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Tiger und Wölfe

von Martina Strobelt

Unter Fremden Sternen – Teil 1

Wer nie in Banden war,
weiß nichts von Freiheit!



Weyoun, Botschafter des Dominions saß in seinem Büro auf Cardassia Prime. Er war allein. Bis auf den Jem’Hadar, der reglos neben der Tür stand. Doch Omet’iklans Anwesenheit war für Weyoun so selbstverständlich wie die seiner rechten Hand.

In Gegenwart seines Ersten scheute der Vorta sich nicht, Schwäche zu zeigen.

So wie jetzt, als er die Fingerspitzen an seine Schläfen legte, hinter denen ein dumpfer, pochender Schmerz tobte, der mit jeder Sekunde, die verging, intensiver wurde.

Kopfschmerzen waren etwas Neues für Weyoun. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich je unwohl gefühlt zu haben oder gar krank gewesen zu sein. Die Gründer hatten seine Rasse mit einer guten Kondition und einem Immunsystem ausgestattet, das mit jedem bekannten Krankheitserreger fertig wurde. Vorta brauchten kaum Schlaf. Dank einer speziellen genetischen Konditionierung, die nur ausgewählten Vorta zuteilwurde, benötigte Weyoun noch weniger Ruhephasen. Er konnte Tage wach bleiben und in dieser Zeit anstrengende Verhandlungen führen, ohne dass er ermüdete.

Vielleicht lag es an dieser Welt. An diesem Quadranten.

Sich selbst konnte Weyoun eingestehen, was er niemals laut äußern würde.

Er verabscheute Cardassia - und den Krieg. Hätten Captain Sisko und die Föderation den Wunsch der Gründer respektiert und aufgehört, Schiffe in den Gamma-Quadranten zu schicken, wäre es nicht soweit gekommen. Ihre beiden Nationen hätten in friedlicher Koexistenz leben können, jede auf ihrer Seite des Wurmlochs. Stattdessen befand das Dominion sich mit fast allen Rassen dieses Quadranten im Krieg, und Weyoun musste sich mit Verbündeten von der Intelligenz eines Damar herumschlagen.

Der Türmelder summte.

Weyoun senkte die Hände und straffte sich.

„Herein!“

Die Vorta, die den Raum betrat, war jung, und wäre Weyoun in der Lage gewesen, Schönheit als solche zu erkennen, hätte er diese Bezeichnung auf die Frau mit dem langen dunklen Haar, das die klassischen Züge ihres Gesichtes umrahmte, vermutlich angewendet.

„Kilana?“

Der fragende Unterton, mit dem Weyoun die unerwartete Besucherin beim Namen nannte, war das einzige Anzeichen seiner Überraschung. Die Vorta gehörte nicht zu jenen, die aktiv an der Invasion des Alpha-Quadranten teilnahmen. Ihre taktischen Fähigkeiten reichten nicht aus, um eine Jem’Hadar-Kampfeinheit zu führen. Das hatten die Gründer bereits lange vor Ausbruch des Krieges erkannt, als Kilanas Versuch, Captain Sisko das Wrack eines abgestürzten Schiffes wieder abzujagen, gescheitert war. Ihre Unfähigkeit hatte den Tod eines Gründers verursacht.

Sie verdankte es allein Weyoun, der seine gesamte Redegewandtheit eingesetzt hatte, dass sie ihr Versagen überlebt hatte. Der Botschafter hatte es nicht umsonst in der Hierarchie des Dominions so weit gebracht. Er verstand sich wie kein anderer darauf, sich gegen seine Feinde zu wehren und sich andere zu verpflichten, um die Gefallen, die sie ihm schuldeten, bei Bedarf einzufordern. Weyoun hatte Kilana gerettet. Doch seine Fürsprache hatte sich darauf beschränkt, sie am Leben zu lassen. Es war keine Rede davon gewesen, sie mit einem neuen Kommando zu betrauen.

Trotzdem stand sie jetzt vor ihm. Hier in diesem Büro. Dem Zentrum der dominischen Kriegsführung im Alpha-Quadranten.

„Die Gründer haben mich geschickt“, sagte die Vorta. „Sie müssen mich unverzüglich in den Gamma-Quadranten begleiten. Wir brauchen Sie dort, Weyoun!“

* * *


Milliarden winziger Lichtblitze zuckten durch das Weltall und erhellten die unendlichen Weiten der Schwärze für den Bruchteil einer Sekunde.

Die Blicke aller Mitglieder der Crew, die sich auf der Brücke befanden, hingen an dem Bild auf dem Sichtschirm. Fasziniert - und voller Hoffnung.

Die schlanke Frau in der roten Sternenflottenuniform strich eine Strähne ihres schulterlangen dunkelblonden Haares zurück. „Bericht?“

„Unseren Anzeigen zufolge handelt es sich tatsächlich um ein Wurmloch“, antwortete der junge Asiate an der wissenschaftlichen Station. „Und es scheint stabil zu sein.“

„Können Sie feststellen, wohin es führt, Mister Kim?“

„Nein, Captain. Die Werte, die wir empfangen, sind nicht eindeutig.“

„Aber es wäre möglich, dass auf der anderen Seite der Alpha-Quadrant liegt?“

„Theoretisch ja.“

Kathryn Janeway lehnte sich in ihrem Sessel zu Chakotay, der links neben ihr saß. „Was denken Sie?“

„Das ist die beste Nachricht seit Wochen!“

„Ganz meine Meinung“, stimmte Janeway zu. „Doch bevor wir es riskieren können, mit der Voyager durch dieses Wurmloch zu fliegen, muss ich Gewissheit darüber haben, ob es wirklich stabil ist - und was uns auf der anderen Seite erwartet.“

„Eine Sonde sollte genügen, um das festzustellen“, bemerkte Chakotay.

„Negativ“, ließ B’Elanna Torres sich vernehmen. „Ich empfange Indifferenzen, die darauf schließen lassen, dass dieses Wurmloch eine Strahlung aussendet, die das Lenksystem einer Sonde beeinträchtigen könnte. Ich schlage vor, ein Shuttle zu nehmen.“

„Aber würde ein Shuttle von der Strahlung nicht in gleichem Maße betroffen sein?“ wandte Tom Paris ein.

Die Chefingenieurin schüttelte den Kopf. „Die Systeme eines Shuttles verfügen über weitaus höhere Schutzlegierungen als die einer einfachen Sonde.“

„Also schön“, entschied Janeway, „dann nehmen wir ein Shuttle.“

„Ich empfehle nur minimale Besatzung“, meinte Chakotay. „Ich melde mich freiwillig. Sie sind der Captain“, ergänzte der Indianer, als Janeway zögerte. „Sie müssen an Bord bleiben. Das Wurmloch könnte instabil sein. Und es wäre unlogisch, jemandem aus der Crew zu befehlen, sein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn ein anderer dies freiwillig zu tun bereit ist.“

„Sie klingen wie Tuvok“, bemerkte Janeway. „Also schön, nehmen Sie sich ein Shuttle. Aber Sie werden nicht allein fliegen. Seven of Nine wird Sie begleiten. Keine Diskussion!“ kam Janeway einer Erwiderung des Commanders zuvor. „Das ist ein Befehl!“

* * *


Kilanas Blick war starr auf die Kontrollen des Steuerungspults gerichtet. Ihre Haltung wirkte verkrampft. Weyoun, der die junge Vorta von der Seite betrachtete, fragte sich unwillkürlich, was die Ursache ihrer so offensichtlichen Anspannung war.

Es war nur eine von vielen Fragen, die der Botschafter des Dominions sich insgeheim stellte, seit sie Cardassia Prime verlassen hatten.

Die Gegenwart Omet’iklans schien Kilana zu verunsichern.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sein Erster ihn begleitet hatte, schien Kilana zu irritieren.

So wie Weyoun die Tatsache irritierte, dass sich außer ihnen niemand an Bord des Schiffes befand. Keine anderen Vorta. Und, was wirklich erstaunlich war, auch keine Jem’Hadar.

Ebenso seltsam war die Ausstattung des Schiffes. Weyoun hatte vergeblich nach Anzeichen der üblichen Bewaffnung Ausschau gehalten. Offenbar verfügte dieses Schiff lediglich über minimale Verteidigungseinrichtungen.

Weyoun tauschte einen Blick mit Omet’iklan.

Neben der gewohnten Wachsamkeit schimmerte ein Hauch Misstrauen in den dunklen Augen des Jem’Hadar, der Weyouns eigene Empfindungen widerspiegelte.

Konnte es möglich sein, dass Kilana den Gründern die Treue gebrochen hatte und zu einer Abtrünnigen geworden war?

Weyoun verwarf diesen Gedanken, kaum dass er ihm gekommen war. Soweit ihm bekannt war, gehörten ausschließlich Jem’Hadar den Splittergruppen der Abtrünnigen an. Diese Jem’Hadar hatten sich vom Dominion und allem, was es repräsentierte, losgesagt.

Niemals würden sie eine Vorta als eine der ihren akzeptieren.

All das ergab keinen Sinn. Daher beschloss Weyoun, zumindest für den Moment, abzuwarten. Wenn es den Gründern gefiel, ihn im Unklaren zu lassen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Zu gegebener Zeit würden sie seine Fragen beantworten.

Und falls nicht, dann würde er es akzeptieren.

Götter mussten ihre Handlungen nicht erklären oder gar rechtfertigen.

* * *


Chakotay war noch nie zuvor durch ein Wurmloch geflogen. Es war ein überwältigendes Erlebnis. Das Innere der Passage war von unbeschreiblicher Schönheit. Der Blick des Indianers streifte Sevens ausdruckslose Miene. Er enthielt sich jeden Kommentars.

Die Borg betrachtete Schönheit als irrelevant. Perfektion und Logik bestimmten ihr Leben.

Wären Sevens Ohren spitz, würde sie eine ausgezeichnete Vulkanierin abgeben.

Bei diesem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf Chakotays Lippen, das Seven nicht entging.

Die Borg runzelte leicht die Stirn. Dank der Lektionen, die der holografische Arzt ihr seit einiger Zeit erteilte, begann Seven unter anderem auch langsam das Konzept des Humors zu begreifen, das für die Crewmitglieder der Voyager, mit Ausnahme der Vulkanier, ein beliebtes Mittel der Kommunikation darstellte.

Seven hatte gelernt, dass die Angehörigen der meisten Rassen auf bestimmte Situationen, manchmal sogar auf die bloße Konstellation einiger Worte, mit Erheiterung reagierten. Seven hatte auf Anraten des Doktors mehrere Holo-Romane ausprobiert, die angeblich das sein sollten, was man als komisch bezeichnete. Doch die einzige Reaktion, die sich eingestellt hatte, war Verwunderung darüber gewesen, dass diese Dinge bei ihren Crew-Gefährten Gelächter auslösten.

Irgendwo tief in ihrem Innern existierte eine flüchtige Erinnerung daran, dass sie einmal fähig gewesen war zu lachen. Doch falls dem jemals so gewesen war, war es lange her.

Zu lange, um die Person, die sie heute war, zu beeinflussen.

Seven hatte sich ausführlich mit dem Thema Humor befasst. Ihre Analyse der gegenwärtigen Situation ergab nichts, das Commander Chakotays Reaktion ausgelöst haben konnte. Sie hatte nichts gesagt oder getan, was im Vergleich mit den Verhaltensmustern der Figuren in den Holo-Romanen als witzig interpretiert werden konnte.

Sie wollte den Commander gerade fragen, was es war, das ihn amüsierte, als das Wurmloch das Shuttle in einem gleißenden Strudel aus wirbelnden Lichtfunken wieder freigab. Seven vergaß die Frage und konzentrierte sich stattdessen auf die Anzeigen ihrer Konsole.

Chakotay tat es ihr gleich. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen bestätigte die Angaben auf dem Display an Sevens Steuerungspult.

Sie befanden sich im Alpha-Quadranten.

* * *


Die Heimatwelt der Gründer. Wie stets, wenn er sich an diesem Ort befand, überkam Weyoun ein Gefühl der Ehrfurcht. Die Völker des Alpha-Quadranten verstanden nicht, was es war, das das Dominion in seinem Innersten zusammenhielt. Sie würden es niemals verstehen.

Mit Ausnahme der Bajoraner vielleicht. Die Bajoraner waren ein spirituelles Volk. Während seiner Herrschaft über DS9 hatte Weyoun mehr als einmal aufrichtig den Umstand bedauert, dass Bajor lediglich auf dem Papier eine befreundete Nation war.

Der Vorta hätte es vorgezogen, anstelle von Cardassia Bajor einen Verbündeten zu nennen.

Leider hatte diese Option nie wirklich zur Verfügung gestanden.

Zu eng war Bajors Schicksal mit dem von Captain Sisko und dem der Föderation verknüpft. Und Cardassias Beitritt zum Dominion hatte allen theoretischen Überlegungen im Hinblick auf ein ernsthaftes Bündnis endgültig einen Riegel vorgeschoben. Bajor würde niemals Freundschaft mit einer Nation schließen, die mit Cardassia in der Weise paktierte, wie das Dominion es tat.

Weyoun dachte flüchtig daran, wie angenehmer - und ungefährlicher - es wäre, anstatt mit Damar mit Premierminister Shakaar zusammenzuarbeiten. Der Bajoraner war ein ehrenhafter Mann. Auf Shakaars Wort hätte Weyoun sich uneingeschränkt verlassen können. Shakaar hätte der Vorta unbesorgt den Rücken zukehren können, ohne befürchten zu müssen, heimtückisch erdolcht zu werden. Das Gleiche galt für Major Kira, mochte sie in ihren Handlungen bisweilen auch ein wenig zu impulsiv sein.

Im Grunde wären Weyoun, so widersinnig es angesichts des Krieges erschien, sogar Captain Sisko und die Föderation als Verbündete lieber gewesen als Damar und Cardassia.

Kilana trat an den Rand der goldfarbenen Masse, die sich, einem Ozean gleich, endlos weit vor ihnen erstreckte.

Winzige Bewegungen durchliefen die große Verbindung. Wie Wellen, begleitet von einem Rauschen, das wie die Brandung des Meeres klang. Doch wenn man genau hinhörte, dann erkannte man, dass es kein Rauschen war, sondern ein leiser, melodischer Gesang, der von der wogenden Masse ertönte. Ein Chor aus unzähligen Stimmen, die sich in einem Lied vereinten.

Die Oberfläche der goldfarbenen Masse verformte sich. Ein Teil von ihr löste sich ab und bildete die Gestalt einer Gründerin.

Die Gründerin suchte Weyouns Blick ehe der Vorta ihn respektvoll senken konnte, und hielt ihn fest.

Der Ausdruck ihrer Augen versetzte Weyoun in Erstaunen. Die wenigen Gründer, denen er bisher persönlich begegnet war, hatten ihn entweder überlegen oder gelangweilt gemustert.

In jedem Fall hatten sie ihm stets signalisiert, dass er als Person nicht von Belang war.

Diese Gründerin jedoch sah ihn mit echtem Interesse an. Und mit einem Hauch von...

... Hoffnung!

Als die Gründerin sich nun an Kilana wandte, entdeckte Weyoun mit wachsender Verblüffung einen weiteren unerwarteten Ausdruck in ihrer Miene:

Zuneigung!

„Im Namen der großen Verbindung danke ich dir, Kilana“, sagte die Gründerin warm. „Wir stehen tief in deiner Schuld. Das alles muss für Sie sehr verwirrend sein“, richtete sie sich wieder an Weyoun. „Begleiten Sie Kilana und mich! Wir werden Ihnen und“, ihr Blick streifte Omet’iklan, „Ihrem Freund alles erklären.“

* * *


Seven hob fragend eine Braue, als Chakotay neben ihr einen Laut der Überraschung ausstieß. „Commander?“

„Unsere Position!“

„Was ist damit?“

Chakotay atmete tief durch. Er hatte vergessen, dass Seven sich zum ersten Mal im Alpha-Quadranten befand und diesen Sektor des Raumes gar nicht kennen konnte.

Im Gegensatz zu ihm.

„Wir sind in den Badlands“, erklärte er. „Es ist kaum zu glauben, aber wir sind weniger als ein halbes Lichtjahr von der Position entfernt, an der die Voyager vor vier Jahren vom Fürsorger in den Delta-Quadranten versetzt wurde.

„Dann befinden wir uns also auf cardassianischem Territorium?“

Ein Schatten flog über Chakotays Züge. Seven hatte die Geschichte des Alpha-Quadranten studiert. Doch er konnte nicht von ihr erwarten, seine Gefühle in Bezug auf die Änderung des Grenzverlaufs und die Badlands zu teilen.

In den Badlands hatte der Maquis gekämpft.

Hier hatten sie gegen das Unrecht aufbegehrt, das den Siedlern von Cardassia angetan worden war. Und auch von der Föderation.

Beim Gedanken an den Maquis stieg unendliche Trauer in Chakotay auf. Keiner seiner Freunde und Kampfgefährten hatte es geschafft. Der Maquis existierte nicht mehr. Mit Hilfe des Dominions hatte Cardassia die Bewegung zerschlagen und ihre Anhänger abgeschlachtet.

Verdrängte Erinnerungen trieben an die Oberfläche seines Bewusstseins.

Gesichter...

Namen...

So viele Namen...


„Programmieren Sie einen Kurs!“ befahl Chakotay leise. „Wir fliegen zurück.“

„Wird die Voyager das Wurmloch passieren?“ erkundigte Seven sich, während ihre Finger über ihre Konsole huschten.

„Sie meinen, weil wir dann mitten in feindlichem Territorium landen würden? Denken Sie, dass das Risiko zu hoch ist?“

„Um das beurteilen zu können, benötige ich mehr Informationen über die Truppenstärke des Feindes in diesem Raumsektor.“

Chakotay lächelte. „Ich schätze weder die cardassianischen Truppen noch die des Dominions werden Captain Janeway davon abhalten können, die Voyager zurück nach Hause zu bringen.“

„Vermutlich nicht“, stimmte Seven nach kurzer Überlegung zu.

Ohne Vorwarnung erbebte das Shuttle unter einer gewaltigen Erschütterung.

„Wir werden angegriffen!“ rief Chakotay. „Computer, Schilde hoch!“

Sevens Blick flog über die Anzeigen. „Ein Schiff cardassianischen Ursprungs.“

„Warum haben die Sensoren es nicht früher entdeckt?“

„Offenbar verfügt es über eine Tarnvorrichtung“, erwiderte Seven.

Chakotay ließ sich seinen Schock nicht anmerken. Ein cardassianisches Schiff, das eine Tarnvorrichtung besaß! Cardassia musste diese spezielle Technologie von seinem neuen Verbündeten, dem Dominion, erhalten haben. Kein Wunder, dass es Gul Dukat und seinen Schergen gelungen war, den Maquis zu vernichten.

„Möchten Sie, dass ich uns in das Wurmloch fliege?“ fragte Seven, während das Shuttle unter weiteren Treffern hilflos wie ein Blatt im Sturm herumgeworfen wurde und die sonore Stimme des Computers verkündete, dass die vorderen Waffensysteme und die Lebenserhaltung ausgefallen waren, die Kapazität der Schilde auf zwanzig Prozent gesunken war und ein Bruch der Außenhülle drohte.

Chakotay schüttelte den Kopf. „Nein! Es könnte sein, dass die Cardassianer keine Kenntnis von diesem Wurmloch haben. Ich will nicht derjenige sein, von dem sie es erfahren!“

„Der Gegner ist uns überlegen“, wandte Seven ein. „Es wäre effizienter, zu fliehen und zu einem späteren Zeitpunkt zu diesen Koordinaten zurückzukehren.“

„Sie haben recht“, bestätigte Chakotay. „Allerdings befürchte ich, dass die Cardassianer eine Flucht nicht zulassen werden. Uns bleibt keine andere Wahl, als unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen!“

* * *


Weyoun und Omet’iklan waren der Gründerin und Kilana in einen Garten gefolgt und hatten sich auf eine Bank aus flachen Steinen gesetzt, die von blühenden Sträuchern umgeben war.

Kilana schob einen Zweig beiseite, der sich in ihrem Haar verfangen hatte. Dabei strichen ihre Finger zart über eine Knospe, die im Begriff war, zu einer roten Blüte zu werden.

Über den Rücken ihrer Hand traf ihr Blick den Weyouns.

„Wunderschön, nicht wahr?“

Weyoun starrte die Vorta an.

Sein Volk besaß kein ästhetisches Empfinden. Was ging hier vor?

„Ich verstehe das nicht, Gründerin“, wandte Weyoun sich an die Formwandlerin. „Was hat all dies hier zu bedeuten?“

Die Gestaltwandlerin lächelte. Doch es war ein trauriges Lächeln. „Bitte, nennen Sie mich bei meinem Namen, Charis. Die Anrede Gründerin stammt aus einer längst vergangenen Zeit, an die ich mich nur ungern erinnere.“

„Das ist nicht die Heimatwelt der Gründer!“ stellte Weyoun fest. „Wo bin ich?“

„Dies ist die Heimat meines Volkes“, berichtigte Charis sanft. „Sie befinden sich im Gamma-Quadranten. In unserem Gamma-Quadranten.“

„Was meinen Sie damit?“

„Das Universum, so wie Sie es kennen, ist nicht das einzige. Parallel dazu existiert noch viele. Unter anderem auch unseres!“

„Heißt das, ich befinde mich hier in einem Spiegeluniversum?“

„So ist es“, bejahte Charis.

„Wenn das stimmt, warum haben Sie mich hergebracht?“

„Weil wir Sie brauchen, Weyoun. Sehen Sie, in unserer Welt ist das Dominion eine friedliche Nation, die sich aus verschiedenen Völkern dieses Quadranten gebildet hat. Wir betreiben in erster Linie Wissenschaft und Forschung. Wir haben keine Armeen, und die Planeten, die unserem Bund angehören, besitzen nur minimale Verteidigungseinrichtungen. In diesem Quadranten gehören Kriege schon lange der Vergangenheit an. Das Dominion pflegt freundschaftliche Beziehungen zu all seinen Nachbarstaaten. Man könnte die Art und Weise, in der die Völker des Quadranten seit Jahrhunderten nebeneinander und miteinander leben, pathetisch ausgedrückt, wohl als Paradies bezeichnen. Leider hat sich dieser Zustand mit der Entdeckung des ersten stabilen Wurmlochs geändert. Unsere Freude über die Passage in den Alpha-Quadranten hielt genauso lange an, wie wir brauchten, um die Gefahr zu erkennen, in die uns unser Forschungsdrang gebracht hatte. Der Alpha-Quadrant wird fast vollständig von einem Militärbündnis beherrscht. Der Allianz, deren Mitglieder ausnahmslos aggressiv und auf Eroberung ausgerichtet sind. Als uns das klar wurde, zogen wir uns sofort zurück. Aber da war der Schaden bereits angerichtet. Die Allianz hat von der Existenz des Wurmlochs erfahren - und vom Dominion. Noch wissen die Völker der Allianz nicht, wie schwach wir wirklich sind. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie es herausfinden werden. Dann werden sie kommen. Und wir werden nicht in der Lage sein, uns gegen eine Invasion zu wehren.“

„Wenn ich Sie richtig verstehe, erhoffen Sie sich von mir Hilfe?“ vergewisserte Weyoun sich.

Charis nickte. „Das Wurmloch, von dem ich spreche, ist mehr als lediglich die Verbindung zwischen zwei Quadranten. Durch Zufall entdeckten wir, dass es zugleich die Passage in ein anderes Universum darstellt. In Ihr Universum. Zusammen mit Kundschaftern in unseren Alpha-Quadranten schickten wir auch Kundschafter in Ihr Universum. Die Berichte, die wir erhielten, waren interessant und äußerst aufschlussreich. Das Dominion Ihrer Welt ist stark und wird gefürchtet. Es verfügt über eine riesige Flotte von Kriegsschiffen und ausgezeichnet ausgerüstete Kampfverbände. Wir können und wollen zwar die militärisch orientierte Ordnung Ihrer Nation nicht gutheißen, da sie allen Werten zuwiderläuft, nach denen wir streben. Trotzdem müssen wir einräumen, dass unser Wunsch nach friedlicher Koexistenz mit allen Völkern uns wehrlos gemacht hat. Daher haben wir beschlossen, eine Armee aufzustellen und Kriegsschiffe zu bauen. Nur leider fehlt es uns an jeglicher Erfahrung auf diesem Gebiet, und darüber hinaus an Zeit! Wir brauchen jemanden, der genug taktische Kenntnisse besitzt, um uns beim Aufbau einer wirksamen Verteidigung helfen zu können - und einen fähigen Diplomaten, der in dieser gefährlichen Situation den Überblick behält und in der Lage ist, die Allianz mit Worten und Versprechungen von unseren Grenzen fernzuhalten, bis wir uns aus eigener Kraft verteidigen können.“

„Und Sie glauben, dass ich dieser jemand bin?“

„Das Dominion Ihrer Welt hat Sie mit seiner diplomatischen Vertretung beauftragt und Ihnen zudem den Oberbefehl über sämtliche Truppen im Alpha-Quadranten anvertraut.“

„Und genau aus diesem Grund muss ich wieder zurück in mein eigenes Universum!“

Kilana legte ihre Hand sanft auf Weyouns Unterarm. „Sie dürfen nicht gehen. Das Dominion braucht Sie. Die Gründer brauchen Sie!“

Weyoun zögerte.

Dies war nicht sein Universum.

Dies war nicht sein Dominion.

Dies waren nicht seine Gründer.

Doch machte dies wirklich einen Unterschied?


Der Vorta dachte daran, wie beharrlich die namenlose Gründerin seiner Welt darauf bestand, Odo in die große Verbindung zurückzuholen. Das Leben eines Gründers war den anderen Gründern heilig. Hätten die Gründer seines Universums Kenntnis von den Gefahren, die den Gründern dieser Welt drohten, würden sie vermutlich auf der Stelle Truppen hierher entsenden. Sie würden niemals zulassen, dass den Gründern dieser Welt durch Solids ein Leid geschah.

Trotzdem hatte Charis sich nicht an die Gründer seines Universums gewandt. Sondern an ihn!

Seine genetische Konditionierung verlangte von Weyoun, den Gründern zu dienen und sie um jeden Preis zu schützen. Die offenkundige Hilflosigkeit von Charis verstärkte diesen inneren Drang, der die Basis von Weyouns Existenz war, schier ins Unermessliche.

Der Botschafter sah Kilana an, deren Hand immer noch auf seinem Arm ruhte.

„Ich werde bleiben“, versprach Weyoun. „Bis ich Ihnen alles beigebracht habe, Kilana, was Sie wissen müssen, um die Gründer Ihrer Welt auch ohne mich erfolgreich verteidigen zu können.“

* * *


Eine weitere Salve aus den Phaserbänken des cardassianischen Schiffes schüttelte das Shuttle. Drei Energieleitungen platzten auseinander. Die Druckwelle der Explosion schleuderte Chakotay quer durch den Innenraum in den hinteren Teil der Kabine.

Die Schutzschilde waren ausgefallen. Ebenso der Antrieb.

Seven kroch über die Trümmer einer Konsole und zwischen herabhängenden Kabeln hindurch zur Rückseite des Shuttles. Dorthin, wo Chakotay lag. Offenbar war er schwer verletzt. Sein linkes Bein war zwischen zwei verbogenen Streben eingeklemmt. Er blutete aus mehreren Wunden, und hatte am Rücken Verbrennungen davongetragen.

Die Borg entnahm dem Kasten mit der medizinischen Notfallausrüstung, den sie mitgebracht hatte, einen Trikorder. Als sie sich über den Indianer beugte, packte dieser ihr Handgelenk.

„Kehren Sie sofort an Ihre Station zurück!“ keuchte Chakotay. Sein Brustkorb schmerzte, und das Atmen fiel ihm schwer. Vermutlich hatte er sich beim Aufprall gegen die Wand des Shuttles einige Rippen gebrochen.

„Der Gegner hat sein Feuer eingestellt und uns aufgefordert, uns zu ergeben“, wurde er ruhig von Seven informiert.

„Was haben Sie geantwortet?“

„Ich habe darauf hingewiesen, dass ich nicht befugt bin, in eine Kapitulation einzuwilligen. Es wurde mir gestattet, festzustellen, ob mein kommandierender Offizier noch am Leben ist, um, sofern dies der Fall ist, die Aufforderung an ihn weiterzuleiten, oder andernfalls selbst eine Entscheidung zu treffen. Dafür wurden mir zehn Minuten zugebilligt, wovon die Hälfte verstrichen ist.“

„Ich schätze, unsere Optionen sind begrenzt?“

„Korrekt. Der cardassianische Kommandant wartet auf eine Antwort.“

„Was schlagen Sie vor?“

„Sie haben dem Maquis angehört. Was wird mit Ihnen geschehen, wenn wir uns ergeben?“

„Wahrscheinlich werde ich exekutiert“, antworte Chakotay. „Im besten Fall sofort“, fügte er in Gedanken hinzu und verdrängte die furchteinflößende Vorstellung, sich in einem cardassianischen Verhörraum zu befinden.

Unbewusst registrierte der erste Offizier, dass Sevens Frage sich auf ihn beschränkt hatte. Was mit ihr passieren würde, schien sie nicht zu interessieren.

Seven hatte Chakotay bei seiner Antwort aufmerksam gemustert. „Ihre Stimme schwankt. Sie haben Angst!“ stellte sie fest. „Vor dem Ende Ihrer Existenz?“

„Es gibt Schlimmeres als den Tod.“

„Ich verstehe.“ Seven erhob sich, trat an eine Konsole und begann, eine Reihe von manuellen Befehlen einzugeben.

„Was tun Sie da?“ fragte Chakotay.

„Ich initiiere die Selbstzerstörung. Erheben Sie Einwände?“

Chakotay schüttelte stumm den Kopf. Die Cardassianer würden das Shuttle auch dann nicht zerstören, wenn seine Besatzung sich weigerte, zu kapitulieren. Sie würden ein Enterkommando schicken. Selbstzerstörung war der einzige Weg, um zu verhindern, dass sie in Gefangenschaft gerieten. Es war besser hier und jetzt zu sterben, als den Cardassianern lebend in die Hände zu fallen.

Seven ließ ihre Hände sinken.

Chakotay rechnete mit einer Aufforderung, den Start der Selbstzerstörungs-Sequenz durch Nennung seines Kommandocodes zu autorisieren.

„Es tut mir leid, Commander“, sagte die Borg stattdessen. „Die Emitter wurden bei dem Angriff irreparabel zerstört. Ich kann die Selbstzerstörung nicht aktivieren.“

Chakotay schloss in einer Geste der Resignation die Augen.

„Möchten Sie, dass ich Sie töte?“

Der erste Offizier öffnete seine Augen wieder und starrte Seven an. „Wie bitte?“

„Ihrer Reaktion zufolge widerstrebt Ihnen eine Gefangennahme“, erwiderte Seven gelassen, so als würde sie die Lösung eines technischen Problems erörtern. „Daraus schließe ich, dass Sie es vorziehen, nicht in die Gewalt des Feindes zu geraten. Da die Selbstzerstörung des Shuttles keine verfügbare Option mehr darstellt, ist mein Vorschlag die einzig verbliebene Alternative.“

Ein Ruck durchlief das Shuttle.

„Die Cardassianer werden ungeduldig“, bemerkte Chakotay.

„Wir wurden nicht getroffen“, widersprach Seven nach einer Überprüfung der Anzeigen. „Es war die Druckwelle einer Phaserentladung, deren Ziel der cardassianische Kreuzer war.“

„Kann der Computer das Schiff, das gefeuert hat, identifizieren?“

„Negativ.“

„Auf jeden Fall scheinen die Leute an Bord die Cardassianer nicht sonderlich zu mögen. Das genügt, um sie als Freunde zu betrachten. Können wir in den Kampf eingreifen?“

„Die Waffensysteme und der Antrieb funktionieren nicht.“

„Ich nehme an, das heißt nein.“

„Korrekt. Unsere Möglichkeiten beschränken sich derzeit darauf, den Ausgang des Kampfes abzuwarten.“ Seven packte die Strebe, die Chakotays Bein einklemmte, und bog sie mit einem Ruck auseinander, was dem Indianer einen Aufschrei entlockte.

„Was tun Sie da?“ stöhnte er, benommen von der Welle des Schmerzes, die seinen Körper durchflutete.

„Ich nutze die Zeit des Wartens, um Sie zu befreien und medizinisch zu versorgen.“

„Wäre es Ihnen möglich, dabei etwas behutsamer vorzugehen?“ fragte Chakotay, während der Schmerz allmählich verebbte.

„Langsamer zu arbeiten wäre weniger effizient.“

„Das“, Chakotay lächelte gequält, „ist eine Frage der Sichtweise.“
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