in diese Richtung genau genommen bereits einer Gotteslästerung gleichkamen. Trotzdem konnte Weyoun an nichts anderes mehr denken, seit Charis ihn auf dem Promenadendeck verlassen hatte.
Omet‘iklan war ein ausgezeichneter Erster. Der Jem‘Hadar war nicht nur ein überragender Kämpfer, sondern zeichnete sich daneben durch ein hohes Maß an Intelligenz aus. Weyoun wollte ihn nicht um der Laune einer Gründerin willen verlieren. Es mochte ihm nicht zustehen, Wünsche zu haben, die denen eines Gottes zuwiderliefen. Doch so sehr Weyoun sich auch energisch sagte, dass er kein Recht auf eine andere Meinung als Charis hatte, dass er sich als Vorta dem Befehl der Gründerin zu beugen hatte, ohne zu zweifeln, ohne zu fragen. Es änderte nichts daran, dass es tief in dem Vorta einen winzigen Teil gab, der sich mit aller Kraft dagegen aufbäumte, in diesem speziellen Fall seine eigenen Interessen demütig zu verleugnen.
Weyoun vertraute Omet‘iklan. Der Erste schützte das Leben seines Vortas, insbesondere hier auf dieser Station, besser als jeder andere Jem‘Hadar es an seiner Stelle vermocht hätte. Weyoun konnte und wollte auf Omet‘iklan nicht verzichten. Er brauchte ihn.
Der Vorta atmete tief durch. Dann traf er eine Entscheidung.
"Erster Omet‘iklan!" Weyouns Blick suchte den des Jem‘Hadars. "Was ich jetzt von Ihnen verlange, kann ich Ihnen nicht befehlen. Betrachten Sie es als bloßen Rat Ihres Vortas, der Sie und Ihre Dienste hoch schätzt. Es steht Ihnen frei, das, was ich Ihnen sage, sofort wieder zu vergessen. Doch ich hoffe, dass Sie meine Worte beherzigen und danach handeln werden."
Omet‘iklan kreuzte seine Arme vor der Brust und verneigte sich. "Auf beiden Seiten des Wurmlochs werden Ihr Scharfsinn und Ihre Klugheit gerühmt und gefürchtet, Weyoun. Sie sind mein Vorta. Ich diene und vertraue Ihnen. Was immer Sie von mir verlangen. Ich werde es tun!"


***

Charis liebte die Halle des Ruhmes auf Qo‘nos. Daher hatte die Gründerin diese Umgebung für den Kampf in der Holosuite gewählt.
Sofern Omet‘iklan von den gewaltigen Standbildern klingonischer Krieger der Vergangenheit beeindruckt war, zeigte er es nicht.
Der Jem‘Hadar verbeugte sich tief vor der Gründerin.
Charis reichte ihm ein Bat‘leth.
Omet‘iklan nahm die Waffe, senkte sie, bis ihre scharfen Spitzen den Boden berührten, und wartete schweigend. Kein Muskel regte sich in der echsenhaften Miene des Jem‘Hadar. Nichts, das darauf hindeutete, dass Omet‘iklan sich für einen Kampf bereit machte.
Charis hatte damit gerechnet. Es war nicht seine Schuld. Als Jem‘Hadar konnte er nichts für seine genetische Konditionierung.
So wie Weyoun als Vorta nichts für seine konnte.
Die Gründer allein trugen die Verantwortung.
Mit so vielen Hoffnungen war Charis auf diese Station gekommen.
Doch wie es aussah, waren alle ihre Bemühungen umsonst gewesen.
Charis sah Omet‘iklan an. "Geben Sie mir Ihr White!"
Wider Erwarten rührte der Jem‘Hadar sich nicht.
"Ihr White!", befahl die Gründerin ungeduldig.
Omet‘iklan schüttelte den Kopf. "Nein!"
Charis starrte den Ersten ungläubig an. "Wie bitte?"
"Bei allem Respekt, Gründerin! Wenn Sie mein White wollen, dann", der Jem‘Hadar hob sein Bat‘leth und ging in Kampfposition, "müssen Sie es sich schon holen!"


***

Charis stürmte aus der Holosuite. Unbewusst registrierte die Gründerin, dass sich mit Ausnahme einer Wache keine weiteren Jem‘Hadar auf der oberen Galerie aufhielten.
Weyoun saß allein an einem Tisch direkt an der Brüstung. Dort, wo es weder Terminals noch Monitore gab. Der Vorta stand auf und verneigte sich mit abgewinkelten Armen, als Charis an seinen Tisch trat und ihr Bat‘leth hart auf die Tischplatte legte.
Mit einer Handbewegung scheuchte Charis die Wache fort, die ihr gefolgt war.
"Das war Ihre Idee, Weyoun!"
Die Gründerin erklärte nicht, was sie damit meinte. Es war nicht nötig.
"Wie konnten Sie das wagen!"
"Ich bitte um Vergebung", sagte der Vorta. "Omet‘iklan verfügt über weitaus mehr Kräfte und Erfahrung als der Zehnte sie besessen hat. Ich war um Ihre Sicherheit besorgt!"
"Sie sind ein meisterhafter Lügner, Weyoun! Doch mir können Sie nichts vormachen! Wäre es Ihnen nur um meine Sicherheit gegangen, hätten Sie wieder eine Mannschaft Jem‘Hadar vor der Holosuite postiert und den Verlauf des Kampfes überwacht, um rechtzeitig eingreifen zu können! Es ging Ihnen nicht um mich, sondern allein um Ihren Ersten!"
Der Vorta verbeugte sich noch ein Stück tiefer. "Ich bitte um Vergebung", wiederholte er.
"Hören Sie auf damit, mir Ihre Demut zu bekunden!" Charis packte Weyouns Schultern und richtete den Vorta auf. "Sehen Sie mich an! Sie wussten, dass Omet‘iklan ohne White keine Chance gehabt hätte, zu überleben!", fuhr die Gründerin fort, nachdem Weyoun gehorcht hatte. "Genau wie der Zehnte wäre auch Ihr Erster in einen Zustand des Blutrausches geraten, der nur durch seinen Tod hätte beendet werden können. Für das Dominion wäre das ohne Bedeutung gewesen. Für jeden toten Jem‘Hadar werden zwei neue gezüchtet. So einfach ist das für das Dominion. Aber nicht für Sie! Für Sie ist Ihr Erster nicht ohne weiteres auswechselbar. Sie wollten, dass Omet‘iklan am Leben bleibt! Ohne Rücksicht auf meinen Willen! Sie haben den Befehl eines Ihrer Götter umgangen, indem Sie Ihren Ersten dazu gebracht haben, einer Gründerin offen zu trotzen! Sie wussten, dass ich Tapferkeit hoch genug schätze, um einem besiegten Jem‘Hadar sein Leben zu schenken, sofern er gut gekämpft hat. Und Omet‘iklan hat ausgezeichnet gekämpft!"
"Dann lebt mein Erster also noch?"
"Natürlich! Ich habe ihm lediglich befohlen, bis auf Widerruf in der Holosuite zu bleiben. Sie haben mich manipuliert, Weyoun! Sie haben Ihre persönlichen Interessen höher bewertet als meine Wünsche. Die Wünsche eines Gottes! Aus Ihrer Sicht war meine Entscheidung ein Fehler. Den sie eigenmächtig korrigiert haben!"
Wie sollte Weyoun sich rechtfertigen? Jedes Wort von Charis entsprach der Wahrheit.
"Götter machen keine Fehler", klammerte der Vorta sich verzweifelt an seine Überzeugung.
"Nun", Charis Blick bohrte sich in Weyouns, "wenn das zutrifft, dann sind wir Gründer keine Götter! Anderenfalls hätten wir wohl kaum den Fehler begangen, nicht auch den letzten Funken des Widerstands in euch Vortas gentechnisch auszumerzen!"
"Die Vorta dienen den Gründern! Das ist der Grund unserer Existenz!"
"Sie haben mit Ihrem Verhalten nicht den Gründern oder dem Dominion dienen wollen. Sondern einzig und allein sich selbst!", berichtigte Charis. "Würden Sie, vor die Wahl gestellt, in der gleichen Situation wieder so handeln?"
"Ich..."
"Ja oder Nein? Nehmen Sie sich in Acht, Weyoun! Ich bin mindestens so gut wie Sie darin, Lügen zu erkennen! Also! Ja oder Nein? Antworten Sie!"
Der Vorta hielt dem brennenden Blick der Gründerin stand. Sein Leben lag in Charis‘ Hand. Weyoun hatte mit seiner Entscheidung gegen sämtliche Gesetze des Dominions verstoßen. Es spielte keine Rolle, was er mit seiner Antwort riskierte. Er hatte nichts mehr zu verlieren.
"Ja!", erwiderte Weyoun fest. "Ich würde wieder so handeln!"


***

Mit einem leisen Zischen öffnete sich der Zugang zur Luftschleuse. Charis drehte sich um und warf einen letzten Blick auf den leeren Gang. Sie hatte sich jegliche Begleitung verbeten. Sie wollte die Station so unauffällig verlassen, wie sie gekommen war.
"Charis!"
Die Gründerin wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war, und blickte in Odos Gesicht.
"Wollten Sie wirklich so gehen? Ohne Abschied?"
"Warum hätte ich mich von Ihnen verabschieden sollen? Wir sind keine Freunde!"
"Nein", bestätigte der Constable leise. "Doch wir hätten es sein können, wenn Sie es nur gewollt hätten."
"Vielleicht", räumte Charis ein. "Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu verletzen, Odo. Es ist nicht Ihre Schuld, dass ich Ihre Gesellschaft nicht ertrage!"
"Warum? Weshalb ertragen Sie meine Nähe nicht? Wir gehören doch zu einem Volk!"
"Ich habe kein Volk!", widersprach die Gründerin hart. "Ich bin heimatlos! Genau wie Sie!"
Odo starrte Charis an. "Die große Verbindung hat Sie gar nicht freiwillig ziehen lassen, nicht wahr? Es war alles eine Lüge!"
"Einigen wir uns darauf, dass ich die Wahrheit ein wenig abgewandelt habe. Die Verbindung erlaubte mir, ins klingonische Reich zu reisen, um Informationen zu sammeln. Ich war einverstanden. Ich hätte allem zugestimmt, nur um meine Freiheit zu erhalten. Tatsächlich hatte ich niemals vor, für das Dominion zu spionieren. Die Gründer forderten meine Rückkehr, als sie das erkannten. Doch ich habe mich geweigert! Ich werde nicht freiwillig zurückgehen. Niemals! Der Klingonin, die ich auf Qo‘nos verkörpere, wurde das Kommando über einen Bird of Prey angeboten. Ich habe akzeptiert."
"Sie haben vor, gegen das Dominion zu kämpfen?"
"Ich bekämpfe das Dominion schon seit Anbeginn meiner Existenz! Unser Volk unterdrückt andere Völker. Es versklavt seine eigenen Angehörigen! Die heiligen Gründer, göttlich und unfehlbar, lassen sich von genetisch manipulierten Untertanen anbeten. Innerhalb des Dominions gibt es nur den Willen der großen Verbindung. Wer sich nicht beugt, wird bestraft! Unser Volk maßt sich an, einen ganzen Quadranten seiner Freiheit zu berauben. Und nun schickt es sich an, einen weiteren Quadranten zu unterjochen! Ich hasse es!"
"Wenn Sie das Dominion hassen, wieso sind Sie dann hierher auf diese Station gekommen?"
Charis lächelte. "Eine Ordnung wie das Dominion kann man nicht mit Schiffen und Phasern besiegen. Selbst wenn die Föderation diesen Krieg gewinnt, erreicht sie damit nur, dass die Truppen des Dominions sich in den Gamma-Quadranten zurückziehen. Das ist nicht genug!" Charis Lächeln vertiefte sich. "Die Völker auf beiden Seiten des Wurmlochs schulden mir Dank. Denn ich habe ihnen ein Geschenk von unermesslichem Wert gegeben!"
Rezensionen