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Erwerbsregel Nr. 125: Wenn du tot bist, dann machst du keine Geschäfte

von Oriane

Kapitel 2

Kapitel 2


Die Bezeichnung „Keller“ für die Autopsiesektion war weit übertrieben. Eigentlich lagen die Räume nicht einmal im Keller, sondern im ersten Stock des Gebäudes, da jedoch alle anderen Abteilungen höher lagen und sich unten nur Teile Sicherheit und diverse Lagerräume befanden war die Autopsie allgemein als Keller bekannt.
Als Mikael durch die Sicherheitstür trat, schien die Sonne durch die große Fensterfront und erhellte den ungemütlich weiß gekachelten Raum mit ihren warmen Strahlen. Von außen waren die Fenster natürlich undurchsichtig, aber auch den Gerichtsmedizinern wollte man die Sonne nicht vorenthalten.
Luzia saß, über die Leiche gebeugt auf ihrem Stuhl. Es war eine sozusagen ein halb antikes Stück, besaß keine Lehne und altmodische Rollen. Im Prinzip hockte sie auf einem beweglichen Barhocker. Und die Beweglichkeit hatte die Russin perfektioniert. Ohne Mikael zu beachten stieß sie sich vom Operationstisch ab. Der Schwung reichte exakt aus, um sie und einige Proben zum Durchgang zum Labor zu bringen. Dort stieg sie ab um die Proben höchstpersönlich vorbeizubringen. Kurz wanderten Mikaels Gedanken zu Barim, dem betazoidischen Assistenten, der sich nicht blicken ließ, doch dann folgte er Luzia ins Labor.
Beinahe das gesamte Gebäude war so angelegt, dass jede Abteilung einen Zugang zum Labor hatte, weshalb man es mittig platziert und alles andere außen darum herum drapiert hatte. Die Turbolifte durchquerten ebenfalls das Labor. Man konnte es also kaum verfehlen und wer sich im Gebäude verlief, der landete unter Garantie irgendwann dort. So hatte es sich eingebürgert, dass das Labor die inoffizielle Auskunft des Föderationssicherheitsdienstes war. Dummerweise ähnelte es eher einem Labyrinth und einer ausgearteten Garagenbastelei eines Verrückten, zumindest auf den ersten Blick.
Mikael arbeitete lang genug mit Luzia zusammen um zu wissen, wo sie hingegangen war. Er schlug den Weg zur Mitte des Labors ein, musste einige Umwege in kauf nehmen und kam schließlich an Rokurs Arbeitsplatz an.
Wenn man ihn bei der Arbeit beobachtete, den hünenhaften Klingonen, konnte man sich leicht in ihm täuschen. Niemand erwartete einen Klingonen in einem Labor, in einem weißen Kittel, umgeben von allerlei für einen Laien unbenennbaren elektronischen Geräten. Er war schon ein wenig betagt, einige graue Strähnen hatten sich ein sein voluminöses Haar geschlichen und seine Hände wirkten eher wie Pranken, so groß und rau waren sie. Wie Rokur, Sohn des Koroth aus dem Haus des Noggra im Labor des Föderationssicherheitsdienstes gelandet war, wussten wohl nur er und T'Naka, aber niemand störte sich daran.

„Mikael, ich habe Sie gar nicht gehört!“, rief Luzia und rannte mit ihren Proben beinahe in den Klingonen hinein, der sie sanft aber bestimmt an den Schultern packte und ihr half, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.
„Sie sind vor mir weggelaufen.“ Er schmunzelte. „Fortschritte?“
„Ja!“, begann Luzia mit erhobenem Zeigefinger. „Ich hasse Ferengi!“
Mikael tat so, als wäre dies eine völlig neue Erkenntnis und setzte einen gespielt überraschten Gesichtsausdruck auf. „Ach, wirklich?“
„Ja!...Nein...einen Moment. Rokur, würden Sie für mich herausfinden, was das für ein Zeug ist?“
„Sicher.“ Der Klingone nickte und nahm Luzia vorsichtig die Probenbehälter ab.
„Danke!“, rief sie ihm nach, während sie Mikael zurück ihrer Autopsie lotste. Eine kurze Weile betrachtete sie die Leiche, die so steril all ihre Verletzungen preis gab. Es wirkte ein wenig unecht.
„Also, was ich sonst noch herausgefunden habe, ist Folgendes: Der Tod trat heute morgen um etwa vier Uhr ein. Es ist beinahe kein Tropfen Blut mehr in diesem Ferengi, aber es hat vermutlich eine ganze Weile gedauert, bis er endlich verbluten durfte.“
Sie wartete mit der Fortsetzung ihres Berichts, bis sie in der Autopsie auch das dazugehörige Anschauungsobjekt gefunden hatte.
„Wer auch immer dieses Messer geführt hat, besonders freundlich war er nicht. Es gibt viele kleine Schnitte, die vermutlich einzig und allein dazu gut waren, ihm Schmerzen zuzufügen.“
Obwohl sie jeden der Schnitte auf Anhieb zeigen konnte, hielt Mikael lieber Abstand von der Leiche. Luzia bemerkte es und winkte ihn, gehässig wie sie war, näher an die große Wunde im Bauch des Ferengi heran.
„Das hier war schließlich der Stich, der ihn getötet hat, oder der ihn zumindest so verletzt hat, dass er verblutet ist. Aber es gibt noch etwas Interessantes, das ich dir zeigen möchte.“
Sie wanderte zum Kopf des Ferengi. Seine Augen waren mittlerweile geschlossen. Das tat sie immer, wenn sie fertig mit einer Leiche war. Es war ihr persönliches Ritual und in ihren Augen, konnten die Toten nur dann Frieden finden, wenn sich ihre Augen zum letzten Mal schlossen.
„Schauen Sie sich seine Ohren an“, befahl sie und deutete auf die großen Ohrmuscheln.
„Was ist damit?“, fragte Mikael. „So oft habe ich nicht mit Ferengi zu tun, als dass ich wüsste, wenn etwas mit ihren Ohren nicht stimmt.“
„Sie sind gerötet, oder besser gegelbt, oder noch besser: sie waren es. Mittlerweile ist schließlich kein Tropfen Blut mehr in ihm.“ erklärte Luzia. „Das hat mich stutzig gemacht und ich habe sie mir genauer angesehen. Sie wissen ja, dass die Ohren bei Ferengi zu den erogenen Zonen gehören. Sie sind empfindlich, schnell reizbar und auch schnell überreizt. Ich habe Hinweise darauf gefunden, dass die Ohren dieses Ferengis sehr gezielt überreizt worden sind. Diese Tatsache passt auch zu der Art, wie die Wunden zugefügt wurden. Die ganze Prozedur muss äußerst schmerzhaft für ihn gewesen sein.“
„Das bedeutet, er wurde gefoltert“, schlussfolgerte Mikael. „Aber warum?“
„Tja, das ist nicht mehr mein Job.“
Sie starrte auf die Leiche. „Ich hasse Ferengi. Ich hasse Sie, wenn sie lebendig sind und wenn sie tot sind. Wissen Sie woran ich denken muss, wenn ich Ihnen die Verletzung hier am Ohr zeige? Ich denke daran, dass der Kerl hier zu seinen Lebzeiten meine Berührung genossen hätte und zu einem hormongesteuerten Widerling geworden wäre. Dabei sind Ferengi schon widerlich genug, wenn sie einen nicht ins Bett kriegen wollen!“
Perplex wandte Mikael den Kopf zu der Russin und zog eine Augenbraue hoch. „Sie haben wirklich schlechte Erfahrungen mit Ferengi gemacht, kann das sein?“
„Oh ja!“ Luzia nickte heftig, äußerte sich aber nicht weiter zu diesem Thema. Mikael beschloss, ihren Ausbruch einfach zu ignorieren und weiterzumachen.
„Was ist mit seiner Kleidung. Haben Sie irgendetwas gefunden?“
„Sie meinen außer Blut und Löcher im teuren Stoff? Ein paar Streifen Latinum, Schmuck, allerdings ist er nicht halb so teuer, wie er aussieht, Visitenkarten von ihm – seinen Namen und die Akte habe ich schon Samak geschickt – ein dreckiges Taschentuch, so etwas Altmodisches und irgendetwas Essbares, anscheinend eine Delikatesse auf Ferenginar. Das ganze Zeug ist noch bei Rokur, der sucht es nach DNA und dem anderen Zeug ab. Das Übliche eben.“
„Also gut, hinter Wertsachen war der Mörder jedenfalls nicht her. Hätte mich bei dieser Sonderbehandlung auch gewundert. Danke Luzia, wenn Sie noch etwas finden, wissen Sie, wo ich mich herumtreibe.“


Lynna und Baqh hatten die Wohnung des gesuchten Ferengi nach langen Umwegen endlich gefunden. Sie lag versteckt in einem Hinterhof einer Seitenstraße und niemand würde auf die Idee kommen, hier den Eingang zu einer Reihe von Wohnungen zu vermuten. Bereits der Hinterhof wirkte alles andere als einladend und der Flur, den die beiden nun traten, war es noch viel weniger. Von irgendwo her ging ein penetranter Gestank aus und Baqh hielt sich demonstrativ die Nase zu.
„Meine Güte, ich verstehe nicht, warum die Leute heutzutage immer noch in solchen Dreckslöchern leben. Es ist nun wirklich nicht schwer an eine vernünftige Wohnung zu kommen.“
Lynna lachte auf. „Glauben Sie mir, Baqh, hier wohnt niemand weil er sich nichts Besseres leisten kann. Es gibt genug Motive. Manche möchten zum Beispiel überhaupt nicht gefunden werden. Andere schaffen es einfach nicht, sich aufzuraffen. Ich habe selbst einmal in einem solchen Loch gelebt.“
„Sie?“ Vor Überraschung ließ der Bolianer seine Nase los und wurde erneut von einer Welle des Gestanks überflutet. Nachdem er Daumen und Zeigefinger wieder platziert hatte, fuhr er fort: „Aber warum denn?“
„Lange Geschichte“, antwortete Lynna nur und winkte ab. „Kommen Sie, dort ist seine Wohnung. Mal sehen, ob er Zuhause ist.“
Einen Türmelder oder eine altmodische Klingel gab es nicht und so klopfte – oder besser gesagt schlug – die Andorianerin ein paar Mal gegen die Tür.
„Jemand Zuhause? Federation Security! Mr. Bog, sind Sie da?“
Es kam keine Antwort. Auch sonst war kein Geräusch zu hören. Baqh zuckte mit den Schultern und wollte sich gerade wieder umdrehen, als Lynna einen Hyperschlüssel aus ihrer Jacke zog und ohne Umschweife damit begann, das Türschloss zu bearbeiten.
„Aber Lynna, was tun Sie denn da?“, rief er entsetzt und sah sich hektisch um.
„Entspannen Sie sich.“
„Aber das dürfen Sie nicht!“
„Und? Wenn wir so an Informationen kommen ist mir das Mittel allemal recht.“
Zu allem Überfluss öffnete sich nun auch noch die Wohnungstür gegenüber. Das erste, was sich bemerkbar machte, war der bestialische Gestank, dessen Ursprung nun eindeutig identifiziert werden konnte. Ein, freundlich ausgedrückt, sehr beleibter Mensch lugte aus der Tür, mit Augenlidern und Wangen, die ihm bis zu den Kniekehlen hingen und wässrigem Blick.
Der arme Baqh stand kurz vor dem Durchdrehen, aber Lynna steckte in aller Seelenruhe ihren Schraubenschlüssel weg und übernahm die Führung in dieser Sache. Demonstrativ setzte sie ein freundliches Gesicht auf und trat vor.
„Guten Tag, Mr...?“
„Miller“, grunzte der Mann.
„...Miller. Wir suchen den Ferengi, der hier gegenüber wohnt.“
„Der ist heute morgen weg und seit dem nicht mehr hier gewesen.“ Der Kerl nuschelte unglaublich, stellte Lynna fest, ignorierte aber auch das.
„Sie wissen nicht zufällig, wo er hingegangen ist?“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Ne, tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Aber versuchen Sie mal, die Tür aufzubrechen, wenn Sie ihn so dringend suchen. Vielleicht hat der merkwürdige Kauz was in seiner Wohnung.“
„Wir waren gerade dabei“, antwortete Lynna mit einem zuckersüßen Lächeln und schief gelegtem Kopf. Auf den Mann schien es zu wirken, denn er verzog sein Gesicht ebenfalls zu so etwas, wie einem Grinsen.“
„Dann viel Glück noch.“
„Danke!“
Nachdem sich die Tür wieder hinter dem Mann geschlossen hatte, wagte Baqh es den Mund aufzumachen, doch leider bekam er keinen Ton heraus. So stand er eine Weile mit offenem Mund im Flur, während Lynna sich längst wieder an der Tür zu schaffen gemacht hatte und wartete darauf, dass ihn jemand zuklappte.
Mit einem leisen Klacken schwang die Tür schließlich auf und die Andorianerin erhob sich zufrieden. Sie drehte sich um, registrierte Baqhs Zustand und schloss geistesgegenwärtig mit ihrem Zeigefinger seinen Mund.
„Kommen Sie, Baqh. Mal sehen, ob wir etwas finden.“
Baqh bewegte sich keinen Zentimeter. „Dieser Nachbar hat uns gerade geraten die Tür aufzubrechen.“
„Ja und genau das habe ich getan.“
„Ich denke nur gerade über meinen Nachbarn nach.“
Jetzt verstand Lynna das Problem. Verständnisvoll tätschelte sie ihm die Schulter und schob ihn in die Wohnung des Ferengi. „Machen Sie sich keine Sorgen, ihr Nachbar ist sehr wahrscheinlich ein besserer Mensch.“
„Er ist gar kein Mensch“, murmelte der Bolianer.
„Na, umso besser!“

Die Wohnung des Ferengi wirkte, im Gegensatz zum Rest des Hauses sehr sauber, wenn auch unordentlich, ja man konnte sie sogar beinahe als gemütlich bezeichnen. In dem einzelnen Raum standen ein ungemachtes Bett, ein offener Schrank. Die kleine Küchenzeile schien noch nie benutzt worden zu sein. Mit einigen Stoffballen, die er an der Decke aufgehangen hatte, versuchte der Ferengi wohl den für seine Spezies typischen Kuppelbaustil zu imitieren. In jeder oberen Ecke des Raumes hatte er irgendetwas platziert, sei es ein Wandschmuck oder einfach wieder eine Lage Stoff. Er hatte wohl etwas gegen 90° Winkel. Neben der Tür stand, ebenfalls in streng ferengischer Manier ein schön gearbeiteter Kasten, mit einem Schlitz an der oberen Seite. Wer das Haus eines Ferengi betrat, musste schließlich bezahlen.
„Sehr traditionsbewusst“, murmelte Baqh.
„Stimmt. Nur leider ist er nicht hier. Sehen Sie sich nach etwas um, das uns weiterbringt.“
Energisch marschierte sie in den Raum hinein, auf das Bett und den Schrank zu. Auffällige, mit komplizierten Mustern versehen Kleidung lag zusammengeknüllt auf dem Bett. Sie hob sie auf und begann, die Taschen zu durchwühlen. Baqh, dem dieser Einbruch noch immer nicht ganz geheuer war, ging ein wenig subtiler vor. Auf einem kleinen runden Tisch in der Mitte des Zimmers befanden sich ein Computerterminal, der sehr unbenutzt schien, einige Zettel, Rechnungen, Belege, andere Dokumente, die alle aussahen, als seien sie hastig nach einem bestimmten Papier durchsucht worden. Anscheinend war es auch gefunden worden, denn in einem Stapel zusammengetackerter Blätter fehlte augenscheinlich eins. Baqh blätterte den restlichen Stapel durch. Es handelte sich um detailgetreue Dokumentationen von Geschäften, die der Ferengi wohl geführt hatte. Den Daten auf den Papieren zufolge musste das fehlende Dokument aus den letzten drei Tagen stammen.
„Baqh!“, rief Lynna. „Kommen Sie mal her.“
Sie hatte in einer Innentasche der Kleidung etwas entdeckt. Es war ein handgeschriebener Zettel mit einer Adresse darauf. Die Andorianerin hielt Baqh ihren Fund unter die Nase.
„Was sagt uns das?“
Der Bolianer überlegte. Er kannte die Adresse nicht, aber da er nicht einfach mit den Schultern zucken und sein Unwissen bekunden wollte, sagte er: „Er war vor kurzem dort, oder wollte zumindest dort hin?“
Lynna nickte. „Ich habe da so eine Vermutung.“ Sie aktivierte den Knopf in ihrem Ohr und nahm Kontakt zu Maurizio auf.
„Kannst du für uns die folgende Adresse überprüfen?“ Sie nannte ihm die Worte auf dem Zettel.
„Klar. Habt ihr Bog schon gefunden?“
„Nein, momentan stehen wir in seiner Wohnung, Kein Hinweis darauf, wo er sein könnte. Als nächstes wollten wir zu dieser Bar, dem falschen Quarks.“
„Gut, ich gebe euch dir Adresse.“
„Was ist mit euch, schon irgendwelche Fortschritte?“
Man hörte ein frustriertes Schnauben in der Leitung, dann seufzte Maurizio: „Diese Ferengi haben einen verdammten Vollknall mit ihren Erwerbsregeln! Ich möchte jetzt nicht über andere Spezies und andere Sitten herziehen, aber das ist doch total bescheuert!“
Lynna lachte laut.
„Hier, hör dir das an: Gier ist unendlich!, Erwerbsregel Nummer 10. Oder das hier: Schlafe niemals mit der Schwester deines Chefs!, Erwerbsregel Nummer 112. Was hat das bitte mit Erwerb zu tun? Oh, das hier wird dir gefallen: Wenn Du tot bist, dann machst Du keine Geschäfte, Nummer 125, oder: Expandiere oder verrecke! Das ist Nummer 95. Scheint, als wäre das Streben nach Profit ein lebensgefährliches Geschäft.“
„Sonst hätten wir wohl keine Leiche im Keller. Viel Spaß noch!“
„Hey, warte kurz. Hör dir das noch an: Wissen ist gleich Profit. Nummer 74. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich das ein wenig anders kenne.“
Grinsend, ohne zu Antworten, schloss Lynna die Verbindung wieder. Dann winkte sie ihrem Begleiter zu. „Kommen Sie, wir fliegen kurz nach DS9.“
Es dauerte ein Weile, bis Baqh verstand.
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