TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Eine Lektion in Demut

von Martina Strobelt

Kapitel 2

Charis hätte viel dafür gegeben, der älteren Klingonin auf dem Sichtschirm die Wahrheit über sich und ihr Vorhaben sagen zu können. Die Dame B’Torja bedeutete ihr mehr als jedes Wesen in diesem Universum. Umso mehr schmerzte die Gründerin das Wissen, dass alles, was sie mit der Klingonin verband, auf einer Lüge aufbaute. Einer Lüge, der weitere gefolgt waren und neue folgen würden. So wie die, die sie gerade ausgesprochen hatte.
B’Torja seufzte. Als Klingonin hätte sie ihrer Adoptivtochter zu ihrer Entscheidung, auf der Stelle wieder zu neuen Kämpfen aufzubrechen, gratulieren, ihr Sieg und Ruhm, und für den Fall des Falles einen ehrenvollen Tod wünschen sollen. Doch die Dame B’Torja hatte die Mitte ihres Lebens bereits überschritten. Sie hatte Söhne und Töchter geboren, die allesamt im Krieg gestorben waren. Sie war zu alt, um weitere Kinder zu bekommen. B’Torja liebte Shakura und wollte sie nicht an den Krieg verlieren. Ganz gleich wie unklingonisch dieses Gefühl auch war.
»Was ist mit deinem Versprechen, diesen Jem’Hadar zurück nach Cardassia zu bringen?«
»Ich habe es nicht vergessen«, antwortete Charis. »Es ist nur ein kleiner Umweg. Wir müssen Gewissheit haben. Sollte das Romulanische Reich tatsächlich die Vereinbarung eines Waffenstillstandes mit dem Dominion planen, dürfen wir das nicht zulassen.«
Charis und Omet’iklan waren überein gekommen, dass es das Klügste war, einfach zu behaupten, der Jem’Hadar hätte sich von Shakura provozieren lassen, eine Andeutung über ein Angebot zu machen, das Weyoun an einem geheimen Treffpunkt im romulanischen Raum einem Mitglied des romulanischen Senats unterbreiten sollte. Wie erwartet hatte der Hohe Rat Shakura als Überbringerin dieser Nachricht das Recht eingeräumt, in den romulanischen Raum zu fliegen, um mit allen Mitteln zu verhindern, dass es zwischen dem Dominion und dem Romulanischen Reich zu einer Übereinkunft kam.
Charis kreuzte beide Arme vor der Brust und verneigte sich leicht. »Wünsche mir den Sieg, Mutter.« Die Gründerin genoss den Klang dieser Anrede.
Mutter ...
Charis hatte nur die Gemeinschaft der großen Verbindung gekannt, bevor sie nach Qo’nos gekommen war. Die Gründerin hatte nicht gewusst, wie wundervoll und berauschend das Gefühl war, als einzelnes Individuum von einem anderen geliebt zu werden. Charis hatte Gerüchte gehört, dass jener Formwandler Odo eine Beziehung zum Ersten Offizier von DS9 begonnen hatte. Die Gründerin beneidete ihn um diese Erfahrung. Müsste sie nicht befürchten, ihre wahre Identität damit unweigerlich aufzudecken, wäre sie selbst versucht, ihren eigenen Neigungen für einen ganz bestimmten klingonischen Offizier nachzugeben.
Charis schob diesen Gedanken beiseite, als B’Torja die Verneigung ernst erwiderte.
»Sieg oder Niederlage. Kehre heim zu mir, meine geliebte Tochter. Das ist alles, was ich mir wünsche.«

***

Weyoun wünschte, die Gründer hätten in den genetischen Code seines Volkes Unempfind-lichkeit gegenüber Schmerzen implementiert. Oder wenigstens die Fähigkeit, allein Kraft des eigenen Willens das Bewusstsein verlieren zu können.
Der Vorta war sich nie wirklich bewusst gewesen, wie sehr Dukat ihn hasste. Es genügte dem Cardassianer nicht, seinen Gefangenen zu töten. Dukat hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er fest entschlossen war, Weyoun zu brechen.

»Sie und Ihr lächerlicher Glaube, dass die Gründer Götter seien. Wenn ich mit Ihnen fertig bin, Weyoun, werden Sie bereit sein, jedem Wechselbalg ins Gesicht zu spucken, wenn ich es von Ihnen verlange.«
»Sie sind verrückt, Dukat!«
»Ihr Ton gefällt mir nicht. Nun, wir werden ihn ändern. Ich werde Ihnen schon beibringen, mir den geschuldeten Respekt zu erweisen.«
»Sie sind nichts weiter als ein illoyaler Diener des Dominions. Ein verräterischer Sklave, der in die Hand seines Herrn zu beißen versucht. In die Hand, die ihm geholfen hat. Sie verdienen keinen Respekt.«
»Eine äußerst bedauerliche Einstellung, die Sie noch sehr bereuen werden. Als Diener des Dominions sollten Sie eine Vorstellung davon haben, wie schnell sich eine Meinung bei Anwendung überzeugender Argumente in ihr Gegenteil verkehren kann. Ich werde Sie lehren, den Begriff des Leidens neu zu definieren. Erst dann, wenn Sie mich ehrerbietig darum bitten, werde ich vielleicht so barmherzig sein, Sie zu töten.«


Die vergangenen fünf Tage hatten gezeigt, dass Dukat sich tatsächlich meisterlich darauf verstand, einen anderen zu quälen.
Die Handschellen an Weyouns Gelenken dienten nicht nur als Fesselung. Daneben enthielten sie Indikatoren, mit denen in jedem Teil des Körpers des betreffenden Opfers Schmerzen produziert werden konnten. Eine übliche cardassianische Verhörmethode, von der Dukat ausgiebig Gebrauch gemacht hatte, doch das war nicht alles. Dukat gab dem Vorta gerade genug Wasser und Nahrung, um zu verhindern, dass er starb. Weyouns Weigerung, etwas zu sich zu nehmen, um so seinen Tod herbeizuführen, hatte in der bitteren Erkenntnis des Vortas gemündet, dass Dukat die alleinige Macht hatte, über die Beendigung dieses grausamen Spieles zu entscheiden.
Würde die Forderung des Cardassianers sich darauf beschränken, dass sein Gefangener ihn um den Tod bat, hätte Weyoun sie erfüllt. Die Leidensfähigkeit eines jeden hatte eine Grenze, bei deren Überquerung Stolz und Würde zurückblieben.
Doch Dukat verlangte so viel mehr ...
»Ich will, dass Sie mich demütig anflehen, auf jeden Ihrer Götter spucken zu dürfen!«
Weyoun wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis er jenen Punkt erreichen würde, an dem er tun würde, was der Cardassianer ihm abforderte. Die Tatsache, dass er darüber nachdachte, bewies dem Vorta, dass sein Widerstand im Begriff war, langsam aber sicher unter der Folter zu zerbröckeln.
Inmitten seiner Qualen klammerte Weyoun sich an die einzige Hoffnung, die ihm geblieben war. Dass er starb, bevor Gul Dukat ihn dazu brachte, alles zu sagen und zu tun, nur um von seinen Leiden erlöst zu werden.

***

Charis gab sich den Anschein, den verstohlenen Blick nicht zu bemerken, den ihr dritter Offizier mit dem Steuermann tauschte. Es war leichtsinnig von ihr gewesen, so viel Zeit allein bei Omet’iklan im Arrestbereich zu verbringen. Shakura aus dem Haus Keras hätte das nicht getan. Charis wusste, dass ihr Verhalten anfing, das Misstrauen ihrer Crew zu wecken. Doch sie konnte es nicht ändern. Sie hatte mit Omet’iklan sprechen müssen. Und es wäre riskanter gewesen, sich ihrer Formwandlereigenschaft zu bedienen, um in die Zelle des Jem’Hadar zu gelangen.
Omet’iklan hatte der Gründerin die letzte bekannte Position von Weyouns Schiff genannt. In diesem Bereich befand sich lediglich ein Klasse-M-Planet. Der Flug in dieses System hatte mehrere Tage gedauert. Charis hielt es längst für einen Fehler, Omet’iklans Bitte nachgegeben zu haben. Die Schiffe des Dominions waren nicht dafür ausgerüstet, die Überlebenden eines Absturzes mit Nahrung und Wasser zu versorgen. Die Jem’Hadar benötigten nur Ketracel-White, und der Stoffwechsel der Vorta reduzierte ihr Bedürfnis an Flüssigkeit und Nährstoffen im Notfall auf ein Minimum. Doch der Notruf lag fünf Tage zurück. Selbst für einen Vorta war dies eine sehr lange Zeit. Sollte Weyoun zudem bei dem Absturz verletzt worden sein, standen die Chancen gering, dass der Vorta überhaupt noch lebte. Genau genommen konnte Weyoun bereits beim Absturz getötet worden sein, so dass die Mission möglicherweise von Anfang an sinnlos gewesen war.
Der Gedanke, ihre neue klingonische Identität unter Umständen völlig umsonst aufs Spiel zu setzen, behagte Charis nicht sonderlich. Aber für eine Umkehr war es jetzt zu spät. Außerdem hatte sie Omet’iklan ihr Wort gegeben, alles zu versuchen, um Weyoun zu retten. Für die anderen Gründer war ein Versprechen gegenüber einem Jem’Hadar so unverbindlich wie gegenüber allen sonstigen Solids. Doch Charis hätte ihr Wort selbst dann ernst genommen, wenn sie die klingonische Lebensart mit ihrem strengen Ehrenkodex nicht vollkommen verinnerlicht hätte.
»Was zeigen die Sensoren an?«, wandte Charis sich an ihren Ersten Offizier Harok.
»Wir haben den gesamten Planeten gescannt«, antwortete der Klingone. »Keine Vegetation. Kein Wasser. Nichts als Wüste.«
»Lebensformen?«
»Schwache Lebenszeichen eines Vortas. Und diejenigen einer weiteren Lebensform. Ein Cardassianer!«
»Ein Cardassianer?«
»Ein Cardassianer«, bestätigte Harok. »Außerdem registrieren die Scanner neben dem Wrack eines Dominion-Schiffes ein intaktes cardassianisches Shuttle.«
Die Gedanken der Gründerin wirbelten wild. Hatte Damar, der Führer Cardassias, gegen den Willen des Dominions jemanden zur Rettung Weyouns ausgeschickt? Wohl kaum. Laut Omet’iklan war die Beziehung zwischen Damar und dem Vorta ähnlich stark gespannt wie sie es zwischen Weyoun und Damars Vorgänger Gul Dukat gewesen waren. Hatte die namenlose Gründerin es sich vielleicht anders überlegt und entschieden, dass Weyouns Leben für das Dominion wertvoll genug war, um ihm zu helfen? Unwahrscheinlich zwar, aber nicht gänzlich unmöglich.
Für einen kurzen Moment war Charis versucht, ihrem Steuermann zu befehlen, abzudrehen und in klingonisches Territorium zurückzukehren. Doch wie hätte sie das ihrer Mannschaft erklären sollen? Hinzu kam, dass jener Instinkt, den die Gründerin seit dem Verlassen der großen Verbindung nach und nach entwickelt hatte, ihr sagte, dass hier etwas nicht stimmte. Es war lediglich ein Hauch Zweifel. Ein leises, zaghaftes Wispern in ihrem Bewusstsein. Doch die Formwandlerin hatte sich angewöhnt, auf dieses Flüstern zu hören.
Umzukehren war keine Option. Nur, was sollte sie stattdessen tun?
Was würde Shakura aus dem Haus Keras in dieser Situation machen?
»Sollen wir die beiden an Bord beamen?«
Ohne es zu ahnen, löste Harok mit seiner Frage Charis’ Problem. Denn damit verschaffte der Erste Offizier der Gründerin die Gelegenheit, sich wie eine Klingonin zu verhalten und gleichzeitig zu tun, was sie tun musste.
Charis fuhr herum und versetzte Harok einen harten Schlag, der ihn quer über die Brücke schleuderte. »Prashlar! Wir sind Klingonen! Keine Feiglinge, die ihre Feinde besiegen, indem sie sie in eine Zelle beamen! Deaktivieren Sie die Tarnung und transportieren Sie mich auf die Oberfläche des Planeten!«
»Sie wollen allein auf den Planeten beamen?«, vergewisserte der Steuermann sich, ohne sein offenes Misstrauen zu verhehlen.
Es war still geworden. Knisternde Spannung erfüllte die Brücke. Die Gründerin wusste, dass alles von ihrer Reaktion auf diese Herausforderung abhing.
Charis zog ihr Bat’leth und sprang vor.
Es gelang dem Steuermann zwar, sein Schwert aus der Scheide zu reißen und den ersten Angriff seiner Gegnerin abzuwehren. Doch der Kraft und Geschicklichkeit der Formwandlerin war der Klingone nicht gewachsen.
Mit einigen raschen Hieben überwand Charis die Abwehr ihres Widersachers, stieß ihm die Spitze ihres Bat’leths in die Brust, drehte sie einmal herum und zog sie mit einem Ruck heraus.
Die Hände des Klingonen fuhren zu der Wunde. Der Steuermann taumelte. Er wankte einen Schritt in Richtung seiner Kommandantin, die wieder zurückgewichen war. Dann brach der Klingone zusammen. Er war tot, bevor er den Boden berührte.
Charis’ funkelnder Blick glitt über die Mitglieder ihrer Brückencrew. »Keiner beleidigt meine Ehre ungestraft! Falls noch jemand daran zweifelt, dass Shakura aus dem Haus Keras in der Lage ist, ohne fremde Hilfe mit einem Cardassianer und einem halbtoten Vorta fertig zu werden, soll er jetzt vortreten!«
Niemand rührte sich.
Die Gründerin steckte das Bat’leth weg. »Schafft den Kadaver dieses ehrlosen Paktars aus meinen Augen! - Harok!«
Der Erste Offizier betätigte einige Tasten. »Die Tarnung wurde deaktiviert, Dame. Wir sind bereit, Sie auf die Oberfläche zu beamen.«

***

Weyoun hätte den Schatten, der auf sein Gesicht fiel, dankbar begrüßt, wäre er nicht von Dukats Gestalt verursacht worden. Der Cardassianer hatte sich vor einigen Stunden mit einem Gähnen in das Shuttle zurückgezogen, um sich von der ermüdenden Unterhaltung mit seinem Gefangenen zu erholen.
Trotz der unbequemen Position, die ihm von seinen Fesseln aufgezwungen wurde, wäre der Vorta aus Erschöpfung ebenfalls eingeschlafen. Wenn Dukat es gestattet hätte.
Doch der Cardassianer dachte gar nicht daran, seinem Opfer eine Ruhepause zu gewähren. Er hatte die Indikatoren in Weyouns Handschellen so programmiert, dass sie in unregelmäßigen Abständen Schmerzwellen durch den Körper des Vortas jagten, die ihn wachhielten.
»Aah!« Dukat reckte und streckte sich. »Das hat gut getan. Es überrascht mich immer wieder, wie viel ein wenig Schlaf bewirkt. Nichts ist so erfrischend, finden Sie nicht auch?«
Es hatte keinen Sinn, den Cardassianer zu reizen.
Weyoun zwang sich zu einem Nicken. »Ja.«
Dukat ging in die Hocke und brachte sein Gesicht damit auf die gleiche Höhe wie dasjenige Weyouns.
»Ihre Antwort war zu leise. Ich fürchte, ich habe Sie nicht verstanden.«
»Ja«, wiederholte der Vorta so laut wie seine ausgetrocknete Kehle es zuließ.
»Ausgezeichnet.« Dukat lächelte. »Ist Ihnen aufgefallen, dass wir beide in letzter Zeit immer öfter einer Meinung sind? Ich finde das äußerst erfreulich. Es beweist mir, dass ich in Bezug auf Ihre Lernfähigkeit Recht hatte. Mit etwas mehr gutem Willen von Ihrer Seite wäre es sogar möglich, dass wir diese kleine Lektion eher als erwartet beenden können.«
Weyoun war zu geschwächt, um seine Miene zu kontrollieren.
Die Hoffnung in den Zügen des Vortas entlockte Dukat ein zufriedenes Lächeln.
Der Cardassianer hob die Fernbedienung der Indikatoren auf, die er in Sichtweite doch außerhalb der Reichweite Weyouns, in den Sand gelegt hatte, bevor er ins Shuttle gegangen war. »Soll ich die Indikatoren deaktivieren?«
Weyouns Blick folgte der Bewegung, mit der Dukat das kleine Gerät in seinen Fingern drehte. »Ja«, antwortete er, bemüht, seine Stimme so demütig klingen zu lassen, als ob er mit einem Gründer sprach.
»Ja was?«
Der Vorta starrte auf den rechten Zeigefinger des Cardassianers, der auf dem Schalter der Fernbedienung lag. »Ja, bitte
Dukat ließ einige Sekunden verstreichen, in denen er das Gefühl der Macht auskostete, das er über seinen Gefangenen hatte. Ein einziger Knopfdruck konnte Schmerzen auslösen oder beenden. Es war ein berauschendes Gefühl, das er seit dem Abzug von Bajor nie wieder in seiner ganzen, unvergleichlichen Intensität empfunden hatte. Bis das Schicksal ihm so unverhofft die Gelegenheit verschafft hatte, sich für jene Kränkungen zu rächen, die Weyoun seinem Stolz in der Vergangenheit zugefügt hatte.
»Sie sind ein widerlicher Intrigant, Weyoun. Sie verdienen meine Nachsicht nicht. Doch zum Glück für Sie«, Dukat deaktivierte die Indikatoren, »habe ich heute meinen großzügigen Tag.«
Der Cardassianer sah seinen Gefangenen aufmerksam an.
Der Vorta wusste, worauf sein Peiniger wartete. Dukat hatte sich überraschend gnädig gezeigt. Nun war es an Weyoun, diesen Großmut als solchen anzuerkennen. Andernfalls lief er Gefahr, dass die Laune des Cardassianers umschlug und er seine Entscheidung revidierte.
»Danke«, sagte der Vorta leise.
»Keine Ursache.« Dukat warf die Fernbedienung achtlos in den Sand. »Wissen Sie, im Grunde mag ich Sie, Weyoun. Na, ja, mögen ist vielleicht nicht das zutreffende Wort. Ich finde Sie irgendwie amüsant. Bei allem bieten Sie einen gewissen Unterhaltungswert. Das schätze ich wirklich an Ihnen. Doch genug davon. Worüber sprachen wir, bevor ich mich ein wenig zur Ruhe gelegt habe? Ach richtig, über die Gründer. Ich glaube, Sie waren gerade im Begriff, mir zuzustimmen, dass die Gründer keine Götter sind.«
Unter Aufbietung seiner ihm verbliebenen Kräfte widerstand Weyoun der verlockenden Versuchung, dem Cardassianer recht zu geben.
»Nein, das war ich nicht.«
Dukat seufzte. »Warum machen Sie es sich so schwer? All das hier wäre nicht nötig, wenn Sie endlich begreifen würden, worum es bei dieser Lektion geht.«
Ein schrilles Kreischen lenkte die Aufmerksamkeit des Cardassianers auf die Silhouette eines Vogels, der am wolkenlosen Himmel seine Kreise zog.
»Sehen Sie den Vogel dort oben?«
Angestrengt starrte Weyoun in die angegebene Richtung. »Nein.«
»Doch!«, widersprach Dukat. »Schauen Sie ganz genau hin!«
»Wir beide wissen, dass ich auf diese Entfernung einen Vogel nicht einmal dann sehen könnte, wenn er so groß wie ein Shuttle wäre«, meinte der Vorta. »Was hätten Sie davon, dass ich lüge?«
»Wenn ein Gründer Ihnen sagen würde, dass Sie dort oben einen Vogel sehen. Würden Sie ihm zustimmen?«
»Ja«, erwiderte Weyoun ohne zu zögern.
»Na, bitte.« Dukat klatschte leicht in die Hände. »Damit wäre Ihre Frage beantwortet.«
»Sie sind kein Gründer.«
»Was Sie nicht daran hindert, mich wie einen zu behandeln, oder?«
»Sie sind kein Gründer!« Der Vorta klammerte sich an diese Feststellung, als wäre sie eine Beschwörungsformel, die ihm Schutz vor dem Cardassianer bot.
»Zu schade.« Dukat hob die Fernbedienung auf. »Offenbar sind Sie ein hoffnungsloser Fall.«
Der Cardassianer schob den Regler auf die höchste Stufe und aktivierte das Gerät.
Weyouns Schreie mischten sich mit dem Kreischen des Vogels, der nach einem letzten Kreis abdrehte, um mit den Strömungen des Windes davonzufliegen.
Charis hatte genug gesehen.

***


Inmitten dieser Welt aus Schmerz, die Weyoun erbarmungslos gefangen hielt, begannen die Grenzen zwischen Traum und Realität allmählich zu verwischen, bis das Bewusstsein des Vortas nicht mehr fähig war, zwischen beiden Ebenen zu unterscheiden.
Der Schmerz verebbte, als Dukat die Indikatoren erneut deaktivierte.
Doch Weyouns Bewusstsein benötigte mehrere Minuten, um sich vom Nachhall der Qualen zu befreien und wieder genug Klarheit zu erlangen, um zu begreifen, was hier geschah.
»Warum machen Sie es sich derart schwer?«, wiederholte der Cardassianer seine Frage. »Glauben Sie mir, es bereitet mir kein Vergnügen, Ihnen Schmerzen zuzufügen.«
»Wieso tun Sie es dann?« Weyouns Stimme war kaum mehr als ein Hauch.
»Weil Sie mich dazu zwingen.« Dukat packte das Kinn des Vortas und hob es leicht an. »Ich bedaure es, dass Sie mir keine andere Wahl lassen. Geben Sie mir einen Grund, das hier zu beenden.«
»Was verlangen Sie?«
»Sie wissen, was ich von Ihnen hören will. Sagen Sie es jetzt, Weyoun! Laut und deutlich!«
Der Cardassianer zog seinen Phaser und ersetzte seine Hand unter Weyouns Kinn durch die Mündung der Waffe. »Tun Sie es, und ich erlöse Sie von Ihren Leiden. Sie haben mein Wort.«
Der Vorta hob seinen Blick und sah Dukat über den Lauf des Phasers an.
»Niemals!«
Zorn flammte in den Augen des Cardassianers auf. Mit einem Ruck riss Gul Dukat die Waffe zurück, holte aus und schlug Weyoun mehrmals hart ins Gesicht.
»Fühlen Sie sich jetzt besser?«, fragte der Vorta, als Dukat schwer atmend von ihm abließ. »Nein«, beantwortete er seine Frage selbst. »Es verschafft Ihnen keine ausreichende Befriedigung, mich einfach nur zu foltern. Sie wollen mich brechen. Doch das wird Ihnen nicht gelingen! Sie können mich mit Gewalt dazu bringen, zu schreien und Sie um den Tod zu bitten. Aber ganz gleich was Sie mit mir machen. Ich werde mich Ihnen niemals beugen! Sie sind kein Gründer. Sie sind ein Nichts! Ein größenwahnsinniger Niemand!«
Gul Dukats Hände fuhren nach vorn und schlossen sich, begleitet von einem Wutschrei, um Weyouns Hals.
Der Vorta, der eine solche Reaktion auf seine Provokation erhofft hatte, wehrte sich nicht.
In letzter Sekunde kam Dukat zur Besinnung. Seine Finger lösten sich von Weyouns Kehle.
»Mein Kompliment.« Der Cardassianer quittierte die Verzweiflung in den hellen Augen des Vortas mit einem Lächeln. »Sie sind gut. Wirklich gut. Fast hätte ich Ihnen den Gefallen getan.«
Dukats Blick blieb an einer goldenen Kette hängen, die sich in seinen Fingern verfangen hatte und gerissen war, als er den Hals seines Gefangenen losgelassen hatte.
»Nanu.« Dukat bückte sich und hob einen schmalen Anhänger auf, der ohne Halt durch die Kette zu Boden gefallen war. »Was haben wir denn da?«
Weyouns Blick folgte demjenigen des Cardassianers. Vergeblich versuchte der Vorta, sein Erschrecken zu verbergen, als Dukat das kleine goldene Röhrchen sacht schüttelte.
»Was ist das?«, fragte der Cardassianer. »Dieser Schmuck kommt mir bekannt vor. Irgendwo habe ich diesen Anhänger früher schon einmal gesehen. Ah, warten Sie, ich habe es. Diese Gründerin hat ihn getragen. Jene, die damals nach Terok Nor gekommen ist, um gegen Jem’Hadar zu kämpfen. Wie war doch gleich ihr Name? Richtig, Charis.«
»Sie irren sich. Dieser Schmuck gehört mir.«
»Oh, es liegt mir fern, das zu bezweifeln. Doch bevor der Anhänger Ihr Eigentum wurde, befand er sich im Besitz dieser Charis. Da Sie vermutlich niemals eine Gründerin bestehlen würden, ist anzunehmen, dass dieser Schmuck ein Geschenk war. Tragen Sie ihn deshalb bei sich? Weil Sie ihn von einem Ihrer heiligen Gründer bekommen haben? Oder vielleicht«, Dukat schüttelte den Anhänger erneut, »weil dieses kleine Röhrchen etwas enthält, das Ihnen so sehr am Herzen liegt, dass Sie sich niemals freiwillig davon trennen würden?«
Unter Weyouns entsetzten Augen öffnete der Cardassianer den Anhänger und schüttete den Inhalt auf seine Handfläche. Das leere Röhrchen warf er achtlos in den Sand.
»Asche?« Dukats erstaunter Blick wanderte von seiner Hand zum blassen Gesicht des Vortas und wieder zurück. »Sie bewahren ein Häufchen Asche auf?«
Nachdenklich rührte der Cardassianer in dem Inhalt seiner Handfläche. Dann begriff er.
»Die Überreste eines Gründers.« Dukat lachte. »Ausgezeichnet. Das hilft mir, meinen Punkt zu verdeutlichen.« Der Cardassianer hielt Weyoun seine geöffnete Hand unter das Kinn. »Sie wollen mir nicht sagen, was ich hören will. Nun gut, ich biete Ihnen eine andere Option an. Da kein Gründer zur Verfügung steht, begnüge ich mich damit, dass Sie auf diese Asche spucken.«
»Wie bitte?«
»Ich denke, ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt. Spucken Sie auf die Asche!«
Der Vorta zuckte zurück. »Nein!«
»Ist das Ihr letztes Wort?«
Weyoun nickte.
»In diesem Fall habe ich dafür keine Verwendung.«
Begleitet von Weyouns Nein! schleuderte Dukat die Asche in die Luft, wo sie vom Wind zerstreut wurde.
Dukats Lachen füllte das Bewusstsein des Vortas. In diesem Moment hasste er den Cardassianer wie er noch niemals ein lebendes Wesen gehasst hatte. Wäre er nicht gefesselt gewesen, hätte er sich ungeachtet seines geschwächten Zustandes auf Dukat gestürzt. Wäre es einem Vorta möglich, einen anderen allein durch seinen bloßen Willen zu töten, hätte der Gul auf der Stelle sein Leben ausgehaucht.
Instinktiv wich Dukat vor dem Hass in Weyouns Augen zurück.
»Was haben Sie auf dieser Welt zu suchen?«
Dukat fuhr herum und erstarrte mitten in der Bewegung, als er in einigen Metern Entfernung die Gestalt einer Romulanerin entdeckte, deren Disruptor auf ihn zeigte.
»Dieser Planet ist Teil des Romulanischen Reiches«, stellte die unerwartete Besucherin fest, während sie sich nun langsam näherte. »Sie und dieser Vorta haben hier nichts verloren.«
»Was haben Sie vor?«, fragte Dukat.
»Das dürfte wohl auf der Hand liegen«, erwiderte die Romulanerin kühl. »Betrachten Sie sich als Gefangene des Romulanischen Reiches. Ich werde dafür sorgen, dass Sie beide in eine Zelle kommen. Bis zu Ihrer Exekution.«
Ohne Vorwarnung sprang Dukat vor und griff an. Er verspürte keinerlei Sehnsucht danach, ein romulanisches Gefängnis von innen kennenzulernen. Und noch weniger hatte er vor, auf Romulus zu sterben.
Wider Erwarten drückte die Romulanerin nicht ab. Sie wich Dukats Hieb aus und schlug dem Cardassianer aus dieser Drehung heraus ihre Faust gegen die Schläfe.
Bewusstlos brach Dukat zusammen.
Weyoun hob den Kopf und blickte die Romulanerin, die nun zu ihm trat, ausdruckslos an. Ihre Ankündigung hatte den Vorta nicht berührt. Kein Gefängnis konnte schlimmer sein als das, was er in den vergangenen Tagen durchlitten hatte. Der Tod war dagegen eine Erlösung, die der Vorta mit Erleichterung akzeptierte.
Die Romulanerin ging neben ihm in die Knie.
Verwundert bemerkte Weyoun das unerwartete Mitleid in den dunklen Augen der Frau.
»Wäre ich nur eher gekommen. Es tut mir so leid, Weyoun.«
Die Gestalt der Romulanerin löste sich auf und wurde zu einer goldfarbenen Masse, die sich in eine Person verwandelte, an die der Vorta sich nur zu gut erinnerte.
»Charis!« In einer Mischung aus Erleichterung, tiefer Dankbarkeit und Demut presste Weyoun seine Lippen auf die Hand der Formwandlerin, die sich unter sein Kinn gelegt hatte. »Gründerin!«
Mit ihrer freien Hand formte Charis eine scharfe Zange und durchtrennte behutsam die Fesseln des Vortas.
Ohne diesen Halt sank Weyoun in den Schoß der Gründerin. Von seiner Respektlosigkeit erschrocken, versuchte der Vorta, sich zu erheben. Vergeblich. Sein geschwächter Körper verweigerte ihm den Dienst. »Vergeben Sie mir, Gründerin!«, stammelte er in den Rock des klingonischen Gewandes.
Charis’ Blick fiel auf einen funkelnden Gegenstand im Sand. »Der Anhänger, den ich Ihnen gegeben habe. Sie haben ihn also getragen.« Sie streckte eine Hand aus und hob das schmale Röhrchen auf. »Dukat!« stieß sie erbittert aus, als sie bemerkte, dass es leer war.
»Verzeihen Sie mir«, flüsterte Weyoun. »Ich ... war zu schwach, um es zu verhindern. Ich ...« Der Rest des Satzes ging in einem trockenen Schluchzen unter.
»Es gibt nichts, das ich Ihnen zu verzeihen hätte.« Sanft strichen Charis’ Finger über den Rücken und die Schulter Weyouns, der unter dieser Berührung erbebte. Fassungslos, dass eine Gründerin sich herabließ, einen Vorta wie einen Gleichgestellten zu behandeln.
Charis war von der Flut der Empfindungen, die sie durchströmten, überrascht. Sie hatte die Vorta niemals als wertlose Sklaven betrachtet wie die Angehörigen ihres Volkes es taten. Doch im Grunde ihrer Seele hatte sie die Vorta stets verachtet. Mit einer Ausnahme. Weyoun war von ihr ausgewählt worden, weil sie hinter seiner Ehrfurcht und seinem demütigen Gehabe eine feine Klinge aus unbeugsamem Stahl entdeckt hatte.
Nun hatte Dukat sich angeschickt, diese Klinge zu zerbrechen. Und die Formwandlerin hegte die Befürchtung, dass der Cardassianer sein Ziel erreicht hatte. Doch der Zorn, der die Gründerin erfüllte, richtete sich nicht gegen Dukat, sondern gegen das Dominion.
Und er verblasste angesichts des Mitleids, das sie für Weyoun empfand.
Es spielte keine Rolle, ob Dukat die Waffe zerstört hatte, die sie gegen das Dominion hatte einsetzen wollen. Dieser Vorta hatte gelitten. Als eine Formwandlerin vermochte Charis keine echten Tränen zu weinen. Eine Fähigkeit, die sie nie vermisst hatte. Bis heute, da sie sich angesichts von Weyouns Schmerz so hilflos fühlte, wie nie zuvor in ihrem Leben.
»Sind Sie imstande, das Shuttle des Cardassianers zu steuern?«, fragte sie.
»Ich wäre dankbar, wenn ein Jem’Hadar das übernehmen könnte«, meinte der Vorta schwach.
»Ein Jem’Hadar?« Charis runzelte die Stirn. Offenbar war Weyoun so entkräftet, dass er sich nicht bewusst war, dass dies keine Rettungsmission des Dominions war.
»Die einzige Begleitung, die ich Ihnen mitgeben könnte, wäre ein Klingone«, sagte sie. »Ich glaube allerdings, dass dies nicht in Ihrem Sinne sein dürfte.«
»Ein Klingone?« Weyoun hob den Kopf und starrte Charis verständnislos an.
Dann erinnerte er sich daran, mit wem er sprach und begriff.
Diese Gründerin war nicht vom Dominion geschickt worden. Sie war aus eigenem Antrieb gekommen. Zweifellos hatte sie ihre klingonische Crew belügen müssen.
Wegen eines Vortas hatte sie die Aufdeckung ihrer wahren Identität riskiert.
Seinetwegen.
Weyoun senkte seine Stirn wieder in Charis’ Schoß. »Ich danke Ihnen, Gründerin.«
»Danken Sie nicht mir, sondern Ihrem Assistenten und Ihrem Ersten. Ohne die beiden hätte ich nie von dem Absturz erfahren und wäre jetzt nicht hier. Zurück zu meiner Frage: Sind Sie in der Lage, das Shuttle zu fliegen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Weyoun.
Die Wandlerin musterte den Vorta prüfend. »Nein«, entschied sie. »In Ihrer Verfassung schaffen Sie das nicht.«
Für einen Moment spielte Charis mit dem Gedanken, Omet’iklan mit der Steuerung des Shuttles zu betrauen. Aber dazu hätte sie den Jem’Hadar hier und jetzt freilassen müssen. Etwas, das Shakura aus dem Haus Keras niemals täte. Natürlich konnte sie Weyoun mit an Bord ihres Bird of Prey nehmen. Doch dann wäre sie gezwungen, ihn als Gefangenen des klingonischen Reiches nach Qo’nos zu bringen, wenn sie nicht riskieren wollte, dass ihre Mannschaft sie des Verrats beschuldigte und umbrachte.
Wie Charis es drehte und wendete. Es gab nur diesen Weg. Weyoun musste mit Gul Dukats Shuttle allein zurück nach Cardassia fliegen.
Die Gründerin tippte an den Kommunikator an ihrem Handgelenk.
»Shakura an Harok!«
»Harok hier!«
»Der Cardassianer und der Vorta sind tot. Ich werde ihre Leichen an Bord des Shuttles nach Cardassia schicken.«
»Dann werden wir das Shuttle nicht als Beute mitnehmen?«
»Nein«, antworte Charis. »Machen Sie sich bereit, mich an Bord zu beamen, sobald sich das Shuttle im Orbit befindet. Das Dominion wird glauben, dass seine beiden Unterhändler heimtückisch von den Romulanern ermordet wurden und seine Bemühungen um einen Waffenstillstand einstellen.«
Einige Sekunden blieb es still.
»Zu Befehl, Dame«, kam schließlich die Bestätigung des Ersten Offiziers.
Charis unterbrach die Verbindung und gestattete sich ein erleichtertes Aufatmen. Sie warf einen Blick auf das leere Röhrchen in ihrer Hand. »Ich glaube, das gehört Ihnen.« Sie reichte Weyoun den Anhänger.
Die Finger des Vortas verkrampften sich um den Schmuck.
»Kommen Sie!« Charis stand auf und zog Weyoun hoch. »Ich bringe Sie in das Shuttle. Ich werde es starten und einen automatischen Kurs nach Cardassia Prime programmieren. Dort müssen Sie dann nur noch Kontakt mit einer Bodenkontrolle aufnehmen, damit jemand an Bord kommt, der das Shuttle landet. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann wenden Sie sich am besten direkt an Ihren Assistenten. Sonst könnte es womöglich passieren, dass Ihre cardassianischen Verbündeten Sie versehentlich abschießen.«
Der Vorta blickte an Charis vorbei auf die reglose Gestalt Dukats.
»Was wird aus ihm?«
Die Gründerin zuckte gleichgültig mit den Achseln.
»Das überlasse ich Ihnen, Weyoun. Ich habe kein Interesse an diesem Cardassianer. Er gehört Ihnen. Möchten Sie ihn mitnehmen?«
Die Vorstellung, sich persönlich an Gul Dukat zu rächen, war verführerisch. Doch andererseits war der Gedanke, den Cardassianer einsam, elendig und hoffentlich sehr langsam hier auf dieser Welt verrotten zu lassen, zu reizvoll, um ihm zu widerstehen.
»Nein«, erwiderte Weyoun nach kurzer Überlegung. »Das möchte ich nicht!«
Rezensionen