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Chef

von Jimaine

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Wenn die Frühschicht noch im Bett liegt und die Nachtwache anfängt, die Minuten bis zur Wachablösung zu zählen, bin ich schon längst wach. In meinem Job ist Timing alles; kleinste Nachlässigkeiten hätten langwierige Folgen, die ich mir gar nicht vorstellen mag.

Die Morgenstunden sind am schlimmsten. Von wegen *Gold im Mund*, hah, alles andere als das! Die Horde unausgeschlafener Konsumenten, die glattrasiert und ordentlich gekämmt durch die Tür stolpert mit Gesichtern, die längst nicht so frisch aussehen wie ihre Uniformen, bevorzugt Blaubeerpfannkuchen, Omelett, Rührei mit Speck oder ähnliche Cholesterinbomben.

Die Gesundheitsbewußten nehmen Müsli, Obst oder Porridge. Und natürlich darf Kaffee nicht fehlen, in rauhen Mengen – auch koffeinfrei – und das vielfältige Angebot an Tees und Säften. Das Frühstück ist schließlich, wie man so schön sagt, die wichtigste Mahlzeit des Tages und so behandele ich es auch. Ein schlechtes Frühstück kann den ganzen Tag ruinieren, also sehe ich zu, daß die Croissants noch ofenwarm sind und die Brötchen richtig knusprig. Sonntags hole ich auch mal einige Gläser von Mamans selbstgemachter Marmelade heraus – niemand soll mir nachsagen, daß ich mich nicht um meine Crew sorge! Vom Captain bis zum einfachen Wartungstechniker - ohne mich wären sie verloren. Ohne Waffen oder Dusche ließe es sich zur Not noch leben, aber ich bin der Dreh- und Angelpunkt auf diesem Schiff.

Naja, ich und meine Mitarbeiter. Ganz alleine ließe sich das organisierte Chaos nicht meistern und ich ziehe es vor, mit Töpfen, Pfannen und Messern zu hantieren. Die Bewirtung übernehmen wenige Auserwählte, die meinen strengen Kriterien entsprechen. Nicht jeder ist zum Steward geboren und manche Dinge lassen sich nicht erlernen. Geht ja schon beim Gedächtnis los. Peinlich, wenn man sich keine Namen merken kann. Nicht so meine Jungs. Sie kennen jeden, alle individuellen Vorlieben, wer sein Ei lieber hart mag und wer extra viel Fruchtfleisch im Orangensaft bevorzugt. Allergien, besondere Ernährung aus religiösen Gründen – sie wissen es genauso gut wie ich. Selbstverständlich auch Geburtstage, denn wer mag es nicht, am Geburtstag eine persönliche Note in seinen Mahlzeiten zu haben, so als sei man zu Hause bei der Familie?

Reicht ja nicht, daß das Schiff gut funktioniert, die Crew muß auch in Ordnung sein und Essen hält bekanntlich Leib und Seele zusammen.

Dabei *wollte* ich diesen Job gar nicht! Keine zehn Pferde hätten mich dazu bewegt, meinen Job im europäischen Starfleethauptquartier in Genf aufzugeben! Schon gar nicht, um statt dessen die Crew eines Raumschiffs zu bekochen und mich den Gefahren des Weltraums auszusetzen. Hier kann schließlich jede Sekunde gottweißwas passieren und ich bin kein begeisterter See - und schon gar kein Raumfahrer! Sobald ich aus dem Fenster blicke und die bei Warpfaktor 1-5 zu Streifen verzerrten Sterne sehe, wird mir übel. Ich werde ja schon seekrank, wenn ich Wellenrauschen nur höre...

Porree, Kartoffeln, Fleisch...die Bohnen sind in zehn Minuten gar... Die Frühstückszeit ist noch nicht ganz vorbei, doch die Vorbereitungen fürs Mittagessen laufen schon auf Hochtouren. Aber vermutlich denken die meisten, wir hier in der Küche würden den ganzen Tag nur plaudern, vielleicht gelegentlich eine Suppe umrühren und vom Pudding naschen und ansonsten den angenehmsten Job auf dem Schiff haben.

Weit gefehlt.

Ich möchte den, der es wagt, mich des Nichtstuns zu bezichtigen, mal einen Tag an diesem Herd erleben und mitansehen, wie er spätestens nach fünf Stunden und drei fehlgeschlagenen Versuchen, eine genießbare Hollandaise anzusetzen, zu einem Häufchen Elend zusammenschrumpft.

So, noch ein Löffel Crème fraîche in die Tomatensuppe, etwas Basilikum und fertig. Die Zwiebeln für das Curry sind auch schon vorbereitet, sehr gut, die Hähnchenstücke sind jetzt nämlich lange genug mariniert. Reiswasser kocht...die Fuhre Basmati steht bereit... Ein Blick nach draußen – gut, Taylor deckt bereits die Tische. Danach widmet er sich hoffentlich sofort dem Obstsalat, der heute für den Nachtisch vorgesehen ist. Alternativ dazu stehen mehrere Schalen Mousse au Chocolat – weiß und dunkel – in der Kühlung, damit auch Allergiker wie zum Beispiel unser verehrter Sicherheitschef Lieutenant Reed nicht auf was Süßes verzichten müssen.

Sehr gut, Taylor, jetzt nur noch das zusätzliche Fischbesteck ins Eßzimmer des Captains – er hat heute mal wieder seine ganzen Offiziere zum gemeinsamen Essen eingeladen, ohne darauf zu achten, was er damit meinem Zeitplan antut, denn das Essen für den Captain und seine persönlichen Gäste serviert traditionsgemäß der Koch selbst. Herzlichen Dank. So nett Captain Archer ist, ich habe keinen Grund, ihm für meinen Transfer zur Enterprise dankbar zu sein.

Natürlich fühle ich mich auf einem gewissen Level geschmeichelt, daß der Captain zum Äußersten gegangen ist, um ausgerechnet mich für die Enterprise zu bekommen – wer wäre das nicht? Auf dem Lebenslauf macht es sich gut, *verantwortungsvolle Tätigkeit in leitender Position auf dem Flaggschiff der Sternenflotte*. Aber mich hat niemand wirklich gefragt, ob ich das auch will. Mein Vorgesetzter in Genf erzählte lediglich von den unzähligen Gefallen, die Archer angeblich eingefordert hat, um mich zu bekommen, und schickte mich nach San Francisco. Nächster Stop Weltraum. Himmel, wodurch habe ich mich so von der Menge bei Starfleet angestellter Spitzenköche abgehoben, daß ich an einem Tag noch fröhlich und nichtsahnend meine Scholle mit Weißweinsoße serviere und am nächsten meine Koffer packen darf mit Reiseziel Enterprise? Alles ging auf Zuruf und furchtbar plötzlich. Wie so manches hier an Bord. Jeder hält es für normal, zu jeder Mahlzeit vier verschiedene Gerichte zur Auswahl zu haben und rund um die Uhr etwas Eßbares in den Warmhaltefächern vorzufinden sowie heiße Getränke nach Bedarf.

Normal ist das nicht. Aber solange niemand sich beschwert oder auf Austern und Champagner zum Frühstück besteht, erfülle ich meine Pflicht und beschwere mich ebenfalls nicht. Ich bin ja schon zufrieden, mehrere Tage am Stück meinem Kochplan folgen zu können, ohne daß der Captain in meiner Küche auftaucht und Sonderwünsche anmeldet! Sonderwünsche! Von der oft nie vorhandenen Vorwarnzeit ganz zu schweigen. Ich kann von Glück sagen, wenn man mir drei Stunden zum Improvisieren gibt.

*Lassen Sie sich was einfallen.* Natürlich. Wer bin ich, bitte, David Copperfield mit dem Rührlöffel? Ich jongliere schon an normalen Tagen einen vielseitigen Speiseplan, der allen Ernährungsvorschriften nicht nur entspricht, sondern gleichzeitig Klasse und Stil aus diversen Eßkulturen der Erde meisterhaft kombiniert – und dann so was! Wenn wir nicht bald zu einem Einvernehmen bezüglich seiner Forderungen und meiner möglichen Leistungen kommen, kündige ich, dann kann er sehen, wo er bleibt! Oder was er ißt.

Hin und her zwischen den Planeten, heute hier morgen dort, alle paar Tage kommen Gäste an Bord, die selbstverfreilich auch verköstigt werden wollen und das nicht gerade mit Erbseneintopf. Der Cocktailempfang ist dann eine logische Begleiterscheinung und muß schon gar nicht mehr extra erwähnt werden. Ob der Mann auch nur einen Schimmer hat, was für logistische Alpträume er verursacht? Er macht aus meiner Küche eine Touristenattraktion und wehe der erste Eindruck ist nicht gleichzeitig der beste. *Der beste Koch der Sternenflotte*...Komplimente ändern an den Tatsachen absolut nichts.

Nun, solange sie mir nicht beim Kochen über die Schulter schauen wollen, diese einundachtzig Menschen, von denen jetzt gut zwei Dutzend die Tische der Kantine füllen und deren Unterhaltungen in losen Fetzen bis nach hinten zu mir in die Küche dringen.

Einundachtzig Menschen – meine Wenigkeit mitgerechnet – plus einer Vulkanierin, einem Denobulaner...und einem Hund. Beim Gedanken an diesen Hund bekomme ich Gänsehaut. Einmal hätte es diese kleine schlappohrige Flohkutsche fast geschafft, in meine Küche einzudringen, gerade an dem Tag, als ich mitten in den Vorbereitungen für Bandnudeln mit Kalbsgeschnetzeltem à la Stroganoff steckte.

Wie die meisten Vertreter meines Handwerks kann ich mit Tieren nichts anfangen. Tiere – nichts mehr als Bazillenschleudern und lästige Anhängsel. Weshalb der Captain – sonst doch ein recht vernünftiger Mann – ausgerechnet diesen Hund mit an Bord bringen mußte, übersteigt die Grenzen meines Vorstellungsvermögens.

Den Schneebesen in der Hand wage ich einen prüfenden Blick um die Ecke. Taylor und Chen sind dabei, wieder Ordnung herzustellen, was ein Abwischen der Tische und das Reinigen der Wandfächer beinhaltet, ebenso wie verbliebene Portionen in einem Fach zusammenzustellen und Platz für die nächste Runde des Tages zu schaffen.

Bessere Gehilfen hatte ich auch in Genf nicht gehabt. Sie machen die anderen widrigen Arbeitsumstände direkt erträglich, gestehe ich mit einem Lächeln ein und binde eine frische Kochschürze um.

Vier Stunden bis zu den ersten Vorbereitungen fürs Abendessen. Bis dahin könnte ich mich mal wieder an meinem Karameleis-Projekt versuchen, einem Langzeitexperiment und Rezept im ständigen Wandel, denn noch habe ich es nicht perfektioniert. Irgendwie fürchte ich den Tag, an dem ich nichts mehr verbessern kann. Dann muß ich mir nämlich was Neues für meine Freizeit einfallen lassen und ich bin nicht der Typ für Puzzle oder Hobbygärtnerei.

Mein Plan sieht für heute abend Lachssteak mit Broccoli, Quiche Lorraine, Chili con Carne und gefüllte Paprika mit Reis vor. Erdbeeren mit Sahne oder drei Sorten Joghurt als Nachtisch. Und bislang noch keinerlei Anzeichen für ungeplante Änderungen. Sieht aus, als könnte das mal ein ganz normaler Tag werden.

Fröhlich pfeifend hole ich das gespülte Geschirr aus der Maschine und fange dann an, den Schinken für die Quiche zu würfeln. Ach, das Leben kann so schön sein.

Ein unmerkliches Zittern durchläuft das Schiff und mein Magen hängt im nächsten Moment in meinen Kniekehlen. Zurück im Normalraum, endlich. Dachte schon, ich würde diesen Monat die Sterne gar nicht mehr in ihrem Normalzustand sehen. Wenn das bis zum Abend so bleibt, besteht tatsächlich Hoffnung, ins Bett gehen zu können, ohne vorher meine Tabletten gegen Reisekrankheit nehmen zu müssen!

Dem Universum sei gedankt für kleine Gefälligkeiten.

Die Zeit vergeht wie im Fluge, wenn man etwas tut, das einem Spaß macht. In allen Töpfen brodelt es und Teller für Teller wandert nach vorne zum wartenden Verbraucher. Mein Tageswerk ist nahezu vollbracht und niemand hat sich beschwert. Zufrieden kratze ich mit der Kelle den letzten Rest Chili aus dem Topf und nehme mir die Zeit für zwei Bissen von meinem Stück Quiche. Auch der Koch muß zwischendurch mal essen.

Was sagt die Uhr? Acht. Fast geschafft. Die Spülmaschine anschalten, die vorbereiteten Portionen für die Spätschicht und eventuelle Nachzügler in die Wandeinheiten einräumen, noch einmal den Kaffeestand im Thermosbehälter kontrollieren und sicherstellen, daß noch genug Tassen vorhanden sind und Commander Tucker noch etwas Pecankuchen für seine achtzig Mitmenschen übriggelassen hat.

Alle Arbeitsflächen sind geputzt, Töpfe und Messer sind sauber und gebrauchsfertig. Morgen früh wird als erstes Pasta gemacht, damit gegen Mittag nicht die Panik ausbricht. Und der Teig für Käsekuchen New Yorker Art...ich darf den Teig nicht vergessen!

Mit einem Gähnen mache ich das Licht aus und verriegele die Tür zur Küche. Den Zugangscode kennt außer mir nur Lieutenant Reed und der ist der letzte, dem ich einen mitternächtlichen Überfall auf meine Vorräte zutraue.

In neun Stunden geht es wieder los, Starfleets meistdekorierter Starkoch tritt an zu einem weiteren Kochduell.

Gute Nacht. Bis morgen. Bon voyage et appétit.

- FINIS -
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