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Im Scheitelpunkt des Lichts

von Gabi

Kapitel 1

Die Erde fühlte sich warm an, auch wenn die Sonne schon lange ihr Licht von Bajor genommen hatte. Wie eine wärmende Mutter lud sie ein, sich ihr anzuvertrauen. Kira nahm die Einladung an.

Genüsslich streckte sie ihre müden Beine aus und legte den Kopf auf das Kissen aus Gras zurück. Ein leichter Nachtwind war aufgekommen, doch seine Kühle reichte nicht aus, um das Gefühl der behüteten Geborgenheit zu vertreiben. Innerlich überraschend zufrieden blickte die Bajoranerin in den Himmel hinauf.

Hier draußen störte kein artifizielles Licht. Kein Geräusch drang an ihr Ohr außer dem leisen Rauschen des Windes in den Halmen. Die Nacht war klar, doch kein Stern war zu sehen. Die Reflexion der Monde überstrahlte deren Helligkeit. Es war selten, dass alle acht Monde Bajors am Himmel ausgemacht werden konnten. Heute Nacht war dies der Fall. Wie kleine Planeten zogen sie ihre Bahnen in dem privaten Universum, welches Bajor darstellte. Eine Konjunktion war nur alle 8000 Jahre zu erwarten, die nächste lag noch über ein Millennium entfernt. Doch auch so konnte Kira sich die Schönheit dieses Anblicks vorstellen, von dem sie nur in den Aufzeichnungen ihrer Vorfahren gelesen hatte. Wie ein Himmelsballet würden sich die Monde aufreihen, sich für einen flüchtigen Moment der Ewigkeit begrüßen, um dann wieder einsam ihre Bahnen zu ziehen.

Dort stand Varion der nahste und größte von Bajors Monden, er schimmerte leicht rötlich. Kira konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals so riesig gesehen zu haben. Fast konnte man meinen, er habe sich aus seiner Bahn gelöst und bewege sich auf den Planeten zu. Wenn sie ihre Aufmerksamkeit nun den anderen Himmelskörpern zuwandte, konnte sie erkennen, dass auch diese unnatürlich nah erschienen.

Sie dehnte ihren Kopf ein wenig in den Nacken, um einen größeren Ausschnitt des Himmels wahrnehmen zu können. Lag das an der klaren Nacht?

„Die Atmosphäre bildet eine Linse.“ Bareil trat neben sie. „Nirgends auf Bajor sind sich Himmel und Erde so nah wie hier in Capreen. Und nirgendwo ist die Hand der Propheten deutlicher zu spüren als hier. Ich habe es immer bedauert, dass mir die Zeit fehlte, es dir zu zeigen. Ich bin glücklich, dass du nun alleine hier her gefunden hast.“

Kira erhob sich nicht, wandte auch nicht ihren Blick vom Himmel ab. Bareil war tot, lange schon. Dennoch erschien ihr im Augenblick überhaupt nichts Seltsames an seiner Gegenwart. Ganz im Gegenteil: Es passte. Sie hatte eine Frage gehabt, und er die Antwort. Es war immer so gewesen.

„Uns hat die Zeit für so vieles gefehlt“, bemerkte sie lediglich, ohne Bedauern oder Verlust zu verspüren.

Er setzte sich. „Varion und Andor werden in zwei Nächten in Konjunktion treten.“ Sein leises Lachen erhob sich kaum über das Rascheln des Windes. „Wenn es bei Varions Größe dazu auch nicht sehr viel benötigt.“

„Was machst du hier?“

„Ich betrachte den Himmel.“

Kira nickte zufrieden. Ja, das war eine gute Antwort.

Beide schwiegen. Lange Zeit waren die Monde das einzige, was ihre Aufmerksamkeit beanspruchte. Selbst auf den äußersten von ihnen waren heute Nacht Feinheiten zu erkennen, die Kira niemals zuvor wahrgenommen hatte. Himmel und Erde berührten sich, es erschien ihr wirklich so. Fast glaubte sie, ihre Hand nach den Monden ausstrecken zu können. Sie waren so riesig, so dominant. Unter ihrer Majestät begann Kira, sich klein und unbedeutend zu fühlen. Sie stellte sich vor, es wären die Augen der Propheten, die auf ihre Kinder hinabblickten. Überall sonst auf Bajor betrachteten sie ihr Tun nur aus der Ferne, doch in Capreen konnten sie direkt in ihr pagh sehen.

Schwache Zweifel begannen sich in Kiras fast schlafwandlerische Zufriedenheit zu stehlen. Es war, als ließe eine gewisse Betäubung langsam von ihr ab. Sie konnten in ihre Seele sehen. Hier auf der Ebene gab es nichts, wo sie sich hätte verstecken können vor dem prüfenden Blick ihrer Propheten. Fast ein wenig ängstlich betrachtete sie nun die Monde. Es schien, als hätte sich ihr Licht verändert: Es war kälter geworden. Hatte sie überhaupt das Recht, Zufriedenheit zu empfinden? Konnte sie es wagen, vor die Propheten zu treten? Was machte sie hier?

„Und was machst du hier?“ Bareils Stimme war sanft wie stets, doch sie glaubte, ihren eigenen Zweifel darin widerhallen zu hören.

„Ich...“ Sie hob den Kopf und sah ihn an. „... weiß es nicht.“

Er lächelte. „Das ist keine gute Antwort.“

Nun richtete sie auch ihren Oberkörper auf. „Ich glaube... ich glaube, ich weiß nicht einmal, wie ich hierhergekommen bin.“ Ihre Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. Das entsprach der Wahrheit. Wenn sie nun darüber nachdachte, hatte sie nicht die geringste Erinnerung daran, hierher gelangt zu sein. Sie kannte Capreen nicht, hatte nicht einmal gewusst, dass es existierte. Doch wie auch Bareils surreale Gegenwart, erschien ihr Hiersein normal. Sie schloss die Augen, um sich nur auf sich selbst zu konzentrieren. Als sie die Lider wieder öffnete, hatte sie ihre Antwort gefunden. „Ich suche Ruhe.“

Er nickte. „Du bist das Kind, das zum Schoß seiner Mutter zurückkehrt.“

„Das Kind?“ Sie lachte humorlos auf, während ihre Finger über die Halme strichen. „Ich fühle mich alt. Ich habe so viel im Leben verloren, soviel Träume sind mir zerbrochen - und für all das Leid habe ich noch nicht einmal die Gewissheit, dass dereinst die Propheten selbst mich nicht für meine Vergangenheit verdammen werden.“

Bareil schüttelte leicht den Kopf. Wie ein Lehrmeister, der mit der Antwort seiner Schülerin nicht gänzlich zufrieden ist, kam es Kira in den Sinn.

„Wenn du Alter mit Erkaltung deines Herzens gleichsetzt, oder mit Selbstmitleid...“ er hob leicht die Hand, um ihren Einwand zum Verstummen zu bringen ehe sie die Chance hatte, ihn zu äußern. „dann magst du recht haben. Das wahre Alter deiner Seele jedoch zeigt sich darin, was du daraus gelernt hast, in deiner Fähigkeit, die Katastrophen deines Lebens zu nutzen - nicht sie zu beklagen oder zu verdrängen. Wir alle haben gelitten, wir alle haben Unrecht getan. Doch mir ist selten jemand begegnet, der so sehr davon überzeugt war verdammt zu sein, wie du das bist.“

Unter normalen Umständen - das hieß, wenn sie gewusst hätte, wie sie hierhergekommen war, wenn Bareil noch am Leben gewesen wäre, wenn sie nicht diesen unwirklichen Zauber in den Fasern ihres Wesens gespürt hätte - wäre diese Bemerkung des Geistlichen der Auftakt zu einem Disput zwischen ihnen geworden. Doch nicht hier, nicht im Augenblick. Sie blickte ihn stumm an, seine Züge waren offen, er wollte nicht verletzen, er wollte heilen. Er wirkte noch ätherischer als er dies im Leben getan hatte.

„Du warst immer dieser Meinung, nicht wahr? Dass ich zu viel Selbstmitleid mit mir hätte?“ Sie brachte es nicht als beleidigten Kommentar hervor, sondern als interessierte Frage.

Er lächelte schweigend.

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“

„Akzeptieren.“

„Akzeptieren? Akzeptieren, was mit Bajor geschehen ist, was mit meinem Leben geschehen ist?“

„Was kannst du heute daran ändern?“ Seine Augen waren schwarz im Dämmerlicht der Monde. Die Sterne, die am Himmel fehlten, glaubte sie in diesen beiden Tropfen geschmolzenen Bleis erkennen zu können. Es waren warme Sterne.

„Nichts, aber...“

„Nichts“, schnitt er ihr das Wort ab. „Und das ist die einzige Antwort. In diesem einen Fall gibt es kein ‘aber’. Hör auf, dir selbst Schuld zuzuweisen, und hör auf, anderen Schuld zuzuweisen. Nichts, was du tust, wird auch nur den winzigsten Teil der Vergangenheit ändern. Doch es kann deine Zukunft problemlos zerstören. Lass die Vergangenheit ruhen. Verdräng sie nicht, sondern nimm sie an. Nimm sie an als einen Teil deines Lebens. Du musst nicht stolz darauf sein, du musst sie nicht mögen, du musst sie nur akzeptieren.“

Sie lachte wieder tonlos. „Nur akzeptieren. Wie einfach sich das bei dir anhört.“ Doch es fiel ihr leicht auf den Zusatz des „du weißt gar nicht, wovon du redest“ zu verzichten. Denn er wusste, wovon er sprach. Ihr Blick wurde wieder von den Monden angezogen, den großen, neugierigen Augen. Das Licht erschien ihr nicht mehr ganz so kalt wie zuvor.

„Und du meinst, wenn ich das tue, vergeben mir die Propheten?“

Er hob die Hand, hielt aber kurz vor einer Berührung inne. Kira war froh, dass er dies tat, sie wollte nicht die Enttäuschung spüren, wenn sie statt seiner Haut nur ein Hauch berührte. „Es ist ohne Belang, was ich meine, Nerys. Ich weiß, dass die Propheten dir schon längst vergeben haben. Doch das nützt dir nichts. Du selbst musst daran glauben. Bevor du das nicht tust, kannst du nicht einmal beginnen, dir selbst zu verzeihen.“ Sein Arm sank wieder neben seinem Körper auf das Gras, nur um kurz darauf erneut angehoben über die Ebene zu zeigen. „In alten Zeiten hatten die Bajoraner einen recht einfachen Weg, sich den Willen der Propheten zu verdeutlichen. Man erzählte sich, dass hier in Capreen wunderschöne weiße Geschöpfe in Herden über die Ebene zogen. Derjenige, von dem sie sich berühren ließen, besaß die Zustimmung der Propheten.“

„Oh ja, ich habe davon gelesen. Es gab auch andere Zeiten, in denen wurden Bajoraner in Flüsse geworfen, wobei die Propheten ihren Willen dadurch anzeigen sollten, ob sie die Ärmsten untergehen oder schwimmen ließen.“ Schwache Ironie belegte Kiras Stimme. „Wie leicht war es doch früher... Wir sollten die Herden oder die Flüsse wieder einführen.“

Ihr Sarkasmus schien gänzlich an Bareil verschwendet zu sein. „Nein, wir haben es noch einfacher. All die Legenden haben sich in unseren Herzen angesammelt. Wir tragen die Prüfstelle der Propheten bei uns, jeden Tag. Wir haben nur verlernt, auf sie zu hören.

Kira betrachtete ihn nachdenklich. Er wirkte so ernst und so sicher. Sie wünschte sich, einen kleinen Teil von Bareils Zuversicht für sich selbst in Anspruch nehmen zu können. Das Leben wirkte freundlich und leicht, wenn sie es durch seine Augen betrachtete. Sie wusste, dass auch er Schmerzen in seiner Seele trug wie sie alle. Doch er hatte diese akzeptiert.

Kira sehnte sich danach, dasselbe tun zu können. „Ich will versuchen, auf sie zu hören. Ich will es wirklich.“ Das Versprechen hatte sie leise ihren Fingern gegeben, die immer noch durch die Halme strichen. Als sie wieder aufsah, war er verschwunden.

Langsam legte sie ihren Oberkörper auf die bajoranische Erde zurück. Auch jetzt verspürte sie keine Traurigkeit über den erneuten Verlust. Die Monde waren in ihren Bahnen weitergezogen. Varion beherrschte das Firmament nun vollkommen. So nah, so unglaublich nah. In dem Versuch, ihrerseits in die Seele der Propheten zu blicken, starrte Kira in sein rötliches Licht, bis der Schlaf sie überkam.

Sie fröstelte, als sie im Dämmerlicht des Morgens erwachte. Weiße Bodennebel hatten ihre Herrschaft über die Ebene angetreten. Die Feuchtigkeit, welche sie mit sich brachten, klärte Kiras Geist. Sie verspürte nichts mehr von der fast schlafwandlerisch anmutenden Stimmung der Nacht zuvor. Bereit, die Erinnerung als intensiven Traum abzulegen, erhob sie ihren Oberkörper. Doch sie hatte nach wie vor nicht die geringste Ahnung, wie sie auf die Ebene aus ihrem Traum gekommen war, auf welcher sie sich immer noch befand. War sie tatsächlich in Capreen? Sie versuchte, durch den Nebel hindurch die Größe der aufgehenden Sonne abzuschätzen. War sie wirklich größer als gewöhnlich, oder bildete sie sich dies nur ein?

Das leise Geräusch in ihrem Rücken ließ sie herumfahren.

Und dort stand es. Blauschwarze Augen betrachteten sie neugierig, die atemberaubende Schönheit des weißen Fells verschmolz beinahe mit dem Nebel.

„Nein.“ Kiras Stimme zitterte, als sie dieses eine Wort des Protestes hauchte. Es konnte nicht sein, es existierte nicht. Angst überkam sie, unsägliche Angst, ihren Arm zu erheben. Er fühlte sich so schwer an, als wäre er mit dem Boden, auf den er sich stützte, verwachsen. Sie glaubte, niemals wieder die Kraft aufbringen zu können, ihn zu bewegen.

Wenn sie sich nun einfach wieder umdrehte, würde alles vergessen sein, nicht wahr? Keine Gewissheit, ja, doch war nicht manches Mal die Ungewissheit so viel gnädiger? Sie wusste, dass sie es nicht ertragen konnte gerichtet zu werden. Es war ihr nicht einmal vollkommen klar, welchen Richtspruch sie mehr fürchtete. Wenn sie nicht hinsah, würde es verschwinden. Es war eine Einbildung, die ihre noch immer etwas überreizten Nerven ihre spielten. Kiras Kinn senkte sich, als sie zitternd begann, den Kopf fort von diesem Traumgebilde zu drehen.

Das Schnauben war leise, beinahe zerbrechlich.

Er war sich so sicher gewesen, so sicher...

In diesem Augenblick der möglichen Unmöglichkeiten änderte sie ihre Bewegung.

Haut traf auf Fell. Wirklichkeit auf Traum - und der Traum wich nicht.

Tränen der Erleichterung und der Scham schossen in ihre Augen, als weiche Nüstern ihrerseits den Kontakt suchten. Mit einem leisen Schluchzen ließ sie sich auf den Boden gleiten. Das Geschöpf berührte noch einmal ihr Haar, dann wandte es sich ab, um vom Nebel verschluckt zu werden.

Kira kannte seinen Namen nicht, doch der Platz in ihrem Herzen, in welchem die Legenden wohnten, wusste, dass es einst in Herden über die Ebene von Capreen gezogen war.


ENDE

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