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Jahreszeiten

von Heidi Peake

Kapitel 2

Dax fand sie im Schneidersitz in der Mitte einer weiten Ebene von gelblich trockenem Gras, Sträuchern und etwas, was auf den ersten Blick aussah wie Flecken von farblosem Schmutz, sich bei näherer Betrachtung aber als Tausende von winzigen Blüten in Schattierungen von weiß, lila und blau entpuppte. Sie waren wie die Ameisen auf einem Ameisenhügel, unsichtbar, bis man die erste von ihnen registriert hatte. Die Ebene war von abweisendem Felsgestein umgeben, teilweise von Gras und einigen vereinzelt blühenden Pflanzen überwachsen. Eine milde Brise verursachte ein Rascheln in den Blättern der Sträucher und machte die Spätsommerhitze erträglich. Doch das Geräusch wurde beinahe übertönt durch das Summen von Hunderten unsichtbarer Insekten.

Kira hatte die Augen geschlossen, ihre Hände ruhten locker auf den Knien, und obwohl sie nun lächelte, ließen verräterische Streifen auf ihren Wangen vermuten, dass sie noch vor nicht allzu langer Zeit nicht so entspannt gewesen war.

Die Trill blieb still stehen, sie wollte ihre Freundin nicht in diesem seltenen Augenblick stören - doch schließlich gewann die Neugierde die Oberhand.

„Was ist das?“ fragte sie.

Kira öffnete die Augen langsam, das Lächeln formte sich zu einem breiten Grinsen. „Ich habe mich schon gefragt, wie lange du wohl einfach nur so da stehen und starren würdest.“ Auf den überraschten Ausdruck in Dax’ Gesicht hin erklärte sie: „das Zischen von dieser verfluchten Tür passt nicht unbedingt in die Szenerie.“ Sie streckte ihre Arme aus und erhob sich. „Nun, wie findest du es?“

Dax betrachtete die Umgebung für einen Moment. „Es ist... anders“, bekannte sie schließlich. Es lag eine Schönheit in der spärlichen Vegetation, den ungastlichen Felsen, die schwer zu erklären war. Es war ein Ort, welcher ein Willkommen ausrief, ohne jedoch etwas anzubieten, damit man sich wohl fühlen konnte. „In den alten Tagen haben sie Orte wie diesen mit ‘Hier leben Drachen’ markiert...“

Kira blickte sie stirnrunzelnd an. „Was soll das denn heißen?“

Die Trill grinste sie an. „Nur eine Möglichkeit, um anzudeuten, dass sich niemand wirklich je die Mühe gemacht hat, den Ort zu besuchen, so dass dort faktisch alles leben könnte.“ Als sich der Ausdruck auf dem Gesicht der Major nicht änderte, fuhr sie fort: „Drachen waren mystische Kreaturen, geschuppte, sehr große Tiere, die Jungfrauen fraßen und Feuer spien, wenn man sie provozierte.“

Jetzt musste die bajoranische Frau lachen. „Das klingt nach einer perfekten Beschreibung von Gul Dukat!“

„Ist das hier, was du den letzten Monat über getan hast?“

Kiras Lächeln drückte einen gewissen Stolz aus. „Ich habe alle Informationen zusammengesetzt, die ich aus alten Aufzeichnungen, von Überlebenden und von biologischen und geographischen Experten erhalten konnte. Alles, was ich irgendwie auftreiben konnte. Dies hier ist eine so präzise Rekonstruktion wie nur irgend möglich!“

Dax schenkte ihr einen verwunderten Blick.

„Ihr habt doch alle gesagt, dass ich einen konstruktiven Ausdruck für meinen Schmerz finden sollte. Nun - das ist er!“

„Okay, ich versuche es noch einmal: was ist das?“

Kira wandte sich zu ihr um, ein namenloser Schmerz zeigte sich in ihren großen Augen.

„Dies“, sagte sie, während sie die Holoprojektion mit ihren Armen umfasste, „ist das Grab meiner Mutter.“

Unwillkürlich trat Dax einen Schritt zurück, eine Geste, die ein entschuldigendes Lächeln auf Kiras Gesicht zauberte.

„Es ist eine Rekonstruktion der Singha-Ebene“, erklärte sie rasch. „So muss es ausgesehen haben, bevor die Cardassianer beschlossen, alles umzugraben, um Lager für Bajoraner zu bauen, die darin verrotteten. Ich bin hier geboren worden. Meine Mutter ist hier gestorben...“ Sie wandte ihr Gesicht wieder von der Trill ab, ihre Stimme schwankte bei der Erinnerung.

Dax legte vorsichtig einen Arm um Kiras Schulter. Es war nur eine kleine Geste, denn sie wollte sich der Bajoranerin nicht aufdrängen.

„Warum?“ fragte sie nur.

Kiras Schulter strafften sich, als sie den Kampf um die Kontrolle über ihre Emotionen gewann. Sie schenkte Dax ein schwaches Lächeln.

„Es ist der Ton, der mich am meisten überrascht hat“, vermied sie eine Antwort. „Sie haben mir visuelle Aufzeichnungen gezeigt, aber nichts kann einen auf die Töne vorbereiten. Die Biologen haben mir eine Liste all der Tiere gegeben, welche in einem Gebiet wie diesem anzutreffen sind. Ich habe es in den Computer gefüttert, und dies hier hat er ausgespuckt. Es ist ohrenbetäubend, nicht wahr?“

Die Trill nickte mit einem Grinsen. Es war ein Hintergrundgeräusch, leicht beiseite zu schieben während man sprach. Doch nun, da sie sich auf das Lied des Windes und der Insekten konzentrierte, schien ‘ohrenbetäubend’ nicht die schlechteste Beschreibung zu sein.

Kira lächelte zustimmend, dann wandte sie sich ab und begann, weiter in die Ebene hinaus zu gehen.

„Heutzutage hört man natürlich nichts in Singha“, erklärte ihre Stimme bar jeder Emotion.

Dax folgte ihr. Sie war schon dort gewesen, sie wusste, wovon Kira sprach. Die Ebene war toter, ausgetrockneter Boden. Die Lager waren sofort nach dem Krieg niedergerissen worden, aber man konnte die Umrisse immer noch erkennen, wenn man das Gebiet überflog. Von Bergkette zu Bergkette war das Tal nicht mehr als ein See aus Dreck und Schlamm. Es gab kein Leben in Singha, nichts, das einen Ton hätte hervorbringen können, mit Ausnahme des Windes.

Kira hatte ein knotiges Gesträuch erreicht, welches nicht weit entfernt von dem Platz wuchs, an welchem sie meditiert hatte. Sie kniete sich nieder und untersuchte kleine getrocknete Beeren an den Zweigen.

„Es ist jetzt Spätsommer.“ Sie sah immer noch nicht zur Trill hin. „Das Programm arbeitet sich momentan durch die Jahreszeiten. Es wird interessant sein zu sehen wie der Ort im Winter aussah. In diesen Teilen wird es kalt genug für Schnee...“ Schließlich konnte sie nicht länger die Stille bekämpfen, in welcher Dax auf sie wartete. Mit einem gemurmelten Fluch drehte sie sich um. Warum schaffte sie es jedes Mal, sich mit Leuten anzufreunden, die sie aus-schweigen konnten?

„Das Leben nach Singha zurückzubringen schien mir wichtig“, erklärte sie. „Irgendwie... ist es das, wofür Bareil gestorben ist. Es ist das, wofür meine Mutter gestorben ist.“

Dax ließ sich auf dem trockenen Gras nieder und schüttelte den Kopf.

„Als ich sagte, du sollst etwas Konstruktives finden, um mit deiner Trauer umzugehen, meinte ich nicht, ein Monument dafür errichten“, erklärte sie ruhig. Der überraschte Ausdruck auf dem Gesicht der Bajoranerin brachte sie beinahe zum Lachen. „Wir wissen, wofür sie alle gestorben sind. Es ist eine der Angewohnheiten des Todes, dass er ein Ende für das Streben einer Person bringt, und damit auch einen Zweck. Was du herausfinden solltest, ist die Antwort auf die Frage, warum du überlebt hast. Was ist es, wofür du lebendig bist?“

Kira starrte sie an, befremdet durch ihre Worte.

„Ich bin am Leben, weil die verdammten Cardassianer jedes Mal danebengeschossen haben!“ erklärte sie schließlich. „Ich schätze, es ist einfach Pech!“ Sie versuchte, es humorvoll klingen zu lassen, was ihr nicht gelang.

„Also gehst du hin und erschaffst ein nettes und lebendiges Stück von Bajor im Computer, weil das hier das ist, wofür ihr alle glaubtet zu kämpfen?“

„Was ist daran falsch?“

„Nichts. Es wird nur keine Lösung bringen.“

Von einem plötzlichen Wutanfall gepackt, schlug Kira gegen die Pflanze, die sie bisher so sorgsam in ihren Händen gehalten hatte. „Was soll ich dann tun? Vergessen, dass sie jemals gelebt haben? Vergessen, dass es eine Zeit gab, in welcher so etwas wie Natur in Singha existiert hat?“

„Nein. Aber eine Maschine mit Bildern zu füttern, wird sie nicht zurückbringen, oder? Wenn du dir nicht vorstellen kannst, was Kira Nerys tun würde, um mit dem Leben weiterzumachen, warum beginnst du dann nicht einfach bei der Frage, was deine Mutter getan hätte? Oder Bareil?“

Kira starrte die Trill an, dann die Pflanze vor sich. Sie hatte ihre Mutter nicht gut genug gekannt, um dieses Gedankenspiel zu spielen. Alles, an das sie sich erinnerte, waren ihre Freundlichkeit und die Schönheit der Ikonen, die sie erschaffen hatte. Sie konnte sich noch nicht einmal an die Details ihrer Kunstwerke erinnern. Bareil allerdings war leichter. Bareil hätte ihre Idee, Singha wieder zum Leben zu erwecken, geliebt! Er wäre an ihrer Seite gewesen, hätte all die Aufzeichnung mit angesehen, hätte all die Experten befragt, hätte die Daten gesammelt. Er wäre bis in die Morgenstunden mit ihr wach geblieben, um die wenige Geschichte zu studieren, die von diesem Gebiet Bajors existierte, das nie genügend guten Boden besessen hatte, um als Farmland brauchbar zu sein, und zu weit entfernt von überall gewesen war, um größere Siedlungen zu errichten.

Und dann wäre er nach Bajor gegangen, hätte den Dreck umgegraben, den die Cardassianer zurückgelassen hatten - und hätte begonnen zu pflanzen.

Für einen spirituellen Mann hatte Bareil erstaunlich wenig Geduld mit Illusionen gehabt - und noch wesentlich weniger mit Unentschlossenheit.

Sie streckte die Hand aus, um die Zweige zu berühren, die aufgrund ihres heftigen Anschlages gebrochen waren. Sie verhielten sich echt, sie fühlten sich echt an, doch sobald das Programm beendet war, würden sie aufhören, irgendetwas anderes zu sein als eine Reihe von Daten. Nichts hatte sich verändert. Singha war eine unfruchtbare, trockene Ebene. Nur die Toten lebten dort - wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, Kiras Kopf zu bevölkern.

Sie seufzte.

„Heute hat mich ein Cardassianer um spirituelle Führung gebeten“, sagte sie, scheinbar zusammenhanglos. „Ich dachte mir, ich schleiche mich in mein Quartier, schließe die Tür ab und warte, bis sein Besuch vorbei ist. Das wäre ein passender Weg, damit umzugehen, nicht wahr?“ Als sie aufsah, bemerkte sie das breiteste Grinsen auf dem Gesicht der Trill, sie konnte nicht anders, als darin einzufallen. „Wie tötet man die Vergangenheit, Dax? Wie vergisst man?“

„Überhaupt nicht. Man verinnerlicht sie. Unsere Vergangenheit formt, was wir sind, es ist das definierende Charakteristikum einer Trill - aber es gilt genauso für jedes andere Volk. Die Vergangenheit zu vergessen, bedeutet zu vergessen, wer man ist.“

Im Augenblick klang diese Option für Kira gar nicht so übel...

„Und was an mir sollte also imstande sein, der armen gefolterten Seele von Gul Dukat Ratschläge zu geben?“

„Du bist eine Kämpferin.“ Dax betrachtete sie einen Moment, dann kehrte das breite Grinsen zurück. „Und eine Bajoranerin mit einem einzigartigen Sinn für Diplomatie. Du wirst dir etwas ausdenken.“

Denken! Es erschien Kira, dass sie dies die letzten zwei Monate ununterbrochen getan hatte. Sie war es leid, es hatte sie nirgendwohin gebracht. Alles, was sie wollte, war ihren Kopf von all dem zu befreien, von den Stimmen, die ihr erzählten, dass die Gegenwart unerträglich war, und die Zukunft es nicht wert, darüber nachzudenken, dass das einzige mit Wert die Vergangenheit war. Sie wollte in der Ebene von Singha stehen, die Luft von Bajor atmen, ihre Füße in die Erde graben, schreien, wenn sie sich nach schreien fühlte, rennen, wenn sie sich nach rennen fühlte - ohne Grund, ohne Gedanken...

Gedanken ohne Handlung besaßen die Tendenz, sich im Kreis zu drehen.

Sie sprang so plötzlich auf, dass es Dax beinahe aus dem Gleichgewicht warf.

„Du hast recht. Ich werde mir etwas ausdenken! Ich habe es genaugenommen schon.“ Sie zeigte der überraschten Trill die Zähne. „Ich werde einen Drachen provozieren.“

* * *


Die Hitze des Spätsommers und die Trockenheit, die der Wind mitbrachte, waren eine passendere Umgebung für einen Cardassianer als für einen Bajoraner. Aber Kira Nerys nahm jeden Atemzug in sich auf, als ob ihr Leben davon abhinge. Sie fühlte sich unerklärlich gut, sie fühlte sich eins mit ihrer Umgebung, sie fühlte sich jung und voller Energie - und sie fühlte eine hässliche Befriedigung über die völlige Verblüffung auf Gul Dukats Gesicht.

„Sehr nett“, murmelte der Cardassianer nach einer Weile. „Aber ich erkenne nicht ganz, wie das den Höhepunkt meiner Besuchstour darstellen sollte - oder warum es überhaupt notwendig war, mich deswegen aus dem Bett zu holen.“

„Sie erkennen die Umgebung nicht?“ fragte Kira, ihre Stimme ruhig, aber erfüllt mit Anspannung.

Dukat warf ihrem Rücken einen kurzen Blick zu. Mehr hatte er von ihr noch nicht zu sehen bekommen, seit sie den Raum betreten hatten.

„Natürlich erkenne ich sie“, schnappte er zurück. „es ist eine von diesen lächerlichen Holosuiten, und jemand sehr Einfallsloses hat versucht, darin eine Art von... Landschaft... zu kreieren.“

Er kickte ein paar kleine Steinchen aus dem Weg, wobei er völlig die dabei entstehende Staubwolke unterschätzte. Als der Sand und das Husten sich wieder gelegt hatten, fand er sich direkt Kira Nerys’ blitzenden Augen gegenüber.

Es erfüllte ihn mit unbestimmter Sorge, dass es ihr gelungen war, so nahe an ihn heranzukommen ohne dass er es bemerkt hatte. Wenn dies hier Bajor wäre, dachte er, wäre ich jetzt tot.

Der Ausdruck auf Kiras Gesicht half wenig, ihn zu beruhigen. Sie betrachtete ihn mit einer Mischung aus Verachtung und distanziertem Interesse, welches Leute üblicherweise für Insekten reservieren, die bald das Zeitliche segneten.

„Es tut mir leid, aber die Einfallslosigkeit ist der Natur zuzuschreiben“, erklärte sie sachlich. „dies hier ist ein existierender Ort auf Bajor. Sie werden ihn wahrscheinlich nicht erkennen. Ich habe es auch kaum.“

„Bajor“, zischte Dukat verächtlich, aber erst, als er sicher war, dass er sich nicht mehr in unmittelbarer Reichweite von Kira befand, „ich hätte es mir ja denken können. Nur Bajor würde so viel Raum an Nichts verschwenden.“

„Hier sind“, fuhr Kira in ihrer ruhigen Erklärung fort, „etwa 150.000 verschiedene pflanzliche und tierische Lebensformen in dieser Ebene. Ich würde das alles andere als ‘nichts’ nennen. Ihr Stiefel alleine trampelt im Moment über zwölf verschiedene Arten von Blumen.“

Ohne es zu wollen, zog Dukat seinen Fuß zurück und starrte auf den Boden. Was Kira als ‚Blumen‘ bezeichnete, waren kaum mehr als Flecken von schwacher Farbe, vage sichtbar gegen den allgemein hellen und staubigen Hintergrund. Er lachte unfreundlich.

„Oh, sehr hübsch. Und soooo bajoranisch.“ Er sah auf, seine Augen trafen diejenigen Kiras, und dieses Mal konnte er ihrem Blick standhaft begegnen. „Klein, hässlich, unbedeutend und dicht am Boden...“

Die bajoranische Frau ging nicht auf die Herausforderung ein. Stattdessen erwiderte sie sein Lächeln mit entnervender Ebenbürtigkeit. „Sie sind bajoranisch“, stimmte sie zu. „klein, vielleicht, aber stark und widerstandsfähig, fähig von wenigem zu leben. Daher springen sie immer wieder zurück, daher leben sie dort, wo man es als letztes erwartet.“ Sie wandte ihm wieder den Rücken zu, diesmal, um weiter in die Ebene hinein zu laufen. Ihre Stimme wurde beinahe vom Wind davongetragen, als sie fortfuhr: „Die Wissenschaftler haben mir versichert, dass genau diese Blumen die erste Art von Vegetation sein wird, die nach Singha zurückkehrt.“

Die Erwähnung des Namens veranlasste Dukat, auf der Stelle stehen zu bleiben. Er war niemals persönlich in Singha gewesen, seine Gerichtsbarkeit hatte sich weit über dem Boden von Bajor befunden, aber er wusste zu gut, was sich mit dem Namen verband. Er hatte andere Arbeitslager gesehen und sie waren alle mehr oder weniger gleich. Welche spezielle Wichtigkeit Singha für die Bajoranerin besaß, konnte er nur raten, doch keine der Möglichkeiten, die ihm im Kopf herumgingen war besonders beruhigend.

„Was soll das?“ verlangte er zu wissen, seine Stimme scharf genug, um den Kiras Schritt zu verlangsamen. „Haben Sie mich hierhergebracht, um mir den Hals in irgendeinem symbolischen Racheakt durchzuschneiden?“

Sie wandte den Kopf ein wenig, um ihm zu erlauben, einen kurzen Blick auf ihr Profil zu erhaschen, auf dem sich ein Lächeln zu bilden begann, das ihm Schauer über den Rücken laufen ließ.

„Keine Sorge, Dukat. Diese ‘wehleidigen’ Föderationstechniker haben so einen primitiven Sicherheitsmechanismus in die Holosuiten eingebaut, um das zu verhindern.“

„Ja“, murmelte er kaum hörbar. „vorausgesetzt, die Waffe ist nicht von außen hereingebracht worden.“

Kira schien schließlich ihren Zielpunkt erreicht zu haben - einen Fleck, der für Dukat nicht anders aussah, als jeder andere in der Ebene - und sie wandte ihr Gesicht dem Gast zu.

„Ich habe nicht vor, Sie zu töten“, sagte sie, um dann mit dem kleinsten Zögern hinzuzufügen, „nicht im Sinne des Wortes jedenfalls.“

Sie setzte sich auf den trockenen Boden vor ihm, ihre Beine in einer beinahe meditativen Pose verschränkt. Als er sich nicht bewegte, schenkte sie ihm ein Grinsen.

„Entspannen Sie sich, Dukat. Es wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet, Sie erinnern sich?“

Er erwiderte das Grinsen, während er sich vorsichtig niederkniete. „Ich weiß. Aber Sie haben ihn nicht unterzeichnet.“

„Ich habe darüber nachgedacht, was Sie zu mir gesagt haben, und zu meiner Überraschung fand ich heraus, dass Sie Recht haben.“

„Das kann geschehen.“

„Selten.“

Sie saßen da und starrten einander an, keiner gewillt einen Zoll nachzugeben.

Sie trugen beide nicht ihre üblichen Uniformen. Der warme Wind streichelte Haut, die nur zu oft bedeckt war. Das und das Fehlen von Leben, welches größer als einige Zentimeter war, erschuf eine seltsame Art von Intimität.

Schließlich brach Kira die Stille.

„Wir können uns nicht dem Frieden hingeben, weil wir wissen, dass der Krieg niemals geendet hat. Wir Bajoraner haben uns einfach geweigert zu sterben, so dass ihr Cardassianer irgendwann die Geduld und die Mittel verloren und uns verlassen habt.“ Sie senkte ihre Augen auf den Boden, und gab plötzliches Interesse an einem vielflügeligen Insekt vor, welches im Wind schaukelnd auf einer der kleinen Blüten saß. „Nicht gerade ein besonders ruhmreiches Ergebnis für beide Seiten.“ Als sie wieder aufblickte, hatte sich ihr Ausdruck verändert. Der Blick, den sie Dukat schenkte, war beinahe mitleidig. „Dieser große Krieg hat niemals irgendwelche Helden hervorgebracht - nur Mörder in verschiedenen Abstufungen.“

Der Gul sog die Luft scharf ein.

„Sprechen Sie für Ihr eigenes Volk, Major...!“

„Nennen Sie mir...“, Kiras Stimme unterbrach ihn streng, „nennen Sie mir einen cardassianischen Helden, der aus diesem Krieg hervorgegangen ist - und ich nenne Ihnen einen Bajoraner, der nicht an die Propheten glaubt.“

„Gute Männer starben“, erwiderte der Cardassianer, besonnener nun.

„Ja, das taten sie. Auf beiden Seiten.“ Anscheinend von nirgendwo her brachte Kira plötzlich ein scharfes Messer hervor, welches sie in den Boden zwischen ihnen rammte - nur Zentimeter entfernt von Dukats Knie.

Es gelang ihm, seine Überraschung bewundernswert zu kontrollieren, aber innerlich verfluchte er sich. Dies war das zweite Mal, dass es der Bajoranerin gelungen war, ihn unvorbereitet zu erwischen. Er wurde gefährlich leichtsinnig.

„Gute Leute starben“, wiederholte Kira. „und Sie und ich haben überlebt. Das ist die Tragödie. Wir sind keine Helden. Sie waren kaum mehr als ein Administrator, Dukat. Und ich war eine kleine Rebellin, habe wild um mich geschlagen und hin und wieder jemanden getroffen. Und wir sind immer noch hier!“

Sie hatte einen verteidigenden Ausbruch von ihrem Gegenüber erwartet, irgendeine Beleidigung gegen sie und Bajor im Allgemeinen, doch stattdessen nickte Dukat.

Sehr schwach, doch merklich.

‘Wir sind uns ähnlicher als ich wusste’, dachte Kira. Ähnlicher als sie hätte zugeben wollen.

„Eine gute Freundin erzählte mir, dass ich, um herauszufinden, warum ich überlebt habe, die Vergangenheit umarmen muss, sie zu einem Teil von mir machen - und sie abschließen, ein für allemal.“ Sie erhob sich anmutig, ihr Messer schwang immer noch leicht in der Erde. „Mit Ihrer Erlaubnis, Dukat, würde ich genau das gerne heute machen. Ich möchte Sie zu einem Duell herausfordern, Bajor gegen Cardassia. Lassen Sie uns den Krieg beenden.“



Sie umkreisten einander, unsicher wie zu beginnen. Es war entnervend, inmitten einer weiten Ebene zu stehen, die das Holodeck kreiert hatte, ohne die Möglichkeit, sich zu verstecken, nirgendwo, um sich zurückzuziehen. Unabhängig voneinander hatten sie beide Holo-Waffen aus ihrer eigenen Kultur gewählt, und waren beide bei derselben Art von Messer gelandet, nicht unähnlich demjenigen, welches Kira als Herausforderung in den Boden gerammt hatte. Doch ihre Waffen waren länger und leichter. Es waren Waffen, die maximale Beweglichkeit und Schnelligkeit erlaubten, Guerillawaffen. Kira war insgeheim überrascht, dass die Cardassianer sich mit dieser Art von Messer überhaupt abgaben.

Als sie nun ihrem Gegner gegenüber stand, setzte Panik ein. Sie war nicht mehr im Training, so viel war klar. Seit Bareils Tod hatte sie sich mit nicht mehr als den Grundübungen beschäftigt, sie hatte Stunden damit verbracht, nur dazusitzen und Dinge anzustarren, oder dazusitzen und mit dem Computer auf dem Holodeck zu sprechen. So irrelevant wie dieser Kampf auf einer realen Ebene war, so wichtig war er auf einer anderen. Sie wollte glauben, dass Jadzia recht hatte, es war lebensnotwendig für sie zu glauben, dass, wenn sie Dukat hier - in Singha - zerschmettert hatte, die Geister in ihrem Kopf zur Ruhe kamen. Doch was war, wenn er gewann? Er war körperlich größer und stärker als sie es war - und sie war sich sicher, dass er ein hartes Training absolvierte, Frieden oder nicht.

Er lächelte sarkastisch, nutzte den Moment der Unsicherheit.

Dann warf er sich vorwärts.

Sie war hinter ihm, bevor er die Bewegung beendet hatte. Der Moment des Zweifels war verschwunden, ihre Reflexe sprangen in Aktion ohne Überlegungen. Er mochte stärker sein, aber sie war schneller, sie war listig, und dies war ihre Welt, ihr Kampf. Sie schlüpfte ohne zu Zögern zurück in ihre Tage in der Shakaar.

Und so griff sie nicht an, als er es erwartete, ließ anscheinend eine günstige Gelegenheit, als er ihr den Rücken zuwandte, entgehen, weil sie wusste, dass er darauf vorbereitet wäre. Stattdessen ließ sie sich fallen und kam an seiner Seite wieder hoch, gerade als er begonnen hatte, sich zurückzudrehen. Ihr Messer stach direkt nach seinem Hals, aber er war schneller als sie angenommen hatte. Sein Arm blockierte ihre Aufwärtsbewegung, verhinderte das Schlimmste, dennoch hätte er außerhalb des Holodecks eine böse Schnittwunde davongetragen. Die Gewalt des Abfangens warf Kira zurück, und sie nahmen ihre ursprünglichen Positionen wieder ein, indem sie sich umkreisten.

Der kleine Unfall hatte Dukats Geister geweckt. Er beobachtete Kira nun sehr genau, versuchte, jede ihrer Bewegungen vorauszusagen. Sie legten die offiziellen Rollen von Major Kira Nerys und Gul Dukat ab, als ihre Instinkte die Oberhand gewannen. Nichts mehr existierte außer dem jeweils anderen - und dem Wunsch zu überleben.

Als Kira ihren nächsten Ausfall unternahm, war Dukat bereit. Angriff und Gegenangriff hielten sich im Gleichgewicht, jeder der beiden Kämpfer nützte seine eigene einzigartige Stärke, um die Schwäche des Gegners zu überwinden.

Am Ende war es der Regen, der den Kampf für Kira gewann. Er kam plötzlich und intensiv, begann als ein Grollen von den Bergen, bevor er die Kämpfer innerhalb weniger Sekunden durchweichte. Das Geräusch ließ Dukats Konzentration für eine Sekunde erlahmen, und diese Sekunde war alles, was Kira benötigte, um ihn mit einem raschen Tritt auf die Knie zu befördern. Bevor er eine Chance hatte, sich selbst zur Seite zu rollen, war sie über ihm, ihr Messer an seiner Kehle.

„Jahreszeit beta 4-1-4“, kündigte die mechanische Stimme des Computers an. „Herbst.“

Kira zeigte dem Cardassianer die Zähne. „Willkommen zu den bajoranischen Herbststürmen.“

„Das ist nicht fair“, protestierte Dukat, darauf bedacht, seinen Kopf nicht zu weit der Klinge entgegen zu heben. „Ich war abgelenkt.“

„Man sollte niemals zulassen, dass einen etwas von seinem Feind ablenkt“, erwiderte Kira leidenschaftslos. „Lehren sie das nicht in der Grundausbildung auf Cardassia?“

„Sie bereiten einen nicht auf computergenerierte Wettereinbrüche vor, nein!“

„Vielleicht sollte eure Art fort bleiben von anderer Völker Planeten, wenn ihr das Klima nicht ertragt!“

„Die Jahreszeiten ändern sich nicht so rasch auf Bajor.“

Kira betrachtete ihn einen Moment, ihre Augen verengten sich im Regen.

„Nein“, gestand sie ein. „Aber sie hätten es können.“

Mit einer eleganten Geste entfernte sie die Klinge vom Hals des Cardassianers und kam wieder auf die Füße. „Ich gebe zu, dass ich nicht wusste, dass dies geschehen würde. Ich hatte dem Computer aufgetragen, sich durch die jahreszeitlichen Daten zu arbeiten.“ Sie schenkte dem Regen einen unwilligen Blick, als sich die letzte Zelle ihres Körpers begann, mit Wasser zu füllen. „Daher bin ich bereit, Ihnen eine neue Chance zu geben. Computer: setze Jahreszeitenwechsel auf ein Intervall von einer Standardstunde.“ Sie streckte eine Hand aus, um Dukat vom Boden aufzuhelfen, der sich rasch in ein Schlammbad verwandelte. „Glauben Sie, Sie können mich in einer Stunde schlagen?“



Er konnte, doch nur fast. Es war der Schlamm, der schließlich die Oberhand über Kira gewann. Leichter zu sein, war ein deutlicher Nachteil hier: Wo Dukat einfach nur weiter in den Boden einsank und daher Standvermögen gewann, rutschte sie aus. Herbst in Singha war eine Sache von schweren Regenfällen und noch stärkeren Stürmen und von einem beeindruckenden Ausschlagen einer hüfthohen grasähnlichen Pflanze. Es war ein Gefühl, als ob man im Schilf eines Seeufers kämpfte, während man im Wasser stand.

Kira schaffte es dann, so dumm zu fallen, dass sie sich praktisch selbst in Dukats Messer katapultierte.

„Lieblicher Fleck, den Sie hier ausgesucht haben“, schnaubte er als er einen Arm um ihre Schulter legte, sowohl um sie daran zu hindern zu entkommen und sein Messer perfekt an ihrer Kehle zu platzieren, als auch um zu verhindern, dass sie noch weiter in den Schlamm einsank.

Ihre Augen blitzten zu ihm auf, als sich die Szenerie um sie herum zu verändern begann. „Seien Sie keine solche Memme, es könnte schlimmer sein.“

Der Winter war schlimmer. Er war bitter kalt, der allgegenwärtige Wind trug nun Eisnadeln mit sich. Schwerer Schneefall begann bald Dukats Bewegungsfreiheit einzuschränken, doch Kira konnte mit dieser Art von ‘schlecht’ umgehen. Sie hatte viel Zeit damit verbracht, im Schnee zu kämpfen, hatte gelernt, dort zu überleben, wo sich nur verrückte oder verzweifelte Leute hinwagten. Dennoch gab der Cardassianer nicht so leicht auf.

Sowohl einander als auch die Elemente zu bekämpfen verlangte allmählich seinen Tribut von beiden. Die Bewegungen wurden regellos, Fehler, die ihnen nur wenige Jahre zuvor das Leben gekostet hätten, veranlassten sie nun zu hilflosen Heiterkeitsausbrüchen.

Kira erlangte schließlich die Oberhand, als der Cardassianer in einer trügerischen Schneewehe auf die Knie fiel. Mit einem großen Schritt war sie hinter ihm, zog seinen Kopf zurück und platzierte ihr Messer abermals an seinem Hals. Als sie hinuntersah in das erschöpfte, schlammregen- und schneeverschmierte Gesicht ihres Gegners, traf sie die Absurdität der Situation mit ganzer Macht. Dukat zu besiegen zählte nicht mehr. Sie ließ ihr Messer fallen und legte stattdessen einen Zeigefinger auf die Stirn des Mannes, der Rest ihrer Hand formte die Umrisse eines Phasers.

„Zisch!“ keuchte sie, „Sie sind tot.“

In diesem Moment begann die Szenerie um sie herum zusammenzubrechen. Sie beobachteten überrascht, als Felsen, die eben noch fest genug gewesen waren, um darüber zu fallen, plötzlich zu verschwimmen begannen und sich auflösten. Blumen erschienen im Schnee, nur um wieder zu verschwinden, die Farbe des Himmels kämpfte sich von einem Milchgrau zu einem erstaunlich klaren Blau und wieder zurück.

„Computer!“ rief Kira aus. „Was geschieht hier?“

„Arbeite durch die Parameter Jahreszeit delta 4-4-4, Frühling. Programm unvollständig. Ich wiederhole, Programm unvollständig.“

Während sie über das Pandämonium um sie herum lächelte, verstand Kira plötzlich, was Dax ihr versucht hatte zu sagen, was Bareil versucht hatte, ihr jeden Tag ihrer kurzen gemeinsamen Zeit zu zeigen: Die Zukunft existierte nicht, nicht in realen Begriffen, nicht als etwas, vor dem man sich fürchten musste, noch als etwas, auf das man sich vorbereiten konnte. Kiras Zukunft war, was immer sie wählte - und in diesem Moment entschied sie sich dafür, die Zukunft zu umarmen, sie wie einen alten Freund willkommen zu heißen.

Als sie die seltsam verschwommenen Silhouetten des Holo-Singha beobachtete, das darauf wartete, sich von Geist-Winter zu Illusions-Frühling zu verändern, sah sie die Zukunft.

Sie stand weit offen.

„Was geht hier vor?“ Dukats Stimme, die immer noch um Fassung rang, riss sie aus ihren Überlegungen zurück. Sie wandte sich zu ihm um mit einem Lächeln voll solcher Wärme, dass es ihm den Atem nahm. Für einen Moment erschien sie so ruhig und im Frieden mit sich selbst wie es der Vedek zu tun gepflegt hatte. Dann kehrte das alte Glitzern in ihre Augen zurück. Mit einem kleinen Lächeln ließ sie sich in den verschwindenden Schnee fallen.

„Jetzt“, sagte sie. „Warten wir auf den Frühling.“

Ende

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