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Verwandte Seelen

von Gabi

Baltain

„Nein! Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht bewegen!“

In völliger Überraschung riss Kira die Augen wieder auf. Das Schwindelgefühl war verschwunden, doch mit ihm ebenfalls die Dunkelheit, ihr Quartier und ... ihre Kleidung. „WAS?!“ Hastig schlug sie die Arme vor ihre Blöße, und hieb sich dabei empfindlich mit einem Stock, den sie scheinbar in der erhobenen Hand gehalten hatte, an den Kopf. Zu verwirrt, um Schmerz, Angst oder Ärger zu empfinden, stammelte sie lediglich: „Wo bin ich?“

Ihr gehetzter Blick nahm so viel wahr, dass sie sich in einer Art von Schuppen befand, nackt auf einer Kiste, und ein paar Meter von ihr entfernt an einem Tisch ein Mann stand, welcher im Augenblick sichtlich ungehalten über ihr Verhalten war.

„Meridorn, was ist los? Kommen dir jetzt plötzlich Bedenken? Oder war der Schlag auf den Kopf zu stark?“ Er drehte seinen Zeigefinger in kleinen Kreisen vor der Stirn.

Kira starrte ihn an. Wie hatte er sie genannt? Er schien sie zu kennen, aber sie hatte diesen Mann noch nie gesehen... und wer war Meridorn? Dann fiel ihr Blick auf das Objekt, welches sich vor dem Bajoraner auf dem Tisch befand. Mit einem Satz war sie von der Kiste unten, vergessen waren ihre momentane Verwirrung und ihre Nacktheit.

„Ich kenne diese Statue!“ Die Form war noch roh, die Augen noch nicht eingesetzt, doch die sich der Vervollständigung nähernde Arbeit war unverkennbar. Sie hatte gerade eben noch auf dem Nachttisch in ihrem Quartier auf DS9 gestanden.

Die Züge des Mannes spiegelten nun leichte Besorgnis wider. „Natürlich kennst du sie, Meridorn. Du hast mir die letzten vier Abende dafür Modell gestanden...“, erklärte er langsam wie einem Kind gegenüber. „Geht es dir gut? Ich glaube, der Schlag war doch zu heftig. Lass mal sehen.“ Er legte den Meisel ab und trat zu ihr hinüber. Kira sträubte sich nicht, als er ihr Haar an der Schläfe beiseiteschob, wo sie sich vorher mit dem Stab getroffen hatte. „Man sieht äußerlich jedenfalls nichts. Sicher nur eine leichte Hirnerschütterung.“ Er griff nach der Decke, die über einer Stuhllehne hing, und legte sie ihr um die Schultern. „Setz dich erst mal, ich hole dir ein wenig Suppe. Für heute ist es dann sicherlich genug. Wahrscheinlich kann ich den Rest auch ohne Modell zu Ende bringen.“

Kira nickte nur, zog die Decke vor ihrem Körper zusammen und ließ sich auf den Stuhl fallen. Während der Mann in den Nebenraum ging, blickte sie sich misstrauisch um. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wo sie sich befand, warum der Mann sie so seltsam nannte, wer er überhaupt war - und warum sich diese kleine Statue dort auf dem Tisch in ihrem Rohzustand befand.

‘Ich träume!’ schoss ihr die Erklärung augenblicklich durch den Kopf. ‘Jadzias Romane und diese Figur sind eine gefährliche Mischung.’ Sie wollte sich eben einigermaßen zufrieden mit dieser Lösung zurücklehnen, als ihr wieder Bedenken kamen. Wenn man träumte, wusste man dann, dass man träumte? Bisher war ihr im Schlaf alles immer realer als lieb erschienen. Wenn man seiner selbst als einer vom eigenen Unterbewusstsein erschaffenen Gestalt bewusst wurde, hieß das dann nicht, dass man kurz vor dem Erwachen stand? Richtig! Sie würde gleich erwachen, jeden Moment...

Der Mann kehrte mit einer Holzschüssel Suppe zurück, die er ihr anreichte. „Wie fühlst du dich?“

Kira wollte eben antworten, als sie zum ersten Mal registrierte, dass sie die Sprache gar nicht hätte verstehen dürfen. Ja, es war Bajoranisch, doch es klang wie die Sprache einer anderen Zeit. Sie glaubte, einmal in einem Museum einen Text gesehen zu haben, der sie daran erinnerte. Doch in demselben Maße, wie ein Teil ihres Bewusstseins erkannte, dass sie dieser Sprache nicht mächtig sein dürfte, verstand sie, was zu ihr gesagt wurde. Fast glaubte sie, auch sprechen zu können. Kira beschloss, es auszuprobieren. „Danke, es geht schon wieder besser.“ Die Worte kamen ihr ohne Schwierigkeiten und ohne darüber nachzudenken über die Lippen. Wo war sie bloß hingeraten? Wer war sie bloß?

„Das freut mich zu hören“, lächelte ihr Gegenüber. „Iss jetzt ein wenig, und dann mach, dass du zurück kommst und dich ausruhst.“

Sie nickte, während sie die Suppe schlürfte. Die heiße Flüssigkeit tat ihrem Magen und ihren Nasenflügeln gut. Mit einem wohligen Seufzen nahm sie sofort den nächsten großen Schluck. „Das schmeckt fantastisch!“ bemerkte sie ehrlich.

„Auch das freut mich zu hören.“ Er erhob sich, nur um alsbald mit einem Kleiderbündel zurückzukehren. „Hier sind deine Sachen. Nicht dass du dich noch erkältest.“

Kira stellte die nun leere Schale ab. Sie wusste immer noch nicht genau, wie sie sich verhalten sollte. Es war nicht viel, was ihr bisher klar geworden war: Der Mann hier kannte sie. Es konnte sich nicht um eine einfache Verwechslung handeln, sonst hätte sie schwerlich eben Modell gestanden. Sie hatte sich auf eine ihr absolut nicht erklärbare Weise in eine andere Frau hineingeträumt. Wie sollte sie sich verhalten? Wenn das hier ihr Traum war, dann konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Doch träumte sie wirklich? Sie hatte keinerlei Möglichkeit herauszufinden, in welchem Bewusstseinszustand sie sich befand...
Als sie nach der Kleidung griff, kam ihr eine andere Idee. Was wenn...? Wenn ihre neue Vermutung stimmte, dann würde jemand dafür sterben!

„Computer, Programm beenden!“

Die Umgebung zeigte sich unberührt von ihren Worten, außer dem Bajoraner, der sie nun verwundert anblickte. „Was meinst du?“

Kira schenkte ihm ein verlegenes Grinsen. „Nichts... ich habe nur laut gedacht.“

„Ah...“ Ihm war anzusehen, dass er nicht glaubte, dass es ihrem Gehirn wieder besser ging.

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie sich sicher war, was in welcher Reihenfolge angezogen werden musste. Diese Kleidung ähnelte jedenfalls keiner ihre bekannten. Es gab so etwas wie grobe wollene Unterwäsche, darüber ein festeres Leinenhemd, das ihr bis zu den Oberschenkeln reichte, dann etwas, das wie ein starres Ledermieder wirkte, welches das Wort ‘Tragekomfort’ mit Sicherheit noch nie gehört hatte. Auch die Stiefel sahen eher zweckmäßig als bequem aus. Den Abschluss bildete ein Gewirr aus Metall und Leder, das sie nach einigem Herumprobieren schließlich als Waffengurt identifizierte. Beinahe ehrfurchtsvoll griff sie nach dem Schwert, welches am Tisch lehnte und so gut in die Scheide des Gurtes zu passen schien. Das Licht, das in den Schuppen fiel, brach sich an der scharfen Klinge. Es war ein wunderbares Kunstwerk. Kira hatte etwas Ähnliches schon einmal in einer Ausstellung bewundert und sich immer ausgemalt, wie es sich in ihrer Hand anfühlen mochte... Es fühlte sich gut an.

Die Frage danach, wo sie war, schien langsam aber sicher von der Frage, wann sie war, verdrängt zu werden. Wenn sie sich noch recht an Bareils zeitliche Einordnung der Statue erinnerte - und vorausgesetzt, sie nahm diesen Traum, diese Fiktion, diese Einbildung... was immer es auch war, als Realität - befand sie sich über 2000 Jahre in der Vergangenheit ihres Volkes.

Der Bildhauer hatte lächelnd ihre Schwierigkeiten mit der Kleidung und ihre Faszination für das Schwert beobachtet. „Meinst du, du findest den Weg zurück? Oder soll ich ihn dir aufzeichnen?“

Sie wollte schon etwas Verneinendes darauf antworten, als ihr in den Sinn kam, dass sie immer noch nicht wusste, wer sie hier war und was sie hier sollte... geschweige denn, wo sie hingehörte. Sollte er sie doch für ein wenig verwirrt halten.

„Ich denke schon, aber wenn du...?“ Sie ließ die Frage mit einem gespielt verlegenen Lächeln im Raum stehen.

Er schüttelte den Kopf. „Du lässt dich aber sofort von einem Heiler untersuchen, wenn du wieder im Lager bist, in Ordnung?“

‘Im Lager’? Ja, sie musste eine Kriegerin sein, das fühlte sich richtig an.

Er trat mit ihr vor die Tür. Der Anblick, der sich ihr bot, verstärkte ihre Vermutung, dass Dax’ Geschichten ihre Fantasie in ein bajoranisches Mittelalter versetzt hatten. Die Straßen waren nicht befestigt, die Bajoraner trugen altertümliche Kleidung, kein modernes Haus war zu sehen, kein modernes Fahrzeug. Gespanne waren das höchste der Gefühle, doch zumeist zogen die Bewohner selbst ihre Karren.

„Die Straße runter und dann kannst du eure Lichter gar nicht verfehlen. Und bitte, überbring meine ehrerbietigste Achtung dem Fürsten Baltain.“

Kira nickte abermals lediglich. Wer immer das sein mochte. Sie dankte dem Bildhauer und ging los. Sie war noch keine drei Schritte gegangen, als er hinter ihr herrief: „Hast du nicht etwas vergessen, Meridorn?“

Überrascht wandte sie sich um. „Ähem... was denn?“ Zuviel Verwirrung wollte sie nicht an den Tag legen. Wer wusste, wo sie dann endete. Sie kannte sich nicht so gut mit zweitausendjähriger bajoranischer Geschichte aus, aber sie konnte sich vorstellen, dass geistig Umnachtete nicht unbedingt den angesehensten Platz in der Gesellschaft hatten.

Der Bildhauer deutete nur mit einem resignierten Kopfschütteln neben seinen Hauseingang. Dort stand gesattelt ein Pferd. Kira versuchte, sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen. Reiten? Das hatte sie noch nie im Leben getan. Irgendwie sah das Tier nicht gerade vertrauenserweckend aus. „Oh natürlich“, meinte sie nur. „Danke, dass du mich daran erinnert hast.“ Sie näherte sich misstrauisch dem Pferd. Täuschte sie sich, oder blickte das Tier ihr ebenso misstrauisch entgegen? Mit einem etwas verkniffenen Lächeln, welches das Pferd absolut nicht beeindruckte, tätschelte sie ihm den Hals. „Gutes Mädchen... oder…“, sie versuchte, so unauffällig wie möglich unter den Bauch des Tieres zu schielen. „... Junge.“

Das Schnauben hörte sich fast ein wenig ärgerlich an.

„Entschuldigung“, flüsterte sie in sein Ohr. „War nicht so gemeint.“

Sie band die Zügel von der Stange los und hielt sie unschlüssig in den Händen. „Nun, dann wollen wir mal.“ Sie wünschte sich im Augenblick sehnlichst, der Bildhauer möge wieder zurück in sein Haus gehen. Doch dieser schien darauf erpicht sicherzustellen, dass sie wohlbehalten ihres Weges zog. Kurzzeitig überlegte Kira, ob sie das Tier lieber aus dem Dorf hinaus führen sollte, aber die Erwartung in den Augen des Mannes sagte ihr, dass sie aufsteigen musste.

„Propheten, helft mir“, murmelte sie ein stummes Stoßgebet, dann fasste sie mit der linken Hand den Sattelknauf und zog sich hinauf. Der Teil in ihr, der wohl die wahre Meridorn war, übernahm die Kontrolle. Kira war überrascht, mit welcher Leichtigkeit sie sich auf den Rücken des Tieres schwang, mit welcher Selbstverständlichkeit sie die Zügel richtig fasste. Doch der Hengst selbst gehorchte ihr nicht ohne Weiteres, statt sich die Straße hinunter in Bewegung zu setzen, brach er ein wenig zur Seite aus und schritt zwei enge Kreise.

Einem tiefsitzenden Wissen folgend lehnte Kira sich nach vorne auf den Hals des Tieres und flüsterte in dessen Mähne: „Du ahnst, dass ich nicht diejenige bin, die ich sein sollte, nicht wahr? Du spürst es. Ich kann dir nicht erklären, was passiert ist, doch ich verspreche dir zu gehen, sobald ich weiß, wie.“ Sie erhob sich wieder und schaffte es, den Hengst in einen leichten Trab und in die Richtung zu bewegen, die ihr vorschwebte.

Es war das Verhalten dieses Tieres mehr als alles andere, was sie zu der Überzeugung kommen ließ, dass sie nicht träumte. Ein Pferd aus ihren Träumen hätte sich dementsprechend verhalten. Unsicher ritt sie zum Dorf hinaus. Erst als sie außerhalb der Hörweite war, sprach sie laut. „Propheten helft mir. Was ist geschehen? Was soll ich tun?“ Sie hatte das vage Gefühl, dass es einen Grund gab, warum sie hier war, dass sie früher oder später zurück in ihr Leben kehren würde. Und es war ihr alarmierend bewusst, dass sie vorsichtig sein musste mit dem Körper, in den sie hier hineingeraten war. Sie durfte diese Meridorn nicht durch ihre eigene Unvorsichtigkeit in Gefahr bringen.

Wie der Bildhauer gesagt hatte, erblickte sie in einiger Entfernung vom Dorfrand die Lichter von Lagerfeuern. Wenn sie sich alles bisher Vernommene richtig zusammenreimte, dann war sie eine Kriegerin im Dienst eines gewissen Fürsten Baltain, dessen Lager sie nun gewiss vor sich erblickte. Leise Furcht beschlich sie, als sie daran dachte, dass Meridorn in diesem Lager wohl die meisten Bajoraner mit Namen kannte.

„Wer da?“ wurde sie nach ein paar Metern aufgehalten.

‘Bloß keine Parole oder sonst was in der Richtung’, wünschte sie leise. Laut erwiderte sie: „Meridorn.“

Der Posten trat aus dem Schatten eines Baumes. „Na, Sitzung schon beendet? Der Fürst ist schon begierig darauf, das Ergebnis zu sehen.“ Der Bajoraner lachte. „Und auf dich sicherlich auch.“

Kira grinste süßlich. Auf der einen Seite war das immer eine angemessene Reaktion auf Foppereien unter Freunden - was sie hoffte, dass der andere Soldat und sie waren - und auf der anderen Seite drückte es am besten ihre Gefühle aus. Nur das nicht! Wenn diese Meridorn ein Verhältnis mit dem Fürsten hatte, dann hieß das... Kira wollte gar nicht daran denken, mit einem wildfremden Mann ins Bett zu steigen. Auf die eine oder andere Weise: Sie würde sich da hinaus winden - und wenn es hieß, dass sie sich selbst irgendwelche Wunden zufügen musste. Darin, sich einen Stab über den Kopf zu hauen hatte sie nun ja schon Erfahrung. Geborgter Körper oder nicht, sie, Kira Nerys, schlief nicht mit irgendeinem Mann.

Als sie ihr Pferd, das mittlerweile besser gehorchte, wieder vorwärts trieb, überlegte sie sich, ob sie nicht einfach im Schatten der Bäume ihr Heil suchen sollte. Doch sie hatte das Gefühl, dass sie das, was sie hier eigentlich sollte, nur dann erfahren konnte, wenn sie auf Meridorns vorgegebenem Weg blieb.

Im Lager wurde sie kameradschaftlich begrüßt. Sie lächelte und schlug auf Schultern, während sie ihre Ohren offen hielt, um hier und da Namen aufzuschnappen, die andere sich zuwarfen. Nachdem sie abgestiegen war, nahm ihr ein Junge das Pferd ab. Kira nickte ihm freundlich zu und starrte dann eine Weile dem davon geführten Hengst nach. Sie versuchte, sich sein Aussehen einzuprägen. Wie peinlich würde es erst werden, wenn die Krieger aufbrachen und sie vor einer Auswahl von Tieren stand, unter denen sie ihr eigenes nicht identifizieren konnte?

Was nun? Es war immer relativ einfach, einen Weg zu gehen. Die großen Fragezeichen eröffneten sich stets erst dann, wenn man am Ziel angekommen war. Hatte sie ein Zelt? Wenn, ja, wo war es? Wo war das Zelt des Fürsten (das musste sie vor allem wissen, damit sie diese Richtung meiden konnte)? Was taten die Krieger abends? Tranken sie zusammen, saßen sie bei einem Spiel? Kira hätte einiges darum gegeben, nun ein Display ihr eigen nennen zu können, auf dem sie bajoranische Geschichte hätte abrufen können. Im Augenblick stand sie lediglich unschlüssig in der Mitte eines geschäftigen Lagers.

Ihre Überlegungen nahmen ein jähes Ende, als sich nicht unweit von ihr eine Zeltplane öffnete, und ein großer Mann daraus hervortrat. Bevor sie darüber nachdenken konnte, was sie tat, rief sie: „Edon!“

Sein Haar war ein wenig heller und länger als sie es kannte, seine Gestalt erschien in dem schweren Kriegs-Leder noch kräftiger, doch es war eindeutig Shakaar Edon. War er auf die gleiche unbekannte Weise wie sie in diese Zeit verschlagen worden? Hatte er sich im gleichen Lager wie sie wiedergefunden?

Hoffnung keimte in ihr auf. Sie war nicht mehr alleine...

Der Bajoraner blickte bei ihrem Ruf auf, anfangs verwundert. Dann, als er sie erkannte, verwandelte sich die Verwunderung in Amüsiertheit. Mit zwei bedächtigen Schritten stand er vor ihr.

„Wie hast du mich eben genannt, Meldereiterin?“

‘Meldereiterin’? Kira merkte, wie ihre Stirn feucht wurde. Das war nicht Shakaar Edon vor ihr. Niemand aus ihrer Zeit. Er war ein absolutes Ebenbild des Mannes, den sie so gut kannte, doch er war...

Es musste Meridorns Teil in ihr sein, der auf seinen Geruch reagierte, nicht so gepflegt, wie Kira das kannte, sondern von einer interessanten Wildheit. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, teils aus leiser Furcht, sie könne einen Fehler begangen haben, teils als Reaktion auf seine Nähe. Es war ihr klar, wen sie vor sich hatte.

„Verzeiht, Herr.“ Sie neigte den Kopf und hoffte inbrünstig, wenigstens irgendwie die richtige Gestik und Anrede zu finden. „Ich wollte nicht respektlos erscheinen, ich...“

Das leise Lachen ließ sie innehalten. Sie blickte wieder auf. Seine Augen wirkten nicht verärgert. Unter seinem Blick begann sich erneut etwas in ihr zu regen. Kira verfluchte leise die wahre Besitzerin des Körpers. Für den Moment hätte sie Meridorn gerne völlig verdrängt. Diese schien weit stärker auf seine Gegenwart zu reagieren als ihr, Kira Nerys, das lieb war.

„Seit wann so förmlich, Meridorn?“ Er fasste ihr Kinn. „Ich bin froh, dass du so früh schon wieder da bist. Wenn du morgen das Lager verlässt, will ich noch etwas von dir gehabt haben...“ Er ließ den Satz fragend verklingen.

Kira überlegte. Es klang nicht nach einem Befehl. Sie bekam eher den Eindruck, als wäre Meridorn nicht mit ihm zusammen. Er schien sie jedoch zu begehren, und Kira spürte recht deutlich, dass Meridorn von ihm begehrt werden wollte. Dennoch, sie besaß die Möglichkeit ‘nein’ zu sagen.

Bevor sie registrierte, was sie tat, hatte sich ihre Hand erhoben und strich sanft über seine raue Wange. Mit einem innerlichen Seufzen, ließ Kira es zu, dass er ihren Arm fasste und sie zu seinem Zelt hinüberführte. Vielleicht war es so in der Tat einfacher, als wenn sie den Rest der Nacht damit verbrachte herumzuirren und ihre eigene Unterkunft zu suchen...

* * *


Sie betrachtete die schlafende Gestalt des Fürsten. Seine Züge entsprachen so sehr denjenigen von Shakaar, dass es sie erschreckte. Wie war das möglich, dass sie hier auf jemanden traf, der wie er war? Es war nicht nur sein Äußeres, auch in der Art glaubte sie Ähnlichkeiten feststellen zu können. Baltain war rauer und wilder als Shakaar, er hatte sie sich in einem Sturm genommen, der Kira beinahe den Atem geraubt hatte. Doch war das nicht einfach die passende Shakaar-Version für dieses Zeitalter? Und warum traf sie von all den Millionen Bajoranern ausgerechnet auf ihn? Auf der einen Seite war es so einfacher für Kira, weil sie in ihrem Innersten das Gefühl von Vertrautheit bekam. Auf der anderen Seite nahm ihr aber genau dieses Gefühl die Distanziertheit, die sie benötigte, um ihre Lage besser zu erkunden. Sie war immer noch fest davon überzeugt, dass sie irgendwann aufwachen ... ‘zurückkehren’... würde, und bis dahin wollte sie sich nicht in irgendetwas verstricken. Ihren Gedanken zum Trotz begann sie, seine nackte Schulter zu streicheln. Dieser Mann bedeutete ihr viel, gleichgültig in welchem Jahrtausend. So war sie beinahe froh, als er sich schläfrig umwandte und sie in seine Arme zog. Es war den ganzen Abend ein gewisses Lächeln auf seinen Zügen gelegen. Er hatte einmal sogar angedeutet, dass sie ihm heute anders erschien... Nicht nur der Hengst ahnte etwas. Während sie langsam wieder in den Schlaf hinüberglitt, überlegte sie, dass er vorhin etwas davon gesagt hatte, dass sie morgen aufbrechen würde. Sie hoffte innigst, vorher würde ihr noch jemand erklären, wohin.

Ihre Hoffnung wurde am nächsten Tag nicht enttäuscht. Nach einer Katzenwäsche in morgendlichem Flusswasser, welches sogar ihr als ehemaliger Widerstandskämpferin entschieden zu kalt war, und einer weiteren heißen Suppe - die jedoch nicht so gut schmeckte wie diejenige des Bildhauers - fand sie sich wieder im Zelt des Fürsten. Unauffällig war sie seit ihrem Erwachen in seiner Nähe geblieben. Kira war sich nicht sicher, ob dies ein angemessenes Verhalten war, oder ob es sich eher geziemt hätte, sich unter ihre Mitstreiter zu mischen. Doch sie hatte keine Referenz, an welcher sie die richtige Sitte hätte messen können. Alles, was ihr im Kopf herum spukte, war die wohl eher unbrauchbare Information, die sie aus den diversen Fantasygeschichten Jadzias angesammelt hatte. Auf gewisse Weise fühlte sie sich in eine von ihnen hineinversetzt. Sie war die einsame Heldin, die nach einer kurzen Nacht der Leidenschaft wieder ihres Weges ziehen musste, weil ihre Bestimmung nicht an der Seite einer anderen Person lag, sondern in der Verfolgung eines edlen Zieles. Allerdings hätte sie einiges darum gegeben, auch nur zu ahnen, was für ein Ziel dies darstellen könnte.

Wie dem auch sei, Shakaar, nein, sie verbesserte ihre Gedanken, Fürst Baltain, hatte keineswegs so gewirkt, als empfände er sie als Beute für eine Nacht. Im Gegenteil schien er angenehm überrascht, dass sie ihn am Morgen mit Streicheln geweckt hatte, und auch sonst eher einen vertrauten Eindruck vermittelte. Kira hoffte, dass sie hier nicht zu sehr in Meridorns Leben herum pfuschte. Aber nach den gespaltenen Reaktionen in ihrem Bewusstsein schien dies einigermaßen nach dem Wunsch der anderen Frau zu sein.

„Fast reut es mich, dich ziehen zu lassen, Meridorn“, bemerkte er lächelnd, während er eine Karte entfaltete. „Ich werde zu den Propheten beten, dass du bald zurückkehrst.“

‘Die Propheten’, nun hier war endlich etwas, mit dem Kira sich voll und ganz identifizieren konnte. In ehrlicher Freude hob sie ihren Kopf. „Die Propheten werden über mich wachen, dessen bin ich mir sicher.“

„Es freut mich zu sehen, dass du so sicher in deinem Glauben bist.“

Und das war sie, ihr Glaube hatte sie durch schreckliche Zeiten geführt, er würde ihr auch hier helfen. Ihre Aufmerksamkeit wurde nun allerdings von der Karte angezogen, die Baltain glatt strich. Sie bestand aus grob gewalktem Material, auf welchem mit Farbe Linien und auffallende landschaftliche Merkmale gemalt waren. Unauffällig berührte sie eine Ecke, um die Textur zu fühlen. Was würden die Archäologen wohl darum geben, wenn sie ein solches Zeitdokument mitbringen könnte?

„Nur um noch einmal sicher zu gehen, dass dir alles klar ist: Das Heer von Fürstin Pallren lagert hier.“ Ihre Augen folgten Baltains Finger. Sie war äußerst dankbar dafür, dass er das Gefühl hatte, ihren Einsatz noch einmal erklären zu müssen. „Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass du ihr Lager in fünf Tagen erreichst. Wenn sie zu spät zuschlägt, werden unsere Kräfte aufgerieben. Meide die Ebene, unseren Spähern zufolge können sich Fürst Ibudans Leute in diesem gesamten Bereich aufhalten“, sein Finger zog einen Kreis zwischen zwei Gebilden, die Kira als Bergketten identifizierte. Dies schien also ihr gemeinsamer Feind zu sein, sie beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, was es hieß, in einer Zeit zu leben, in welcher sich Bajoraner gegenseitig töteten. Mit einem Mal war sie sehr froh darüber, ‘nur’ eine Meldereiterin zu sein. Wenn sie sich in ihren Vorstellungen als kühne Kriegern sah, dann war es stets ein namenloser - oder cardassianischer - Feind gewesen, gegen den sie zu Felde zog. Solch’ für sie eindeutig als ‘böse’ zu identifizierenden Mächte wie in Jadzias Romanen.

Baltain sah auf - sie stellte fest, dass sie diesen forschenden Blick unter den langen Wimpern liebte - und faltete die Karte wieder zusammen. „Hast du noch Fragen, Meridorn?“

Die Frage, die ihr vornehmlich auf der Zunge lag, nämlich, wo sich auf der Karte eigentlich ihr eigenes Lager befand, schluckte sie hinunter. Das wäre gewiss unpassend gewesen. Sie hatte für sich beschlossen, dass das logischste Vorgehen ein Angriff von zwei entgegengesetzten Seiten wäre, daher vermutete sie ihren eigenen Standpunkt in etwa einer geraden Verbindungslinie über die beiden von Baltain angezeigten Lager hinaus. So verneinte sie und nahm die Karte entgegen. Der Fürst reichte ihr noch ein zweites Papier, in dem sie folgerichtig den koordinierten Einsatzbefehl für das zweite Lager vermutete.

„Verteidige es mit deinem Leben.“ Einer plötzlichen Gefühlsaufwallung folgend, fasste er ihren Hinterkopf und zog ihr Gesicht zu einem leidenschaftlichen Kuss an seine Lippen. „Ich will dich nicht verlieren“, bemerkte er ernst, nachdem sie sich wieder gelöst hatten. „Doch unser aller Schicksal hängt jetzt von deiner Schnelligkeit ab.“

Abermals nickte sie nur. Ja, das Prinzip kannte sie gut genug: Die Sache zuerst. Auf gewisse Weise war es nicht so verschieden vom Widerstand während der cardassianischen Besatzungszeit. Seinen Augen glaubte sie zu entnehmen, dass es jetzt für sie soweit war aufzubrechen. Langsam erhob sie sich, ihre Gedanken suchten nach einer passenden Bemerkung. „Ich werde euch nicht enttäuschen - ich werde dich nicht enttäuschen.“ Als er keine Anstalten machte, sich ebenfalls zu erheben, musste sie wohl in den sauren Apfel beißen, sein Zelt alleine zu verlassen und zu beginnen, draußen auf der Suche nach ihrem Pferd herumzuirren...

Sie stand noch unschlüssig in der Morgenkälte, als sie die Schritte hinter sich hörte. Ohne sich ihre Erleichterung anmerken zu lassen, wandte sie sich zu Baltain um. Von dessen Gesicht war abzulesen, dass er glaubte, sie stünde noch hier, weil sie gehofft hatte, er würde ihr folgen. Dies war ihr nur recht. Besser sie verschaffte ihrem Gastkörper den Ruf eines romantisch verliebten Mädchens als denjenigen völliger Orientierungslosigkeit. Baltain nahm sie wortlos bei der Schulter und gemeinsam schlugen sie einen Weg ein, der sie schließlich zur Koppel führte. Dort erwartete Kira ein neuer Schreck. Es waren unheimlich viele Pferde, und auf gewisse Weise sahen sie sich alle ähnlich. Sie wollte sich eben zu dem Fürsten umdrehen, um ihm mit einer geschickten Harmlosigkeit Informationen zu entlocken - obwohl sie ernsthaft bezweifelte, dass der Kriegsherr die Pferde seiner Leute kannte - als abermals das Glück auf ihrer Seite stand. Ein Junge - vielleicht derselbe wie gestern Abend - näherte sich ihnen mit einem gesattelten und mit Vorräten beladenen Pferd.

‘Danke Propheten’, murmelte sie leise.

Sie lächelte dem Hengst als eine Art Friedensangebot zu. Immer noch glaubte sie, den misstrauischen Blick in den Augen des Tieres ausmachen zu können. Liebend gerne hätte sie ihn ja beim Namen genannt, aber danach einen der Umstehenden zu fragen, war ausgeschlossen.

„Na, du.“ Sie nahm dem Jungen die Zügel ab. „Wir beide werden uns jetzt ein paar Tage vertragen, abgemacht?“

Das Pferd schnaubte und schüttelte seine Mähne. Kira hoffte, dass dies seine Variante von ‘ja’ war. Sie schloss die Augen und überließ Meridorns Geschick die Führung. Wie schon gestern überkam sie ein Gefühl befreiter Freude, als sie im Sattel saß. Der Hengst tänzelte ein wenig, doch sie glaubte, ihn im Zaum halten zu können. Sie wagte es sogar, beide Zügel in eine Hand zu nehmen, um mit der freien zum Fürsten hinab zureichen.

„Die Propheten lächeln über unsere Sache.“

„Sie mögen bei dir sein. Komm zurück!“

Kira erwiderte darauf nichts, sie hatte keine Ahnung, ob sie zurückkehrte. Der Platz der Fantasy-Heldin nach Beendigung ihrer Aufgabe war bisher in keinem der Bücher an der Seite des stolzen Kriegsherren gewesen. Ohne ein weiteres Wort ergriff sie mit beiden Händen die Zügel, wobei es ihr gelang, ihren Hengst in einer beeindruckenden Wendung herumzureißen. Ja, das war der richtige melodramatische Abschied der Heldin von ihrer gewohnten Umgebung. Ein unterdrücktes Lächeln stahl sich auf Kiras Züge, wenn sie sich nicht so unsicher darüber wäre, wie sie hier her geraten war, könnte ihr die Sache beinahe Spaß machen.

Hinter ihr erhob sich kein Protest, als sie davon trabte, daher nahm sie an, dass ihre ungefähre Richtung stimmte. Kartenlesen ohne die Hilfe eines elektronischen Kompasses war überhaupt nicht ihr Ding.
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