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Das Ende der Träume

von Gabi

Kapitel 1

Heute wollte ihre Schicht überhaupt nicht mehr enden. Sie spürte, wie sich ein leichter Kopfschmerz hinter ihrem linken Auge einnistete und sie dort sanft aber penetrant in ihrer Konzentration störte. Das war heute Abend, wo die Bar besonders gut besucht war, ziemlich hinderlich. Sie balancierte ihr Tablett mit den fünf gefüllten Gläsern auf einer erhobenen Hand, während sie mit der anderen spielerisch auf diejenigen Finger mancher Bargäste klopfte, die zu nah an ihren Hüften lagen.

Während Tora Naprem die entsprechenden Bestellungen den jeweiligen Gästen zuordnete, suchte ihr Blick bereits nach Nelaya, einer bajoranischen Mitarbeiterin, mit der sie sich in ihrer kurzen Zeit hier auf Terok Nor angefreundet hatte. Tora fand sie schließlich, als sie mit einem nun ebenfalls leeren Tablett wieder der Bar zusteuerte. Sie fiel in Schritt neben der anderen Bajoranerin.

„Nelaya, hast du noch vom Pulver gegen Kopfschmerzen, das du mir letzte Woche geborgt hast?“ fragte sie ihre Kollegin, nachdem beide ihre Tabletts auf dem Tresen abgestellt hatten und den Ferengis dahinter ihre neuen Bestellungen weitergegeben hatten.

„Hast du schon wieder welche?“ fragte Nelaya mitfühlend. „Du solltest keine Doppelschichten arbeiten.“

„Ich weiß.“ Tora nickte. „Aber ich kann das Geld wirklich gut gebrauchen.“ Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Es ist ja nicht so, dass Quark eine Schicht besonders großzügig entlohnt.“

Nelaya nickte zustimmend. „Aber besser hier als in der Erzverarbeitung oder drüben im Bordell.“ Sie hantierte an den Tuchfalten ihres knappen Kostüms herum, wo sie versteckte Taschen eingenäht hatte, um das eine oder andere Trinkgeld zu verstauen, welches ihr die Gäste zusteckten. Wenn Quark bemerkte, dass sie Trinkgeld erhielten, dann forderte er augenblicklich einen Anteil davon für sich. So hatte sich jedes Mädchen in der Bar ihre eigenen kleinen Geheimverstecke angewöhnt, um wenigstens einen Teil der Einnahmen unter den Augen ihres aufmerksamen Chefs vorbei zu schmuggeln.

Nun förderte Nelaya jedoch kein Latinum hervor, sondern das gewünschte Päckchen mit Pulver. Tora nahm es dankbar entgegen. Sie legte einen kleinen Streifen Latinum auf den Tresen und orderte für sich ein Glas Wasser. Es galt die strenge Regel, dass es keine kostenlosen Drinks für die Angestellten während der Arbeitszeit gab – und danach ohnehin nicht.

„Uuuuh“, ließ sich Nelaya nun vernehmen. Sie nickte unauffällig mit dem Kinn in Richtung Eingang. „Kannst du mir jetzt deinerseits einen Gefallen tun?“

„Aber natürlich, um was geht es?“

„Der Kommandant ist gerade reingekommen.“

Tora wandte sich um und folgte dem Blick ihrer Kollegin. Eine Gruppe von Cardassianern hatte die Bar betreten. In deren Mitte ging Gul Dukat, der Präfekt von Terok Nor. Seine Erscheinung war nicht besonders groß oder stattlich, dennoch stach er sofort aus der Gruppe heraus. Die Aura von Arroganz, welche ihn allzeit umgab, war beinahe fassbar.

„Ich kann den Typ nicht ausstehen“, erklärte Nelaya weiter. „Kannst du seinen Tisch übernehmen?“

„Na klar“, seufzte Tora. Sie schuldete ihrer Kollegin etwas. Doch auch sie fühlte sich wohler, wenn sie nicht die Aufmerksamkeit des Gul erregte.

Auf der anderen Seite des Tresens erschien nun der Ferengi Quark, Barbesitzer und Arbeitgeber. „Ich bezahl euch nicht fürs Quatschen.“ Seine Hände scheuchten die beiden Bajoranerinnen von der Theke fort. „Arbeitet gefälligst für euer Geld.“

Tora und Nelaya schenkten dem Ferengi einen knappen Blick, dann setzten sie wieder ihr professionelles Bar- und Dabo-Lächeln auf und schlängelten sich durch die dicht besetzten Tische.

„Herzlich Willkommen im Quark’s. Was kann ich Ihnen bringen?“ Tora hatte den Tisch der Neuankömmlinge erreicht. Nicht wenig überraschend bestand der Großteil der Order der Cardassianer aus Kanar und einem kleineren Sortiment an bajoranischen Snacks. Cardassianische Offiziere und Soldaten orderten in der Gegenwart von Gul Dukat stets Kanar. Denn wenn der Präfekt selbst an ihrem Tisch weilte, konnten sie sichergehen, dass Quark seine besten Jahrgänge hervorholte, nicht das gestreckte Zeug, das er normalerweise verkaufte.

Tora schenkte der Runde ein Lächeln, bewusst Dukats Blick meidend, und machte sich mit der Bestellung zurück zum Tresen auf.

Quark nickte lediglich, als sie erwähnte, dass Dukats Tisch Kanar erwarte. Dann eilte der Ferengi in die Lagerräume hinter der Bar, um die besonderen Flaschen zu besorgen. Während Tora wartete, glitt ihr Blick über die voll besetzte Bar. Wie stets war der Andrang an den Dabo-Tischen enorm. Sie hatte den Reiz von Dabo noch nicht ganz verstehen können. Die Hälfte ihrer Arbeitszeit bediente sie an den Dabo-Rädern und erlebte hautnah mit, wie oft die Spieler verloren. Quark hatte seinen Mitarbeitern bestimmte Quoten vorgegeben. Ihre Aufgabe war es dafür zu sorgen, dass nicht mehr Gewinne als von dem Ferengi veranschlagt pro Abend geschahen. Ihr eigenes schwer verdientes Geld würde sie niemals so leichtsinnig hinauswerfen. Es musste doch selbst auf so einer trüben Raumstation wie Terok Nor andere, weniger kostspielige Abendunterhaltung geben. Sie war wenigstens froh, dass sie nicht in einem der angrenzenden Räume für die Wühlmauskämpfe eingesetzt wurde. Dieses blutige Spektakel hätte sie selbst dann angeekelt, wenn sie die Viecher nicht schon so scheußlich gefunden hätte.

Ihr umherschweifender Blick hatte mittlerweile den Tisch mit den cardassianischen Offizieren erreicht. Die Männer unterhielten sich angeregt. Einen Moment zu lange blieb ihr Blick dort hängen. Gul Dukat hob seine Augen und sah sie direkt an. Rasch drehte Tora sich zum Tresen zurück.

Unter den Dabo-Mädchen gingen allerlei wilde Gerüchte um, was den Präfekten betraf. Wie viel Wahrheit ihnen zugrunde lag, konnte Tora noch überhaupt nicht bestimmen. Aber der Tenor war: besser nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen.

Schließlich war ihr Tablett voll beladen. Sie ergriff es – der vielen Gläser wegen sicherheitshalber mit beiden Händen – und steuerte erneut den Tisch der cardassianischen Offiziere an. Während sie die Gläser vor den Männern abstellte, lächelte sie freundlich, vermied es jedoch, den Präfekten anzusehen.

„Bist du neu hier?“

Was sie nicht konnte, war eine direkte Frage ignorieren.

Sie atmete kurz durch, straffte sich und wandte sich dann so neutral wie möglich dem Kommandanten zu. Der Blick, der ihr begegnete schien genau zu wissen, warum sie sich so unauffällig verhalten wollte und welche Gerüchte ihrem Verhalten zugrunde lagen. Ein spöttisches Lächeln umspielte die Lippen des Gul. Es ärgerte sie.

„Ja, ich bin neu hier“, erklärte sie daher eine Spur schnippischer als sie es vorgehabt hatte. Sie hielt seinem Blick stand, was er mit einem anerkennenden Heben der Augenrippen quittierte. „Und dein Name wäre?“

Es gab nicht viel, was er ihr mit Wissen ihres Namens antun könnte, was er nicht auch ohne dessen Kenntnis durchführen würde, dennoch fühlte sie sich unwohl dabei, als sie antwortete: „Tora, Tora Naprem.“

„Nun, Naprem“, er kostete den Namen einen Moment auf der Zunge aus. „Danke für die Drinks, du darfst jetzt gehen.“

Mit einem direkten Rauswurf hatte sie nicht gerechnet. Daher verharrte sie noch einen Moment erstaunt auf der Stelle. Der Gul winkte ungeduldig mit einer Hand ab, während er sich bereits wieder im Gespräch mit seinen Offizieren befand. Tora beeilte sich zum Tresen zurückzukommen.

* * *


Am nächsten Abend erschienen die Offiziere abermals im Quark’s. Mit Erleichterung stellte Tora fest, dass sie sich an einen Tisch in derjenigen Hälfte der Bar setzten, in welcher sie heute nicht bediente.

Diese Erleichterung hielt nicht lange vor. Kurze Zeit nach dem Eintreffen der Offiziere steuerte Nelaya ihre Kollegin an. Sie gestikulierte über die Schulter. „Naprem, die wollen, dass du sie bedienst.“

Tora schielte an der anderen vorbei. Natürlich handelte es sich um den Tisch der cardassianischen Offiziere.

„Warum?“ Sie beäugte ihre Kollegin misstrauisch. War das ein Versuch Nelayas den Gul loszuwerden?

Nelaya zuckte mit den Schultern. „Kann ich dir nicht sagen. Als ich bei ihnen auftauchte, beschwerte sich der Gul, dass er die Rothaarige als Bedienung wollte. Und außer dir wüsste ich jetzt keine Rothaarige, die für Quark arbeitet.“

„Na prima!“ Tora näherte sich vorsichtig dem Tisch der cardassianischen Offiziere. Miene und Stimme wurden professionell, sobald sie dort anlangte. „Die Herren sind mit der Bedienung nicht zufrieden?“

Gul Dukat lachte. Er lacht wirklich. Es war ein beinahe furchteinflößender Ton. „Oh nein, wenn deine Kollegin dadurch Schwierigkeiten bekommt, werde ich das bei eurem Chef klarstellen. Nein, uns gefiel dein rotes Haar, wir wollten es heute Abend gerne noch ein wenig betrachten.“ Die anderen Cardassianer am Tisch stimmten in das Gelächter ein.

Wenn sie das geahnt hätte, hätte sie sich im Vorfeld die Haare gefärbt. Doch sie ließ sich nichts von ihrer Nervosität anmerken. Stattdessen schüttelte sie ihre langen Locken. „So, bitte, jetzt können Sie es sich genau ansehen. Und was kann ich Ihnen bringen?“

Einer der Offiziere stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

„Auf den Mund gefallen bist du nicht. Das gefällt mir“, ließ sich der Präfekt vernehmen. „Das Gleiche wie gestern. Du erinnerst dich noch daran?“

Tora nickte und wandte sich ab. Sie war froh, dass sie nicht noch einmal zurückgerufen wurde. Sie war sich unsicher, welches Verhalten das Beste in dieser Situation war. Wenn sie zu schüchtern tat, rief das sicherlich ebenso gesteigertes Interesse hervor wie ein forsches Auftreten. Gelangweilte Neutralität würde ihnen sicherlich am ehesten den Spaß verderben, aber das wiederrum lief unter Garantie auf einen Anschiss von Quark hinaus.

Als sie mit dem Kanar und den Knabbereien zurückkehrte, nutzte sie den Moment geschickt aus, in dem Dukat in ein Gespräch vertieft war, stellte das Bestellte rasch ab und entfernte sich, bevor der Gul sich ihr zuwenden konnte. Diejenigen Offiziere, die sie beobachtet hatten, begleiteten ihren strategischen Rückzug mit einem breiten Grinsen.

Den Rest des Abends verbrachte sie ungestört in ihrem Teil der Bar. Doch als die cardassianischen Offiziere aufbrachen, nahmen sie einen kleinen Umweg durch die Bar. Dukat streifte beinahe Toras Schulter, als er an ihr vorbei strebte. Sie glaubte im Vorübergehen zu hören wie er ihr zuraunte: „Das nächste Mal kriege ich dich.“

* * *


Am nächsten Tag schaffte sie es die Schichten zu tauschen. Als sie ihren Dienst begann, war die Hauptbesuchszeit bereits vorbei und nur noch Nachtschwärmer, die am folgenden Tag keinen Dienst antreten mussten, tummelten sich in der Bar. Die Schicht verlief für Tora wesentlich entspannter als die beiden Tage zuvor.

* * *


„Tora! Komm her.“ Quarks Stimme begrüßte die Bajoranerin, sobald sie ihren Fuß zur nächsten Schicht in die Bar setzte. Misstrauisch näherte sie sich ihrem Arbeitgeber. Er klang nicht übermäßig verärgert, lediglich so unhöflich wie er sich stets seinen Angestellten gegenüber verhielt.

„Was gibt es?“ wollte sie wissen, während sie den langen Mantel auszog, den sie für den Weg vom Gemeinschaftsquartier zur Bar über ihrem knappen Kostüm trug.

Der Ferengi nickte mit dem Kopf hinüber zur metallenen Wendeltreppe, welche den Barbereich mit den Galerieplätzen und den Holosuiten verband. „Jemand möchte dich oben sehen.“

Toras Blick folgte demjenigen ihres Arbeitgebers. Soweit sie es erkennen konnte, waren die Galerie-Plätze alle unbesetzt. Zu so später Stunde sammelten sich die Nachtschwärmer um den Tresen und um die Dabo-Tische. Sie hob fragend die Augenbrauen.

„Holosuite 2.“ Die plötzliche Panik musste deutlich in Toras Augen zu lesen gewesen sein, denn Quark beeilte sich beschwichtigend hinzuzufügen. „Keine Angst, es ist harmlos. Würde ich meine Mädchen dubiosen Typen ausliefern?“

„Für die richtige Summe, würden Sie Ihre Mutter im Bordell verhökern“, murmelte sie, als sie ihren Mantel im Angestelltenbereich hinter der Theke aufhängte.

„Ich habe das gehört!“ rief der Ferengi vom Tresen her. „Mach jetzt, dass du rauf kommst. Und dass mir keine Beschwerden kommen.“

Tora stieg die Treppe hinauf. Ihre anfänglich gute Laune über die späte Schicht war verflogen. Wenn jemand direkt nach ihr fragte, konnte sie sich vorstellen, wer das war. Es war eine Sache, in der Öffentlichkeit der Bar ein paar Anzüglichkeiten auszutauschen, eine ganz andere, in der Abgeschiedenheit der Holosuiten jemandem ausgeliefert zu sein. Oh, sie zweifelte keinen Moment daran, dass Quark entgegen jeder anderslautenden Beteuerung sehr wohl Überwachungskameras in den Räumen installiert hatte. Doch dies war sicherlich nicht zum Schutz der sich darin Befindlichen geschehen.

Vor der Tür zu Holosuite 2 verharrte sie einen Moment. Sie wollte das Unvermeidliche gerne noch hinauszögern, doch das würde ihr Ärger von zwei Seiten einbringen. Also zog sie ihr Kostüm so gut es ging zurecht, damit es die größtmögliche Fläche an Haut bedeckte, atmete noch einmal tief durch und betätigte dann den Summer.

Die Tür glitt augenblicklich beiseite und gab den Blick auf einen Balkon frei. Die Architektur ähnelte den Strukturen, die sie von Terok Nor gewohnt war. Die Landschaft, welche der Balkon überragte, war in sanftes rötliches Licht getaucht. Sand und Stein waren die hervorstechenden Strukturgeber. Hier und da wuchsen Büsche und Flächen von hartem Gras. Es war eine karge Landschaft, von Wasserknappheit geprägt, doch sie entbehrte nicht einer gewissen Schönheit. Tora sah keine vertrocknete Natur, sondern Leben, das sich an die Bedingungen angepasst hatte und eine ganz eigene Ästhetik entwickelte. Eine ideale Umgebung für Echsen, schoss es ihr ungebeten durch den Kopf.

Der Mann, welcher auf dem Balkon gestanden und scheinbar in Gedanken auf die Ebene vor sich geblickt hatte, drehte sich um.

„Ah, Naprem, wie schön von dir, dass du kommen konntest“, begrüßte die geschliffene Stimme Dukats sie.

Sie nickte ihm zur Begrüßung zu. „Ich hatte ja wohl keine andere Wahl.“

„Na, na“, Dukats Augenrippen hoben sich. „Hat Quark es so ausgedrückt? Ich hatte ihn lediglich gebeten dich zu fragen.“

„Natürlich.“ Tora schaffte es ihrer Stimme exakt so viel Sarkasmus zu geben, dass es noch nicht beleidigend wirkte.

Dukat beschloss, über ihren Tonfall hinwegzugehen. „Wie gefällt dir der Ausblick?“

„Es hat etwas“, gestand die Bajoranerin.

„Das ist meine Heimatprovinz auf Cardassia Prime. Wann immer ich Heimweh verspüre, komme ich für einige Momente hierher.“ Sie glaubte ihn seufzen zu hören, als sein Blick wieder über die trockene Ebene glitt.

„Heimweh nach Ihrer Frau und Ihren vier Kindern.“

„Du hast deine Hausaufgaben gemacht, wie ich sehe.“ Er richtete sich von der Balustrade auf und trat einen Schritt näher zu ihr hin.

Tora blieb stehen, aber es kostete sie Mühe. Dukat hatte ihren persönlichen Sicherheitsabstand durchschritten. Sie konnte den Blick der klaren, forschenden Augen auf sich spüren und wagte es nicht aufzusehen.

„Was wollen Sie von mir“, verlangte sie leise zu wissen.

Graue Finger fassten ihr Kinn und zwangen ihren Kopf nach oben. Die Lider hielt sie immer noch gesenkt.

„Sieh mich an.“ Der Ton war nicht unhöflich, doch die Autorität darin ließ sie gehorchen.

Die hellen Augen blickten sie direkt an. Es nahm ihr für einen Moment den Atem. Dukat war nicht attraktiv, Tora konnte nichts attraktives an cardassianischer Echsenhaut finden. Doch sein scharfgeschnittenes Gesicht, die kalten Augen, in denen stets ein spöttisches Lächeln versteckt schien, und die kleinen Grübchen auf seinen Wangen, die sich immer dann bildeten, wenn er lachte, machten ihn auf jeden Fall … interessant. Es fiel ihr nicht leicht, von ihm als durchweg böse zu denken.

„Ich möchte mit dir reden.“

Die einfache Feststellung brauchte ein wenig Zeit, bis sie in Toras Verstand eingesunken war. Verwundert sah sie Dukat an. Sie konnte in seinen Augen nichts erkennen, was im Gegensatz zu seiner Behauptung stand.

„Reden?“ wiederholte sie verwundert.

Jetzt war es an Dukat zu lachen. „Ist das so verwunderlich?“

Ermutigt von der guten Laune des Guls wagte sie es, ebenfalls ein wenig zu lächeln. „Ehrlich gesagt – ja.“

„Was hast du denn erwartet?“

„Nun ja … dass … die Mädchen erzählen sich … ich …“

„Du dachtest, ich wolle dich vergewaltigen“, erlöste er sie aus ihrem Gestammel.

Überrascht über seine offenen Worte, starrte sie ihn an. Warme Röte breitete sich vom Hals über Wangen und Ohren aus. „äh … ja“, gestand sie schließlich kleinlaut.

Lachend schüttelte der Gul den Kopf. Er wies mit dem Arm auf eine Bank, die an der Balustrade lehnte. „Setz dich.“

Tora tat wie ihr geheißen. Dukat setzte sich neben sie. Es fiel ihr mittlerweile wesentlich leichter seinem Blick zu begegnen. So konnte sie die Ernsthaftigkeit seiner Behauptung darin ablesen.

„Ich möchte wirklich nur mit dir reden. Du gefällst mir, das möchte ich nicht bestreiten. Aber entgegen aller Gerüchte, habe ich es nicht nötig, mir eine Bajoranerin gefügig zu machen.“

Sie blickte ihn unsicher an und sagte kein Wort.

Er seufzte. Dann stand er auf, ging zur Balustrade hinüber und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „So, ist der Abstand genügend groß, dass du nicht bedroht fühlst?“

„Was erwarten Sie von mir?“ fragte sie erneut leise. Sie sehnte sich danach, wieder zurück in der Bar zu sein.

„Wie ich es dir bereits sagte“, Dukat hob beide Arme, Handflächen nach oben. „Ich möchte mich ein wenig unterhalten. Das geht nicht im Lärm der Bar.“

„Warum mit mir?“

„Warum mit dir?“ Er seufzte erneut. „Manches Mal ist mir nach anderer Gesellschaft als derjenigen meiner Offiziere. Die Themen werden in ihrem Kreis doch oft etwas einseitig. Ich hatte das Gefühl, dass wir beide uns verstehen könnten.“

Tora rutschte unruhig auf der Bank hin und her. „Ich bin bloß eine Kellnerin“, versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen.

„Genau“, Dukat öffnete seine Hände in ihre Richtung. „Damit können wir anfangen. Warum arbeitest du für Quark?“ Sein Gesicht drückte interessierte Neugierde aus. Er schien tatsächlich eine Antwort darauf von ihr hören zu wollen.

„Ich …“, sie sah ihn an. „Ich hatte gehört, dass man als Dabo-Mädchen bei Quark gut verdienen könnte und … ich brauche Geld.“

Dukats Augenrippen hoben sich. „Und, verdienst du gut?“

„Nein“, gestand sie. „Quark ist nicht gerade ein großzügiger Arbeitgeber. Aber es reicht, dass ich etwas sparen kann.“

Er lachte. „Das hätte ich auch nicht vermutet. Soll ich mit ihm wegen der Löhne sprechen?“

„Bei den Propheten, nein!“ rief sie ehrlich entsetzt aus. Sie konnte sich lebhaft Quarks Laune nach solch einem Gespräch vorstellen.

„Wofür brauchst du das Geld? Hast du eine Familie zu versorgen? Dann wärst du drüben bei den Komfortfrauen besser aufgehoben …“

„Das könnte ich nicht!“

„Nein“, Dukat schüttelte den Kopf. „Das würde auch nicht zu dir passen.“ Er musterte sie nachdenklich.

Sein Blick ging ihr durch Mark und Bein. Sie wünschte sich, etwas Abstoßendes darin zu entdecken, doch stattdessen sandte er ihr einen unerwünschten Schauder über den Rücken. Wie ein Raubtier schoss es ihr durch den Kopf, lauernd, gefährlich, aber auch anziehend.

„Ich möchte nach Musilla“, erklärte sie daher rasch, obwohl sie noch Minuten zuvor vorgehabt hatte, nichts von sich preis zu geben.

„Musilla?“ wiederholte Dukat verwundert. Immerhin hatte ihre ehrliche Antwort den gewünschten Effekt, dass er sie nicht mehr so sehr taxierte. „Was ist in Musilla?“

Sie erlaubte sich ein schwaches Lächeln, als sie an ihren großen Traum dachte. „Die Universität der schönen Künste. Ich möchte Malerin werden.“

„A-ha. Siehst du, ich wusste doch, dass an dir etwas Besonderes ist.“ Er legte seinen Kopf ein wenig schräg. „Ich würde gerne einmal etwas von dir sehen.“

„Ich …“ Toras Hände gestikulierten hilflos in ihrem Schoß. „Ich male in meiner freien Zeit ein wenig … ich … in unserem Quartier habe ich ein paar Skizzen …“

„Wunderbar!“ Dukat hob erfreut die Augenrippen. „Bring sie das nächste Mal mit.“

„Das nächste Mal?“

Er breitete die Arme in einer allumfassenden Geste aus. „Ich würde mich freuen, wenn wir uns noch einmal treffen könnten … zum reden“, fügte er mit unergründlicher Miene hinzu.

* * *


Als der Präfekt gegangen war, kehrte Tora nachdenklich ins untere Geschoss zurück.

Am Tresen hob Quark seinen Kopf. Die Neugierde war deutlich auf seinen Zügen zu lesen. Wahrscheinlich wagte nicht einmal er es, in einer Holosuite, welche Dukat benutzte, seine Überwachungsmodule einzusetzen. Die Bajoranerin hatte eigentlich vorgehabt, ihren Chef zu ignorieren und ihre Arbeit in der Bar anzutreten. Doch sie überlegte es sich anders. Sie hatte das Bedürfnis zu reden, und sie kannte niemanden sonst, der eventuell etwas über den Gul wissen könnte.

So änderte sie ihre Schritte und trat an den Tresen heran. Wie erwartet war Quark augenblicklich zur Stelle. Während er vorgab genau vor ihr einen besonders hartnäckigen Fleck von der Oberfläche entfernen zu müssen, hoben sich seine Stirnwülste in desinteressiertem Interesse. „Und, wie war es?“ fragte er betont gleichgültig.

Tora lächelte in sich hinein. „Och, ganz okay“, antwortete sie ebenso nebensächlich.

Als sie nichts weiter hinzufügte, hakte Quark dann doch nach: „Was wollte er denn von dir?“

„Nicht das, was ich befürchtet habe“, gestand sie. Sie wollte sich mit jemandem austauschen, auch wenn es nur Quark war. „Er wollte reden.“

„Reden?“ Der verblüffte Ausdruck des Ferengi entsprach in etwa dem ihren bei Dukats Eröffnung.

Sie zuckte mit den Schultern. „Nur das.“

Quark nahm das Tuch in beide Hände und betrachtete Tora Naprem nachdenklich. Sein Blick dauerte zu lange, um angenehm zu sein.

„Was ist?“ wollte sie schließlich wissen.

„Es könnte an deinem Haar liegen“, bemerkte er. Er nahm seine Tätigkeit des Tresenputzens wieder auf, so als ob er zufrieden mit seiner Bemerkung wäre.

Bei Tora hinterließ sie nur ein weiteres Fragezeichen. Auch Dukat hatte über ihr Haar gesprochen.

„Was ist mit meinen Haaren?“ wollte sie ungeduldig wissen.

Quark hob den Kopf, offensichtlich erstaunt, dass sie immer noch vor ihm stand. Dann ließ er seinen Blick betont langsam zum Chronometer über der Bar wandern. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist deine Schicht noch lange nicht vorbei. Ich habe nicht gesehen, dass du heute Nacht schon irgendetwas getan hättest, was einen Lohn gerechtfertigt hätte.“

„Quark, bitte“, Thora wollte sich nicht so leicht abspeisen lassen. Sie blickte sich in der Bar um. Es war bereits weit nach Mitternacht und so gut wie nichts mehr los. „Ich schieb ne unbezahlte Extra-Schicht, wenn Sie mir erzählen, was mit meinen Haaren ist, bitte!“

Nun hatte sie wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit des Ferengi. „Eine ganze Schicht?“

Der falsch freundliche Ausdruck, der nun wieder in den Augen des Barbesitzers lag, ging ihr zwar gewaltig gegen den Strich, doch sie wusste, dass sie anders nichts aus ihm herausbekommen würde. Also nickte sie ergeben.

„Warum hast du das nicht gleich gesagt!“ Quark verstaute das Tuch unter dem Tresen und beförderte stattdessen zwei Gläser hervor. „Setz dich“, forderte er sie auf. Er schenkte ihnen beiden ein – nicht zu großzügig bemessen, doch alleine der Umstand, dass er einen Freidrink ausgab, war bereits ungewöhnlich.

Tora griff sofort nach dem Glas, bevor Quark es sich wieder anders überlegen konnte. „Also, was ist jetzt?“

Der Ferengi sah sich noch einmal um, dass auch wirklich niemand in ihrer Nähe war, dann lehnte er sich verschwörerisch über den Tresen nach vorne – zufällig kam sein Blick auf diese Weise in idealen Winkel zu Toras großzügig bemessenem Ausschnitt. „Die letzten Jahre hatte Gul Dukat eine bajoranische Geliebte“, erklärte er zu Toras Verblüffung. „Kira Meru. Er hat sie eher geheim gehalten und nach außen weiterhin den Eindruck des Frauenhelden erweckt.“ Er hob und senkte die Stirnwülste in rascher Abfolge. „Der Ruf muss ja gewahrt bleiben.“

„Aha“, machte Tora immer noch verwirrt. „und warum wissen Sie davon?“

„Hallo?“ Quark deutete auf sein Ohr. „Ich bin der Barkeeper, der Mann mit dem offenen Ohr und dem großen Herz. Die Leute vertrauen sich mir an.“

„Aha“, wiederholte Tora, doch dieses Mal schwang berechtigter Zweifel in dem Wort mit.

„Keiner weiß so genau, was mit Meru geschehen ist. Sie ist nicht mehr auf der Station“, führte Quark weiter aus. „Gerüchten zufolge ist sie schwer erkrankt und befindet sich in einem cardassianischen Hospital auf Bajor.“

„Und was hat das jetzt alles mit meinem Haar zu tun?“

„Meru hatte auch rötliches Haar. Ein wenig dunkler als du, aber ähnlich genug.“

„Na prima!“ Tora leerte das Glas in einem Zug. „Genau was ich brauche: ich erinnere ihn an seine verflossene Geliebte.“

* * *


„Das sieht vielversprechend aus“, kommentierte Dukat die Skizze, die er zwischen beiden Händen gespannt vor sich hielt. „Insofern ich es mir erlauben darf, hierzu meine Meinung kund zu tun“, er warf ihr einen entwaffnend unschuldigen Blick über die Schulter zu. „Was Kunst angeht bin ich wahrlich keine Koryphäe.“

Tora atmete erleichtert aus. Es war ihr unangenehm gewesen, einem Fremden – dazu noch Gul Dukat – etwas von ihren Arbeiten zu zeigen. Sie lagen ihr persönlich sehr am Herzen und auch wenn sie vorhatte, die Kunstakademie zu besuchen, so war sie doch innerlich noch lange nicht bereit, ihre Werke einer Öffentlichkeit zugänglich und damit angreifbar zu machen.

Erneut standen sie auf der Balustrade über der rötlichen Ebene. Das gedämpfte Sonnenlicht tauchte ihre Zeichnungen in einen orangefarbenen Ton, der einen Teil ihres Unterbewusstseins trotz der angespannten Situation zu neuen Entwürfen anregte.

Dukat wandte nun seinen gesamten Körper zu ihr um. Zwischen ihnen befand sich die ausgebreitete Zeichnung. „Was meinst du? Wenn du dir die Landschaft hier ansiehst … könntest du daraus etwas erschaffen, Naprem?“

Die Art, wie er ihren Geburtsnamen aussprach, sandte unerwünschte Schauer über ihren Rücken. Auch wenn seine Haltung ihr gegenüber sich nicht geändert hatte, so fühlte sich alles anders an, dadurch, dass sie ihre Zeichnungen – und dadurch einen Teil ihres Inneren – präsentierte.

Dazu kam das, was Quark ihr erzählt hatte. Sie hatte erst mit dem Gedanken gespielt, Dukat direkt nach Kira Meru zu fragen. Doch sie wagte es nun nicht. Ganz gleich, was der Ferengi erzählt hatte, sie war sich sicher, dass der Präfekt ihm nicht seine privaten Gefühle anvertraut hatte.

Sie nickte lediglich aus Angst, dass ihre Stimme nicht so fest klingen würde, wie sie sich das vorstellte.

„Wenn es mir gefällt, kaufe ich es dir ab“, erklärte der Gul. „Ich bin auf der Suche nach einer neuen Dekoration für mein Quartier.“

„Ich könnte es versuchen“, erklärte sie schließlich leise.

„Nicht so schüchtern“, lachte der Cardassianer auf. „Du bist gut.“ Er rollte die Zeichnung sorgfältig ein und platzierte sie in dem Behälter, in welchem Tora ein paar ihrer Werke in die Holosuite mitgebracht hatte. Dann berührte er sie leicht an der Schulter und bedeutete ihr, mit ihm zusammen an den Rand der Balustrade zu treten. „Mir geht es vor allem um diese Farbe hier“, erklärte er, während er mit ausgreifenden Armbewegungen die Landschaft einbezog. „Diese Felsen dort drüben … besonders diese Felsen …“

Und dann begann er von den Vorzügen der Landschaft seiner Heimatprovinz zu sprechen, von den Abenteuern, die er als Junge dort draußen erlebt hatte.

Tora lauschte ihm erstaunt. Dukat konnte reden ohne aus dem Fluss zu kommen. Ein gelegentliches Nicken von ihr genügte, um ihn weiter anzuspornen. Nicht ein einziges Mal hatte sie das Gefühl, dass er mehr von ihr wollte, als dass sie einfach nur zuhörte.

Und sie ertappte sich dabei, dass sie ihm gerne lauschte.

* * *


Heute war es anders.

Die letzten beiden Wochen hatte sie an jedem zweiten Abend eine Stunde in der Holosuite verbracht und Dukat beim Reden zugehört. Es war unglaublich, wie gerne sich der Präfekt sprechen hörte. Er hatte zu jedem und allem eine Meinung, die er glaubte kundtun zu müssen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass er seine Offiziere nicht dazu bekommen konnte, seinen Ausführungen zu lauschen. Er war arrogant und selbstverliebt, keine Frage, doch da war noch mehr. Mit jedem Mal, das sie neben ihm an der Balustrade stand, mit jedem Mal, da er einfach nur redete und ihr in keiner anderen Weise näher kam – mit jedem Mal glaubte sie mehr von dem verletzlichen Mann zu erkennen, der unter der blendenden Oberfläche lag, von der Einsamkeit, die er spürte.

Tora verspürte Angst. Keine Angst vor Dukat, denn sie war sich mittlerweile sehr sicher, dass er ihr nichts gegen ihren Willen antun würde. Nein, sie verspürte Angst vor sich selbst, Angst vor dem, was in ihr vorging, und das sie nicht kontrollieren konnte.

„Das Bild ist fertig“, erklärte sie laut, um ihre Gedanken wieder frei zu bekommen.

Dukat hatte sich bei ihrem Eintreten wie stets von der Balustrade fort gedreht. In freudiger Erwartung hob er die Augenrippen. „Liebe Naprem, ich bin sehr gespannt.“

„Ich hoffe, es ist ein wenig das, was Sie sich vorgestellt haben.“ Sie kniete nieder, zog das Blatt aus ihrem Zeichnungen-Behälter und rollte es vor sich auf dem Boden des Balkons aus. Den Blick hielt sie auf ihre rot-orange-braune Komposition geheftet.

Sie sah, wie er auf die andere Seite des Bildes trat. Erst kamen seine Stiefel in ihr Blickfeld, dann seine Oberschenkel, als er sich ihre gegenüber auf den Boden kniete. Seine grauen Hände legten sich auf die beiden ihm zugewandten Ecken, um das Werk eben auszubreiten.

„Es ist wunderschön geworden“, bemerkte er anerkennend.

Sie wagte es, die Augen zu heben. Dukat betrachtete immer noch ihr Bild, sein gebeugter Kopf befand sich nah vor ihrem Gesicht. Sie konnte jede Unebenheit des löffelartigen Stirnauswuchses erkennen. So fremdartig und mittlerweile doch so vertraut.

Seine Hand strich über das Papier und blieb dann an einer Stelle nicht unweit ihrer eigenen Hand liegen. „Wer ist das?“ wollte er wissen.

Vor der überwältigenden Felsenlandschaft befand sich eine kleine Gestalt, die nur in Konturen angedeutet war, beim oberflächlichen Betrachten fast nicht wahrzunehmen.

Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie zu einer Erklärung ansetzte. Sie war sich nicht sicher, ob sie in diesem Punkt vielleicht zu weit gegangen war. „Das sind Sie als Junge …“

Dukats Blick blieb auf das Bild gerichtet, er sagte nichts. Nach der längsten Zeit, die Tora den Gul jemals schweigend erlebt hatte, hob er den Kopf. Der Ausdruck in seinen Augen war neu für sie, überraschend und über alle Maßen verstörend. Sie glaubte, eine tiefe Dankbarkeit darin zu erkennen – und sie wusste, dass sie damit nicht würde umgehen können.

Als seine Finger die ihren berührten, zuckte sie nicht zurück. Es gab für sie keinen Ausweg mehr, nicht vor ihm, sondern vor sich selbst. Sie konnte nicht sagen, wer sich zuerst vorgebeugt hatte. Ihre Lippen berührten sich über dem rotbraunen Farbenmeer aus Dukats Kindheit.

Der Kuss beendete Tora Naprems bisheriges Leben und all ihre Träume.

ENDE

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