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Am Ende des Tunnels ein Irrlicht

von VGer

Am Ende des Tunnels ein Irrlicht

„Jeder von Ihnen war im Laufe seiner Karriere schon einmal der einzige Arzt auf einem winzigen Schiff, ohne Assistenzpersonal und auf einer Krankenstation in der Größe eines Klasse D Frachtcontainers, oder mitten in den Kampfhandlungen an der Front, wo einem die Krankenstation um die Ohren fliegt und man dutzende Schwerverletzte auf einmal bekommt und trotzdem sein Bestes geben muss. Sie kennen das, und sie glauben, das sei das Schlimmste was Ihnen je passiert ist. Vergessen Sie’s. Was uns bevorsteht ist eine ganz besondere Herausforderung, nicht moderne Medizin sondern Katastrophenhilfe. Danke für Ihren Einsatz.“

Doktor Julian Bashir sah sich auf der Krankenstation um. Mit ihm waren sie ein Team von zwölf Personen – fünf Ärzte, fünf Krankenpfleger, zwei Techniker – und auf sie wartete ein humanitärer Hilfseinsatz auf Cardassia Prime, genauer gesagt in Lakarian, das von den Bomben des Dominion wohl am schwersten getroffen worden war. Er machte sich nichts vor, denn dort wo ein Bombardement innerhalb von Minuten zwei Millionen getötet und nochmal zwei verwundet oder zumindest entwurzelt hatte konnten zwölf freiwillige Hilfskräfte von einer fremden Welt, und seien sie auch noch so engagiert, nur wenig ausrichten. Doch er wollte es zumindest versuchen, als sei er ein Licht am Ende des Tunnels, auch wenn er genau wusste, dass dieser Tunnel wohl wesentlich länger war als die meisten und das Licht nur ein schwaches Flackern, ein irrlichterndes Streichholz das rasch verloderte und wenig erhellte.

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„Bist du dir sicher, dass du nicht doch mitkommen willst?“, fragte er mit Nachdruck, als er an der Andockschleuse stand und sich verabschiedete. „Krisenintervention. Das müsste dir doch liegen. Du bist Psychologin, und der Krieg hat viel mehr zerstört als nur Gebäude.“
„Julian, ich... wir haben doch darüber gesprochen, ich kann nicht, ich werde hier gebraucht.“, sagte sie und küsste ihn nochmals auf den Mundwinkel. „Drei Monate. Bis dann. Schreib oft.“
„Jaja.“, sagte er abwehrend, mit einem Fuß im Shuttle und mit den Gedanken schon ganz woanders.

Ezri Dax blieb noch einige Minuten an der Schleuse stehen, starrte ihm kopfschüttelnd nach, dann verschränkte sie die Hände fest hinter dem Rücken und kehrte in ihren Alltag zurück.

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„Krankenhaus?“ Die Cardassianerin lachte höhnisch. „Sehen Sie den Krater, dort vorne? Das ist das Krankenhaus.“
Julian Bashir schluckte während er der jungen Frau erklärte weshalb sie hier waren. Seit Wochen schon plante er diesen Einsatz mit der ihm eigenen Akribie, und das Bild, das ihm die Koordinatoren der Hilfsorganisationen und der cardassianischen Behörden, oder was davon übrig geblieben war, vermittelt hatten war ein gänzlich anderes. Er hatte nicht genau gewusst was er erwarten sollte, doch er hatte definitiv etwas anderes erwartet. Sie waren auf sich allein gestellt.
„Es tut mir leid, Doktor, das hier ist eine Schule, auch wenn sie der meisten Schüler leider beraubt wurde. Ich wüsste nicht was dagegen spricht das Gebäude als provisorisches Krankenhaus zu benutzen, allerdings wüsste ich auch nicht wen man fragen könnte, der Verwaltungsapparat liegt in Schutt und Asche wie alles andere hier.“, sprach die junge Cardassianerin weiter. „Wie auch immer, nötig wäre es. Wir sind seit dem zweiten Bombardement ohne jede medizinische Versorgung.“
„Gut. Und sie sind nicht zufällig die Schulkrankenschwester?“, fragte Julian.
„Nein, ich bin Lehrerin. Aber ich habe ein Erste-Hilfe-Training und weiß das eine oder andere über Kinderkrankheiten, falls das hilft.“, sagte die junge Cardassianerin schmunzelnd. „Außerdem kenne ich einige Ärzte und Pfleger, die im Krankenhaus gearbeitet haben als es noch stand, und die überlebt haben. Wir haben keinen Strom und keine Kommunikation, aber ich kann versuchen sie zu erreichen. Von einer weiß ich, Galina Hebit, sie versucht ihre Ordination weiter zu betreiben, aber sie hat kaum Material und Medikamente.“
Julian nickte nur.

Inzwischen hatten sich etliche Cardassianer neugierig um das so exotische Sternenflottenshuttle versammelt. Die Lehrerin, die allem Anschein nach ihre unwahrscheinliche erste Verbündete auf Cardassia und hier in Lakarian geworden war, erklärte was vor sich ging und viele der Personen, die selbst nichts mehr hatten, versprachen dennoch ihre Unterstützung und redeten aufgeregt durcheinander. Die einen wussten von Nachbarn, die dringend medizinische Hilfe brauchten, die anderen kannten überlebende medizinische Fachkräfte und wollten sie benachrichtigen, wieder andere boten an, in den Ruinen des Krankenhauses nach verwertbarem zu suchen oder sich anderweitig zu beteiligen. Alle zwölf Katastrophenhelfer waren überraschter als sie es zugeben wollten, schließlich hatten sie jahrelang so viel gehört über die sprichwörtliche Aggression, die Hinterlist, die Gefühlskälte, die Grausamkeit der Cardassianer, und auch wenn sie sich alle als aufgeklärte und objektive Personen betrachteten, hatten sie das eine oder andere geglaubt. Was ihnen jetzt begegnete, passte so gar nicht ins Bild der Vorurteile, es war eine Welle der Dankbarkeit, die ihnen entgegenschlug.

Sie machten sich also an die Arbeit, auch wenn sie kaum wussten wo sie anfangen sollten. Sie hatten damit gerechnet, in ein bestehendes Krankenhaus zu kommen und dort unterstützend einzugreifen, nicht von Grund auf neu anzufangen und mit bloßen Händen ein behelfsmäßiges Feldlazarett zu errichten.

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Stunden wurden zu Tagen, Tage wurden zu chronisch adrenalingetränkter Müdigkeit und nachts saßen sie bei Kerzenlicht zusammen, um den aus den Solarkollektoren des Shuttles gewonnenen Strom zu sparen, und hielten sich mit brüderlich geteiltem Kanar und Feldrationen aufrecht. Doktor Bashir hatte Recht behalten mit seiner Einschätzung, dass dies nicht Kriegsmedizin sondern Katastrophenhilfe war. Die beim Bombardement verletzt worden waren, waren schon längst tot, was sie jetzt plagte war Unterernährung, mangelnde Hygiene und Infektionen, die allmählich zu Seuchen werden drohten und die sie verhindern mussten.

„Wir müssen den Leuten irgendwie klarmachen, dass sie aufhören müssen, Kellras zu essen.“, seufzte Suri Ravesh, eine der älteren menschlichen Ärztinnen. Ein Kellra war ein der irdischen Schildkröte ziemlich ähnliches Tier, das im nahegelegenen Fluss heimisch war.
„Was sollen sie denn sonst essen?“, fragte Alani Toled, eine der cardassianischen Krankenpflegerinnen, sarkastisch zurück.
„Jedenfalls keine Kellras, es stimmt schon was Suri sagt.“, bestätigte Robert Stermann, ein menschlicher Arzt. „Die sind völlig verseucht, so wie der Fluss. Keine Ahnung, was aus dem Kraftwerk da alles hinein fließt, aber gesund ist es nicht, und Erbrechen und Durchfall sind es bei unserer Lage auch nicht.“
„Vergiften oder verhungern.“, kommentierte Iliana Marritza, die junge Lehrerin, die seit dem allerersten Tag nicht mehr aus ihrer Gruppe wegzudenken war, spitz.
„Genau. Also bitte sagt es jedem der euch zuhören will, das ist wichtig.“, nickte Robert. „Ich glaube, wir sollten auch ein Schild oder so etwas unten am Fluss anbringen, bei den Angelplätzen.“ Er überlegte kurz und sagte dann etwas auf Cardassianisch, denn trotz der unschätzbaren Hilfe der Universalübersetzer hatten alle begonnen die Sprache etwas zu lernen.
Alani und Iliana prusteten verhalten los und Robert schaute sie verdattert wie ein Schuljunge an. Der Humor der Situation erschloss sich ihm nicht ganz.
„Entschuldige, Robert, entschuldige.“, kicherte Iliana frech und legte ihre Hand beschwichtigend auf seine. „Du wolltest sagen: ‚Esst keine Kellras.’, aber du hast gesagt ‚Die Kellras werden euch nicht essen.’“
„Schon gut, Frau Lehrerin.“ Jetzt lachte auch Robert. „Das ist wirklich lustig. Wer weiß, wenn sie das Kraftwerk nicht bald reparieren, dann mutieren die Viecher vielleicht und kommen an Land um sich an uns zu laben...“
„Apropos Kraftwerk, habt ihr es gehört?“, mischte sich Julian Bashir ein und legte seine müden Füße auf den Tisch neben Suris. „Irgendeine Delegation von der Interimsregierung soll am Wochenende kommen um den Wiederaufbau zu besichtigen. In erster Linie wollen sie natürlich ins Kraftwerk, aber auch zu uns.“
„Aber wenn sie keine Antibiotika mitbringen, dann schmeiße ich sie wieder raus.“, ätzte Suri gutmütig. Es war nicht ihre erste derartige Hilfsmission, sie konnte von allen am Besten mit den harten Bedingungen umgehen.
„Das Restaurationsministerium.“, kommentierte Alani.
„Ihr Cardassianer habt echt ein Ministerium für alles.“, neckte Robert jovial und zwinkerte zu Iliana.
„Wir sind eben Cardassianer. Unsere Gesellschaft beruht seit jeher auf Strukturen und Sicherheit.“, erklärte Iliana, mit den Schultern zuckend. Dann leuchteten ihre Augen auf, als wäre ihr etwas eingefallen. „Kennt ihr den Restaurationsminister eigentlich? Man sagt, er hätte früher in der Föderation gelebt.“
„Ach, Iliana. Wie sollte das denn gehen, die Föderation ist so groß.“, schmunzelte Julian amüsiert ins Zwielicht. „Restaurationsminister. Das klingt fast so als sei das ein Minister für Restaurants. Da fällt mir ein, ich bin hungrig, wer noch?“
„Die Spezialität des Tages in unserem noblen Restaurant sind Energieriegel, Herr Doktor.“, sagte Mekoo Telpav, ein bolianischer Krankenpfleger. „Wir haben bis morgen kein Wasser mehr, hat denn niemand den Knall gehört? Der Generator der Aufbereitungsanlage hat gerade den Geist aufgegeben.“
Vielstimmiges Stöhnen verpuffte in der ausgebrannten Dunkelheit der Nacht.

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Als die Delegation der Regierung das Kraftwerk besuchte, war Julian Bashir zu beschäftigt um hinzugehen, er hatte es sogar wieder gänzlich vergessen während er in der brütenden Sommerhitze schwitzte und sich elender fühlte als die meisten seiner Patienten. Die Kellras waren außergewöhnlich zähe Geschöpfe, die auf wundersame Weise in ihrem verseuchten Habitat überleben konnten, doch für die Cardassianer galt das nicht im gleichen Maße. Ihr wohlmeinender Versuch der Aufklärung hatte nur mäßigen Erfolg gebracht, und mit jedem Tag kamen mehr Patienten mit Vergiftungssymptomen. Sie zitterten und krampften und erbrachen sich, und der beißende Geruch der kranken Körperflüssigkeiten, die unter der Sonne allmählich vertrockneten bevor man auch nur ansatzweise die Zeit gefunden hatte alles gründlich zu säubern schlug sich selbst auf den hartgesottensten Medizinermagen. Genervt hieb Julian Bashir auf den einmal wieder streikenden Replikator ein, der wegen des Energiemangels nur stotterte anstatt seinen Dienst zu tun; wenn sie dafür nicht schnellstens eine Lösung finden konnten, würde es ihnen schon bald am Allernötigsten fehlen, an sauberen Leintüchern und an hygienischen Entsorgungsmöglichkeiten. Kleinigkeiten, die er immer für so selbstverständlich gehalten hatte, dass er nie zuvor auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte. Es schien ihm unglaublich. Desillusioniert wie er war blaffte er einen der Techniker an, was ihm sogleich wieder Leid tat, denn auch er und sein Kollege waren weder Schuld an der Situation noch konnten sie kurzfristig etwas daran ändern.

„Hier möchte dich jemand sehen.“, riss ihn die Stimme seiner cardassianischen Kollegin Galina Hebit aus seiner murmelnden Frustration.
„Muss warten, habe noch elf Patienten. Einer nach dem anderen.“, antwortete er ohne aufzusehen. „Wie war das Treffen mit der Regierung?“
Er hatte Galina, gemeinsam mit Doktor Suri Ravesh und ihrer treuen Assistentin Iliana Marritza, zu dem Termin im Kraftwerk geschickt, obwohl eigentlich jeder von ihnen unentbehrlich gewesen wäre. Er war zwar offiziell der Leiter des Hilfseinsatzes und ihres provisorischen Krankenhauses, doch er hatte den beiden Cardassianerinnen und der erfahrenen alten Ärztin voll und ganz vertraut, dass sie das besser bewältigen konnten als er – schließlich war er Arzt und kein Politiker.
„Sie waren sehr enttäuscht, dass du nicht selbst gekommen bist, Bashir.“, sagte Galina vorsichtig.
„Ging nicht. Du siehst doch wie es hier zugeht, das ist für Lakarian. Davon kann sich die Delegation gerne selbst ein Bild machen.“, sagte Julian kurz angebunden, und beinahe triumphierend nahm er den Stapel frischer Leintücher, zu dem er den Replikator nach mühsamem Zweikampf endlich überreden hatte können, aus dem Gerät.
„Deswegen sind wir hier.“, sagte eine andere Stimme ruhig. „Mein lieber Doktor.“

Unter der unbarmherzig prallen Mittagssonne fror Julian Bashir unvermittelt, und es brauchte einige Augenblicke, bis er sich gefangen hatte und sich umdrehen konnte. Ganz langsam. Diese Stimme, sie war ihm so gut bekannt und doch hätte er nicht damit gerechnet, sie wieder zu hören. Das war nicht möglich, er musste sich verhört haben. Der Schweiß, der unaufhörlich seinen Rücken hinunterrann und in seinem ausgeleierten Hemd versickerte, wurde kalt. Er blinzelte – zweimal, dreimal – um sich zu vergewissern, dass es kein durch die Hitze herbeihalluziniertes Trugbild war, das vor ihm stand, an Galinas Seite, und ihm das strahlendste Lächeln schenkte.

„Wenn ich vorstellen darf, der offizielle Vertreter von der Delegation der Interimsregierung.“, sagte Galina eilig, „Unser sehr verehrter Herr Restaurationsminister...“
„Garak.“

Seine Stimme klang rauher und kratziger als erwartet.

„Mein lieber Doktor, ich sehe schon, Sie leisten hier trotz der eher schwierigen Bedingungen alles übermenschenmögliche für eine Welt, die nicht Ihre ist.“

Der Cardassianer machte zwei entschlossene Schritte auf den Doktor zu und legte wie zur Begrüßung seine Hände auf die schmalen menschlichen Schultern. Julian erwiderte ein unbeholfenes Grinsen und musterte ihn eindringlich, die allzu vertrauten Gesichtszüge, die bei all den Ereignissen der letzten Zeit zu Erinnerungen verblasst waren wie das Meiste, was er auf Deep Space Nine zurückgelassen hatte, Freunde und ein Leben, eine surreale Erinnerung die nur manchmal in langen Nächten trösten konnte.

„Ich freue mich außerordentlich, Sie wieder zu sehen. Leider wurde ich über Ihr Kommen nicht informiert.“, sagte Garak mit einem bedauernden Gesichtsausdruck und neigte den Kopf zur Seite, während er Julian fixierte.
„Das von jemandem zu hören, für den Informationen über alles und jeden stets das Wertvollste waren, verwundert mich.“, schmunzelte Julian, froh etwas von seiner üblichen Schlagfertigkeit wiedererlangt zu haben.
„So ändern sich die Zeiten.“, konterte Garak.
„Und ich gehe Recht in der Annahme, dass Sie nicht als einfacher Schneider zu uns gekommen sind?“, fragte Julian neugierig, und mit einem Blick auf den Stapel Leintücher, die er noch immer in der Hand hielt, fügte er schelmisch grinsend hinzu, „Auch wenn wir durchaus Verwendung für einen kompetenten Schneider hätten, keine Frage.“
„In der Tat.“, schmunzelte Garak. „Ich bin hier als einfacher Vertreter der Interimsregierung.“
Julian starrte verwundert.

Sie gingen Schulter an Schulter durch die eigenhändig zum provisorischen Krankenhaus umgebaute Schule, die zwei Assistenten Garaks und Galina Hebit dackelten ihnen dienstbeflissen hinterher und mischten sich doch nicht in ihr Gespräch ein. Julian erläuterte und Garak hörte fortwährend kommentierend zu, er gestikulierte und fragte und sein blitzblauer Blick zeigte unverhohlenes Interesse und seine Zunge hatte nichts von ihrer alten Schärfe verloren. Und als Garak die Lippen schürzte und missbilligend zischte musste Julian unwillkürlich auflachen, es war ihm für einen kurzen Moment nur als sei alles wie immer.

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Garaks unerwarteter Besuch ließ Julian überraschend still und nachdenklich zurück während das galgenhumorige Feierabendgeplänkel seiner Kollegen unaufhörlich durch die Nacht plätscherte. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft auf Cardassia reflektierte er, und zum ersten Mal dachte er wieder an Ezri. Dass sie nicht mitgekommen war, dass sie ihn nicht so unterstützte wie er es erhofft oder gar erwartet hatte, das ärgerte ihn insgeheim noch immer, und geschrieben hatte er nicht. Er befahl dem Computer inmitten all der diktierten Krankenakten eine neue Aufzeichnung zu beginnen, einen persönlichen Brief.

„Hallo, Ezri, ich bin’s.“

Noch während er sprach bemerkte er, dass es eigentlich nicht sie war, der er sich mitteilen wollte, sondern Jadzia. Ihre unerschütterliche Freundschaft vermisste er mehr als seine Freundin.

„Computer, letzte Aufzeichnung verwerfen und neue beginnen. Hallo Miles, alter Kumpel.“

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Wenige Tage später erhielt er eine Transmission über den offiziellen Kanal der Regierung voller offizieller, gestelzt klingender Regierungsformulierungen. Der Restaurationsminister und der Gesundheitsminister beorderten ihn in die Hauptstadt, um seine Expertise zur Situation zu erläutern, und eventuelle weitere Kooperationen mit der Föderation. Julian fluchte vor sich hin und sah sich in dem zum behelfsmäßigen Untersuchungsraum umgebauten Klassenzimmer um. Auch wenn es ihn durchaus ehrte, dass man auf seine Expertise und seine Meinung wert legte hatte er eigentlich weder die Zeit noch die Nerven dafür, es war zu viel zu tun. Doch er konnte die Einladung schlecht ausschlagen oder Galina oder Suri an seiner Stelle schicken, man hatte explizit nach ihm verlangt. Widerwillig öffnete er den Anhang, welcher der Transmission beigefügt war, eine kurze persönliche Nachricht waberte über den holographischen Schirm.

„Ich weiß wie unentbehrlich Sie sind, mein lieber Doktor. Doch ich vertraue Doktor Hebit und Ihrem Team, dass sie auch in Ihrer Abwesenheit gut zurechtkommen werden, und ich werde mich bemühen Zeit für ein Mittagessen mit Ihnen zu finden, um der alten Zeiten willen.“

Verdammt, Garak. So enervierend wie immer.

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„Sind sie nicht entzückend, die beiden?“, kommentierte Diego Herrera, einer der menschlichen Krankenpfleger.

Es war offensichtlich, wen er meinte: Iliana Marritza und Doktor Robert Stermann, die sich ganz bewusst etwas von der Gruppe entfernt hatten. Sie unterhielten sich leise und hielten sich bei den Händen.

„Cardassianer finden es äußerst unhöflich, über das Privatleben anderer zu spekulieren.“, schalt Alani Toled, eine der cardassianischen Krankenpflegerinnen, pikiert.
„Menschen sehen das anders. Wir sprechen über unsere Freunde um zu zeigen, dass wir uns für sie interessieren und uns um ihr Wohlergehen sorgen.“, erklärte Diego.
„Das ist seltsam.“, kommentierte Alani, beinahe etwas missbilligend.
„Nicht seltsam, nur anders.“, sagte Galina Hebit, die cardassianische Ärztin. „Cardassianer und Menschen sind sehr verschieden, und es ist schön zu sehen, dass sich diese Unterschiede trotz allem überwinden lassen.“
„Freundschaften lassen sich nicht an der Spezies festmachen.“, fügte Julian Bashir mit einem zustimmenden Nicken hinzu. „Ich glaube, das beweisen wir alle hier jeden Tag aufs Neue.“
„Verzeiht meine Menschlichkeit, ich möchte wirklich niemandem zu nahe treten, aber ich denke, das ist schon mehr als Freundschaft. Zumindest was Iliana und den jungen Doktor angeht.“, schmunzelte Galina amüsiert. „Sie treffen sich sogar schon zum Mittagessen.“
„Was ist denn an Mittagessen so besonders?“, fragte Diego. „Wir sehen uns doch sowieso tagtäglich und fast ständig.“
„Mittagessen bedeutet, dass die andere Person einem so wichtig ist, dass man sich während der Zeit des Tages, wo man normalerweise am meisten zu tun hat, besonders Zeit nehmen möchte.“, erklärte Alani. Sie klang so, als würde sie mit einem besonders begriffsstutzigen Kind über irgendetwas besonders offensichtliches sprechen, dass Feuer heiß sei oder die Nacht finster.
„Wenn wir uns verabreden tun wir das eigentlich immer abends, eben weil wir da mehr Zeit haben.“, widersprach Diego.
„Ja, aber was ist dann das besondere dabei?“, fragte Alani zurück, und schaute mindestens ebenso verwundert drein. „Wenn man sich trifft wenn man sowieso Zeit hat muss man sich nicht die Zeit nehmen. Das ist nicht besonders schmeichelhaft und auch nicht besonders romantisch.“
„Wir bringen dafür Blumen mit, das ist romantisch.“, sagte Diego.
„Zum Essen? Sind Föderationsblumen denn schmackhaft?“, fragte Galina. „Alani hat doch recht, das ist seltsam.“

Julian Bashir beobachtete verstohlen weiter im Halbdunkel die aufblühende junge Liebe zwischen diesem ziemlich ungewöhnlichen Paar. Robert lachte und Iliana schmunzelte, dann legte sie die Hände auf seine Schultern und neigte ihren Kopf schüchtern zur Seite.

Die Erkenntnis traf ihn mit voller Wucht in die Magengrube. Julian Bashir verschluckte sich beinahe an seinem Kanar.

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Die Reise von Lakarian in die Hauptstadt kostete einiges an Anstrengung und dauerte beinahe zehn Stunden, währenddessen Julian Bashir still aus dem Fenster des Shuttles starrte. Es war tatsächlich eine andere Welt, verkrustet und roh, die unter ihm lag, und von überallher starrten ihn wie zum Hohn unbarmherzig ausgebrannte Ruinen an. Es waren nichts als die verkohlten Reste eines stolzen Imperiums. Mit dem Cardassia, das Garak so sehr geliebt hatte, dem die Poeten und Philosophen, deren Werke Garak ihm geliehen hatte und über die sie ganz vortrefflich debattiert hatten, ein literarisches Denkmal gesetzt hatten, dieser kultivierten alten Welt voll ordentlicher Ästhetik und undurchschaubarer Konventionen, schien das Cardassia, das sich ihm hier und jetzt präsentierte, gar nichts gemein zu haben. Er hätte es gerne kennen gelernt. Einige Zeit lang flogen sie über ein Gebirge, das aus saftigem grünen Wald herausragte, friedlich und völlig unbeeindruckt, und es wurde von einem breiten Fluss durchschnitten, der von oben herab erfrischend klarblau erschien, nicht kränklich braun wie der Fluss der durch Lakarian floss. Die Gegend wirkte fast unwirklich, wie eine Oase, bis ihm wieder einfiel, dass es die zerstörten Städte und verhungernden Dörfer waren, die surreal waren, und nicht die Schönheit der Natur. Allmählich begriff er die kollektive Trauer eines ganzen Volkes, eines ganzen Planeten, verstand Galina Hebits Worte, als sie sagte, dass die Bomben tiefer getroffen hatten als nur in Bausubstanz.

Die Hauptstadt schien noch heißer zu sein als Lakarian, noch niederschmetternder. Julian Bashir hatte zehn Stunden nicht geschlafen und wurde doch sogleich in einen Konferenzraum verschleppt aus dem es kein Entkommen gab und auch keinen Kaffee, denn die belebende Wirkung von Koffein war Cardassianern unbekannt. So neutral wie möglich lieferte er Analysen und Prognosen ab, stand Rede und Antwort, schilderte seine Erfahrungen in den Trümmern von Lakarian, verfolgte ziellose Debatten zwischen Politikern die er nicht immer verstand, versuchte die Augen offenzuhalten. Erst nach Stunden machten sie eine Pause, in der Garak ihn unauffällig beiseite zog.

Julian Bashir schimpfte wie sich das wohl kein Cardassianer ungestraft trauen hätte dürfen, doch er war kein Cardassianer sondern ein übernächtigter, ausgehungerter und ungeduschter Mensch und Garak wusste das, für einen kurzen Moment fiel die Maske des versierten Ministers und gab den Blick frei auf den Garak, den er kannte, der trotz all seiner Scharaden einfach nur Garak war. Er schien höchst amüsiert von Julians unentspannter Tirade.

„Was Ihnen fehlt ist eine gute Mahlzeit und eine anregende Unterhaltung, mein lieber Doktor.“, konstatierte Garak. „Und ich spreche dezidiert nicht vom seichten, staatstragenden Geplänkel am Konferenztisch.“
„Ich bin Arzt, Garak, kein Diplomat, und ich kann nicht für die Föderation sprechen.“, seufzte Julian.
„Eine Tatsache, wenn auch eine durchaus bedauerliche.“, nickte Garak und legte eine Hand auf Julians.

Wie Hauptstädte nun einmal waren schien sich auch die cardassianische schneller zu erholen. Stur und würdig trotzte sie den Bedingungen, etwas sturer und würdiger noch als der Rest von Cardassia. Sogar das eine oder andere Restaurant hatte wieder eröffnet, trotz knapper Ressourcen und strenger Rationierung, und als Garak Julian einlud bereitete ihm das ein schlechtes Gewissen, als er daran dachte wie viele Männer, Frauen und Kinder man in Lakarian verköstigen könnte mit dem was Garak für eine einzige Mahlzeit hier auszugeben bereit war. Doch Garak wollte nichts davon hören und Julian aß, hastig wie es nun einmal seine Art war, es war die erste Mahlzeit seit Wochen die nicht aus Feldrationen bestand oder einem dünnflüssigen Eintopf von Vepaks, einer recht trostlosen einheimischen Feldfrucht die aussah und schmeckte wie eine Kreuzung aus Rübe und Kartoffel.

„Mein lieber Doktor, Sie sind ein hoffnungsloser Idealist.“, sagte er und legte die Hände auf Julians Schultern, ihn kritisch beäugend. „Und dennoch, Cardassia hat Sie mehr geprägt als Sie ahnen.“
„Cardassia hat Facetten, die ich erst jetzt zu verstehen beginne, wo ich hier bin.“, sagte Julian, schwer schluckend, und in einem Anfall von Mut und Wahnsinn neigte er den Kopf leicht zur Seite. Es war nur eine kleine Geste, die er so oft bei Garak beobachtet hatte ohne sich über ihre Bedeutung Gedanken zu machen, doch das schien ihm beinahe wie in einem anderen Leben. Jetzt wusste er genau was er tat.

Garaks Augen leuchteten auf.

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Die drei Monate ihres Hilfseinsatzes vergingen sowohl viel schneller als auch viel langsamer als ursprünglich gedacht. Als der Tag der Abreise nahte, beschloss ein Drittel der Belegschaft, ihren Aufenthalt zu verlängern und nochmals drei Monate zu bleiben. Weder Julian Bashir noch Robert Stermann hatten länger als einen Moment überlegen müssen um ihre Entscheidung zu treffen. Für Lakarian.

Und sie saßen wieder zusammen, wie jeden Abend, bei Kanar und Feldrationen.

„Rein theoretisch... was müsste jemand, der kein Föderationsbürger ist tun um in der Föderation zu leben?“, fragte Iliana Marritza in einer ruhigen Minute.
„Du?“, fragte Julian Bashir, plötzlich hellhörig.
„Ich.“, sagte Iliana mit einem schiefen, unsicheren Lächeln. „Es mag sich anhören wie Verrat, aber ich sehe hier einfach keine Zukunft. Fast alle die ich je gekannt habe sind tot, und ich möchte mehr vom Universum sehen als die Ruinen der Vergangenheit. Ist es egoistisch in einer Welt leben zu wollen, die Hoffnung hat und genug zu Essen für alle?“
„Ist es nicht, es ist durchaus verständlich. Höchstens etwas un-cardassianisch.“, nickte Julian.
„Auf den ersten Blick vielleicht.“, wandte Iliana ein. „Doch wenn ich gehe, überlasse ich die Ressourcen die ich verbrauchen würde einer anderen Person, die sie vielleicht nötiger braucht. Auch das ist zum Wohl des Staates.“
Julian wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her. „Du kannst Asyl beantragen, das ist ein ziemlich komplizierter bürokratischer Prozess, aber in Anbetracht der Lage Cardassias wird es dir vermutlich gewährt. Aber dazu müsstest du zuerst in die Föderation einreisen, weil wir hier keine Botschaft haben. Deep Space Nine würde sich anbieten, du weißt schon, Terok Nor. Es lebt sich gut dort. Oder du heiratest einen Föderationsbürger, das wäre vermutlich einfacher.“
„Heiraten?“, fragte Iliana verdutzt.
„Eine romantische Beziehung formalisieren, du weißt schon. Viele Kulturen haben solche Rituale, die Cardassianer auch soweit ich informiert bin.“, erläuterte Julian. „Jeder Ehepartner und jedes Familienmitglied eines Föderationsbürgers bekommt automatisch das unbegrenzte Aufenthaltsrecht und beinahe alle Privilegien, die regulären Bürgern zustehen. Grundeinkommen, Arbeitsplatz, Wohnraum, Gesundheitsvorsorge, solche Sachen halt.“
Iliana nickte grüblerisch. „Ist das nicht ironisch, ich möchte gehen und du möchtest bleiben?“, fragte sie schließlich.
„Ist es. Aber wir haben beide unsere Gründe.“, bestätigte Julian mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen.

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„Doktor Bashir, der vielgerühmte Retter von Lakarian.“, begrüßte der Minister den Arzt mit einem süffisanten Grinsen, ohne sich von seinem Schreibtisch zu erheben. „Was kann ich heute für Sie tun?“
„Die Frage ist nicht, was Sie für mich tun können, sondern was ich für Sie tun kann.“, konterte Julian mit der selbstsicheren Impertinenz die ihm nun einmal zu Eigen war. „Angenommen, ein ebenso hochqualifizierter wie hochmotivierter Arzt aus der Föderation würde sich auf Dauer in Cardassia niederlassen wollen und hier regulär praktizieren wollen, unabhängig davon ob die humanitären Hilfsprojekte der Föderation weitergeführt werden oder nicht. Wäre das möglich, und wenn ja, was müsste man dafür tun?“
„Ihre Frage ist rein hypothetisch, guter Doktor?“, fragte Garak erstaunt.
„Und wenn sie das wäre?“, fragte Julian unbeirrt zurück.
„Die Motivation des betreffenden Individuums ist zu hinterfragen.“, sagte Garak.
„Ich sagte doch schon, die Motivation ist hoch.“, antwortete Julian unbeirrt.
„Die Beweggründe.“, knurrte Garak. „Dass sie auch immer alles so wörtlich nehmen müssen, mein lieber Doktor, das ist wohl der irritierendste Aspekt Ihrer Menschlichkeit, den Ihnen auch Cardassia noch nicht austreiben konnte.“
„Die Beweggründe sind persönlicher Natur.“, sagte Julian mutig.
„Persönlich, soso.“, sagte Garak und machte einen konzentrierten Gesichtsausdruck. „Das fragliche Individuum hat eine profunde Zuneigung zum Schutt und zur Asche Lakarians entwickelt, nehme ich an? Einen besonderen Gusto für die lukullische Vielfalt, die mit der Entgegennahme der Rationierungscoupons einhergeht? Einen gewissen Hang zum Sadismus, der sich darin äußert, dass man ohne regelmäßige Stromausfälle und vergleichbare Annehmlichkeiten, die in den Krankenhäusern der Föderation unbekannt sind, nicht mehr richtig arbeiten kann?“
„Unter anderem.“, grinste Julian ob des beißenden Zynismus. „Außerdem hat es mit einer gewissen unleugbaren Attraktivität der neuen cardassianischen Regierung im Allgemeinen und ihrer Vertreter im Speziellen zu tun.“
„Hat es das also.“, sagte Garak, und es war keine Frage.

Mit einer gleitend eleganten Bewegung erhob sich Garak von seinem Stuhl und umrundete den Schreibtisch, bis er bedrohlich nahe vor Bashir stand. Wortlos und atemlos streckte er seine Hand aus, berührte Julians Schläfe und sah ihn dabei mit stechendem Blick an. Es war eine Geste voll Liebe und Sorge, die Julian so oft bei besorgten Angehörigen seiner schwerkranken Patienten beobachtet hatte, und auch bei Robert und Iliana, wenn sie sich unbeobachtet wähnten. Die cardassianischen Finger fühlten sich heiß und glatt an, doch wohlig prickelnd, und er erlaubte sich, seinen Kopf kurz dagegen zu lehnen.

„Wenn dem so ist, hat die attraktive cardassianische Regierung, oder zumindest dieser eine Vertreter derselben, keine Einwände.“, sagte Garak leise lächelnd. „Vorausgesetzt natürlich, die Frage war nicht hypothetisch, Julian.“

Zum ersten Mal seit Deep Space Nine hatte Garak wieder seinen Vornamen benutzt, was schon damals Seltenheitswert besessen hatte. Die tosende Tachycardie hatte Julian fest im Griff, als er den Kopf verführerisch zur Seite neigte und Garaks blauen Blick fixierte.

„Ganz und gar nicht hypothetisch, Elim.“, sagte er nur.

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Beim Landeanflug auf Lakarian, spät in der Nacht des nächsten Tages, bot sich Julian Bashir ein ungewöhnliches Bild. Die Elektrizität war noch nicht ausgefallen und die ganze Stadt leuchtete unter ihnen, fahl aber beständig. Es war nur ein schwaches Licht, aber ein optimistisches, ein Irrlicht am Ende des Tunnels.

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Danke an G., Ärztin ohne Grenzen, und an M.&M., Katastrophenhelfer bei einer internationalen Hilfsorganisation, die mir so viel über ihre Einsätze erzählt haben; ich hoffe ich konnte das glaubwürdig in die Geschichte einfließen lassen.
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