TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Eine von Uns

von Gabi

Kapitel 1

Der Wind zog schneidend über die Ebenen. Schneeflocken tanzten in seinem Sog und besiegelten die weiße Herrschaft über das Land. Es war angenehmer, im relativen Schutz der felsigen Berge zu bleiben als auf freie Flächen hinauszutreten. Die junge Frau zog ihren Umhang enger um sich. Während sie beobachtete, wie die scharf umrissenen Abdrücke ihrer Stiefel im Schnee durch das Treiben allmählich ihre Kontur verloren, lächelte sie. Der Winter war kalt dieses Jahr, es würde Tote geben, wenn die Vorräte ausgingen. Mit dieser Gefahr lebte sie, seit sie sich erinnern konnte. So grausam es war, es hatte sich mit der Zeit als der Lauf der Dinge in ihr Bewusstsein geschlichen. Sie hatte jeden Winter überlebt und sie gedachte nicht, es diesen anders zu halten. Das war nicht der Grund, warum sie lächelte. War die Kälte für ihr Volk schmerzlich, so war sie es für die Besatzer nur noch mehr. Sie konnten sich mit thermisch isolierten Anzügen ausstatten, doch auch dies - wie die Kälte selbst - behinderten ihre Aktionsschnelligkeit. Der Winter war die Zeit des Todes für ihr eigenes Volk, doch es war gleichzeitig auch die Zeit der häufigeren Siege bei Überfällen. Die Natur Bajors schlug sich auf ihre Seite und verschaffte ihnen einen gewissen Vorteil im Freien.

Lupaza schob mit behandschuhten Fingern ihre dunkelroten Locken aus den Augen. Die Kälte hatte Kristalle an ihnen gebildet. Sie beschloss, in die Höhle zurückzukehren, bevor sie bretthart wurden.

Ihre Widerstandszelle hatte das Winterquartier in den verschlungenen Gängen der Höhlen der Misthraal-Berge aufgeschlagen. Diese Bergkette bildete die östliche Grenze der Provinz Dahkur und erlaubte einen weitreichenden Blick über die Städte und Siedlungen der Ebene. Die Stellung schenkte ihnen ein wenig das Gefühl, dass sie über die Provinz wachen konnten. Kaum ein Mitglied der Gruppe stammte nicht aus Dahkur. Manche waren in den besetzten Städten aufgewachsen, manche in der relativen Freiheit der wenigen noch autonomen Siedlungen, etliche in den von Cardassianern errichteten Arbeitslagern. Doch sie alle verband das Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem Teil Bajors. Trotz allem, was ihnen widerfahren war, stellte dieses Stück Land ihre Heimat dar - die einzige, die sie jemals haben wollten.

Lupaza durchquerte mehrere Gänge, teilweise waren sie natürlich gewachsen, teilweise hatten die Bajoraner nachgeholfen. An jeder Biegung und jeder Kreuzung waren Dämmfeldgeneratoren an den Wänden befestigt, welche ihren Aufenthaltsort sicher vor den Sensoren der patrouillierenden Cardassianerflotten verbargen. Mit jedem Abzweig, den sie nahm, fühlte Lupaza ein wenig der Kälte zurückbleiben. Im Inneren des Berges war es etliche Grad wärmer, man konnte die Temperaturen noch lange nicht als angenehm bezeichnen, doch es stellte eine deutliche Verbesserung zur freien Umgebung dar. Schließlich gelangte sie an das Ende eines Ganges, welches mit einem schweren isothermen Material verhängt war. Ihre Finger griffen nach dem Rand des Stoffes. Noch während sie ihn beiseiteschob, rief sie: „Ich bin’s!“

Die Waffen, die sich von beiden Seiten auf ihren Kopf gerichtet hatten, wurden wieder gesenkt. Lupaza schlüpfte durch die schmale Lücke und zog den Vorhang hinter sich sorgsam zu, damit die Wärme des Raumes nicht entweichen konnte. Sie hatten hier zwei Wärmeaggregate laufen, so dass es einigermaßen erträglich war, sich auch ohne Handschuhe und dicke Jacken zu bewegen. Da sie nie wussten, wie lange ihre Reserven hielten und wann sie neue erstehen konnten, war es nicht möglich, die Höhle großzügig zu heizen. Sie war nicht besonders weiträumig. Der Winter hatte eben erst begonnen, noch war die Stimmung erträglich. Doch sie wusste aus Erfahrung, dass früher oder später der Punkt kam, an welchem persönliche Konflikte nicht mehr zu verhindern waren, wenn so viele Personen auf so engem Raum zusammenleben mussten. Im Moment zählte ihre Gruppe etwa dreißig Mitglieder, im Sommer verteilten diese sich in den anderen Bereichen der Gänge, doch im Winter befanden sie sich vornehmlich in dieser einen Kammer. Wo sie vorher einzeln für sich geschlafen hatten, mussten sie nun nachts eng zusammenrücken, um voneinander Wärme zu beziehen. Auch das blieb nicht ohne Reibungen. Spannungen, besonders sexueller Art, waren in dieser Quasi-Intimität nicht zu vermeiden. Es war nicht umsonst, dass ihr Anführer besonders viele Überfälle in die Wintermonate legte. Seine Leute mussten beschäftigt werden.

Während Lupaza ihren Umhang am Eingang ablegte, blickte sie sich im Raum um. Sie registrierte den Anführer sofort. Shakaar Edon saß an der gegenüberliegenden Wand, eine Feldration in der Hand, unterhielt er sich mit ein paar Mitgliedern ihrer Gruppe. Er wirkte gelöst. Lupaza schüttelte leicht den Kopf, es war ihr ein Rätsel, wie man entspannt sein konnte, wenn man diese widerliche Feldration essen musste. Sie selbst verabscheute das trockene Zeug von Herzen. Es war geschmacklos und ließ nicht die geringsten Rückschlüsse darauf anstellen, aus was es eigentlich hergestellt war. Doch es war nicht zu leugnen, dass es sich am leichtesten als Vorrat halten ließ. In Zeiten wie diesen, in welchen sie sehr schlecht an vernünftige Nahrung herankommen konnten, hatte es ihnen schon mehr als einmal das Leben gerettet. Es war schrecklich genug, als Ausgestoßene auf ihrer eigenen Heimaterde kämpfen zu müssen, aber zu hungern war demütigender als alles andere. Lupaza hatte die Zeiten erlebt, in denen sie nichts mehr zu essen hatten, die Erinnerungen daran beförderte sie jedes Mal an die Oberfläche, wenn sie sich der Feldration gegenüber sah.

Shakaars entspannte Stimmung würde sie nun leider ein wenig anspannen müssen. Bevor sie sich jedoch in seine Richtung in Bewegung setzten konnte, trat ein Mädchen auf sie zu.

„Hast du darüber nachgedacht?“

Lupaza grinste. Dieses Mädchen war der Grund für die sogleich erfolgende Ruhestörung. Sie sah Nerys in deren große Augen. „Ja, ich habe nachgedacht. Ich werde mit ihm darüber sprechen.“

Die Jüngere lächelte und drückte ihr die Hand. „Danke, Lupaza. Dafür schulde ich dir etwas.“

Nerys war 14, ihr Ih‘tanu hatte sie erst vor Kurzem gefeiert. Sie war vor etwas mehr als einem Jahr zu ihrer Gruppe gestoßen, ein reichlich ausgehungertes Mädchen mit kurzem, matten Haar. Sie sprach nicht oft darüber, was ihr alles zugestoßen war. Lange hatte sie zu überhaupt niemandem Vertrauen aufbauen können. Doch mit der Zeit hatte sie sich mit Lupaza angefreundet, kurioserweise wegen ihrer Haare. Nachdem Nerys besseres und regelmäßigeres Essen erhielt und auch Schlaf finden konnte, der nicht nur von der Erschöpfung herrührte, stellte sich recht rasch heraus, dass ihr Haar ein ausgesprochen hübsches Rotblond aufwies. Es war etwas heller vom Ton her als Lupazas eigene Mähne. Lupaza hatte sie daraufhin ermuntert, ihre Locken wachsen zu lassen. Nerys war anfangs skeptisch gewesen, doch als sie feststellen konnte, dass sich ihr Haar nicht halb so widerspenstisch verhielt, wie sie sich das vorgestellt hatte, hatte sie das mit neuer Begeisterung erfüllt. Zwischen Lupaza und ihr hatte sich ein zartes Band von Vertrauen gewoben. Ein Band aus roten Haaren.

Zu einem nicht unerheblichen Teil hatte auch der Anführer der Gruppe selbst dazu beigetragen, dass das Mädchen sich unter Freunden fühlen konnte. Shakaars Geduld war in manchen Bereichen nahezu unerschöpflich. In manchen ...

Lupaza wandte sich von Nerys ab und ging zu ihm hinüber. Als der sie kommen sah, lud er sie mit einer Handbewegung ein, sich zu ihm zu setzen. „Hat dich die Kälte wieder ausgespuckt?“

Sie ließ sich neben ihm nieder. „Ich finde es wichtig, des Öfteren draußen herumzustehen, damit man diesen Frost hier in der Höhle so richtig schätzen lernt“, konterte sie.

„Wenn wir gerade von ‘richtig schätzen’ sprechen.“ Er griff neben sich und förderte mit hinterhältigem Grinsen eine Feldration zutage. „Dein Abendessen. Guten Appetit.“

Sie nahm ihm die Packung mit einer Miene ab, die der seinen in nichts nachstand. „Fürsorglich wie immer.“ Während sie die Umhüllung aufriss, überlegte sie sich allerdings schon, wie sie ihr Anliegen am geschicktesten vorbringen konnte. „Kann ich etwas Ernstes mit dir besprechen, Edon?“

Er sah sie belustigt an. „Ob du das kannst ... das zu sagen, liegt nicht in meiner Macht ...“

Sie bedachte ihn mit einem rügenden Blick. Shakaar Edon war Mitte zwanzig, nicht sehr viel älter als sie selbst, und ein Mann, mit dem sie in der Regel problemlos Neckereien austauschen konnte. Das mochte sie so an ihm, er konnte sich manchmal noch wie ein kleiner Junge verhalten, trotz der Verantwortung, die auf seinen Schultern ruhte. Gleichzeitig schaltete er jedoch sofort um, wenn es die Situation von ihm verlangte. So merkte er auch dieses Mal augenblicklich, dass Lupaza etwas auf der Seele lag. Er neigte den Kopf ein wenig.

„Okay, was gibt es?“

Sie pellte ohne Begeisterung die Verpackungsstreifen von der Trockennahrung. „Es geht um den Einsatz morgen früh.“

„Was ist damit?“ Sie hatten von ihren Quellen erfahren, dass ein Transporter mit Energiespeichern unterwegs durch die Ebene war. Sein Weg würde ihn an einer Bergflanke vorbeiführen, die sich als Hinterhalt eignete - und sie konnten die Speicher sehr gut gebrauchen.

„Es ist kein besonders gefährlicher Einsatz. Es wäre eine gute Gelegenheit für ...“

Er brachte sie mit dem Heben seiner Hand zum Schweigen. „Nerys? Du sprichst nicht zufällig von ...“

„Sie verdient ihre Chance, Edon!“ Lupaza legte den Riegel weg, ein wenig froh darüber, eine Ausrede zu haben, ihn nicht in den Mund stecken zu müssen. „Wie lange willst du sie noch hier zurücklassen?“

„Sie ist noch zu jung ...“

„Das waren wir alle, Edon, wir alle waren das!“ Sie kannte dieses Gespräch und sie kannte ihrer beider Positionen. Shakaar meinte es gut, das wusste sie. Er wollte Werte in einer Zeit schützen, die keine Werte mehr besaß. „So gerne du jeden einzelnen von uns zurückhalten würdest, du kannst es nicht. Wir sind nicht deine Verantwortung.“

„Seid ihr das nicht?“ Sein Blick wirkte ein wenig verloren, als er sie ansah. „Ich bin derjenige, der euch dort hinausschickt. Ich bin derjenige, der bestimmt, wer geht und wer nicht. In letzter Konsequenz bin ich derjenige, der mit Leben und Tod spielt - und du willst mir erklären, dass ich nicht die Verantwortung trage?“

Sie hob die Handflächen in einer offenen Geste. „Wir sind alle freiwillig hier.“

„Das entbindet mich nicht davon ... Lupaza.“ Er atmete einmal kräftig durch. „Nerys ist das jüngste Mitglied unserer Gruppe. Das Leben ist nicht besonders rücksichtsvoll mit ihr bisher umgegangen - ich will nicht, dass sie gerade da weiter macht, von wo sie entkommen ist.“

„Hier?“ Lupaza machte eine die Höhle umfassende Geste. „Wie willst du das hier verhindern? Indem du sie weiter Waffen putzen lässt? Die Vorräte sortieren lässt? Edon, das sind stupide Aufgaben, die nicht ihr einziger Lebensinhalt sein sollten. Wir kämpfen, wir haben unsere Durchhänger, aber wir haben auch Zeiten, in den wir stolz auf uns sind, in denen wir Spaß haben. Das alles sieht Nerys täglich. Doch sie gehört nicht wirklich zu uns, nicht solange sie nur zweitklassige Arbeiten ausführen darf ...“

„Das Instandhalten der Waffen ist keine zweitklassige Arbeit.“

„Das meinte ich damit nicht - und das weißt du!“

Shakaar blickte sie verärgert an. Er mochte dieses Thema ganz offensichtlich nicht besonders. Nerys hatte ihn schon des Öfteren gebeten, bei einem Einsatz dabei sein zu dürfen. Er hatte sie jedes Mal zurückgewiesen. Dass jetzt Lupaza ebenfalls die Partei des Mädchens ergriff, behagte ihm nicht. „Was willst du? Dass ich ein junges Mädchen mit einem Phaser ausrüste und sie dort hinausschicke?“

Lupaza ließ sich von der Bitterkeit in seiner Stimme nicht beeindrucken. „Ganz genau das will ich. Sie kann damit umgehen, das hat sie schon bewiesen. Du kannst sie einfach nicht immer zurücklassen.“

„Und was, wenn sie umkommt? Was dann? Kannst du damit leben, wenn ihr etwas passiert?“ Der Kampf in seinem Inneren spiegelte sich deutlich auf seinem Gesicht wider. Sie konnte sehen, dass er sich schwere Vorwürfe machen würde, wenn Nerys etwas zustieße. Sie brauchte nicht lange über seine Frage nachzudenken. Sie hatte es vorhin im klaren Schnee schon zur Genüge getan.

„Ja, ich werde damit leben können. Wenn die Propheten ihr dieses Schicksal bestimmt haben, dann ist es ihr Weg. Denn ich werde für mich die Gewissheit mitnehmen können, dass sie als eine von uns gestorben ist, für Bajor. Edon ... glaub mir, das ist alles, was sie möchte.“

„Es ist gut für dich, dass du mit dir selbst so im Klaren bist“, bemerkte er ohne Spott. Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand zurück. „Denn du bist mir morgen persönlich verantwortlich für ihr Leben, hast du das verstanden?“

Sie lächelte. Wenn das ein subtiler Versuch von Shakaars Seite sein sollte, sie von ihrer Meinung abzubringen, dann war er schief gelaufen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte fest zu. „Danke. Ich werde es ihr gleich sagen ...“

Sie fühlte ihre Hand von ihm festgehalten als sie sich erheben wollte. „Nein, schick sie zu mir, ich werde es ihr sagen.“ Seine Stimme klang ein wenig müde, er hatte einen leisen Machtkampf verloren. Nicht gegen sie, sondern gegen die Realität ihrer Situation. Dieses eine Mal war Lupaza allerdings froh darüber. Sie glaubte an die Fähigkeit des Mädchens, sich im Kampf zu behaupten. Das Feuer des Hasses, welches in deren Augen leuchtete, schien ihr stark genug zu sein, um sie überleben zu lassen.

Sie brauchte sich nicht einmal völlig zu erheben. Nerys hatte das Gespräch der beiden von der anderen Seite des Raumes aus beobachtet, wie sie sich hätte denken können. Der Blick des Mädchens war erwartungsvoll auf die rothaarige Frau gerichtet. Lupaza grinste zu ihr hinüber und winkte ihr, dass sie herkommen solle. Auf diese optimistische Geste hin begann das Gesicht des sonst so verschlossen wirkenden Mädchens regelrecht zu leuchten. Mit ein paar raschen Schritten war Nerys bei den beiden. Lupaza konnte Shakaar seufzen hören ob der beinahe fanatischen Begeisterung der Jüngeren, doch selbst er konnte den Lauf der Dinge nicht mit seinen bloßen Händen aufhalten - ganz gleich, wie gerne er dies getan hätte. Sie zog sich zurück, um den beiden ein kleines privates Gespräch zu erlauben, und beteiligte sich an den allgemeinen Aufräumarbeiten, welche den Raum für die Nacht vorbereiteten.

Diese Nacht schlief Nerys neben Shakaar. Lupaza, die sich wie stets an seinem Rücken zusammengerollt hatte, konnte hören, wie er noch weiter leise auf das Mädchen einsprach. Sie lächelte, während sie in einen halbwegs warmen Schlaf hinüberdämmerte: Der armen Nerys würde morgen höchstwahrscheinlich der Kopf brummen vor lauter Warnungen und Ermahnungen.

* * *


Sie lagen zeitig im Hinterhalt. Jeder damit beschäftigt, die Waffen noch einmal zu überprüfen und die Hände zu reiben, damit diese nicht einfroren. Lupaza kauerte neben Nerys. Das Mädchen wirkte lebendiger als sie es jemals gesehen hatte. Ihre dunklen Augen strahlten vor Tatendrang, als sie die Anzeige des Energiereglers einstellte. Eine Arbeit, die Nerys schon so oft getan hatte, doch diesmal war es anders, diesmal bereitete sie die Waffe nicht für jemanden anderes vor, diesmal war es ihre eigene. Lupaza war nach wie vor der Meinung, dass sie richtig gehandelt hatte, indem sie Shakaar zu dieser Entscheidung gedrängt hatte. Sie würde Nerys eine Aufgabe geben, eine richtige Aufgabe. Auf dem Mädchen war Zeit ihres jungen Lebens nur herum getrampelt worden. Sie hatte nie die Chance gehabt, sich überlegen zu fühlen, stets hatte sie am Ende der Hackordnung gestanden. Es lag eine gewisse Sicherheit darin, immer nur die Untergebene zu sein, das wusste Lupaza. Doch Freiheit von anderen und vor allem Freiheit vor sich selbst war in ihren Augen jede noch so große Gefahr wert, die damit verbunden war. Jeder hier musste ihrer Meinung sein, denn sonst wären die Frauen und Männer nicht der Shakaar beigetreten. Sie waren momentan vielleicht nicht sehr viel mehr als Wegelagerer - doch eines Tages würden sie größer werden, dessen war Lupaza sich sicher. Diesen Traum teilte sie mit ihrem Anführer. Und sie wollte, dass Nerys ein Teil dieses Traums wurde, kein Anhängsel.

„Na, wie war es?“ fragte sie die Jüngere. Sie hatte ihr schweres Phasergewehr an einen vereisten Felsen gelehnt und rieb sich nun die Hände.

Nerys blickte von ihrer Waffe auf - beinahe unwillig, ihre Augen davon zu trennen. Einer der seltenen wirklich glücklichen Ausdrücke stahl sich in ihre Züge. Sie blickte sich kurz um, doch Shakaar lag etliche Positionen von ihnen entfernt in Stellung. „Wie zu erwarten war“, bemerkte sie. „Ich weiß jetzt, dass er sich nur schwer zu dieser Entscheidung durchgerungen hat, dass ich keine unüberlegten Aktionen starten soll, dass ich mich lieber einmal zu viel zurückhalten sollte als einmal zu viel nach vorne zu preschen ...“, sie verdrehte die Augen ein wenig. „Du kennst das ja alles selbst. Er hält mich immer noch für ein kleines Mädchen.“

Lupaza schlug ihr kameradschaftlich auf die Schulter und hoffe, dass Shakaar ihre nächsten Worte nie würde hören können. „Er trägt die Verantwortung für jeden von uns. Er meint es nicht herabwürdigend.“

Nerys nickte. „Das weiß ich.“ Ihre Züge wurden entschlossener als es ihr für ihr Alter zustand. „Andernfalls wäre ich überhaupt nicht in der Gruppe geblieben.“

Lupaza betrachtete sie eindringlich. Dieses so zerbrechlich wirkende Geschöpf würde es weit bringen, dessen war sie sich sicher. In dem Körper eines Mädchens ruhte eine Frau, die schon fast alles gesehen hatte.

Nerys zerbrach den ernsten Moment, indem sie das von Lupaza so oft verwendete anzügliche Lächeln kopierte. „Aber es war schon toll, in seinen Armen zu schlafen ...“

Lupaza brach in Gelächter aus, welches die anderen Kämpfer verwundert ihre Köpfe heben ließ. Mit nun verhaltenerem Grinsen winkte sie ihnen ab, dass es sich hier um ein Privatgespräch handelte, dann verstärkte sie den Griff ihrer Hand auf Nerys’ Schulter. „Dazu, meine kleine Dame“, bemerkte sie gutmütig. „Dazu bist du nun aber wirklich noch zu jung.“

Sie blickten sich beide verschwörerisch an, dann packten sie ihre Waffen und legten sich in Position. Nicht lang darauf hörten sie Shakaars Anweisung, dass der Transporter sich nun ihrer Stellung näherte.

„Okay, es ist soweit“, flüsterte Lupaza. „Es ist nicht sehr kompliziert. Behalte den Ausstieg im Auge, und sobald sie herauskommen, schieß los.“

Nerys nickte. Ihren Blick wandte sie nicht vom Visier ihrer Waffe ab. Lupaza hatte vermutet, sie ein wenig zittern zu sehen, doch ihr Griff schien fest und entschlossen.

Der Transporter kam in Sichtweite und Lupazas eigener Blick konzentrierte sich nun auf ihre Aufgabe. Sie hatten auf beiden Seiten des Weges Geräte aufgestellt, deren Felder mit der Steuerung des Gefährtes interferierten. Auf diese Weise hofften sie, einen Ausfall vortäuschen zu können, der die Cardassianer zum Anhalten und Aussteigen veranlasste.

Tatsächlich wurde der Transporter auf ihrer Höhe langsamer. Erst schien es so, als ob er dennoch weiterfahren wollte, doch er hielt an. Ein kaum hörbares Aufatmen ging durch die Reihe der Widerstandskämpfer. Erst tat sich nichts, sie würden versuchen, die vermeintlichen Schäden von innen zu beheben. Schließlich glitt die Außenluke auf.

Das Gefühl der Kälte trat augenblicklich beiseite und machte einer wärmenden Anspannung Platz. Lupaza hob ihr Gewehr in Anschlag, die Schneeflocken, die um sie herum tanzten, begrüßte sie nun als willkommenes Medium, um ihre Sinne klar zu halten, nicht mehr als Gegenspieler, die versuchten, ihre Glieder einzufrieren. Sie würden die Cardassianer langsamer werden lassen. Die Bajoranerin wandte sich nicht zu Nerys um, weil sie nicht den Augenblick der Feuereröffnung verpassen wollte, doch aus den Augenwinkeln wirkte alles in Ordnung.

Zwei Besatzer erschienen in der Ausstiegsluke, und noch ehe Lupaza ihren Auslöser betätigen konnte, brach das Feuer neben ihr los. Zufrieden legte sie nun selbst an: Nerys verlor wirklich keine Zeit! Die beiden Cardassianer brachen im Schnee zusammen. Sie bildeten dunkle Störungen in der sonst so makellosen weißen Decke. Die verbliebenen Begleiter des Transporters versuchten, die Luke von innen wieder zu schließen und ihr Gefährt in Sicherheit zu bringen, doch ein gezielter Schuss aus der Reihe der Widerstandskämpfer traf die Sensorik und blockierte die Tür in der Bewegung. Während Lupaza und Nerys sich weiterhin auf die Öffnung konzentrierten, beschoss ein anderer Teil der Bajoraner das Antriebssystem, so dass der Fluchtversuch zu einem abrupten Halt kam.

Ihrer Fluchtmöglichkeit beraubt, meldete sich nun das erste Gegenfeuer aus der halbarretierten Tür. Lupaza legte wieder an. Während sie die Waffe erneut in Anschlag brachte, fiel ihr auf, dass das Feuer neben ihr, nicht eine Sekunde gestoppt hatte. Nun wandte sie ihren Kopf doch Nerys zu. Das Mädchen lag im Schnee ohne irgendetwas um sich herum mitzubekommen. Ihr Gesicht war beinahe versteinert, außer ihrem Visier schien nichts mehr in ihrer Welt zu existieren. Ein entschlossener Hass lag auf ihren Zügen, der Lupaza beinahe erschreckte. Es wurde ihr bewusst, dass Nerys sich nicht mehr von ihrer Position fortbewegen würde, bis sich kein Leben mehr in dem cardassianischen Transporter regte - oder ihr Energievorrat aufgebraucht war. Ihre Hände mussten schmerzen, so krampfhaft wie sie die Waffe und den Auslöser presste.

Macht - Lupaza erkannte das deutlich - dieses Mädchen fühlte Macht durch ihre Adern fließen. Vielleicht zum ersten Mal seit sie das Licht Bajors erblickt hatte, besaß sie die Macht über Leben und Tod, die Fähigkeit es den Cardassianern heimzuzahlen. Sie musste nicht zu ihren Füßen knien in der Hoffnung, dass die Schläge an ihr vorübergingen, sondern sie konnte handeln, konnte ihnen zeigen, was sie von ihnen hielt. Denn jetzt besaß sie die Macht dazu. Und diese würde sie nie mehr abgeben so lange sie lebte. Lupaza riss ihren Blick von der fleischgewordenen Rache neben sich und blickte wieder zum Transporter hinüber. Doch es gab nicht mehr viel für sie zu tun. Nerys’ Vernichtung war beinahe vollständig. In der Reihe regte es sich, ein Teil der Kämpfer machte sich auf, den Transporter zu stürmen. Lupaza legte ihre Hand auf Nerys’ Schulter.

„Es ist vorbei.“

Als das Mädchen seinen Kopf herumriss, glaubte die ältere Bajoranerin im ersten Moment, Nerys würde auf sie schießen. Ihr Blick war so wild, sie schien ihre Umgebung überhaupt nicht richtig wahrzunehmen. Bevor die Jüngere sich gänzlich umgedreht hatte, fiel ihr Lupaza in den Arm und löste damit die verkrampften Finger vom Auslöser. „Nerys, es ist vorbei!“ Das Ende des Phaserfeuers schien auch den Bann zu lösen. Nerys senkte ihren Phaser, Leben kehrte in ihre Augen zurück. Sie schüttelte ihren Kopf ein wenig, starrte zum Transporter hinüber und dann zu Lupaza. Ihre Freundin nickte. „Du hast dich hervorragend gehalten.“

Ein zaghaftes Lächeln zuckte über Nerys’ Lippen, dann brachen Tränen aus den Augen des Mädchens. Lupaza legte ihr Gewehr ab und nahm sie in den Arm. Schweigend gab sie ihr die Gelegenheit, sich an ihrer Schulter auszuweinen. Die Tränen wuschen ihre Hilflosigkeit ab, schwemmten das bisherige Leben der Unterdrückung fort - und waren gleichzeitig Vorboten für den Verlust ihrer Unschuld. Sie hatte nun begonnen, systematisch zu töten. Lupaza wusste, dass sie das bis an ihr Lebensende verfolgen würde. Aber es war besser so als machtlos daneben zu stehen.

„Willkommen in der Verdammnis“, flüsterte sie in das hellrote Haar des Mädchens.

* * *


Die Ausbeute war gut gewesen. Jeder von den Kämpfern brachte Energiespeicher mit in die Höhlen zurück. Nerys trug ihre mit besonderem Stolz. Shakaar hatte sich auf dem Rückweg zu dem Mädchen gesellt. Seine Anerkennung hatte sie sichtlich aufblühen lassen.

Lupaza beobachtete die beiden, wie sie nun Seite an Seite die Beute registrierten und verstauten. Sie hatte das Gefühl, dass sie wunderbar zusammenarbeiten würden, wenn Shakaar erst einmal erkannt haben würde, dass Nerys kein Kind mehr war, auf das er ständig aufzupassen hatte, sondern eine junge Frau, die sich sehr wohl selbst verteidigen konnte. Sie war ein sehr guter Zuwachs für ihre kleine Soldatentruppe. Die Frau wandte ihren Blick wieder von den beiden ab und veränderte die Hitze des Gerätes, mit dem sie eben dabei war, ein kleines mitgebrachtes Teil der Verkleidung des Transporters zu bearbeiten. Sie brauchte eine Stunde, bis sie mit ihrem Ergebnis zufrieden war. Das cardassianische Metall hatte sich nun in ein zartes Schmuckstück verwandelt, welches beim Abkühlen den klaren Schnee schmelzen ließ, in den sie es gebettet hatte. Als es kühl genug war, um es anzufassen, stand sie auf und ging zu Nerys hinüber. Diese hielt die unvermeidliche Feldration in Händen. Mit einem missbilligenden Kopfschütteln, kniete sich Lupaza zu ihr.

„Nerys, dein erster Einsatz ist etwas ganz besonderes. Ich möchte, dass du ihn immer in Erinnerung behalten wirst.“ Sie streckte ihr die geschlossene Hand entgegen und öffnete dann langsam die Finger. Ein silberner Ohrring lag darin, das runde Mittelteil eingerahmt von einem gefächerten Halbmond. „Er ist aus dem Material des Transporters und soll dich immer daran erinnern, wohin du gehörst.“ Sie half dem Mädchen, ihr bisheriges Schmuckstück abzulegen und das neue zu befestigen. Zufrieden lehnte sich Lupaza auf die Fersen zurück. „Es passt ausgezeichnet zu dir. Ab heute bist du wirklich eine von uns.“

Ende

Rezensionen