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Berge zu Staub

von Heidi Peake

Kapitel 1

„Der größte Trick, den der Teufel jemals gespielt hat,
war, die Welt davon zu überzeugen, dass er nicht existiert.“

‘Die üblichen Verdächtigen’




„Jede Religion oder jedes Glaubenssystem scheint um eine Art von Antagonismus herum aufgebaut zu sein: richtig gegen falsch, gut gegen böse, Glaube gegen Unglaube. Für das höhere Wesen, die Propheten, den Gott, wie immer man es nennt, existiert ein exaktes, gleichwertiges Gegenteil. Das Wesen, welches all das ist, was Gott nicht ist. Sie kennen es als den Teufel.

Bajor scheint diesem Antagonismus entgangen zu sein: Wir glauben an die Propheten. Wir glauben, dass wir ihre Kinder sind und dass sie uns auf dem rechten Pfad führen. Sie gewähren uns all das, was wir zum Überleben und Weiterentwickeln benötigen. Und wenn wir sie verärgern, wird eine Bestrafung erfolgen. Diejenigen, die sich von den Propheten abwenden werden früher oder später versagen.

Es ist unumgänglich.
Es ist das Gesetz.
Wir waren so sicher in unserem Glauben, dass es schien, dass wir der Notwendigkeit für einen Teufel entgangen sind.
Dann kam die Besatzungszeit, und mir ihr die Zweifel.

Wenn Sie vor einem Jahrhundert ein bajoranisches Kind gefragt hätten, wie der Teufel aussähe, hätten Sie ein paar verwunderte Blicke erhalten. Heutzutage wird es Ihnen höchstwahrscheinlich ein Bild einer großen, grauen, geschuppten Gestalt in Uniform zeichnen.

Die neue Generation auf Bajor hat schließlich ein Konzept für den Teufel gefunden und beschlossen, dass er Cardassianer ist.

Sie hätten nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein können...“

(Auszug aus einem Gespräch über bajoranische Religion zwischen Commander Benjamin Sisko von DS9 und Vedek Bareil, Bajor.)


* * *


Es hätten keine Visionen mehr auftreten dürfen.

Dr. Bashir war in diesem Punkt sehr deutlich gewesen. Und Ben Sisko war sich sicher, dass der junge Mediziner eine verblüffend einfache und überzeugende Erklärung dafür finden würde, wenn er Bashir davon berichtete - ohne Zweifel würde er diese dann in eine ebenso verblüffend schwierige Sprache gleiten, falls man vergessen sollte, wer der Experte auf diesem Gebiet war.

Er hätte sich gerne überzeugen lassen. Doch dann erinnerte er sich an die Gespräche.

Teile davon waren aufgezeichnet worden, weil es nie genügend Zeit während der unregelmäßigen Besuche des Vedeks gegeben hatte, so hatten sie ihre Diskussionen über Subspace fortgeführt. Es waren Erinnerungen an die frühen Tage in seiner Rolle als Abgesandter, als er so intensiv versucht hatte, in ein paar Wochen den Glauben zu verstehen, der sich in Tausenden von Jahren entwickelt hatte. Geduldig hatte Bareil all seine Fragen beantwortet, hatte die ehrwürdigen Traditionen mit seinen eigenen, eher unkonventionellen Interpretationen der Schriften ergänzt und dadurch ein Bild eines Glaubens geschaffen, der immer noch sehr lebendig und im Wachsen begriffen war.

Bareil lebte in einer Gewissheit über die Existenz der Propheten, die nur wenige Bajoraner geteilt haben konnten, denn er hatte einen Bruchteil ihres Lichtes gesehen als er in die Schatten ihres exakten, gleichwertigen Gegenteils gestarrt hatte.

* * *


Kaltes Mondlicht reflektierte auf dem verzierten Metall, als es mit langsamer Unausweichlichkeit in die Dunkelheit rollte. Das leise Geräusch des Ohrringes auf Stein war der einsamste Laut, den er jemals gehört hatte. Es war alles, was das Vergehen eines Lebens anzeigte.

Er wachte in kaltem Schweiß auf.

Ein leichter zu beeindruckendes Bewusstsein hätte den wiederkehrenden Traum sicherlich Vision genannt, doch er schrieb ihn eher seiner überaktiven Vorstellungskraft zu, denn in letzter Zeit hatte der Gedanke an den Tod seine spirituellen Studien mit Vehemenz heimgesucht.

Beinahe jeden Gedanken, den Bareil zu verfolgen beschloss, durchdachte er zu seiner logischen und unausweichlichen Konsequenz. Er konnte nichts dagegen machen, es war die Art, wie sein Gehirn arbeitete.

Der Tod jedoch ist kein Thema, das man seinem Unterbewusstsein wünschte, wenn die Lichter ausgehen.

Es war das plötzliche und recht unerklärliche Dahinscheiden ihres Tutors, welches seine neueste Besessenheit ausgelöst hatte: von einem raschen, heftigen Fieber heimgesucht, hatte dieser sich allmählich von der Gesellschaft seiner Schüler zurückgezogen. Innerhalb einer Woche war er tot. Sie wussten keinen Grund für das Fieber, doch sie hatten den Grund seines Todes in Form einer kleinen, leeren Giftflasche gefunden.

Allgemein wurde angenommen, dass er es in seiner Verwirrung versehentlich zu sich genommen hatte. Niemand war bei ihm gewesen, als er sich die Substanz verabreicht hatte, und niemand war bei ihm gewesen, als er aufgehört hatte zu atmen - niemand außer Prylar Moran.

Armer, sanfter, so leicht zu beeindruckender Moran.

„Hast du wieder Alpträume?“ Seine leise Stimme vertrieb augenblicklich die Schatten von Bareils Gedanken.

Er erhob sich auf einen Ellbogen und warf einen leicht missbilligenden Blick auf seinen Studienkollegen und Mitbewohner seines Quartiers.

„Du lernst immer noch!“

Moran war schon immer ein fleißiger, wenn auch langsamer, Student gewesen, doch seit dem Tod ihres Tutors hatte sich dieselbe Besessenheit, die Bareil innerlich beschäftigt hielt, an ihm äußerlich gezeigt. Es waren seltene Augenblicke, wenn man ihn ohne Buch erblicken sollte, und er war dazu übergegangen, Mahlzeiten auszulassen, um sie gegen lange Stunden in der Bibliothek einzutauschen. Als Resultat davon schwand seine ohnehin schon magere Gestalt in alarmierender Geschwindigkeit.

„Du solltest versuchen zu schlafen. Das Buch wird morgen immer noch da sein“, schalt Bareil ihn sanft.

„Ja, es wird immer noch hier sein, und es wird immer noch ein Rätsel für mich darstellen. Ich wünschte, ich hätte dein Gehirn. Nichts hiervon ergibt für mich irgendeinen Sinn!“ Moran ließ das Buch aus seinen Händen gleiten, nur um es Sekunden später mit erneuter Sorgfalt wieder aufzunehmen.

„Natürlich macht nichts einen Sinn! Es ist Mitternacht! Das einzige, was um diese Stunde einen Sinn ergibt, ist die Unterseite deiner Decke. Geh schlafen!“

Ein verspieltes Glitzern schlich sich in Morans Ausdruck, als er das Buch schloss. „Was ist der Sinn am Schlafen? Ich werde nur zur festgesetzten Zeit durch das plötzliche schwere Atmen und leise Stöhnen meines Freundes hier aufgeweckt werden. Man könnte auf Ideen kommen...“

Mit erschreckender Präzision landete das Kissen in seinem Gesicht.
„Ich atme nicht schwer! Herzlichen Dank!“ Bareil hatte sich schon zur Seite geworfen, als sein Geschoss auf den Weg zu ihm zurück ging.

„Doch, das tust du.“ Moran lächelte ihn in ehrlicher Besorgnis an. „Du solltest mit jemandem darüber sprechen, es ist vielleicht wichtig!“

„Jemand ist gestorben, also habe ich Alpträume.“ Bareil schüttelte das Kissen auf und lehnte sich zurück. „nicht unbedingt etwas, was man als Allgemeingut verbreiten möchte. Und überhaupt, ich habe es jemandem gesagt...“

„Mir? Das wird dir viel helfen! Ich verstehe ja nicht mal die ersten Prinzipien unseres Glaubens!“

„Doch du verstehst andere auf eine Weise, wie es nur wenige tun.“

Das war richtig, Moran hatte die instinktive Fähigkeit, sich selbst an die Stelle von anderen Personen zu denken und wahrhaftig deren Situation zu verstehen.

Das war der Grund, warum er ausgewählt wurde.

* * *


Die Veränderung in seinen Schlaf- und Essgewohnheiten und damit die unausweichliche Veränderung in seiner äußeren Erscheinung war nur der Anfang. Mit wachsender Besorgnis beobachtete Bareil, wie er manches Mal mit den einfachsten alltäglichen Begebenheiten kämpfte: eines Morgens musste er seinem Freund in die Robe helfen, weil dieser es in der begrenzten Umgebung ihres Quartiers geschafft hatte, verloren zu gehen.

Gleichzeitig entwickelte jedoch Morans Gehirn eine Klarheit, die es niemals zuvor besessen hatte. Gegenteilig zu seinem eigenen frustrierten Urteil, war der Prylar nicht dumm, stattdessen ging er Dinge instinktiv an, er musste ein Konzept vollständig verstehen, bevor er es in seiner Gedankenwelt akzeptieren konnte, er musste überzeugt werden. Er besaß eine natürliche Veranlagung für Medizin und Botanik, weil er das, was er darüber las, fühlen konnte, doch die eher theoretischen Aspekte ihrer Studien ließen ihn hilflos zurück. Er nahm immer noch nicht an den Diskussionen teil, doch wenn Bareil aufblickte, sah er ihn das eine oder andere Mal beinahe zweifelnd lächeln. Moran verstand nicht nur genau, was gesagt wurde, er wusste, dass sie im Unrecht waren.

Die Veränderungen verwirrten Bareil.

Sie entsetzten Moran bis in die Knochen.

Nach einer dieser Diskussionen wartete er im Korridor auf Bareil und zog diesen beiseite, sobald er den Raum verlassen hatte.

„Es war Blödsinn, was die Vedek gesagt hat, nicht wahr?“ fragte er beharrlich.

Bareil senkte seinen Kopf, um ein Lächeln zu verbergen. Wenn auch niemand an die Unfehlbarkeit der Vedeks glaubte, so wurde es doch nicht im Allgemeinen als akzeptabel angesehen, ihre Interpretationen mit ‘Blödsinn’ zu bezeichnen. „Es war nicht einer ihrer brillantesten Momente, nein“, stimmte er vorsichtig zu.

„Ich wusste es.“ Es war keine Bestätigung, eher ein langsames Erkennen. Seine Hand fest um diejenige Bareils geschlossen, begann Moran einen der weniger besuchten Korridore des Klosters hinunter zu gehen. Erst als er sich sicher war, dass sie die anderen weit genug zurückgelassen hatten, hielt er inne und fasste dessen andere Hand, während er sich zu Bareil umdrehte. „Lieber Freund, bitte lach mich nicht aus“, bat er.

Bareil wusste nicht, was er dazu sagen sollten, so nickte er lediglich.

„Meinst du... hältst du es für möglich..., dass ich...“ Das Konzept war so fremd für Morans Gedanken, dass er es nicht ohne Schwierigkeiten artikulieren konnte. „... ich erwählt worden bin?“

Trotz seines Versprechens stahl sich ein Lächeln in Bareils Gesicht, doch es war Erleichterung, nicht Spott. Er befreite eine seiner Hände, um seinem Freund liebevoll die Nase zu stüben. „Natürlich bist du erwählt, kleiner Narr. Deswegen bist du hier!“

„Bitte!“ Zu seiner Überraschung wandte Moran sich heftig von ihm ab. „Mach dich nicht über mich lustig!“

„Es tut mir leid... Ich .... hatte nicht die Absicht.“ Vorsichtig legte Bareil eine Hand auf die Schulter seines Freundes und stellte fest, dass dieser zitterte. „Du hast einzigartige Gaben...“

„Etwas ist in meinem Bewusstsein, Antos!“ Er wandte sich ruckartig wieder um und schlug die Hand zur Seite. „Ich glaube, dass es einer der Propheten ist.“

Einen Augenblick herrschte verständnisloses Schweigen.

Moran hob seine Hände in einer allumfassenden Geste, begierig darauf, die Zweifel vom Gesicht seines Freundes zu bannen. „Ich sehe die Dinger anders, ich verstehe alles. Ich begreife, wo sie falsch laufen. Bareil! Ein Bewusstsein größer als mein eigenes hat meine Gedanken betreten... Du musst mir glauben! Du musst mir helfen. Du bist der einzige, der für mich immer einen Sinn ergeben hat.“

Bareil versuchte angestrengt, seine Besorgnis nicht zu zeigen, als er sanft eine Hand an Morans Wange legte. Der junge Mann glühte vor Fieber. „Sorg dich nicht, ich bin bei dir.“ Er hegte keinen Zweifel an der Ursache der Visionen: Die Verweigerung von Schlaf und Essen war bekannt dafür, das Bewusstsein zu verändern. Als er bemerkte, dass seine Worte Moran immer noch unsicher ließen, fügte er mit all der Überzeugung, derer er fähig war, hinzu: „Ich glaube dir.“

Zu dieser Zeit verstand er freilich noch nicht vollständig die Natur des Glaubens.

* * *


Mit seiner eigenen, zärtlichen Dickköpfigkeit verfolgte Bareil den Plan, seinen Gefährten mit all der Nahrung und dem Schlaf zu versorgen, die er ihm ohne Verdacht zu erregen zukommen lassen konnte. Und bis zu einem gewissen Grad war dies von Erfolg gekrönt: wenn auch Morans Gedanken immer noch zu schweifen schienen, zeigte seine physische Erscheinung immerhin Verbesserungen, und er begann, erneutes Interesse an den Klosterangelegenheiten zu zeigen.

So kam es nicht als Überraschung, als er darauf bestand, an Reparaturarbeiten an der südlichen Mauer mitzuwirken. Diese war durch eine Serie von heftigen Stürmen und durch eine Zahl von cardassianischen Attacken in der Nähe des Klosters beschädigt worden. Seine immer wieder auftretenden Zustände der Desorientierung verboten es zwar, dass Moran an der Mauer kletterte, aber er war eifrig dabei, Material vom Boden hinaufzureichen.

Mit einem Stich von Traurigkeit beobachtete Bareil von seiner Position an der Mauer aus, wie Moran mit den anderen Prylaren sprach und lachte: Sogar sein wiedererwachtes soziales Interesse zeigte Zeichen der Besessenheit, er versuchte alles so vollkommen zu verstehen, dass es anstrengend war.

Bareil schüttelte den Kopf leicht und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Arbeit an der Mauer zu, als er das Geräusch hörte.

Es begann als ein klingender Laut wie von der anderen Seite, dann ging es in ein leises Rascheln über, als ob ein sanfter Wind sich erhoben hatte. Er blickte sich zu den anderen um, die ebenfalls betäubt von dem waren, was sie hörten. Dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. „Runter!“ schrie er, als er sich selbst zurückfallen ließ.

Innerhalb von Sekunden kollabierte die gesamte Mauer in einer langsamen, majestätischen, unvermeidbaren Bewegung.

Bareil hatte Glück gehabt, außer dem dünnen Staubfilm, der sich über alles legte, hatten ihn nur ein paar Steinbrocken getroffen. Sobald er es für sicher genug hielt, stolperte er auf seine Füße und sah sich um. Diejenigen, die auf dem Boden geblieben waren, hatten die Bewegung vorhersehen können, und waren unverletzt entkommen, doch von denjenigen, die direkt an der Mauer beschäftigt waren, standen nur zwei wieder auf. Rasch schwärmten die Prylaren zwischen ihren verletzten Kameraden aus, während einer von ihnen zum Hauptgebäude zurückrannte, um Hilfe zu holen.

„Moran!“ Bareil hatte sich neben die in Krämpfen liegende Gestalt von Prylar Dun niedergekniet, welcher am schwersten getroffen worden war. Dieser lag auf dem Rücken, sein Kopf in einem akkuraten und unnatürlichen Winkel, die zuckenden Bewegungen seiner Finger und Zehen das einzige Lebenszeichen. Langsam und mit einem Ausdruck von entferntem Interesse, ließ sich Moran neben ihnen nieder.

„Ich brauche deine Hilfe. Du kennst dich besser als sonst jemand mit diesen Dingen aus. Können wir ihn bewegen?“

„Mach dir keine Sorge.“ Der Tonfall von gedankenverlorener Gleichgültigkeit ließ Bareil aufsehen. Erst da bemerkte er, dass sein Freund lächelte. „Wir fangen einfach noch einmal neu an.“

„Was?“

„Es ging schief? Also beginnen wir noch einmal.“

Die zunehmende Heftigkeit von Duns Zuckungen erlaubte es Bareil nicht, den Worten seine gesamte Aufmerksamkeit zu schenken, doch auch so bemerkte er, dass nichts von dem, was Moran sagte, einen Sinn ergab.

„Moran“, presste er mit erzwungener Geduld, in dem Versuch durch die vermeintliche Schockreaktion seines Freundes hindurch zu kommen. „Dun wird sterben, wenn wir nicht sehr rasch etwas unternehmen.“

„Ich weiß. Wir ändern die Zeitlinie.“

Als Bareil nun doch seine Aufmerksamkeit dem Freund zuwandte, wurde die Ernsthaftigkeit auf dessen Gesicht nur noch von der leichten Frustration übertroffen, die dieser über Bareils Unverständnis empfand. „Wenn diese Zeitlinie nicht erfolgreich ist - beenden wir sie.“

Eine plötzliche Kälte ergriff Bareil, als er in die weit offenen Augen Morans starrte, in dem verzweifelten Versuch zu verstehen. „Das können wir nicht tun.“

„Warum nicht?“

„Weil“, sagte er sanft, „wir nur diese eine haben.“

* * *


„Unterdrückung ist nicht das Schlimmste, was einem Volk passieren kann: In Zeiten der äußeren Härte erinnern wir uns daran, wer wir sind, was uns stark macht, was uns spirituell verbindet. Mit einem gemeinsamen Feind kommen gemeinsame Ziele, gemeinsame Werte und ein gemeinsamer Glauben - die nämlichen Dinge, die ein Volk definieren.

Diese Identität zu verlieren zerstört wahrhaftig die Seele.

Trotz all der Verzweiflung, die sie mit sich brachten, einte die Gegenwart der Cardassianer uns in unserem Glauben.

Es war Moran, der diese Einheit bedrohte.

Am Grund jedes religiösen Systems liegt der Punkt, an welchem die Logik aufgegeben werden, wo Wissen den Weg für Glauben frei machen muss. Dies ist der Punkt, an dem Zweifel gesät werden kann.

Jemand sagte einst, alles zu verstehen sei eine Art von Dominanz. Wenn alles verstanden worden ist, muss etwas anderes dafür geleert worden sein. Und solcher Art war Morans Interesse an uns: Er erforschte unser Wesen, er stellte unseren grundlegendsten Glauben in Frage, bis er uns auf unsere Essenz ausgezogen hatte, er hinterließ ein zerbrechliches Fragment, wo die festen Grundsteine der Übereinstimmung gestanden hatten. Er laugte uns aus, er brach unseren Geist auf eine Weise, zu der nur die sanftesten der Folterer fähig sind.

Er hatte nicht vor, uns etwas anzutun. Er versuchte nur zu verstehen.“


* * *


Schon bald begann er zu sprechen. Nicht mehr länger damit zufrieden, seine Zweifel mit Bareil alleine auszutauschen, beteiligte er sich an den Diskussionen, er verfolgte ihre Streitgespräche mit wacher Intelligenz und führte sie ad absurdum. Moran hatte beinahe damit Erfolg, die Zusammenkunft davon zu überzeugen, dass sich die Propheten nicht um Bajor scherten, während er niemals deren Existenz in Frage stellte. In diesen Momenten war nicht mehr viel von dem freundlichen, schüchternen Studenten übrig, der er einst gewesen war. Er verärgerte die Vedeks nicht so sehr durch seine Missachtung der Schriften, sondern dadurch, dass diese es beinahe unmöglich fanden, ihm zu widersprechen.

„Was“, fragte er mit der Indignation, die aus echter Überzeugung entspringt, „haben die Propheten getan, um euch zu helfen? Ihr betet zu ihnen, ihr fragte diese... Drehkörper ... um Rat, und ihr springt in die Visionen wie in lebenspendendes Wasser. Was haben sie euch über die Cardassianer gesagt? Glaubt ihr, die Propheten hatten nicht gewusst, dass sie kommen? Glaubt ihr, es liegt nicht in ihren Fähigkeiten zu helfen?“ Er blickte sich in der Runde der schockierten Gesichter um, und für einen Moment kehrte sein sanftes Lächeln zurück. „Nichts liegt außerhalb ihrer Fähigkeiten. Es interessiert sie nur nicht.“

„Wie kannst du die Propheten beleidigen?!“ Der Vedek, der geglaubt hatte, die Diskussion zu führen, bis Moran übernommen hatte, fand sich selbst in einer Verteidigungsposition wieder. „Sie schenken uns Visionen...“

„Ja, oh Glorie! Sie schenken euch unverständliche, bildhafte Puzzle, wenn alles, was ihr braucht, eine klar Antwort ist. Anstelle von Dutzenden von mysteriösen Bildern könnten sie euch genau eines schenken, dasjenige, das euch verstehen lehrt. Sind sie jemals zu euch gekommen? Sind sie unter euch gewandelt, um zu fühlen, wie es ist, Bajoraner zu sein? Wie können sie eure Bedürfnisse verstehen, wenn es sie nicht interessiert, wer ihr seid?“

In einer Zeit der Besatzung trafen seine Worte das Zentrum ihrer Ängste. In einer Zeit, in welcher der Glaube an die Güte der Propheten das einzige war, was den Tag erträglich machte, sägte er gnadenlos an den Grundfesten.

Unvermeidlich begann eine kleine doch wachsende Zahl von Prylaren ihm zu folgen.

Bareil war nicht unter ihnen.

Er hatte sich selbst von Moran abgeschieden, er hatte nicht ihre Freundschaft verraten, doch er hatte eine Distanz zwischen sie gelegt, aus welcher heraus er beobachten konnte. Er fürchtete, dass wenn er zu nahe bei ihm stand, die Leidenschaft seines Freundes ihn einfach verschlucken würde. Nur in der Abgeschiedenheit ihres Quartieres teilten sie immer noch ihre Gedanken.

„Du bist nicht bei mir.“ Moran klang müde und traurig, als er sich langsam auf sein Bett zurückfallen ließ.

Bareil blickte von dem Buch auf, welches er zu lesen vorgegeben hatte. „Ich bin immer noch bei dir“, korrigierte er, „ich bin nur nicht mehr länger mit deinen Worten.“

„Dann erklär mir mal den Unterschied, du Meister des Intellekts.“

„Ich werde nicht damit aufhören, mich um dich zu kümmern, nur weil ich nicht mit deinen Ansichten übereinstimme.“

„Doch du musst mir zustimmen! Zeig mir, wo ich falsch liege, Antos!“

Kopfschüttelnd gestand er: „Ich kann nicht. Ich kann nicht das, was du sagst, als falsch erklären. Nur dass du es sagst.“

„Dass die Propheten euch im Stich gelassen haben, sollte nicht erwähnt werden?“

„Sie haben uns nicht im Stich gelassen!“

„Du hast recht, sie konnten es gar nicht, denn sie waren niemals auf eurer Seite. Sie haben niemals versucht, wie ihr zu sein. Nur ich habe das! Sieh mich an, Antos“, rief er aus. „und sag mir, was du siehst!“

Vorsichtig legte Bareil das Buch auf den Tisch. „Ich sehe Prylar Moran, einen Mann von unendlicher Güte und der seltenen Gabe, wirklich zuzuhören. Und ich sehe, dass es ihm nicht gut geht.“

„So schreibst du es also einer Krankheit zu, wie bequem!“

„Ich sage dir nur, was ich sehe. Das ist, worum du mich gebeten hattest, oder etwa nicht?“ Mit einem raschen Schritt hatte Bareil die Entfernung zwischen ihnen überquert. Er griff Morans Hand und legte sie auf dessen Stirn. „Kannst du die Temperatur fühlen? Du hast sie schon seit Wochen! Alles, was ich sage, ist, dass dies kein Zeichen von Gesundheit ist! Ob es für dein Verhalten verantwortlich ist, ist etwas, was wir nur wissen, wenn das Fieber vorüber ist.“

Während er ihn überrascht anstarrte, stiegen plötzlich Tränen in Morans Augen. „Es wird nicht vorbei gehen“, wisperte er. „Es wird mich nicht verlassen, bis ich sterbe.“

Von der Not seines Gefährten berührt, kniete Bareil sich neben dessen Bett nieder und strich ein paar Haarsträhnen aus dessen Gesicht. „Das wäre ein höchst ungewöhnliches Fieber“, sagte er lächelnd.

Es war als Aufmunterung gedacht, doch es schien nur Morans Sorge zu vertiefen. „Ein höchst ungewöhnliches Fieber! Wie viele Fieber hattest du, die zu dir sprachen, Antos?“ Moran kämpfte gegen seine Müdigkeit an und setzte sich wieder auf. „Er ... es ist gekommen, um unter uns zu sein. Um von uns zu lernen... Kein anderer Prophet hat das jemals für uns getan.“ Er presste seine Hände gegen die Schläfen. „Doch er will so viel wissen, ich halte das nicht aus. Antos!“ Ein plötzlicher Enthusiasmus füllte seine Augen mit Leuchten. „Wir werden uns von der Sklaverei der Drehkörper befreien. Dem Anhängen an Visionen. Wir werden sie aufbrechen und das geheime Wissen ganz Bajor kundtun. Es gibt keine Notwendigkeit für diese umständliche Art der Kommunikation. Ich habe den Weg gezeigt! Wir können mit den Propheten sein - immer!“

Bareil war aufgesprungen, abgestoßen von dem heftigen Ausbruch. Er konnte nicht mehr länger verneinen, dass etwas anderes als Fieber von Moran Besitz ergriffen hatte, doch er weigerte sich zu glauben, dass es die Propheten waren.

Der junge Mann hatte sich wieder in einer Ecke seines Bettes zusammengekauert, seine Arme um die Knie geschlungen. Er studierte Bareils bleiches Gesicht mit mitleidigem Interesse. Schließlich streckte er eine Hand nach ihm aus.

„Wirst du mir erlauben, es dir zu zeigen? Du musst mir glauben, mehr als irgendjemand sonst.“

Zögernd reichte Bareil ihm die Hand und kehrte zu seiner Position am Bett zurück, unsicher darüber, was Moran meinte. Als sein Freund die Hand hob, um sie auf Bareils Ohrläppchen zu legen, scheute er instinktiv wieder zurück.

„Es... tut mir leid, du weißt... ich mag das nicht.“

„Ich weiß“, Moran nickte ernst. „Umso mehr werde ich das Geschenk zu würdigen wissen.“

In seiner Stimme lag eine so einfache Überzeugung, dass Bareil die Bitte nicht zurückweisen konnte. Er schloss seine Augen, um sich selbst auf den unkomfortablen und eindringenden Moment vorzubereiten, wenn der andere sein pagh ergründen würde.

Doch nichts hätte ihn auf den Ansturm vorbereiten können.

Langsam zuerst, dann in einer wilden, unkontrollierbaren Explosion fluteten Bilder in sein Bewusstsein, klar, doch fließend, zogen sie ihn in ihre Mitte. Er hatte diese Art von Bildern schon zuvor gesehen.

Er hatte sie in den Drehkörpern gesehen.

Er sah
Gedanken, die sich in die Unendlichkeiten erstreckten, sich ausbreiteten wie ein glitzerndes Spinnennetz;
Zeit und Raum sich nicht nur nach vorne und zurück entfaltend, sondern zu allen Seiten;
den himmlischen Tempel, zerbrochen in eine Million schmerzhafter Fragmente und die wirbelnden Schatten seiner Bewohner;
das beruhigende Licht der Orbs befleckt von verächtlichem Gelächter;
einen wilden Tanz von Welt über Welt, jede eine Version von Bajor, jede verschieden;
einen Geist fähig zur Kreation, doch ebenso fähig zur Zerstörung;
einen Geist voll von Liebe und Sehnsucht;
einen Geist isoliert und zornig.

Es gibt einen Punkt in jedem Bewusstsein, wo all die Linien der Erfahrung und Gedanken zusammen laufen und ein einziges zusammenhängendes Ganzes bilden.

Im Zentrum dessen, was Moran geworden war, befand sich nichts. Nur ein wildes Gewirr von losgelösten Möglichkeiten, die nirgendwohin führten. In unkontrollierbarer Panik unterbrach Bareil den Kontakt.

Moran war auf dem Bett zusammengebrochen und atmete heftig. Er sah erschreckend zerbrechlich aus. Bareil stand neben dem Bett und versuchte ohne Erfolg, sein Zittern zu kontrollieren, er sehnte sich danach, davonzurennen, hatte jedoch Angst vor dem Zustand, in welchem er seinen Freund zurücklassen würde. Er streckte eine zögernde Hand aus und hielt kurz vor der Berührung mit Moran inne.

„Ich verstehe“, sagte er. Mehr war nicht notwendig.

Er wandte sich zur Tür um, zögerte jedoch, als er Moran seinen Namen rufen hörte.

„Antos! Versprich mir, dass du nicht in meiner Nähe sein wirst, wenn ich sterbe!“

„Das habe ich nicht vor“, erwiderte Bareil mit einem Lächeln. „Ich habe vor, lange vor dir zu sterben, mein Freund.“

Dann verließ er den Raum, um die Weisheit des Drehkörpers aufzusuchen.

Doch die Propheten beantworteten seine Gebete mit Schweigen.

* * *


Es war lange nach Mitternacht, als er zu seinem Quartier zurückkehrte, erschöpft und verwirrt. Niemals in seiner kurzen spirituellen Erfahrung hatte der Drehkörper ihm eine Antwort verweigert.

Irgendeine Art von Antwort. Manchmal verstand er sie nicht. Manchmal fühlte er sich zurückgestoßen.

Doch niemals zuvor war der Drehkörper dunkel geblieben.

Morans bittere Worte jagten ihn. Er ging vorsichtig zum Bett seines Freundes und sah, dass dieser sich in seine Decke eingerollt hatte. Er war dabei, sich zu seinem eigenen Bett umzudrehen, als er die kleine, leere Flasche bemerkte. Als er sich zu ihr hinunter beugte, glitt Morans Hand unter der Decke hervor.

Kaltes Mondlicht reflektierte auf dem verzierten Metall, als es mit langsamer Unausweichlichkeit in die Dunkelheit rollte.

Das leise Geräusch des Ohrringes auf Stein war der einsamste Laut, den er jemals gehört hatte.

Es war alles, was das Vergehen eines Lebens anzeigte.

* * *


„Sehen Sie, der Teufel kann nur cardassianisch sein, wenn der Gott cardassianisch ist, denn um das exakte und gleichwerte Gegenstück zu sein, muss der Teufel göttlichen Ursprungs sein.

Die menschliche Mythologie hat eine Symbol, ich glaube, es wird ‘Januskopf’ genannt, ein Kopf mit zwei Gesichtern, die in entgegengesetzte Richtungen blicken. Solcher Art ist die Natur der Göttlichkeit, ein Gesicht ist der Kreation zugewandt, das andere wendet sich gnadenvoll ab.

Dieses Gesicht ist das Gesicht des Teufels.

In Ihrem Glauben ist er der Gefallene, der beste und schönste von Gottes Engeln.

Stellen Sie sich vor aus dieser Glorie gefallen zu sein, die Gesellschaft derer verloren zu haben, die Ihnen gleichen, dazu verdammt zu sein, eine Ewigkeit alleine zu wandeln. Könnte die Suche des Teufels nach Seelen eine Reflektion seiner Einsamkeit sein? Könnte seine Opposition gegenüber der Gottheit eine Reaktion auf die Bestrafung sein, die zu gewaltig ist, um sie zu ertragen?

Sich dem Gott entgegenzustellen erfordert Stärke, und eine solche Stärke braucht ein Ziel. Hass und das Böse sind kein Ziel in ihrem eigentlichen Sinn.

Wir müssen verstehen, dass für den Teufel seine Taten nicht böse sind. Er glaubt wahrhaftig, dass er das Richtige tut. Und er wird diesen Weg mit einer Zielstrebigkeit verfolgen, welche Berge versetzen kann.

Einen Gott kann man angreifen, indem man seine Macht verringert. Glaube nährt die Götter, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn, er macht sie stärker. Zweifel zu säen heißt diese Stärke zu negieren. Wenn der Teufel das Gegenstück des Gottes ist, schwächt dann Glauben seine Macht? Oder um es anders auszudrücken: stärkt die Weigerung zu glauben den Teufel? Ist es nicht einfacher zu handeln, wenn niemand zusieht?

Das ist, was Moran dachte, deswegen war es für ihn so wichtig, dass ich geglaubt habe. Deswegen wollte er alleine sterben. Damit ließ er dem Geist, der ihn quälte, keine andere Möglichkeit als den Rückzug.

Ich bin mir sicher, dass er in einem Volk, welches kein Konzept für den Teufel besitzt, einen anderen Weg gefunden hat.

Sie wollen etwas über den Teufel von Bajor wissen? Nehmen Sie sich vor dem wahnsinnigen Engel in acht!“


* * *


Die Visionen, von denen sie gesagt hatten, ich hätte sie verloren, sind zurückgekehrt. Nicht als die Bilder von vorher, sondern als Fragmente von brillanter Klarheit, wenn auch zusammenhanglos. Ich habe diese Bilder in den Erinnerungen des Vedeks wieder erkannt. Ich habe das abgewandte Gesicht der Propheten gesehen, ich habe seine zerbrochenen Träume geteilt.

Der wahnsinnige Engel kehrt zu einem Bajor voller zweifelnder Gemüter zurück.

Wer wird vorbereitet sein, ihre Selbstgefälligkeit zu teilen?
Wer wird dem verrückten Gestammel des Abgesandten lauschen?
Wie bekämpft man das, was nicht existiert?

ENDE





Der englische Titel stammt aus Henrik Ibsens ‘Brand’: „I have that faith and that strong trust, that crumbles mountains into dust.“
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