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Der Feind meines Feindes

von Martina Strobelt

Kapitel 1

In ihrer Jugend musste die Frau eine Schönheit gewesen sein. Selbst jetzt, da das beginnende Alter bereits deutliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hatte, war in ihren stolzen Zügen noch ein Abglanz ihrer früheren Schönheit zu erkennen.
Sie hatte den Stuhl, den er ihr angeboten hatte, abgelehnt. Mit geradem Rücken stand sie in der Mitte des Raumes. Wenn sie Furcht empfand, so zeigte sie es nicht.
Der Blick ihrer dunklen Augen wich dem seinen nicht aus.
Als sie nun zum ersten Mal, seit man sie hierher gebracht hatte, etwas sagte, zitterten ihre Lippen nicht dabei. Ihre Stimme klang so beherrscht, als ob sie sich in einem öffentlichen Restaurant befinden würde. Anstatt in der Gewalt des Obsidianischen Ordens, des gefürchteten cardassianischen Geheimdienstes.
„Sie hatten kein Recht, mich zu verhaften! Ich werde mich an oberster Stelle beschweren und dafür sorgen, dass Sie zur Rechenschaft gezogen werden! Mein Mann ist Legat des Reiches. Es wird Ihnen noch sehr leid tun, seine Frau wie eine gemeine Verbrecherin zu behandeln!“
Der junge, ganz in schwarz gekleidete, Cardassianer, mit dem diejenigen, die sie hergebracht hatten, sie allein gelassen hatten, hob beschwichtigend die Hände.
„Von einer Verhaftung kann keine Rede sein. Das ist eine rein informelle Befragung. Falls die Männer, die Sie hergeleitet haben es tatsächlich vergessen haben sollten, darauf hinzuweisen, bitte ich um Entschuldigung. Ich versichere Ihnen, ich würde es mir niemals erlauben, die Frau von Legat Dukat gegen ihren Willen festzuhalten.“
Der cardassianische Agent, der sich Kenara nicht vorgestellt hatte, erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Dem einzigen Möbelstück im Raum. Außer dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. Und dem, den er ihr höflich angeboten hatte. Er drückte einen verborgenen Knopf.
Die Tür öffnete sich lautlos.
„Es steht Ihnen selbstverständlich frei zu gehen.“
Zum ersten Mal, seit Kenara Dukat den Raum betreten hatte, begann ihre Selbstbeherrschung zu bröckeln.
Elim Garak sah es an der Verwirrung, mit der sie ihm dankte. An der Hast, mit der sie sich zum Gehen wandte. So als befürchtete sie, er könnte es sich anders überlegen.
Kenara war schon halb draußen, als der Agent wie beiläufig bemerkte: „Sie sollten künftig ein wenig mehr auf Ihren Sohn achten.“
Kenara Dukat erstarrte förmlich mitten in der Bewegung.
Zufrieden registrierte Garak das leichte Beben, das ihren Körper durchlief. Die plötzliche Verkrampfung ihrer Muskeln.
„Ich bitte um Verzeihung“, sagte er sanft. „Wie überaus taktlos von mir. Ich meinte natürlich Ihren Stiefsohn. Ein netter junger Mann. Wie ich gehört habe, soll Legat Dukat ganz vernarrt in seinen Sohn sein. Es ist sein Einziger, nicht wahr?“
Reglos stand Kenara da, ihm den schmalen Rücken zuwendend. Ihre Schultern zuckten.
„Das Schicksal ist bisweilen grausam“, fuhr der Agent fort. „Ein Mann wie Legat Dukat hätte viele Söhne verdient, eheliche Söhne. Dürfen wir es ihm verdenken, dass er in seiner Verzweiflung sein Herz in blinder Liebe an einen Sohn klammert? Einen Sohn, der alles tut, um es zu brechen.“
„Was meinen Sie damit?“
„Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Junge Leute neigen dazu, sich in, nun wie soll ich es formulieren, unpassende Gesellschaft zu begeben. Ich spreche da aus Erfahrung.“
Bei diesen Worten flog ein dunkler Schatten über die Züge des Agenten.
Ein strahlendes Kind. Ein altes Saiteninstrument. Garaks Bemühungen, ihm melodische Klänge zu entlocken. Das warme gutmütige Lachen eines Bajoraners.
Energisch schob Garak diese Erinnerung beiseite.
Kenara Dukat hatte ihn nicht aus den Augen gelassen.
Der Agent war sich nur zu gut bewusst, dass sie versuchte, in seiner Miene zu lesen, um die wahren Absichten hinter seiner Freundlichkeit zu entdecken. Das durfte er auf keinen Fall gestatten. „Nun, wie dem auch sei. Es liegt mir fern, mich in eine private Angelegenheit Ihres Mannes einzumischen.“ Garak begann, in diversen Papieren auf dem Schreibtisch zu kramen. Um auf diese Weise den Anschein zu erwecken, dass er - und damit der Obsidianische Orden - dieser Sache keine Bedeutung beimaß.
Ein Täuschungsmanöver, das seine Wirkung nicht verfehlte.
Zögernd kam Kenara näher.
„Könnte Khemors unpassende Gesellschaft meinen Mann in Schwierigkeiten bringen?“
Ihr Blick hing an seinen Lippen.
Garak wusste, dass er Kenara Dukat da hatte, wo er sie hatte haben wollen. Nun war Vorsicht geboten, um diesen Erfolg nicht sofort wieder zunichte zu machen. Scheinbar desinteressiert zuckte er die Achseln. „Wie bereits erwähnt, ich habe durchaus Verständnis für die Eskapaden eines jungen Mannes. Allerdings“, der Agent machte eine bedeutungsschwere Pause, bevor er im Tonfall echten Bedauerns weitersprach: „Kann ich nicht garantieren, dass andere ebenso großzügig darüber hinwegsehen werden, dass Ihr Stiefsohn Kontakt zu Kreisen hat, die unserer Regierung, nun wie soll ich sagen, recht kritisch gegenüberstehen. Dass er sich bereits mehrmals mit Leuten getroffen hat, die uns seit längerem wegen ihrer gefährlichen Ansichten bekannt sind. In Ihrem Haus.“
„Das ist eine Lüge! Mein Mann würde das niemals dulden!“
„Natürlich nicht. Legat Dukat ist über jeden Verdacht erhaben. Vergeben Sie mir, falls meine Worte etwas anderes unterstellt haben. Ich versichere, dass es unbeabsichtigt war. Was ich sagen wollte, war lediglich, dass Ihr Stiefsohn offenbar das Vertrauen Ihres Mannes missbraucht, um sich in seinem Haus mit, verzeihen Sie meine Offenheit, Verrätern zu treffen. Mit Verbrechern! Dass er nicht davor zurückschreckt, den Ruf seines Vaters auf diese Weise auszunutzen und zu beschmutzen!“
„Nein!“ Entsetzt presste Kenara eine Hand vor ihren Mund.
Kenara liebte ihren Mann. Sie hatte ihm diese unselige Affäre verziehen. Aber das änderte nichts an der Demütigung, Tag für Tag den Sohn dieser Hure in ihrem Haus ertragen zu müssen.
Ihr Mann hatte Khemor seinen Namen gegeben und ihn gefördert. Kenara hatte gelitten. Wie froh war sie gewesen, als ihr Mann ihrem verhassten Stiefsohn eine Offizierstelle weit weg auf Bajor besorgt hatte.
Wie sehr hatte Kenara gehofft, Khemor würde auf Bajor sterben. Oder wenigstens niemals mehr zurückkommen. Wenn es nach Khemor gegangen wäre, hätte sich dieser Wunsch vielleicht sogar erfüllt. Ihr Stiefsohn war der Aufforderung seines Vaters, hier auf Cardassia einen Posten anzunehmen, nur widerwillig gefolgt. Vermutlich überhaupt nur deswegen, weil er sich einbildete, später mit einem höheren Rang nach Bajor zurückgehen zu können.
Leider deckten Khemors Pläne sich nicht mit denen seines Vaters. Legat Dukat war fest entschlossen, seinen einzigen Sohn bei sich zu behalten.
Seinen einzigen Sohn.
Bei diesem Gedanken empfand Kenara grenzenlosen Schmerz. Konnte sie es ihrem Mann vorwerfen, Khemor anerkannt zu haben, da sie, seine Frau es in all den Jahren nicht geschafft hatte, ihm den ersehnten Sohn zu schenken? Khemors ständige Anwesenheit erinnerte Kenara in jeder Minute ihres Lebens daran, schmählich versagt zu haben.
Nein, ihrem Mann durfte sie keine Vorwürfe machen. Der Sohn dieser Hure war es, der die Liebe seines Vaters zu ihr mit jedem Atemzug, den er in ihrem Haus machte, vergiftete. Und nun scheute dieser Bastard nicht einmal davor zurück, seinen Vater zum Dank für alles schamlos in Verruf zu bringen.
In diesem Moment hasste Kenara Dukat Khemor so glühend wie nie zuvor.
„Wessen genau wird mein Stiefsohn beschuldigt?“
Zum zweiten Mal an diesem Abend hob ihr Gegenüber seine Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Niemand wird hier beschuldigt. Zumindest bisher noch nicht...“
„Was sich jedoch bald ändern könnte?“
„Interessiert es Sie nicht, welche Beweise wir haben?“, antwortete er mit einer Gegenfrage.
„Doch“, erwiderte sie wie erwartet.
Garak betätigte einen Schalter.
Auf dem Schreibtisch erschien die holografische Darstellung eines jungen Cardassianers.
„Berat Tarkar“, erläuterte der Agent. „Vor einem Monat wurde er wegen seiner Verbrechen zum Tod verurteilt. Vielleicht erinnern Sie sich daran?“
Kenara nickte. Wie alle hatte auch sie die Übertragung der öffentlichen Verhandlung verfolgt.
„Bedauerlicherweise“, Garak achtete auf jede Regung ihres Gesichtes, „ist es diesem Verräter gelungen, vor der Vollstreckung des Urteils zu fliehen. Allein hätte er das niemals geschafft. Er muss Hilfe gehabt haben.“
Kenara begriff sofort. „Khemor!“
„Ich fürchte, trotz all den Mühen, die Ihr Mann und auch Sie, Kenara - ich darf Sie doch so nennen? Nun“, redete Garak weiter, nachdem sie bejaht hatte. „Trotz all Ihrer Anstrengungen kann der junge Mann seine zweifelhafte Herkunft nicht verleugnen. Verzeihen Sie meine indiskrete Frage, aber haben Sie seine Mutter eigentlich jemals kennengelernt?“
„Natürlich nicht!“
„Wäre es anders“, machte Garak sich scheinbar mitfühlend ihre offene Empörung zu Nutze, „wüssten Sie, was ich meine. Khemors Mutter war ein, verzeihen Sie den vulgären Ausdruck, Flittchen. Unter ihren Liebhabern waren Verbrecher. Verräter. Ich könnte ihnen eine ganze Liste mit Namen geben. Aber ich bitte Sie, mich nicht zu zwingen, eine Dame wie Sie damit konfrontieren zu müssen. Ersparen Sie uns beide weitere peinliche Details!“
Kenara schwankte und musste sich an der Lehne des Stuhles festhalten.
Eine ganze Liste mit Namen!
So sehr Kenara Khemor auch verabscheute, niemals war ihr der Gedanke gekommen, er könnte nicht der Sohn ihres Mannes sein. Aber in diesem Moment traf die Wucht des Zweifels sie wie ein Schlag.
„Wenn Sie erlauben, würde ich mich jetzt doch gerne setzen“, hauchte Kenara.
„Aber natürlich“ Fürsorglich rückte Garak ihr den Stuhl zurecht. „Möchten Sie vielleicht etwas zu trinken? Ein Glas Wasser?“
„Nein, danke.“
Garak hatte nicht die Absicht, Kenara die Zeit zu geben, sich wieder zu fangen.
„Berat Tarkar“, nahm er den Faden wieder auf, „ist mit Hilfe des Mannes, der von sich behauptet, der Sohn Legat Dukats zu sein, aus der Haft geflohen. Wir sind sicher, dass er sich im Keller Ihres Hauses versteckt hält. Wir hätten ihn dort schon längst festgenommen. Doch mit Rücksicht auf Legat Dukats Ruf ist es uns nicht möglich, ohne triftige Beweise eine Durchsuchung vorzunehmen.“
„Aber, wie können Sie ohne Beweise überhaupt sicher sein, dass...“
„Berat Tarkar wurde in der Nähe Ihres Hauses gesehen“, fiel Garak ihr ins Wort. „Zusammen mit Khemor. Leider kam unser Zeuge bei einem Unfall ums Leben, bevor er eine schriftliche Aussage machen konnte. Sehr günstig für Khemor, nicht wahr?“
Es war eine glatte Lüge. Doch Garak baute darauf, dass Kenara Dukat sie nicht weiter hinterfragen würde.
Seine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht.
Kenara war von seinen Eröffnungen, von ihrer Angst um ihren Mann, und von der ihr so unerwartet gebotenen Möglichkeit, ihren Stiefsohn loszuwerden, viel zu überwältigt, um seine Worte in Zweifel zu ziehen.
„Was kann ich tun, um Ihnen zu helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen?“, fragte sie.
Garak gab sich den Anschein, sich seine Antwort sorgfältig zu überlegen. Obwohl sie bereits lange festgestanden hatte, bevor Kenara Dukat ihre Frage gestellt hatte. Lange bevor sie hierher in diesen Raum gebracht worden war.
„Es ist auch Ihr Haus, Kenara“, sagte der Agent langsam. „Wenn Sie uns nun bitten würden, eine Durchsuchung vorzunehmen, weil Sie diesen Mann“, Garak deute auf die Holografie Berats, „zufällig eines Nachts in ihrem Garten gesehen und beobachtet hätten, wie er sich in Ihren Keller schlich, und dass Sie sofort in ihm einen gesuchten Verbrecher erkannt hätten.“
„Aber was würde mein Mann...“
„Legat Dukat wird es nie erfahren. Sie haben mein Wort, dass ich Ihre Aussage vertraulich behandeln werde. Tarkar wird verhaftet. Er wird die Verbindung zu Ihrem Stiefsohn zugeben.“
„Aber mein Mann liebt Khemor!“ Selten war es ihr Kenara so schwer gefallen, etwas zu sagen. „Er wird nicht zulassen, dass Khemor angeklagt wird.“
„Tatsächlich?“ Garak hob eine Augenwulst. „Nicht einmal dann, wenn wir den Legat durch eine genetische Untersuchung davon überzeugen, dass Khemor gar nicht sein Sohn ist? Dass er jahrelang für den Bastard eines anderen gesorgt hat?“
„Aber...“, Kenara zögerte, „wenn das Ergebnis des Testes nun anders ausfallen sollte?“
Garak lächelte. „Vertrauen Sie mir, Kenara. Die genetische Untersuchung wird in jedem Fall zu dem Ergebnis führen, das im Interesse Ihres Mannes liegt. - Und in Ihrem.“
Kenara Dukat zögerte immer noch. „Alles, was ich von Ihnen weiß, ist, dass Sie Mitglied des Obsidianischen Ordens sind. Sie verlangen eine ganze Menge von mir. Und das alles auf Ihr bloßes Versprechen. Nennen Sie mir einen Grund, nur einen einzigen, warum ich Ihnen vertrauen sollte!“
Garaks Lächeln vertiefte sich. „Nun, ich vertraue Ihnen ja auch. Da bitte, die Tür ist immer noch geöffnet. Ich hindere Sie nicht daran, nach Hause zu gehen und Ihren Stiefsohn zu warnen. Aber das werden Sie nicht tun, nicht wahr? Denn Sie hassen ihn, Kenara! Mit jeder Faser Ihres Herzens. Sehen Sie, genau deswegen vertraue ich Ihnen, Kenara. Ich weiß, dass Khemor Ihr Feind ist. Und den Feind meines Feindes betrachte ich als meinen Freund...“

***

Elim Garak lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Vor ihm auf dem Tisch lagen eine schriftliche Aussage von Kenara Dukat, sowie ein bereits ausgestelltes Todesurteil, bei dem er nur noch den Namen einsetzen musste.
Garak seufzte leise. Es war leicht gewesen, viel zu leicht. Kenara Dukat war am Ende doch nicht die Herausforderung gewesen, die er in ihr gesehen hatte. So seltsam es auch klingen mochte, aber Garak sehnte sich förmlich danach, seine Fähigkeiten endlich einmal mit einem Gegner messen zu können, der ihm gewachsen war.
Beinahe zärtlich strichen seine Finger über das Display des Datenpadds, auf dem der Text des Urteils zu lesen war. Nichts Besonderes stand da, nur die üblichen Sätze.
„Wegen Verrat, begangen am cardassianischen Volk...“
Wie gerne hätte Garak hier und heute statt einem gleich zwei Todesurteile ausgestellt. Oder wenigstens einen anderen Namen eingesetzt. Aber die Anweisungen seiner Vorgesetzten erlaubten leider keine Interpretation.
Für einige Sekunden gab Garak sich der herrlichen Vorstellung hin, man hätte ihm in dieser Sache völlig freie Hand gegeben. Dann verbannte er diese gefährlichen Gedanken in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Wenn auch nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Einmal würde die Stunde kommen, auf die er nun schon so lange wartete.
Außerdem, bei genauer Betrachtung gab es Schlimmeres als den Tod.
In der Tat, dachte Garak mit Genugtuung, als er sich nun vorbeugte und den noch fehlenden Namen eingab. Der Tod ist nur eine, ohnehin viel zu gnädige, Möglichkeit, es gibt viele Arten der Rache, das wirst du bald erfahren, Khemor Dukat...

***

Kenara Dukat stand allein vor dem Grab. Ein schlichter Stein. Darin eingemeißelt sein Name. Kein Titel. Nur der Name. Das war alles.
Kenara wusste, dass sie froh sein konnte, dass sie ihn überhaupt hatte beerdigen dürfen. Für gewöhnlich wurden hingerichtete Verräter irgendwo verscharrt. Aber sie hatte immer noch Freunde. Trotz allem. Kenara glaubte, vor Schmerz und Verzweiflung sterben zu müssen. Zuerst hatte sie gar nicht verstanden, weshalb die Soldaten, nachdem sie von ihr ins Haus gebeten worden waren, nicht den Weg zu Khemors Zimmer, sondern den zum Schlafgemach ihres Mannes eingeschlagen hatten. Erst sehr viel später, als Legat Dukat aller Rechte und Ehren enthoben des Verrates angeklagt und in einem öffentlichen Schauprozess zum Tode verurteilt worden war, hatte Kenara begriffen, wie furchtbar sie getäuscht worden war.
Nicht Khemor, ihr Mann, es war immer nur ihr Mann gewesen, auf den der Obsidianische Orden es abgesehen hatte. Der Legat hatte in letzter Zeit einmal zu oft Kritik am Geheimdienste geübt. Im Keller ihres Hauses hatte es nicht die geringste Spur dafür gegeben, dass Berat Tarkar jemals dort gewesen war. Kenara wusste nicht, ob ihr Mann ihr vor seinem Tod verziehen hatte. Es war ihr nicht erlaubt gewesen, ihn zu sehen.
Kenara wusste nicht mehr, wie sie es geschafft hatte, seine Hinrichtung zu überstehen. Niemand hatte sie gezwungen, dem Ereignis beizuwohnen. Aber sie war es ihrem Mann schuldig gewesen. Wie brennend hatte sie sich gewünscht, sie hätte allein Kraft ihres Willens seinen Platz auf dem Richtblock einnehmen können. Sie hätte keine Sekunde gezögert.
Kenara Dukat fühlte eine Bewegung in ihrem Rücken. Sie drehte sich nicht um. Sie wusste, wer es war. Warum er gekommen war.
„Worauf wartest du? Glaub mir, du tust mir damit einen Gefallen!“
Khemor Dukat, der mit gezogenem Phaser hinter ihr stand, rührte sich nicht. Sie hatte seinen Vater verraten. Dafür musste sie sterben. Aber vorher musste er die Antwort erfahren, auf die Frage, die ihn unaufhörlich quälte.
„Warum Kenara? Ich dachte, du würdest ihn lieben! Warum?“
„Warum?“ Sie lachte bitter. „Was spielt das jetzt noch eine Rolle, nun, da er tot ist?“
„Für mich ist es wichtig! Was hat mein Vater getan, dass du ihn so sehr gehasst hast?“
„Gehasst?“ Kenara fuhr herum und funkelte Khemor Dukat an. „Ich habe deinen Vater geliebt. Du bist es, den ich hasse! Weil du ihr Sohn bist und... nicht meiner!“
Nun war die Wahrheit heraus, die Kenara bis zu diesem Moment nicht einmal vor sich selbst zugegeben hatte. Sie hatte niemals darüber nachgedacht, warum sie ihren Stiefsohn hasste. Hier und jetzt begriff Kenara zum ersten Mal, dass es niemals darum gegangen war, dass Khemor der uneheliche Sohn ihres Mannes gewesen war. Nein, sie war eifersüchtig gewesen, weil Khemor nicht ihr Sohn war. Weil er genau der Sohn war, den sie sich immer gewünscht hatte.
Die Sinnlosigkeit des Ganzen ließ Kenara aufschluchzen. Ihr Mann hatte Khemor geliebt. Auch sie hätte ihn lieben können. Wenn sie es nur geschafft hätte, ihren Stolz zu vergessen. Ihren Neid, dass eine andere Legat Dukat diesen Sohn geschenkt hatte.
Khemor Dukat starrte Kenara an, offenbar genauso erstaunt über dieses Geständnis wie sie selbst. Er fühlte, dass ihre Verzweiflung über den Tod ihres Mannes echt war. Dass sie nicht weniger tief als sein eigener Schmerz war. Angesichts der Tränen, die ihr über die Wangen rollten, verrauchte seine Wut zu kalter Asche. Langsam steckte er den Phaser weg, bevor er einen halben Schritt nach vorne machte und Kenara in seine Arme zog.


Epilog

Unter Garaks kaltem Blick kroch der andere Cardassianer förmlich in sich zusammen. Er hätte es vorgezogen, seinem Vorgesetzten eine bessere Meldung machen zu können. „Es tut mir leid, aber die Damen Dukat sind verschwunden.“
Elim Garak runzelte die Stirn. „Soll das etwa heißen, Jaron, Sie und Ihre Leute waren nicht in der Lage eine alte Frau und ihre Töchter im Auge zu behalten?“ Garak bemerkte, dass der andere etwas in seinen Händen hin und her drehte. „Was ist das?“
„Wir haben es auf Kenara Dukats Schreibtisch gefunden.“ Jaron hielt ein Bild hoch. Es zeigte Legat Dukat im Kreise seiner Familie. Einen Arm hatte er um seinen Sohn Khemor, den anderen um seine Frau gelegt. Dukats Töchter standen neben ihnen. „Wir haben es wegen des Zettels mitgebracht“, erklärte Jaron schnell, als er Garaks fragenden Blick bemerkte. Er zog ein zerknittertes Stück Papier aus der Tasche. „Er steckte im Rahmen. Ihr Name steht drauf, deshalb...“
„Mein Name?!“, fiel ihm Garak ins Wort, während seine Gedanken sich überschlugen. Es gab nur wenige, die wussten, dass er dem Geheimdienst beigetreten war. Und diese Wenigen waren entweder selbst beim Orden oder tot. „Geben Sie her!“ Garak riss Jaron den Zettel aus der Hand und faltete ihn auseinander.
Es war dieselbe geschwungene Schrift, die Legat Dukat den Tod gebracht hatte.
Kenaras Botschaft war schlicht:
„Sie hatten recht, Garak, der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ich werde dafür sorgen, dass ich es niemals vergesse - genauso wenig wie Sie.“
„Bringen Sie Khemor Dukat zu mir, sofort!“, sagte Garak mit erzwungener Ruhe.
„Es tut mir leid. Legat Dukats Sohn ist am Tag nach der Beerdigung mit unbekanntem Ziel abgereist. - Sie haben nicht befohlen, ihn zu beschatten.“
Garak winkte der hastigen Verteidigung Jarons ab. „Es ist gut, Sie können gehen!“
„Dann brauchen Sie meine Dienste heute Abend nicht mehr?“
„Nein“, Garak zerknüllte den Zettel und steckte ihn in die Tasche.
Eines Tages würde er vielleicht die Hilfe Jarons oder eines anderen benötigen, um sich zu wehren, aber nicht in dieser Nacht...

Ende
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