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Der Schattentempel

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Wut und Zorn,
Zorn und Hass,
Hass, das war das Beste von allen.
Sie strichen durch die leeren Gänge des Tempels, wie so oft zuvor, fühlten wie so oft zuvor die Schichten von Erde, Sand und Stein, die über ihnen lagen. So viele Schichten hatten sich angesammelt, während Bajor sich weiter drehte, während Frühling, Sommer, Herbst und Winter ihren ewigen Kampf fochten, während Generationen geboren wurden und starben.
Was jedoch nie starb, war die Wut und der Hass.
Sie schlichen durch ihr Gefängnis, streiften über die prächtigen Reliefs des Tempels, leckten über die gebleichten Knochen des Prylars, der sie gefangengesetzt hatte. Schleuderten das alte Buch, das ihm so heilig gewesen war, über den Boden, und sie warteten.
Warteten darauf, dass sich das dunkle Auge der Propheten wieder öffnen würde, und sie fühlten nach so langer Zeit, dass es bereit war, sich zu öffnen. Sie fühlten die Veränderungen an der Oberfläche, fühlten den Hass, der über Bajor hinwegfegte wie ein Fegefeuer, und sie lachten über diesen Hass, denn er nährte sie, stärkte sie.
Sie fühlten, wie Schicht um Schicht von ihrem Gefängnis abgetragen wurde, sie strichen über die bleichen Knochen des Prylars, verspotteten ihn, leckten über seinen bleichen Kiefer und sein ewiges Lächeln, das sie so wütend machte. Sie verspotteten ihn, fluchten ihm, versprachen ihm, dass sie bald frei sein würden, bald schon, sehr bald.


* * * * *

Wind zerrte an seiner Kleidung, in der Luft lag der helle Sand der Tamakuwüste, so hell, dass er bei Sonnenlicht die Augen blendete. Doch in der Dämmerung war es wunderschön, auf der Düne zu stehen, umschmeichelt vom kühlen Abendwind, der wie ein sanfter Kuss der Hitze des Tages gefolgt war. Er hob langsam die Arme und wandte sein Gesicht den Sternen zu, es war wunderschön, dieses bajoranische Himmelszelt. Sein Blick richtete sich nach oben, der faszinierendste Stern des bajoranischen Systems stand fast genau über ihnen, nur sichtbar durch den hellen Lichterkranz um den dunklen Stern. Benjamin Sisko lächelte in die aufziehende Dämmerung, das dunkle Auge der Propheten wurde der Stern auch manchmal in den alten Schriften genannt, die er zu studieren begonnen hatte, seitdem er sich mit seiner Rolle als Abgesandter der Propheten abgefunden hatte. Ein poetischer Beiname, wie Sisko fand.
„Es wird morgen höllisch heiß werden.“ In der klaren Stimme lag ein überaus deutlicher Hauch von Missvergnügen. Sisko blickte zu der Bajoranerin, die einige Schritte neben ihm auf dem Dünenkamm saß und damit beschäftigt war, den Sand aus ihrem Stiefel zu schütteln.
„Kira, ein klein wenig mehr Enthusiasmus wäre angebracht. Wir sind dabei, wenn einer der bedeutendsten archäologischen Funde Bajors gemacht wird.“
Die Bajoranerin blickte zu Sisko auf und hob leicht die Augenbraue. „Es ist nicht so, dass ich diesen Fund nicht begrüße, nur hätte ich lieber eine Aufzeichnung darüber gesehen, als wirklich dabei zu sein.“
In Siskos Gesicht machte sich Enttäuschung breit, und Kira tat es schon fast wieder leid, so schroff gewesen zu sein. Sie wusste, dass der Captain ihr eigentlich eine Freude damit hatte machen wollen, dass er sie mit nach Rekal-Tamaku genommen hatte. Vielleicht hätte er in den alten Schriften nachschlagen sollen, dass Rekal ein alter bajoranischer Ausdruck für Tod war.
Kira erhob sich von der Düne und wischte halbherzig den Sand von ihrem Hosenboden. „Es ist ein sehr wichtiger Fund, Captain.“ Sie lächelte leicht, und Sisko nahm dieses Friedensangebot mit einem leicht schiefen, für ihn so typischen Lächeln auf.
„Es wird sicher sehr aufregend!“ Sisko klatschte begeistert in die Hände.
Kira konnte seine Begeisterung nicht teilen. Sie fand die Wüste und den archäologischen Fund so aufregend wie einen Besuch in einem Mausoleum, und das noch dazu in der heißesten, trockensten und im wahrsten Sinne des Wortes tödlichsten Gegend Bajors. Die Tamakuwüste war einer der trostlosesten Orte, die Kira außer cardassianischen Gefangenenlagern, je gesehen hatte. Hier in Rekal-Tamaku, der tiefsten Senke der Wüste, am Rande des Wüstengebirges, war nichts außer Sand, Staub und Wind. Keine Tierart war hier heimisch, nicht einmal die zähen Wüstenbewohner, die man sonst auf Bajor fand. Keine Flechte, keine einzige noch so zähe Pflanze hatte hier Fuß fassen können. Sie fragte sich, was bei allen Propheten die Mönche gedacht hatten, die den Tempel hier errichtet hatten. Sofern es einen Tempel gab. Kira war von den wenigen Bruchstücken und Marmorscherben wenig beeindruckt, die man gefunden hatte und die Sisko kleine verzückte Laute abgerungen hatten. Man musste wohl einen Sinn für zerschlagene Steine haben, um so darauf zu reagieren.
Kira hatte ihr Leben lang genug mit der Gegenwart zu tun gehabt, als dass die Vergangenheit sie so sehr faszinieren konnte. Siskos archäologisches Interesse konnte sie nicht nachvollziehen, und sie wünschte, man wäre nicht auf die Idee gekommen, den Abgesandten an diesem historischen Fund teilhaben zu lassen. Sie fühlte die Sandkörner in ihrem Mund und wünschte, der Abgesandte wäre zumindest nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet diese historische Begebenheit mit ihr teilen zu wollen.
„Professor Sumak ist sicher, dass sie morgen den Eingang des Tempels freilegen können. Die Daten der Messungen lassen vermuten, dass es ein sehr großer Tempel gewesen sein muss, dessen Erbauung nach dem Alter der Scherben auf eine Zeit zu datieren ist, in der die Menschheit auf einer sehr niedrigen Stufe der Evolution stand. Selbst auf Bajor entstand damals gerade die erste Hochkultur!“
Siskos Begeisterung konnte Kira nicht aufheitern. Sie blickte zum Lager und hoffte, dass der Professor wirklich am nächsten Tag den Eingang finden und Siskos archäologisches Interesse befriedigt werden würde, damit sie nach DS9 zurückkehren konnten.
„Gehen wir zurück, ehe wir das Abendessen verpassen.“ Kira bemerkte Siskos Blick, der ihr wohl ganz eindeutig den Sinn für Abenteuer und Romantik absprach, aber mit einem letzten Blick auf die Wüste, die mehr und mehr von der Nacht verschlungen wurde, setzte er sich in Richtung des Lagers in Bewegung. Kira seufzte erleichtert. Vielleicht konnte man den Sand zumindest aus den Replikatoren halten, und das Essen würde nicht noch mehr von diesem knochenweißen Sand beinhalten als sie ohnehin schon auf ihrem Weg auf den Dünenkamm geschluckt hatte.
Sie blickte in den Himmel, wo die Nacht bereits unangefochten ihre Herrschaft bestritt, Herikos stand über ihr, sein Lichterkranz wirkte kalt, und es schien fast so, als würde das Licht um ihn herum das Innere noch finsterer machen. Kira fröstelte und beeilte sich, Sisko einzuholen, ehe er noch auf die Idee kam, eine Nachtwanderung durch die Wüste zu machen, oder was sonst einem Mann einfallen konnte, der über ein paar Scherben in Verzückung geraten konnte.

* * * * *

Das dunkle Auge der Propheten leuchtete auf, öffnete sich, und sie sah all das Finstere darin, all den Hass und all das, was die Propheten nicht waren. Sie sah, wie es auf den Schattentempel leuchtete, der sich unter diesem Blick öffnete, bereit, die Herrschaft über Bajor zu erstreiten, bereit, das helle Auge seines Bruders und damit den Himmelstempel für immer zu verschließen.
Mit einem leisen Schrei auf den Lippen wankte Kai Winn ein paar Schritte zurück, sie fühlte die Arme der Mönche um sie, ihre Besorgnis und ihre Furcht. Winn schüttelte die helfenden Hände unwirsch ab, niemand musste sie stützen. Sie beobachtete mit eisigem Gesichtsausdruck, wie einer der Mönche die Träne der Propheten schloss, und damit verging auch der blaue Glanz, der den Drehkörper umhüllte und in dessen Licht Winn ihre Vision erfahren hatte.
Ihre kühle, beherrschte, ja sogar ausgesprochen strenge Miene war bar jedes Gefühls, eine Maske, die sie schon vor langer Zeit gelernt hatte aufzusetzen. Es schwächte ihre Position, wenn sie zuließ, dass man Anzeichen von Schwäche oder sogar Furcht an ihr wahrnahm.
Aber hinter dieser Maske war sie das erste Mal seit vielen Jahrzehnten wieder ein einsames, verängstigtes Mädchen, das nach dem Trost seines Vaters rief, nach einer Umarmung, nach jemanden, der sie hielt und schützte. Winn schüttelte nicht den Kopf, um diese Gedanken abzuschütteln, sondern schickte sie rein mit der Kraft ihres Willens zurück in den hintersten Winkel ihrer Seele.
Sie strich mit einer beherrschten Geste ihre Robe glatt und blickte kühl zu den Mönchen, knapp erteilte sie den Befehl, den Gleiter der Kai für sie vorzubereiten. Erst als die Mönche den Raum verlassen hatten, gestatte sich Winn, dass ihre Maske Sprünge bekam, dass ihre Hände zitterten. Sie schloss die Augen und beschwor stumm all ihren Glauben an die Propheten, an Bajor und an sich selbst. „Oh ihr Propheten, bitte lasst mich nicht zu spät kommen.“ Winn wisperte diese Worte leise und schauderte, als ein kühler Luftzug wie ein unheilvolles Omen durch den Raum wehte und die heiligen Kerzen zum Verlöschen brachte.
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