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Mit einem Lächeln

von Martina Strobelt

Kapitel 2

* * *

Ragur starrte die graue Wand an. Erst vor zwei Tagen hatte er die Zelle verlassen und schon saß er wieder drin. Doch genau betrachtet hatte er Glück gehabt. Eine weitere Woche Arrest, sein Vorgesetzter war erstaunlich milde gewesen.
Was sicher nicht daran gelegen hatte, dass er ihm die Version vom unerwarteten Tritt, mit dem die Bajoranerin sich aus seinem Griff befreit hatte, abgekauft hatte. Wohl eher an der Kiste Tarak-Wein, die sein neuer Freund Geron aus irgendeinem Geheimversteck gezaubert hatte, um den Zorn des Hauptmannes zu besänftigen.
Dem Himmel sei Dank, dass es nur ein einfaches Bauernmädchen gewesen war. Hätte es sich um eine Terroristin gehandelt, hätte ihn diese Sache wahrscheinlich den Kopf gekostet. Andererseits, eine Rebellin hätte er ohnehin niemals laufen lassen.
Oder doch?
So sehr er sich auch dagegen wehrte, es gelang ihm nicht, die Erinnerung an die Wärme und Weichheit ihres jungen Körpers aus seinen Gedanken zu verbannen, an den Duft ihres Haares, ihrer glatten, zarten Haut ...
Schluss damit, rief er sich energisch zur Ordnung. Wäre sie vom Widerstand gewesen, hätte er sie dem Hauptmann übergeben. Er hätte es genossen, sie leiden zu sehen, sie jammern zu hören. Jeden einzelnen Schrei, und er hätte sich darum gerissen, sie eigenhändig exekutieren zu dürfen. Gab es eine bessere Rache als die, einen verhassten Feind zu töten?
Und er hasste die bajoranischen Terroristen. Sie hatten seine Eltern ermordet, friedliche Zivilisten. Die Rebellen waren schuld daran, dass er als Waise hatte aufwachsen müssen, als ein Objekt staatlicher Wohltätigkeit, abhängig von der Gnade Fremder, denen seine Wünsche egal gewesen waren, die ihn gezwungen hatten, Soldat zu werden.
Ja, wäre sie eine Terroristin gewesen, hätte er sie für all das büßen lassen ...
Mit diesem Gedanken lehnte Ragur sich zurück, schloss die Augen und begann zu träumen. Von langem weichen Haar, das nach Blumen duftete, glatter zarter Haut - und einem paar großer dunkler Augen, in denen er versank ...

* * *

Ro Laren saß auf einem Felsvorsprung am Rand der Anhöhe und starrte hinab auf das Tal zu ihren Füßen. Wie erwartet war Laila über den Verlust des Gewehres nicht gerade glücklich gewesen, aber die Erleichterung darüber, dass das Mädchen der cardassianischen Patrouille entkommen war, hatte ihren Ärger bei weitem überwogen.
Für einen kurzen Moment war Ro versucht gewesen, einfach zu behaupten, die Waffe beim Kampf mit den Soldaten verloren zu haben. Das wäre eine glaubhafte Erklärung gewesen, die ihre Anführerin ohne jeden Argwohn akzeptiert hätte. Aber sie hatte Laila nicht anlügen wollen. Einem Cardassianer gegenüber einen falschen Schwur zu leisten um dadurch ihr Leben zu retten, war eine Sache, aber ihrer Anführerin aus Feigheit nicht die Wahrheit zu sagen ...
Nein, ein solches Verhalten war weder mit ihrem Stolz, noch mit ihrer Auffassung von Ehre vereinbar. Laila vertraute ihr, so wie allen hier und sie hatte kein Recht, dieses Vertrauen zu missbrauchen, indem sie sie bewusst anlog. Für einen Tag hatte sie ohnehin schon genug Schuld auf ihr Gewissen geladen ...
Obwohl Ro sich ununterbrochen sagte, dass die Propheten sicher verstanden, dass sie nicht anders hatte handeln können, blieb ein winziger Zweifel, der an ihrer Seele nagte, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte. Hinzukam der unangenehme Gedanke daran, welche Strafe einem cardassianischen Soldaten drohen mochte, der eine Bajoranerin entkommen ließ. Ro hasste diese Überlegung und hätte sie gerne in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verbannt. Was ging sie das Schicksal eines verdammten Cardassianers an?
Und doch ...
Ganz gleich welche Gründe er gehabt hatte, sie verdankte ihm ihr Leben, und das belastete sie schwerer als die mögliche Beleidigung der Propheten durch ihren falschen Eid. Warum hatte er das nur getan? So sehr sie auch ihr Hirn zermarterte, ihr wollte keine vernünftige Antwort auf diese Frage einfallen, außer der, dass er Mitleid mit ihr gehabt hatte.
Aber das war völlig unmöglich, es gab keine guten Cardassianer.
Oder doch?
In ihrer Vorstellung waren die Besatzer stets die grausamen, gefühllosen Monster gewesen, als die sie sie im Flüchtlingslager kennengelernt hatte. Aber dieser junge Soldat war anders gewesen, er hatte sie ganz bewusst entkommen lassen ...
„Dann lauf!“
Seine Stimme hatte sanft geklungen, und auf seltsame Art beinahe traurig.
Die Erkenntnis, dass ein Cardassianer Gefühle wie Kummer und Mitleid überhaupt empfinden konnte, hatte ihr Selbst erschüttert. Weil es ganz und gar nicht dem Bild entsprach, das sie sich von den Besatzern gemacht hatte. Wenn sie ehrlich war, dann wünschte sie sich fast, dass der Soldat sie nicht verschont hätte ...
Wäre es nicht einfacher gewesen in dem Glauben zu sterben, dass alle Cardassianer brutale, gnadenlose Ungeheuer waren, als sich bei jedem Feind, den sie künftig töten würde, insgeheim zu fragen, ob er vielleicht zu auch jenen gehörte, die anders waren ...

* * *

Die Luft flimmerte vor Hitze. Mochten die bajoranischen Winter auch noch so kalt sein, so waren die Sommer umso heißer und trockener.
Ro Laren blieb stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor sie dem Gewehr in ihrer Hand einen zufriedenen Blick zuwarf. Es hatte einige Wochen gedauert, bis der gebrochene Knochen ihres Armes wieder zusammengewachsen war. Danach hatte sie hart und verbissen geübt, um ihrer Anführerin zu beweisen, dass die neue Waffe, die sie ihr notgedrungen überlassen hatte, alles andere als verschwendet gewesen war.
Heute traf Ro ihr Ziel mit jedem Lauf, ob gerade oder verbogen. Ja, sie konnte inzwischen sogar fast so gut schießen wie Laila, was die junge Bajoranerin mit wildem Stolz erfüllte, da ihre Anführerin auch außerhalb ihrer Gruppe als Meisterschützin bekannt war.
Ro fühlte sich so glücklich wie nie zuvor, tapfer, frei und unbesiegbar.
Vor einem Monat war sie sechzehn geworden, an einem Tag, den sie sich schon vor langer Zeit selbst ausgesucht hatte. Sie kannte nur das Jahr, in dem sie geboren war. Die Insassen eines Flüchtlingslagers hatten andere Sorgen, als sich um die Geburt eines Kindes zu kümmern, das ohnehin dazu verdammt war, sein ganzes Leben unter der Knute der Besatzer zu schuften. Ihre Eltern hatten natürlich anders darüber gedacht, aber ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, ihr Vater zu Tode gefoltert worden, als sie gerade sieben gewesen war. Zu jung, um sich lange an das genaue Datum ihres Geburtstages zu erinnern, den nach der Ermordung ihres Vaters sowieso keiner mehr mit ihr gefeiert hatte. Genau betrachtet grenzte es fast an ein Wunder, dass sie sich überhaupt an das Jahr erinnerte ...
Sie betrachtete die grünen Hänge. Als sie nach ihrer Flucht aus dem Lager hier Laila und ihrer Gruppe begegnet war, hatte noch Schnee darauf gelegen, und es war so kalt gewesen, dass die langen, schwarzen Haare der Widerstandsführerin voller Eiskristalle gewesen waren, die im Sonnenlicht wie Edelsteine geglitzert hatten ...
Damals war Laila ihr wie eine Göttin vorgekommen. Die Bajoraner im Lager hatten sich vor jeder cardassianischen Uniform gefürchtet, es war berauschend gewesen, dabei zuzusehen, wie jemand die verhasste grau-braune Kombination als Zielscheibe benutzte ...
Ihre Anbetung hatte den ersten Streit mit ihrer Anführerin zwar nicht überdauert, aber ihre Bewunderung für Lailas taktisches Geschick war geblieben. Wenn es darum ging, Cardassianer in die Falle zu locken, konnte sie es mit jedem aufnehmen, auch mit dem Führer der Shakaar, der für sein gutes Gespür bekannt war, ja sogar mit Li Nalas, und das wollte wirklich etwas heißen ...
Heute hatten sie sich einen kleineren Transport vorgenommen, der eine abgelegene Erzmine mit neuen Energiezellen versorgen sollte. Niemand außer Laila wusste, aus welcher Quelle diese Information stammte, in diesen Zeiten waren Namen ein gefährliches Geheimnis. Aber es musste sich um jemanden handeln, der zuverlässig war. Denn kaum, dass die Widerstandsführerin davon erfahren hatte, war sie mit einigen Leuten aufgebrochen, zu denen auch sie, Ro Laren, gehörte.
Längst schloss Laila das Mädchen nicht mehr von ihren Aktionen gegen die Besatzer aus. Mochte sie auch immer noch Bedenken wegen ihrer Jugend haben, so konnte sie es sich nicht leisten, auf eine so ausgezeichnete Schützin, wie Laren es mittlerweile war, zu verzichten.
Bei diesem Gedanken musste Ro unwillkürlich lächeln, eine Reaktion, die ihre Laune noch mehr hob. Es war das erste Mal seit dem Tod ihres Vaters und sie genoss das Gefühl. Kyan hatte recht, es tat gut, zur Abwechslung einmal fröhlich zu sein. Und hatte sie nicht allen Grund dazu?
Die Propheten hatten ihr verziehen, wäre sie ansonsten nicht von ihnen bestraft worden? Es hatte eine Weile gedauert, aber schließlich war es ihr auch gelungen, die Erinnerung an den jungen Soldaten tief genug in ihrem Herzen zu vergraben, dass sie ihr inneres Gleichgewicht nicht mehr aus der Ruhe brachte, wenn sie Cardassianer tötete.
Sein Gesicht, seine sanfte, traurige Stimme, nur noch flüchtige Schatten, die sie mit der Zeit einfach vergessen würde ...
Der Himmel erstrahlte in einem satten Blau, und die Sonne brannte heiß wie ihr Hass. In ihrer Hand spürte sie den kühlen, glatten Griff ihres Gewehres. In weniger als einer Stunde würde sie aufs Neue die Gelegenheit erhalten, den Tod ihres Vaters zu rächen. Und heute Abend würde sie den Sieg gemeinsam mit Laila feiern - und mit Kyan, dessen blondes Haar vor ihr im Wind flatterte ...
Als hätte er ihren Blick gefühlt, wandte er seinen Kopf und schenkte ihr über seine Schulter ein warmes Lächeln. Seine braunen Augen funkelten stolz und unternehmungslustig, aber da war noch etwas mehr in ihnen. Eine winzige Flamme, die ihr verriet, dass er angefangen hatte, mehr in ihr zu sehen als nur ein Kind ...
Ja, es war ein schöner Tag. Das Flimmern der Luft kam nicht nur von der Hitze, da war sie ganz sicher. Es war der Hauch der Freiheit, der über ihnen allen lag. Nein, kein Hauch, ein Sturm, und er würde die Cardassianer einfach davon wehen ...
Ro Laren verlor keinen Gedanken daran, dass Laila oder Kyan bei diesem Überfall sterben könnten, oder gar sie selbst.
Sie war jung und tapfer - und sie fühlte sich unbesiegbar ...

* * *

Ragur wünschte sich nichts sehnlicher, als seine gepanzerte Uniform gegen leichtere Kleidung eintauschen zu dürfen. Der bajoranische Frühling mit seinen blühenden Büschen und Sträuchern hatte ihn regelrecht verzaubert, aber der Sommer war für seinen Geschmack eine Spur zu heiß und trocken.
Die unterdrückten Flüche um ihn herum zeigten ihm, dass seine Kameraden sich auch eine angenehmere Beschäftigung vorstellen konnten, als bei dieser Hitze in voller Kampfausrüstung über einen staubigen Gebirgspfad zu marschieren. Warum mussten bloß in dieser verdammten Erzmine ausgerechnet zu dieser Jahreszeit die Energiezellen ausgehen ...
Insgeheim war der junge Soldat überzeugt, dass es eine reine Schikane seines Vorgesetzten war, ihn zu diesem Transport einzuteilen. Zusammen mit Geron hatte er heute ursprünglich die Pumpanlage kontrollieren sollen, die die Garnison mit Wasser versorgte. Eine sehr begehrte Tätigkeit, man spazierte gemütlich durch den schattigen Wald runter zum Fluss, kein Offizier, der einen antrieb, und mit etwas Glück hatte man sogar Zeit für ein ausgedehntes Bad. Natürlich musste man aufpassen, nicht von Rebellen überrascht zu werden, aber das war hier auf diesem sandigen Weg auch nicht anders ...
Geron vermutete, dass der Hauptmann sich immer noch darüber ärgerte, dass ihm die kleine Bajoranerin vor ein paar Monaten entwischt war und angesichts dessen, dass er sich hier befand, konnte Ragur nicht anders, als seinem Freund recht zu geben. Seit jenem Vorfall hatte sein Vorgesetzter jede Gelegenheit genutzt, ihm diese Schlappe heimzuzahlen. Doppelwachen, ständiger Latrinendienst, Sonderübungen ...
Anfangs hatte Ragur noch versucht zu protestieren, doch irgendwann hatte er begriffen, dass der Hauptmann am längeren Hebel saß, und dass es klüger war, alles klaglos zu erdulden und zu hoffen, dass der Offizier mit der Zeit das Interesse an diesen Strafaktionen verlieren und sich ein neues Opfer suchen würde ...
Vielleicht hatte er ja Glück, und ein Terrorist erschoss den Hauptmann, ehe er soweit war, es selbst zu tun.
Himmel, was für Gedanken einem durch den Kopf schossen, wenn man das Gefühl hatte, langsam aber sicher in der sengenden Sonne zu verglühen ...
Ragur zwang sich, diese gefährlichen Überlegungen zu beenden und rief sich stattdessen aufs Neue jenes Bild ins Gedächtnis, das ihm half, auch die schlimmste Schikane seines Vorgesetzten mit einem Lächeln hinzunehmen.
Zarte glatte Haut, umrahmt von langem weichem Haar, große dunkle Augen ...
Nein, ganz gleich was dem Hauptmann auch einfiel, um ihn für diese Niederlage büßen zu lassen, er bereute nichts. Hier und jetzt würde er ohne zu Zögern wieder so handeln, und mit dieser Gewissheit im Herzen konnte er alles ertragen ...

* * *

Die Felsen boten eine gute Deckung. Genau wie die anderen kauerte Ro Laren dicht am Boden und spähte angestrengt auf den schmalen Pfad, der sich knapp zwei Meter unter ihnen über den Bergpass schlängelte. Weit und breit war das die einzige Möglichkeit, zu Fuß auf die andere Seite des Gebirges zu gelangen. An dieser Stelle machte der Weg eine scharfe Biegung, der geeignete Ort für einen Überfall.
Die Widerstandskämpfer verschmolzen mit ihrer Umgebung, wurden eins mit den dunklen Steinen und der roten Erde. Sie wussten, worauf es bei einer Falle ankam, denn sie griffen fast immer aus dem Hinterhalt an. Angesichts der ihnen meist zahlenmäßig überlegenen Gegner und ihrer besseren Bewaffnung, wären offene Schlachten reiner Selbstmord.
Kein Laut durchdrang die Stille, dann plötzlich einige Flüche aus cardassianischen Kehlen, das Geräusch von schweren Stiefeln, das noch entfernt klang, aber langsam näherkam.
Ro duckte sich noch ein wenig tiefer. Die Mündung ihres Lasergewehres war genau auf den Punkt gerichtet, an dem binnen weniger Minuten der erste Cardassianer um die Kurve biegen würde, ihr Finger lag am Abzug. Sie war stolz, dass ihre Hand so ruhig war. Bei ihren ersten Aktionen hatte sie vor Aufregung so gezittert, dass mehr als ein Schuss, der für eine Brust bestimmt gewesen war, stattdessen nur eine Schulter getroffen hatte. Aber es genügte ihr nicht, cardassianische Soldaten nur zu verletzen. Sie sollten sterben, für das, was sie ihrem Vater angetan hatten und für all das Leid, das sie dem bajoranischen Volk zufügten ...
Kyan kauerte so dicht neben ihr, dass sein Haar sie in der Nase kitzelte. Gerade wollte sie ein Stück von ihm abrücken, als der erste Soldat in ihr Blickfeld trat - und damit in das Visier ihrer Waffe. Die Bajoranerin vergaß ihren Freund, es gab nur noch diesen Feind da unten und den Hass in ihrem Herzen, dieses brennende Feuer, das sich nur mit cardassianischem Blut löschen ließ ...
Aus den Augenwinkeln bemerkte Ro, wie Laila das Zeichen zum Angriff gab, dann drückte sie ab, wieder und wieder ...
Das Fauchen der Schüsse mischte sich mit den gellenden Schreien der Soldaten, die nach und nach verstummten, bis wieder eine fast geisterhafte Stille über dem Weg lag. Aber sie dauerte nur einige Sekunden, dann brachen die Rebellen in lauten Jubel aus. Einer nach dem anderen stand aus seiner Deckung auf und rutschte die kleine Böschung hinunter.
Ro und Kyan gehörten zu den ersten, die die Stelle erreichten, an der eben noch cardassianische Soldaten gestanden hatten. Nun lagen sie in seltsam verrenkten Haltungen überall verstreut auf dem Boden. Ein süßlicher Geruch stieg von ihnen auf.
Kyan rümpfte angewidert die Nase. „Da hast du deinen Duft der Freiheit, Laren, ich finde ihn nicht gerade betörend.“
Er begann die Energiezellen aufzusammeln, die zwischen den Leichen auf der Erde blinkten. Das Behältnis, in dem sie sich befunden hatten, war - offenbar infolge eines Aufpralls auf einen der Felsen, als es seinem Träger entglitten war - zerbrochen und hatte seinen Inhalt mehr oder weniger gleichmäßig über die toten Cardassianer verteilt.
Direkt neben Ros linkem Fuß schwamm eine der kostbaren Zellen in einer Blutlache. Sie wollte sich gerade bücken, um sie mit spitzen Fingern herauszufischen, als sie plötzlich ein leises Stöhnen vernahm. Gleichzeitig bemerkte sie rechts von sich eine Bewegung. Einer der Soldaten schien noch am Leben zu sein, aber nicht mehr lange ...
Die Bajoranerin zog ihr Messer und warf sich auf den Cardassianer, der wider Erwarten nicht im Feuer ihrer Gewehre umgekommen war. Der Soldat lag auf dem Bauch, das Gesicht im Staub, seine Uniform war am Rücken verkohlt, dort wo ihn der Schuss getroffen hatte. Er schien schwer verwundet zu sein, aber das genügte nicht.
Nicht ihr ...
Ro krallte ihre Hand in sein dunkles Haar und riss seinen Kopf nach oben, um ihm die Kehle durchzuschneiden, und erstarrte ...
Sie hatte alles getan um diese Züge zu vergessen, nur um sie hier und jetzt wiederzusehen, auf einem Schlachtfeld, inmitten von Blut und Tod. Ihre Finger lösten sich aus seinem Haar, während sie langsam neben dem jungen Cardassianer auf die Knie sank. Ihre Gedanken rasten, schienen sich im Kreis zu drehen. Eben noch war er nur ein unbekannter, ein verhasster Feind gewesen, den sie um jeden Preis hatte töten wollen, und nun ...
Dieser Mann da hatte sie gerettet, er musste überleben, wenn sie ihren inneren Frieden nicht für immer verlieren wollte. In diesem Moment erschien ihr dieses Ziel wichtiger als Kyan, Laila und ihr gemeinsamer Kampf, ja sogar wichtiger als Bajor ...
Leider konnte sie nicht einfach aufstehen und ihm ein „Lauf!“ zurufen. Er war verletzt, ohne medizinische Versorgung würde er es niemals schaffen, und selbst die konnte ihm möglicherweise nicht mehr helfen, aber er durfte nicht sterben ...
Ragur sah nicht das Messer, das die Bajoranerin immer noch in der Hand hielt. Alles was er sah, war das Bild, von dem er Tag und Nacht geträumt hatte.
Zarte, glatte Haut, umrahmt von langem weichem Haar, große dunkle Augen ...
Der Schmerz, der von seiner Rückenwunde ausging, benebelte Ragurs Bewusstsein, verschloss es vor der Erkenntnis, dass sie ihn belogen hatte, dass sie entgegen dessen, was sie geschworen hatte, doch zu den Terroristen gehörte, zu den Mördern seiner Eltern.
Zarte, glatte Haut, umrahmt von langem weichem Haar, große dunkle Augen ...
Sie war so jung, so schön und er hatte sich so danach gesehnt, sie wiederzusehen. Er spürte keinen Schmerz, nur Freude. Ein zaghaftes scheues Lächeln stahl sich auf Ragurs Lippen, als er nun langsam die Hand ausstreckte, um sie zu berühren und damit den einzigen seiner Träume, den ihm niemand hatte stehlen können ...
„Vorsicht, Laren!“
Laila hatte gerade das Zeichen zum Rückzug geben wollen, als sie, halbverdeckt von einem Felsen Ro entdeckt hatte - und den Cardassianer, der gerade die Kehle des Mädchen packen wollte. Ihre Schwester war von diesen Bestien umgebracht worden, sie würde nicht zulassen, dass Laren dasselbe Schicksal ereilte, nicht solange sie es verhindern konnte ...
Ihr Warnschrei war noch nicht verhallt, da hatte die Widerstandsführerin bereits die Mündung ihres Phasers auf den Soldaten gerichtet und abgedrückt.
Die Wucht des Treffers schleuderte Ragur nach vorne, er fiel direkt in Ros Arme. Das Messer entglitt ihren Fingern, als sie instinktiv zugriff. Entsetzt starrte sie in seine gebrochenen Augen, die selbst jetzt noch sanft blickten, er lächelte immer noch ...
„Nein!“ Ro schob den toten Cardassianer von sich, sprang auf die Füße, stürzte sich wie eine Furie auf ihre Anführerin und begann, mit geballten Fäusten auf sie einzuschlagen.
„Nein! - Nein! - Nein!“
Jedes Nein wurde von einem neuen Schlag begleitet. Wie aus weiter Ferne vernahm die junge Bajoranerin Kyans Stimme, doch das, was er ihr zurief, erreichte ihr Bewusstsein nicht. Wie durch einen Nebel spürte sie, dass Kyan ihre Schultern packte und sie von ihrer Anführerin fortzerrte, nahm unbewusst wahr, wie er mit bedauernder Miene weit ausholte, dann wurde es Nacht um sie.

* * *

Der Mann stand allein auf den Zinnen der Garnison und starrte über das weite Land. Sein Gesicht war versteinert, gerade war bestätigt worden, was man hier vermutet hatte. Der Transport war von Rebellen überfallen worden, keiner seiner Kameraden hatte den Angriff überlebt. Um den Offizier, der den Trupp angeführt hatte, war es nicht schade. Er war genauso ein Schinder gewesen wie der Hauptmann, unter dessen Schikanen Ragur hatte leiden müssen. Bei dem Gedanken an seinen toten Freund verhärteten sich Gerons Züge immer mehr.
Cardassianische Soldaten durften keine Trauer zeigen, aber Hass ...
„Ich habe es dir gesagt, Ragur“, flüsterte der einsame Mann auf dem Wall in die sternenklare Nacht hinaus. „Diese bajoranischen Terroristen sind eine gefährliche Brut, bevor sie nicht allesamt ausgerottet sind, wird niemand von uns hier jemals sicher sein. Ich verspreche dir, mein Freund, dass sie für deinen Tod bezahlen werden. Sie alle werden dafür büßen, kein Mitleid, keine Gnade, das schwöre ich!“
Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und rollte langsam über seine Wange. Geron wischte sie nicht fort.
Cardassianische Soldaten durften keine Trauer zeigen, aber er war allein ...

* * *

Ro Laren saß mit angewinkelten Beinen auf ihrem Lieblingsplatz, dem Felsen direkt am Rand der Anhöhe. Sie hatte ihren Kopf auf die Knie gelegt und starrte hinab in die Ebene. Seit sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie kein einziges Wort mehr gesprochen, keine Entschuldigung, keine Erklärung für ihr Verhalten.
Laila hatte entschieden, dass es das beste war, das Mädchen einfach in Ruhe zu lassen, bis es sich entweder von selber wieder fing, oder auch nie. Die Widerstandsführerin hatte schon ganz andere erlebt, die angesichts des Lebens, das sie hier führen mussten, immer mit der Angst, der nächste zu sein, den ein tödlicher Schuss traf, durchgedreht waren.
Für ihre Jugend hatte Laren schon so viel Grauen gesehen, kein Wunder, dass ihre Nerven verrückt gespielt hatten, das konnte jedem hier passieren ...
Ro ließ die anderen in dem Glauben, dass es sich um einen zufälligen Ausbruch gehandelt hatte. Niemand hier wusste, dass es das Mitleid dieses Cardassianers gewesen war, das sie damals aus den Fängen der Patrouille gerettet hatte.
Nicht etwa, dass sie diese Tatsache Laila und den anderen bewusst verschwiegen hätte, aber sie war so durcheinander gewesen, dass sie einfach vergessen hatte es zu erwähnen. Später dann hatte sie auf eine günstige Gelegenheit gewartet, ihren Kameraden alles über den jungen Soldaten mit der sanften, traurigen Stimme zu erzählen, doch irgendwie war eine solche nie gekommen.
Weil du nicht wolltest, dass sie kam ...
Ro hätte dieses vorwurfsvolle Wispern gerne ignoriert, aber es hallte laut wie Donner durch sämtliche Schichten ihres Selbst, war Anklage und Urteil zugleich.
Ja, es war ihr recht gewesen, dass keiner davon erfuhr, weil es dadurch für sie leichter wurde, den Vorfall aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen und damit auch die unangenehme Erkenntnis, dass es auch gute Cardassianer gab ...
Dieser junge Soldat war mit einem Lächeln gestorben. Es hatte ihr gegolten, einer Bajoranerin, einer Widerstandskämpferin. Es war Laila gewesen, die ihn erschossen hatte, doch Ro kam sich vor, als hätte sie ihn mit eigenen Händen getötet. War es nicht genau das gewesen, was sie immer gewollt hatte, jeden Cardassianer, der ihr in die Finger oder vor den Lauf ihrer Waffe geriet für die Ermordung ihres Vaters büßen lassen?
Ro hätte gerne geweint, aber ihre Augen blieben trocken. Sie hätte ihren Kummer, ihre Selbstzweifel gerne laut herausgeschrien, doch damit hätte sie nur erneut die Aufmerksamkeit ihrer Gefährten auf sich gezogen, und das letzte, was sie in diesem Moment wollte, war die Gesellschaft besorgter Freunde. So saß sie nur stumm da und starrte hinab in die Ebene, an deren Horizont die Sonne rotglühend versank ...


Epilog

Kyan wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Vielleicht war es das entfernte Heulen eines Wolfes oder auch nur der Flügelschlag eines Vogels gewesen. Wie alle Widerstandskämpfer hatte er einen leichten Schlaf. Schon wollte er die Augen wieder schließen, als er den Schatten sah. Der junge Bajoraner sprang auf. Mit zwei Schritten hatte er die Gestalt eingeholt. Er packte sie und riss sie herum. „Laren!“
„Lass mich los!“, fauchte sie leise.
„Erst wenn du mir gesagt hast wo du hinwillst, mitten in der Nacht und ganz allein!“
„Fort!“
„Was heißt das? Möchtest du zu einer anderen Gruppe? Zur Shakaar oder zu Li Nalas?“
„Nein, das ist nicht weit genug!“
„Nicht weit genug, aber ...“ Abrupt gab Kyan sie frei, als die Bedeutung ihrer Worte langsam in sein Bewusstsein sickerte. „Du willst Bajor verlassen ...?!“
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, trotzdem nickte sie. „Ja.“
„Aber warum, Laren, das hier ist unsere Heimat, deine Heimat.“
„Das ist richtig, aber ich kann so nicht mehr weitermachen, ich will es nicht!“
Ro konnte in seinen Augen lesen, dass er ihren Entschluss nicht begriff, und das überraschte sie nicht. Sie verstand sich ja selbst nicht mehr. Das einzige, was sie wusste, war, dass sie nicht hierbleiben konnte. Irgendwann würde sie zu einem wilden Tier werden, das nur noch glücklich war, wenn es cardassianische Kehlen durchschneiden konnte, oder sie würde eines Tages über all dem Grauen, all dem Schrecken wirklich den Verstand verlieren.
„Aber du kannst Laila, mich und all die anderen doch nicht einfach so im Stich lassen. Wir brauchen dich, Laren, Bajor braucht dich!“ Seine Stimme vibrierte, aber es war kein Zorn, nur Trauer und unendliche Verzweiflung.
„Bitte Kyan, mach es mir doch nicht noch schwerer!“
„Nein.“ Er schluckte. „Das werde ich nicht. Es ist dein Leben und deine Entscheidung.“ Er zögerte kurz. „Wo wirst du hingehen?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich noch nicht. Dort oben ...“, sie deutete in den Nachthimmel, „ ... gibt es so viele Sterne, so viele Planeten und jeder Ort im Universum ist besser als das hier. - So habe ich es nicht gemeint“, ergänzte sie, als sie den verletzten Ausdruck in seinen Augen bemerkte.
„Doch, das hast du, Laren“, stellte Kyan ruhig fest „Jedes einzelne Wort, aber das macht nichts, denn du hast recht.“
Einem spontanen Impuls folgend ergriff sie seine Hand. „Warum kommst du nicht mit mir?“
Er schüttelte den Kopf. „Mein Platz ist hier.“ Er bückte sich und grub seine Finger in den roten Sand. „Das hier ist es wert zu bleiben und dafür zu kämpfen“, sagte er leise, während er sich wieder aufrichtete und ihr die Erde unter die Nase hielt. „Leb wohl, Laren, die Propheten mögen über dich wachen, ganz gleich wo du auch bist. Und falls du dich einmal entschließen solltest, zurückzukehren ...“ Er nahm ihre rechte Hand und drückte die weiche, rote Erde hinein.
„... dann wird es jemanden geben, der dich willkommen heißt.“
Damit drehte er sich schweigend um und ließ sie stehen.
Irgendwo in der Ferne heulte ein einsamer Wolf, ansonsten war das leise Rauschen des Windes das Einzige, was die Stille durchbrach, klang es nicht fast wie ein Flüstern, das in ihrer Seele widerhallte?
Das ist deine Heimat, Laren ...
Für einen kurzen Moment war Ro versucht, ihre Pläne über den Haufen zu werfen und Kyan nachzurennen, doch sie tat es nicht. Sie warf der Erde in ihrer Hand einen langen Blick zu, ehe sie sie langsam durch ihre Finger rieseln ließ. Dann wandte sich ab und schritt ohne sich noch einmal umzudrehen in die Dunkelheit, in eine ungewisse Zukunft und ein neues Leben, von dem sie hoffte, dass es besser sein würde als dieses hier.
Falls du dich jemals entschließen solltest, zurückzukehren ...
Niemand wusste, welcher Weg ihm von den Propheten vorbestimmt war. Vielleicht würde sie irgendwann einmal in ihre Heimat zurückkehren...
Aber bestimmt nicht heute Nacht ...

ENDE
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