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Am Ende des Weges

von Martina Strobelt

Kapitel 1

Prolog

Sakura Marak hatte die Hände auf ihrem Rücken verschränkt. Nichts in der Haltung der jungen Cardassianerin verriet, was sie über den Agenten dachte, der vor wenigen Minuten von ihr in dieses Büro zitiert worden war, um einen neuen Einsatzbefehl zu bekommen. Mit ihren knapp 25 Jahren war Sakura noch sehr jung für den Posten, den sie innerhalb des Geheimdienstes bekleidete. Sie war erst vor sechs Monaten in den Orden eingetreten und hatte eine steile Karriere gemacht. Vor wenigen Tagen war sie hierher in die Zentrale versetzt worden. Es hieß, dass sie die Geliebte einer der grauen Eminenzen des Ordens war. Aber niemand wagte es, dies offen auszusprechen. Denn der Betreffende war jemand, den man nicht gern zum Feind hatte.
Falls ihr Gegenüber die Jugend seiner Vorgesetzten oder etwa die über sie kursierenden Gerüchte irritierten, ließ er sich davon nichts anmerken.
Einige Sekunden musterten sie einander. Dann ging Sakura zu ihrem Schreibtisch und griff nach einem Datenpadd. „Meinen Glückwunsch, Elim Garak! Sie wurden unter mehreren Kandidaten für einen wichtigen Spezialauftrag ausgewählt. Eigentlich wollte man jemand anderen schicken. Aber nach allen Berichten über Ihre bisherigen Missionen, vertraue ich Ihren Fähigkeiten. So wie man höheren Ortes mir und meinem Urteil vertraut.“
Garak lächelte leicht. Seine neue Vorgesetzte gefiel ihm. Er bewunderte das Geschick, mit dem sie ihm gerade mitgeteilt hatte, dass es besser für ihn wäre, ihre Macht nicht zu unterschätzen und ihre Autorität niemals in Frage zu stellen. Und ihm gleichzeitig versprochen hatte, seine Loyalität damit zu honorieren, ihn zu fördern. Ein Angebot, das er gewiss nicht ausschlagen würde. Ein Jammer, dass Sakura Marak bereits zu einem Mann gehörte, mit dem man sich besser nicht anlegte. Jedenfalls dann nicht, wenn man an seinem Leben hing. Wirklich zu schade. Denn Garak schätzte einen scharfen Verstand ebenso sehr wie Schönheit. Und Sakura Marak verfügte über beides.
„Es ist mir eine Ehre“, antwortete er wie es von ihm erwartet wurde. „Sagen Sie mir nur wo, wann und wen. Und Sie können die Sache bereits als erledigt betrachten.“
„Es gibt keinen wen. Diesmal nicht. Für diesen Auftrag benötigen Sie ausnahmsweise nur einen Teil ihrer Talente. Falls Sie sich deswegen unterfordert fühlen sollten?“
„Durchaus nicht“, verneinte Garak, ohne sein Erstaunen zu zeigen. In den vergangenen Jahren war jeder seiner Spezialeinsätze darauf hinausgelaufen, einen gefährlichen, oder manchmal auch nur unbequemen, Widersacher des Reiches oder des Ordens zu beseitigen.
„Schön“, fuhr Sakura fort, „dann werden Sie morgen früh nach Terok Nor fliegen. Dort erfahren Sie dann alle weiteren Einzelheiten.“
„Terok Nor?“ Diesmal gelang es Garak nicht, seine Überraschung zu verbergen.
„Ganz recht. Haben Sie damit irgendein Problem?“
Terok Nor! Von wo aus Khemor Dukat so viele Jahre als vom Reich eingesetzter Präfekt Bajor regiert hatte. Dukat...
„Nein“, log Garak. „Aber wenn ich mir die Frage erlauben darf, welche Spezialaufgabe sollte es jetzt, da unsere Truppen sich von Bajor zurückziehen, noch für einen Agenten wie mich auf einer Raumstation geben, die in weniger als einer Woche der bajoranischen Regierung übergeben und, soweit ich gehört habe, der Verwaltung durch die Föderation unterstellt werden wird?“
Sakura runzelte die Stirn. „Die Entscheidung des Ordens steht nicht zur Debatte! Natürlich zwingt Sie niemand, diesen Auftrag zu übernehmen. Ich bin sicher, ein anderer...“
„Das wird nicht nötig sein“, sagte Garak sofort. Er hatte nicht vor, bei seinen Vorgesetzten in Ungnade zu fallen. Der Geheimdienst pflegte Subordination streng zu bestrafen. Und die Grenzen waren bisweilen ziemlich fließend. „Es lag nicht in meiner Absicht, die Anordnungen des Ordens in irgendeiner Weise in Frage zu stellen.“
„Dann nehmen Sie den Auftrag also an?“
Garak nickte stumm.
„Ausgezeichnet.“ Sakura schien zufrieden. „Ganz ausgezeichnet!“

***

Niemand begleitete Khemor Dukat auf seinem Rundgang durch Terok Nor. Der Präfekt wollte allein sein mit sich und seinen Gedanken. In all den Jahren war ihm niemals so bewusst gewesen, wie sehr diese Station seine Heimat geworden war. Hier hatte er zum ersten Mal echte Macht besessen. Cardassia war weit, und man hatte ihm in allen Dingen Bajor betreffend völlig freie Hand gelassen.
Dukats Blick glitt über das Promenadendeck. Da war der Eingang zum Kasino. Dort war er Tora Naprem das erste Mal begegnet. Eine kleine schlagfertige Kellnerin, in die er sich auf der Stelle verliebt hatte. Er, der Präfekt der Station. Dukat hätte sie sich einfach nehmen können. Aber er hatte sofort gewusst, dass es ihm nicht genügen würde, nur ihren Körper zu besitzen. Dass er mehr wollte. Ihre Seele. Ihr Herz. Als Naprem ihm beides schließlich geschenkt hatte, war dieser Moment einer der glücklichsten seines Lebens gewesen.
Naprem...
Der Gedanke an seine bajoranische Geliebte erfüllte Dukat mit tiefer Trauer. Er hatte Naprem schützen wollen. Sie und das ungeborene Kind, das sie unter ihrem Herzen getragen hatte. Sein Kind...
Nur deshalb hatte er sie beide fortgeschickt. Das würde er sich niemals verzeihen.
Khemor Dukat hatte nur zweimal in seinem bisherigen Leben geweint. Der Moment, als er in seinem Quartier die Nachricht vom Verlust der Ravinok entgegengenommen hatte, dem Schiff, auf dem Tora Naprem sich auf seinen Wunsch befunden hatte, war einer davon gewesen.
Energisch verbannte Dukat alle Erinnerungen an Naprem in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Er hatte diese Bajoranerin mehr geliebt als jede andere Frau vor ihr, seine Ehefrau, die daheim auf Cardassia auf ihn wartete, eingeschlossen. Wahrscheinlich würde er niemals wieder eine Frau so sehr lieben wie Naprem. Doch er musste den Tatsachen ins Auge sehen. Die Suchmannschaften hatten keine Spur der Ravinok gefunden. Naprem war vermutlich tot.
In gewisser Weise, selbst wenn es noch so sehr schmerzte, sich dies einzugestehen, war das im Ergebnis auch ganz gut so. Eine bajoranische Geliebte vertrug sich auf Dauer nicht mit einer Karriere beim cardassianischen Militär. Schon gar nicht, wenn man mit der einzigen Tochter eines einflussreichen Mannes verheiratet war.
Dukat konzentrierte seine Aufmerksamkeit mit aller Kraft auf seine Umgebung, um den Erinnerungen zu entfliehen, die ihn nicht freilassen wollten. An Naprem. An ihr Lächeln. An den Ton ihrer Stimme als sie zum ersten Mal „Ich liebe dich“ zu ihm gesagt hatte...
Wie überall auf Terok Nor herrschte auch hier auf dem Promenadendeck eine hektische Betriebsamkeit. In wenigen Tagen würden sie die Station gemäß den getroffenen Vereinbarungen an die Bajoraner übergeben müssen. Eine Vorstellung, die Dukat alles andere als gefiel. Wäre es nach ihm gegangen, hätten sie sich nicht einfach so von Bajor zurückgezogen. Dieser Planet bot noch so viele ungeahnte Möglichkeiten. Dukat, hätte gerne mehr Zeit gehabt, um alle zu nutzen.
Aber leider verfolgte das Oberkommando andere Pläne. Wen kümmerte es da schon, ob es dem Befehlshaber von Terok Nor, schwer fiel, diese Station und Bajor zu verlassen?
„Sollen wir die Förderanlage auch demontieren, Präfekt?“, fragte ein Soldat, der unbemerkt zu seinem Vorgesetzten getreten war.
„Nein“, erwiderte Dukat dankbar für die Ablenkung. „Die veralteten Maschinen sind die Mühe nicht wert. Sollen die Bajoraner sie doch selbst abbauen, wenn sie sich durch ihre Existenz gestört fühlen sollten. Sie können sich dabei ja von der Föderation helfen lassen.“
Der Soldat lachte. Es klang unsicher. So als hätte er die Bitterkeit hinter den scherzhaften Worten seines Kommandanten gespürt.
Dukat forderte ihn mit einem knappen Nicken auf, mit seiner Arbeit fortzufahren. Was der Mann so sichtlich erleichtet tat, dass der Präfekt unwillkürlich lächelte.
In all den Jahren auf Terok Nor hatte Dukat sich bei seinen Untergebenen ein Maß an Respekt verschafft, um das mancher Legat des Reiches ihn beneiden würde.
Dukats Blick blieb an der geschlossenen Tür von Odos Büro hängen. Für einen winzigen Moment war der Präfekt versucht, seine Schritte in diese Richtung zu lenken. Dann besann er sich anders. Zwischen ihnen war alles gesagt worden, was es zu sagen gab. Der Constable hatte sein Angebot, ihn nach Cardassia zu begleiten, abgelehnt. Dukat kannte seinen Sicherheitschef nach all den gemeinsam hier verbrachten Jahren gut genug, um zu wissen, dass Odo es sich nicht anders überlegen würde.
Ein Jammer. Dukat, hätte den Formwandler gebrauchen können. Jemanden wie Odo an seiner Seite zu haben, der nicht nur jede beliebige Gestalt annehmen konnte, sondern darüber hinaus auch absolut unbestechlich war, hätte bei den Machtkämpfen, die Dukat auf Cardassia erwarteten, einen ungeheuren Vorteil bedeutet.
Dukat gab sich keinen Illusionen hin. Hier auf Terok Nor war er der alleinige Herrscher über sein eigenes kleines Imperium gewesen. Auf Cardassia würde er nichts als ein weiterer Heimkehrer sein. Lediglich mit einem höheren Rang als die anderen. Die einfachen Soldaten mochte das nicht weiter bekümmern. Für sie würde sich nicht viel ändern. Für Dukat jedoch hatte der Rückzugsbefehl eine Welt zusammenstürzen lassen, die er sich in langen harten Jahren mühsam aufgebaut hatte.
Auf Cardassia würde er erneut mit Nichts beginnen müssen. Nur dass er jetzt älter war. Außerdem hatte die Beziehung zu Tora Naprem ihn verändert. Seinem Wesen einen Teil der Härte genommen, die er brauchen würde, um sich auf Cardassia gegen diejenigen zu behaupten, die seinem Ehrgeiz im Weg standen. Da sich niemand in unmittelbarer Hörweite befand, gestattete der Präfekt sich ein leises bedauerndes Seufzen. Ja, er würde Terok Nor wirklich vermissen.
Aber, und bei diesem Gedanken hob sich seine Laune sofort, bevor er von der Station und seinem früheren Leben endgültig Abschied nahm, gab es hier noch etwas Wichtiges zu erledigen, worauf er schon lange gewartet hatte. Viel zu lange...

***

Garak hatte Mühe, seinen Widerwillen zu verbergen. Er mochte Raumstationen nicht sonderlich. Sie vermittelten ihm immer ein wenig das Gefühl, eingesperrt zu sein. Er konnte nicht verstehen, wie jemand sich darum reißen konnte, auf einer Raumstation zu leben. In absoluter Abhängigkeit von der Technik. Ständig künstliche Luft atmen zu müssen. Ohne Sonne und natürliches Licht. Und dazu noch derart beengt.
Ja, Garak mochte keine Raumstationen. Und Terok Nor verabscheute er förmlich. Schlimm genug, dass diese Station im Orbit eines Planeten schwebte, mit dem er so viele bittere Erinnerungen verband, war sie auch jahrelang Dukats Machtbereich gewesen, war es genau genommen bis zur offiziellen Übergabe an Bajor immer noch. Garak gestand es sich nur ungern ein. Aber hier so ganz allein durch eine Raumstation zu gehen, die unter Dukats Kommando stand, und zu wissen, dass jeder Cardassianer, dem er hier begegnete, vom Präfekten persönlich ausgesucht und ihm absolut treu ergeben war, machte ihn nervös. Obwohl er von sich behaupten durfte, selbst in gefährlichen Situationen immer seine Kaltblütigkeit bewahrt zu haben. Vielleicht wäre es doch klüger gewesen, diesen speziellen Auftrag ungeachtet möglicher sich daraus für ihn ergebender Konsequenzen abzulehnen. Doch jetzt war es dafür zu spät. Nun blieb ihm wohl oder übel nichts weiter übrig, als die Sache so schnell wie möglich zu erledigen, damit er Terok Nor wieder den Rücken kehren konnte.

***

Khemor Dukat schätzte sein Büro aus verschiedenen Gründen. Zum einen lag es leicht erhöht über dem Kontrollzentrum der Station. Was seine Position als Kommandant unterstrich. Zum anderen boten die großen Panorama-Fenster einen herrlichen Ausblick auf Bajor. Was Dukats Besitzerstolz gerecht wurde, wann immer er hinunter auf die schimmernde Oberfläche des Planeten sah. So wie jetzt, da er ganz versunken in den Anblick am Fenster stand.
Er würde diese Aussicht und dieses Büro, das Zentrum seiner Macht, vermissen. Sehr sogar.
Das Geräusch der Tür unterbrach Dukats Gedanken. Der Präfekt drehte sich nicht zu dem Besucher um. Er wusste, wer es war. Er hatte ihn erwartet.
„Es ist lange her“, sagte Dukat leise, fast wie zu sich selbst.
„Ja“, erwiderte Garak. „Sehr lange...“
Dukat atmete tief durch, während er versuchte, seinen Hass auf den anderen so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass er fähig war, sich zu ihm umzuwenden und ihm in die Augen zu schauen, ohne ihm an die Kehle zu springen. Nach einigen Sekunden, die ihm wie Stunden vorkamen, hatte er es endlich geschafft.
Garak wich Dukats Blick nicht aus. „Meine Vorgesetzten haben mir befohlen, mich bei Ihnen zu melden“, sagte er mit einer Ruhe, um die Dukat ihn beneidete. „Sie sollen mir Informationen über den Auftrag geben, den ich hier erledigen soll.“
Die Vorfreude auf das Kommende half dem Präfekten dabei, seiner Stimme einen neutralen Klang zu verleihen: „Ach ja, richtig, das hätte ich doch beinahe vergessen. Wie nachlässig von mir. Bitte verzeihen Sie, dass ich niemanden geschickt habe, um sie an der Luftschleuse abzuholen. Aber wie Sie vielleicht unterwegs gesehen haben, geht hier im Moment leider alles ein wenig drunter und drüber. Die Hektik des Aufbruchs. Sie verstehen.“
„Vollkommen. Es liegt auch durchaus nicht in meiner Absicht, Sie länger als nötig von wichtigeren Dingen abzuhalten. Daher wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir nun die Informationen zur Verfügung stellen würden, wegen denen ich hier bin. Damit wir dieses Gespräch beenden können.“
„Warum so eilig? In Anbetracht der vielen Jahre, die wir uns nicht gesehen haben, hatte ich gedacht, Sie würden genau wie ich das Bedürfnis verspüren, ein wenig über die alten Zeiten zu plaudern. Sollte ich mich da etwa geirrt haben?“
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte Garak plötzlich das Gefühl, sein Hals würde in einer Schlinge stecken, die sich ganz langsam zuzog.
„Tatsächlich nicht?“ Dukat trat so dicht an Garak heran, dass dieser den Atem des Präfekten auf seiner Haut spüren konnte. „Nun, dann erlauben Sie mir, Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Es war vor zehn Jahren auf Cardassia, als Sie von Ihren Vorgesetzten den Befehl erhielten, einen hochverdienten Legat des Reiches zu stürzen. Korrigieren Sie mich, falls ich mich irren sollte, aber Sie haben sich damals regelrecht darum gerissen, diesen Auftrag erledigen zu dürfen. Denn er deckte sich mit Ihren eigenen Wünschen. So war es doch, oder etwa nicht?“
„Ich betrachte dieses Gespräch als beendet!“, sagte Garak beherrscht. „Wir können es zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen. Wenn Sie Ihre Emotionen besser im Griff haben.“
Er machte Anstalten, das Büro zu verlassen, wurde jedoch durch Dukats Stimme aufgehalten: „Sie bleiben!“
„Wie bitte?“, fragte Garak gefährlich leise. „Ich warne Sie, Dukat. Sie mögen zwar noch der Präfekt von Bajor und Kommandant dieser Station sein. Aber das gibt Ihnen nicht das Recht, mir Befehle zu erteilen!“
„Ach nein?“ Dukat lächelte auf eine Weise, die Garak nicht gefiel. „Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich hier auf Terok Nor jedes nur erdenkliche Recht habe! Ich könnte Sie ohne Weiteres auf der Stelle in eine Arrestzelle werfen oder Sie wegen Missachtung meiner Person exekutieren lassen!“
Garaks Gesichtsfarbe war bei diesen Worten ein wenig heller geworden. „Das wagen Sie nicht, Dukat! Ich bin Mitglied des Obsidianischen Ordens!“
„Und wenn Sie der Regierung angehören würden! Wen würde es kümmern? Terok Nor ist meine Station, zumindest im Moment noch! Cardassia ist weit weg. Unfälle passieren nun einmal. Aber“, winkte der Präfekt Garaks Erwiderung ab, „es liegt mir fern, Ihnen ein Leid zuzufügen. Andernfalls hätte ich es längst getan.“
„Wie überaus beruhigend“, bemerkte Garak zynisch. „Dann können wir ja nun wieder zum Ausgangspunkt unserer netten kleinen Unterhaltung zurückkehren. Soweit ich mich entsinne, ging es um Einzelheiten betreffend meines Auftrags. Also?“
„Gedulden Sie sich, Elim. Sie werden alle benötigten Informationen bekommen. Allerdings nicht von mir.“
Garak enthielt sich eines Kommentars. Er hatte sich ohnehin schon gewundert, wieso der Orden ausgerechnet Dukat, der wegen der Beseitigung seines Vaters gewiss keinen Grund hatte, dem Geheimdienst freundlich gesonnen zu sein, in Details eines Spezialeinsatzes einer seiner Agenten eingeweiht haben sollte. Aber wenn Dukats Beteiligung sich darauf beschränkte, den Kontakt zu einem Informanten herzustellen, ergab seine Rolle bei dieser Sache einen logischen Sinn.
Ein leises Zischen begleitete das Öffnen der Tür in seinem Rücken. Gegen seinen Willen empfand Garak Erleichterung, dass das Eintreffen der Person, auf die Dukat gewartet hatte, ihn eines weiteren persönlichen Gesprächs mit dem Präfekten enthob. Aber da war etwas in Dukats Lächeln, mit dem er dem Ankömmling zunickte, das Garak beunruhigte, ohne dass er es hätte erklären können. Garak drehte sich zu dem zweiten Besucher um. Die höfliche Begrüßung blieb ihm im Hals stecken, als er erkannte, wer es war.
„Ich freue mich, Sie zu sehen, Elim Garak“, begrüßte Sakura Marak ihn sanft. „Sie ahnen ja gar nicht, wie sehr!“

***

Mit schmalen Augen beobachtete Garak, wie Sakura Marak langsam zu Dukat ging, neben dem Präfekten stehen blieb und ihre Hand auf seinen Unterarm legte.
Es war eine vertraute Geste. Viel zu vertraut für Garaks Geschmack.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er.
„Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.“ Sakura ignorierte Garaks Frage.
Dukat schenkte der Cardassianerin einen liebevollen Blick, der sämtliche Alarmglocken in Garak zum schrillen brachte.
„Ich wurde aufgehalten“, drang Sakuras Stimme an Garaks Ohr. „Ich hoffe, Sie haben sich inzwischen nicht allzu sehr mit meinem Bruder gelangweilt.“
Ihrem Bruder! Garaks Blick irrte zwischen Sakuras Gesicht und dem Dukats hin und her.
„Ich sehe unserem Vater nicht so ähnlich wie Khemor“, bemerkte Sakura beiläufig. „Ich komme mehr nach meiner Mutter.“
Wie hatte die Tochter Legat Dukats es geschafft, den Orden über ihre Identität zu täuschen?
Das leichte Zucken in Sakuras Mundwinkeln verriet Garak, dass sie genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf ging. „Das überrascht Sie, nicht wahr?“ Sakura lächelte. Es war ein bitteres Lächeln. „Es bringt eben gewisse Vorteile mit sich, eine persönliche Beziehung zu einer der grauen Eminenzen zu unterhalten. Ein neuer Name. Eine neue Vergangenheit. Eine blütenreine Akte, die es einer unschuldigen jungen Patriotin ermöglicht, dem Orden beizutreten, obwohl ihr Vater wegen Verrats am cardassianischen Volk hingerichtet wurde.“
„Das Einzige, was mich wirklich erstaunt ist, wie Sie es über sich bringen konnten, sich dem Orden anzuschließen. Wie Sie Befehle von Leuten entgegennehmen können, die für die Beseitigung Ihres Vaters verantwortlich gewesen sind!“, meinte Garak.
„Sie tragen die Schuld an der Ermordung unseres Vaters!“, kam Dukat einer Erwiderung seiner Schwester zuvor.
„Ich habe lediglich Anweisungen befolgt.“
„Was Sie in diesem speziellen Fall zweifellos sehr genossen haben! Oder hat es Sie etwa nicht mit Befriedigung erfüllt, das Todesurteil unseres Vaters zu unterzeichnen. Meines Vaters?!“
„In der Tat, ja, das hat es“, bestätigte Garak. „Obwohl es mich offen gestanden wesentlich mehr befriedigt hätte, Ihres zu unterschreiben, Dukat! Aber leider kann man nicht alles haben.“
„Sie elender Bastard!“ Sakura machte Anstalten, sich auf Garak zu stürzen, wurde jedoch von ihrem Bruder daran gehindert, der sie am Arm packte und festhielt.
„Nein, Sakura! Das wäre zu leicht!“
Die junge Frau fügte sich. Doch wenn Blicke hätten töten können, hätte Garak auf der Stelle sein Leben ausgehaucht.
„Hat Ihnen eigentlich schon einmal jemand gesagt, wie entzückend Sie aussehen, wenn Sie zornig sind, meine Liebe?“, fragte Garak, von Sakuras Ausbruch unbeeindruckt. „Im Übrigen fängt diese Diskussion an, mich zu ermüden. Sie haben offenbar nicht vor, mich umzubringen. Nun gut, dagegen werde ich keine Einwände erheben. Sofern das also alles war, gestatten Sie mir, mich zu verabschieden.“
„Nicht Sie, Elim, wir sind es, die sich von Ihnen verabschieden werden“, sagte Dukat sanft.
Garaks rechte Augenwulst hob sich. „Falls Sie mit dieser Bemerkung etwas Bestimmtes andeuten wollten, ist es mir leider entgangen.“
„Tatsächlich? Nun dann will ich es Ihnen genauer erklären.“ Dukat tauschte einen kurzen Blick mit Sakura, bevor er weitersprach: „Meine Schwester wird in ungefähr einer Stunde zurück nach Cardassia fliegen. Ich werde ihr dorthin folgen, sobald sämtliche Formalitäten der Übergabe der Station an die bajoranische Regierung erledigt sind. Das militärische und das zivile Personal wird bis zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgezogen worden sein. Sie jedoch...“
„... werden hier bleiben“, beendete Sakura den Satz.
„Das meinen Sie doch nicht im Ernst?!“, entfuhr es Garak.
„Aber ja doch“, erwiderte Sakura ungerührt. „Der Orden ist genau wie ich der Auffassung, dass es von Vorteil sein könnte, einen Beobachter im bajoranischen Sektor zu haben. Ich habe unsere gemeinsamen Vorgesetzten davon überzeugen können, dass Sie genau der richtige Mann für diese Aufgabe sind!“
„Aber die Bajoraner werden...“, begann Garak, von der Aussicht, auf Terok Nor leben zu müssen, und dazu noch als einziger Cardassianer, wie betäubt.
„Machen Sie sich deswegen keine Sorgen“, fiel Dukat ihm ins Wort. „Ich habe mir erlaubt, die Einzelheiten für Sie zu regeln.“ Er nahm ein Datenpadd von seinem Schreibtisch, das er Garak hinhielt. „Hier, ein formeller Antrag an die Föderation, Ihnen Asyl zu gewähren. Ich habe ihn bereits ausgefüllt. Sie müssen nur noch unterschreiben.“
„Und hier“, Sakura zog ebenfalls ein Datenpadd aus ihrer Tasche, „ein lückenloser neuer Lebenslauf. Lernen Sie die Daten auswendig und vernichten Sie sie danach! Es war nicht einfach, eine geeignete Tarnung für Sie zu finden. Aber ich denke, dass unsere Bemühungen sich gelohnt haben. Niemand wird hinter Ihrer neuen Identität einen Agenten des Ordens vermuten. Sie ist“, Sakura reichte Garak das Padd, „schlicht perfekt!“
„Ein Schneider!“, stieß Garak nach einem Blick auf das Display hervor.
„Ein durchaus respektabler Beruf“, bemerkte Dukat süffisant. „Zugegeben, er rangiert in der gesellschaftlichen Wertung unserer Landsleute ein wenig weiter unten. Doch das macht Ihre Tarnung umso glaubwürdiger. Finden Sie nicht?“
„Das war Ihre Idee, Dukat!“
„Sie haben recht“, antwortete der Präfekt. „Und dafür sollten Sie mir dankbar sein. Wäre es nach Sakura gegangen, hätten Sie schon vor Monaten einen bedauerlichen Unfall erlitten. Zum Glück für Sie, konnte ich meine Schwester überreden, darauf zu verzichten, ihr Blut fließen zu sehen. Oh, nicht etwa, dass Sie den Tod nicht verdient hätten. Aber mir gefiel der Gedanke besser, Sie auf diese Weise büßen zu lassen. Die Einsamkeit wird Ihnen gut tun. Sie werden viel Zeit haben, über sich und Ihre Taten nachzudenken, während sie hier langsam verrotten! Das heißt, sofern die Bajoraner nicht vorher auf die Idee verfallen, Sie in einer dunklen Ecke niederzustechen...“
„Ich könnte mich weigern!“
„Einen Befehl des Ordens zu befolgen?“ Dukat lachte. „Nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an. Ich habe allerdings gehört, dass Subordination beim Geheimdienst noch ungesünder sein soll als beim Militär. Oder haben Sie etwa vor, aus dem Orden auszutreten?“
„Das kann er nicht“, sagte Sakura, als Garak schwieg. „Die Mitgliedschaft ist eine Bindung auf Lebenszeit. Aus den Diensten des Ordens entlässt einen nur der Tod.“ Es war Sakura anzuhören, wie gerne sie eine entsprechende Kündigung Garaks vollzogen hätte.
Dukat warf seiner Schwester einen sichtlich betroffenen Blick zu. „Das wusste ich nicht...“
„Natürlich nicht. Sonst hättest du niemals zugelassen, dass ich dem Orden beitrete. Aber das macht nichts, Khemor. Ich bereue nichts!“
„Du hast deine Freiheit verloren!“
„Das ist richtig. Doch denk an die vielen Möglichkeiten, die wir dadurch gewonnen haben!“
Sakura ließ offen, was sie damit meinte. Ihr Bruder wusste es auch so. Sakura würde seine Spionin sein und alles daran setzen, den Orden von innen heraus zu zerstören.
Garak hatte das kurze Gespräch zwischen den Geschwistern genutzt, um sich wieder soweit zu fangen, dass er seine nächste Frage stellen konnte, ohne sich sein Entsetzen anmerken zu lassen:
„Für wie lange werde ich hier stationiert sein?“
„Wie lange?“ Sakura runzelte die Stirn. „Habe ich das nicht erwähnt?“
„Nein“, antwortete Garak mühsam beherrscht.
„Ich bitte um Verzeihung. Wie nachlässig von mir. Das kommt davon, wenn einem so viele Dinge durch den Kopf schwirren. „Tja, wie lange?“ Sakura sah ihren Bruder an. „Khemor?“
„Soweit ich mich entsinne“, Dukat zog jedes seiner Worte genüsslich in die Länge, „sollte dieser Beobachtungposten hier auf Dauer angelegt sein.“
Garak spürte, wie die eiserne Selbstdisziplin, die ihn bis jetzt aufrecht erhalten hatte, nach und nach zu bröckeln begann. „Sie meinen, ohne zeitliche Begrenzung?“
„Aber nicht doch“, antworte Sakura an Dukats Stelle. „Wie kommen Sie denn darauf? Das hieße, die Bedeutung Ihrer neuen Position für den Orden reichlich überzubewerten. Natürlich gibt es eine zeitliche Begrenzung!“
„Und die wäre?“ Garak bereitete sich innerlich auf mehrere Jahre vor. Vermutlich eher sogar Jahrzehnte. Aber er würde auch das überstehen. Solange es nur Hoffnung gab...
Dukat legte stumm seinen Arm um seine Schwester.
„Können Sie es mir denn nicht wenigstens ungefähr sagen? Bitte!“ Garak verachtete sich für seinen demütigen Tonfall. Doch Stolz war etwas, das er sich im Moment nicht leisten konnte. Dukat und Sakura hielten sein Schicksal in den Händen. Garak musste wissen, wie lange sie ihn büßen lassen wollten. Er brauchte etwas, an das er sich klammern konnte...
„Es ist nicht nötig, dass Sie sich erniedrigen, Elim“, meinte Sakura. „Selbstverständlich sollen Sie erfahren, wann dieser besondere Auftrag hier für Sie endet. Nicht nur ungefähr, sondern ganz genau. Nicht wahr, Khemor?“
Ihr Bruder nickte zustimmend. „Alles andere wäre unnötig grausam.“
„Dann sagen Sie mir doch endlich, bis wann ich bleiben muss!“ stieß Garak verzweifelt aus.
„Bis zu Ihrem Tod!“, antworte Dukat mit einem Lächeln, von dem Garak wusste, dass er es niemals wieder vergessen würde, solange er lebte...


ENDE
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