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Warum?

von Gabi

Kapitel 1

Sie streckte unbewusst ihre Hand aus. Augenblicklich wurde sie erfasst und gedrückt. Die Berührung war kräftig und zärtlich zugleich, sprach von gemeinsamen Verlusten und begrabenen Träumen, die niemals in Worte gefasst werden würden, aber sehr wohl von Seele zu Seele kommunizierten. Ohne sich umzusehen verlagerte Kira ihren Schwerpunkt, ließ zu, dass sie ihr Gleichgewicht verlor, dass ein anderer sie auffangen würde. Der Mann, der sie ihr halbes Leben aufgefangen hatte, tat es auch dieses Mal. Behutsam legte Shakaar seine Arme um ihren Körper, ihren dicken Bauch, als sie sich an ihn lehnte.

„Das ist Lupazas Land“, bemerkte er. Es wäre nicht nötig gewesen, denn Kira hatte ihn darum gebeten, ihm das Haus zu zeigen, in dem Lupaza und Furel gelebt hatten. Doch Shakaar hatte das Gefühl, sprechen zu müssen, um der Stille nicht eine zu große Macht einzuräumen.

Kira nickte, so als hätte er ihr etwas Neues mitgeteilt. Sie versuchte, ihre Gedanken davon abzuhalten, den so bekannten - und doch so nutzlosen - Weg des wäre ich doch bloß früher hierhergekommen zu gehen. Sie hatte Lupaza versprochen, sie zu besuchen, doch sie hatte bisher keine Zeit dafür gefunden. Auf eine gewisse Weise löste sie nun ihr Versprechen ein.

„Wir schieben viel zu viel vor uns her“, flüsterte sie scheinbar zusammenhanglos. Aber Shakaar wusste sehr wohl, in welche Richtung Kiras Gedanken gingen.

„Manchmal haben wir keine andere Wahl.“

„Pflicht, Karriere, das höhere Gut - richtig?“

„Richtig...“

„Alles Blödsinn!“ erklärte sie leidenschaftlich. Shakaar hatte für einen kurzen Moment sogar den Eindruck, als hätte sich das Kind in ihrem Bauch zum Nachdruck bewegt. Er lächelte, um dann bestätigend zu nicken. „Alles Blödsinn. Wir wollen so viel auf unsere Schultern nehmen, dass wir streckenweise vergessen, wer wir überhaupt sind. Wenn wir nicht mehr die Zeit finden, der Erde unseren Respekt zu zollen, den Kopf in die Winde zu halten, die unseren Planeten umkreisen, einfach nur zu sein, in Ruhe und Einklang mit unserem Planeten... Dann hat auch alles andere, was wir jeden Tag so geschäftig glauben tun zu müssen, nicht den geringsten Sinn.“

Kira legte ihre eigene Hand auf diejenige Shakaars. „Du hast dich nicht verändert.“

„Und ich danke den Propheten dafür...“

„Ich auch.“ Sie reckte ihren Hals nach hinten und berührte Shakaars Kehle mit einem liebevollen Kuss. An sein Gesicht kam sie nicht heran, da der große Bajoraner den Blick geradeaus auf Lupazas Haus gerichtet hielt. Die zarte Berührung lenkte seine Aufmerksamkeit jedoch augenblicklich ab. Er senkte den Kopf und umfasste Kiras Lippen mit seinen eigenen. Sie brauchte seine Zuneigung genauso sehr wie er die ihre benötigte.

Als sie sich wieder voneinander lösten, schimmerte eine verlorene Träne auf Kiras Wange. „Warum sie?“ flüsterte die Bajoranerin. „Warum musste es Lupaza und Furel treffen? Der Krieg ist vorbei... ist er das etwa nicht?“

„Die Frage nach dem ‘Warum’ ist müßig, Nerys...“

„... ganz gleich, wen es getroffen hätte, jemand würde jetzt dastehen und ‘warum’ fragen. Warum also nicht ich?“

„Oh“, Shakaars Mundwinkel zuckte entschuldigend. „Das war jetzt keine neuartige Weisheit?“

Kira lächelte ein wenig, was aber nicht vollständig ihre wässrigen Augen erreichte. „Nein, Edon. Ich habe es nach jedem Einsatz von dir zu hören bekommen. Und es hat schon vor mehr als zehn Jahren nichts genützt.“ Sie zog seine Arme noch ein wenig enger um sich. „Und eines habe ich in den Jahren seit der Besatzung gelernt: Der Punkt, an dem wir aufhören ‘Warum?’ zu fragen, ist der Punkt, an dem wir beginnen zu vergessen. Und das darf niemals geschehen.“

„Du hast recht. Vergessen dürfen wir nicht, und wenn wir unter der Last der Erinnerungen ertrinken...“

Sie wandte ihren Kopf, in ihrem Gesicht lag die Frage, was er mit dieser Bemerkung gemeint hatte. Aber Shakaar hatte sich schon in Bewegung gesetzt, die kleine Anhöhe hinunter, auf welcher sie gestanden hatten, hin zu Lupaza und Furels nun verlassenem Haus.

Kira holte ihn ein und gemeinsam betraten sie schließlich das kleine Haus, das in Schnitt und Einrichtung demjenigen von Shakaars Farm sehr ähnelte. Allerdings waren die Wände anders als bei Shakaars spartanischer Einrichtung mit kleineren und größeren Gegenständen auf Regalbrettern übersät. Trotz ihrer melancholischen Stimmung musste Kira grinsen, als sie ein angesengtes Metallteil in die Hand nahm, welches auf einem kleinen Bord gethront hatte. Es trug deutlich sichtbar das Zeichen des cardassianischen Militärs. Den Aufenthaltsbereich des Hauses zierten noch etliche andere Erinnerungen an die Besatzungszeit.

„Lupazas Trophäensammlung?“ Sie hielt das Teil Shakaar entgegen, welcher gerade damit beschäftigt war, eine Duranja aus den Tüchern zu wickeln, in welche sie während des Transportes im Rucksack eingepackt gewesen war. Er blickte auf Kiras Frage hin auf und lächelte ein wenig, als er sah, auf was sich seine Freundin bezog.

„Die anderen Räume sind ebenfalls so dekoriert“, bestätigte er. „Ich glaube, es war für sie eine innere Genugtuung, sich mit diesen Stücken zu umgeben. Jeden Tag konnte sie aufstehen und wurde daran erinnert, durch welche Hölle wir gegangen sind - und vor allem daran, dass wir mit all unserem Mut überlebt...“ er verschluckte den Rest des Satzes. Sein Blick fixierte sich auf die Hände, die nun das Behältnis des Trauerfeuers aufbauten.

Kira stellte die cardassianische Trophäe rasch wieder an ihren Platz zurück. Kurze Zeit betrachtete sie den gesenkten Kopf des großen Mannes. Was mochte in ihm im Augenblick vorgehen? Kira hatte zwei gute Freunde verloren, vor allem die Frau, die sich für sie immer eingesetzt hatte - auch wenn das geheißen hatte, gegen Shakaar Stellung zu beziehen. Wen hatte Shakaar verloren? Freunde, Gefolgsleute, Geliebte - Lupaza war wie viele Frauen ihrer Gruppe eine gewisse Zeit mit ihm zusammen gewesen. Kira ahnte, dass er auch nach dem Ende des Widerstandes niemals aufgehört hatte, von ihnen als seinen Leuten zu denken. Er fühlte sich verantwortlich für jeden einzelnen der ehemaligen Gruppe, dieses Verhalten hatte er niemals ablegen können. Ob er sich nun Versagen vorwarf? Nein, das konnte er nicht. Shakaar war zwar außerordentlich emotional, aber auch immer sehr realistisch.

Kira ging zu ihm hinüber und begann mit der längerwierigen Prozedur des Niederkniens. Sogleich schoss der Kopf des Ministers wieder in die Höhe. Er sprang auf und stützte sie.

„Sei vorsichtig, Nerys“, mahnte er. „Was meinst du, was Lupaza mit dir machen würde, wenn sie sehen könnte, dass du ihr Totengebet trotz deiner fortgeschrittenen Schwangerschaft im Knien beten wolltest?“

Kira lächelte schief, war aber dankbar für Shakaars starken Arm. „Sie würde mir reichlich laut und wortreich ihre Meinung sagen“, gestand sie.

„Genau.“ Shakaar nickte. „Und da sie es in diesem Augenblick nicht kann, werde ich sie vertreten.“ Er ließ versuchsweise ihre Schultern los, so als hätte er Bedenken, dass sie sofort auf die Knie sacken würde, wenn er einen Schritt beiseitetrat. „Bleib, wo du bist“, mahnte er in gespieltem Ernst. „... bis ich dir eine bequeme Unterlage geholt habe.“

Nachdem er in einem der angrenzenden Zimmer verschwunden war, betrachtete Kira lächelnd die Duranja. „Lupaza“, flüsterte sie. „Er hat sich überhaupt nicht verändert.“

Als er wieder den Raum betrat, befanden sich Kissen und Decken in seinen Armen. Er legte sie auf die eine Seite der Duranja und arrangierte sie so, dass Kira sich schließlich in einer halb liegenden, halb sitzenden Stellung niederlassen konnte, die für sie bequem war. Erst als er das Gefühl hatte, dass seine Geliebte nun wirklich ohne Anstrengungen saß, nickte er zufrieden und kehrte auf die andere Seite zurück. Er löschte das künstliche Licht im Raum, um dann mit den traditionellen Worten das Feuer der Duranja zu entzünden.

„Lupaza und Furel. Wir knien hier im Schein eurer Flamme und beten darum, dass sie unsere Dunkelheit erhellen möchte.“ Er atmete tief durch, bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. „Ihr seid von uns gegangen - viel zu früh für unser Verständnis. Doch die Propheten hielten eure Zeit für gekommen, und wir sind nicht hier, um ihr Urteil anzuzweifeln. Ihr wart meine Freunde und in meinem Herzen werdet ihr es immer bleiben. Wir haben alles miteinander durchgemacht, was ein Leben zu bieten hat. Ihr habt meine Verluste mit mir geteilt, meine Trauer und meine glücklichen Stunden. Wir haben unseren Teil dazu beigetragen, dass Bajor frei atmen kann. Ohne euch wären wir vielleicht heute nicht hier. Mein Leben lag so oft in eurer Hand. Ihr wart meine Familie, ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie ein Leben ohne euch aussehen wird, doch ich werde mich an diesen Gedanken schneller gewöhnen müssen, als ich das jemals gedacht hätte. Ihr habt mir so viel bedeutet, und ich kann nur zu den Propheten flehen, dass ich in der Zeit, die uns gegeben war, euch das deutlich gemacht habe. Bajor wird vielleicht ein klein weniger hell strahlen ohne euch - mein Leben wird das jedenfalls.“ Shakaar machte eine kurze Pause, in welcher Kira das Gefühl hatte, dass er mit seinen Tränen kämpfte, dann hob er den Kopf. Die Flammen spielten verfremdend mit seinen Zügen, auf denen sie nun deutlich die Feuchtigkeit sehen konnte. „Propheten, nehmt das pagh dieser beiden wundervollen Freunde auf. Lasst sie an eurer Seite wandeln, beschützt sie und geleitet sie sicher durch die Tore der Himmel. “

Kira sah ihn über das Feuer hinweg an. Er weinte offen, ohne dabei jedoch den Blick abzuwenden. In diesem Augenblick liebte sie ihn, wie sie ihn noch nie zuvor geliebt hatte.

Ihre eigenen Gefühle nicht zurückhaltend richtete sie sich ein wenig weiter auf - es erschien ihr schon respektlos genug, dass sie nicht kniete. Aber Shakaar hatte recht, Lupaza selbst hätte ihr das aufs Eindringlichste verboten. „Ich war nicht halb so oft mit euch zusammen, wie ich mir das jetzt wünschen würde. Aber kommen die Einsichten nicht immer dann, wenn es zu spät ist? Auch ich habe euch als meine Familie empfunden, als die Bajoraner, vor denen ich weinen konnte ohne davor Angst zu haben. Ihr seid zu mir gekommen, um mich zu beschützen. Habt alles stehen und liegen lassen und seid in euren Tod gelaufen. Ich weiß, dass ihr das offenen Auges getan habt... aber, “ sie brach ab, ein schwaches Schluchzen bewegte ihre Schultern, „bei den Propheten, ihr seid für mich gestorben. Ich hätte an eurer Stelle sein sollen, mir galt die Explosion. Ihr seid tot, weil ich es nicht bin... ich...“ Sie schwieg. Auf der anderen Seite bewegte sich Shakaar und rutschte zu ihr herüber. Seine hellen Augen versuchten ihr eindringlich die Botschaft zu übermitteln, dass sie sich nicht in diese Richtung verrennen sollte. Seine Finger berührten ihren Handrücken nur leicht, um nicht in ihre Privatsphäre einzudringen. Kira nickte. „Ich bitte euch, verzeiht mir. Ich sehe euch wieder, wenn meine Zeit gekommen ist. Bis dahin flehe ich die Propheten an, dass sie euer pagh erkennen und uns dereinst nicht alle nur nach dem richten werden, was wir getan haben.“ Sie machte ihre Hand von derjenigen Shakaars los und griff sich an ihr rechtes Ohr. Den gelösten Ohrring wog sie ein paar Sekunden in der Hand, dann legte sie ihn an den Rand der Duranja. „Danke, Lupaza. Du hast mir so viel gegeben.“

Sie saßen beide noch lange Zeit um das Feuer ohne ein Wort zu sprechen. Jeder von ihnen gefangen in seiner eigenen kleinen Welt, seinen eigenen privaten Erinnerungen. Ihre inneren Zwiegespräche besaßen als einzige Zeugen die Propheten.

Als das Feuer beinahe niedergebrannt war, erhob Shakaar sich. „Ruh dich ein wenig aus, Nerys. Ich möchte nach den Feldern hinter dem Haus sehen.“

„Nein“, Kira machte Anstalten sich zu erheben. „Ich möchte mitkommen.“

Er nickte und half ihr auf. Gemeinsam schritten sie durch die Hintertür aus der ruhigen, kerzenbeschienen Dunkelheit ans Licht. Etliche Meter vom Gebäude entfernt blieb Shakaar stehen. Sie hörte sein kurzes freudloses Lachen, dann streckte er die Hand aus und meinte, ohne sich umzudrehen: „Sie haben gekeimt.“

Kiras Blick folgte Shakaars Arm. Das Feld, welches sich hinter dem Haus erstreckte, war fein säuberlich geharkt und bearbeitet worden - eine mühsame Arbeit, die Kira Lupaza noch vor einem Jahr niemals zugetraut hätte. Lupaza gehörte in ihrer Vorstellung genauso wenig auf ein Feld, wie Kira sich selbst darauf vorstellen konnte. Und auf diesem Feld streckten nun Halme ihre Köpfe in die Luft. Nicht vereinzelt und dem Boden trotzend, sondern in großer Zahl, in Reih und Glied, voller Zuversicht und Vertrauen in die Nahrung, welche die Erde und der Regen ihnen versprachen.

„Das erste Mal.“ Shakaar ließ sich auf ein Knie hinunter. Seine Finger berührten die hellgrünen Halme. „Dieses Jahr wäre das erste Mal gewesen, dass sie hätten ernten können. Die oberen Schichten des Bodens sind endlich wieder hergestellt und von den cardassianischen Giften befreit worden.“ Er nahm eine Handvoll dieser Erde auf und streckte sie Kira entgegen, als ob diese dem braunen Substrat hätte ansehen können, ob es fruchtbar war oder nicht. „Bei den Propheten, du hast recht. Manchmal muss man einfach ‘Warum?’ fragen!“

Sie nickte schweigend. Ihr erster Impuls war es gewesen, feierlich im Angesicht der Propheten zu erklären, dass Lupazas letzte Saat nicht umsonst gewesen wäre, dass sie, Kira Nerys, dafür sorgen würde, dass das Getreide reifen würde. Es war die Reaktion, die der Moment erforderte, es war das Versprechen an eine tote Freundin, an deren Träume. Alles in Kira sehnte sich danach, diese Worte auszusprechen, doch sie schwieg. Sie wusste genau, dass sie das Versprechen nicht würde einhalten können. Sie würde wieder einmal keine Zeit für diejenigen kleinen Dinge finden, die wirklich wichtig waren...

Dankbar hörte sie Shakaars Worte, die ihr den Druck von der Seele nahmen. „Ich werde veranlassen, dass Lupaza nicht umsonst gesät hat.“

ENDE

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