TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Asche 02 - Schreie in der Nacht

von Martina Strobelt

Teil 2

Serina Tireks Fingerspitzen strichen sanft, beinahe zärtlich über die Platte des Schreibtisches. Das Ministerium für Wirtschaft und Handel war in einem der wohl ältesten Gebäude der bajoranischen Hauptstadt untergebracht, und die Einrichtung des kleinen Büros, das man Serina zur Verfügung gestellt hatte, zeugte ebenfalls von hohem Alter. Serina konnte sich nicht daran erinnern, auf Cardassia jemals einen Schreibtisch gesehen zu haben, der nicht aus Metall bestand, sondern aus schwerem, dunklem Holz, in dem Alter und Zeit ihre Spuren hinterlassen hatten. Graue Fliesen bedeckten den Boden, und vor den hell gestrichenen Wänden hoben sich der massive Schreibtisch und der Stuhl mit dem weinroten Polster und den elegant geschwungenen Lehnen im Rücken- und Armbereich wie antike Kunstwerke ab, die dort für das Auge des Betrachters platziert worden waren. Ein Eindruck indessen, der durch das moderne Computerterminal, das auf dem Tisch stand, gestört wurde.

Durch drei nebeneinander angeordnete Fenster blickte man hinunter auf die wunderschöne, weitläufige Parkanlage des angrenzenden Klosters.

Einige Minuten verharrte Serina in der Betrachtung der Büsche und Bäume versunken.

Auf Cardassia mit seinem heißen, trockenen Klima, gab es nicht annähernd eine derart üppige Vegetation.

Oder besser ausgedrückt, es hatte sie nicht gegeben, verbesserte Serina sich in Gedanken.

Die Berichte, die sie erhalten hatte, hatten ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen.

In den nächsten Jahren würde auf Cardassias verseuchter Erde ohne Sonnenlicht und Wärme nichts wachsen, und es würde allein die Hilfe von außen sein, die ihr Volk vor dem Hungertod bewahren würde.

Einmal mehr verspürte die Cardassianerin tiefe Dankbarkeit gegenüber Shakaar und all jenen Bajoranern, deren Stimmen den Premierminister in seinem Amt bestätigt hatten.

„Sie wollten mich sprechen?“

Tirek drehte sich zu der Frau um, die sie interessiert musterte.

„Captain Yates?“

„Die bin ich. Bitte entschuldigen Sie mein formloses Eindringen. Ich habe geklopft, aber offenbar haben Sie es überhört.“

„Das habe ich wohl“, meinte Serina. „Es tut mir leid, ich muss mich erst daran gewöhnen, dass die Türen dieses Gebäudes nicht elektronisch gesteuert werden.“

Kasidy lächelte. „Ich kenne dieses Gefühl. Als ich das Wirtschaftsministerium zum ersten Mal betrat, wirkte alles hier auf mich ziemlich seltsam, um nicht zu sagen antiquarisch. Doch inzwischen genieße ich es, mich in diesen Räumen aufzuhalten. Sie strahlen so viel Würde und Erhabenheit aus.“

„Das ist richtig“, stimmte Serina zu.

Einige Sekunden schwiegen beide in stummer Übereinkunft.

„Bitte, nehmen Sie Platz, Captain Yates“, forderte Serina ihre Besucherin auf. „Ich bin Serina Tirek und habe, wie Sie vielleicht schon wissen, auf Wunsch der bajoranischen Regierung die Leitung und Koordination der Hilfslieferungen für Cardassia übernommen.“

„Eine schwierige Aufgabe.“

„Bei der ich auf Ihre Unterstützung hoffe.“

Serina aktivierte ihr Terminal und drehte es so herum, dass Kasidy das Display sehen konnte, auf dem das Gesicht einer Cardassianerin erschien.

„Ihr Name ist Natima Lang“, erläuterte Tirek. „Sie hat als Professorin für Politik einige Jahre an einer cardassianischen Universität unterrichtet, bevor sie ein führendes Mitglied der Dissidentenbewegung wurde. Sie hat im cardassianischen Widerstand gegen das Dominion gekämpft, und laut den Informationen, die ich erhalten habe, soll sie nach dem Ende des Krieges auf Cardassia Prime ein Krankenhaus eingerichtet haben. Ich möchte, dass Sie nach Cardassia fliegen und Kontakt mit Natima Lang aufnehmen und ihr in meinem Namen und dem von Premierminister Shakaar das Hilfsangebot der bajoranischen Regierung unterbreiten. Es wird allerdings nicht leicht werden, sie zu finden. Die Hauptstadt liegt in Trümmern, und es regiert das Chaos. Doch ich bin sicher, dass Sie es schaffen werden. Das heißt“, Serinas Blick streifte die Wölbung, die sich unter Kasidys Jacke abzeichnete, und welche sie offenbar gerade erst bemerkt hatte, „sofern Ihr Zustand dem nicht im Wege steht.“

Yates zog die Jacke über ihrem Bauch zusammen. „Ich bin schwanger, nicht krank!“ stellte sie fest. „Warum gerade ich?“ lenkte Kasidy das Gespräch zurück zum ursprünglichen Thema. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass sie sich in der Tat nicht sonderlich wohl fühlte. Seit Anbeginn der Zeit hatten Frauen Kinder ausgetragen, ohne darum Aufhebens zu machen. Sie würde deswegen jetzt keine Schwäche zeigen. Der errechnete Geburtstermin lag noch in weiter Ferne, und Alpträume waren ebenso wie gelegentliche Übelkeit nichts, das sie davon abhalten würde, ihre Arbeit zu tun.

„Sie arbeiten zwar für das bajoranische Wirtschaftsministerium, doch Sie sind eine Bürgerin der Föderation“, antwortete Serina Tirek. „Das wird es Natima Lang erleichtern, der Aufrichtigkeit des Angebots zu vertrauen. Außerdem wäre es für einen Bajoraner gefährlicher als für Sie, sich auf Cardassia zu bewegen. Leider schwelt in den Herzen meiner Landsleute noch immer Hass auf Bajor.“

Yates fragte nicht, weshalb Serina Tirek das Angebot nicht persönlich überbringen wollte. Es gehörte nicht allzu viel dazu, sich auszumalen, wie beliebt eine Cardassianerin bei ihrem Volk war, die ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatte, um auf Bajor zu leben. Serina Tireks Leben wäre daheim auf Cardassia mindestens so gefährdet wie das eines Bajoraners, vermutlich sogar um einiges mehr.

„Wieso Natima Lang?“ erkundigte Kasidy sich stattdessen. „Wäre es nicht sinnvoller, sich in dieser Angelegenheit an die cardassianische Regierung oder an das Militär zu wenden?“

„Cardassia wurde vom Dominion regiert“, erinnerte Serina mit einem Anflug von Bitterkeit. „Legat Damar ist tot, und der Rest der sogenannten cardassianischen Regierung teilt entweder dieses Schicksal oder befindet sich wegen Kollaboration mit dem Dominion auf der Flucht vor der Rache des Volkes. Soweit mir bekannt ist, hat sich bisher noch keine neue Regierung gebildet. Und was das Militär betrifft ...“

Serina beendete ihren Satz nicht.

* * *


Sakura Dukat lehnte sich zurück und musterte den Mann, der von einer Wache in ihr Büro geführt worden war. Sofern das dunkle, feuchte, kalte Loch in der schäbigen Baracke diese Bezeichnung überhaupt verdiente. Im Gegensatz zu den meisten Angehörigen des cardassianischen Militärs hatte Glin Sakura Dukat lange vor dem Ende des Krieges die Seite gewechselt und gegen das Dominion gekämpft. Da alle ihre Vorgesetzten entweder im Kampf gegen die Jem’Hadar gefallen oder schwer verletzt worden waren, hatte sie das Kommando über die Truppen in der Hauptstadt übernommen und angefangen, die Reste der Einheiten aus den fünf Provinzen unter ihrem Befehl in der Hauptstadt zusammenzuziehen. Da sie in den Reihen des Militärs als Gul Dukats Schwester und daneben Heldin des Widerstands gegen das Dominion hohes Ansehen genoss, hatte sich niemand gefunden, der ihren Anspruch auf Führung der Truppen ernsthaft in Frage stellte. Die wenigen Offiziere, die nicht damit einverstanden gewesen waren, dass eine einfache Glin, zudem noch eine Frau, den Oberbefehl über die Reste des cardassianischen Militärs hatte, waren auf Sakuras Anordnung beseitigt worden, bevor sie zu einer Bedrohung ihrer Macht werden konnten. Die meisten Offiziere jedoch verehrten Sakura, und die einfachen Soldaten beteten ihre stolze und schöne Kommandantin förmlich an.

Sakura kannte den Mann, der vor der wackeligen Kiste stand, die ihr als Schreibtisch diente, flüchtig. Die Rangabzeichen an seiner schwarzbraunen, verdreckten und zerlumpten Uniform hätten sie in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort veranlasst, aufzustehen und Haltung anzunehmen. Doch sie kommandierte alle auf Cardassia verbliebenen Truppen. Sie war sich der uneingeschränkten Loyalität ihrer Offiziere und Soldaten sicher.

Sie hatte den Befehl, er nur den Rang, der angesichts ihrer Macht bedeutungslos war.

Gul Madred war sich dessen ebenfalls schmerzlich bewusst, weswegen er Sakura ungeachtet seines höheren Ranges wie einen vorgesetzten Offizier ansprach: „Ich danke Ihnen, Glin Dukat, dass Sie sich die Zeit für mich und mein Anliegen nehmen.“

Madred empfand die Demütigung, die das Schicksal ihm abforderte, indem es ihn zwang, sich vor einer tieferrangigen Militärangehörigen, einer Frau, derart zu erniedrigen, umso bitterer, als es sich dabei ausgerechnet um Dukats Schwester handelte. Die Schwester des Mannes, mit dem ihn eine jahrelange Rivalität verbunden hatte. Doch dies war nicht der Moment für Stolz. Sakura Dukat verfügte über das, was er brauchte: Macht.

„Was kann ich für Sie tun, Gul Madred?“ erkundigte Sakura sich höflich. Da Gul Madred ihre neue Position widerspruchslos anerkannte, gab es keinen Grund, ihm die Achtung zu verweigern, die einem Offizier des cardassianischen Militärs gebührte.

„Die Frage sollte lauten, was Sie für Cardassia tun können“, berichtigte Madred.

Immer und immer wieder hatte er sich in den vergangenen Wochen verzweifelt gefragt, wie er es schaffen konnte, dem Elend zu entrinnen, in das er vom Schicksal gestürzt worden war. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, Cardassia zu verlassen und anderswo wieder etwas zu werden, hätte er es getan. Doch nun hatte das Blatt sich ganz unverhofft zu seinen Gunsten gewendet.

„Erklären Sie das näher“, forderte Sakura ihn auf.

„Mit Vergnügen.“ Madred ergriff die Lehne des Stuhles, der vor dem Tisch stand. „Darf ich?“

Sakura nickte.

„Cardassia befindet sich in einer gefährlichen Situation“, fuhr der Gul fort, nachdem er sich gesetzt hatte. „Die frühere Regierung existiert nicht mehr. Cardassia ist führerlos, und damit wehrlos gegenüber seinen Feinden, den äußeren wie den inneren. Dieser Zustand stellt permanente Bedrohung für unsere Welt und alle Werte dar, die für Sie und mich von Bedeutung sind.“

„Wenn ich Sie richtig verstehe, schlagen Sie vor, diesen Zustand zu ändern.“

„Cardassia braucht wieder eine Regierung. Eine starke, militärische Regierung. Sie und ich könnten es übernehmen, für die Bildung einer solchen zu sorgen.“

Es war ein kühner Vorschlag. Noch vor einem Tag hätte er nicht gewagt, auch nur davon zu träumen, Mitglied einer neuen Regierung zu werden. Doch die Zeiten hatten sich buchstäblich binnen Sekunden geändert. Sakura war die Tür. Das Schicksal hatte ihm den Schlüssel zugespielt. Nun lag es allein an ihm, die Tür zu öffnen.

„Eine interessante Überlegung“, bemerkte Sakura, die längst ähnliche Gedanken gehegt hatte. „Allerdings frage ich mich, was Sie veranlasst, zu glauben, ich würde Sie in irgendeiner Weise an der Bildung einer solchen neuen Regierung beteiligen?“

„Der Umstand, dass es ein geringer Preis für die Information ist, die ich Ihnen im Austausch dafür anbiete“, erwiderte Gul Madred lächelnd. „Sie betrifft unseren gemeinsamen Freund Garak.“

* * *


Kasidy Yates starrte den Bajoraner in der rostbraunen Uniform an, als hätte sie sich verhört. Doch der Ausdruck seines Gesichtes war unnachgiebig, und um seine Lippen spielte ein selbstgerechtes, fast boshaftes Lächeln.

„Wie ich bereits sagte, Captain Yates“, wiederholte er in einem Tonfall, als ob er mit einem störrischen Kind sprechen würde, „ich halte mich lediglich an die Vorschrift, die für jedes Schiff im bajoranischen Dienst eine regelmäßige Wartung vorschreibt.“

„Die Xhosa ist in tadellosem Zustand!“

„Das behauptet jeder Captain von seinem Schiff. Glauben Sie mir“, ergänzte der Bajoraner gönnerhaft, „ich werde nichts lieber tun, als Ihre Vermutung zu bestätigen - nach der Inspektion!“

„Hören Sie“, begann Kasidy, „ich habe einen dringenden Auftrag vom Handelsministerium zu erledigen. Sobald ich zurück bin, werde ich Ihnen gerne zur Verfügung stehen.“

„Bedaure“, lehnte er ab. „Vorschrift ist Vorschrift.“

„Wie praktisch“, bemerkte Kasidy erbost. „Besonders wenn es sich um ein Schiff handelt, mit dem Hilfsgüter nach Cardassia gebracht werden sollen, nicht wahr?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Oh, doch, das wissen Sie ganz genau! Dieses Schiff untersteht dem Ministerium für Handel und Wirtschaft. Sie haben hier keine Befehlsgewalt!“

„Niemand will Ihnen etwas befehlen, Captain. Allerdings befürchte ich, dass Sie ohne meine Genehmigung keine Starterlaubnis erhalten werden, und ich darf doch davon ausgehen, dass Sie nicht vorhaben, bajoranischen Luftraum zu verletzen?“

„Dazu haben Sie kein Recht!“

„Sie irren sich“, widersprach er sanft. „Natürlich steht es Ihnen frei, sich beim Ministerium für zivile Raumfahrt zu beschweren.“

Kasidy war kurz davor, ihre Beherrschung zu verlieren. Sie erinnerte sich dunkel daran, dass Kira erwähnt hatte, dass etliche Minister dem Hilfsprogramm nicht nur kritisch, sondern ablehnend bis feindlich gegenüberstanden, und es war offensichtlich, dass der Minister für zivile Raumfahrt zu denjenigen gehörte, die mit Premierminister Shakaar nicht übereinstimmten. Doch Kasidy hätte nie erwartet, dass die Gegner der Hilfslieferungen so weit gehen würden, deren Durchführung in dieser Weise zu behindern.

„Worauf Sie sich verlassen können!“ erklärte sie kalt. „Allerdings werde ich mich nicht an das Ministerium für zivile Raumfahrt, sondern an Premierminister Shakaar wenden. Ich bin sicher, dass er sich für Ihre Auslegung bajoranischer Wartungsvorschriften brennend interessieren wird.“

Sein arrogantes Lächeln erlosch.

Doch für Kasidy war nur ein kleiner Triumph angesichts der bedrückenden Tatsache, dass die Xhosa bis auf weiteres im Hangar würde bleiben müssen.

* * *


Anouk sah die Schwester fragend an. Als draußen der Krach von brechendem Glas und gedämpften Schreien begonnen hatte, war sie auf seine Anweisung an die Tür des Krankensaales gerannt. Sie wechselte einige hastige Worte mit einem Pfleger, der für den Dienst im Stockwerk unter ihrem eingeteilt war, dann drehte sie sich um und lief zu Anouk.

„Eine Patrouille!“ stieß sie atemlos hervor. „Sie suchen offenbar nach jemandem, der sich im Krankenhaus verstecken soll.“

„Beruhigen Sie sich, es gibt nichts zu befürchten.“ Mit einem Nicken schickte der Arzt die Schwester zurück an ihre Arbeit. Über das Bett des Patienten, dessen Behandlung er gerade beendet hatte, traf Anouks Blick denjenigen Garaks, der den grauen Kittel eines Pflegers trug.

Garak verfügte über erstaunlich fundierte medizinische Kenntnisse, daher hatte Anouk ihn, wenn auch widerwillig, zu seinem Assistenten ernannt. Im Umgang mit den Kranken hatte Garak viel Geschick und eine unerwartete Sanftheit an den Tag gelegt. Doch jetzt war seine Miene alles andere als sanft. Seine Haltung drückte angespannte Wachsamkeit aus, und alles an ihm schrie Gefahr.

Anouks Blick fiel auf Garaks rechte Hand, die sich um ein Laserskalpell geschlossen hatte, das er wie eine Waffe hielt. Offenbar war Garak nicht minder als Anouk davon überzeugt, dass er es war, nach dem gesucht wurde, und beabsichtigte, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.

Die Vorstellung, Garak würde sich zwischen den Patienten mit den Soldaten einen Kampf auf Leben und Tod liefern, jagte Anouk einen Schauer über den Rücken.

„Geben Sie mir das Skalpell!“ verlangte er.

„Keine Sorge, Doktor.“ Garak lächelte leicht. „Ich werde die Patrouille draußen auf dem Flur abfangen. Verriegeln Sie die Tür hinter mir, und achten Sie darauf, dass niemand hinausgeht.“

Damit machte Garak Anstalten, sich an Anouk vorbeizuschieben.

Doch der Arzt verstellte ihm den Weg.

„Geben Sie mir das Skalpell!“ wiederholte Anouk. „Sofort!“

„Vorsicht, Doktor“, warnte Garak. „Ich habe weder die Zeit, noch bin ich in der Stimmung für solche Spielchen. Treten Sie beiseite!“

„Gegen eine ganze Patrouille haben Sie allein keine Chance!“

„Sie sollten mich nicht unterschätzen.“

„In Ordnung, vielleicht werden Sie mit ihnen fertig. Doch was meinen Sie, wird geschehen, wenn Sie dort draußen auf dem Gang ein Blutbad anrichten? Glauben Sie etwa, das Militär wird das so einfach hinnehmen? Das Militär wird weitere Truppen schicken. Bilden Sie sich etwa ein, ich ließe es zu, dass Sie nach der Ausschaltung der Patrouille einfach verschwinden, und das Krankenhaus der Rache des Militärs ausliefern? Hören Sie“, fuhr Anouk fort, als er Garaks Zögern bemerkte, „es gibt eine andere, bessere Lösung als diese Soldaten zu töten. Sie müssen kein Blut vergießen, und Sie brauchen auch nicht zu fliehen. Sie können im Krankenhaus bleiben, das ist es doch, was Sie wollen, weil Sie gar nicht wissen, wohin Sie sonst gehen sollen.“

Garak entspannte sich. „Was schlagen Sie vor?“

„Vertrauen Sie mir.“

„Ich vertraue niemanden“, erklärte Garak. „Doch wie es aussieht, habe ich wohl keine Wahl.“

* * *


Es war kalt, und es roch nach Blut, Urin, Eiter und Tod. Die stählerne Bahre war nicht gepolstert. Tote benötigten keinerlei Bequemlichkeit. Die Decke, unter der er lag, war klamm und muffig. Garak wusste, dass der dünne Stoff luftdurchlässig war, dennoch glaubte er, jeden Moment darunter zu ersticken. Seine Muskeln schmerzten von der Anspannung, in Bewegungslosigkeit zu verharren.

Sein Kittel war durchtränkt vom Schweiß, der ihm aus allen Poren drang, und sein Herz schlug so hart, dass er überzeugt war, dass es in der Stille, die ihn umgab, laut wie Donnerhall klang. Garak lauschte auf Geräusche, die die Ankunft der Soldaten ankündigten, doch er vernahm nur das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren.

Anouks Vorschlag, ihn in der Leichenhalle zwischen den Toten zu verstecken, war vernünftig gewesen. Trotzdem wünschte Garak, nicht darauf eingegangen zu sein. Die Gegenwart der Leichen machte ihn gegen seinen Willen nervös, und die widerlichen Gerüche, die den Körpern entströmten, verursachten ihm Übelkeit. Er versuchte, so flach wie möglich zu atmen, teils, um ein verräterisches Heben und Senken der Decke zu vermeiden, teils, um nicht mehr Luft in seine Lungen zu saugen als unbedingt nötig war.

„Garak ...“

Garak erstarrte, als das leise, zarte Wispern an sein Ohr drang.

„Verräter.“

„Du bist schuld an unserem Tod.“

„Mörder.“


Das Flüstern schwoll an, schien von allen Seiten zu kommen. Seufzend und klagend hallte es von den Wänden wider.

„Verräter.“

Es waren die Toten.

„Mörder.“

Ihre Anklage sprach das Urteil über ihn.

„Du hast uns getötet.“

„Nein!“ keuchte Garak. „Das ist nicht wahr! Lasst mich in Frieden, ihr seid nicht real!“

Ein kalter Windhauch schien den Saal zu durchfegen, und das Grauen, das Garak empfand, steigerte sich zur Panik. Es quietschte und knirschte, so als würden die Leichen sich von den Bahren erheben und an diejenige treten, auf der Garak steif und bewegungslos vor Entsetzen lag. Knochige Klauen, die einst Hände gewesen waren, packten die Decke.

„Mörder ...“

Garak schrie unterdrückt auf, als der Stoff mit einem Ruck heruntergerissen wurde...

... und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht Doktor Anouks.

„Was haben Sie?“ erkundigte der Arzt sich.

Garak drehte den Kopf zur Seite und ließ seinen Blick an Anouk vorbei suchend durch den Saal schweifen.

„Die Soldaten sind fort“, sagte der Mediziner. „Sie haben jeden Winkel des Krankenhauses abgesucht, dann sind sie gegangen.“

„Hier waren sie nicht.“

Anouk schüttelte den Kopf. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Der Geruch hat sie davon abgehalten. Und die Furcht, sich mit den Krankheiten zu infizieren, an denen einige der Toten hier drinnen gestorben sind.“

„Krankheiten?“ Garak setzte sich auf. „Davon haben Sie nichts erwähnt, als Sie mich hierher gebracht haben!“

Unwillkürlich wich Anouk vor dem Ausdruck in Garaks Augen zurück. Sein Lächeln erlosch.

„Beruhigen Sie sich! Es war eine Lüge, um die Soldaten davon abzuhalten, die Leichenhalle zu durchsuchen. Ich versichere Ihnen, dass die Toten in diesem Raum alle an Verletzungen gestorben sind. Keiner von ihnen hatte eine ansteckende Krankheit.“

„Das hoffe ich doch sehr, Doktor.“ Garak erhob sich von der Bahre. „Für uns beide.“

* * *


Premierminister Shakaar schlug unvermittelt so heftig auf die Platte seines Schreibtisches, dass die darauf befindlichen Datenpadds hochhüpften. Zufrieden registrierte er, dass Bojan Eli, Minister für zivile Raumfahrt, bei dem Geräusch unwillkürlich zusammenzuckte.

„Offenbar habe ich mich undeutlich ausgedrückt“, sagte Shakaar gefährlich leise. „Ich werde nicht dulden, dass das Hilfsprogramm für Cardassia in irgendeiner Weise behindert wird. Sie werden die Wartungsbehörde anweisen, die Inspektion der Xhosa bis zur Rückkehr von Cardassia Prime zu verschieben!“

„Bei allem Respekt, das werde ich nicht tun“, erklärte Bojan. „Die Behörde befolgt geltendes bajoranisches Recht. Nicht einmal der Premierminister hat die Befugnis, Gesetze nach Belieben außer Kraft zu setzen. Wenn Ihnen die Vorschriften nicht gefallen, müssen Sie eben dafür sorgen, dass sie geändert werden.“

Die Dreistigkeit des anderen Bajoraners verschlug Shakaar fast den Atem. Er schluckte den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, herunter. Solange Bojan sich auf die Gesetzmäßigkeit seines Verhaltens berief, war ihm nicht ohne weiteres beizukommen. Natürlich hatte er als Premierminister die Möglichkeit, Bojan Eli zu übergehen, doch würde das seine Position in der Kammer der Minister zusätzlich schwächen, etwas, das er sich im Moment überhaupt nicht leisten konnte. Nicht nachdem die Abstimmung so knapp zu seinen Gunsten ausgefallen war.

Ein Blick in das Gesicht Bojans, der sich kaum Mühe gab, seine Genugtuung zu verbergen, überzeugte Shakaar davon, dass er es ungeachtet der politischen Konsequenzen trotzdem tun würde.

Wie hatte er nur im Traum annehmen können, mit dem Ausgang der Abstimmung wäre das Thema Hilfslieferungen vom Tisch?

Hier und jetzt begriff Shakaar, dass die gewonnene Schlacht nur der Auftakt zu einem Krieg gewesen war, den seine Gegner mit erbitterter Härte führen würden.

* * *


Natima Lang, die mit Raluk in ihrem Büro saß, atmete sichtlich erleichtert auf, als Garak, gefolgt von Doktor Anouk, eintrat. In wenigen Sätzen erzählte der Arzt, wie es ihm gelungen war, die Soldaten zu täuschen.

„Das haben Sie sehr gut gemacht, Doktor“, meinte Raluk anerkennend.

„Ich befand mich jahrelang vor dem Obsidianischen Orden auf der Flucht“, bemerkte Anouk mit einem Seitenblick auf Garak. „Da lernt man so einiges.“

„Raluk und ich wissen, was Sie meinen“, sagte Natima sanft. „Garak, vielleicht sollten Sie für eine Weile untertauchen. Sie könnten nach DS9 zurückkehren?“

„Ich werde Cardassia auf keinen Fall verlassen“, wehrte Garak ab. „Ich habe sieben Jahre im Exil verbracht, das ist mehr als genug.“

„Seien Sie kein Narr“, bat Natima. „Wenn das Militär Sie sucht, sind Sie auf Cardassia nicht sicher. Glin Dukat wird ...“

„Sagten Sie Dukat?“ fiel Garak ihr ins Wort. „Ein Verwandter von Gul Dukat?“

„Soviel ich weiß, soll es sich um seine Schwester handeln, Sakura Dukat. Sie kommandiert die Truppenverbände in der Hauptstadt. Kennen Sie sie?“

„Flüchtig“, antwortete Garak ausweichend. „Ihr Bruder und ich waren nicht gerade das, was man enge Freunde nennt.“

„In dem Fall überrascht es mich nicht, dass Glin Dukat überall nach Ihnen suchen lässt“, ließ Raluk sich vernehmen. „Sie sollten Ihre Weigerung, Cardassia zu verlassen, noch einmal überdenken. Sakura Dukat ist sehr mächtig. Wenn sie Ihren Tod will, ist Ihr Leben hier nicht mehr viel wert.“

„Es ist das alte Spiel“, meinte Garak so leise, als würde er zu sich selbst sprechen. „Cardassia scheint nichts aus diesem Krieg gelernt zu haben. Während Leute wie Sie, Natima, ihre Zeit damit verbringen, der Bevölkerung in ihrem Elend zu helfen, reißt das Militär Stück um Stück die Macht an sich, und ehe wir uns versehen, haben wir wieder eine Militärdiktatur. Wollen Sie das wirklich?“

Natima, an die Garak seine Frage gerichtet hatte, starrte ihn an. „Nein, natürlich nicht.“

„Dann stehen Sie auf und tun Sie etwas dagegen!“ forderte er. „Begreifen Sie denn nicht, was hier, direkt vor Ihren Augen, geschieht? Wenn Sie und die Überlebenden der Dissidentenbewegung nicht handeln, werde ich morgen schon nicht mehr der einzige auf Cardassia sein, dessen Leben in Gefahr ist. Sie und Ihre Freunde haben jahrelang das Zentralkommando bekämpft, und es wäre, bitte verzeihen Sie mir meine Direktheit, naiv, zu glauben, dass das Militär diese Tatsache jemals vergeben oder gar vergessen wird. Für jeden, der eine Uniform trägt, werden Sie stets eine Feindin bleiben, mit der man Frieden hält, solange es nicht anders geht, aber die man ausrottet, sobald man wieder an der Macht ist. Es gibt nur einen Weg, um das zu verhindern: die Bildung einer zivilen Regierung unter Ihrer Führerschaft! Sie müssen die Regierungsgewalt übernehmen, bevor das Militär es tut!“

„So ungern ich es zugebe“, sagte Anouk, „aber ich denke, dass Garak recht hat. Glin Dukat scheint drauf und dran zu sein, auf Cardassia wieder eine Militärdiktatur zu errichten. Wenn es eine Möglichkeit gibt, das zu verhindern, dann sollten Sie das im Interesse unseres Volkes tun.“

„Das Militär wird es niemals zulassen“, wandte Raluk ein. „Eine zivile Regierung müsste sich zuvor gegen das Militär durchsetzen.“

„Oder“, Garak lächelte, „dessen Unterstützung gewinnen.“

„Die Unterstützung des Militärs?“ vergewisserte Natima sich, noch ganz betäubt von Garaks Vorschlag, die Regierungsgewalt zu übernehmen. Wieso war sie von allein nie auf diesen Gedanken gekommen, der so vernünftig erschien, so naheliegend?

Weil du dich davor fürchtest, flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Innern. Weil du vor der Verantwortung für ein Cardassia, das in Trümmern liegt, zurückschreckst.

Natima versuchte, die Stimme zu ignorieren, wohl wissend, dass es die Wahrheit war, die sie bisher erfolgreich verdrängt hatte. Ihr Volk brauchte sie, doch sie versteckte sich hinter ihrer Arbeit hier in diesem Krankenhaus. In der ganzen Zeit hatte sie sich vorgemacht, sich selbstlos für andere aufzureiben, dabei war es nichts weiter als eine Flucht vor der Erkenntnis gewesen, dass sie Angst vor der Erfüllung ihrer eigentlichen Pflichten gegenüber dem cardassianischen Volk hatte.

„Was sollte Glin Dukat wohl dazu bewegen, das zu tun?“ drang Raluks zweifelnde Frage in Natimas Überlegungen.

Garaks Lächeln vertiefte sich. „Überlassen Sie das mir.“
Rezensionen