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Verlorene Träume

von Gabi

Kapitel 1

Meet me in my dreams
I won't fall asleep without you
Meet me in my dreams
It's lonely here without you
(Marc Almond)




Farben woben durch die Luft. Aus dem Nichts bildeten sich Formen. Erst substanzlos, dann wie Prototypen des Universums, dann explodierten sie in unerschöpflicher Schaffenskraft in alle Richtungen hinaus. Sonnen entstanden und verloschen in Bruchteilen am Rande der Schöpfung. Im Zentrum bildete sich aus dem hellen Gleisen Wasser - oder zumindest erschien es wie Wasser - stetig in Bewegung, stetig das Leuchten der umgebenden Sterne widerspiegelnd. Es erhob sich in den Raum, erwachte aus seiner Zweidimensionalität und ergoss sich in Regenbogenfarben zurück zum Grund. Als die letzten der expandierenden Sonnen den Rand der Wahrnehmung erreicht hatten, fiel auch die Fontäne in sich zusammen.

Tosender Applaus erhob sich in der Bar. Sogar Quark hatte während der letzten zehn, elf Minuten vergessen hin- und herzueilen, um Besucher daran zu erinnern, dass sie doch sicherlich ihre Gläser aufgefüllt haben wollten.

Etwas erhaben stand auf einem Podest in der Mitte des Raumes eine weibliche Humanoide und verbeugte sich vor dem anerkennenden Applaus. Sie sah erschöpft aus, aber auf ihren Zügen spiegelte sich ein herzliches Lächeln. Und der Eine oder Andere hatte den Eindruck, als ob noch Erinnerungen der Lichterspiele in ihren Augen zu sehen seien.

Mit dem Anhalten des Beifalls löste sich auch Quark wieder aus der ungewöhnlichen Verzauberung. Er eilte durch die Tische hindurch mit einem Becher in der Hand auf die Künstlerin zu.

„Das war Maliam von Osket. Und der Drink geht auf das Haus“, verkündete er großzügig.

Sie nahm das Glas mit einem Lächeln entgegen, das seinen Erwartungen beinahe vollständig entsprach.

„Die Bar ist eröffnet!“ erklärte er so laut wie möglich, um dem Zauber, der immer noch in der Luft hing, endlich ein Ende zu machen und zu den wichtigen Dingen des Lebens überzuleiten. Ein Teil der Gäste folgte seinem Aufruf, und so kehrte er zufrieden hinter seine Theke zurück.

„Das war fantastisch“, bemerkte Dax an ihrem Tisch in der Ecke.

Dr. Bashir, an den diese Worte gerichtet waren, nickte begeistert. „Eine Holoprojektion hätte nicht diese Intensität gehabt, würde ich sagen.“

„Nein, die Interaktion hätte gefehlt. Ich glaube, sie kann die Stimmung des Publikums aufnehmen und ihre Darbietung dorthin gehend modulieren. Es ist perfekt.“ Die Trill stand auf. „Sollen wir sie an unseren Tisch bitten?“ Die Antwort des Arztes wartete sie gar nicht mehr ab. Als dieser seine Zustimmung gab, befand sie sich schon auf der halben Strecke zwischen Tisch und Podest.

Die Künstlerin war mittlerweile vom Podest gestiegen und wollte sich eben mit ihrem Getränk an einen leeren Tisch in der Nähe setzen. Dax trat an sie heran. Die Trill hatte fast die doppelte Höhe der Frau. Unwillkürlich ging sie etwas in die Knie, als sie sprach: „Darf ich mich vorstellen: Lieutenant Jadzia Dax. Hätten Sie nicht Lust, sich zu uns zu setzen?“

Die Frau, scheinbar in Gedanken versunken, zuckte zusammen. Als sie sich zu Dax umgedreht hatte, zeigte sich aber schon wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht. „Ich weiß nicht“, antwortete sie, „ich wollte mich ein wenig zurückziehen ...“

„Bitte machen Sie uns den Gefallen“, bettelte Dax. „Es wäre so faszinierend, mit Ihnen zu reden. Wir werden auch nicht anstrengend sein, ich verspreche es.“

Dax‘ Begeisterung und Offenheit war nur schwer zu widerstehen. Maliam von Osket nickte. „Ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen.“

Die Trill führte sie zum Tisch zurück. Bashir stand auf und rückte eifrig einen Stuhl für die Künstlerin zurecht. „Ich bin Dr. Julian Bashir“, stellte er sich vor. „Es ist uns eine Ehre, dass Sie sich Zeit für uns nehmen ... Können wir Ihnen noch etwas zu trinken besorgen?“

Sie blickte auf ihren halbvollen Becher. „Vielen Dank, das wäre eine reizende Geste.“

Bashir stand auf und ging zur Bar hinüber.

„Wir haben Ihre Darstellung sehr bewundert“, eröffnete Dax das Gespräch. „Sie haben es geschafft, diesen ganzen Haufen hier zu verzaubern.“ Sie machte eine weit ausholende Geste, welche die gesamte Bar umfasste. „Das können nicht viele.“

„Es war nicht sehr schwer“, gestand die Frau, „es liegen hier viele verlorene Träume und Hoffnungen in der Luft. Da genügen manchmal kleine Gesten, um etwas Freude zu bringen.“

„Jadzia hatte recht, nicht wahr?“ Bashir war mit drei Gläsern an den Tisch zurückgekehrt. „Sie können die Stimmung der Leute empfangen.“

Sie nickte. „Ja, daraus kreiere ich meine Farbensymphonien. Ich könnte nicht arbeiten, wenn ich nicht wüsste, was das Publikum sich wünscht.“

„Das ist faszinierend!“ Bashir hob sein Glas an die Lippen, vergaß aber in seiner erwartungsvollen Begeisterung, die Bewegung bis zum Trinken zu Ende zu führen. „Wie sind Sie darauf gekommen?“

Maliam zuckte mit den Schultern. „Es liegt in der Familie.“ Ihre Augen schienen dabei etwas anderes zu sagen.

„Es strengt Sie jedoch an, nicht wahr?“ erkundigte sich Dax. „Ich hatte den Eindruck, Sie waren etwas ausgelaugt nach der Vorstellung.“

Sie nickte abermals. „Ja, ich setze meine gesamten Sinne dabei ein. Manchmal ist es etwas viel. Aber es lohnt sich.“

Dax betrachtete die Künstlerin nachdenklich von der Seite, während diese einen erneuten Schluck aus ihrem Glas nahm. Julian Bashir mochte ja völlig gefesselt von der Frau sein, aber der Trill kam irgendetwas seltsam vor an der Art, wie sie über ihre Arbeit sprach. Dax nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen.

„Ich muss wieder auf meinen Posten zurück“, meinte sie daher, als sie ihren Stuhl zurückschob. „Es war mir eine Freude, Sie kennengelernt zu haben, Maliam. Ich hoffe, wir werden noch weitere Darbietungen von Ihnen zu sehen bekommen.“

Maliam von Osket reichte ihr die Hand. „Bestimmt. Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“

„Julian“, verabschiedete Dax sich von dem Arzt.

Bashir lächelte ihr etwas abwesend zu und wandte sich dann wieder an die Künstlerin, als Dax gegangen war.

„Wie machen Sie das bloß?“ fragte er zum wiederholten Mal. „Ich bin immer noch im Bann ihrer Vorstellung.“

Sie lächelte offen. „Es sind Personen wie Sie, Doktor, für die ich meine Arbeit mache. Sie können sich nicht vorstellen, wie befreiend es ist, jemandem zu begegnen, der sich keine Beschränkungen auferlegt hat ... Sie sind noch jung für einen Menschen, nicht wahr?“

Bashir war von ihrer Bemerkung etwas überrumpelt worden. Natürlich hätte er jedem, der ihn gefragt hätte, wie er sich selbst einschätzen würde, eine ähnliche Antwort gegeben, wie Maliam es eben getan hatte: offener Geist, keine Beschränkungen. Aber das von einer anderen Person zu hören, war neu - und es erfüllte ihn mit Stolz.

Er lachte. „Ja, ich bin noch jung ... Danke“, setzte er dann hinzu.

„Dann hoffe ich, dass Sie es schaffen, auch im Älterwerden so zu bleiben, wie Sie jetzt sind. Lassen Sie nicht zu viele Sorgen an sich herankommen."

„Äh ... ich werde mich vorsehen“, erwiderte Bashir nun doch etwas verwirrt.

Sie spürte seinen Stimmungsumschwung und wechselte rasch das Thema. „Sie wollten wissen, wie ich die Bilder hervorrufe? Lassen Sie es mich Ihnen einfach noch einmal zeigen. Beschreiben kann ich es nicht.“

Damit hatte sie Bashir wieder unter ihrem Zauber. Eifrig nickte er seine Zustimmung, wobei ihm nicht auffiel, wie müde die Frau vor ihm wirkte. Die Faszination hatte seine ärztlichen Instinkte in den Hintergrund treten lassen.

Sie beugte sich über den Tisch und legte ihm ihre Hände an die Schläfen. „Entspannen Sie sich. Denken Sie an nichts, lassen Sie einfach Ihren Geist wandern.“

Bashir zeigte ein unsicheres Grinsen. „Soll ich die Augen schließen?“

Sie lächelte. „Wenn Sie nichts sehen wollen, bitte.“

„Oh!“

„Meine Träume spielen sich nicht im Geist ab, sie sind real. Ich erschaffe sie aus den allgegenwärtigen Elementen.“ Sie schloß die Augen und begann sich zu konzentrieren. Bashir konnte die Adern an ihrem Hals hervorstehen sehen. Die Anstrengung zeigte sich in ihrer blassen Haut.

Der junge Arzt lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Vor seinen Augen begannen sich schwache Formen und Farben zu bilden. Zum wiederholten Mal fing die Faszination ihn ein. Er war sich nicht bewusst, wach zu sein, während seine Träume sich vor ihm materialisierten - wiewohl ihm auch nicht bewusst wurde, dass andere Gäste des Quark’s seine Träume hätten beobachten können. Aber im Augenblick schenkte den beiden am Tisch in der Ecke niemand seine Beachtung.

Die Farben nahmen konkrete Formen an. Dax lachte ihm scheinbar aus der Mitte des Raumes zu. Er musste innerlich grinsen: natürlich würde es Jadzia sein. Sie schien sein Unterbewusstsein reichlich mit Beschlag belegt zu haben. Sie winkte ihm aus Umgebungen zu, die für ihn in der Vergangenheit Ruhe und Frieden bedeutet hatten. Er hatte das Gefühl, ihr zu folgen...

Plötzlich brach das Bild zusammen.

Die Verwirrung, die Bashir empfand, stand derjenigen nach dem plötzlichen Erwachen aus einem Tiefschlaf in nichts nach. Er benötigte einige Sekunden um zu realisieren, dass die Frau vor ihm wankte.

Bashir hechtete vor und fing sie auf. Automatisch griffen seine Finger nach ihrem Puls. Er schlug wesentlich zu schnell - wenn Bashir auch zugeben musste, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, genau wie schnell ihr Puls eigentlich hätte gehen sollen. Vorsichtig legte er sie auf dem Boden ab, während er über seinen Kommunikator eine Krankentrage anforderte.

„Atmen Sie ruhig durch“, er strich Strähnen ihres Haares aus der Stirn, „wir bekommen Sie sofort wieder hin.“

Die Gestalt in seinen Armen erschien plötzlich so zerbrechlich. Ihre bleiche Haut hatte ein beinahe wächsernes Aussehen angenommen und ihre Lider begannen unruhig zu flattern.

„Was ist bloß los mit Ihnen?“ flüsterte er.

* * *


„Julian!“ Dax stürmte in die Krankenstation.

Der Doktor stand über Maliams Bett gebeugt und gab hastig Anweisungen an seine beiden medizinischen Helfer. Ganz gleich, wie die Funktionen der Frau auch hätten aussehen müssen, was sich am Lebenserhaltungsmonitor zeigte, war schlecht, davon war er überzeugt.

„Was ist passiert?“ wollte Dax wissen, während sie ebenfalls die Anzeigen überprüfte.

„Sie ist plötzlich zusammengebrochen“, Bashir entleerte ein weiteres Hypospray in ihren Hals. Erwartungsvoll sah er zu den Anzeigen auf. Die Pfeile hoben sich ein wenig aus dem für Menschen bedenklichen Bereich, und er beschloss, dass es auch in diesem Fall eine kleine Stabilisierung bedeutete. Er wandte sich zu Dax um. „Was gibt es?“

„Ich habe die Datenbanken über Osket abgefragt“, teilte die Trill ihm mit, während sie ihm mit den Instrumenten half. „Der Planet ist vor vielen Jahren gestorben. Nur wenige der Rasse haben überlebt. Sie sind überall in der Galaxis verstreut.“

Bashir betrachtete die bewusstlosen Züge seiner Patientin. „Das heißt, sie ist alleine?“

Dax nickte. „Es sieht so aus. Den Dateien nach wurde die Katastrophe wahrscheinlich durch einen Defekt in der planetaren Energieversorgung ausgelöst. Aber durch die Plötzlichkeit und die Schwere des Unglücks ist wenig über die Ursache bekannt. Alleine die Planetenbewohner, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht auf Osket befanden, haben überlebt.“

„Und sie hatten keinen Anlaufpunkt mehr, um sich zusammenzutun“, schloss der Arzt.

„Es sieht so aus“, bestätigte Dax nachdenklich.

Maliam begann sich zu bewegen.

Bashir war sofort an ihrer Seite und berührte fürsorglich ihre Schläfe. „Maliam, können Sie mich hören?“

Ihre Lider flackerten kurz, dann hatten ihre Augen den Doktor fixiert. Ein müdes Lächeln zeigte sich auf ihren Zügen.

„Wie geht es Ihnen?“

„Ich glaube ganz gut“, flüsterte sie.

„Sie sehen auch schon viel besser aus“, log Bashir. Ein kurzer Blick auf die Anzeigen, sagte ihm, dass sie sich nicht wesentlich verändert hatten.

„Was ist los mit Ihnen?“ wollte er wissen.

„Ich bin müde ... ich bin alt.“

Bashir wollte eben zu der geläufigen „Aber nein, Sie sind doch nicht alt“ – Antwort ansetzen, verstummte aber doch. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie alt Maliam sein könnte. Es würde ihr sicherlich nichts nützen, wenn er ihre Intelligenz mit seinen charmanten Notlügen beleidigte.

Dax‘ besorgtes Gesicht erschien in ihrem Blickfeld. „Ihre Kunst strengt Sie mehr an, als Sie zugeben wollen, nicht wahr?“

Maliam nickte müde. „Sie entzieht mir die gesamte Energie“, gab sie zu. „Ich werde daran sterben, wie so viele vor mir daran gestorben sind.“

„Warum um Himmels Willen? Warum tun Sie das?“ wollte Bashir wissen. Seine Verzweiflung rührte zum Teil aus der Hilflosigkeit, mit der er als Arzt ihrem Zustand gegenüberstand und zum Teil aus einem tiefen Schuldbewusstsein, weil er ihre Kunst so faszinierend gefunden hatte. Dax hatte bemerkt, dass mit der Frau etwas nicht stimmte, warum nicht auch er?

Sie hob eine Hand und berührte seine Schulter. „Nein, machen Sie sich keine Vorwürfe, Doktor. Ich bereue keinen Augenblick, in dem ich durch die Galaxis gezogen bin und den einen oder anderen mit meinen Träumen glücklich machen konnte.“ Sie machte eine Pause. Dax und Bashir blickten sie immer noch besorgt und ohne Verständnis an.

„Es sind so wenige von uns übrig“, flüsterte sie. „Wir streifen durch die Galaxis, in der Hoffnung einen Partner zu finden. Das ist das Ziel unserer Existenz. Um uns die Flüge leisten zu können, müssen wir arbeiten - und das einzige, was mein Volk jemals gelernt hat, sind Träume.“ Sie schloss kurz die Augen, bevor sie fortfuhr. „Sie sind unsere Art der Kommunikation. Alle Wesen sind auf der Basis des Unterbewusstseins verbunden. Ich weiß, daß Sie es nicht wahrnehmen können, aber für uns sind es deutliche Zeichen, die jedes Zimmer erfüllen, in dem sich ein intelligenter Organismus befindet. Wir senden unsere Träume in den Raum hinaus und hoffen, dass wir damit einen Partner anlocken können.“ Sie verstummte abermals. „Es ist eine große Galaxis und wir sind so wenige ...“

„Und diese Anstrengung beansprucht Ihre gesamte Energie“, führte Dax den Satz für sie zu Ende. Sie legte der Frau eine Hand auf die Stirn.

„Schlafen Sie jetzt“, orderte Bashir leise. „Erholen Sie sich.“ Ein Blick auf die Anzeigen sagte ihm, dass er nicht mit einer Besserung rechnen konnte.

Er führte Dax von dem Bett fort. In der Ecke der Krankenstation schüttelte er den Kopf. „Ich fasse es nicht. Es nimmt mich mehr mit, als ich gedacht hätte, Jadzia.“ Sein Blick wurde drängend. „Während sie andere für ein paar kostbare Augenblicke glücklich macht, fühlt sie nichts als Trauer über ihr Leben? Sie hat alles gegeben, um jemanden zu finden, der so ist wie sie - und das alles soll umsonst gewesen sein?“

„Julian“, flüsterte die Trill. „Du weißt nicht, ob es sie nicht auch ein wenig glücklich gemacht hat.“

„Wie können Liebe und Tod so nahe beieinander liegen?“

„Sie waren es schon immer“, bemerkte Dax. „In unserer hochtechnisierten Zivilisation haben wir diese Tatsache nur einfach vergessen.“

„Doktor!“

Bashir und Dax waren sofort an Maliams Bett. Die Schwester, die Bashir gerufen hatte, zeigte stumm auf die Lebenserhaltungsfunktionen. Keine von ihnen zeigte einen Ausschlag. Maliam lag friedlich auf ihrem Bett. Kein äußeres Anzeichen deutete darauf hin, wie viele verlorene Träume sie geträumt hatte.


ENDE

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