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Eine Welt zerbricht

von Gabi

Kapitel 2

II



Es war spät in der Nacht als Serina schließlich in das ihr zugewiesene Quartier zurückkehren konnte. Ihre kleine Tochter hatte sie schon Stunden zuvor hier zum Schlafen gelegt, und Shakaar hatte dafür gesorgt, dass Valsera, eine Bajoranerin, der er vertraute, auf das Kind aufpasste. Die letzten Stunden hatten sie in der eilig einberufenen Ministerversammlung verbracht.

Serina hatte noch einmal erklärt, was sie ihm schon gesagt hatte. Sie hatte von ihrem Mann erfahren, dass Cardassia nicht vorhatte, Bajor unbesetzt zu lassen. Es war vielmehr geplant, unauffällig Soldaten der Allianz nach Bajor zu bringen, um allmählich durch langsame Infiltration wieder die alte Ordnung herzustellen. Bajor sollte wieder eine Kolonie Cardassias werden.

Nicht alle Mitglieder des Rates hatten ihrer Ausführung Glauben geschenkt, einige glaubten daran, dass das Dominion Cardassia im Zaum halten konnte. Aber dennoch waren sie übereingekommen, auf jeden Fall Vorsicht walten zu lassen und insbesondere die Einreisekontrollen zu verstärken. Die Furcht vor einer erneuten Eroberung saß jedem Bajoraner von Geburt an tief in den Knochen.

* * *


Shakaar stand im Türrahmen und wirkte ein wenig verloren. Es war ein Kunststück, bei der Größe des Premierministers verloren zu wirken, doch er schaffte es irgendwie. Sein Blick ruhte auf Serina, die unschlüssig in der Mitte des Raums stand. Jetzt, da sie ihre Botschaft überbracht hatte, war für sie alles vorbei. Er hatte sie schon einmal so erlebt. Damals hatte sie im Haus ihres Vaters im Affekt sein Leben gerettet und damit innerhalb einer Nacht alles fortgeworfen, was sie bis dahin gewesen war. Im Alter von nur sechzehn Jahren war ihre Welt zerbrochen, und er, Shakaar Edon, war nicht imstande gewesen, ihr zu helfen.

Heute wiederholte sich das Spiel und die Ausmaße schienen fast noch gewaltiger zu sein. Serina Tirek hatte ihren Platz und denjenigen ihres Babys in der cardassianischen Gesellschaft aufgegeben, um etwas zu tun, von dem sie überzeugt gewesen war, dass es getan werden musste. Die Konsequenzen sickerten offensichtlich nun erst allmählich in ihr Bewusstsein.

Nachdem sich die Cardassianerin zum dritten Mal um die eigene Achse gedreht hatte, scheinbar unschlüssig, wie sie jetzt vorgehen sollte, verließ Shakaar seinen Platz an der Tür und betrat den Raum.

”Serina.”

Die Angesprochene wirbelte erschrocken herum. Anscheinend hatte sie nicht bemerkt, dass er nicht gegangen war.

”Soll ich heute Nacht hierbleiben?”

Sie sagte nichts, blickte ihn nur mit diesen hellen, immer noch so unschuldig wirkenden Augen an. Er konnte nicht alle Gefühle deuten, die sich darin abbildeten, doch er glaubte, das Hauptproblem zu erkennen. Sie wollte jetzt nicht allein sein mit sich und dem, was sie getan hatte, aber auf der anderen Seite war sie gebunden, hatte Angst, dass sein Angebot weiter ging als sie das wollte.

Er schüttelte sanft den Kopf. ”Ich will nichts von dir”, ging er auf die von ihm vermutete Furcht ein. ”Doch wenn ich mich nicht völlig in dir täusche, brauchst du jetzt Halt.”

Erneut gelang es ihm nicht, ihren Blick gänzlich zu deuten. Es schien nicht das zu sein, was sie von ihm hatte hören wollen. Doch schließlich nickte sie. ”Ich will jetzt nicht allein sein.”

Später lagen sie gemeinsam im Bett. Er hielt sie im Arm und wiegte sie sanft, bis sie eingeschlafen war. Und erst als er ihren gleichmäßigen Atem und ihre Hände auf seiner Brust spürte, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass es nicht nur sie war, die Halt suchte.

* * *


Die leisen, glockenhellen Töne, welche im Hintergrund spielten, beruhigten sie ein wenig. Auch Kai Winn konnte in dieser Nacht keinen Schlaf finden. Nach Beendigung der Ratsversammlung hatte sie sich in die Andachtshalle begeben, um Beistand von den Propheten zu erflehen. Doch wie so oft war die Bedeutung der Bilder ihr verschlossen geblieben - wie so oft schon. Anderen gegenüber würde sie dies natürlich niemals eingestehen. Nach außen zeigte sie ihre übliche Ruhe und die Gewissheit, auf dem Weg der Propheten zu wandeln.

Innerlich hatte sie schon längst keine Gewissheit mehr darüber, welches der richtige Weg war. Zur Kai gewählt hatte sie sich am Ziel ihrer Träume gewähnt: Direktes Verbindungsglied zwischen ihrem Volk und den Propheten, Hüterin des Wissens und des Glaubens. Doch wie es sich herausstellte, war sie nichts weiter als eine Nebenfigur in einem Spiel, welches bisher von einem Nicht-Bajoraner mit den Göttern Bajors ausgetragen wurde. Nicht einmal die Wunden durch die Besatzung hatten sie jemals so sehr verletzt wie die Erkenntnis, die ewige Zweite zu sein.

Und nun, da der Abgesandte nicht mehr hier war, ergab sich immer noch kein klareres Bild. Die Propheten sprachen nicht mit ihr - nicht in der Art wie sie es mit Sisko taten. Sie hatten sie in keinster Weise vor der drohenden Invasion gewarnt. Hätte Benjamin Sisko nicht mit aller Vehemenz den Vertrag mit der Föderation platzen lassen und sie dazu aufgefordert, statt dessen einen Pakt mit dem Dominion einzugehen, sie selbst hätte sich standhaft geweigert zu unterschreiben. Und der Premierminister hätte genauso gehandelt.

Warum teilten die Propheten nicht ihr mit, was richtig und was falsch war? Warum musste sie es von einem Außenweltler gesagt bekommen? Und wo war dieser nun, da sie erneut an einer Schwelle standen?

Winn öffnete die Augen wieder. Sie hatte vor dem nun geschlossenen Schrein gekniet und versucht, durch Meditation eine Antwort in ihrem Inneren zu finden. Doch sie kam nicht zur nötigen Ruhe.

Wenn das stimmte, was die Cardassianerin ihnen eben mitgeteilt hatte, dann war ohnehin alles gleichgültig. Doch die Kai konnte dieser Fremden nicht ohne Fragen glauben. Der Premierminister hatte es getan, das war deutlich gewesen. Und sie hatte in dessen Blick noch etwas anderes gesehen, was sie unter anderen Umständen augenblicklich gegen ihn benutzt hätte. Jedoch nicht jetzt. Es gab Wichtigeres als persönliche Animositäten auszufechten, das sah sogar Winn ein.

”Eminenz.” Vedek Yassim stand im Torbogen zur Andachtshalle. Nach Vedek Bareils Tod hatte die ältere Frau die Stelle als Beraterin an Winns Seite eingenommen. Anders als ihr Vorgänger war sie emotionaler und eher eine Frau der Tat als des Abwägens. Yassim hatte sich erst dem geistlichen Leben zugewandt als sie das Gefühl gehabt hatte, für den aktiven Kampf des Widerstands zu alt geworden zu sein. Sie hatte den Phaser gegen das Wort eingetauscht, war jedoch mit beiden imstande, Wunden zu reißen.

Die Kai erhob sich und für einen kurzen Augenblick durchfuhr sie der Wunsch, Bareil würde noch leben. Er hätte die Verhandlungen mit dem Dominion führen sollen, er wäre der Richtige gewesen.

”Yassim, was gibt es?”

Die Frau neigte den Kopf. ”Die Vedekversammlung ist zusammengetreten. Wenn Ihr soweit seid?”

”Ich komme.” Kai Winn folgte ihrer Beraterin auf den Korridor hinaus. Obwohl die Zeit schon auf Mitternacht zu ging, waren die Gänge nicht vollständig leer. Sie trafen auf Prylaren oder Akolythen, die ihren Dienst verrichteten. Das Kloster schlief niemals vollständig.

Wenn die Kai an ihnen vorbeiging, hielten sie augenblicklich in dem inne, was sie gerade taten, und verneigten sich tief. Winn schenkte ihnen ein huldvolles Nicken, welches nichts von dem nach außen dringen ließ, was wirklich in ihr vorging. Ihre lächelnde Maske hatte sie schon vor Jahren zur Perfektion entwickelt.

Kurz bevor sie die Versammlungshalle betraten, stockte die Kai. Das Gesicht der jungen Frau, die sich dort in der Nische vor ihr verbeugte, kam ihr unbekannt vor. Natürlich war es unmöglich für die Kai, all die Neuzugänge des Ordens persönlich zu kennen. Dennoch ... ein Raubtier entwickelte ein Gespür dafür, wenn Artgenossen in der Umgebung waren. Sie blickte noch einmal zurück, doch die Frau stand immer noch mit traditionell gebeugtem Haupt da. Dann öffneten sich die Türen zum Versammlungsraum und andere Belange schoben sich im Bewusstsein der Kai in den Vordergrund.

* * *


Seine lächelnde Maske sprang in dem Augenblick in Aktion, in welchem Weyoun den Bildschirm aktivierte. Dukat hielt sich im Hintergrund, so dass er zwar den Gesprächspartner Weyouns sehen konnte, dieser aber nicht ihn.

Wie der Gul es erhofft hatte, wirkte der Premier Bajors nicht sehr ausgeschlafen, als dessen Gesicht schließlich auf dem Schirm erschien.

”Botschafter Weyoun, was kann ich für Sie tun?”

”Guten Morgen, Minister Shakaar. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen und nun einen wundervollen Tag vor sich.” Weyoun war ganz Freundlichkeit.

Man hörte das Stöhnen vom anderen Ende der Leitung nicht, konnte es aber am etwas verlängerten Lidschlag des Bajoraners erahnen. Dukat beobachtete wie ein Raubvogel jede kleinste Mimik des ihm so verhassten Mannes, um Zeichen darin zu erkennen, wie er den Bericht der Cardassianerin aufgenommen hatte, welcher ihm nun sicherlich schon vorlag.

”Vielen Dank der Nachfrage, ich habe gut geschlafen und mein Tag wird sicherlich wundervoll werden”, entgegnete Shakaar so geduldig wie möglich. ”Und was kann ich nun für Sie tun?

Der Vorta legte sinnierend einen Finger an seine Lippen, sein freundschaftlicher Ausdruck wechselte nun in denjenigen wohlwollender Besorgnis. Sein Gegenüber quittierte dies mit einem schwachen Zusammenziehen der Augenbrauen.

”Minister, in Sorge um unsere bajoranischen Freunde...” Dukat glaubte, Shakaar innerlich die Augen rollen sehen zu können ”... haben wir uns erlaubt, uns über die Entwicklung der Wirtschaft und Technik Ihres Planeten kundig zu machen. Und dabei haben wir festgestellt, dass es noch so viele Bereiche gibt, in denen wir Ihnen mit unserem Wissen zur Seite stehen können. Es schmerzt uns zu sehen, wie viel noch im Argen liegt, nur weil Ihnen die richtige, kompetente Unterstützung fehlt.” Weyoun machte eine kurze Pause, damit die Großzügigkeit seines nächsten Angebots auch bei dem Bajoraner auf den richtig vorbereiteten Boden fallen konnte.

Shakaar indessen blickte ihn nur schweigend an. Die Müdigkeit aus den Augen des Ministers war verschwunden, und das gelegentliche Zucken seiner Kiefermuskeln deutete an, dass, wie auch immer die Frage lautete, die Antwort ”Nein” wäre.

”Aus diesem Grund habe ich mich schon mit Cardassia Prime in Verbindung gesetzt und mein Anliegen dort vorgetragen. Und nun freue ich mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass die Angelegenheit dort genauso zu Herzen genommen wird, wie von mir. Spontan haben sich unsere Leute bereit erklärt, den Ihren Wissen zu vermitteln.”

Es war nicht einmal eine Frage. Der Minister senkte die Lider, als würde er ein Zwiegespräch mit sich selbst führen, als er sie wieder hob, fragte er: ”Wie viele?

Weyoun lächelte. ”Die spontane Bereitschaft war sehr hoch. 400 Vorta befinden sich auf dem Weg nach Terok Nor.”

400?” Dukat musste es Shakaar zugute halten, dass dieser beinahe nicht die Fassung verlor. ”Was ist mit Ihrer Zusage, dass kein Soldat bajoranischen Boden betreten wird?

Weyoun winkte ab, als müsse er einem Kleinkind etwas Offensichtliches erklären. ”Ich spreche von Vorta, Minister, nicht von Jem’Hadar.”

Das ist doch...”, den Rest des Satzes behielt Shakaar für sich, stattdessen lehnte er sich ein wenig näher zur Übertragungseinheit vor. ”Sie bleiben auf Ihrer Station, bis ich die Bitte den Räten vorgetragen habe...

”Das ist keine Bitte”, Weyouns Augen blitzten kurzzeitig auf und verrieten einen Bruchteil von dem, was sich hinter der Fassade des Vorta verbarg. Dann lächelte er wieder. ”... sondern ein Freundschaftsangebot.”

Der bajoranische Premierminister versuchte erst gar nicht, irgendwelche Gefühle hinter einer Maske zu verbergen, als er mit hartem Blick entgegnete: ”Ich erinnere mich nicht daran, ein Freundschaftsabkommen unterzeichnet zu haben, sondern einen Nichteinmischungspakt, den wir gedenken einzuhalten!

”Etwas anderes haben auch wir nicht vor”, versicherte der Vorta. Dann wurde die Leitung von der bajoranischen Seite aus unterbrochen.

”Und, geben Sie mir jetzt recht?” Dukat trat an den Tisch heran. ”Diesem Kerl kann man nicht trauen. Er hat nicht das geringste Interesse an einer friedlichen Zusammenarbeit.”

”Ich würde vorschlagen, dass Sie Ihre persönliche Voreingenommenheit hier beiseite lassen, Dukat”, wies Weyoun ihn ruhig, aber dennoch bestimmt zurecht. ”Ist es nicht so, dass der jetzige Premierminister ein Mann ist, dem Sie während Ihrer Präfektur nicht habhaft werden konnten, der maßgeblich an der Befreiung Bajors beteiligt war und der zu allem Übel auch noch Major Kira ins Bett bekommen hat, was Sie so vergeblich versuchen?”

”Was....?” Dukat atmete einmal tief durch und hob dann die Hände an. Sich von dem Vorta provozieren zu lassen, würde zu nichts führen. ”Spinnen Sie Ihre Fantasien ruhig für sich weiter, wenn Sie damit glücklich werden”, entgegnete er stattdessen.

Weyoun beachtete seine Bemerkung nicht. ”Dennoch stimme ich Ihnen in einem zu: Ich führe Verhandlungen weitaus lieber mit der Kai als mit dem Premierminister. Sie hat wesentlich... diplomatischere ... Qualitäten.”

Der Gul blickte ihn zweifelnd an, sah das entnervende Lächeln auf dem Gesicht des Vorta und wusste, was dieser meinte.

”Ich glaube nicht, dass Kai Winn gegenüber dem Dominion freundschaftlicher eingestellt ist als Shakaar”, gab er zu bedenken. Weyouns Standhaftigkeit, sich nicht von der Bösartigkeit Bajors überzeugen lassen zu wollen, zehrte so allmählich an seiner Geduld.

”Können Sie es Ihnen verdenken? Nach allem, was Sie und Ihre Leute dem Planeten angetan haben?”

”Wir...? Angetan...?” Dukat legte beide Handflächen auf die Tischplatte und beugte sich zu dem Botschafter vor. ”Hören Sie auf mit Ihren Spielchen, Weyoun. Was ist denn der wirkliche Zweck Ihrer 400 Vorta?”

Falls das Wort ‘Unschuld’ eine Personifizierung suchte, hätte es sie nun in der Mimik des Vorta gefunden. ”Humanitäre Hilfe.”

* * *


Er spürte die Hände auf seiner Schulter und war unendlich dankbar dafür. Mit festem Griff begannen sie, seinen verspannten Nacken zu massieren. ”400 Vorta zur Unterstützung unseres ach so zurückgebliebenen Volkes.” Shakaar trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf der Tischplatte. ”Hält er mich für naiv?”

”Ich glaube nicht.” Serina ließ von der Massage ab, sie hatte das Gespräch mit verfolgt. ”Nach allem, was ich von den Vorta weiß, ist das sein Ernst. Sie sind so erzogen und gezüchtet worden, sich selbst für etwas Besseres zu halten. Es ist nicht einmal Böswilligkeit, sie können einfach nicht anderes denken.”

”Wunderbar!” Shakaar schob seinen Sessel zurück und stand auf. Langsam begann er, im Raum auf und ab zu gehen. ”Wenn ich zulasse, dass diese Vorta Bajor betreten, kann es gut sein, dass ich die Kontrolle darüber verliere, wo sie was anstellen. Und wenn ich ihnen die Einreise verweigere....” Er tauschte einen Blick mit Serina aus und zuckte dann mit den Schultern. ”Für das Oberhaupt eines Planeten habe ich verdammt viel Entscheidungsfreiheit!” Er kehrte zum Tisch zurück, um die Kommunikationsanlage zu betätigen. ”Es scheint mir, derzeit können wir die Ministerversammlung zu einer stehenden Einrichtung werden lassen.”

Nachdem er Sarish Rez über die neusten Geschehnisse informiert hatte, wandte er sich zu der jungen Cardassianerin um. ”Serina, möchtest du mich zur Versammlung begleiten?”

”Ich?” Sie blickte ihn erstaunt an. ”Wäre das nicht ein wenig unpassend?”

Er zuckte abermals mit den Schultern. ”Ich kenne etliche Leute, die das genau so sehen würden, ja. Dürfte ich dich dennoch bitten...?”

* * *


Die Kälte des Windes hatte in der letzten Woche zugenommen. Wenn er nun die Thermojacke enger um sich zog, dann tatsächlich, weil es ihn fror. Die Hauswand, an welcher er lehnte, war zu gut isoliert, als dass sie Wärme nach außen abgegeben hätte.

”Wie kann man bei einer solchen Kälte freiwillig draußen herumlaufen?” sprach sein Begleiter die eigenen Gedanken laut aus. ”Syr, was meinst du, wie lange wir hier noch warten müssen?”

Es war eine müßige Frage, denn sein Anführer würde darauf ebenso keine Antwort haben wie er selbst. Doch von Zeit zu Zeit tat es gut, sinnlose Fragen zu stellen.

Katok Syr zuckte nur mit den Schultern

”Solange, wie es nötig ist”

”Ein schrecklicher Planet”, murmelte der andere.

Dann berührte er ihn am Arm. ”Jemand kommt.”

”Ich habe es gesehen.”

Sie zogen sich beide etwas weiter in die Schatten der Häuserwand zurück, von welcher aus sie ein Anwesen auf der gegenüberliegenden Seite schon seit Stunden beobachtet hatten.

”Batain, die Aufzeichnung?”

”Läuft”, bestätigte der Angesprochene.

Gegenüber verließ in diesem Moment der Premierminister von Bajor sein Haus, umgeben von vier Sicherheitsleuten.

”Es ist eine Cardassianerin bei ihm.” Katok schüttelte den Kopf, die Verachtung lag deutlich in seinen Zügen. ”Wie man uns gesagt hat. Das ist billiger Verrat!”

Mit funkelnden Augen blickten die beiden bajoranischen Männer dem kleinen Gefolge hinterher, welches einen Gleiter bestieg, um dann in Richtung Innenstadt davonzufliegen.

Im Augenblick spürte keiner der beiden mehr die ungewohnt beißende Kälte des Windes.

* * *


„Genauso hat es damals ebenfalls begonnen!” Vedek Yassim machte sich nicht die Mühe, ihre Stimme zu drosseln. ”Sie sagen, sie wollen uns helfen, ohne dass wir um Hilfe gebeten haben, und nisten sich dann auf unserem Planeten ein.”

”Der erste Schritt zur Invasion”, bemerkte die Kai in wesentlich gefassterem Ton. Sie stand am Fenster und blickte hinaus in den Klostergarten, in welchem über Nacht der erste Schnee gefallen war. Erst jetzt begriff sie, wie relativ einfach es gewesen war, in einen Krieg hineingeboren worden zu sein. Sie hätte zu keinem Zeitpunkt etwas unternehmen können, ihn zu verhindern.

”Dennoch”, sie wandte sich zu ihrer Beraterin um, ”müssen wir uns vorerst ruhig verhalten. Wir sind an einen Vertrag gebunden, und unsere Armee ist noch lange nicht stark genug, um einen Krieg mit Aussicht auf einen wie auch immer gearteten Sieg zu beginnen. Wir können hoffen, dass wir Zeit genug haben, um unsere Kräfte wenigstens zur Verteidigung zu sammeln, sollte es zum Äußersten kommen.”

Die Vedek zügelte ihre Emotionen mit Anstrengung. Es war noch viel zu viel Soldatin in ihr, um nun einfach die Ruhe der Kai annehmen zu können. Wobei sie argwöhnte, dass auch diese nicht so gefasst war, wie es den Schein hatte.

”Und was sollen wir tun?” fragte sie in beinahe neutralem Tonfall.

”Das Gleiche, was wir unser gesamtes Leben schon getan haben”, informierte die Kai sie. ”Wir arbeiten im Untergrund.” Auf den überraschten Ausdruck in den Augen der Vedek hin, führte sie aus: ”Das einzige, was uns im Augenblick noch in relativer Sicherheit hält, ist der verminte Eingang zum Himmelstempel. Und auch wenn ich dieses Vorgehen an sich als blasphemisch verurteile, so bin ich doch derzeit geneigt zu hoffen, dass der Zustand noch eine längere Zeit anhält. Das einzige, was zwischen uns und dem Tor liegt, ist die Station. Und dort befinden sich Bajoraner. Es wird Zeit, dass sie da oben aufwachen.” Bei den letzten Worten hatte sogar die Stimme der Kai ein wenig an Volumen gewonnen.

Sie griff nach einem Chip auf ihrem Schreibtisch und händigte ihn Yassim aus. ”Eine Buchung für den nächsten regulären Transporter nach ... Deep Space Nine, Vedek.”

Als ihre Hand wieder frei von dem elektronischen Gerät war, führte sie ihre Finger an das Ohr der nun in Verneigung verharrenden Vedek. ”Unternimm, was immer du für nötig hältst. Und mögen die Propheten auf dich herab lächeln.”

Nachdem Yassim gegangen war, ergriff die Kai ein Display, auf welchem die Namensliste derjenigen Vedeks stand, die sich im Dienst ihres Ordens befanden. Ihre Berater hatten die unglückliche Tendenz, in Erfüllung ihrer Pflichten für ihr Volk zu sterben - und etwas in Winn sagte ihr, dass es diesmal nicht anders kommen würde. Sie blickte die Namen nach einer geeigneten Wahl für den Beratungsposten durch.

Etwa eine Stunde später verließ sie ihren Raum, um sich in die Andachtshalle zu begeben. Sie hatte zwar wenig Hoffnung, dass die Propheten sie dieses Mal mit Antworten segneten, doch deswegen gänzlich aufzugeben war nicht ihre Art.

Auf dem Gang näherte sich ihr eine junge Klosterschülerin. Sie erkannte sie augenblicklich als das Mädchen, welches vor einigen Tagen schon einmal ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.

Die Kai blieb stehen.

Ihr wohlwollender Ausdruck veränderte sich nicht, doch innerlich spannte sie sich an.

”Eure Eminenz.” Das Mädchen verneigte sich vor ihr.

”Mein Kind, was wünschst du?” Winn war schon dabei, ihren Arm zu heben, um das pagh der anderen zu erfühlen, als Instinkt ihr gebot, die Hand wieder sinken zu lassen.

Das Mädchen blickte auf, Verwunderung in ihren Augen - und die Verwunderung bezog sich nicht gänzlich auf das Fehlen der Tradition bei einer so traditionsreichen Frau wie der Kai.

Winn trat einen Schritt zurück.

Das Messer, welches für ihr Herz vorgesehen war, traf daher ihren Oberarm.

Ihr Ausruf entsprang eher der Überraschung als dem Schmerz, welcher noch nicht eingesetzt hatte.

Bevor das Mädchen sich sammeln konnte, um erneut zuzustoßen, hatte die Kai instinktiv mit dem unverletzten Arm ausgeholt. Geboren in einer Zeit des Hasses und der Verfolgung gab es nur wenige Geistliche, die nicht zumindest das grundlegendste Kampftraining absolviert hatten. Auch wenn Winn es vorzog, mit Worten zu fechten, hieß es nicht, dass sie sich nicht verteidigen konnte.

Die beiden Frauen gingen zu Boden, und innerhalb der nächsten Sekunden kamen Klosterbewohner aus beiden Richtungen des Korridors angerannt. Ihre erschrockenen Gesichter wollten nicht recht glauben, was sie da sahen. Solange sie denken konnten war noch nie eine Kai angegriffen worden - und schon gar nicht von einer Schülerin aus ihren eigenen Reihen.

Als die Geistlichen endlich ihr Oberhaupt wieder auf den Beinen und in Sicherheit hatten, blieb auf dem steinernen Boden des Klosterganges der blutende Körper einer jungen Bajoranerin zurück, die zuvor noch niemand hier gesehen hatte. Das Mädchen hatte die Waffe gegen sich selbst gerichtet, als ihr klar geworden war, dass sie ihr Ziel nicht würde erreichen können.

In stummem Schrecken bildete sich ein Kreis um die langsam größer werdende Blutlache.

* * *


„Ich kann es nicht fassen!” An demselben Fenster, aus welchem diesen Morgen noch die Kai geblickt hatte, stand nun der Premierminister.

”Danke der Nachfrage, es geht mir den Umständen entsprechend gut.” Der ruhige, leicht spöttische Ton der Kai schien sich auch von einem Mordanschlag nicht beeindrucken zu lassen.

Shakaar strich sich mit einer Hand die dunkelblonden Strähnen aus der Stirn. ”Entschuldigt, Eure Eminenz. Natürlich galt meine erste Sorge Eurem Wohlergehen. Doch ich konnte mich ja selbst davon überzeugen, dass Ihr in guter Verfassung seid. Verzeiht.”

”Es sei Ihnen verziehen.”

Er seufzte. Es war selten, dass er mit der Kai direkt in Kontakt trat. Sie beide ließen Angelegenheiten lieber durch ihre Adjutanten regeln, oder in der Öffentlichkeit der Ministerversammlungen, in denen die Kai und mehrere Vedeks ihren angestammten Platz hatten. Doch die Kai nach einem Anschlag auf deren Leben nicht persönlich aufzusuchen, wäre eine grobe Unhöflichkeit gewesen, die sich nicht einmal Shakaar Edon leisten wollte.

”Wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt, wer das Mädchen gewesen ist, und warum sie Euch angegriffen hat?” fragte er zum wiederholten Mal.

”Nicht den geringsten”, entgegnete die Kai abermals. Sie konnte verstehen, warum der Premier diese Frage immer wieder stellen musste. Die Ungeheuerlichkeit des Vorfalls sickerte erst allmählich in das Bewusstsein derjenigen, die davon wussten.

Im Türrahmen erschien die Medizinerin, welche die Autopsie der Angreiferin vorgenommen hatte.

”Und?” In Shakaars Frage schwang leichte Hoffnung mit.

Die Frau schüttelte jedoch den Kopf. ”Ihr Genom ist durch und durch bajoranisch. Wir haben es nicht mit einer cardassianischen Undercover-Agentin zu tun.”

Der Premierminister ließ sich gegen die Wand zurücksinken. Er hatte gehofft, dass es sich um eine chirurgisch umgewandelte Agentin handeln möge, wie sie die Cardassianer während der Besatzungszeit zur Infiltration der Widerstandsgruppen eingesetzt hatten. Dadurch wäre das Sicherheitsrisiko zwar nicht geringer geworden, aber sie hätten eine Erklärung erhalten, die sie immerhin begreifen konnten.

”Ich werde meine Leute darauf ansetzen herauszufinden, ob es sich um den Versuch einer neuen Gruppe handeln kann, auf sich aufmerksam zu machen”, sagte Shakaar, als er sich schließlich wieder zum Gehen aufmachte. Es war ihm zwar nichts zu Ohren gekommen, aber die Chancen, dass sich Gruppen bildeten, die gegen einen Vertrag mit Cardassia waren, oder gegen einen Vertrag mit dem Dominion, oder für eine viel freundschaftlichere Behandlung der Jem’Hadar, oder was auch immer, waren recht groß unter der Bevölkerung seines Planeten. Oft reichte nur der kleinste, kaum wahrnehmbare Funken, um altes Misstrauen wieder aufflackern zu lassen. In vielen von ihnen war der Drang, sich gegen alles und jeden zu verteidigen so groß, dass er immer wieder ein Ziel fand.

In der Tür wandte sich Shakaar noch einmal um. ”Hiervon darf nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Ich habe keine Lust, nach außen den Eindruck zu erwecken, dass wir unsere eigenen Probleme nicht unter Kontrolle hätten.”
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