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Erwachen

von Gabi

Kapitel 1

Kira Nerys blieb in der Tür ihres Quartiers stehen. Ihr Blick wanderte langsam eine Ansammlung von schmalen Querbalken entlang, die sich durch zwei lange Seitenstücke gehalten die gegenüberliegende Wand hinauf legten. Ab der fünften dieser Streben wurden ihre Augen von einer schwarzen glänzenden Oberfläche eingefangen. Wie hypnotisiert wanderten sie an der Säule entlang, die sich sanft nach außen wölbte, um dann auf halber Höhe wieder zu verjüngen und abermals zu erweitern. Die elastische Schwärze zeichnete deutlich die Furche ab, die sich längs hinauf zog. Ab der siebten Strebe gesellte sich eine zweite, diesmal abgewinkelte Säule der ersten hinzu. Kiras Blick wanderte weiter hinauf, dorthin, wo die beiden Säulen sich in einer Wölbung vereinigten, die sie als nichts anderes als erotisch bezeichnen konnte.

Schließlich schnappte sie wieder nach Luft: „Antos?! Was machst du auf der Leiter - und in dieser engen Hose?“

Der Vedek wandte sich mit einem begeisterten Ausdruck im Gesicht um. Erst jetzt bemerkte Kira den Pinsel und den Farbeimer, den er in den Händen hatte. Die langen, in enges Schwarz gekleideten Beine hatten sie vollständig von der nicht unerheblichen Tatsache abgelenkt, dass ihr Quartier im Begriff war, einer einschneidenden Veränderung unterzogen zu werden. Sie hob hilflos die Arme. „Was soll das?“ Ihre Bewegung schloss den gesamten Raum ein.

„Schön, nicht?“ Bareils Züge erlaubten kein nein. „Jadzia kam auf die Idee, dass wir ihren freien Tag mit etwas Nützlichem verbringen könnten. Und ich freue mich, dir ein wenig Arbeit abnehmen zu können...“

„Mir? Arbeit?“ Kira blickte den Priester - dessen enge Hosen und weites Hemd sie immer noch irritierten - verständnislos an. „Was für eine Arbeit?“

„Na diese hier“, Bareil holte mit dem Pinsel aus, wobei er ein wenig Farbe auf dem Fenster verteilte, neben dem die Leiter stand. „Jadzia hat mir erzählt, dass du dein Quartier neu dekorieren wolltest...“

„Ich wollte... was?“ Sie sah sich fassungslos um. „Wo ist Jadzia?“

Bareil schwenkte den Pinsel in Richtung des Schlafzimmers - wobei weitere Farbspritzer sich ihren Weg über den Boden suchten. „Wir haben uns die Räume aufgeteilt.“

„Bei den Propheten! Jadzia!“

Im Durchgang erschien das Gesicht der Trill, welches im Augenblick um einige Flecken reicher war. „Hallo Nerys, du bist früher zurück als ich dachte. Setz dich ruhig irgendwo hin, wir sind gleich fertig.“

Kiras geöffneter Mund klappte wieder zu. Sie sah von der Trill zu dem Vedek und zurück. Dann schüttelte sie resigniert den Kopf. „Als ihr beide noch nicht Freundschaft geschlossen hattet, war es entschieden sicherer für mich.“

* * *


Eine Stunde später saßen sie gemeinsam beim Essen. Kira war noch immer nicht ganz überzeugt von der Harmlosigkeit der Situation. Bareil hatte ihr erklärt, dass er seine Robe gegen etwas Praktischeres zum Malen getauscht hatte, wobei die Major sich sicher war, dass praktisch hierbei Dax definiert hatte. Das elastische, schwarze Material von Bareils Hose ließ wirklich keinerlei Freiraum für Fantasien. Und auch Dax trug enge Leggings, die nicht mit ihren weiblichen Reizen geizten. Kira musste sich eingestehen, dass sie ein wenig eifersüchtig war. Es hatte eine gewisse Beruhigung darin gelegen, als der zurückhaltende Vedek die quirlige Trill noch als „zu unberechenbar“ eingestuft hatte. Dax war imstande, jeden Mann zu bekommen, den sie wollte - und ein kleiner eifersüchtiger Teil tief in Kira befürchtete, dass sie es vielleicht auf den Priester abgesehen hatte. Doch die Bajoranerin vergrub diesen Teil wieder so rasch, wie er an die Oberfläche getreten war. Sie schenkte sich ein neues Glas Frühlingswein ein.

„In Ordnung“, meinte sie schließlich. „Ich gebe zu, dass die neue Farbe nicht übel ist. Und auch die Vase dort und das Gesteck hier drüben... aber was hat dich geritten, mein Quartier umzustreichen?“

Mit einem erwartungsvollen Lächeln bückte Dax sich. Als ihr Oberkörper wieder über der Tischkante zum Vorschein kam, hielt sie eine Schachtel in der Hand.

„Ich habe dies hier auf meinem letzten Kongress erstanden. Es hat mich so an dich erinnert - aber es passte einfach nicht farblich in dein Zimmer...“

„Das ist nicht dein Ernst...“, fassungslos nahm die Bajoranerin die Schachtel entgegen.

Bareil starrte die Trill ebenfalls reichlich verwundert von der anderen Tischseite her an. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher diese Frau immer wieder das Leben anging, hörte niemals auf, ihn zu erstaunen. Er hatte ihr geglaubt, als sie davon sprach, dass Kira ihr Zimmer umstreichen wollte... Er stellte sich vor, was in Kira vorgegangen sein musste, als sie vorhin von ihrer Schicht zurückgekommen war. Die Vorstellung veranlasste ihn zu einem kleinen Grinsen.

Kira hatte unterdessen die Schachtel geöffnet und förderte eine kleine Statue zum Vorschein. Die Abbildung zeigte eine Kriegerin mit erhobenem Schwert, bereit, den unsichtbaren Gegner abzuwehren. Ihr Haar war kurz und ihre Gesichtszüge ähnelten tatsächlich ein wenig denen Kiras. Das kleine Kunstwerk war aus einem dunklen Stein gehauen, der in verschiedenen Facetten irisierte, je nachdem, in welchem Winkel zum einfallenden Licht man die Statue hielt.

„Also, die hätte auch gut zu meinen alten Wänden gepasst“, war das Erste, was Kira von sich gab.

„Mag sein“, Dax zuckte mit den Schultern. „Aber diese hier stehen ihr eindeutig besser - und es hat Spaß gemacht umzudekorieren.“ Bei den letzten Worten warf sie einen undefinierbaren Seitenblick zu Bareil hinüber. Kira wurde wieder misstrauisch, aber irgendetwas an dem Glitzern in den Augen der Trill verriet ihr, dass diese absichtlich mit dem nichts ahnenden Bareil spielte. Sie wusste, dass Kira sehr leicht eifersüchtig zu machen war. So schnitt die Bajoranerin nur eine unfeine Grimasse und wandte sich wieder dem kleinen Schmuckstück zu.

Der Vedek hatte sich mittlerweile zu ihr hinüber gebeugt und betrachtete die Statue interessiert.

„Das ist bajoranisch... späte Salassan-Epoche, wenn mich nicht alles täuscht...“

Dax hob anerkennend die Augenbrauen. „Genau getroffen. Ich wusste nicht, dass du dich für Archäologie interessierst, Antos.“

„Erst seit den letzten zwei Jahren“, teilte er mit, während er die Kriegerin nun auf dem Tisch drehte. „Seit die unermesslichen Archive der Hauptbibliothek wieder allen zugänglich sind, stöbere ich in meinen freien Stunden sehr gerne darin herum. Ich halte es für sehr wichtig für das eigene Verständnis, nicht nur zu wissen, wer man ist, sondern auch wer man war.“

Die Trill hob ihr Glas und deutete einen Toast an. „Exakt meine Meinung.“

„Du musst aber zugeben, dass das bei dir eine völlig andere Bedeutung hat, Jadzia“, neckte Kira ihre Freundin.

Diese lachte auf. „So verschieden ist das nun auch wieder nicht...“

„Irgendetwas hatte es mit dieser Art von Statuen auf sich...“, murmelte Bareil, an dem der kleine Schlagabtausch der Freundinnen völlig vorbeiging. „ich glaube, sie wurden zur Ehre der Propheten gefertigt...“

„Mit einem Schwert in der Hand?“ fragte Kira ungläubig.

Bareil nickte. „Es gab eine Epoche, in der Bajoraner das Töten im Dienst der Propheten für rechtens hielten.“

„Ist das nicht heute noch so?“ wollte Dax wissen.

„Nein“, Bareil schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich, nicht im Grunde ihres Herzens.“

Kira nickte nachdenklich. „Nein, Jadzia. Du kannst vorgeben, für die Propheten ins Feld zu ziehen, aber du glaubst es nicht wirklich in deiner Seele. Niemand, den ich kannte oder heute kenne, hat mit reinem Gewissen getötet. Nicht im Grund seiner Selbst.“

Die Trill nahm die leise Rüge entgegen. Sie musste erst noch lernen, dass ihre Neckereien den Bajoranern gegenüber eine deutliche Grenze hatten, die sie nicht überschreiten durfte. Und das war der Glaube ihrer Freunde. Dax selbst hatte keinen Platz für Glauben in ihrem persönlichen Universum. Sie war zu sehr mit ihrer Wissenschaft verbunden, zu vieles ließ sich aufspalten, entschlüsseln und erklären. Sie konnte voller Staunen physikalische Phänomene verfolgen, aber sie hatte noch nie nach einer übergeordneten Kraft gesucht, die ihr Schicksal oder die Naturgesetze befehligte. Sie respektierte den Glauben ihrer Freunde, auch wenn für sie die Erschaffer des Wurmloches nur hochentwickelte Wesen waren, deren Existenz auf gänzlich anderen Parametern basierte als ihre humanoide.

Bareil brach die etwas gedämpfte Stimmung mit einer für ihn in Gesellschaft untypischen Bemerkung: „Sie sieht dir wirklich ein wenig ähnlich - wenn ich auch hoffe, dass du nie so ausgezogen herumlaufen wirst.“

Kira fing den zugeworfenen Ball nur zu gerne auf. „Ich muss es mir stark überlegen.“ Sie schenkte seiner Beinkleidung einen langen bedeutungsvollen Blick.

„Was hast du nur immer mit meiner Hose?“

„Man sieht alles.“

Der Vedek sah sie unschuldig an. „Sie ist sehr praktisch...“, nach einer vieldeutigen Pause fügte er hinzu. „Und Jadzia mag sie gerne.“

* * *


Später lag Kira in ihrem Bett und betrachtete die Statue, wegen der Dax sich berufen gefühlt hatte, das Zimmer der Major neu zu streichen. Die Bajoranerin hätte es nie vor den anderen zugegeben, aber die Geste hatte sie berührt - und sie musste anerkennen, dass ihr die neue Wandfarbe besser als die alte gefiel. Und auch das Geschenk der Trill bedeutete ihr viel. Dax war nach dem gemeinsamen Abendessen in ihr eigenes Quartier zurückgekehrt, und Bareil hatte sich umgezogen - Kira bekam immer noch nicht gänzlich die Erinnerung an das enge Schwarz aus ihrem Kopf - und hatte seinen Transporter zurück nach Bajor nehmen müssen. Im Augenblick verbrachte der Vedek einen guten Teil seiner Zeit auf Fährschiffen, doch er hatte ihr versichert, dass er diese Spanne sehr gut nutzen konnte um zu lesen. Kira selbst war nicht unbedingt unglücklich darüber, dass der Priester häufig die Station besuchte.

Sie rollte sich auf den Rücken und hob die Statue mit beiden Händen in die Höhe. Das Material glitzerte im Dämmerlicht ihres Zimmers geheimnisvoll, die natürliche Struktur des Steines war so geschickt ausgenutzt worden, dass fast der Eindruck entstand, dass sich die Augen der Kriegerin je nach Drehung bewegten. Kira lächelte, es war ein ausgesprochen schönes Stück. Sie betrachtete die gestreckte Körperlinie, die Eleganz des erhobenen Schwertarmes. Es lag Wildheit in dieser Darstellung, Kampfgeist und Freiheitsstreben. Die Major bewunderte diese Eigenschaften. Sie schloss die Augen und stellte sich selbst mit einem solchen Schwert vor. Alleine gegen eine Übermacht von Gegnern - sie würde aber auf jeden Fall Kleidung tragen. Fast glaubte sie, den Wind um ihren Kopf wehen zu spüren, die Kälte und das Gewicht des Schwertes in ihrer Hand. Phaser waren funktionelle Waffen, und sie war glücklich, sich auf sie verlassen zu können. Aber der Anblick eines Schwertes besaß eine Eleganz, an welche die neuen Waffen nicht heranzukommen vermochten. Wie sich das Licht in der polierten Klinge fangen konnte, wie es sich als gebündelter Strahl an der Spitze brach; die Kostbarkeit der im Blatt eingelegten Verzierungen, die Kunstfertigkeit des Griffes... Hinter einem Phaser steckte eine Fabrikationsmaschine, hinter einem Schwert Liebe. - Zumindest das, was Kira als Liebe definierte.

Mit einem zufriedenen Seufzen stellte sie die Statue wieder auf der Kommode ab und rollte sich unter der Bettdecke zusammen. Bevor sie einschlief, malte sie sich aus, wie es wohl damals als Kriegerin in der Salassan-Epoche gewesen sein mochte, vor so vielen Tausenden von Jahren...

* * *


Jadzia Dax rieb sich die Augen. Die Buchstaben auf dem Schirm vor ihr begannen langsam aber sicher zu verwässern - ein deutliches Zeichen, dass sie für heute Schluss machen sollte. Sie hatte sich die archäologischen Daten über die Salassan-Epoche aufgerufen. Es hatte sie sehr gefreut, dass Kira das Mitbringsel gefallen hatte. Natürlich hatte die Bajoranerin das nicht deutlich gezeigt, aber Dax kannte sie gut genug, um unterscheiden zu können, wann ihre ruppige Art ein „ja“ und wann sie ein „nein“ bedeutete. Die Trill hatte eigentlich sogar damit gerechnet, dass Kira ihnen erst einmal den Kopf waschen würde, dafür, was sie ihrem Quartier angetan hatten. Doch sie vermutete, dass es Bareils Gegenwart war, welche die Major davon abgehalten hatte. Wenn der Priester es darauf anlegte, konnte er äußerst unschuldig wirken. Dax grinste, als sie ihren Bildschirm deaktivierte. Sie hatte Bareil eigentlich von Anfang an gemocht. Er war ein gutaussehender Mann, schon mal ein Punkt, der die Wissenschaftsoffizierin einer Person gegenüber gewogen machte. Dann hatte sie es als angenehm empfunden, dass er nicht so stur traditionell war wie andere bajoranische Geistliche, die sie kennengelernt hatte. Und er schien Kira gut zu tun - und das war der Trill sehr wichtig. Aber Dax hatte sehr wohl gespürt, dass Bareil mit ihr nicht zurechtkam. Er war zurückhaltender als sonst in ihrer Gegenwart, sie hatte immer das Gefühl, er würde ausloten und sich auf einen möglichen verbalen Angriff ihrerseits vorbereiten.

Ihr Grinsen wurde breiter, nichts übertraf das Gefühl, erwachsene Männer einschüchtern zu können. Nein, sie war froh, dass der Priester sich nun an ihre Art gewöhnt hatte und sie als Freundin akzeptieren konnte. Es bereitete ihr Freude, ein Teil von Kiras kleinem privaten Leben zu sein.

Sie schälte sich aus ihrer Uniform, kurz spielte sie mit dem Gedanken, noch unter die Dusche zu gehen, doch sie war so angenehm müde. In Gedanken noch bei ihren Dateien warf sie sich ins Bett. Sie hatte sich über den Stand der Ausgrabungen auf Bajor informiert, die erst jetzt wieder aufgenommen worden waren. Es war interessant gewesen zu lesen, welche Techniken in der Archäologie eingesetzt wurden, um möglichst exakte Bestimmungen durchzuführen. Ihr eigenes Gebiet waren eher die lebenden Tiere und Pflanzen, doch alles Wissenschaftliche hatte eine magische Anziehungskraft auf die Trill. Sie hatte gelesen, dass die Statue, die sie Kira geschenkt hatte, höchstwahrscheinlich aus einer kleinen Stätte am Rand des Anteral-Dschungels stammte. Und der Händler, von dem sie das Teil erstanden hatte, hatte offensichtlich keine Ahnung von dessen Wert gehabt. Dax hatte nicht besonders viel dafür zahlen müssen.

Während sie langsam in den Schlaf hinüber driftete, stellte sie sich vor, wie es wohl damals gewesen sein musste, mit welchen Werkzeugen Bildhauer ihre Werke erschaffen hatten, ob vielleicht schon Chemikalien zur Ätzung bekannt gewesen waren - und ob dem betreffenden Künstler wohl wirklich eine nackte, rassige Frau Modell gestanden hatte...

* * *


Vedek Bareil erhob sich von seinem nächtlichen Gebet, er fühlte sich ruhig und zufrieden. Morgen wartete der Besuch eines Waisenhauses auf ihn und er liebte diese Pflicht. Er fühlte sich wohl in der Nähe von Kindern. In ihren Augen lag ein Glaube, den er bei vielen erwachsenen Bajoranern vermisste.

Der Vedek öffnete den Verschluss seiner Robe, zog sie aus und legte sie sorgsam zusammen. Den fünfstündigen Flug von Deep Space Nine hatte er damit zugebracht, über die Salassan-Epoche nachzulesen. Er war erfreut gewesen darüber, dass er die Herkunft der Statue richtig eingeschätzt hatte. Dax’ anerkennender Blick hatte ihm irgendwie gutgetan. Während er sich auch des Rests seiner Kleidung entledigte und sich ins Bett legte, ließ er die Informationen Revue passieren, die er gelesen hatte. Diese Art von Statuen war zur Ehre der Propheten erschaffen worden. Daher war die Frau auch nackt gewesen. Es herrschte der Glaube, dass man den Propheten so gegenübertreten musste, wie man erschaffen worden war. Kleidung war in der Kunst das Symbol gewesen für Verborgenheit, nicht offengelegte Absichten. Im Angesicht der Propheten konnte aber keine Verstellung mehr bestehen bleiben. Manche der Statuen hatten sogar Splitter der Tränen integriert gehabt. Es hieß, wer sie berührte, würde die Wahrheit über sich selbst erkennen. Doch von diesen Splittern war nichts mehr übriggeblieben, sie waren begehrte Objekte für Räuber gewesen.

Bareil legte seinen Kopf im Kissen zurück und betrachtete die Decke. Es war schon lange nicht mehr Brauch, Objekte zur Anbetung zu erschaffen. Vor mehreren hundert Jahren war die puristische Strömung aufgetreten, die bis heute vorherrschte. Die Statuen und Gemälde waren aus den Tempeln verschwunden und waren durch abstraktes Kerzenlicht ersetzt worden. Wenn heute die Schreine und Säulen Verzierungen besaßen, dann weil ihre Künstler den Propheten eine Wertschätzung entgegenbringen wollten, nicht um ein Abbild von ihnen zu erschaffen. Der Vedek überlegte sich, ob die kleine Kriegerin in Kiras Quartier vielleicht keine gewöhnliche Sterbliche darstellte, sondern einen Aspekt der Propheten, einen kriegerischen, der in seinem heutigen Verständnis des Glaubens geleugnet wurde.

Er merkte, wie seine Lider schwer wurden. Noch im Dämmerzustand des Schlafes überlegte er sich, welche Art und Ausprägung der bajoranische Glauben wohl vor Tausenden von Jahren gehabt haben mochte...

* * *


Irgendwie war es nicht weiter verwunderlich, dass ein paar Tage später die beiden DS9-Offizierinnen in seinem Büro auftauchten. Mit einem Lächeln auf den Lippen erhob sich der Vedek hinter seinem Schreibtisch. Kurz verspürte er den Drang, seine Arme zu öffnen und die beiden Frauen zu umarmen. Überrascht über sich selbst, zwang er seine Hände, ruhig an den Seiten zu bleiben.

„Nerys, Jadzia, was verschafft mir die Ehre?“ Er trat um den Tisch herum, eigentlich, um Kira zu küssen, aber plötzlich erschien ihm das nicht völlig richtig. Was war mit ihm los?

Noch bevor eine der beiden eine Antwort geben konnte, stellte er fest: „Ihr wollt zur Ausgrabungsstätte am Anteral-Dschungel...“

Kira grinste. „Woher weißt du das?“

Eine gute Frage. Er hatte es nicht gewusst. Es war das Ziel, welches er selbst seit ein paar Tagen vor Augen hatte. Mit einem Lächeln wischte er seine Irritation beiseite. „Die Statue stammt wahrscheinlich von dort - und sie lässt euch nicht los.“ Es war keine Frage.

„Dich auch nicht, wie es aussieht.“ Dax berührte ihn am Unterarm. „Wir wollten dich fragen, ob du Zeit hast mitzukommen.“

Die Berührung löste Feuer aus. Der Vedek zwang sich mit aller Macht, ruhig zu bleiben. Fieberhaft überlegte er sich, ob der von Botschafterin Troi nach DS9 gebrachte Virus einen Rückfall ausgelöst hatte. Irgendetwas in ihm drängte danach, die Trill in den Arm zu nehmen. Er sah zu Kira hinüber - und nicht nur die Trill... Was er jetzt gebrauchen konnte, war ein Eimer eiskalten Wassers.

Er holte tief Luft und schloss Dax’ Berührung aktiv aus seinem Bewusstsein aus.

„Ich hätte große Lust, euch zu begleiten“, erklärte er schließlich. „Und ich bin sicher, dass mich für die nächsten Stunden niemand vermissen wird.“

Kira trat an seine andere Seite. Sie legte beide Hände auf seine Schulter und lächelte ihn an. „Dich muss man doch einfach immer vermissen.“ Als sie ihre Arme wieder von seinem Körper nahm, schien plötzlich etwas zu fehlen. Für einen kurzen Sekundenbruchteil hatte er sich ... mehr? ... gefühlt. Es war wie ein kurzes Auftauchen aus einem Dämmerzustand gewesen, zu schnell, um wirklich wahrgenommen zu werden. Er schüttelte den Kopf und schrieb seine seltsame Reaktion dem Umstand zu, dass er wohl zu wenig geschlafen hatte. Die Bajoranerin wandte sich zum Gehen ab, und der Vedek bemerkte zum ersten Mal die Schultertasche, die sie umgehängt hatte.

„Was ist das?“

„Wir haben die Statue mitgenommen“, erklärte sie. „Wir wollen sie dem leitenden Archäologen zeigen.“

Seine Stirn furchte sich ein wenig, als er Kira folgte.

Dax schüttelte die Hand, mit welcher sie den Vedek berührt hatte. Sein Gewand musste sich elektrisch aufgeladen haben, wahrscheinlich war die Luft hier zu trocken.

Sie schloss sich den beiden Bajoranern an.

Gemeinsam nahmen sie ein Transportshuttle zum Anteral-Dschungel. Während des Flugs saß die Trill den beiden anderen gegenüber. Sie beobachtete, wie sich deren Hände berührten, wie sich ein leichtes Lächeln in Kiras Mundwinkeln andeutete. Genau genommen war diese Liebe ein Ding der Unmöglichkeit. Die Aggressivität der Major fand bei dem Vedek keine Wand für ihren Aufprall, sie musste unweigerlich ins Leere schießen. Während die meditative Ruhe Bareils keinerlei Ansatzpunkt für Kira bot. Die beiden kannten sich noch nicht lange genug, aber die Trill war sich sicher, dass es über kurz oder lang zwischen ihnen zu einem Streit kommen würde. Und im Moment sah sie kein gemeinsames Element in dieser Beziehung, auf das sie sich dann stützen konnten. Was fehlte, war eine unkomplizierte Hand von außen...

Der Gedanke war so rasch vorbeigezogen, dass Dax nicht hätte sagen können, woher er gekommen war. Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Die beiden Bajoraner würden gut miteinander zurechtkommen, was dachte sie hier nur? Aber sie verspürte den Drang, ihre eigene Hand ebenfalls auf die beiden gefassten ihrer Gegenüber zu legen. Sie lächelte. Es war Zeit, dass sie sich wieder eine Verabredung zulegte, die Entzugserscheinungen schienen sie auf dumme Ideen zu bringen.

Als sie ausstiegen, hielt Dax sich ein paar Schritte hinter den beiden anderen. Die Trill betrachtete ihre Freunde, während sie ihnen folgte. Eine ungewohnte Wärme machte sich in ihr bei diesem Anblick breit. Sie fragte sich flüchtig, woher diese sentimentalen Anwandlungen plötzlich kamen, sie neigte sicherlich nicht zu Sentimentalität.

Entschlossen holte sie auf, um mit den beiden Bajoranern auf gleicher Höhe zu laufen.

Die Arbeiter an der Ausgrabungsstätte staunten nicht schlecht, als sie sich plötzlich einem Vedek, einer Vertreterin des Militärs und einer Starfleetoffizierin gegenüber sahen.

Bareil neigte den Kopf zur Begrüßung. „Die Propheten seien mit euch. Wir würden gerne mit dem Ausgrabungsleiter sprechen.“

Dax sah, wie die Bajoraner sich ebenfalls vor dem Priester verneigten, und zum ersten Mal kam ihr diese Geste, die sie früher als archaisch angesehen hatte, richtig vor. Als sie eine Bajoranerin auf die Gruppe zukommen sah, von der sie annahm, dass sie die Leiterin war, berührte Dax Bareils Schulter, um ihn darauf aufmerksam zu machen.

Augenblicklich war die Elektrizität wieder da.

Fein. Kribbelnd. Unheimlich anziehend.

Als wäre ein mächtiger Elektromagnet angeschaltet worden.

Im gleichen Moment, in welchem sie selbst ihren Kopf zu Kira drehte, spürte sie die Kopfwendung des Vedek.

Kira setzte die Schultertasche ab. Als sie sich und ihren Blick wieder erhob, sah sie die Augenpaare der beiden anderen auf sich ruhen. Es war nur kurz, nur bis zum Blickkontakt, bevor beide wieder abbrachen und sichtlich verlegen ihre Aufmerksamkeit der Archäologin zuwandten. Doch dieser rasche Augenblick hatte genügt, um der Bajoranerin einen Schauer über den Rücken zu jagen. Was war los hier? Argwöhnisch bemerkte sie die Hand der Trill, die immer noch auf Bareils Schulter lag. Was hatte Dax vor? Kira unterdrückte den Impuls, die Hand von ihrem roten Ruhekissen herunterzuziehen.

Ihre Verwirrung wurde noch größer, als ein Teil ihres Bewusstseins ihr versuchte klarzumachen, dass sie diese Hand überhaupt nicht berühren wollte, um sie an ihren rechten Platz zu weisen, sondern um sie zu... berühren. Ärgerlich bemühte sie sich, dieses seltsame Gefühl abzuschütteln. Es musste an diesem Ausgrabungsort liegen. Kira fühlte sich immer ein wenig beeindruckt, wenn sie sich an Stätten befand, welche die alte Macht Bajors kurzzeitig in ihr reales Heute zurückbrachten.

Die archäologische Leiterin war mittlerweile bei ihnen angekommen.

„Vedek“, begrüßte sie den Geistlichen respektvoll zuerst.

„Vedek Bareil“, stellte Kira ihn vor, die das Gefühl hatte, als bajoranische Militärangehörige das Wort zu führen - und immerhin handelte es sich um ihre Statue. „Lieutenant Jadzia Dax von Starfleet. Ich bin Major Kira Nerys.“

„Dr. Lanon Bela“, erwiderte die Archäologin sichtlich irritiert. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Kira kniete zu ihrer Schultertasche hinunter. „Ich habe diese Statue geschenkt bekommen, und wir waren neugierig, ob Sie uns etwas über ihr genaues Alter und ihre Bedeutung sagen könnten...“ Sie richtete sich mit der nun ausgepackten Kriegerin in der Hand wieder auf.

Zum ersten Mal fiel Sonnenlicht auf den irisierenden Stein - und zum ersten Mal bemerkten sie, dass die Augen der Statue nicht aus demselben Material gehauen waren wie der Rest. Es war so perfekt eingepasst, dass das künstliche Stationslicht nicht imstande gewesen war, den subtilen Unterschied hervorzuheben. Sie waren von einem bläulichen Feuer - und sie behielten diese Nuance, gleichgültig in welchen Winkel zur Sonne man sie hielt.

„Bei den Propheten!“ hörte Kira die Archäologin ehrfürchtig flüstern. „Sie hat sie - sie hat die Splitter.“

* * *


Die Berührung des glatten Steines verursachte in Kira augenblicklich wieder das Gefühl von Wind in ihren Haaren, von Freiheit und Stärke. Wenn sie die Augen schloss, sah sie sich selbst mit dem Schwert in der erhobenen Hand. Sie glaubte zu spüren, wie diese Kriegerin gelebt hatte, ihren Stolz, ihren Kampfgeist.

Und ihr wurde mit einem Mal bewusst, dass dies nur ein Teil ihres Lebens war - sein konnte. Emotionen alleine würde sich am Ende selbst zerstören.

* * *


Neugierig streckte Dax ihre Finger nun ebenfalls nach der Statue aus. Sie hatte gelesen, dass die Orbsplitter allesamt aus den Figuren herausgebrochen worden waren. Diese Kriegerin war eine wahre Kostbarkeit.

Kaum hatten ihre Fingerkuppen die Oberfläche berührt, glaubte die Trill, die Zusammensetzung des Materials spüren zu können. Sie erlebte, in welchem Winkel der Meißel angesetzt worden war, welchen Neigungsgrad seine Spitze besaß. Die Gitterstruktur der Mineralien offenbarte sich ihr wie ein Buch, in welchem sie ihr Leben lang lesen konnte.

Doch auch die Erkenntnis, dass es nicht alles war. Die Rationalität alleine würde sie am Ende austrocknen.

* * *


Bareil starrte die Statue in den Händen seiner Geliebten ehrfürchtig an. Es war tatsächlich eine intakte Figur. Vorsichtig ließ er die Hand über die dunkle Oberfläche gleiten. Er schloss die Augen und versuchte, sich auf die Propheten zu konzentrieren.

Er spürte die Macht der Hingabe ohne Schranken. Er fühlte, welche Ehrfurcht und Demut in dem Bildhauer vor Tausenden von Jahren geherrscht hatten. Den festen Willen, ein Kunstwerk für die Propheten zu erschaffen, aus dem einzigen Antrieb heraus, ihnen zu dienen.

Und er spürte die Einsamkeit. Der Glaube alleine würde ihn am Ende von der Welt entfremden.

* * *


Die Finger der drei Personen bewegten sich auf der Oberfläche. Ohne die Augen zu öffnen, wusste jeder, dass die anderen das Gleiche spüren mussten. Ihre Spitzen trafen sich in einer perfekten dreiseitigen Pyramide über dem erhobenen Kopf der Statue.

Die Augen der Kriegerin leuchteten.

Spiritualität.

Rationalität.

Emotion.

Sie flossen ineinander, ergänzten sich - wurden eins.

Das Gefühl war wieder da. Stärker und deutlicher als zuvor im Kloster. Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, verbunden mit der leisen schmerzlichen Erkenntnis, dass sie vorher jeder für sich nur ein Teil gewesen waren. Bareil sog Kiras Emotionen und Dax’ Neugierde in sich auf. Dax machte die Aggressivität der Bajoranerin und den festen Glauben des Priesters für diesen kostbaren Sekundenbruchteil ihr eigen. Sie war überrascht, welche Stärke auch der Glauben besitzen konnte. Kira ließ sich in die Ausgeglichenheit Bareils fallen und in die Unbeschwertheit der Trill.

Als sie die Augen wieder öffneten, erschien es ihnen selbstverständlich, dass sie sich berührten, umarmten und küssten. Eine neue Verständigung war unter ihnen entstanden - wortlos. Das Bewusstsein, dass sie sich ergänzen konnten, dass sie gemeinsam so viel mehr sein konnten, als jeder einzeln für sich.

Der Schlaf war zu Ende.

ENDE

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