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Erkenntnis

von Gabi

Kapitel 1

Am Morgen nach den Geschehnissen in „Destiny“ („Trekors Prophezeiung“)

Als der Chronometer piepte war es objektiv gesehen ein Morgen wie jeder andere. Subjektiv jedoch hatte sich alles verändert. Die Kommunikationsverbindung mit dem Relais im Gamma-Quadranten stand trotz etlicher Schwierigkeiten und bedeutete einen enormen Fortschritt nicht nur für die Wissenschaftler, sondern – und vor allem – für die bajoranisch-cardassianischen Verhältnisse. Die erste Zusammenarbeit war nicht gescheitert. Der schwache Funke, den der Friedensvertrag entfacht hatte, war trotz Interventionen auf beiden Seiten nicht gelöscht werden. Er würde weiter brennen und zu einem Feuer werden. Dafür wollte Benjamin Sisko alles in seiner Macht stehende unternehmen.

Doch auch das war es nicht, was diesen Morgen für den Kommandanten von DS9 zu etwas Besonderem machte.

All die Jahre auf der Akademie, in der Sternenflotte, während seiner gemeinsamen Zeit mit Jennifer, selbst bei ihrem Tod und den einsamen Jahre danach bis hin zur anfangs verhassten Stationierung auf DS9 – in all diesen Jahren hatte er gewusst, wer er war.

Bis gestern.

Der Sisko, der heute Morgen erwachte, war sich nicht mehr sicher, ob er derselbe war, der gestern Abend zu Bett gegangen war.

Dax hatte recht: er war in seiner Entscheidungsfindung ein freier Mann. Was ihn leitete waren harte Fakten, kein spiritueller Nebel.

Odo hatte recht: er kämpfte an gegen diese unsinnige Bezeichnung, welche die Bajoraner ihm verliehen hatten. Sie war lächerlich, und sie verhinderte in den meisten Fällen, dass er Auge in Auge mit geistlichen Vertretern Bajors sprechen konnte.

Der einzige spirituelle Bajoraner, der ihn stets als Gleichgestellten betrachtet hatte und bei dem er sich nicht erinnern konnte, dass er ihn jemals mit dem Titel „Abgesandter“ angesprochen hatte, war Vedek Bareil gewesen. Wie gerne hätte er jetzt mit diesem Mann gesprochen, doch ausgerechnet Bareil hatte sein Leben vor ein paar Wochen für den Friedensvertrag geben müssen.

Was Yarka gesagt hatte, war nicht eingetroffen. Die Warnungen vor Trekors Prophezeiung waren lächerlich gewesen. Doch gleichgültig, wie er es drehte und wendete, es war die Interpretation, die widerlegt wurde, nicht der Text selbst.

Natürlich lag es in der Art von Prophezeiungen, dass sie mit den möglichst schwammigsten Worten die möglichst breiteste Interpretationsvielfalt zuließen. So konnte eine Prophezeiung schlecht widerlegt werden, denn es gab immer noch einen anderen Ort, eine andere Zeit, eine andere Gegebenheit, wo es dann doch passen könnte.

Dennoch … in Kiras Neuinterpretation war genau das Körnchen Zweifel enthalten gewesen, das auf Benjamin Siskos fruchtbaren Boden fiel. Die „ Rückkehr ins Nest“ hatte die Bajoranerin wohlweislich ausgeklammert, doch der Rest …

Siskos Faust traf den Fensterrahmen im Wohnbereich. Der Schlag war nicht heftig, doch er drückte die Frustration des Kommandanten aus. Er war ein Sternenflotten-Offizier, das hatte bisher seine gesamte Laufbahn und untrennbar damit sein Leben definiert. Hohe Ideale, hehre Ziele, moralische Unantastbarkeit, strikte Einhaltung der lange erprobten Direktiven. Es war so einfach ein Heiliger im Paradies zu sein.

Doch hier …?

Der Planet zu dessen Schutz er stationiert war, der Planet, dessen Bewohner in Teilen so fanatisch an dem Irrglauben festhielten, dass er eine Art Heilsbringer sei, dieser Planet hatte über 50 Jahre unter Folter, Missbrauch und Ausbeutung gelitten und alle hatten weggesehen – aufgrund der strikten Einhaltung lange erprobter Direktiven.

War das im Endeffekt nicht genauso falsch wie das Pochen auf nebulösen Prophezeiungen? War die Sternenflottenmoral nicht auch eine Art Ersatzreligion, die sie daran hinderte, eigene Entscheidungen zu treffen?

Sisko stützte sich mit beiden Händen auf dem ovalen Fenstersims ab. Sein Blick glitt hinaus zu den Myriaden von Sternen, in denen er so oft eine gewisse Beruhigung für seine aufgewühlten Gedanken gefunden hatte.

Nicht so heute Morgen.

Er war in seinen Handlungen der Sternenflotte verpflichtet. Wenn er nun zuließ, dass er tiefer in die bajoranische Gesellschaft hineingezogen wurde, dann konnte der Tag kommen, an welchem er wählen musste, wo seine Loyalität lag. Und dieser Tag würde kommen!

In dieser Hinsicht beneidete er seinen ersten Offizier ein wenig. Ihre Haltung brachte ihn als ihren Vorgesetzten des Öfteren in erhebliche Erklärungsnöte dem Sternenflottenkommando gegenüber, doch Kira hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihre Loyalität Bajor galt.

Was würde er, Sisko, machen, wenn es zu einem offenen Interessenkonflikt zwischen Bajor und der Föderation kam? Dass er diese Frage für sich nicht mit sofortiger Klarheit beantworten konnte, ängstigte ihn mehr als alles andere.

Was war es, das ihn an diesem chaotischen Volk so anzog? Zweieinhalb Jahre nach Ende der cardassianischen Besatzung herrschte mehr denn je Uneinigkeit in der Regierung, die sich nach wie vor „provisorisch“ nannte. Splittergruppen und Splittergruppen von Splittergruppen legten oft die gesamte Handlungsfähigkeit lahm. Dass der Friedensvertrag unterzeichnet werden konnte, war nur dem Umstand zu verdanken, dass die sogenannte Regierung die Verhandlungen in die Hände der Geistlichkeit gelegt hatte, die um einiges strukturierter organisiert war. Doch was würde aus Kai Winn werden ohne die beschwichtigende Hand ihres Assistenten? Ganz gleich, was die Kai der Öffentlichkeit Bajors verkauft hatte, alle, die vor Wochen hier auf der Station dabei waren, wussten, dass es Vedek Bareil war, der den Friedensvertrag zustande gebracht hatte, nicht Winn.

Jede Logik, alle Fakten deuteten darauf hin, dass Bajor der Föderation mehr Mühe bereiten würde als Nutzen bringen und insgeheim war sich Sisko auch sicher, dass die föderale Geduld weit rascher aufgebraucht wäre, wenn es das Wurmloch nicht gäbe. Doch diesen strategisch wichtigen Punkt wollte die Föderation auf keinen Fall anderen überlassen.

Ein resigniertes Lächeln huschte über Siskos Züge, als sich der nächste Gedanke ungebeten bei ihm einnistete: Die Propheten sorgten mit ihrem Himmelstempel dafür, dass Bajor beschützt wurde .

Und was war mit ihm? Er hatte ein wenig in die Seele dieses chaotischen Volks sehen dürfen. Er war Bajoranern begegnet, die er bewunderte, nicht zuletzt seine eigene Verbindungsoffizierin Kira. Ihre aufbrausende, unkontrollierbare Art auf der einen und die fast kindliche Scheu religiösen Belangen gegenüber auf der anderen Seite, machten sie stolz und verletzbar zugleich. Ein perfektes Symbol für ihr gesamtes Volk.

Sisko ertappte sich dabei, dass er von ihnen als Kinder dachte – ein Gedanke, den er niemals vor seinem ersten Offizier äußern würde – Kinder, die er beschützen wollte.

Wo war hier die Objektivität, wo war hier die Logik?

Er wollte, dass der Planet auf die Beine kam, dass die Bevölkerung sich einte – nicht, um sie für die Föderation zu qualifizieren, nicht weil die Sternenflotte dann hier eine strategische Präsenz aufbauen konnte – sondern, weil es Bajor war.

Der Kommandant von DS9 drückte sich vom Fenster fort, richtete sich auf und zog seine Uniform gerade.

Kira hatte recht: Abgesandter. Er konnte es vor sich leugnen, solange er wollte. Seine Seele hatte bereits einen anderen Weg beschritten als seine Worte.

Als sich die Quartierstür öffnete und ihn in den Stationsalltag entließ, hatte für Benjamin Sisko der Morgen eines völlig neuen Lebens begonnen.

ENDE



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