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Neues Leben

von Gabi

Kapitel 1

während der cardassianischen Besatzungszeit auf Bajor

Es war zu viel Blut. Er musste nicht in Lupazas Augen blicken um zu wissen, dass sie den Kampf verloren. So sinnlos! So vermeidbar! Ein Krankenhaus, eine Ärztin, eine bessere medizinische Ausrüstung … in einer anderen Realität hätte das nicht passieren müssen.

Doch sie hatten nur diese Realität. Diese verhasste, grausame, unbarmherzige Realität in welche sie jeden Morgen erwachten und in der sie sich jeden Abend Vergessen vom Schlaf erhofften, wenn sie den Tag überlebten. Diese Realität, die Liebe unmöglich machte, die jede Beziehung von vorneherein zum Scheitern verurteilte. Sie brannte nach und nach alles aus ihnen heraus, was sie zu einem gewöhnlichen Leben befähigt hätte. Sie trieb sie dazu kurzes Vergessen in den Armen einer anderen Person zu finden, für flüchtige Momente der körperlichen Lust die Entbehrungen des Tages auszublenden. Und sie machten Fehler.

Mit seiner linken Hand hielt Shakaar fest die Finger der jungen Frau umfasst, die vor ihnen auf dem Feldbettlag lag. Milas Haut war bleich, die Haare klebten in feuchten Strähnen an ihrer Stirn und um ihren Hals. Im tapferen Lächeln, das die bläulichen Lippen zeigten, zuckten immer wieder Momente des Schmerzes auf. Jedes einzelne Zucken trieb eine neue Nadel in Shakaars Herz. Es war so unfassbar hart stark zu sein. Er drückte Milas Hand und lächelte ihr zu. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann ihm jemals ein Lächeln so schwer gefallen war.

Seine rechte Hand befand sich in einem Meer aus Blut.

Er folgte automatische Lupazas knappen Anweisungen, dachte überhaupt nicht darüber nach, was er tat. Er hielt, wo sie ihn aufforderte und drückte, wo sie ihn anwies.

Die Arme der Frau waren bis zu den Ellbogen eingefärbt mit der roten Flüssigkeit, die Leben spenden und nicht nehmen sollte. Doch keiner von ihnen beiden achtete im Augenblick darauf. Sie taten, was getan werden musste, mit dem wenigen, was ihnen zur Verfügung stand. Einfach aufgeben stand nicht zur Option.

Shakaar war froh, dass er im Vorfeld die Einsätze seiner Gruppe so koordiniert hatte, dass nur sie drei sich jetzt im Lager befanden. Niemand sollte es sehen, niemand sollte es wissen. Es war alles ganz anders geplant gewesen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass etwas schief ging.

Der Druck in seiner linken Hand verstärkte sich, wurde krampfartig. Kurzzeitig wankte das Lächeln, das er Mila schenkte. Was hatten sie getan? Was hatte er getan?

„Gut, jetzt.“ Lupazas Stimme war ein Flüstern. Jeder laute Ton war im Moment unangebracht. „Halt die Nabelschnur weg, sie hat sich etwas verwickelt.“

Milas Krampf wurde stärker. Shakaars Hand schmerzte, wo sie ihn drückte, doch er würde es aushalten und wenn sie ihm die Knochen brach. Das war das Letzte, was er für sie tun konnte.

„Es ist gleich da“, flüsterte er ihr zu. Seine Stimme wollte ihm nicht gänzlich gehorchen. „Gleich ist es vorüber.“

Ihre Augen blickten zu ihm auf, er wagte nicht, die seinen abzuwenden, um nach Lupaza zu sehen. Milas Blick war müde, es war keine Hoffnung mehr darin zu sehen, nur die ruhige Ergebenheit in ihr Schicksal. Sie war so viel stärker als er es jemals sein könnte. Mit aller Willenskraft zwang Shakaar das Brennen in seinen Augen zurück. Er durfte keine Tränen zulassen, nicht jetzt.

Als sie den Schrei hörten, kehrte kurzzeitig wieder Leben in die Augen der jungen Frau zurück. Auch Shakaar wagte einen knappen Blick zu Lupaza hinüber. Die Bajoranerin trennte mit einem scharfen Messer die Einheit der letzten Monate. Als sie aufblickte trafen ihre Augen diejenigen Shakaars. Sie nickte kurz. Er umfasste das blutige, klebrige Bündel behutsam mit dem rechten Arm und legte es so an Milas Schulter, dass die junge Frau es sehen konnte.

„Es ist ein Junge. Es geht ihm gut.“

Die Andeutung eines Lächelns verschönerte Milas müde Züge. Ein wenig Stolz flammte in ihren Augen auf. Sie blickte dankbar von dem kleinen Wesen zu Shakaar.

Dann erschlaffte der Druck ihrer Finger.

Shakaar senkte die Stirn auf ihren Bauch. Jetzt endlich ließ er seinen Tränen freien Lauf.

* * *


Das Wasser des kleinen Bergbaches hatte den gröbsten Teil des Blutes abgewaschen. Ihre Arme trockneten im lauen Wind. Sie saßen Seite an Seite am Wasser, ihre Blicke auf eine Ferne gerichtet, die nicht räumlicher Natur war. Das Kind lag in Decken gehüllt in Shakaars Schoß und schlief die Strapazen der Geburt aus.

„Wie willst du ihn nennen?“

„Nikai.“ Shakaar starrte weiter vor sich hin. „Das war der Name meines kleinen Bruders.“

Lupaza nickte. Für eine Weile sprachen beide nicht weiter. Nur das leise Gurgeln des Bergbaches erfüllte die Luft. Es stand in seiner unschuldigen Unbeschwertheit in krassem Gegensatz zu ihrer Stimmung.

Schließlich fasste Shakaar das schlafende Bündel und erhob sich. „Ich werde sie begraben, bevor die anderen zurück sind.“

„Ich helfe dir.“

„Nein, das muss ich alleine tun.“

Shakaar legte seinen Sohn im Schutz eines Busches ab, holte sich die Hacke und begann für die nächste Stunde Bajors Boden zu bearbeiten. All seine Schmerzen und Frustration flossen in die kräftigen Bewegungen, bis er schweißüberströmt über dem schmalen Grab stand. Es hatte ihn ausgelaugt, doch er fühlte sich lebendiger als in den verzweifelten Stunden zuvor. Im Grunde seines Herzens war er immer noch ein Farmer. Wenn seine Hände etwas zu tun hatten, fand er leichter wieder in sein Gleichgewicht.

Als es soweit war half Lupaza ihm Mila in ihre letzte Ruhestätte zu legen. Wie Erde und Steine allmählich das blasse Antlitz zudeckten, bekam Shakaar unter einem Schleier aus Tränen kaum mit. Auch das traditionelle Gebet kam ihm automatisch über die Lippen. Nichts davon berührte seinen Verstand.

Schließlich setzte er sich auf die Fersen zurück und nahm das Deckenbündel von seinem Ruheplatz unter dem Busch auf. Zum ersten Mal fiel sein Blick bewusst auf das kleine, recht zerknautscht wirkende Gesicht. Die Augen waren noch geschlossen, doch Nase und Mund zuckten suchend. Shakaar wischte seine Hand am Hemd ab, dann berührte er mit dem kleinen Finger versuchsweise das so zerbrechlich wirkende Gesichtchen. Augenblicklich hörten die suchenden Bewegungen auf und kleine Lippen schlossen sich um den Finger, um zufrieden daran zu saugen.

Es war als ob eine Welle der Erlösung über seinen Körper hinweg flutete. Erneut spürte der Mann wie Tränen in seine Augen schossen. Doch dieses Mal waren es nicht Tränen der Verzweiflung, sondern der Dankbarkeit.

„Du wirst leben, Nikai, du wirst leben“, flüsterte er seinem Sohn zu.

„Er kann nicht hier bleiben.“ Lupaza war neben ihn getreten. Wenn einer ihrer Gefährten hier gewesen wäre, wäre er überrascht gewesen, wie sanft die ruppige Bajoranerin klingen konnte.

„Ich weiß.“ Shakaar konnte seinen Blick nicht von dem kleinen Wunder abwenden, das so vertrauensvoll in seinen Armen lag.

Erneute Stille schloss sich an. Beide Widerstandskämpfer lauschten den sanften Schmatzlauten des Kindes. Die Sonne berührte bereits die Gipfel der Berge, als Shakaar sich erhob.

„Ich werde ihn in die Stadt bringen. Ich habe dort Freunde, die ihn aufnehmen können. Er soll niemals erfahren, wer seine Eltern waren. Er soll eine Chance bekommen, die er als mein Sohn niemals hätte.“

Lupaza nickte. „Was soll ich den anderen sagen?“

„Nichts. Mila hat niemandem gesagt, wer der Vater ist, und dabei werden wir es belassen. Wenn ich zurückkehre, nehmen wir gebührend Abschied.“

Shakaar blickte noch einmal in die länger werdenden Strahlen der Abendsonne. Sie sandten ein trügerisch warmes Licht über die kahlen Gipfel. Mit einem Ruck riss er sich zusammen, barg den in Decken gehüllten Jungen in seiner Jacke und begann den Abstieg ins Tal.

Er hatte Unschuldige getötet, er hatte Gefährten in deren sicheren Tod geschickt – doch noch nie war ihm eine Entscheidung so schwer gefallen wie diese.

ENDE

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