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Wie eine Träne im Ozean

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Ein milder Wind, duftend nach wilden Kirschblüten, bewegte das grüne Schilf am Rande des Sees und kräuselte die tiefblaue Wasseroberfläche.
Kira schloss die Augen und gab sich der Illusion hin, der Wind, der ihre Haare bewegte, sei eine streichelnde Hand. So verharrte sie, auf den flachen, großen Steinen sitzend, die das Seeufer beherrschten.
Dies war ein besonderer Ort, tief verborgen in den unwegsamen Wäldern, ein Ort, den nur Kira kannte und den sie nur mit einem Mann geteilt hatte.
Zu Zeiten des Widerstandes war es ihr geheimer Platz gewesen, hierher hatte sie sich zurückgezogen, wenn sie das Gefühl hatte, das Leben als Kämpfer nicht mehr zu ertragen.
Dies war ein Ort gewesen, an dem sie weinen konnte, ohne Furcht, dass jemand sie sehen könnte und ihre Tränen als Schwäche auslegte.
Doch oft war sie auch nur hierhergekommen, um nachzudenken, die Beine in das Wasser zu halten, und zum Schwimmen, weit entfernt von allem Krieg und aller Gewalt.
Es war ihr Platz gewesen, der geheime mystische Ort, von dem sie das Gefühl hatte, dass er ihr gehörte. Hier gab es keine Angst und keine Verzweiflung, und hierher hatte sie auch nie die Cardassianer und den Hass auf sie gebracht.
Die Sonne brannte heiß auf ihren Rücken, und Kira schwitzte unter der Uniformjacke. Sie zog sie aus und warf sie achtlos zwischen die Felsen, wie die Sonne den roten Stoff aufleuchten ließ.
Sie starrte einige Sekunden lang auf die Jacke, so als sei dieses Bild ein besonderes Muster, das sich in ihre Erinnerung gebrannt hatte. Nachdenklich blickte sie in den azurblauen Himmel, es war seltsam, keine einzige Wolke war zu sehen.
Die schroffe Felswand, die das eine Ufer des Sees einnahm, warf einen scharfen Schatten über einen Teil des Wassers und ließ es dort schwarz und kalt wirken.
Warum war es an diesem einen bestimmten Tag immer so strahlend schön? Warum trübten keine Wolken diesen Tag, warum fiel kein Regen? Vielleicht wäre alles leichter gewesen, wenn es regnen würde.
Kira nahm den Kirschblütenzweig in die Hand, den sie zuvor von einem der wild wachsenden Bäume abgebrochen hatte. Die kleinen, weißen Blütenblättchen waren mit zarten Rosatönen gesäumt. Vorsichtig berührte sie die Blüten und zupfte dann entschlossen, einem Ritual gleich, die Blätter ab.

Kira rückte auf der über das Seeufer ragenden Felsnase vor und legte sich flach auf den Bauch.
Sie tauchte ihre rechte Hand in das erfrischende kühle Nass und beobachtete, wie der Atem des Windes, der diesen See kaum merklich bewegte, die abgerissenen Blütenblätter aufnahm und langsam über das Wasser trieb.
Sie stützte das Kinn auf die Hände und betrachtete, wie die rosageränderten Blätter einen eigenen Tanz auf dem Wasser aufführten.
Sie schienen Muster zu bilden, drifteten auseinander, um sich an anderen Stellen wieder zu finden. Kira schloss die Augen und ließ ihre Gedanken und Erinnerungen ebenso treiben wie die Kirschblütenblätter.


„Nerys, das kann nicht dein Ernst sein!“ Bareils Stimme klang nur halb amüsiert, ein kleiner Ton der Besorgnis schwang in dem Lachen mit.
Kira sah auf den Vedek hinab, der sich mit trägen, aber unbestreitbar eleganten Bewegungen seiner Arme über Wasser hielt.
Ein Lächeln stahl sich auf ihre Züge, sie hatte lange Zeit gebraucht, um diesen Platz mit jemand anderem zu teilen, und sie war stolz darauf, wie sehr Bareil zu diesem Ort gehörte.
Es war, als hätte sie den fehlenden Teil gefunden, der diesem besonderen Platz vollkommen machte. In diese kleine Welt gehörten nur sie und er.
Sie zog sich über die Kante der steilen Felswand und verharrte kurz, um wieder zu Atem zu kommen.
Der Aufstieg war anstrengend und nicht ungefährlich, aber sie kannte jeden Zentimeter dieses Felsens, jeden Riss, selbst die raue Beschaffenheit des rötlichen Steines war ein Teil von ihr.

Kira warf eine Kusshand nach unten und genoss kurz die Tatsache, dass man im klaren Wasser sehr deutlich die nackten Umrisse von Bareils Körper wahrnehmen konnte.
Auf den flachen Felsen unten am See konnte sie das Rot von Bareils Robe und ihrer Uniform ausmachen, die sie dort achtlos zwischen die Steine geworfen hatten.
Bareil starrte nach oben, wo Kira nun aufstand und sich anschickte, den Felsen hinab ins Wasser zu springen. Er versuchte sich einzureden, dass sie diesen Ort sehr gut kannte und die Tiefe des Sees richtig einschätzte.
Sie hatte ihm erzählt, was dieser Platz für sie und ihre Seele bedeutete, und er war tief gerührt davon, dass sie dies mit ihm teilen wollte.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, er fragte sich, was ein zufälliger Beobachter wohl von einer nackten Frau halten würde, die auf dem Felsen stand und sich vom Wind umtoben ließ, wie eine Göttin des Sturmes.
Kira stieß sich vom Felsen, schlug einige Salti in der Luft und tauchte so dicht neben Bareil in das Wasser, dass der Vedek von Wassertropfen besprengt wurde.
Bareil stieß die Luft aus, die er unwillkürlich bei diesem Sprung angehalten hatte.
Kira tauchte dicht neben ihm auf und grinste ihn auf herrlich unverschämte Art an.
„Angeberin“, erklärte er lächelnd und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. „Ich kenne noch ganz andere Tricks!“ Kira schlang unter Wasser ihre Beine um Bareil und fegte mit der flachen Hand einen Schwall Wasser in sein Gesicht.
„Biest!“ Kira legte ihre Arme um seinen Hals, wobei sie sein so sorgsam nach hinten gestrichenes Haar durcheinanderbrachte, und biss ihn spielerisch in die Nasenspitze. „Immer doch!“

Bareil lachte und öffnete die rechte Hand, weiße Kirschblütenblätter lagen darauf, und mit einem Atemzug blies er sie von seiner Handfläche Kira entgegen. Er hatte sie in der Zeit, in der Kira auf den Felsen gestiegen war, gepflückt. Nun trieben sie im Wasser neben ihr, und einige klebten in ihrem Haar und eines sogar auf der Nasenspitze.
„Du bist ein seltsamer Mann.“ Kira schnippte ihm ein Blütenblatt entgegen, das auf seiner Brust haften blieb.
Bareil nickte zustimmend. „Deshalb liebst du mich, Nerys!“ Dem konnte Kira nicht widersprechen, gerade weil Bareil anders war als jeder Mann, dem sie begegnet war, war er der einzige, mit dem sie diesen Ort teilen konnte, der einzige, mit dem sie ihre Seele teilen wollte.
Sie rückte näher an ihn und küsste ihn, seine Lippen schmeckten ebenso süß wie die wilden Kirschen, die im Spätsommer so nahe an diesem See wuchsen.


Ein Tropfen fiel auf das Wasser, kleine Ringe bildeten sich um diesen Tropfen und zogen immer weitere Kreise, bis sie sich auf der Oberfläche des Sees verloren.
Ein weiterer Tropfen fiel hinab und störte auf winzige Weise die Harmonie des Sees und brachte das Muster der treibenden Kirschblüten durcheinander.
Kira blinzelte, und ihre Hand tastete über ihre Wange, erst jetzt wurde ihr bewusst, dass es ihre Tränen waren, die sich mit dem See vermischten.
Ein See von Tränen, ein Ozean von Tränen hätte nicht ausgereicht, um ihre Trauer auszudrücken, ihren Verlust, und doch war sie nicht hier, um zu weinen.
Kira stand auf und ging einige Schritte weiter, bei einem flachen Felsen über dem sich lange Schilfrohre erhoben, die sanft im Wind wogten, blieb sie stehen.
Sie setzte sich auf den von der Sonne erhitzten Stein und legte sich auf den Rücken, die Arme ausgestreckt, und betrachtete das unwirklich intensiv erscheinende Blau des Himmels, in welches sich hin und wieder vom Wind geneigt, der Schilf lehnte. Der Wind erzeugte ein sanftes Rascheln in den Blättern der Bäume und den Pflanzen, die den See säumten.
Ein ruhige Melodie, die Kira so bekannt war, die sie schon seit Jahren begleitete, diese Art von Musik gab es nur hier an diesem Ort, und vielleicht war sie die einzige, die sie hören konnte - es hatte nur einen Mann gegeben, der diese Melodie auch vernommen hatte, und er war tot.
Kira schloss die Augen und drehte sich auf die Seite, sie presste die Wange gegen den glatten, warmen Stein und ließ sich von der Musik dieses Ortes in eine andere Welt entführen.

Bareil blickte, mit einem sanften Lächeln auf den Lippen und einem verträumten Ausdruck in seinen dunkelbraunen Augen, um sich. „Hörst du das, Nerys?“ Kira zog ihn neben sich auf den von der Sonne erwärmten Felsen und lauschte dem Rascheln und den Geräuschen des Windes in Blättern und Blüten.
Sie wischte sich verstohlen über die Augen, sie hätte es wissen müssen, dass Bareil genau verstand, was sie mit diesem Platz verband, dass er es nicht nur verstand, sondern ebenso fühlte. Sie waren in manchen Dingen so unterschiedlich, aber nicht in den Dingen auf die es ankam.
„Dies ist der Ort, an dem ich mich eins mit Bajor fühle, hierher brachte ich nie Blut und Hass, dies ist meine letzte Zuflucht gewesen, in all den finsteren Jahren.“
Bareil zog sie in seine Arme, er verstand genau, wie viel es Kira bedeutete, dies mit ihm zu teilen, keine tausend Versprechungen hätten ihre Liebe zu ihm besser ausdrücken können, als die Tatsache, dass sie ihn hierher mitnahm. Es war, als würde sie ihm ihre Seele zeigen, und in gewisser Weise mochte dies auch stimmen. „Verlass mich niemals, Bareil!“ Ihre nachtschwarzen Augen, die ihn so verzaubern konnten, waren voller Ernst.
„Ich werde immer ein Teil von dir sein, Nerys“, schwor Bareil und küsste sie leidenschaftlich.
Langsam, mit aller Zeit der Welt, schaukelten sie sich in einem gegenseitigen Liebesspiel zu einem Höhepunkt der Lust. Sie kannten einander gut genug, um all die kleinen, geheimen Stellen zu wissen, die den anderen zum Erschaudern und Erzittern brachten.
Kurz hielt Bareil in den leidenschaftlichen Stößen seiner Lenden inne, um Kira in die Augen zu sehen. Sie starrten einander an, und jeder hatte den Eindruck, bis in die tiefsten Winkel der Seele des anderen zu blicken.
Nie zuvor war sie so offen gewesen, so verletzbar, und nie waren sie einander näher gekommen. In diesem zeitlosen Augenblick wusste Kira nicht mehr, wo sie anfing und aufhörte, und wo Bareil begann und endete.
Sein Herzschlag war ihrer, ebenso wie seine schnellen Atemzüge die ihren waren. Mit einem letzten Stoß seines Beckens trieb er sie über die Grenze, kam gleichzeitig zum Höhepunkt, und es war, als könnte sie seine Befriedigung ebenso deutlich fühlen wie die ihre.


Kiras Hände strichen über den sonnenbeschienenen Felsen, so als suchten sie etwas. Sie öffnete die Augen und blinzelte im hellen Licht, sie fragte sich, ob es Schicksal gewesen war, dieser eine Tag mit Bareil, an diesem Ort.
Es war der letzte Tag gewesen, den sie zusammen verbrachten, kurz vor dem Unfall, kurz vor dem Ende all ihrer Träume und Hoffnungen, die sie zusammen mit Bareil hatte leben wollen.

Hatten sie es auf irgendeine Weise gewusst, dass es etwas Besonderes war, das letzte Mal? Waren ihre Empfindungen deshalb über alle Maßen geschärft gewesen?
Kira saß auf dem Felsen, bis die Schatten die sonnige Wärme darauf vertrieben.
Der Sonnenuntergang ließ seine Farben über den See gleiten, tönte den Himmel in rötliche Strahlen, die sich zu den dunkleren Tönen von Lavendel und Violett färbten, während die Nacht ihre Herrschaft über den Himmel einforderte.
Das dunkle, melancholische Heulen, welches durch den Wald scholl und sich an dem schroffen Felsen brach, verwunderte sie nicht. Wie hätte es anders sein können?

„Was war das?“ Bareil war überrascht, er kannte Wolfsgeheul, doch in diesem melancholischen, durchdringenden Laut lag eine ganze Bandbreite von Gefühlen.
Kiras Gesicht erhellte sich, und sie nahm Bareils Hand in die ihre, es schien, als würde ihnen ein besonderes Geschenk zuteil.
„Nachtwölfe!“ Bareil starrte Kira von der Seite her an, sein Griff um ihre Hand verstärkte sich ein wenig.
„Keine Sorge, Bareil, sie werden uns nichts tun.“ Kira wusste nicht so genau, woher sie diese Gewissheit nahm, aber sie war da.
„Ich weiß, was du mir über deine Begegnung mit den Nachtwölfen erzählt hast, Nerys. Und ich kenne die Legenden und Geschichten, aber sie sind nicht nur Wanderer zwischen den Welten von Leben und Tod, sie sind auch Wölfe, und sie können auch hungrige Wölfe sein!“
Kira wusste, dass er recht hatte, sie begriff ja selbst nicht, was die Nachtwölfe alles verkörperten, und doch war da einfach das Wissen in ihr, dass ihnen nichts passieren würde.
„Da sind sie!“ Kira deutete in die Schatten unter den Kirschbäumen. In zwei Augenpaaren fing sich das letzte Licht des Tages, und sie wirkten golden und silbern, wie geschmolzenes Metall.
Sie sind wunderschön“, Bareil betrachtete die gewaltigen Wölfe mit einem Gefühl von leichter Besorgnis und religiöser Verzückung.
Es hieß, sie seien die reinsten Kinder der Propheten, die in beide Welten blickten, in die der Lebenden und die der Toten. Schattengänger und Wegbegleiter in die andere Welt.

Kira betrachtete Bareils Gesicht, während er die Nachtwölfe bestaunte, ehrfürchtig und neugierig zugleich. Sein Gesicht war ein Spiegel seiner Gefühle, war es immer schon gewesen.

Der schwarze Wolf, dessen weißer Streifen längeren Fells sich abhob, wie ein Mondstrahl in dunkler Nacht, trottete näher heran, und sein dunkelgrauer Gefährte folgte ihm wie ein hellerer Schatten.
„Ihr braucht keine Furcht zu haben“, die Stimme des Vedeks überraschte Kira nicht. Bareil hingegen spähte in die Schatten, die den hochgewachsenen Vedek umwogten, wie einen schützenden Mantel.
„Ich habe Legenden über den Vedek gelesen, der die Nachtwölfe begleitet. Den ewigen Wanderer, zwischen allen Welten, den sichtbaren und unsichtbaren.“ In der aufziehenden Dunkelheit war das Lächeln des Vedek nur ein helles Aufblitzen in einem Gesicht, das den Schatten gehörte.
„Ich war ein Krieger, ehe ich ein Vedek war, um dann meine Bestimmung erst als Opfer zu finden“, er verstummte. „Und darin sind wir uns ähnlich, Bruder!“
Kira fragte sich, was die seltsamen Worte des Vedek bedeuteten, sie war sich nie ganz sicher gewesen, ob sie wirklich verstand, was er sagte, oder ob ihr dabei die Essenz seiner Worte entging.

„Dies ist ein schöner Abend, ein besonderer Tag, der für euch zur Neige geht. Ich möchte dir ein Geschenk machen, Bruder. Deiner Gefährtin machte ich es vor vielen Jahren, und wenn du es annehmen willst, so mache ich es auch dir.“
Bareil blickte Kira an, sie wusste, was der Vedek meinte, die Sicht aus den Augen eines Nachtwolfes. „Es war eines der größten Geschenke meines Lebens, Bareil, nach deiner Liebe, vielleicht das größte. In den finsteren Jahren der Besatzung habe ich oft aus dieser Gewissheit Kraft gezogen, und ich ziehe noch immer Kraft aus diesem Wissen, eins zu sein mit Bajor und allem Leben.“

Bareil nickte und schloss die Augen, um eins zu werden mit den Nachtwölfen. Kira bedauerte, diese Sicht nicht zusammen mit ihm teilen zu können, aber sie wusste, was er sah. Die vielfarbenen Auren, die um jedes Lebewesen, jede Pflanze und sogar um Steine und Erde glühten, und die zarten, filigranen Gespinste aus Licht und Farben, die alles miteinander verbanden.
Erde, Wasser, Luft und Steine - alles war eins, sie sah, wie sich Erstaunen und fast kindlich erscheinende, reine Freude in seinem Gesicht abwechselten.
In sein Gesicht zu blicken, während er dieses Geschenk erhielt, war fast so wie selbst durch die Augen eines Nachtwolfes zu blicken.
Die Wölfe zogen sich zurück und mit ihnen, gehüllt in den Schutz der Nacht, der geheimnisvolle Vedek.
Bareil öffnete die Augen wieder und lächelte verträumt, er bewegte seine Hände, so als könne er die feinen Gespinste noch immer sehen.
„Ich wusste, dass alle Dinge auf Bajor verbunden sind, aber ich hätte nicht zu hoffen, nicht zu träumen gewagte, dass es so sein könnte. Wir sind eins mit allem, und ich wünschte, du hättest sehen können, wie sehr verbunden und verknüpft unsere Auren miteinander waren.“

Kira lächelte ihn an und legte ihre Hände auf seine Wangen. „Ich brauche es nicht zu sehen, Bareil, denn ich fühle es, und wenn ich es sehen will, dann brauche ich nur in deine Augen zu blicken.“ Bareil lächelte und küsste sanft ihre Handinnenflächen, zuerst die rechte und dann die linke.


Kira blickte auf ihre Handflächen, es war als könne sie immer noch seine Lippen auf ihrer Haut spüren. Der schwarze Nachtwolf trottete näher, er war allein. Kira fragte sich, ob auch er seinen Gefährten verloren hatte.
Der weiße Streifen Fell, der seinen Rückenkamm zeichnete, war gesträubt, und Kira ließ ihre Hand über den rauen Pelz gleiten. Ihre Augen suchten die Schatten der Bäume ab, aber sie konnte den geheimnisvollen Vedek nicht entdecken.
Seine Worte an Bareil waren immer noch in ihren Ohren, dass er seine Bestimmung als Opfer finden würde. Der Vedek hatte gewusst, wie gnadenlos die Zukunft zuschlagen würde. Warum hatte er sie nicht gewarnt?
Kira drückte ihr Gesicht an den kühlen, glatten Pilz der Schulterpartie des Nachtwolfes, der ein knappes Schnauben ausstieß, aber sich nicht bewegte.
Es war sinnlos, mit dem Schicksal zu hadern, es gab keinen Weg, die Zeit zurückzudrehen, keine Möglichkeit, Bareil zurückzuholen, so sehr sie das auch gewünscht hätte.
Sie streichelte über das Fell des Wolfes, alles auf Bajor war miteinander verbunden, das wusste sie. Bedeutete dies nicht auch, dass die sichtbaren und unsichtbaren Welten miteinander verbunden waren?
War dieser Schattengänger und Wanderer zwischen Lebenden und Toten nicht ein Beweis dafür?
Der Schmerz war nicht mehr so schneidend wie zuvor, sie hatte ihre Erinnerungen. War ihre Liebe, so kurze Zeit sie auch nur gewährt hatte, nicht so stark gewesen, wie es manche niemals in ihrem ganzen Leben empfanden?
Lag in diesem einen Tag hier, an diesem besonderen Ort, nicht ein ganzes Leben?
Die Tränen, die auf den Pelz des Wolfes fielen, waren nicht mehr voller Trauer über das Verlorene, sie waren vielmehr Teil einer Liebe, die ihr niemand nehmen konnte - auch der Tod nicht. Sie gab den Wolf frei, nächstes Jahr würde sie wiederkommen, an diesem besonderen Tag, an dem ein ganzes Leben gelebt worden war.

In einer anderen Welt, in der es keinen Schmerz und keine Trauer gab, und wo die Zeit nur wenig Bedeutung hatte, begrüßte ein hochgewachsener Mann in roter Robe den schwarzen Nachtwolf.

Bareil beugte sich zu seinem Wolfsfreund hinab, und seine Hand wanderte über das Fell des Tieres. Ein Lächeln glitt über seine Lippen, und er ging elegant neben dem Wolf in die Hocke. Im Fell des Schattengängers war noch immer die Energie, die Kiras Hand auf ihm hinterlassen hatte.
Alle Dinge auf Bajor waren miteinander verbunden. Er streichelte über das Fell und hielt inne. In den raueren Haaren des weißen Rückenkamms glänzte silbern eine Träne.
In dieser Welt war er nicht auf die begrenzten Sinne der Lebenden beschränkt, er fühlte alles, was mit dieser Träne verbunden war, er konnte sogar das Bild von Nerys in ihr heraufbeschwören.

Nur eine Träne in dem Ozean aller geweinter Tränen der Welt, und doch war es eine besondere Träne, eine Träne nur für ihn.
Bis zu einem gewissen Grad konnte er auch von dieser Welt aus seine Hand schützend über Nerys halten, er wusste, dass es andere Männer in ihrem Leben geben würde, und das entsprach auch seinem Wunsch.
Aber er wusste genau, dass sie niemanden zu diesem geheimen Ort bringen würde. Diesen Ort hatte sie nur mit ihm geteilt, und ein Stück von ihr würde immer ihm gehören, so wie er ein Teil von ihr war.
Er ließ die Träne in seine Handfläche rinnen und drückte die Hand an sein Herz, es gab keinen Schmerz, keine Trauer in dieser Welt aber die Sehnsucht gab es.

Die Sehnsucht danach, sie in seine Arme zu schließen, sie zu küssen und nie mehr loszulassen.

Die Zeit war hier nahezu bedeutungslos. Eines Tages würde sie diese Welt betreten, und er würde auf sie warten, einen Kirschblütenzweig in seiner Hand und all ihre Tränen gesammelt in seinem Herzen.
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